L 11 R 837/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 14 R 3249/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 837/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 09.02.2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1957 in der Türkei geborene Klägerin lebt seit 1976 in Deutschland. Sie absolvierte keine Berufsausbildung und arbeitete zuletzt bis 2004 als Akkordarbeiterin. Seitdem ist die Klägerin arbeitslos und bezieht Leistungen nach dem SGB II. Bei ihr wurde ein Grad der Behinderung (GdB) von 70 (Verlust der Schilddrüse, Schilddrüsenerkrankungen in Heilungsbewährung, funktionelle Organbeschwerden, seelische Störung, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, muskuläre Verspannungen, Krampfadern, Funktionsbehinderung des Schultergelenks) anerkannt.

Die Klägerin beantragte am 02.04.2015 bei der Beklagten Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung gab sie an, dass sie sich seit ca. zwölf Jahren wegen Muskulatur, Nerven und seelischer Krankheit für erwerbsgemindert halte.

Im Verwaltungsverfahren wurde die Klägerin am 08.05.2015 vom Neurologen und Psychiater Dr. B untersucht. Die Klägerin machte ua Angstzustände geltend. Der Gutachter erhob einen unauffälligen neurologischen Befund. Er führte aus, dass angesichts doch akzentuierten Verhaltens und Kommunikationsmusters bei sehr langer Untersuchungsprozedur nach außen hin eine richtungsweisende Schmerzbeeinträchtigung nicht erkennbar geworden sei. Für eine richtungsweisende etwa hirnorganische Symptomatik ergebe sich kein Anhalt, ebenso für intellektuelle Defizite. Die Antriebslage sei bis zuletzt ungestört gewesen. Es bestehe sicherlich eine sehr geringe Konfliktfähigkeit und nur eine begrenzte Frustrationstoleranz. Es sei nicht gelungen, die Anamnese transparent zu machen, da die Klägerin den Gutachter sozusagen habe auflaufen lassen. Dr. B diagnostizierte multiple Beschwerden im Bereich des Bewegungsapparates ohne nachweisbare organ-neurologische Störung sowie eine somatoforme Schmerzstörung, Panikstörung, dysphorisch-vorwurfsvolle Entwicklung und vorbestehende vielschichtige Persönlichkeitsakzentuierungen. Der Sachverständige war der Ansicht, dass eine überdauernde Funktionsstörung, die eine quantitative Leistungsminderung nervenärztlich begründe, nicht herleitbar aber auch nicht auszuschließen sei. Auszuschließen seien Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten, Tätigkeiten mit Anforderungen an die Konfliktfähigkeit, mit irgendwie fordernden sozialen Interaktionen und anderen Stressfaktoren wie Nacht- oder Wechselschicht. Befunde, die eine geistig anspruchslose Tätigkeit unter diesen Voraussetzungen grundsätzlich ausschließen würden, hätten sich nicht ergeben.

Mit Bescheid vom 29.05.2015 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Hiergegen legte der Klägerbevollmächtigte Widerspruch ein und verwies auf einen ärztlichen Befundbericht des Psychiaters Dr. H. vom 15.01.2015. Hiernach liege eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, eine generalisierte Angststörung und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung bei der Klägerin vor. Der Arzt erachte die Patientin in keiner Weise als stabil, um auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vermittelbar zu sein. Auch sei die im September 2014 durchgeführte Operation aufgrund eines Schilddrüsenkarzinoms und Nebenschilddrüsenadenoms bei der Bewertung des Leistungsvermögens nicht berücksichtigt worden.

Das sozialmedizinische Dienst der Beklagten nahm Stellung und verwies darauf, dass unter Schilddrüsenhormoneinstellung jetzt eine euthyreote Stoffwechsellage bestehe. Aus diesem Befund ergebe sich keine weitergehende Leistungseinschränkung. Bezüglich des entfernten Schilddrüsenkarzinoms bestehe kein weitergehender Behandlungsbedarf.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.09.2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Bezüglich einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit verwies die Beklagte die Klägerin als ungelernte Arbeiterin auf alle gesundheitlich zumutbaren ungelernten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes.

