Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 2 SB 2827/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 3195/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15.07.2016 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob bei dem Kläger die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung der Nachteilsausgleiche "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) und "H" (Hilflosigkeit) vorliegen.
Bei dem 1932 geborenen Kläger stellte das Versorgungsamt K. zuletzt mit Bescheid vom 17.12.2003 (Bl. 295/297 der Verwaltungsakte) in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 03.03.2004 (Bl. Bl. 307 der Verwaltungsakte) einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen "G" (erhebliche Bewegungsunfähigkeit im Straßenverkehr) und "B" (ständige Begleitung) fest, die Feststellung des Merkzeichens "aG" lehnte es hingegen ab. Folgende Funktionsbeeinträchtigungen lägen vor: Funktionelle Organbeschwerden, seelische Störung, Gleichgewichtsstörungen, essenzieller Tremor (GdB 50), Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Wirbelsäulenverformung, Wachstumsstörung - Scheuermann’sche Krankheit (GdB 30), Sehminderung beidseits, eingepflanzte Kunstlinse beidseits (GdB 20), chronische Bronchitis, Schlafapnoe-Syndrom (GdB 20), Schwerhörigkeit beidseits (GdB 20), Verlust der Prostata (GdB 10), Polyneuropathie (GdB 10), Hüft-, Ellenbogen- und Schulterbeschwerden, Großzehenarthrose, Hüft- und Kniearthrosen (GdB 10).
Die hiergegen erhobene Klage vor dem Sozialgericht Karlsruhe (Az. S 10 SB 1280/04) und die anschließende Berufung vor dem Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg (L 3 SB 4847/05) blieben ohne Erfolg.
Am 15.04.2014 beantragte der Kläger bei dem nunmehr zuständigen Landratsamt E. - Sozial- und Versorgungsamt (LRA) die Feststellung des Merkzeichens "aG" sowie des Merkzeichens "H" (Bl. 342 der Verwaltungsakte). Das LRA zog daraufhin Befundunterlagen von dem Facharzt für Orthopädie Dr. B. (Bl. 344 ff. der Verwaltungsakte) sowie von dem Arzt für Innere Medizin Dr. J. (Bl. 353 ff. der Verwaltungsakte) bei und ließ diese versorgungsmedizinisch auswerten.
Entsprechend der versorgungsärztlichen Stellungnahme der Ärztin D. vom 15.05.2014 lehnte das LRA den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 26.05.2014 (Bl. 358/360 der Verwaltungsakte) ab. Zur Begründung seines hiergegen mit Schreiben vom 30.05.2014 erhobenen Widerspruchs (Bl. 362 der Verwaltungsakte) führte der Kläger an, das Landesamt für Besoldung und Versorgung (LBV) habe mit Wirkung zum 18.01.2005 festgestellt, dass er wegen den Folgen eines Dienstunfalls hilflos sei. Nachdem das LBV bereits die Hilflosigkeit anerkannt habe, sei die Versagung des Merkzeichens "H" rechtswidrig. Zudem sei die Entscheidung nicht ausreichend begründet, es werde lediglich auf die Normen des SGB IX hingewiesen. Es fehlten jedoch Angaben zu den beteiligten Ärzten und deren Feststellungen zu seinem gesundheitlichen Status. Das LRA habe das Gehvermögen ausschließlich nach dem Status der unteren Gliedmaßen beurteilt. Diese Verfahrensweise sei pure Ignoranz. Dem LRA sei entgangen, dass der menschliche Körper ohne ein funktionsfähiges Hirn bewegungsunfähig bleibe. Aufgrund seines Dienstunfalls leide er unter erheblichen Folgen.
Entsprechend der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. W. vom 14.07.2014 lehnte das Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt des Widerspruch des Kläger mit Widerspruchsbescheid vom 24.07.2014 (Bl. 369/372 der Verwaltungsakte) ab.
Hiergegen erhob der Kläger am 25.08.2014 Klage bei dem Sozialgericht Karlsruhe (SG). Zur Begründung wiederholte und vertiefte er sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren. Ergänzend teilte er mit, dass er außerhalb des PKW schon nach wenigen Schritten ermüde. Er drohe zu stürzen bzw. stürze, wenn fremde Hilfe nicht zur Verfügung stehe. Er sei insbesondere wegen seiner psychomotorischen Retardierung und den Folgen der früheren Hirnverletzungen nicht im Stande, sich im innerstädtischen Fußgängerverkehr ohne Selbstgefährdung oder ohne Gefährdung anderer ohne eine Begleitperson fortzubewegen. Aus diesen Gründen sei ihm auch das Merkzeichen "H" zuzuerkennen. Er bedürfe für die häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im täglichen Ablauf (Ankleidung, Essen, Waschen, Kleidung richten) einer ständigen Hilfe und Beaufsichtigung. Hierfür sei ein Zeitaufwand von mindestens 2 Stunden erforderlich.
Zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sacherhalts befragte das SG die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen. Facharzt für Innere Medizin Dr. C. teilte mit (Auskunft vom 17.10.2014, Bl. 26 ff. der SG-Akte), der Kläger habe sich in der Zeit von Januar 2009 bis September 2014 insgesamt viermal in seiner Praxis vorgestellt. Nach der Herzschrittmacher-Implantation April 2009 habe sich das Luftnotgefühl bei Belastung gebessert. Behinderungen, die sich auf die Gehfähigkeit auswirkten, lägen in seinem Fachgebiet nicht vor. Zum Merkzeichen "H" könne er keine Angaben machen. Augenarzt Dr. S. gab an (Auskunft vom 23.10.2014, Bl. 34 ff. der SG-Akte), der Kläger könne Wegstrecken im Ortsverkehr ohne wesentliche Einschränkungen zurücklegen. Auch bei der frisch aufgetretenen Doppelwahrnehmung erfolge eine Adaption in der Gestalt, dass der Kläger wisse, welches Doppelbild das Scheinbild sei. Er gehe davon aus, dass sich der Kläger meistens ohne fremde Hilfe zurechtfinden könne. Neurologe Prof. Dr. K. bekundete (Auskunft vom 23.10.2014, Bl. 37 ff. der SG-Akte), es liege sowohl eine Gang- als auch eine Standataxie vor, welche eine gewisse Unsicherheit beim Gehen und Stehen mit der Tendenz zum Fallen bedeute. Kardiologe Prof. Dr. Z. teilte mit (Auskunft vom 04.11.2014, Bl. 44 der SG-Akte), der Kläger stelle sich lediglich zu Schrittmacherkontrollen vor. Arzt für Innere Medizin Dr. J. gab unter Übersendung weiterer Unterlagen an (Auskunft vom 17.11.2014, Bl. 47 ff. der SG-Akte), es bestünden keine Paresen, jedoch könne sich der Kläger wegen der Sturzneigung nur in Begleitung bewegen. Dies gelte auch für Gehstrecken bis 50 m. Der Kläger sei zudem hilfebedürftig beim Waschen, Duschen und Baden, beim Aufstehen und Zubettgehen, beim An- und Auskleiden, die mundgerechte Zubereitung von Speisen sei erforderlich. HNO-Arzt Dr. R. teilte mit (Auskunft vom 13.11.2014, Bl. 64 f. der SG-Akte), aufgrund der HNO-Erkrankung bestünden weder Einschränkungen im Hinblick auf das Merkzeichen "aG" noch auf das Merkzeichen "H". Arzt für Orthopädie Dr. B. bekundete (Auskunft vom 02.12.2014, Bl. 66 der SG-Akte), aus orthopädischer Sicht betrage die Wegstrecke nur noch 50 Meter. Die Schwierigkeit bestünde in einer schmerzbedingten Gehbehinderung und einer Sturzgefährdung.
Das SG zog zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhalts die medizinischen Unterlagen des LBV bei. Dieses übersandte mit Schreiben vom 30.04.2015 ein amtsärztliches Gutachten der Ärztin für Allgemeinmedizin und öffentliches Gesundheitswesen Dr. S.-W. vom 23.08.2004 (Bl. 80 ff. der SG-Akte) sowie ein Pflegegutachten der Dr. W. vom 03.07.2014 (Bl. 84 ff der SG-Akte).
Das SG beauftragte sodann den Orthopäden Dr. J. mit der Erstellung eines orthopädischen Gutachtens. Der Kläger teilte daraufhin mit, dass er sich keiner weiteren orthopädischen Begutachtung unterziehen wolle, da dies in seinem Alter eine erhebliche Belastung darstelle. Ausgangspunkt und Ursache der von ihm geltend gemachten Behinderungen sei die durch den früheren Unfall beeinträchtigte Steuerungsfähigkeit des Gehirns. Er bitte daher darum, den Gutachtensauftrag an den Orthopäden zurückzuziehen und ein neurologisches Gutachten in Auftrag zu geben.
Zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhalts erhob das SG sodann das nervenärztliche Gutachten des Facharztes für Innere Medizin, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S. vom 29.04.2016, welcher den Kläger am 22.04.2016 persönlich untersuchte (Bl. 101 ff. der SG-Akte). Es bestehe ein unsicherer Gang. In Begleitung könne der Kläger entsprechend seiner Angaben noch etwa 20 bis 30 Minuten langsam gehen. Die Wegstrecke werde auf 500 m bis 1 km geschätzt. Der Kläger sei nicht als hilflos anzusehen.
Mit Urteil vom 15.07.2016 wie das SG die Klage ab.
Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 21.07.2016 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19.08.2016 Berufung bei dem SG erhoben (Eingang beim LSG am 24.08.2016). Zur Begründung hat er angeführt, das Urteil gründe sich im Wesentlichen auf das Gutachten des Dr. S. vom 29.04.2016. Dieses Gutachten leide jedoch unter erheblichen Mängeln. Die Beantwortung der Beweisfragen seien teils unzutreffend, teils fehlerhaft und in wichtigen Punkten ohne Begründung geblieben, so dass die dazu getroffenen Aussagen des Gutachters nicht nachvollziehbar seien. Der Gutachter führe zwar im Wesentlichen die einzelnen Behinderungen auf, füge aber nicht den daraus folgenden Einzel-GdB hinzu. Dies verbaue dem Gutachter den Blick auf das Zusammenwirken der Behinderungen. Der Diabetes mellitus bedinge einen GdB von 20, da eine medikamentöse Behandlung erfolge. Wenn das eingenommene Präparat kein Hypoglykämiepotenzial enthalten sollte, dann sei zu prüfen, ob die ärztliche Behandlung lege artis erfolge. Die Auswirkungen der Polyneuropathie auf die Gehfähigkeit würden nicht näher dargelegt. Die Aussage, die anerkannten "Gleichgewichtstörungen" hätten kein organisches Korrelat sei nicht weiter begründet. Hinsichtlich der Wegstrecken im Ortsverkehr hätte das Gutachten eine Abwägung treffen müssen zwischen der Bestform und der schlechtesten Tagesform. Der Gutachter unterlasse es, eine Verknüpfung der orthopädischen Einschränkungen und der weiteren körperlichen Behinderungen mit dem hirnorganischen Leiden vorzunehmen. Er setze sich zudem nicht ausreichend mit den vorliegenden medizinischen Unterlagen auseinander. Er begründe auch nicht, aus welchen Gründen er zu einem geringen Zeitaufwand bei der Grundpflege und Körperpflege komme als das Pflegegutachten. Zudem hätten sich die Einschränkungen im Bereich der Wirbelsäule verschlimmert.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15.07.2016 sowie den Bescheid vom 26.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 24.07.2014 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm die Merkzeichen "aG" und "H" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Mit Schreiben vom 30.12.2016 reichte der Kläger die Entlassungsanzeige des H. -Klinikums P. vom 17.10.2016 zu den Akten. Mit weiterem Schreiben vom 28.03.2017 legte der Kläger zudem das im Verfahren L3 SB 4847/05 erhobene neurootologische Gutachten des PD. Dr. Schn. vom 22.05.2008 (Bl. 35 ff. der Senatsakte) vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die angefallenen Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf einen Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, jedoch nicht begründet. Der Bescheid vom 26.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.07.2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung der Merkzeichen "aG" und "H". Das Urteil des SG vom 15.07.2016 ist nicht zu beanstanden.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens "aG".
