L 8 U 3999/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 15/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 3999/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 19.07.2016 sowie der Bescheid der Beklagten vom 15.10.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.12.2013 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass das Ereignis vom 18.05.2013 ein Arbeitsunfall des Klägers und eine Aortendissektion Typ A Unfallfolge sind.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers beider Instanzen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger am 18.05.2013 einen Arbeitsunfall erlitten hat und eine Aortendissektion Folge des Unfalls ist.

Der 1958 geborene Kläger, Inhaber und allein Tätiger des Unternehmens Elektro-Technik Bernhard K., ist bei der Beklagten freiwillig Versicherter. Am 18.05.2013 führte er Installationsarbeiten in der Realschule in M. durch. Hierbei erhielt er einen Stromschlag. Am 20.05.2013 wurde er nach notärztlicher Versorgung unter der Diagnose einer Aortendissektion zunächst in die S. Klinik in S. G. und noch am selben Tag in das R.-B.-Krankenhaus nach Stuttgart verlegt, wo am 22.05.2013 operativ im Bereich der Koronararterien die Aortenwurzel durch eine Bioprothese ersetzt wurde.

Mit Unfallanzeige vom 21.05.2013 gab seine Ehefrau an, der Kläger habe am Samstag, den 18.05.2013, zwischen 9:00 und 14:00 Uhr Elektroarbeiten in der Realschule in M. verrichtet, dabei habe er den Hauptstromschalter abgeschaltet. Trotzdem sei es gegen 13:30 Uhr zu einem starken elektrischen Schlag gekommen. Am Samstagabend und am Tag darauf sei es ihm nicht gut gegangen. Am Sonntag um 20:00 Uhr sei er zusammengebrochen und habe das Bewusstsein verloren. Der verständigte Notarzt habe seine Einweisung ins S. Klinikum in M. veranlasst, wo ein Aortenriss diagnostiziert worden sei. Am Montag sei er in das R.-B.-Krankenhaus in S. verlegt worden.

Die Beklagte trat in ein Feststellungsverfahren ein. Sie veranlasste die Stellungnahme des Fachschaftsvorsitzenden Walter S. von der Realschule M. vom 25.05.2013 mit telefonischer Ergänzung vom 04.06.2013 und die ergänzende Stellungnahme der Ehefrau vom 30.05.2013, wonach der Ehemann nach seiner Ankunft um 14:00 Uhr zu Hause über Schwindelgefühle und Übelkeit geklagt habe, die bis zu seinem Zusammenbruch am Sonntagabend andauerten. Im Unfalluntersuchungsbericht des technischen Aufsichtsbeamten B. vom 29.05.2013 wurde ausgeführt, der Kläger habe zwar bei der Stromkreiserweiterung im Hauptverteiler des Werkraums mit dem Hauptschalter Stromkreise abgeschaltet, jedoch seien andere Stromkreise im Verteiler nicht spannungsfrei gewesen. Auf telefonische Anfrage ergänzte der technischen Aufsichtsbeamten B., der Elektrounfall des Klägers sei dem Stromstärkebereich II-III zuzuordnen. Es habe sich um 230 V Wechselstrom 1000 Ohm Widerstand und um die Stromstärke von 200 mA gehandelt (Telefonvermerk vom 04.06.2013).

Auf Anfrage der Beklagten erfolgte die Stellungnahme der Stationsärztin T. des S.klinikums S. G. vom 13.06.2013. Danach habe laut Notarztprotokoll der Kläger einen Stromschlag mit 230 V erlitten. Während des Notarzttransports und der Überwachung auf der Intensivstation seien keine typischen Befunde eines Stromschlags, wie Herzrhythmusstörungen, aufgetreten. Eine Strommarke sei nicht dokumentiert. Beigefügt war das Notarztprotokoll vom 19.05.2013. Im vorläufigen Entlassbrief des S.klinikums vom 21.05.2013 über den stationären Aufenhalt des Klägers am 19.05.2013 sind als Diagnosen u.a. eine Aortendissektion Typ A nach Stanford und eine arterielle Hypertonie aufgeführt. Prof. Dr. F., Chefarzt des R.-B.-Krankenhauses, berichtete (unter Mitwirkung von Oberarzt Dr. M.) in seiner Stellungnahme vom 20.07.2013 an die Beklagte über die Behandlung des Klägers. Der Kläger sei ein Risikopatient für eine Aortendissektion gewesen. Das resezierte Aortengewebe habe schwergradige arteriosklerotische und degenerative Veränderungen aufgezeigt. Außerdem sei eine Hypertonie bekannt. Die morphologisch aus drei Schichten bestehende Gefäßwand der Aorta reiße bei einer Aortendissektion an ihrer innersten Schicht, der Intima, ein, so dass eintretendes Blut zu einer Aufspaltung der Gefäßwandschichten führe. In der internationalen Literatur sei kein Fall einer akuten Aortendissektion infolge eines Niedervoltunfalls dokumentiert. Beschrieben würden Gefäßrupturen, auch solche mit einer Verzögerung zwischen dem Unfallereignis und der eingetretenen Komplikation. Die Aortendissektion könne als direkte Folge eines Niedervolt-Stromschlages nicht ausgeschlossen werden.