Hiergegen hat die Klägerin am 08.10.2015 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Das Gericht hat Beweis erhoben durch schriftliche Vernehmung der behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen und Einholung eines Gutachtens gem § 106 SGG vom Neurologen und Psychiater M. und eines Gutachtens auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG vom Psychiater Dr. Hu.

Dr. F. vom Hormonzentrum hat mitgeteilt, dass die von ihr erhobenen endokrinologischen Krankheiten und Befunde für die Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit sicher nicht maßgeblich seien und die berufliche Leistungsfähigkeit nicht relevant beeinträchtigen würden. Der Orthopäde Dr. P. hat berichtet, dass die Klägerin über mannigfaltige Beschwerden in der Schulter und in beiden Händen geklagt habe. Ein Bandscheibenschaden, eine Durchblutungsstörung und ein Karpaltunnelsyndroms habe ausgeschlossen werden können. Die erhobenen Befunde würden die Verrichtung auch einer körperlich leichten Berufstätigkeit als Akkordarbeiterin in einem zeitlichen Umfang von 6 Stunden und mehr täglich im Rahmen einer 5-Tage-Woche nicht ausschließen. Allgemeinmediziner Dr. Mü. hat mitgeteilt, dass die Klägerin zur Zeit keine Antidepressiva einnehme. Die Beschwerden im Bereich des Bewegungsapparates hätten deutlich zugenommen. Es sei nur noch eine unter sechsstündige Tätigkeit möglich. Der Psychiater Dr. H. ist von einem aufgehobenen Leistungsvermögen ausgegangen. Es würden langfristige psychiatrische Erkrankungsbilder existieren, die trotz medikamentöse Therapie nahezu unbeeinflusst geblieben seien.

Herr M. hat die Klägerin am 17.03.2016 persönlich unter Beiziehung eines vereidigten Dolmetschers der türkischen Sprache untersucht. Er hat auf eine sehr eingeschränkte Kooperationsbereitschaft der Klägerin hingewiesen. Der psychische Befund ist im Wesentlichen unauffällig beschrieben. Eine eigentliche Ängstlichkeit sei im Verlauf der Untersuchung nicht erkennbar gewesen. Typische Panikattacken hätten nicht abgefragt werden können. Die Klägerin habe diffuse Ängste und in diesem Rahmen auch Kopfweh oder Magenschmerzen beschrieben. Der Sachverständige hat weiter ausgeführt, dass sich aus den testpsychologischen Befunden eindeutig Hinweise auf eine bewusste Simulation kognitiver Defizite ergeben würden. Antidepressiva sind im Serum nicht nachweisbar gewesen. Die Klägerin hat zunächst angegeben, dass sie Citalopram und Mirtazapin immer noch einnehme. Später hat sie mitgeteilt, dass Ihr jetzt eingefallen sei, dass sie die Medikamente seit zwei Wochen nicht mehr nehme, da sie Magenbeschwerden habe. Der Gutachter hat einen im Wesentlichen unauffälligen körperlich-neurologischen Befund erhoben und folgende Diagnosen auf nervenärztlichen Fachgebiet gestellt: &61485; Leichtes ängstlich-depressives Syndrom (Angst und depressive Störung gemischt) &61485; insgesamt einer leicht ausgeprägte somatoforme Schmerzstörung

Herr M. hat ausgeführt, dass eine schmerzdistanzierende medikamentöse Behandlung offensichtlich nicht erfolge und eine durchgängige Depressivität sich nicht feststellen lasse. Es würden sich keine Hinweise auf gravierende leistungseinschränkende, radiologisch nachweisbare orthopädische Veränderungen an den Gelenken oder an der Wirbelsäule ergeben. Eine wesentliche Bewegungseinschränkung liege diesbezüglich nicht vor. Explizite Panikattacken hätten sich nicht erfragen lassen. Das Krankheitsverhalten mit offensichtlich recht seltenem Aufsuchen der urologischen Kontrolle nach der Stellungnahme des Behandlers weise ebenfalls nicht auf eine große Angst vor einem Tumorrezidiv hin. Die Kooperation bei der Behandlung und die bisherigen Behandlungsbemühungen ließen nicht auf einen hohen Leidensdruck schließen. Eine neurologische Störung lasse sich nicht diagnostizieren. Die Klägerin könne weiterhin körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in der Produktion, in der Warenendkontrolle, im Verpacken leichter Industriegüter, Auskunft gebend oder Bürohilfstätigkeiten entsprechend dem Bildungsstand ohne unmittelbare Gefährdung ihrer Gesundheit verrichten. Eine zeitliche Leistungsminderung liege nicht vor. Dies gelte auf der Grundlage der Aktenlage auch für die Vergangenheit. Die Wegefähigkeit sei gegeben.

