L 19 R 747/14

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 16 R 374/12
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 R 747/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zu den Voraussetzungen einer Erwerbsminderungsrente.
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 13.11.2013 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente hat.

Der 1959 geborene Kläger hat nach seinen Angaben im Rentenverfahren keine abgeschlossene Berufsausbildung absolviert. Seit 1974 war er mit verschiedenen Tätigkeiten versicherungspflichtig beschäftigt gewesen, zuletzt als Betriebshelfer bei der Firma Metzgerei M. in M-Stadt. Am 13.02.2002 erlitt der Kläger als Beifahrer bei einem privaten Autounfall multiple Frakturen an der Wirbelsäule. Das Arbeitsverhältnis wurde im Oktober 2002 beendet. Für den Kläger wurden in den Folgejahren im Rahmen von Schadensersatzansprüchen weiterhin Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger auf den Antrag vom 25.02.2003 hin mit Bescheid vom 22.09.2004 Rente wegen voller Erwerbsminderung zunächst bis zum 30.04.2006. Im Weitergewährungsverfahren wurde der Kläger am 27.06.2006 durch den Internisten und Sozialmediziner Dr. E. und am 02.08.2006 durch die Fachärztin für Psychiatrie Dr. H. untersucht und weiterhin für nur unter dreistündig einsetzbar auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt angesehen. Mit Bescheid vom 27.09.2006 bewilligte die Beklagte eine Weitergewährung der Zeitrente weiterhin befristet und zwar bis zum 31.08.2008. In der Folgezeit teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er sich in Thailand aufhalte.

Am 06.11.2009 ging bei der Beklagten ein Antrag auf Weiterzahlung einer Rente wegen Erwerbsminderung über den Wegfallmonat hinaus ein. Dieser Antrag war am 20.10.2009 unterschrieben. Der Kläger machte darin erhebliche gesundheitliche Verschlechterungen geltend. Die Beklagte forderte den Kläger auf, einen aktuellen Befundbericht des behandelnden Arztes einzureichen, was nicht erfolgte. Mit Bescheid vom 19.01.2010 versagte die Beklagte die Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit ab dem Ende der Befristung, da der Kläger der Aufforderung zur Übersendung des erforderlichen ärztlichen Befundberichtes nicht nachgekommen sei.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 10.04.2010, das am 17.05.2010 bei der Beklagten einging, Widerspruch ein. Er machte geltend, dass in Thailand keine entsprechende Befundberichterstellung möglich gewesen sei, aber sein früherer Hausarzt aufgrund eines Besuches des Klägers in Deutschland auch zur aktuellen gesundheitlichen Situation Auskunft erteilen könne. Die Beklagte kam intern zunächst zu dem Ergebnis, dass ein neurologisch-wissenschaftliches Fachgutachten erforderlich sei und ein solches in Thailand erstellt werden solle. Im Januar 2011 hat der Kläger offensichtlich gegenüber der Beklagten angegeben, dass er sich derzeit in Deutschland aufhalte und für eine ärztliche Untersuchung zur Verfügung stehe. Die Beklagte betrachtete das Widerspruchsverfahren daraufhin als abgeschlossen, da der Kläger zur Nachholung der Mitwirkung ausdrücklich bereit sei.

