Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Augsburg (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 12 KR 415/15
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 260/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zahnimplantate - Genehmigungsfiktion
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 30. Dezember 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 2015 verurteilt, die Kosten für eine Versorgung der Klägerin mit Zahnimplantaten im Oberkiefer und Unterkiefer einschließlich Suprakonstruktion laut Kostenvoranschlägen des Dr. B. vom 28. Oktober 2014 zu übernehmen.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Streitgegenstand ist die Kostenübernahme für eine Implantatversorgung einschließlich Augmentation und Suprakonstruktion im Oberkiefer und Unterkiefer.
Die 1947 geborene Klägerin legte bei der Beklagten verschiedene Heil- und Kostenpläne (HKP) und Kostenvoranschläge ihres Zahnarztes B. vor. Am 13.11.2014 (Eingangsstempel auf dem Original des Kostenvoranschlages) gingen bei der Beklagten ein HKP vom 28.10.2014 für die prothetische Versorgung ein, mit einer Anlage zum voraussichtlichen Eigenanteil in Höhe von 7.828,30 EUR für die Suprakonstruktion. Den Festzuschuss hatte der Zahnarzt dabei mit 796,70 EUR aufgeführt. Zwei weitere Kostenvoranschläge (Kostenaufstellung und Behandlungsplan) vom 28.10.2014 beschäftigten sich mit den Kosten für eine Implantatversorgung mit Augmentation im Unterkiefer (Implantate regio 33 und 43) und im Oberkiefer (Implantate regio 14, 12, 22, 24). Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 18.11.2014 mit, dass für implantologische Leistungen grundsätzlich keine Leistungspflicht bestehe und zur Prüfung, ob eine Ausnahmeindikation vorliege, der behandelnde Zahnarzt angeschrieben worden sei. Dr. B. erklärte mit Telefax vom 27.11.2014, dass aus seiner Sicht eine Indikation wegen dauerhaft bestehender extremer Xerostomie bestehe, nämlich nach Bestrahlung und HNO-Tumor-Operation 2009 in der Uniklinik U ... Eine konventionelle Versorgung ohne Implantate sei nicht möglich. Daraufhin erteilte die Beklagte am 03.12.2014 einen Gutachtensauftrag und informierte die Klägerin mit Schreiben vom 03.12.2014 dahingehend, dass sie sich mit dem Gutachter zeitnah in Verbindung setzen und einen Termin mit ihm vereinbaren solle. Sobald das Gutachten vorliege, werde über den Antrag entschieden. In seinem Gutachten vom 22.12.2014 (Untersuchung vom 22.12.2014) berichtete der Gutachter Dr. M., dass sich die Klägerin in zahnlosem Zustand mit provisorischen Totalprothesen im Oberkiefer und Unterkiefer vorgestellt hatte. Zum Untersuchungszeitpunkt habe sich eine sehr gute Speichelbildung im gesamten Mundbereich gezeigt. Die Schleimhaut sei an keiner Stelle trocken oder gerötet gewesen. Eine Xerostomie sei nicht feststellbar. Die Patientin klage lediglich, nachts ohne Prothesen über Mundtrockenheit zu verfügen. Die Interimsprothese am Oberkiefer zeige einen sehr guten Saughalt. Die Kieferkämme im Oberkiefer und Unterkiefer seien sehr gut erhalten. Eine konventionelle Versorgung sei möglich. Eine Ausnahmeindikation liege nicht vor. Dieses Gutachten ging bei der Beklagten am 29.12.2014 ein. Mit Bescheid vom 30.12.2014 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme ab.
Dagegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 28.01.2015 Widerspruch ein. Sie berief sich auf das Schreiben ihres Zahnarztes und legte des Weiteren einen onkologischen Brief des Universitätsklinikum U. vom 13.01.2015 vor. Darin wird ausgeführt, dass die Zahnschäden aus HNO-ärztlicher Sicht gut durch die ausgeprägte Xerostomie erklärbar seien. Herr B. führt in einem Attest vom 26.01.2015 aus, dass es in Folge der onkologischen Therapie zu einer ausgeprägten Xerostomie gekommen sei, die eine massive Schädigung der vorhandenen Zähne nach sich gezogen habe, so dass im Rahmen einer Sanierung alle Zähne entfernt werden mussten. Ohne Implantate sei kein zufriedenstellender Prothesenhalt zu erreichen. Auf Hinweis, dass ihr Zahnarzt die Möglichkeit habe, bei der Kassenzahnärztlichen Vereinigung ein Obergutachten zu beantragen, erklärte die Klägerin am 21.05.2015, dass ein entsprechender Antrag von ihrem Zahnarzt nicht gestellt werde. Die Beklagte wies den Widerspruch dann mit Bescheid vom 30.07.2015 zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 04.09.2015 Klage beim Sozialgericht Augsburg erhoben. Sie beruft sich auf die vorgelegten ärztlichen Unterlagen und erklärt, dass die vorhandene Prothese zwar gut sitze und optisch in Ordnung sei. Sie könne mit dieser Prothese jedoch nicht essen bzw. beißen. Beispielsweise müsse sie die Prothese sofort neu kleben, wenn sie Fleisch esse. Durch den fehlenden Gaumenbogen rutsche ein Teil der Nahrung beim Schlucken nach oben und finde sich in der Nase wieder, was sie nur durch Schnäuzen beseitigen könne. Zur Beweiserhebung hat das Gericht einen Befundbericht von Herrn B. eingeholt. Die Beklagte wurde auf den möglichen Eintritt einer Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Satz 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) hingewiesen. Die Beklagte hat sich anschließend darauf berufen, dass die Klägerin über die Notwendigkeit der Begutachtung unterrichtet gewesen sei und der Untersuchungstermin von ihrer persönlichen Terminvereinbarung abhängig gewesen sei. Hier seien sachgerechte Ermittlungen erfolgt und es lägen hinreichende Gründe für die kurzzeitige Überschreitung der Sechs-Wochen-Frist vor, zumal die Klägerin hierüber informiert gewesen sei.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30.12.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.07.2015 zu verurteilen, im Wege einer Sachleistung die Kosten für eine Versorgung mit Zahnimplantaten im Oberkiefer und Unterkiefer einschließlich Suprakonstruktion laut Kostenvoranschlägen des Dr. B. vom 28.10.2014 zu übernehmen.
Die Bevollmächtigte der Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Akte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Das angerufene Gericht ist gemäß §§ 57 Abs. 1, 51 Abs. 1, 8 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zur Entscheidung des Rechtsstreits örtlich und sachlich zuständig. Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, und erweist sich auch als begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 30.12.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.07.2014 war aufzuheben, da eine Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V für den Antrag auf Implantatversorgung im Oberkiefer und Unterkiefer eingetreten ist.
Nach § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V sind implantologische Leistungen von der Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ausgeschlossen, es sei denn, es liegen seltene vom Gemeinsamen Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 festzulegende Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle vor, in denen die Krankenkasse diese Leistung einschließlich der Suprakonstruktion als Sachleistung im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erbringt. Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht. Das Gericht verweist insoweit gemäß § 136 Abs. 3 SGG auf die Begründung im Widerspruchsbescheid. Die vom behandelnden Zahnarzt genannte Ausnahmeindikation einer Xerostomie liegt nicht vor, da nach der Untersuchung bei Dr. M. keine dauerhafte extreme Xerostomie vorlag. Weitere mögliche Ausnahmeindikationen sind nicht ersichtlich. Dass die Prothesen ohne Implantate keinen ausreichenden Halt finden, ist gerade keine Ausnahmeindikation.
Dennoch hat die Klägerin hier einen Anspruch auf Versorgung mit Implantaten einschließlich Suprakonstruktion und Augmentation im Oberkiefer und Unterkiefer laut den Kostenvoranschlägen vom 28.08.2014 von Herrn B., da die Genehmigungsfiktion aus § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V eingetreten ist. Nach § 13 Abs. 3a SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des MDK eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden (Satz 1). Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (Satz 2). Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung (Satz 3). Wird ein im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte vorgesehenes Gutachterverfahren durchgeführt, hat die Krankenkasse ab Antragseingang innerhalb von sechs Wochen zu entscheiden; der Gutachter nimmt innerhalb von vier Wochen Stellung (Satz 4). Kann die Krankenkasse die Frist nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (Satz 5). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (Satz 6). Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (Satz 7).
Der Eintritt der Genehmigungsfiktion erfordert zunächst einen konkret bestimmten Antrag. Inhalt und Umfang der begehrten Leistung sind hier durch die Kostenvoranschläge vom 28.10.2014 hinreichend konkret bestimmt.