Dr. Hu. hat die Klägerin am 20.07.2016 persönlich unter Mitwirkung eines türkischsprachigen Dolmetschers untersucht und eine chronifizierte Dysthymia bei narzisstisch-depressiver Persönlichkeitsentwicklung mit histrionischen Anteilen diagnostiziert. Im psychischen Befund hat der Gutachter eine allseits orientierte, im Kontakt zugewandte, psychomotorisch unruhige, gelegentlich etwas dysphorische Klägerin mit ausgeglichener bis subdepressiver Stimmungslage und noch ausreichend emotionaler Schwingungsfähigkeit beschrieben. Hinweise auf ein hirnorganisch bedingtes affektive Syndrom würden sich nicht ergeben. Im Längsschnitt zeige sich das Vorliegen eines depressiven Störungsbildes, welches stationär und ambulant behandelt chronifiziert und auf die Lebensführung der Klägerin Einfluss genommen habe und nehme. Diese könne Tätigkeiten nur noch unter 3 Stunden täglich ausüben. Dies ergebe sich aus den bestehenden Einschränkungen und aufgrund des Umstands, dass es aufgrund des Ausdrucksverhaltens der depressiven Grundhaltung bei eingeschränkter Eigen- und Fremdwahrnehmung zu interpersonellen Konflikten kommen müsse. Der Gesundheitszustand beststehe seit Rentenantragstellung.

Mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 09.02.2017 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es auf das vollständige, schlüssige und widerspruchsfreie Gutachten des Neurologen und Psychiaters M. verwiesen. Auf der Grundlage des Gutachtens sei nachvollziehbar, weshalb der Gutachter zu dem Ergebnis gelange, dass die von der Klägerin geschilderten Leiden nicht in dem angegebenen Ausmaß vorliegen könnten. Aggravationstendenzen seien nachvollziehbar festgestellt worden. Aktive Strategien zur Schmerzkontrolle würden von der Klägerin nicht durchgeführt. Sie habe insbesondere eigenmächtig die verordnete psychopharmakologische bzw. schmerztherapeutische Medikation abgesetzt. Dies spreche gegen den beschriebenen Leidensdruck. Im Übrigen sei bei der Untersuchung der psychische wie auch der körperlich-neurologische Untersuchungsbefund im Wesentlichen unauffällig gewesen. Die Leistungseinschätzung des Gutachters Dr. Hu. könne nicht überzeugen. Er begründe die aus seiner Sicht bestehende unter dreistündige Leistungsfähigkeit mit psychopathologischen Einschränkungen der Klägerin, welche bisher nicht behandelbar gewesen seien. So habe der Gutachter M. aber zB ausführlich dargestellt, dass die von der Klägerin geschilderten Beschwerden durch Einnahme der verordneten Medikamente teilweise gut angegangen hätten werden können. Die geschilderten psychopathologischen Einschränkungen würden zudem im Wesentlichen auf den subjektiven Angaben der Klägerin beruhen, ohne dass eine weitere Konsistenzprüfung durch den Gutachter stattgefunden habe. Auch die abweichende Leistungsbeurteilung des Behandlers Dr. H. überzeuge nicht. Dieser sei offensichtlich von falschen Voraussetzungen ausgegangen, insbesondere der Einnahme der verordneten Medikation, was durch die Tests von Herrn M. widerlegt worden sei. Bezüglich einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI müsse sich die Klägerin zumutbar auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, also insbesondere leichte körperliche Tätigkeiten, verweisen lassen. Eine Ausbildung habe die Klägerin nicht absolviert. Sie habe vielmehr stets ungelernte Tätigkeiten ausgeübt.