Am 22.02.2011 wurde der Kläger internistisch durch Dr. E., orthopädisch durch Dr. von G. und neurologisch-psychiatrisch durch Frau Dr. B. untersucht. Diese benannten in ihren Gutachten vom 22.02.2011 zusammengefasst folgende Gesundheitsstörungen beim Kläger: 1. Posttraumatische Arthrosezeichen im rechten Kniegelenk mit Kreuzbandinsuffizienz. 2. Leichte neurologische Restsymptomatik nach Atlasbogenfraktur, Dens-Fraktur, HWK-6-Querfortsatzfraktur rechts und HWK-7-Fraktur (Unfallfolgen Oktober 2002). 3. Schädlicher Gebrauch von Alkohol. 4. Vorderwandinfarkt mit perkutaner Coronarintervention ohne derzeit beeinträchtigte Herzleistung (12/2004). 5. Bluthochdruck mit mäßiger Linksherzhypertrophie. 6. Leberschaden bei Alkoholmissbrauch und durchgemachter Hepatitis C nach früherem Drogenabusus. 7. Übergewicht mit Neigung zu Stoffwechselstörungen. 8. Verdacht auf latente Unterfunktion der Schilddrüse. Der Kläger sei auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für körperlich leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen mehr als sechs Stunden täglich einsatzfähig. Die Tätigkeit müsse ohne besonderen Zeitdruck, ohne Nachtschicht, ohne häufige Überkopfarbeit, ohne besondere Anforderungen an das Feingefühl der Hände, ohne erhöhte Eigen- oder Fremdgefährdung und ohne erleichterten Zugang zu Suchtmitteln möglich sein. Bei einer sicherlich gefährdeten Erwerbsfähigkeit aufgrund des fortgesetzten Alkoholmissbrauches sei eine entsprechende stationäre Alkoholentwöhnungstherapie anzuraten. Mit Bescheid vom 25.03.2011 lehnte die Beklagte eine Weitergewährung der Erwerbsminderungsrente über den 31.08.2008 hinaus ab, da eine rentenberechtigende Erwerbsminderung nicht mehr nachgewiesen sei.

Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 05.04.2011 Widerspruch ein und gab als Begründung u. a. an, dass er aus Thailand ausgewiesen worden sei, weil er keinen Rentennachweis mehr habe vorzeigen können. Ihm liege zwar momentan der volle Wortlaut des Ablehnungsbescheides nicht vor. Von einer Arbeit von bis zu sechs Stunden pro Tag könne jedoch überhaupt keine Rede sein. Bei ihm sei ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 anerkannt und die Notwendigkeit einer Begleitperson festgestellt. Er verweise auf die ärztlichen Unterlagen.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 16.08.2011 den Widerspruch zurück. Die medizinischen Voraussetzungen für das Vorliegen von voller Erwerbsminderung seien beim Kläger ab August 2008 nicht mehr zu belegen. Er sei wieder in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes leichte Arbeiten im Wechselrhythmus überwiegend im Sitzen und unter Beachtung von Einschränkungen weiterer Arbeitsbedingungen zu verrichten. Dies habe auch die nochmalige Überprüfung durch den ärztlichen Sachverständigen - Dr. L. am 25.07.2011- ergeben.

Mit Schreiben vom 28.09.2011, das am 07.10.2011 beim Sozialgericht Nürnberg eingegangen ist, hat der Kläger Klage gegen die Ablehnung seines Weiterzahlungsantrages auf Rente erhoben.

Das Sozialgericht Nürnberg hat sich mit Beschluss vom 29.02.2012 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Bayreuth verwiesen, nachdem der Kläger keinen Wohnsitz in Deutschland habe und der Sitz der Beklagten in der dortigen örtlichen Zuständigkeit liege.

Das E. hat mit Schreiben vom 14.06.2012 mitgeteilt, dass aufgrund der dauerhaften Wohnsitzverlegung des Klägers nach Thailand die Schwerbehindertenakte vernichtet worden sei.

Das Sozialgericht Bayreuth hat einen Befundbericht bei Dr. D. in D-Stadt eingeholt und vom Kläger vorgelegte ärztliche Unterlagen aus Thailand in die deutsche Sprache übersetzen lassen. Sodann hat es ein Gutachten nach Aktenlage durch den Sozialmediziner Dr. G. erstellen lassen. Dieser hat in seinem Gutachten vom 05.11.2012 die gesundheitlichen Störungen beim Kläger folgendermaßen beschrieben: 1. Folgen eines Unfalls Oktober 2002 mit erlittener Atlasbogenfraktur, Dens-Fraktur, HWK-6-Querfortsatzfraktur rechts und HWK-7-Fraktur. 2. Polyneuropathie mit leichter Gangstörung. 3. Kniegelenksarthrose rechts (Z. n. Kreuzband- und Meniskusverletzung). 4. Myokardinfarkt (STEMI) der Vorderwand (2004) sowie Z.n. Perkutaner Koronarintervention (PCI), ohne nachgewiesene aktuelle Beeinträchtigung der Pumpfunktion des Herzens. 5. Arterieller Bluthochdruck mit Linksherzhypertrophie. 6. Chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung. 7. Leberparenchymschaden ohne Einschränkung der Syntheseleistungen der Leber. 8. Adipositas I. Grades. Die bestehenden Gesundheitsstörungen würden einer leichten körperlichen Tätigkeit überwiegend im Sitzen und in geschlossenen Räumen im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich nicht im Wege stehen. Auszuschließen seien allerdings längeres und dauerndes Stehen und Gehen, erhöhte Unfallgefährdungen, übermäßige nervliche Belastungen, längere Überkopfarbeiten, Zwangshaltungen, häufiges Bücken, häufiges Treppensteigen und die Einwirkung ungünstiger äußerer Witterungsbedingungen. Rehabilitationsmaßnahmen seien nicht dringend erforderlich. Für eine zu diskutierende Entwöhnungsbehandlung dürfte wohl keinerlei positive Motivation bestehen.