Maßgebliche Rechtsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens "aG" ist § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX). Hiernach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Zu diesen Merkmalen gehört das im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften in den Schwerbehindertenausweis einzutragende Merkzeichen "aG" (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Schwerbehindertenausweisverordnung).
Mit Wirkung zum 30.12.2016 sind die Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" nunmehr in § 146 Abs. 3 SGB IX geregelt, der durch Art. 2 Nr. 13 des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) vom 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234) neu geschaffen wurde und die am 01.01.2018 in Kraft tretende Regelung des § 229 Abs. 3 SGB IX n.F. vorwegnimmt (Art. 26 Abs. 2 BTHG). Nach § 146 Abs. 3 Satz 1 SGB IX sind schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung Personen mit einer erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung, die einem Grad der Behinderung von mindestens 80 entspricht. Eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung liegt nach der Legaldefinition des § 146 Abs. 3 Satz 2 SGB IX vor, wenn sich die schwerbehinderten Menschen wegen der Schwere ihrer Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Damit normiert § 146 Abs. 3 SGB IX nunmehr zwei (kumulative) Voraussetzungen: Zum einen muss bei dem Betroffenen eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung bestehen, die zum anderen einem GdB von mindestens 80 entspricht. Mit der Bezugnahme auf mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigungen wollte sich der Gesetzgeber von der Einengung auf orthopädische Gesundheitsstörungen lösen, so dass "keine Fallgestaltung von vornherein bevorzugt oder ausgeschlossen wird, auch nicht dem Anschein nach" (BT-Drs. 18/9522, S. 318). Trotz dieser Ausweitung übernimmt die Neuregelung den bewährten Grundsatz, dass das Recht, Behindertenparkplätze zu benutzen, nur unter engen Voraussetzungen eingeräumt werden darf und verlangt daher auf der zweiten Prüfungsstufe einen - relativ hohen - GdB von wenigstens 80 für die mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung. Dabei ist an den tatsächlich zuerkannten GdB anzuknüpfen (Senatsurteil vom 27.01.2017 - L 8 SB 943/16, juris; sich dem anschließend LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 03.08.2017 - L 6 SB 3654/16, Sozialgerichtsbarkeit.de).
Die bisherige Rechtslage zum Merkzeichen "aG" ergab sich im Wesentlichen aus Abschnitt 2 Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) vom 26. Januar 2001 (BAnz S. 1419, berichtigt S. 5206). Ergänzende Vorschriften enthielt bzw. enthält weiterhin Teil D Nr. 3 c Satz 1 der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV).
Nach Abschnitt II Nr. 1 der VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO sind als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung insbesondere solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können, oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem zuvor genannten Personenkreis gleichzustellen sind.
Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten.
Zunächst konnte sich der Beklagte hinsichtlich der Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichen "aG" nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht auf die VG (Teil D Ziff. 3) berufen. Eine gesetzliche Ermächtigung für den Verordnungsgeber, die Grundsätze für die nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden Nachteilsausgleiche durch Verordnung regeln zu können, enthielten nach Auffassung des Senats weder § 30 Abs. 17 BVG in der Fassung bis 30.06.2011 bzw. § 30 Abs. 16 BVG in der ab 01.07.2011 gültigen Fassung, der nicht auf die im Schwerbehindertenrecht im SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche verweist (vgl. Dau, jurisPR SozR 4/2009), noch andere Regelungen des BVG. Eine Rechtsgrundlage zum Erlass einer Verordnung über Nachteilsausgleiche war bislang auch nicht in den einschlägigen Vorschriften des SGB IX vorhanden. Die Regelungen der VG zum Nachteilsausgleich aG (und G) waren damit nach ständiger Rechtsprechung des Senats mangels entsprechender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig (vgl. Urteile des Senats vom 23.07.2010 - L 8 SB 3119/08 - und vom 14.08.2009 - L 8 SB 1691/08 -, beide veröff. in juris und www.sozialgerichtsbarkeit.de; so auch der ebenfalls für Schwerbehindertenrecht zuständige 6. Senat des LSG Baden Württemberg, vgl. stellvertretend Urteil vom 04.11.2010 L 6 SB 2556/09, unveröffentlicht; offen lassend der 3. Senat, vgl. Urteil vom 17.07.2012 L 3 SB 523/12, unveröffentlicht). Rechtsgrundlage waren daher allein die genannten gesetzlichen Bestimmungen und die hierzu nach ständiger Rechtsprechung zulässig anzuwendenden Verwaltungsvorschriften.
Ein Betroffener war danach gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in Nr. 11 Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 1. Halbsatz VwV-StVO aufgeführten schwerbehinderten Menschen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 23). Hierbei ist zu beachten, dass die maßgebenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschrift nicht darauf abstellen, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur noch mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung - praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an und selbst unter Einsatz orthopädischer Hilfsmittel - erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt (vgl. BSG SozR 3-3250 § 69 Nr. 1 und Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R-, juris).
Mit Wirkung zum 15.01.2015 hat jedoch der Gesetzgeber in § 70 Abs. 2 SGB IX eine Verordnungsermächtigung eingeführt und in § 159 Abs. 7 SGB IX eine Übergangsregelung getroffen (eingefügt durch Art. 1a des am 15.01.2015 in Kraft getretenen Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/174/EG vom 07.01.2015; BGBl. II S. 15).
§ 70 Abs. 2 SGB IX in der Fassung vom 07.01.2015 lautet nunmehr: Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des Grades der Behinderung und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Von der Verordnungsermächtigung ist bislang kein Gebrauch gemacht worden.