Gestützt auf die beratungsärztliche Stellungnahme von Arbeitsmediziner Dr. W. vom 01.10.2013, wonach aufgrund des erheblichen Gefäßvorschadens des Klägers davon auszugehen sei, dass auch andere alltäglich vorkommende Ereignisse ebenfalls zur Aortendissektion geführt hätten, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15.10.2013 eine Entschädigung aus Anlass des Unfalls vom 18.05.2013 ab, weil die Aortendissektion nicht Folge eines Arbeitsunfalls sei. Der Gesundheitsschaden wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit auch ohne jede äußere Einwirkung bzw. ohne das angeschuldigte Ereignis durch eine alltägliche Belastung zu etwa derselben Zeit im naher Zukunft und etwa in demselben Ausmaß eingetreten.

Der Kläger legte hiergegen mit Schreiben vom 17.10.2013 Widerspruch ein, der nicht näher begründet wurde. Mit Widerspruchsbescheid vom 19.12.2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Der Kläger erhob am 30.12.2013 Klage vor dem Sozialgericht Ulm (SG) und machte geltend, dass die Aortendissektion Folge des Stromschlags am 18.05.2013 sei. Er berief sich hierbei auf die Ausführungen in der Stellungnahme von Prof. Dr. F. vom 20.07.2013.

Das SG holte von Amts wegen das Gutachten von Internist und Kardiologe Dr. H. vom 23.07.2014 mit Ergänzung vom 15.09.2014 ein. Danach sei die Aortendissektion, hier der Einriss eines vorbestehenden Aortenaneurysmas, durch das Unfallereignis bedingt gewesen. Bei einem Stromunfall könne es zu exzessiv hohen Blutdruckwerten kommen. Der Blutdruckanstieg bei einem Stromunfall sei im Sinne einer Blutdruckspitze zu sehen. Nicht jegliche geringfügige, im täglichen Privatleben vorkommende Belastungen könne zu einer Dissektion führen, sondern es müsse eine besondere, das normale Maß übersteigende Fehlbelastung vorkommen, wie z.B. das Heben von Zentnerlasten durch ein ausgeprägtes Pressen.

Mit Urteil vom 19.07.2016 wies das SG die Klage ab. Sowohl die Ärzte im R.-B.-Krankenhaus als auch der Sachverständige Dr. H. hätten übereinstimmend dargelegt, dass eine Blutdruckspitze die Aortendissektion verursacht haben könne, mithin lediglich die Möglichkeit bestehe, dass eine solche die Ursache der Aortendissektion gewesen sei. Dies stelle nur einen Erklärungsversuch dar, der gegenüber anderen möglichen Ursachen nicht besonders hervortrete. Allein der zeitliche Zusammenhang begründe keinen Zusammenhang mit dem Vorfall. Der Kläger habe als Risikopatient aufgrund der erheblichen Vorschädigung gegolten. Herzrhythmusstörungen, die typischerweise mit einem Stromschlag einhergingen und auch Voraussetzung für eine Blutdruckspitze seien, seien weder vom R.-B.-Krankenhaus noch von der S.klinik beschrieben worden.