Das Sozialgericht hat dem Kläger mitgeteilt, dass eine persönliche Untersuchung des Klägers im Jahr 2012 nicht erforderlich sei, da es um eine Weitergewährung der Rente über den 01.09.2008 hinaus gehe und daher nicht der aktuelle Gesundheitszustand ausschlaggebend sei.

Nach Vorlage weiterer ärztlicher Unterlagen hat das Sozialgericht eine ergänzende Stellungnahme durch Dr. G. erstellen lassen, die unter dem 21.01.2013 erfolgt ist. Zwar werde in einem Bericht des Bangkok Hospitals P. vom 16.07.2010 davon ausgegangen, dass der Kläger nicht arbeiten könne; klinische und neurologische Befunde und genaue Funktionsbefunde würden jedoch nicht vorliegen. Insofern sei eine zeitliche Einschränkung des Einsatzvermögens des Klägers für den damaligen Zeitpunkt nicht nachgewiesen.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht am 13.11.2013 durch Gerichtsbescheid entschieden. Es hat die Klage abgewiesen. Die ärztlichen Untersuchungen hätten ergeben, dass dem Kläger ab 01.09.2008 wieder leichte Arbeiten in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden und mehr täglich möglich seien, wenn die Einschränkungen der Arbeitsbedingungen beachtet würden. Ein Anspruch auf Weitergewährung der Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31.08.2008 hinaus bestehe nicht. Auch nicht ein solcher auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Zudem habe der Kläger auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, da er keinen weitergehenden Berufsschutz habe und es rechtlich ohne Bedeutung sei, ob er die zuletzt verrichtete berufliche Tätigkeit als Betriebshelfer wieder aufnehmen könne. Maßgeblich sei ausschließlich der allgemeine Arbeitsmarkt, auf dem der Kläger einsatzfähig sei.

Dieser Gerichtsbescheid ist dem Kläger am 07.08.2014 zugestellt worden. Am 18.08.2014 ist der Kläger beim Landratsamt N-Stadt erschienen und hat dort angegeben, dass er den Gerichtsbescheid Anfang August in Thailand erhalten habe und seit dem 12.08.2014 wieder in Deutschland lebe. Er wolle Berufung gegen die Gerichtsentscheidung einlegen. Die Niederschrift des Landratsamts ist am 21.08.2014 bei Bayer. Landessozialgericht eingegangen.

Der Kläger hat vorgetragen, dass er demnächst durch das Jobcenter N-Stadt zu einer ärztlichen Untersuchung vorgeladen werde. Vorgelegt hat er ein Attest des Dr. D. vom 17.11.2014 und einen Bericht des Neurologen Dr. W. vom 18.11.2014.

Der Senat hat im Weiteren Unterlagen beim Jobcenter N-Stadt angefordert und einen Befundbericht beim behandelnden Arzt Dr. D. eingeholt. Der Kläger hat ab August 2014 Arbeitslosengeld II bezogen. Ab 05.01.2015 ist der Kläger von Dr. D. als arbeitsunfähig krankgeschrieben worden.