Nach der ebenfalls am 15.01.2015 in Kraft getretenen Übergangsregelung des § 159 Abs. 7 SGB IX in der Fassung vom 07.01.2015 gelten, soweit noch keine Verordnung nach § 70 Abs. 2 erlassen ist, die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des Bundesversorgungsgesetzes erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend.
Nach Auffassung des Senats hat der Gesetzgeber mit der Übergangsregelung des § 159 Abs. 7 SGB IX ab dem 15.01.2015 wirksam und mit hinreichend bestimmtem Gesetzeswortlaut eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens "aG" geschaffen. Die so geschaffene Rechtsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens "aG" entfaltet jedoch keine Rückwirkung, sondern ist erst ab dem Datum des Inkrafttretens am 15.01.2015 wirksam (Urteil des Senats vom 22.05.2015, - L 8 SB 70/13 -, juris, www.sozialgerichtsbarkeit.de). Folglich stellt der Senat für die Zeit bis zum 31.12.2008 auf die AHP, bis 14.01.2015 auf die von der Rechtsprechung für die Feststellung des Merkzeichens "aG" entwickelten Kriterien und für die Zeit ab dem 15.01.2015 auf die in den VG geregelten Kriterien ab. Ab 30.12.2016 gilt die Neuregelung des § 146 Abs. 3 SGB IX. Eine Übergangsregelung enthält das Gesetz insoweit nicht, so dass § 146 Abs. 3 SGB IX für alle Ansprüche gilt, über die am Tag des Inkrafttretens noch nicht bestandskräftig entschieden wurde.
Vorliegend besteht weder auf der Basis der bis zum 30.12.2016 geltenden Regelungen (hierzu unter a.) noch für die Zeit ab Inkrafttreten der Neuregelung des § 146 SGB IX (hierzu unter b.) ein Anspruch des Klägers auf Feststellung des Merkzeichen "aG".
a.) Der Kläger gehört unstreitig nicht zu dem in Abschnitt II Nr. 1 der VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO ausdrücklich genannten Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten. Der Kläger kann dem genannten Personenkreis auch nicht gleichgestellt werden. Für den Senat steht fest, dass seine Gehfähigkeit nicht in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nicht nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in der VwV genannten Personen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann. Dies ergibt sich aus den zu den Akten gelangten medizinischen Unterlagen und insbesondere auch aus seinen eigenen Angaben gegenüber dem Gutachter Dr. S ...
Der Senat war insoweit auch nicht daran gehindert, das Gutachten des Dr. S. zu verwerten. Zwar hat der Kläger angegeben, in den Äußerungen des Gutachters manifestiere sich eine Voreingenommenheit des Gutachters, die nur mit einer möglichen Befangenheit gegenüber dem Kläger zu erklären sei. Ein ausdrücklicher Antrag auf Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit (§§ 406 Abs. 1 Satz 1, 42 ZPO, § 202 SGG) wurde durch den Kläger jedoch nicht gestellt. Ein solcher wäre im Übrigen auch unzulässig. Der Ablehnungsantrag ist nach § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO iVm § 202 SGG vor der Vernehmung des Sachverständigen zu stellen, spätestens jedoch binnen zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung. Zu einem späteren Zeitpunkt ist die Ablehnung nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO nur zulässig, wenn die Antragstellenden glaubhaft machen, dass sie ohne Verschulden verhindert waren, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn erst aus dem schriftlich abgefassten Gutachten der Ablehnungsgrund ersichtlich wird. In diesem Fall endet die Frist für den Ablehnungsantrag mit dem Ablauf der Frist, die das Gericht den Beteiligten zur Stellungnahme zum Gutachten eingeräumt hat. Ansonsten ist der Ablehnungsantrag unverzüglich, d.h. innerhalb einer angemessenen Überlegungszeit zu stellen (zum Ganzen Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., § 118 RdNr. 12l). Das Gutachten des Dr. S. wurde dem Kläger mit richterlicher Verfügung vom 04.05.2016 zur Stellungnahme binnen vier Wochen übersandt. Mit Schreiben vom 13.06.2016 teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers lediglich mit, dass die Klage nicht zurückgenommen werde und das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bestünde. Erst mit Schreiben vom 06.07.2016 wurden Einwände gegen das Gutachten erhoben, ein Befangenheitsantrag wurde jedoch auch zu diesem Zeitpunkt nicht gestellt. Der Senat hat daher das klägerische Vorbringen als bloßen Beitrag zur Beweiswürdigung des Gutachtens von Dr. S. gewertet. Entgegen der Auffassung des Klägers hat der Senat keine Veranlassung, an der Aussagekraft des Gutachtens von Dr. S. zu zweifeln. Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür gewinnen können, dass das Gutachten von sachfremden Erwägungen geprägt ist und nicht von fachlich fundierten Untersuchungsmethoden und allein medizinischer Überzeugungsbildung getragen ist.
Bei der Untersuchung durch Dr. S. zeigte sich Muskelrelief und -tonus soweit regelrecht. Ein sicherer Hinweis für latente oder manifeste Paresen an den Extremitäten fand sich nicht. Der Ein-Bein-Stand war deutlich unsicher. Alle Gelenke der oberen und unteren Extremitäten waren frei beweglich. Nervendehnungszeichen bestanden nicht. Im Langsitz bei Demonstrierung von Gymnastikübungen erreichte der Kläger mit den Fingerkuppen nahezu die Fußspitzen beidseits. Das Gangbild war unsicher und etwas breitbasig. Die Schrittlänge war verkürzt. Der Kläger hielt zeitweilig beim Gehen inne und taumelte. Ein auf das Schwerste eingeschränkte Gehvermögen liegt bei dem Kläger danach nicht vor. Insoweit gab der Kläger auch an, er werde montags bis freitags von jemanden von der Lebenshilfe abgeholt, gemeinsam gehe man dann für eine halbe Stunde spazieren. Die Ehefrau des Klägers teilte hierzu mit, sie könne den Kläger nicht begleiten, da die Wohngegend sehr hügelig sei. Soweit der Kläger nunmehr rügt, der Gutachter habe die Gehzeiten von 20 bis 30 Minuten geschätzt, erschließt sich dies dem Senat nicht, nachdem die Angabe auf der eigenen Auskunft des Klägers beruht. Auch soweit der Kläger nunmehr angibt, es werde bei dieser Annahme eine gleich bleibende, relativ gute gesundheitliche Verfassung vorausgesetzt, die es in seinem hohen Alter nur noch selten gebe, entspricht dies nicht den eigenen Angaben während der Begutachtung.