Es gilt entsprechend § 13 Abs. 3a Satz 4 SGB V eine Sechs-Wochen-Frist ab Antragseingang. Die Einschaltung des Gutachters war der Klägerin auch bekannt.
Bei Antragseingang am Donnerstag, den 13.11.2014 begann die Sechs-Wochen-Frist am 14.11.2014 und endete am Montag, den 29.12.2014, da der eigentliche Fristablauf am Donnerstag, den 25.12.2015 auf einen Feiertag fiel und der nächste Werktag erst der 29.12.2014 ist (zur Berechnung siehe § 26 Abs. 1 und Abs. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X und §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB). Am Tag des Erlasses des Verwaltungsaktes, dem 30.12.2014, war die Frist also bereits abgelaufen.
Eine Information darüber, dass die Sechs-Wochen-Frist überschritten werden würde, hat die Beklagte der Klägerin vor Fristablauf am 29.12.2014 nicht erteilt. Dafür ist Voraussetzung, dass der Versicherte informiert wird, dass eine Frist läuft, welche Frist läuft, und welcher Grund für die Fristüberschreitung vorliegt. Soweit die Beklagte mit Schreiben vom 03.12.2014 die Klägerin darauf hingewiesen hat, dass ein Gutachter eingeschaltet wurde und über den Antrag entschieden werde, sobald das Gutachten vorliegt, ist dies zur Überzeugung des Gerichts keine hinreichende Information darüber, dass die Frist für die Genehmigungsfiktion überschritten wird und warum. Denn im Zeitpunkt der Information am 03.12.2014 war noch überhaupt nicht absehbar, ob die Frist überschritten werden würde.
Damit ist die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V eingetreten.
Dem steht nicht entgegen, dass es sich bei der Implantatversorgung um eine Leistung handelt, auf die - wie oben ausgeführt - kein materiell-rechtlicher Leistungsanspruch bestünde. Die Beklagte beruft sich dabei auf Satz 7 des § 13 Abs. 3a SGB V, der für die Kostenerstattung auf den Begriff der "erforderlichen Leistung" Bezug nimmt. Hieraus schließt die Beklagte, dass es grundsätzlich im Bereich des § 13 Abs. 3a SGB V nur um eine Leistung innerhalb des genehmigungsfähigen Leistungsspektrums der GKV gehen kann. Dem folgt das Gericht nicht. Nach dem klaren Wortlaut der Norm gewährt Satz 6 mittels einer Genehmigungsfiktion einen Sachleistungsanspruch, Satz 7 dagegen einen Kostenerstattungsanspruch. Zwar hatte der Gesetzgeber im Entwurf des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten zunächst lediglich einen Kostenerstattungsanspruch nach Fristsetzung durch den Patienten für erforderliche Leistungen ins Auge gefasst. Im Rahmen der Ausschussberatung wurde jedoch die Genehmigungsfiktion in den Gesetzestext übernommen (Bundestagsdrucksache 17/11710, S. 30). In der Begründung hierfür heißt es ausdrücklich "dies erleichtert es dem Versicherten, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen." Mit der Genehmigungsfiktion wollte der Gesetzgeber offensichtlich die Benachteiligung eines Versicherten, der finanziell nicht dazu in der Lage ist, die begehrte Leistung vorzu-finanzieren und später einen Kostenerstattungsanspruch geltend zu machen, gegenüber einem finanziell gut gestellten Versicherten beseitigen. Durch die Genehmigungsfiktion gilt die Genehmigung der beantragten Leistung durch einen fingierten Verwaltungsakt als erlassen. Fingierte Verwaltungsakte haben dabei die gleichen Rechtswirkungen wie tatsächlich erlassene Verwaltungsakte (Bundesverwaltungsgericht NJW 2013, 99 Rz. 12) und sind dem Sozialrecht nicht fremd (vgl. z.B. § 32 Abs. 1b SGB V). Durch die Genehmigungsfiktion wird die Leistungsberechtigung des Versicherten wirksam verfügt. Die Krankenkasse ist daher mit allen Einwendungen gegen den Anspruch (wie hier den Einwand einer fehlenden Ausnahmeindikation zur Implantatversorgung) ausgeschlossen. Mit Eintritt der Genehmigungsfiktion besteht ein Anspruch auf Sachleistung, der - soweit von der Krankenkasse bestritten - mit Leistungsklage und im Wege des Eilrechtsschutzes mit einer einstweiligen Anordnung weiter verfolgt werden kann. Der Gesetzgeber wollte offensichtlich innerhalb der zur Entscheidung eingeräumten Fristen zu Gunsten der Versicherten zügig Rechtsklarheit und Rechtssicherheit schaffen. Nur auf oben genannte Weise kann der Wunsch des Gesetzgebers, generalpräventiv die zügige Durchführung des Verwaltungsverfahrens zu verbessern, umgesetzt werden. Dieses Ziel würde ins Leere laufen, wenn die Genehmigungsfiktion durch eine außerhalb der Frist erfolgende nachträgliche Prüfung der einzelnen