Gegen das dem Klägerbevollmächtigten am 21.02.2017 zugestellte Urteil hat dieser am 03.03.2017 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass ihr Leistungsvermögen alleine schon infolge der seit über Jahren bestehenden Erkrankungen sehr eingeschränkt und auf einen rentenberechtigten Grad herabgesunken sei. Es sei nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund im Urteil die Ausführungen des Gutachters Dr. Hu. und des langjährig behandelnden Arztes Dr. H. nur unzureichend Berücksichtigung gefunden hätten. Zudem stelle sie bereits die Auswahl des Gutachters M. infrage. Dieser werde von der Beklagten in anderen vor- bzw. außergerichtlichen Verfahren zu einer Stellungnahme bzw Gutachten hinzugezogen. Zudem stünden die Aussagen des Gutachters teilweise in deutlichem Gegensatz zu den weiteren Befundberichten. Das Gutachten sei deshalb nicht überzeugend. Die Begutachtung bei Herrn M. sei unter enormem Zeitdruck durchgeführt worden. Ihre Tochter habe Unterstützung bei der Befragung angeboten. Allerdings habe der Gutachter diese gebeten, den Raum zu verlassen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 09.02.2017 sowie den Bescheid vom 29.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 10.09.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Berichterstatter hat die Beteiligten mit Schreiben vom 31.05.2017 darauf hingewiesen, dass der Senat nach § 153 Abs 4 SGG die Berufung auch ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss zurückweisen kann, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind darauf aufmerksam gemacht worden, dass diese Verfahrensweise aufgrund des derzeitigen Sach- und Streitstandes beabsichtigt ist. Die Beteiligten haben sich mit einer solchen Entscheidung einverstanden erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalt und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Der Senat weist die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter gemäß § 153 Abs 4 SGG zurück, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind zu dieser Verfahrensweise gehört worden und haben ihr Einverständnis hiermit erklärt.

Gegenstand der Berufung ist der Bescheid der Beklagten vom 29.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.09.2015, mit dem der Antrag der Klägerin auf Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt worden ist.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der Bescheid rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt. Sie hat keinen Anspruch auf eine Rente wegen voller oder teil-weiser Erwerbsminderung und auch nicht auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.

Versicherte haben gemäß §§ 43 Abs 1, Abs 2 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller bzw teilweise Erwerbsminderung, wenn sie 1. voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

§ 240 SGB VI dehnt aus Gründen des Vertrauensschutzes den Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf vor dem 02.01.1961 geborene und berufsunfähig gewordene Versicherte aus, wenn die sonstigen Voraussetzungen des § 43 SGB VI erfüllt sind.

Die Voraussetzungen des §§ 43 Abs 1, Abs 2 SGB VI liegen bei der Klägerin nicht vor. Sie kann zur Überzeugung des Senats täglich noch mindestens 6 Stunden körperlich leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten. Zu vermeiden sind dabei Tätigkeiten in ständig vornübergebeugter Körperhaltung, Schichtarbeit, Tätigkeiten mit sehr hoher Verantwortung und Arbeiten mit hoher nervlicher Belastung.

Dies ergibt sich aus dem überzeugenden Gutachten des anerkannten Gerichtssachverständigen, Neurologen und Psychiaters Herrn M. sowie dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten von Dr. B, das der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet. Die umfassenden Ausführungen insbesondere des Gerichtsgutachters sind in sich schlüssig und für den Senat gut nachvollziehbar, er macht sie deshalb zur Grundlage seiner Beurteilung.