Soweit der Kläger rügt, Dr. S. lege die Auswirkungen der Polyneuropathie nicht näher dar, ist diese Rüge ebenfalls nicht nachvollziehbar. Dr. S. führt die von ihm aufgeführten Einschränkungen ausdrücklich auf die Polyneuropathie zurück. Entscheidend sind zudem nicht die Diagnosen, sondern die vorliegenden Funktionseinbußen sowie die konkreten Einschränkungen. Diese hat Dr. S. jedoch dargestellt.
Ein auf das Schwerste eingeschränkte Gehvermögen liegt bei dem Kläger danach nicht vor.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der zeugenschaftlichen Auskunft des Dr. S. vom 23.10.2014. Dieser hat selbst angegeben, dass von einer normalen Gehwegstrecke ausgegangen werden könne. Auch Orientierungsstörungen bestünden nicht. Zwar hat Dr. S. weiter angegeben, dass durch das Auftreten von Doppelbildern eine falsche Lokalisation eines Autos eintreten könne, wodurch eine erhebliche Beeinträchtigung entstehe. Für die Feststellung des Merkzeichens "aG" ist dies jedoch nicht maßgeblich. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 19.05.2017 - L 8 SB 2009/16, sozialgerichtsbarkeit) sind für die Prüfung der Gleichstellung nur die Beeinträchtigungen des Gehvermögens selbst und nicht Funktionsstörungen, die das Gehvermögen nicht oder nur peripher einschränken, maßgebend. Dies folgt unmittelbar aus den aufgeführten schwerwiegenden Gehbehinderungen der in Abschnitt II Nr. 1 der VwV-StV zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StV genannten Personen, mit denen eine Gleichstellung zu prüfen ist (Senatsurteil vom 24.01.2014 - L 8 SB 2723/13 – juris und vom 23.07.2010 – L 8 SB 3119/08 –, juris). Der Wortlaut des § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG ergibt, dass es allein auf das Maß der Gehbehinderung ankommt. Auch der Zusammenhang mit der Regelung in der VwV-StVO macht den Gesetzeszweck deutlich, dass das Restgehvermögen für den Nachteilsausgleich "aG" maßgebend ist. Nach der an diesem Gesetzeszweck orientierten Rechtsprechung des BSG muss daher der Leidenszustand die Möglichkeit der Fortbewegung auf das Schwerste behindern (grundlegend BSG 08.05.1981 - 9 RVs 5/80 -). Die genannte Rechtsprechung ist in der Folgezeit durch weitere Entscheidungen des BSG bestätigt worden (z.B. BSG 06.11.1985 - 9a RVs 7/83 - und BSG 13.12.1994 - 9 RVs 3/94 - betreffend Anfallsleiden und Störungen der Orientierungsfähigkeit; s. auch BSG 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R - und BSG 05.07.2007 - B 9/9a SB 5/06 R betreffend den Begriff der großen Anstrengung). Allen genannten Entscheidungen gemein ist, dass der Nachteilsausgleich "aG" eine Einschränkung des Gehvermögens des betreffenden Behinderten auf das Schwerste erfordert. Danach sind maßgebend für den Nachteilsausgleich "aG" nur die Beeinträchtigungen des Gehvermögens selbst (die auch auf schweren Herz- und Lungenkrankheiten beruhen können) und nicht Funktionsstörungen, die das Gehvermögen als solches nicht beeinträchtigen. Aus Gesundheitsstörungen, die das Gehvermögen nicht oder nur peripher einschränken, sondern lediglich bewirken, dass ein tatsächlich vorhandenes Gehvermögen nicht ausgenutzt wird, kann eine außergewöhnliche Gehbehinderung nicht abgeleitet werden (vgl. z.B. Senatsurteile vom 24.02.2012 – L 8 SB 1738/11 – betreffend eine phobische Gangbildstörung, vom 20.05.2011 -L 8 SB 4848/10 - betreffend Stuhlinkontinenz und vom 29.07.2011 - L 8 SB 576/10 - betreffend Orientierungslosigkeit; alle nicht veröffentlicht; s. auch Senatsurteil vom 24.01.2014 - L 8 SB 2723/13 – juris). Orientierungsstörungen, die durch die Doppelbilder auftreten können, werden durch das Merkzeichen "B", welches beim Kläger bereits festgestellt ist, ausgeglichen.
Gleiches gilt für die Auskunft des Dr. R. vom 13.11.2014, der ebenfalls selbst angibt, es lägen keine Einschränkungen vor. Soweit der Kläger solche mit plötzliche Schlafanfällen bedingt durch das Schlaf-Apnoe-Syndrom begründet, welche schon nicht nachgewiesen sind - Dr. R. gibt insoweit eine Tagesmüdigkeit sowie ein Schlafbedürfnis am Nachmittag an -, bewirken auch diese lediglich, dass ein tatsächlich vorhandenes Gehvermögen nicht ausgenutzt wird. Dies reicht jedoch - wie dargelegt - für die Anerkennung des Merkzeichens "aG" nicht aus. Für neurologische Erkrankungen wie Anfallsleiden - die mit einem plötzlichen Schlafanfall vergleichbar sind - hat das BSG in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass die dauernde Gefahr des Eintretens einer außergewöhnlichen Gehunfähigkeit infolge von Anfällen nicht dem dauernden Fortbestand der außergewöhnlichen Gehunfähigkeit gleichzusetzen ist und eine einer hochgradigen Einschränkung der Herzleistung oder Lungenfunktion vergleichbare Beeinträchtigung erst bei einer gleichbleibenden Häufigkeit von Anfällen erreicht wird, die "ständig" einen Rollstuhl erforderlich macht (BSG 16.03.2016 – B 9 SB 1/15 R – juris RdNr. 21). Ein entsprechendes Erfordernis besteht bei dem Kläger nicht. Nach den Schilderungen des Gutachters Dr. S. werden vielmehr keine orthopädischen Hilfsmittel verwendet.