Leistungsvoraussetzungen wieder erlöschen könnte. Mit diesem Ziel ist es nicht vereinbar, dass dieselbe Situation eintritt bzw. eintreten kann, wie sie vor der Einführung der Genehmigungsfiktion im Rahmen der Freistellung nach § 13 Abs. 3 SGB V bestanden hat, wo der Anspruch auf die erforderliche Leistung innerhalb des Systems der GKV zu überprüfen ist. Wenn Prüfungsumfang und Zeitdauer des Verfahrens durch die nachträglich mögliche Prüfung praktisch wieder identisch mit den Verfahren vor Inkrafttreten der Regelung werden, hätte die Neuregelung in der Praxis nicht die gewollten spürbar positiven Effekte für den Schutz der Patientenrechte. Ausgehend von Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Regelung kann die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V daher nur so zu verstehen sein, dass nach Ablauf der Fristen der geltend gemachte Anspruch von der Krankenkasse ohne weitere Prüfungen zu erfüllen ist.
Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass sie die Leistung mit Verwaltungsakt vom 30.12.2014 abgelehnt hat. Denn ein fingierter Verwaltungsakt unterliegt hinsichtlich der Möglichkeiten zur Aufhebung/Rücknahme den selben Voraussetzungen wie ein ausdrücklich erlassener Verwaltungsakt. Auch eine fingierte Genehmigung bleibt wirksam, solange und soweit sie nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (§ 39 Abs. 2 SGB X).
Die Klage ist daher begründet. Die Beklagte war unter Aufhebung des Bescheides vom 30.12.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.07.2015 zu verurteilen, die Kosten für eine Versorgung der Klägerin mit Zahnimplantaten im Oberkiefer und Unterkiefer einschließlich Suprakonstruktion und Augmentation laut Kostenvoranschlägen des Dr. B. vom 28.10.2014 zu übernehmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Streitgegenstand ist die Kostenübernahme für eine Implantatversorgung einschließlich Augmentation und Suprakonstruktion im Oberkiefer und Unterkiefer.
Die 1947 geborene Klägerin legte bei der Beklagten verschiedene Heil- und Kostenpläne (HKP) und Kostenvoranschläge ihres Zahnarztes B. vor. Am 13.11.2014 (Eingangsstempel auf dem Original des Kostenvoranschlages) gingen bei der Beklagten ein HKP vom 28.10.2014 für die prothetische Versorgung ein, mit einer Anlage zum voraussichtlichen Eigenanteil in Höhe von 7.828,30 EUR für die Suprakonstruktion. Den Festzuschuss hatte der Zahnarzt dabei mit 796,70 EUR aufgeführt. Zwei weitere Kostenvoranschläge (Kostenaufstellung und Behandlungsplan) vom 28.10.2014 beschäftigten sich mit den Kosten für eine Implantatversorgung mit Augmentation im Unterkiefer (Implantate regio 33 und 43) und im Oberkiefer (Implantate regio 14, 12, 22, 24). Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 18.11.2014 mit, dass für implantologische Leistungen grundsätzlich keine Leistungspflicht bestehe und zur Prüfung, ob eine Ausnahmeindikation vorliege, der behandelnde Zahnarzt angeschrieben worden sei. Dr. B. erklärte mit Telefax vom 27.11.2014, dass aus seiner Sicht eine Indikation wegen dauerhaft bestehender extremer Xerostomie bestehe, nämlich nach Bestrahlung und HNO-Tumor-Operation 2009 in der Uniklinik U ... Eine konventionelle Versorgung ohne Implantate sei nicht möglich. Daraufhin erteilte die Beklagte am 03.12.2014 einen Gutachtensauftrag und informierte die Klägerin mit Schreiben vom 03.12.2014 dahingehend, dass sie sich mit dem Gutachter zeitnah in Verbindung setzen und einen Termin mit ihm vereinbaren solle. Sobald das Gutachten vorliege, werde über den Antrag entschieden. In seinem Gutachten vom 22.12.2014 (Untersuchung vom 22.12.2014) berichtete der Gutachter Dr. M., dass sich die Klägerin in zahnlosem Zustand mit provisorischen Totalprothesen im Oberkiefer und Unterkiefer vorgestellt hatte. Zum Untersuchungszeitpunkt habe sich eine sehr gute Speichelbildung im gesamten Mundbereich gezeigt. Die Schleimhaut sei an keiner Stelle trocken oder gerötet gewesen. Eine Xerostomie sei nicht feststellbar. Die Patientin klage lediglich, nachts ohne Prothesen über Mundtrockenheit zu verfügen. Die Interimsprothese am Oberkiefer zeige einen sehr guten Saughalt. Die Kieferkämme im Oberkiefer und Unterkiefer seien sehr gut erhalten. Eine konventionelle Versorgung sei möglich. Eine Ausnahmeindikation liege nicht vor. Dieses Gutachten ging bei der Beklagten am 29.12.2014 ein. Mit Bescheid vom 30.12.2014 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme ab.
Dagegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 28.01.2015 Widerspruch ein. Sie berief sich auf das Schreiben ihres Zahnarztes und legte des Weiteren einen onkologischen Brief des Universitätsklinikum U. vom 13.01.2015 vor. Darin wird ausgeführt, dass die Zahnschäden aus HNO-ärztlicher Sicht gut durch die ausgeprägte Xerostomie erklärbar seien. Herr B. führt in einem Attest vom 26.01.2015 aus, dass es in Folge der onkologischen Therapie zu einer ausgeprägten Xerostomie gekommen sei, die eine massive Schädigung der vorhandenen Zähne nach sich gezogen habe, so dass im Rahmen einer Sanierung alle Zähne entfernt werden mussten. Ohne Implantate sei kein zufriedenstellender Prothesenhalt zu erreichen. Auf Hinweis, dass ihr Zahnarzt die Möglichkeit habe, bei der Kassenzahnärztlichen Vereinigung ein Obergutachten zu beantragen, erklärte die Klägerin am 21.05.2015, dass ein entsprechender Antrag von ihrem Zahnarzt nicht gestellt werde. Die Beklagte wies den Widerspruch dann mit Bescheid vom 30.07.2015 zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 04.09.2015 Klage beim Sozialgericht Augsburg erhoben. Sie beruft sich auf die vorgelegten ärztlichen Unterlagen und erklärt, dass die vorhandene Prothese zwar gut sitze und optisch in Ordnung sei. Sie könne mit dieser Prothese jedoch nicht essen bzw. beißen. Beispielsweise müsse sie die Prothese sofort neu kleben, wenn sie Fleisch esse. Durch den fehlenden Gaumenbogen rutsche ein Teil der Nahrung beim Schlucken nach oben und finde sich in der Nase wieder, was sie nur durch Schnäuzen beseitigen könne. Zur Beweiserhebung hat das Gericht einen Befundbericht von Herrn B. eingeholt. Die Beklagte wurde auf den möglichen Eintritt einer Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Satz 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) hingewiesen. Die Beklagte hat sich anschließend darauf berufen, dass die Klägerin über die Notwendigkeit der Begutachtung unterrichtet gewesen sei und der Untersuchungstermin von ihrer persönlichen Terminvereinbarung abhängig gewesen sei. Hier seien sachgerechte Ermittlungen erfolgt und es lägen hinreichende Gründe für die kurzzeitige Überschreitung der Sechs-Wochen-Frist vor, zumal die Klägerin hierüber informiert gewesen sei.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30.12.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.07.2015 zu verurteilen, im Wege einer Sachleistung die Kosten für eine Versorgung mit Zahnimplantaten im Oberkiefer und Unterkiefer einschließlich Suprakonstruktion laut Kostenvoranschlägen des Dr. B. vom 28.10.2014 zu übernehmen.
Die Bevollmächtigte der Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Akte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Das angerufene Gericht ist gemäß §§ 57 Abs. 1, 51 Abs. 1, 8 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zur Entscheidung des Rechtsstreits örtlich und sachlich zuständig. Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, und erweist sich auch als begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 30.12.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.07.2014 war aufzuheben, da eine Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V für den Antrag auf Implantatversorgung im Oberkiefer und Unterkiefer eingetreten ist.