Gegen das dem Klägerbevollmächtigten am 24.10.2016 zugestellte Urteil hat der Kläger am 28.10.2016 Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, dass er Risikopatient für eine Aortendissektion gewesen sei, schließe den unfallbedingten Zusammenhang gerade nicht aus. Ebenso sei die Begründung des SG geradezu abwegig, dass eine Literaturrecherche keinen vergleichbaren Fall mit einer Aortendissektion als Folge eines Stromunfalls ergeben habe, denn die Feststellungen des Sachverständigen Dr. H. stünden dem entgegen. Darüber hinaus habe vor dem Stromunfall kein Bluthochdruck bei ihm bestanden und er habe am Folgetag keine extremen körperlichen Anstrengungen unternommen. Dr. H. habe überzeugend ausgeführt, dass jegliche, auch geringfügig im Privatleben vorkommende Belastungen nicht ausreichten, um eine Aortendissektion herbeizuführen. Auch die zeitliche Latenz zwischen Aortendissektion und Strom¬unfall spreche nicht gegen einen Zusammenhang. Über einen Spontanschmerz hinaus hätten die Symptome der Dissektion bereits wenige Stunden nach dem Unfall begonnen und nach den Ausführungen von Dr. H. entwickle sich der Einriss allmählich bis sich eine schwerwiegende Symptomatik auch erst nach Stunden einstelle. Nach der Rechtsprechung komme der Schwere des Unfallereignisses bei der Abwägung ebenso wie dem zeitlichen Ablauf des Geschehens eine entscheidende Bedeutung zu. Insoweit habe der Sachverständige ausgeführt, dass eine alltägliche Belastung auch im Falle einer sogenannten Vorschädigung des Gefäßes gerade nicht zu einer Aortendissektion führen könne, sondern es eines abrupten und extrem erhöhten Blutdrucks bedürfe.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 19.07.2016 und den Bescheid der Beklagten vom 15.10.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.12.2013 aufzuheben und festzustellen, dass das Ereignis vom 18.05.2013 ein Arbeitsunfall war und eine Aortendissektion Typ A Folge des Unfalls gewesen ist.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung auf ihr bisheriges Vorbringen und auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil.

Der Senat hat die Verwaltungsakten der Beklagten und die Akte des SG beigezogen und zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Auf diese Unterlagen und auf die im Berufungsverfahren angefallene Akte des Senats wird wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er hat Anspruch auf die begehrte Feststellung eines Arbeitsunfalls und der geltend gemachten Unfallfolge. Das SG hat daher die Feststellungsklagen des Klägers zu Unrecht abgewiesen. Die Berufung ist begründet, denn die Klage ist zulässig und begründet.

Die Feststellungsklagen des Klägers sind zulässig. Mit der kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage kann die Feststellung des streitigen Unfalls als Arbeitsunfall als auch der Unfallfolgen begehrt werden (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Vorliegend ist auch eine anfechtbare Entscheidung zur begehrten Feststellung ergangen. Gegenstand des Klage- und Berufungsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 15.10.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.12.2013, mit dem ein Anspruch auf Entschädigung aus Anlass des "Unfalles vom 18.05.2013" abgelehnt wurde, weil die Aortendissektion nicht Folge eines Arbeitsunfalls sei. Diesen Entscheidungssatz hat das SG zutreffend dahingehend ausgelegt, dass bereits die Feststellung eines Arbeitsunfalls und zusätzlich der Aortendissektion als Unfallfolge abgelehnt worden ist. Dies ergibt sich auch für den Senat aus der Begründung des Ausgangsbescheids und des Widerspruchsbescheids, wonach die allein als Gesundheitserstschaden in Betracht kommende Aortendissektion durch den Stromschlag als Gelegenheitsursache verursacht worden sei. Im Verfügungssatz des angefochtenen Bescheids wird das Ereignis am 18.05.2013 demzufolge auch nur als "Unfall" bezeichnet. Der Kläger hat auch ein besonderes Feststellungsinteresse nach § 55 Abs. 1 SGG für die begehrte Feststellung des Arbeitsunfalls und von Unfallfolgen, denn hinsichtlich der nach der gesetzlichen Unfallversicherung in Betracht kommenden Entschädigungsleistungen sind gegebenenfalls erst weitere Ermittlungen erforderlich, zu denen die Beklagte aufgrund einer positiven Feststellung dann verpflichtet ist. Gegen die Zulässigkeit der Feststellungsklage ist seitens der Beklagten auch nichts eingewandt worden.

Bei dem Vorgang am 18.05.2013 handelte es sich auch um einen Arbeitsunfall, der wesentlich kausal die bei dem Kläger diagnostizierte Aortendissektion verursacht hat.

Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls i. S. des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis dem Unfallereignis - geführt hat und das Unfallereignis einen Gesundheits(-erst-)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht (haftungsbegründende Kausalität) hat. Das Entstehen von längerandauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheits(-erst-)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (ständige Rechtsprechung, vgl. stellvertretend BSG, Urteile vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R= SozR 4-2700 § 8 Nr. 17, B 2 U 40/05 R= UV-Recht Aktuell 2006, 419-422, B 2 U 26/04 R= UV-Recht Aktuell 2006, 497-509, alle auch in juris).

Nach der im Sozialrecht anzuwendenden Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (st. Rspr. vgl. zuletzt BSG vom 12.04.2005 - B 2 U 27/04 R - BSGE 94, 269 = SozR 4-2700 § 8 Nr 15, jeweils RdNr 11). Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSGE 1, 72, 76).

Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie (vgl. dazu nur Heinrichs in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 65. Aufl. 2006, Vorb. v § 249 RdNr. 57 ff m. w. N. sowie zu den Unterschieden BSGE 63, 277, 280 = SozR 2200 § 548 Nr. 91) auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen.