Bei der Klägerin bestehen folgende Gesundheitsstörungen: &61485; Leichtes ängstlich-depressives Syndrom (Angst und depressive Störung gemischt) nach ICD-10 F41.2 &61485; insgesamt eher leicht ausgeprägte somatoforme Schmerzstörung F45.4 &61485; Euthyreote Stoffwechsellage unter Substitution nach Entfernung der Schilddrüse &61485; sehr kleines, operativ mit entferntes papilläres Schilddrüsenkarzinom ohne weitergehenden Behandlungsbedarf &61485; geringgradiger Hypoparathyreoidismus mit Vitamin D Substitution behandelt

Diese Gesundheitsstörungen wirken sich nur insoweit auf die berufliche Leistungsfähigkeit aus, als die oben genannten qualitativen Einschränkungen zu berücksichtigen sind. Eine Einschränkung in zeitlicher Hinsicht besteht nicht. Maßgeblich für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit sind vorhandene Funktionseinschränkungen, nicht alleine die Diagnosen. Sämtliche Gutachter haben einen nahezu unauffälligen körperlichen und neurologischen Befund erhoben. Auf internistischen und orthopädischen Fachgebiet ergibt sich demnach keine relevante zeitliche Leistungseinschränkung. Dieser Auffassung waren auch die entsprechenden behandelnden Fachärzte der Klägerin Dr. P. und Dr. F.

Auch nach den eigenen Angaben der Klägerin liegt der Schwerpunkt ihrer Gesundheitseinschränkungen auf psychiatrischem Fachgebiet. Aber auch hier lässt sich eine zeitliche Leistungseinschränkung nicht begründen. Insoweit teilt der Senat vollumfänglich die Auffassung des SG und verweist insoweit auf die zutreffenden Gründe im Urteil.

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (zB Urteile vom 14.12.2010, L 11 R 3243/09, vom 20.07.2010, L 11 R 5140/09 und vom 24.09.2009, L 11 R 742/09) wird der Schweregrad psychischer Erkrankungen und somatoformer Schmerzstörungen aus den daraus resultierenden Defiziten im Hinblick auf die Tagesstrukturierung, das allgemeine Interessenspektrum und die soziale Interaktionsfähigkeit abgeleitet und daran gemessen. Es ist jedoch zu beachten, dass die Tagesstrukturierung mit jedem Gutachten dürftiger ausfallen kann. Außerdem ist zu berücksichtigen, ob und in welcher Form der Betroffene versucht, einem sich aus der Schmerzstörung ergebenden Leidensdruck durch angemessene therapeutische Bemühungen entgegenzuwirken. Der psychische Befund war in der Untersuchungssituation bei Herrn M. nicht stärker auffällig. Schwerwiegende Einschränkungen bei Tagesstruktur, allgemeinem Interessenspektrum und sozialer Interaktionsfähigkeit lassen sich aus den eigenen Angaben der Klägerin bei der Untersuchung durch Herrn M. nicht entnehmen.

Auffallend sind zunächst die schon bei Dr. B und dann bei Herrn M. bestehenden Hinweise auf Simulation bzw. Aggravation. Hinzu kommt, dass ein erheblicher Leidensdruck bezüglich der psychischen Erkrankungen nicht erkennbar ist. Die Klägerin hat die verordnete antidepressive Medikation selbstständig abgesetzt. Die im Berufungsverfahren anderslautenden Äußerungen der Klägerin sind für den Senat nicht überzeugend. Denn nicht nur der Sachverständige weist auf die widersprüchlichen Angaben der Klägerin hierzu hin. Auch der behandelnde Allgemeinarzt hat dem SG mitgeteilt, dass die Medikamente nicht mehr eingenommen werden. Eine Psychotherapie wurde und wird nicht durchgeführt. Solange zumutbare Behandlungsmöglichkeiten auf psychischem bzw psychiatrischem Gebiet gar nicht versucht werden oder noch ein entsprechend erfolgversprechendes Behandlungspotential besteht, spricht viel dafür, dass noch keine dauerhafte quantitative Leistungsminderung vorliegt (Bayerisches LSG 15.02.2012, L 19 R 774/06; hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG 29.05.2013, 1 BvR 1522/12, BVerfGK 20, 139; siehe auch Senatsurteil 22.04.2015, L 11 R 5112/14; LSG Berlin-Brandenburg 18.09.2008, L 3 R 1816/07, juris RdNr 36).