Der Senat hat ein internistisch-sozialmedizinisches Fachgutachten bei Dr. H. eingeholt, die den Kläger am 17.07.2015 untersucht hat. Sie hat die Gesundheitsstörungen des Klägers folgendermaßen beschrieben 1. Persistierende Restsymptomatik nach Atlasbogenfraktur, Dens-Fraktur, HWK6-Querfortsatzfraktur rechts und HWK7-Fraktur mit inkompletter Tetraparese nach Pkw-Unfall Oktober 2002 mit persistierender Myelopathie HWK1/2 sowie Prolaps HWK4/5 und Kompression C5 sowie persistierende leichtgradige armbetonte linksseitige Spastik mit Gesamtkörpertaubheitsgefühl und schmerzhaften Parästhesien im Bereich der Arme und Beine sowie gestörter Feinmotorik der Hände und leichtgradig gestörtem ataktisch-breitbasigem Gangbild und HWS-Syndrom mit mittelgradiger Funktionseinschränkungen der HWS. 2. Belastungseinschränkung im Bereich des rechten Kniegelenks bei bekanntem Meniskus- und Knorpelschaden mit endgradiger Bewegungseinschränkung. 3. Koronare Herzkrankheit mit abgelaufenem Vorderwandinfarkt 2004, systolisch noch normale linksventrikuläre Pumpfunktion und kein Nachweis einer Progredienz bei ergonomischer Belastbarkeit bis 125 Watt. 4. Hinweise auf chronischen Alkohol-/Schmerzmittelabusus mit Leberschaden. Der Kläger sei ab September 2009 wieder in der Lage, eine tägliche Erwerbstätigkeit von mindestens sechs Stunden auszuüben. Ein quantitativ eingeschränktes Leistungsvermögen sei ab diesem Zeitpunkt nicht mehr nachzuweisen. Dem Kläger könnten leichte körperliche Arbeiten überwiegend im Sitzen, zeitweise im Stehen oder in wechselnder Stellung möglichst in geschlossenen Räumen zugemutet werden. Nicht zugemutet werden könnten besondere nervliche Belastung, Nachtschichten, unfallgefährdete Arbeitsplätze wie Arbeiten auf Leitern und Gerüsten mit Absturzgefahr und Tätigkeiten mit besonderer Belastung des Bewegungs- und Stützsystems wie überwiegendes Stehen oder Gehen, häufiges Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, häufiges Gehen auf unebenem Gelände sowie ungünstige äußere Bedingungen wie häufige Einflüsse von Kälte, Hitze, Zugluft, starke Temperaturschwankungen oder Nässe und monotone erhöhte Dauerbelastung oder erhöhte Anforderungen an die Feinmotorik der Hände.

In einem Erörterungstermin vom 29.10.2015 haben die Beteiligten angegeben, dass neben der Frage der unmittelbaren Weitergewährung der Erwerbsminderungsrente ab August 2008 hilfsweise auch die Frage einer erneuten Erwerbsminderungsrentengewährung zu einem späteren Zeitpunkt als streitgegenständlich angesehen werde. Der Kläger hat angegeben, dass bei ihm verstärkt Lähmungserscheinungen bei Belastungen auftreten würden. Er hat ein Arztschreiben des behandelnden Hausarztes vom 16.11.2015 vorgelegt.

Die Beklagte hat dem Kläger eine medizinische Leistung zur Rehabilitation in der Rangauklinik Ansbach bewilligt, die vom 04.07.2016 bis 23.07.2016 stattgefunden hat. Im dortigen Entlassungsbericht vom 12.09.2016 sind als Gesundheitsstörungen benannt worden: 1. Pneumonie, nicht näher bezeichnet. 2. Respiratorische Insuffizienz. 3. Chronische obstruktive Lungenkrankheit. 4. Atherosklerotische Herzkrankheit nach Stenting 12/2014 5. Gonarthrose Durch die Rehabilitationsmaßnahme habe subjektiv und objektiv eine Besserung erreicht werden können und der Kläger sei in der Lage, sich ohne fremde Hilfe selbst zu versorgen. Aus pneumologischer Sicht sei er für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung in Tages-, Früh- und Spätschicht unter Vermeidung von inhalativen Belastungen, extrem schwankenden Temperaturen, Nässe und Zugluft einsatzfähig. Eine Knie-Totalendoprothesen-Implantation sei geplant und im Nachgang hierzu sei eine orthopädische Begutachtung sinnvoll.