Bei mehreren Ursachen ist sozialrechtlich allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende (Mit-)Ursache auch wesentlich war, ist unerheblich. Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Bei der Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen (vgl. zum Vorstehenden insgesamt BSG, Urteile vom 09.05.2006, a.a.O.).

Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung ggf. aus einem oder mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Für die Feststellung des Ursachenzusammenhangs - der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität - genügt hinreichende Wahrscheinlichkeit (st. Rspr. BSGE 19, 52 = SozR Nr. 62 zu § 542 a. F. RVO; BSGE 32, 203, 209 = SozR Nr. 15 zu § 1263 a. F. RVO; BSGE 45, 285, 287 = SozR 2200 § 548 Nr. 38, BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr. 1). Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (BSG, Urteil vom 09.05.2006 a.a.O. m.w.H.). Dagegen müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß i. S. des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden (BSG SozR 3-5670 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 2 m. w. N.).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Senat festgestellt, dass der Kläger am 18.05.2013 in Ausübung der versicherten Verrichtung, nämlich die Ausführung von Elektroarbeiten zur Erfüllung des seinem Unternehmen erteilten Auftrags der Realschule in M. einen Stromschlag erlitten hat. Dies entnimmt der Senat den glaubhaften Angaben des Klägers und seiner von der Beklagten angehörten Ehefrau, die durch die schriftliche Aussage des Fachschaftsvorsitzenden der Schule, Walter S., bestätigt worden sind. Dieser hatte unter dem 25.05.2013 gegenüber der Beklagten geschildert, dass ihm der Kläger, der als "Hauselektriker" der Schule schon mehrere Installationen für die Schule übernommen hatte, noch während der Ausübung der Arbeiten zunächst telefonisch und dann nach seinem Eintreffen in der Schule, um den Kläger bei seinen Arbeiten zu unterstützen, auch persönlich von einem Stromschlag berichtet hatte. Ergänzend hatte der Zeuge S. später telefonisch noch dargelegt, dass der Kläger über sehr heftige Muskelschmerzen geklagt hatte (Telefonvermerk der Sachbearbeitung der Beklagten vom 04.06.2013). Der technische Aufsichtsbeamte der Beklagten B. hatte bei seiner Überprüfung festgestellt, dass auch bei abgestelltem Hauptschalter im Werkraum der Schule noch andere Stromkreise im Verteiler unter Spannung waren, was zu dem vom Kläger seiner Ehefrau geschilderten Unfallhergang passt. Die von der Ehefrau und vom Zeugen S. unterschiedlich angegebenen Uhrzeiten, an denen der Stromschlag aufgetreten sei, führt der Senat auf eine ungenaue Erinnerung der Ehefrau zurück, da der genaue Zeitpunkt des im Laufe des Samstagvormittags erlittenen Stromschlags für sie keine Rolle gespielt haben dürfte. Diese unterschiedlichen Zeitangaben begründen keine durchdringenden Zweifel daran, dass der Kläger einen Stromstoß erlitten hat. Dass es zu einem Stromschlag gekommen ist, hat die Beklagte selbst auch nicht infrage gestellt.

Der Senat konnte ebenfalls feststellen, dass diese Unfalleinwirkung auf den Körper des Klägers einen Einriss in ein vorbestehendes Aneurysma bewirkte und hierdurch das Aneurysma zu der Aortendissektion erweiterte. Diese Feststellung stützt der Senat auf die Ausführungen von Prof. Dr. F./Dr. M. in der Stellungnahme vom 20.07.2013 und das Gutachten von Dr. H. vom 23.07.2017.

Nach Prof. Dr. F. kann ein Niedervolt-Stromunfall, der nach den Ermittlungen des technischen Aufsichtsbeamten B. zur Stromstärke der trotz betätigtem Hauptschalter noch unter Spannung stehenden Stromkreise allein in Betracht kommt, mit cardiovaskulären Komplikationen einhergehen, die durch ischämische Myokardkomplikationen bis hin zum Herzinfarkt, aber auch Herzinsuffizienz und Arrhytmien in Erscheinung treten. Ebenfalls kann es aber auch zu Vasospasmen, also Engstellungen der arteriellen Blutgefäße, kommen, die einen akuten Bluthochdruck auslösen. Dass der Stromstoß die von Prof. Dr. F. beschriebenen cardiovaskulären Komplikationen unmittelbar ausgelöst hätte, ist dem Vorbringen des Klägers selbst nicht zu entnehmen. Auch das einen Tag nach dem Unfall gefertigte Notarztprotokoll enthält hierzu keine verwertbare Diagnose. In dem vorgedruckten Katalog des Einsatzprotokolls ist in der Spalte "EKG-Rhythmus" das Kästchen "Sinusrhythmus" angekreuzt, andererseits wurde in der Spalte "Herz-Kreislauf" "Rhythmusstörung" angekreuzt. Daraus lässt sich nicht ableiten, ob "Rhythmusstörungen" vor dem Unfall bzw. wie lange davor schon bestanden haben. Eine Herzinsuffizienz oder Arrythmien wurden laut Stationsärztin Tremmel (Bericht vom 13.06.2013) während des Notarzttransportes und der Überwachung in der Intensivstation im S.klinikum nicht diagnostiziert, eine entsprechende Symptomatik direkt nach dem Stromstoß hat der Kläger auch nicht geschildert. Er hat vielmehr nach dem Stromstoß weitergearbeitet und die Auftragsarbeit um 14:00 Uhr beendet. Sowohl Prof. Dr. F. wie auch der gerichtliche Gutachter Dr. H. haben deshalb als Ursache einen vasospastisch bedingten Bluthochdruck diskutiert.