Das Gutachten von Dr. Hu. nach § 109 SGG lässt keine andere Leistungsbeurteilung zu. Zum einen weichen die von ihm erhobenen objektiven Befunde auf psychiatrischem Fachgebiet nicht wesentlich von denen bei Herrn M. ab. Auch die von Dr. Hu. gestellte Diagnose einer chronifizierten Dysthymia bei narzisstisch-depressiver Persönlichkeitsentwicklung mit histrionischen Anteilen rechtfertigt nicht per se die Annahme einer zeitlichen Leistungseinschränkung. Insoweit liegt noch keine sehr schwerwiegende psychiatrische Erkrankung vor. Im Übrigen stützt sich Dr. Hu. wesentlich auf die subjektiven Angaben der Klägerin, ohne eine tiefergehende Konsistenzprüfung durchzuführen. Ohne eine solche ist das Gutachten aber zumindest im hier vorliegenden Fall nicht schlüssig, denn die mitgeteilten Hinweise zu Aggravation und Simulation in den vorangegangenen Gutachten müssen intensiv mitberücksichtigt und gegebenenfalls widerlegt werden.

Eine abweichende Leistungsbeurteilung lässt sich auch nicht aus den Befundberichten von Dr. H. (und des Hausarztes Dr. Mü.) begründen. Der Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit eines Versicherten durch gerichtliche Sachverständige kommt nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteile vom 18.06.2013, L 11 R 506/12; 17.01.2012, L 11 R 4953) grundsätzlich ein höherer Beweiswert zu als der Einschätzung der behandelnden Ärzte. Bei der Untersuchung von Patienten unter therapeutischen Gesichtspunkten spielt die Frage nach der Einschätzung des beruflichen Leistungsvermögens in der Regel keine Rolle. Dagegen ist es die Aufgabe des Sachverständigen, die Untersuchung gerade im Hinblick darauf vorzunehmen, ob und in welchem Ausmaß gesundheitliche Beschwerden zu einer Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens führen. In diesem Zusammenhang muss der Sachverständige auch die Beschwerdeangaben eines Versicherten danach überprüfen, ob und inwieweit sie sich mit dem klinischen Befund erklären lassen. Dieser Grundsatz gilt grundsätzlich auch in den Fällen, in denen der Eintritt des Leistungsfalls in der Vergangenheit umstritten ist. Dies gilt umso mehr, wenn in zeitlich unmittelbarer Nähe zum letztmöglichen Zeitpunkt eines relevanten Leistungsfalls eine Untersuchung nach Begutachtungskriterien durch einen Sachverständigen stattgefunden hat.

Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend in der Person der Klägerin eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeeinträchtigungen oder eine spezifische Leistungsbeeinträchtigung gegeben wäre bestehen nicht, ein Teil der qualitativen Beschränkungen wird bereits durch den Umstand, dass nur leichte Arbeiten zumutbar sind, mitberücksichtigt. Schließlich ist hier auch nicht von einem verschlossenen Arbeitsmarkt im Sinne der Rechtsprechung des BSG und der dort aufgestellten Kriterien auszugehen (siehe BSG 30.11.1983, 5a RKn 28/82, BSGE 56, 64, SozR 2200 § 1246 Nr 110; siehe insbesondere auch hierzu den bestätigenden Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996, BSGE 80, 24, SozR 3-2600 § 44 Nr 8; siehe auch BSG 05.10.2005, B 5 RJ 6/05 R, SozR 4-2600 § 43 Nr 5). Es war im Übrigen im Hinblick auf das zur Überzeugung des Senats bestehende Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden pro Arbeitstag unter Berücksichtigung nicht arbeitsmarktunüblicher qualitativer Leistungseinschränkungen zu der Frage, inwieweit welche konkrete Tätigkeit der Klägerin noch leidensgerecht und zumutbar ist, keine Prüfung durchzuführen, da die jeweilige Arbeitsmarktlage bei einer Leistungsfähigkeit von sechs Stunden täglich und mehr nicht zu berücksichtigen ist (§ 43 Abs 3 letzter Halbsatz SGB VI).