Der Senat hatte zuvor eine weitere Begutachtung durch die Dr. C. in Auftrag gegeben, wobei sich aus verschiedenen Gründen der Untersuchungstermin verschoben hatte. Am 31.08.2016 ist der Kläger durch Dr. C. untersucht worden. Diese hat in ihrem Gutachten vom 09.09.2016 die Gesundheitsstörungen im neurologisch-algesiologisch-psychiatrischen Fachgebiet folgendermaßen beschrieben: 1. Leichte cervicale Myelopathie in Höhe HWK2 mit persistierender leichtgradiger Spastik, leichtem sensiblen Querschnitt ab Halsbereich mit diskretem neuropathischem Schmerzsyndrom, ataktische Gangstörung nach Atlasbogenfraktur, Densfraktur, HWK6-Querfortsatzfraktur rechts und HWK7-Fraktur mit inkompletter Tetraparese nach Unfall am 13.10.2002. 2. Carpaltunnelsyndrom rechts. 3. Leichte Neuropathie des Nervus occipitalis major rechts nach Halofixateuranlage 10/2002. 4. Chronisches Schmerzsyndrom mit somatischen und psychischen Faktoren. 5. Fortgeschrittene Gonarthrose rechts mit Belastungs- und Bewegungseinschränkung und Notwendigkeit einer Totalendoprothesen-Implantation. 6. Psychische und Verhaltensstörungen durch schädlichen Gebrauch von Alkohol und Nikotin. Der Kläger könne nach dem 31.08.2008 unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch täglich mindestens 6 Stunden erwerbstätig sein. Er könne körperlich leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen mit gelegentlichem Wechsel zum Stehen und Gehen überwiegend in geschlossenen Räumen verrichten. Besondere nervliche Belastungen wie Akkord- und Fließbandarbeit, Wechsel- und Nachtschicht und Lärmeinwirkung sollten nicht zugemutet werden. Vermieden werden müssten Tätigkeiten mit überwiegendem Stehen oder Gehen, häufiges Heben und Tragen von Lasten, häufiges Bücken oder Überkopfarbeit, Zwangshaltungen und häufiges Steigen. Nicht geeignet seien Tätigkeiten an unfallgefährdeten Arbeitsplätzen wie Arbeiten auf Leitern und Gerüsten mit Absturzgefahr. Ebenfalls vermieden werden sollten ungünstige äußere Bedingungen wie Einflüsse von Kälte, Hitze, Zugluft und starken Temperaturschwankungen. Nach operativer Neurolyse des Nervus medianus sei die Gebrauchsfähigkeit der Hände gegeben. Die Wegefähigkeit sei zu bejahen.

Der Senat hat die Beteiligten am 05.10.2016 zur mündlichen Verhandlung am 27.10.2016 geladen. Am 18.10.2016 hat der Kläger telefonisch mitgeteilt, dass er erkrankt sei und sich noch schriftlich äußern werde. Am Sitzungstag hat der Kläger eine Bescheinigung der F-Klinik Bad W. vorgelegt, wonach er sich dort vom 20.10.2016 bis 10.11.2016 zur Anschlussrehabilitation befinde. Außerdem hat er angeregt, seine Vermieterin als Zeugin zu hören.

Der Kläger beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 13.11.2013 und den Bescheid der Beklagten vom 25.03.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.08.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger über den 31.08.2008 hinaus eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise eine Rente wegen voller, weiter hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung beginnend ab einem späteren Zeitpunkt erneut zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 13.11.2013 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie die beigezogene Akte der Beklagten und die ebenfalls beigezogene Akte des Jobcenters N-Stadt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht Bayreuth hat zu Recht entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf Weitergewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung über August 2008 hinaus hat. Auch sonst besteht keine Verpflichtung der Beklagten zur Rentengewährung an den Kläger.