Nach § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V sind implantologische Leistungen von der Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ausgeschlossen, es sei denn, es liegen seltene vom Gemeinsamen Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 festzulegende Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle vor, in denen die Krankenkasse diese Leistung einschließlich der Suprakonstruktion als Sachleistung im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erbringt. Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht. Das Gericht verweist insoweit gemäß § 136 Abs. 3 SGG auf die Begründung im Widerspruchsbescheid. Die vom behandelnden Zahnarzt genannte Ausnahmeindikation einer Xerostomie liegt nicht vor, da nach der Untersuchung bei Dr. M. keine dauerhafte extreme Xerostomie vorlag. Weitere mögliche Ausnahmeindikationen sind nicht ersichtlich. Dass die Prothesen ohne Implantate keinen ausreichenden Halt finden, ist gerade keine Ausnahmeindikation.
Dennoch hat die Klägerin hier einen Anspruch auf Versorgung mit Implantaten einschließlich Suprakonstruktion und Augmentation im Oberkiefer und Unterkiefer laut den Kostenvoranschlägen vom 28.08.2014 von Herrn B., da die Genehmigungsfiktion aus § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V eingetreten ist. Nach § 13 Abs. 3a SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des MDK eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden (Satz 1). Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (Satz 2). Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung (Satz 3). Wird ein im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte vorgesehenes Gutachterverfahren durchgeführt, hat die Krankenkasse ab Antragseingang innerhalb von sechs Wochen zu entscheiden; der Gutachter nimmt innerhalb von vier Wochen Stellung (Satz 4). Kann die Krankenkasse die Frist nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (Satz 5). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (Satz 6). Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (Satz 7).
Der Eintritt der Genehmigungsfiktion erfordert zunächst einen konkret bestimmten Antrag. Inhalt und Umfang der begehrten Leistung sind hier durch die Kostenvoranschläge vom 28.10.2014 hinreichend konkret bestimmt.
Es gilt entsprechend § 13 Abs. 3a Satz 4 SGB V eine Sechs-Wochen-Frist ab Antragseingang. Die Einschaltung des Gutachters war der Klägerin auch bekannt.
Bei Antragseingang am Donnerstag, den 13.11.2014 begann die Sechs-Wochen-Frist am 14.11.2014 und endete am Montag, den 29.12.2014, da der eigentliche Fristablauf am Donnerstag, den 25.12.2015 auf einen Feiertag fiel und der nächste Werktag erst der 29.12.2014 ist (zur Berechnung siehe § 26 Abs. 1 und Abs. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X und §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB). Am Tag des Erlasses des Verwaltungsaktes, dem 30.12.2014, war die Frist also bereits abgelaufen.
Eine Information darüber, dass die Sechs-Wochen-Frist überschritten werden würde, hat die Beklagte der Klägerin vor Fristablauf am 29.12.2014 nicht erteilt. Dafür ist Voraussetzung, dass der Versicherte informiert wird, dass eine Frist läuft, welche Frist läuft, und welcher Grund für die Fristüberschreitung vorliegt. Soweit die Beklagte mit Schreiben vom 03.12.2014 die Klägerin darauf hingewiesen hat, dass ein Gutachter eingeschaltet wurde und über den Antrag entschieden werde, sobald das Gutachten vorliegt, ist dies zur Überzeugung des Gerichts keine hinreichende Information darüber, dass die Frist für die Genehmigungsfiktion überschritten wird und warum. Denn im Zeitpunkt der Information am 03.12.2014 war noch überhaupt nicht absehbar, ob die Frist überschritten werden würde.
Damit ist die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V eingetreten.