Die Wegefähigkeit ist ebenfalls gegeben. Die Klägerin ist in der Lage, täglich viermal eine Wegstrecke von 500 Metern innerhalb von jeweils 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen sowie öffentliche Verkehrsmittel zu Hauptverkehrszeiten zweimal am Tag zu benutzen. Dies geht aus sämtlichen Gutachten hervor. Die dort erhobenen Befunde haben keine Einschränkung der Wegefähigkeit erbracht.

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten und Arztauskünfte bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats. Das vorliegende Gutachten von Herrn M. hat dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO). Das Gutachten geht von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthält keine unlösbaren inhaltlichen Widersprüche und gibt auch keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachter zu zweifeln; an der Unparteilichkeit von Herrn M. ändert der Umstand, dass der Gutachter anderen Fällen teilweise auch von der Beklagten als Gutachter herangezogen wird. Eine Vorbefassung bezüglich der Klägerin lag nicht vor. Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass ein Befangenheitsantrag der Klägerin bezüglich des Sachverständigen nicht vorlag und nicht vorliegt. Die Vorwürfe der Parteilichkeit wurden erstmals in der Berufungsbegründung geltend gemacht. Ungeachtet dessen, dass ein Befangenheitsantrag insoweit nicht rechtzeitig wäre, lässt sich ein solcher aus dem Wortlaut der Berufungsbegründung auch nicht entnehmen. Das Gutachten ist daher auch verwertbar, denn Unverwertbarkeit ergäbe sich nur bei einem Erfolg eines Befangenheitsgesuchs (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl, § 118 RdNr 12 mwN). Weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig.

Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse oder unterschiedlicher ärztlicher Auffassungen zur Leistungsfähigkeit des Versicherten gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst. Eine Verpflichtung zu weiterer Beweiserhebung besteht auch bei einander widersprechenden Gutachtenergebnissen im Allgemeinen nicht; vielmehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem anschließen, ohne eine weitere Sachaufklärung zu betreiben. Bei einer derartigen Fallkonstellation ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum (BSG 08.12.2009, B 5 R 148/09 B).

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI. Voraussetzung eines solchen Rentenanspruchs ist (vgl § 240 SGB VI), dass sie vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig ist. Die Klägerin ist 1957 und damit vor dem Stichtag geboren, sie ist jedoch nicht berufsunfähig. Berufsunfähig sind nach § 240 Abs 2 Satz 1 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 240 Abs 2 Satz 2 SGB VI). Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind (§ 240 Abs 2 Satz 3 SGB VI). Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 240 Abs 2 Satz 4 SGB VI). Im Rahmen der Beurteilung, ob einem Versicherten eine Tätigkeit iSd § 240 Abs 2 Sätze 2 bis 4 SGB VI sozial zumutbar sind, kann ein Versicherter auf eine Tätigkeit derselben Stufe bzw auf Tätigkeiten jeweils nächstniedrigeren Stufe verwiesen werden (zum Stufenschema des BSG vgl BSG 22.10.1996, 13 RJ 35/96, SozR 3-2200 § 1246 Nr 55; BSG 18.02.1998, B 5 RJ 34/97 R, SozR 3-2200 § 1246 Nr 61, jeweils mwN).

Für die Entscheidung der Frage, ob ein Versicherter berufsunfähig ist, ist von seinem bisherigen Beruf auszugehen. Einschlägiger Beruf ist hier die Tätigkeit als Akkordarbeiterin. Bei dieser Tätigkeit handelt es sich auch nach den eigenen Angaben der Klägerin um eine ungelernte Tätigkeit. Der Senat kann offenlassen, ob die Klägerin ihren letzten Beruf noch ausüben kann. Denn sie muss sich auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisen lassen. Solche Tätigkeiten kann die Klägerin, wie oben ausgeführt, noch mehr als sechs Stunden täglich ausüben. Das Risiko, einen leidensgerechten Arbeitsplatz auch tatsächlich zu erhalten, liegt nicht bei der Rentenversicherung.

Die Berufung hat demnach unter keinem Gesichtspunkt Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Nr 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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