Ein Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung setzt nach § 43 Abs. 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) voraus, dass ein Versicherter voll erwerbsgemindert ist, in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit aufzuweisen hat und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt hat.

Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, die in gleicher Weise für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gelten, hat der Kläger bei vorherigem Rentenbezug im Anschluss daran unproblematisch erfüllt. Durch die Pflichtbeitragszeiten aus Schadensersatz und den Bezug von Leistungen nach dem SGB II und damit verbundener Arbeitslosigkeit bzw. zeitweiser Arbeitsunfähigkeit wären diese Voraussetzungen im Übrigen für einen evtl. später erneut eingetretenen medizinischen Leistungsfall derzeit ebenfalls unproblematisch erfüllt.

Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Die medizinischen Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 SGB VI erfordern, dass ein Versicherter nicht mindestens 6 Stunden täglich einsatzfähig ist. Ergänzend führt § 43 Abs. 3 SGB VI aus, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Auch bei einem Weitergewährungsantrag ist die Erfüllung der Rentenvoraussetzungen zum jeweiligen Zeitpunkt des erneut geltend gemachten Anspruches unmittelbar zu prüfen und nicht nur ein Vergleich zur Periode der Rentengewährung vorzunehmen, ob demgegenüber eine Besserung eingetreten ist oder nicht. Insofern sind also zunächst die rechtlichen Gegebenheiten ab Anfang September 2008 bedeutsam. Sämtliche ärztliche Sachverständige - insbesondere auch speziell für das neurologisch-algesiologische Fachgebiet die Gutachterin Dr. C. - sind sich darin einig, dass die Gesundheitsstörungen des Klägers im hier streitigen Zeitraum ab September 2008 nicht so schwerwiegend waren, dass sie bei Beachtung der eingeschränkten Arbeitsbedingungen eine quantitative Reduzierung der üblichen Arbeitszeit von mindestens 6 Stunden täglich erfordern würden. Die vom Hausarzt Dr. D. geäußerte gegenteilige Auffassung ist nicht näher begründet und nicht aus den Befunden hergeleitet. Ihr kann zur Überzeugung des Senats nicht gefolgt werden.

Der Senat hat aus den ärztlichen Feststellungen vielmehr die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger ab September 2008 im genannten zeitlichen Rahmen leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verrichten kann und auch in der Lage ist, zu entsprechenden Arbeitsplätzen zu gelangen. Hinsichtlich der Arbeitsbedingungen kommen Tätigkeiten im Freien und unter ungünstigen Umgebungsbedingungen nicht in Betracht. Auch längeres und dauerndes Stehen und Gehen, erhöhte Unfallgefährdungen, übermäßige nervliche Belastungen, längere Überkopfarbeiten, Zwangshaltungen, häufiges Bücken und häufiges Treppensteigen sind zu vermeiden. Schließlich ist auch die Konfrontation mit Alkohol und Nikotin am Arbeitsplatz auszuschließen.

Ein Anspruch des Klägers auf eine volle Erwerbsminderungsrente ab September 2008 kann auch nicht anderweitig begründet werden. Zwar könnte eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zusätzlich auch dann in Betracht kommen, wenn zwar keine quantitative Einschränkung besteht, jedoch die Voraussetzungen für einen von der Rechtsprechung des BSG entwickelten Ausnahmefall (sog. Katalogfall) vorliegen würden. Für die Ermittlung, ob ein solcher Ausnahmefall besteht, ist nach dem BSG (Urt. v. 09.05.2012, B 5 R 68/11 R - zitiert nach juris) mehrschrittig vorzugehen. Zunächst ist festzustellen, ob mit dem Restleistungsvermögen Verrichtungen erfolgen können, die bei ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden, wie Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Maschinenbedienung, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen. Wenn sich solche abstrakten Handlungsfelder nicht oder nur unzureichend beschreiben lassen und ernste Zweifel an der tatsächlichen Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen kommen, stellt sich im zweiten Schritt die Frage nach der besonderen spezifischen Leistungsbehinderung oder der Summierung ungewöhnlicher Einschränkungen und, falls eine solche Kategorie als vorliegend angesehen wird, wäre im dritten Schritt von der Beklagten eine Verweisungstätigkeit konkret zu benennen und die Einsatzfähigkeit dann hinsichtlich dieser Tätigkeit abzuklären. Für den Senat ergeben sich - zumindest solange die Auswirkungen der Alkoholerkrankung nicht fortschreiten - keine durchgreifenden Zweifel an der Einsatzfähigkeit des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, da sein Restleistungsvermögen etwa Reinigungsarbeiten sowie das Sortieren, das Zureichen oder Verpacken leichter Gegenstände zulässt. Beim Kläger ist zur Überzeugung des Senats auch die sogenannte Wegefähigkeit, d.h. die Möglichkeit zu einem Arbeitsplatz zu gelangen, zu bejahen, da er nach den ärztlichen Feststellungen im September 2008 öffentliche Verkehrsmittel nutzen konnte und die Wege zu und von den Haltestellen innerhalb üblicher Zeit zu Fuß zurücklegen konnte.