Insoweit ist von Dr. H. zur Überzeugung des Senats nachvollziehbar dargelegt worden, dass dieser Verlauf mit einer Bluthochdruckspitze mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für den Eintritt der Aortendissektion zugrunde zu legen ist. Entgegen der Auffassung der Beklagten spricht für diesen Unfallhergang nicht der Umstand, dass Prof. Dr. F. bei seiner - eigenen Angaben zufolge - intensiven Recherche in der medizinischen Literatur keinen Fall einer akuten Aortendissektion infolge eines Niedervoltunfalls gefunden hat. Er hat an gleicher Stelle darauf hingewiesen, dass durchaus Gefäßrupturen, auch mit Verzögerung zwischen Stromstoß und der eingetretenen Komplikation, aufgetreten sind. Für den Senat ist nicht ersichtlich geworden, weshalb der zu einer Aortendissektion führende Einriss in einer Gefäßwandschicht der Aorta als bislang medizinisch vollkommen unwahrscheinliche Folge gelten soll, wenn sogar Gefäßrupturen beschrieben werden. Die Formulierung von Prof. Dr. F., dass er die Aortendissektion als direkte Folge des Stromschlages nicht ausschließe, ergibt in diesem Zusammenhang vielmehr, dass ein solcher Hergang medizinisch erklärbar ist. Dr. H. hat diesen Vorgang aus medizinischer Sicht auch als überwiegend wahrscheinlich beurteilt. Hierfür spricht, dass der Kläger laut Angabe des Zeugen S. bei Eintreffen des Zeugen am Mittag des Unfalltags in der Schule über Muskelschmerzen geklagt hatte, was sich mit einer spastischen körperlichen Reaktion auf den Stromstoß vereinbaren lässt. Dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bei seiner spontanen Schilderung der nach dem Stromschlag aufgetretenen Beschwerden Muskelbeschwerden nicht angegeben hat und sie auf Vorhalt der Aussage des Zeugen S. sogar verneint hat, spricht nicht gegen die vom Zeugen S. gemachte Beobachtung. Der Senat konnte nicht erkennen, weshalb der Zeuge Muskelbeschwerden des Klägers hätte erfinden sollen. Der Senat geht davon aus, dass der Kläger entweder in Verkennung der Bedeutung dieser Aussage die Aussage des Zeugen nicht bestätigen wollte oder er sich an das Geschehen und die am Unfalltag gegenüber dem Zeugen offengelegten Beschwerden nicht mehr erinnern konnte. Bei der Untersuchung durch Dr. H. hatte der Kläger im Zusammenhang mit der Erhebung der Vorgeschichte angegeben, er könne sich an den Stromunfall nicht mehr genau erinnern, was für den Senat angesichts der zur notfallärztlichen Versorgung führenden und lange bestehenden Ohnmacht und dem auch später fortbestehendem geminderten Bewusstsein einleuchtend ist. Der Kläger hat seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung zufolge, was bislang nicht vorgetragen worden war, nach dem Stromschlag angeblich ein "Reißen" in der Brust verspürt, sowie Schwindel und Abgeschlagenheit geschildert, so dass er die Arbeit nur mit Mühe habe beenden können. Dies ist nicht mit der Aussage des Zeugen S. zu vereinbaren, der in seiner schriftlichen Aussage vom 25.05.2013 angegeben hat, eine Änderung im Verhalten des Klägers wegen des Stromschlages nicht bemerkt zu haben. Andererseits hatte der Kläger am Unfalltag bei seiner Ankunft zu Hause über Schwindelgefühle und Übelkeit geklagt, wie seine Ehefrau in ihrer Aussage vom 30.05.2013 berichtet hatte, und er selbst hatte bei Dr. H. sich noch erinnert, sich abgeschlagen gefühlt zu haben. Der Senat geht deshalb davon aus, dass die mit einer plötzlichen Blutdruckerhöhung vereinbaren Beschwerden wie Schwindel, Abgeschlagenheit und Übelkeit vorlagen, der Kläger als Einzelunternehmer aber seinem Auftraggeber und auch potentiellen künftigen Auftraggeber gravierende funktionelle Einschränkungen nicht offenbaren wollte und deshalb dem Fachbereichsleiter S. die im Zusammenhang mit einem Stromstoß unverfänglicheren Muskelschmerzen offenbarte, aber sich bei der Ausführung der Arbeit ansonsten nichts hat anmerken lassen. Insoweit erachtet der Senat die Angaben des Klägers, die mit den Beobachtungen der Ehefrau und seinen früheren Angaben gegenüber Dr. H. übereinstimmen, für glaubhaft. Im Zusammenhang mit dem erlittenen Stromstoß ist für den Senat diese Beschwerdesymptomatik auch hinreichendes Indiz für eine aufgetretene Blutdruckspitze. Dr. H. verweist in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 15.09.2014 darauf, dass der Blutdruckanstieg bei dem Stromunfall nicht über 30 Stunden angehalten haben müsse, weshalb ein Bluthochdruck als Folge des Stromschlags vom Notarzt oder während der Erstintensivbehandlung im S.klinikum nicht zwingend dokumentiert sein müsste. Aus dem Stromstoß resultierte eine Blutdruckspitze, die mit Sicherheit einen Einriss der Aorta verursachen kann. Prof. Dr. F. wie auch Dr. H. haben übereinstimmend dargelegt, dass der aufgrund eines extremen Bluthochdruckes sich ausbildende Riss eine schleichende Einblutung auslöst. Nach Dr. H. klagte der Kläger bereits wenige Stunden nach dem Unfall, gemeint sind damit die bereits am Samstagnachmittag aufgetretenen Beschwerden, über einschlägige Symptome eines solchen Einrisses. Ebenso wie Prof. Dr. F. legt er dar, dass die Entwicklung des Risses nur allmählich voranschreitet und sich eine schwerwiegende Symptomatik erst nach Stunden einstellt. Entgegen der Auffassung des SG spricht gegen diesen Verlauf nicht, dass keine Herzrhythmusstörungen vorgelegen haben. Für das Auftreten einer Blutdruckspitze ist nach den gutachterlichen Darlegungen die spastisch bedingte Verengung der Aorta ursächlich. Blutdruckerhöhende Herzrhythmusstörungen, wie das SG meint, sind nach den gutachterlichen Darlegungen nicht erforderlich.