Weiter ergibt sich auch aus der zeugenschaftlichen Auskunft des Dr. B. vom 02.12.2014 keine andere Beurteilung. Soweit er angegeben hat, dass die Wegstecke aus orthopädischer Sicht nur noch 50 m betrage, ergibt sich schon aus der - wenn auch geringen - möglichen Wegstrecke, dass der Kläger nicht vom ersten Schritt an außergewöhnlich gehbehindert ist. Seine Begründung für diese Wegstreckeneinschätzung, nämlich Schmerzen und eine Sturzneigung, trägt nach dem Gutachten von Dr. S. die Bewertung einer solchen Funktionseinschränkung nicht. Eine schmerzbedingte Gehstörung in diesem Ausmaß lässt sich bereits aus den eigenen Angaben des Klägers bei der Untersuchung durch Dr. S. nicht ableiten. Vor dem Hintergrund der strengen Anforderungen an die Vergabe des Merkzeichens auch im Hinblick auf den geforderten Dauerzustand begründet eine Sturzgefahr nur dann die Inanspruchnahme des Merkzeichens "aG", wenn diese Gefahr so ausgeprägt ist, dass aus der objektiven und medizinisch begründeten Sicht eines vernünftigen Behinderten, der sich in der gleichen Situation wie der Kläger befindet, dieser dauerhaft auf einen Rollstuhl angewiesen wäre (LSG Hamburg, Urteil vom 21.07.2016 - L 3 SB 20/15 - juris). Dies ist vorliegend nicht der Fall.
An der Beurteilung ändert ebenfalls die zeugenschaftliche Auskunft des Dr. J. nichts. Auch dieser begründet zur Bejahung des Merkzeichens "aG" mit der Sturzneigung des Klägers. Dies rechtfertigt die Feststellung jedoch nicht.
Soweit der Kläger zuletzt noch das neurootologische Gutachten des PD Dr. Schn. vom 22.05.2008 vorgelegt hat, ändert auch dies nichts an der Beurteilung und war zudem auch schon Gegenstand des Verfahrens L 3 SB 4847/05. Der Gutachter rechtfertigt die Einschränkung der Gehfähigkeit ebenfalls allein mit einer Sturzneigung bei Schwindelanfällen.
b.) Auch mit Inkrafttreten der Neuregelung des § 146 Abs. 3 SGB IX zum 30.12.2016 ergibt sich kein Anspruch des Klägers auf Feststellung des Merkzeichens "aG". Bei dem Kläger besteht bereits keine mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung, die nur für sich einen GdB von 80 bedingen würde. Zwar ist bei ihm zurzeit bestandskräftig ein Gesamt-GdB von 100 zuerkannt, diejenigen Gesundheitsstörungen, die sich im Sinne von § 146 Abs. 3 SGB IX auf die Mobilität auswirken, bedingen jedoch keinen GdB von 80. Von den Beeinträchtigungen im Funktionssystem des Gehirns einschließlich der Psyche, die mit einem Einzel-GdB von 50 bewertet sind, handelt sich nur bei den Gleichgewichtsstörungen um mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigungen. Von den Beeinträchtigungen der Wirbelsäule (Funktionssystem Rumpf), die einen Teil-GdB von 30 begründen, entfällt nur ein Teil auf die Lendenwirbelsäule. Im Übrigen bestehen mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigungen in der Form einer chronischen Bronchitis (Teil-GdB 20), einer Polyneuropathie (Teil-GdB 20) sowie von Hüft- und Kniebeschwerden und einer Funktionsstörung durch Fußfehlform (Teil-GdB 20, wobei hierbei noch Beschwerden im Bereich des Armes berücksichtigt wurden). Insofern kann bei dem Kläger von mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigungen mit einem GdB von allenfalls 60 ausgegangen werden.
Darüber hinaus vermag der Kläger außerhalb eines Kraftfahrzeugs ohne fremde Hilfe und ohne große Anstrengungen noch Wegstrecken zurückzulegen, die die Zuerkennung des Merkzeichen"aG" ausschließen. Auf die obigen Ausführungen wird insoweit Bezug genommen.
Die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "aG" liegen demnach nicht vor.
2. Grundlage für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" sind § 69 Abs. 4 SGB IX in Verbindung mit § 33b Abs. 3 Satz 3, Abs. 6 Satz 1 Einkommenssteuergesetz (EStG) und § 3 Abs. 1 Nr. 2 der Schwerbehinderten-Ausweisverordnung (SchwbAwV). Gemäß § 33b Abs. 6 Satz 3 EStG ist eine Person hilflos im Sinne dieser Regelungen, wenn sie für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den in Satz 3 dieser Vorschrift genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist (§ 33b Abs. 6 S. 4 EStG). Dieser Begriff der Hilflosigkeit geht auf Umschreibungen zurück, die von der Rechtsprechung des BSG im Schwerbehindertenrecht bezüglich der steuerlichen Vergünstigung und im Versorgungsrecht hinsichtlich der gleich lautenden Voraussetzungen für die Pflegezulage nach § 35 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) entwickelt worden sind. Dabei hat sich der Gesetzgeber bewusst nicht an den Begriff der Pflegebedürftigkeit im Sinne der §§ 14, 15 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) angelehnt (vgl. BSG, Urteile vom 12.02.2003 – B 9 SB 1/02 R –, juris RdNr. 11 und vom 24.11.2005 – B 9a SB 1/05 R – juris RdNr. 13).