Dementsprechend lässt sich beim Kläger ab September 2008 weder das Vorliegen von voller, noch von teilweiser Erwerbsminderung - wie hilfsweise geltend gemacht - überzeugend belegen und es besteht kein Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente nach § 43 SGB VI.

Ein Antrag auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ist nicht gestellt worden. Der Kläger hätte auch keinen Anspruch darauf. Zwar ist auf Grund seines Geburtsjahrganges eine grundsätzliche Möglichkeit zu bejahen, dass er zu dem von § 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI erfassten Personenkreis gehören könnte. Da er aber keine höher qualifizierte Tätigkeit ausgeübt hatte und damit grundsätzlich auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar ist (vgl. Gürtner in Kasseler Kommentar, Stand August 2012, § 240 SGB VI, Rn. 101 - 114), ergibt sich keine Berufsunfähigkeit. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, auf den er verweisbar ist, ist der Kläger nach der oben beschriebenen Beurteilung des Senats bei Beachtung der Anforderungen an die Arbeitsbedingungen ohne zeitliche Einschränkung einsatzfähig.

Auch in der Folgezeit nach September 2008 ist beim Kläger nach der Gutachtenslage eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens an geeigneten Arbeitsplätzen des allgemeinen Arbeitsmarktes auf weniger als 3 Stunden täglich - also volle Erwerbsminderung - oder weniger als 6 Stunden - also teilweise Erwerbsminderung - zur Überzeugung des Senats nicht gegeben; allenfalls lag und liegt zeitweilig Arbeitsunfähigkeit vor, die aber gerade noch nicht eine dauerhafte Erwerbsminderung darstellt. Auch hinsichtlich der zumutbaren Arbeitsbedingungen waren in dem Zeitraum nach September 2008 keine wesentlichen Änderungen dokumentiert, so dass die Ausführungen zur Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im September 2008 (vgl. oben) in gleicher Weise für den sich anschließenden Zeitraum gelten. Insofern war auch der weitere Hilfsantrag des Klägers auf eine erneute Rentengewährung zu einem späteren Zeitpunkt nicht begründet.

Zur Überzeugung waren keine weiteren Ermittlungen erforderlich sind. Die beim Kläger aktuell vorliegende Behandlung betrifft eine bekannte und im Verfahren gewürdigte Gesundheitsstörung (Gonarthrose), wobei nach Abschluss der Rekonvaleszenz eine Besserung gegenüber der zuvor bestehenden Einschränkungen angestrebt ist. Anhaltspunkte für eine im Rahmen der Behandlung neu eingetretene weitergehende Schädigung sind nicht vorgetragen und nicht ersichtlich.

Der Senat sah sich nicht gehalten, den Rechtsstreit zu vertagen. Allein die Anregung auf eine Zeugeneinvernahme reicht nicht aus. Dieser Anregung war auch inhaltlich nicht nachzukommen, da noch nicht einmal in Ansatzpunkten erkennbar geworden ist, zu welchem Beweisthema die Vermieterin des Klägers als Zeugin gehört werden solle.

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten und die hierzu ergangene erstinstanzliche Entscheidung sind somit im Ergebnis insgesamt nicht zu beanstanden und die Berufung ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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