Die überwiegende Wahrscheinlichkeit des hiernach vom Senat angenommenen unfallbedingten Zusammenhangs ist auch zur Überzeugung des Senats nicht dadurch zu entkräften, dass der Einriss durch eine unfallunabhängige vorbestehende Hypertonie des Klägers verursacht sein könnte, wie die Beklagte vor dem SG vorgetragen hat. Der von der Beklagten gehörte Hausarzt des Klägers, Allgemeinmediziner H., der den Kläger seit 1995 behandelt, hat die auf internistischem Gebiet erhobenen Diagnosen in seiner Auskunft vom 25.06.2013 mitgeteilt. Eine arterielle Hypertonie hat er nicht angeführt. Sie findet sich auch nicht in dem von der Beklagten eingeholten Vorerkrankungsverzeichnis der IKKclassic, S. G., vom 27.05.2013, das die Mitgliedszeiten des Klägers seit 01.04.1990 umfasst. Für eine bereits länger unfallvorbestehende Hypertonie spricht nach Dr. H. allenfalls der Echokardiographiebefund einer linksventrikulären Hypertrophie. Weshalb Prof. Dr. F. in seiner Stellungnahme vom 20.07.2013 angibt, ein arterieller Hypertonus sei bekannt, über dessen Therapie habe er jedoch keine Kenntnis, ist seinen Ausführungen nicht zu entnehmen. Der Kläger war bei der Einlieferung in das R.-B.-Krankenhaus nicht ansprechbar und bis zu seiner Rückverlegung in die S.klinik am 24.05.2013 in seiner Vigilanz gemindert. Im Aufnahmebefund des S.klinikums wird die Psyche umschrieben mit: "nicht orientiert, unruhig". Zum Behandlungsverlauf wird berichtet, dass der Kläger sich als äußerst unruhig, verwirrt, stark schwitzend und mit teilweise Halluzinationen gezeigt hat, weshalb von einem prolongierten Delir postoperativ ausgegangen wurde (vorläufige Entlassungsbericht des S.klinikum S. G. vom 12.06.2013). Verlässliche anamnestischen Angaben sind unter diesen Bedingungen nicht zu erwarten. Da die Diagnose einer Hypertonie bislang nicht gestellt worden war und auch keine Behandlung erfolgt ist, kann ein dauerhaft oder gehäuft auftretender Bluthochdruck, eine solche Diagnose einmal unterstellt, nicht mit besonders belastenden behandlungsbedürftigen regelmäßig hohen Blutdruckspitzen vorgelegen haben. Dr. H. legt dies im Zusammenhang mit der Fragestellung nach ständig vorkommenden Fehlbelastung im Alltagsleben für den Senat überzeugend auch in diesem Zusammenhang aus medizinischer Sicht dar, weil die Blutdruckwerte nach Angaben des Klägers, die durch den Bericht des Hausarztes bestätigt sind, normal waren. Für den Senat steht dagegen fest, dass der Kläger einen Stromschlag erlitten hat, in dessen Folge er Muskelschmerzen verspürte und er in einem medizinisch erklärbaren zeitlichen Zusammenhang außerdem sich steigernde Beschwerden entwickelt hat, die auf einen Einriss der Gefäßwand zurückführbar sind. Dies rechtfertigt zur Überzeugung des Senats die Feststellung, dass durch den Stromstoß vasospastische Gefäßkomplikationen mit einer konsekutiven exzessiven Blutdruckspitze aufgetreten sind. Der zeitliche Zusammenhang mit dem Stromstoß und die Beschwerdesymptomatik mit ihrem Verlauf sprechen gegen die Annahme einer unfallunabhängigen Ursache, wonach eine – unterstellte – vorbestehende Hypertonie unabhängig von dem Stromstoß die Aortendissektion ausgelöst haben soll.