Bei den gemäß § 33b Abs. 6 EStG zu berücksichtigenden Verrichtungen handelt es sich um solche, die im Ablauf eines jeden Tages unmittelbar zur Wartung, Pflege und Befriedigung wesentlicher Bedürfnisse des Betroffenen gehören sowie häufig und regelmäßig wiederkehren. Dazu zählen zunächst die auch von der Pflegeversicherung (vgl. § 14 Abs. 4 SGB XI) erfassten Bereiche der Körperpflege (Waschen, Duschen, Baden, Zahnpflege, Kämmen, Rasieren, Darm- und Blasenentleerung), Ernährung (mundgerechtes Zubereiten und Aufnahme der Nahrung) und Mobilität (Aufstehen, Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung). Diese Bereiche werden unter dem Begriff der so genannten Grundpflege zusammengefasst (vgl. § 14 Abs. 1 Satz 1, § 15 Abs. 3 SGB XI; § 37 Abs. 1 Satz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch). Hinzu kommen jene Verrichtungen, die in den Bereichen der psychischen Erholung, geistigen Anregung und der Kommunikation (Sehen, Hören, Sprechen, Fähigkeit zu Interaktionen) anfallen. Nicht vom Begriff der Hilflosigkeit umschlossen ist der Hilfebedarf bei hauswirtschaftlichen Verrichtungen (vgl. BSG, Urteile vom 12.02.2003 – B 9 SB 1/02 R –, juris RdNr. 12 und vom 24.11.2005 – B 9a SB 1/05 R – juris RdNr. 15). Bei psychisch oder geistig behinderten Menschen liegt Hilflosigkeit auch dann vor, wenn sie bei zahlreichen Verrichtungen des täglichen Lebens zwar keiner Handreichungen bedürfen, sie diese Verrichtungen aber infolge einer Antriebsschwäche ohne ständige Überwachung nicht vornähmen. Die ständige Bereitschaft ist z. B. anzunehmen, wenn Hilfe häufig und plötzlich wegen akuter Lebensgefahr notwendig ist (vgl. Teil A Nr. 4 c VMG).
Die tatbestandlich vorausgesetzte "Reihe von Verrichtungen" kann regelmäßig erst dann angenommen werden, wenn es sich um mindestens drei Verrichtungen handelt, die einen Hilfebedarf in erheblichem Umfang erforderlich machen. Zu den zu berücksichtigenden Verrichtungen zählen hierbei alle Verrichtungen der Grundpflege im Sinne der Pflegeversicherung (Körperpflege: Waschen, Duschen, Baden, Zahnpflege, Haarpflege, Rasieren, Toilettengang; Ernährung: mundgerechtes Zubereiten und Aufnahme der Nahrung; Mobilität: Aufstehen, Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppen steigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung, BSG, Urteil vom 12.02.2003 - B 9 SB 1/02 R - juris RdNr. 12). Hinzu kommen können ferner auch Maßnahmen zur psychischen Erholung, geistigen Anregung und Kommunikation (Sehen, Hören, Sprechen und Fähigkeit zu Interaktionen, BSG, Urteil vom 12.02.2003 - B 9 SB 1/02 R - juris RdNr. 12; Urteil vom 10.12.2002 - B 9 V 3/01 R - juris). Der Hilfebedarf bei der hauswirtschaftlichen Versorgung (z. B. Reinigen der Wohnung; Einkauf und Zubereitung von Mahlzeiten) ist dagegen nicht zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 12.02.2003 - B 9 SB 1/02 R - juris RdNr. 12). Die Beurteilung der Erheblichkeit orientiert sich an dem Verhältnis der dem Beschädigten nur noch mit fremder Hilfe möglichen Verrichtungen zu denen, die er auch ohne fremde Hilfe bewältigen kann. In der Regel wird dabei neben der Zahl der Verrichtungen auf den wirtschaftlichen Wert der Hilfe und den zeitlichen Aufwand abzustellen sein, wobei Maßstab für die Erheblichkeit des Hilfebedarfs in erster Linie der tägliche Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen ist. Gemessen an diesem Maßstab ist nicht hilflos, wer nur in relativ geringem Umfang, täglich etwa eine Stunde, auf fremde Hilfe angewiesen ist. Daraus ergibt sich jedoch nicht schon, dass bei einem Überschreiten dieser Mindestgrenze in jedem Fall Hilflosigkeit zu bejahen ist. Typisierend ist vielmehr Hilflosigkeit grundsätzlich erst dann anzunehmen, wenn der tägliche Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen mindestens zwei Stunden erreicht. Um den individuellen Verhältnissen Rechnung tragen zu können, ist aber nicht allein auf den zeitlichen Betreuungsaufwand abzustellen; vielmehr sind auch die weiteren Umstände der Hilfeleistung, insbesondere deren wirtschaftlicher Wert zu berücksichtigen. Dieser wird wesentlich durch die Zahl und die zeitliche Verteilung der Verrichtungen bestimmt (vgl. BSG, Urteile vom 12.02.2003 – B 9 SB 1/02 R – juris RdNr. 14ff und vom 24.11.2005 – B 9a SB 1/05 R – juris RdNr. 16f).
Gemessen an diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichen "H" weder unter Berücksichtigung der Ausführungen des Dr. S. , noch unter Berücksichtigung der Ausführungen im Pflegegutachten der Dr. W. , vor.
Dr. S. hat insoweit einen Gesamtzeitbedarf für die Grundpflege von 15 Minuten am Tag festgestellt, welcher damit hinter dem nach der Rechtsprechung des BSG für die Annahme von Hilflosigkeit erforderlichen Hilfebedarf von jedenfalls einer Stunde täglich zurückbleibt.