Dem steht nicht entgegen, dass es sich bei der Implantatversorgung um eine Leistung handelt, auf die - wie oben ausgeführt - kein materiell-rechtlicher Leistungsanspruch bestünde. Die Beklagte beruft sich dabei auf Satz 7 des § 13 Abs. 3a SGB V, der für die Kostenerstattung auf den Begriff der "erforderlichen Leistung" Bezug nimmt. Hieraus schließt die Beklagte, dass es grundsätzlich im Bereich des § 13 Abs. 3a SGB V nur um eine Leistung innerhalb des genehmigungsfähigen Leistungsspektrums der GKV gehen kann. Dem folgt das Gericht nicht. Nach dem klaren Wortlaut der Norm gewährt Satz 6 mittels einer Genehmigungsfiktion einen Sachleistungsanspruch, Satz 7 dagegen einen Kostenerstattungsanspruch. Zwar hatte der Gesetzgeber im Entwurf des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten zunächst lediglich einen Kostenerstattungsanspruch nach Fristsetzung durch den Patienten für erforderliche Leistungen ins Auge gefasst. Im Rahmen der Ausschussberatung wurde jedoch die Genehmigungsfiktion in den Gesetzestext übernommen (Bundestagsdrucksache 17/11710, S. 30). In der Begründung hierfür heißt es ausdrücklich "dies erleichtert es dem Versicherten, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen." Mit der Genehmigungsfiktion wollte der Gesetzgeber offensichtlich die Benachteiligung eines Versicherten, der finanziell nicht dazu in der Lage ist, die begehrte Leistung vorzu-finanzieren und später einen Kostenerstattungsanspruch geltend zu machen, gegenüber einem finanziell gut gestellten Versicherten beseitigen. Durch die Genehmigungsfiktion gilt die Genehmigung der beantragten Leistung durch einen fingierten Verwaltungsakt als erlassen. Fingierte Verwaltungsakte haben dabei die gleichen Rechtswirkungen wie tatsächlich erlassene Verwaltungsakte (Bundesverwaltungsgericht NJW 2013, 99 Rz. 12) und sind dem Sozialrecht nicht fremd (vgl. z.B. § 32 Abs. 1b SGB V). Durch die Genehmigungsfiktion wird die Leistungsberechtigung des Versicherten wirksam verfügt. Die Krankenkasse ist daher mit allen Einwendungen gegen den Anspruch (wie hier den Einwand einer fehlenden Ausnahmeindikation zur Implantatversorgung) ausgeschlossen. Mit Eintritt der Genehmigungsfiktion besteht ein Anspruch auf Sachleistung, der - soweit von der Krankenkasse bestritten - mit Leistungsklage und im Wege des Eilrechtsschutzes mit einer einstweiligen Anordnung weiter verfolgt werden kann. Der Gesetzgeber wollte offensichtlich innerhalb der zur Entscheidung eingeräumten Fristen zu Gunsten der Versicherten zügig Rechtsklarheit und Rechtssicherheit schaffen. Nur auf oben genannte Weise kann der Wunsch des Gesetzgebers, generalpräventiv die zügige Durchführung des Verwaltungsverfahrens zu verbessern, umgesetzt werden. Dieses Ziel würde ins Leere laufen, wenn die Genehmigungsfiktion durch eine außerhalb der Frist erfolgende nachträgliche Prüfung der einzelnen Leistungsvoraussetzungen wieder erlöschen könnte. Mit diesem Ziel ist es nicht vereinbar, dass dieselbe Situation eintritt bzw. eintreten kann, wie sie vor der Einführung der Genehmigungsfiktion im Rahmen der Freistellung nach § 13 Abs. 3 SGB V bestanden hat, wo der Anspruch auf die erforderliche Leistung innerhalb des Systems der GKV zu überprüfen ist. Wenn Prüfungsumfang und Zeitdauer des Verfahrens durch die nachträglich mögliche Prüfung praktisch wieder identisch mit den Verfahren vor Inkrafttreten der Regelung werden, hätte die Neuregelung in der Praxis nicht die gewollten spürbar positiven Effekte für den Schutz der Patientenrechte. Ausgehend von Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Regelung kann die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V daher nur so zu verstehen sein, dass nach Ablauf der Fristen der geltend gemachte Anspruch von der Krankenkasse ohne weitere Prüfungen zu erfüllen ist.
Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass sie die Leistung mit Verwaltungsakt vom 30.12.2014 abgelehnt hat. Denn ein fingierter Verwaltungsakt unterliegt hinsichtlich der Möglichkeiten zur Aufhebung/Rücknahme den selben Voraussetzungen wie ein ausdrücklich erlassener Verwaltungsakt. Auch eine fingierte Genehmigung bleibt wirksam, solange und soweit sie nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (§ 39 Abs. 2 SGB X).
Die Klage ist daher begründet. Die Beklagte war unter Aufhebung des Bescheides vom 30.12.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.07.2015 zu verurteilen, die Kosten für eine Versorgung der Klägerin mit Zahnimplantaten im Oberkiefer und Unterkiefer einschließlich Suprakonstruktion und Augmentation laut Kostenvoranschlägen des Dr. B. vom 28.10.2014 zu übernehmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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