Der Senat konnte auch feststellen, dass der Stromschlag wesentliche Mitursache für die eingetretene Aortendissektion war.

Im Rahmen der wertenden Kausalitätsprüfung, welche Entstehungsursachen wesentlich für den Eintritt einer Gesundheitsstörung sind, sind unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der gesetzlichen Unfallversicherung als Ergebnis der wertenden Betrachtung solche unfallvorbestehenden Gesundheitsstörungen dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung entzogen, die bereits zum Unfallzeitpunkt eine derart ausgeprägte Krankheitsanlage oder – wenn bereits symptomatisch geworden – Vorschädigung darstellten, dass sie nach ärztlicher Erkenntnis jederzeit auch ohne die Unfalleinwirkung gleichermaßen wie nach dem Unfall hätten pathologisch in Erscheinung treten können (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006 a.a.O.: vgl. auch zuletzt Senatsurteil vom 30.06.2017 - L 8 U 2553/15 - juris, sozialgerichtsbarkeit.de). Diese Voraussetzungen für die Bewertung des Unfallereignisses als "Gelegenheitsursache" liegen entgegen der im angefochtenen Bescheid vertretenen Auffassung für die im Streit stehende Gesundheitsstörung der Aortendissektion nicht vor.

Zwar ergibt sich aus der Stellungnahme von Prof. Dr. F. und dem Gutachten von Dr. H., dass bereits schwergradige arteriosklerotische und degenerative Veränderungen des Aortengewebes vorlagen. Der Sachverständige Dr. H. geht sogar davon aus, dass nicht nur die Gefäßwand degenerative Veränderungen aufwies, sondern ein Aneurysma bereits vor dem Unfall vorhanden gewesen ist. Er legt daher seiner Beurteilung eine die ganze Gefäßwand betreffende asymptomatische Ausweitung (Aneurysma verum, vgl. Pschyrembel online Stichwort Aneurysma) zugrunde, die durch den Stromstoß im Sinne der Aortendissektion eine Aufspaltung der Gefäßwandsschichten erfuhr. Ebenso mag die Einschätzung von Prof. Dr. F., dass der Kläger hinsichtlich der Aortendissektion ein Risikopatient war, zutreffen. Aber selbst dann, wenn der Niedervoltstromunfall nicht geeignet gewesen wäre, bei einem nicht vorbelasteten Versicherten diese spezifische Gesundheitsschädigung auszulösen, und somit die vorbestehende Krankheitsanlage des Klägers als Mitursache der Aortendissektion zu berücksichtigen ist, ist nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. H. gleichwohl der Stromstoß als wesentliche (Mit-)Ursache einzustufen. Eine bereits soweit ausgeprägte Schadensanlage, dass bereits eine übliche Alltagsbelastung zu der Aortendissektion geführt hätte, kann in dem unfallvorbestehenden Aneurysma nicht gesehen werden.

Nach der medizinischen Einschätzung von Dr. H. war die dissektive Erweiterung des Aortenaneurysmas nicht durch jede geringfügige ständig vorkommende Alltagsbelastung/Fehlbelastung auszulösen, erforderlich war ein extrem hoher Blutdruckanstieg, wie er z.B. beim Heben von Zentnerlasten durch ein ausgeprägtes Pressen entstehen kann. Dies ist für den Senat überzeugend, da auch der Beratungsarzt Dr. W. unter Berücksichtigung des von ihm eingestuften erheblichen Gefäßvorschadens davon ausging, dass Ereignisse des Alltags, wie z.B. etwas Schweres heben, die Aortendissektion ebenso hätte auslösen können. In seiner Stellungnahme vom 01.10.2013 verkennt er lediglich die rechtliche Bedeutung einer Alltagsbelastung. Soweit Dr. H. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 15.09.2014 unter Wiederholung seiner Ausführungen im Gutachten, dass nur das Heben von großen Lasten oder ausgeprägtes Pressen zu der Dissektion hätte führen können, nun ergänzend anfügt: unter der Voraussetzung dass keine arterielle Hypertonie vorgelegen hat, sieht der Senat darin keine nachvollziehbare Einschränkungen seiner vorherigen Ausführungen, die er ausdrücklich aufrechterhalten hat. Daraus ableitbare Blutdruckspitzen sind, wie ausgeführt, nicht belegt. Selbst Dr. W. hat unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die auch ihm ersichtliche Vorschädigung und der ihm vorgelegten Stellungnahme von Prof. Dr. F. bei seiner Beurteilung einer schadensgeeigneten vergleichbaren Belastung allein auf das Heben schwerer Lasten abgestellt. Das Tragen von schweren Lasten, insbesondere von Zentnerlasten, wovon Dr. H. ausgeht, ist jedoch keine Alltagsbelastung, selbst wenn solche Hebevorgänge in vielen Berufen häufig vorkommen.

Eine Alltagsbelastung ist nicht nach der individuellen Lebensführung des Versicherten zu beurteilen, sondern abstrakt danach, welche Verhaltensweisen in der Lebensführung in der Bevölkerung verbreitet vorzufinden sind und nach allgemeiner Anschauung als alltägliche, nur mäßiggradig belastende Verrichtungen gelten (vgl. Senatsurteile vom 18.03.2016 - L 8 U 3578/15 -, und vom 23.03.2012 - L 8 U 884/11 -, beide veröffentlicht in juris und sozialgerichtsbarkeit.de). Das Anheben von schweren Gewichten oder Zenterlasten gehört weder zu den verbreitet vorkommenden Tätigkeiten noch gilt es als mäßiggradige Belastung. Der Senat hat bereits in mehreren Entscheidungen das Heben und Tragen von Lastgewichten geringen bis mittleren Gewichts wie beispielsweise das Heben und Tragen von Getränkekisten oder von Einkäufen wie auch das Hantieren mit gut gefüllten Einkaufswagen - als Zugbelastung von Muskeln und Sehnen - als eine solche Alltagsbelastung beurteilt (vgl. Urteil des Senats vom 23.03.2012 a.a.O., siehe auch Urteile vom 23.10.2015 - L 8 U 1345/14 -, vom 21.08.2015 - L 8 U 5058/14 - und Beschluss vom 28.07.2015 - L 8 U 2573/13 -, unveröffentlicht). Nach den Ermittlungen des Senats in bereits entschiedenen Fällen beträgt das Gewicht eines Sprudelkastens mit Glasflaschen regelhaft 17,1 kg (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 18.03.2016 a.a.O.). Damit ist die erforderliche vergleichbare Einwirkung, die nach der medizinischen Einschätzung von Dr. H. und von Dr W. mindestens hätte auftreten müssen, um die vorgeschädigte Aortengefäßwand einzureisen, nicht einer Alltagsbelastung gleichzustellen.

Dass der Stromstoß selbst in der anzunehmenden Einwirkungsintensität keinen höheren Impuls bewirkte als eine hiermit vergleichbare Alltagsbelastung, was nach ständiger Rechtsprechung des Senats den Rückschluss auf einen leicht ansprechbaren und damit den Gesundheitsschaden rechtlich allein wesentlich verursachenden Vorschaden zuließe (vgl. stellvertretend zuletzt Senatsurteil vom 18.03.2016 a.a.O.), war für den Senat nicht ersichtlich und ist von den sich gutachterlich äußernden Ärzten auch nicht dargelegt worden. Die Einwirkung eines Vasospasmen auslösenden Stromstoßes entzieht sich einer vergleichenden Betrachtung mit Alltagsbelastungen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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