Soweit der Kläger dies als Fehlfeststellung betrachtet und auf das Pflegegutachten der Dr. W. verweist, welche einen Gesamtpflegeaufwand von 91 Minuten festgestellt hat, ändert dies an der Beurteilung nichts. Zwar gelangt Dr. W. zu einem Gesamtaufwand von 91 Minuten, dieser setzt sich jedoch zusammen aus 46 Minuten Grundpflege und 45 Minuten hauswirtschaftliche Versorgung. Der Hilfebedarf bei der hauswirtschaftlichen Versorgung ist - wie ausgeführt - jedoch nicht bei der Beurteilung der Hilflosigkeit zu berücksichtigen. Damit liegen auch unter Zugrundelegung der Ausführungen im Pflegegutachten der Dr. W. die Voraussetzungen für eine Feststellung des Merkzeichen "H" nicht vor.
Dieser Beurteilung steht auch nicht entgegen, dass bei dem Kläger beamtenrechtlich Hilflosigkeit gemäß § 49 Landesbeamtenversorgungsgesetz Baden-Württemberg (LBeamtVGBW) anerkannt wurde. Der Beklagte ist an diese Feststellung nicht gebunden. Die in § 69 Abs. 2 SGB IX vorgesehene Bindungswirkung bezieht sich auf das Vorliegen einer Behinderung und den (Gesamt-)GdB.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der zeugenschaftlichen Auskunft des behandelnden Hausarztes Dr. J ... Dieser hat zwar angegeben, der Kläger sei hilfebedürftig beim Waschen, Duschen und Baden. Er benötige Assistenz beim Aufstehen und Zubettgehen, beim An- und Auskleiden, beim Stehen und Gehen, beim Treppensteigen, bei Spaziergängen, im Straßenverkehr ebenso beim Besuch von Kulturveranstaltungen. Zudem sei auch die mundgerechte Zubereitung der Speisen erforderlich. Diese Angabe alleine rechtfertigt jedoch noch nicht die Feststellung des Merkzeichens "H". Angaben zum zeitlichen Umfang, die das Pflegegutachten der Dr. W. bzw. die Angaben des Dr. S. erschüttern könnten und die für die Annahme eines erheblichen Hilfebedarfs erforderlich sind, enthält die Auskunft des Dr. J. jedoch nicht. Anhaltspunkte für eine andere Beurteilung ergeben sich auch nicht aus den übrigen zeugenschaftlichen Auskünften.
Die Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" waren mithin nicht festzustellen.
Anlass zu weiteren Ermittlungen besteht nicht. Der Sachverhalt ist durch die vom Senat durchgeführten Ermittlungen und die zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen vollständig aufgeklärt und vermitteln dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO). Der medizinische festgestellte Sachverhalt bietet die Basis für die vom Senat vorzunehmende rechtliche Bewertung des Vorliegens der Voraussetzungen der Merkzeichen "aG" und "H". Dass sich aus der Einsetzung der Stents erhebliche Mobilitätsbeeinträchtigungen ergeben ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Der Senat sah sich auch nicht veranlasst, weitere Ermittlungen hinsichtlich der Wirbelsäulenerkrankung durchzuführen. Der anwaltlich vertretene Kläger hat insoweit - trotz Aufforderung - keine entsprechenden Befundberichte vorgelegt. Ermittlungen "ins Blaue hinein" waren nicht angezeigt.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob bei dem Kläger die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung der Nachteilsausgleiche "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) und "H" (Hilflosigkeit) vorliegen.
Bei dem 1932 geborenen Kläger stellte das Versorgungsamt K. zuletzt mit Bescheid vom 17.12.2003 (Bl. 295/297 der Verwaltungsakte) in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 03.03.2004 (Bl. Bl. 307 der Verwaltungsakte) einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen "G" (erhebliche Bewegungsunfähigkeit im Straßenverkehr) und "B" (ständige Begleitung) fest, die Feststellung des Merkzeichens "aG" lehnte es hingegen ab. Folgende Funktionsbeeinträchtigungen lägen vor: Funktionelle Organbeschwerden, seelische Störung, Gleichgewichtsstörungen, essenzieller Tremor (GdB 50), Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Wirbelsäulenverformung, Wachstumsstörung - Scheuermann’sche Krankheit (GdB 30), Sehminderung beidseits, eingepflanzte Kunstlinse beidseits (GdB 20), chronische Bronchitis, Schlafapnoe-Syndrom (GdB 20), Schwerhörigkeit beidseits (GdB 20), Verlust der Prostata (GdB 10), Polyneuropathie (GdB 10), Hüft-, Ellenbogen- und Schulterbeschwerden, Großzehenarthrose, Hüft- und Kniearthrosen (GdB 10).
Die hiergegen erhobene Klage vor dem Sozialgericht Karlsruhe (Az. S 10 SB 1280/04) und die anschließende Berufung vor dem Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg (L 3 SB 4847/05) blieben ohne Erfolg.
Am 15.04.2014 beantragte der Kläger bei dem nunmehr zuständigen Landratsamt E. - Sozial- und Versorgungsamt (LRA) die Feststellung des Merkzeichens "aG" sowie des Merkzeichens "H" (Bl. 342 der Verwaltungsakte). Das LRA zog daraufhin Befundunterlagen von dem Facharzt für Orthopädie Dr. B. (Bl. 344 ff. der Verwaltungsakte) sowie von dem Arzt für Innere Medizin Dr. J. (Bl. 353 ff. der Verwaltungsakte) bei und ließ diese versorgungsmedizinisch auswerten.
Entsprechend der versorgungsärztlichen Stellungnahme der Ärztin D. vom 15.05.2014 lehnte das LRA den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 26.05.2014 (Bl. 358/360 der Verwaltungsakte) ab. Zur Begründung seines hiergegen mit Schreiben vom 30.05.2014 erhobenen Widerspruchs (Bl. 362 der Verwaltungsakte) führte der Kläger an, das Landesamt für Besoldung und Versorgung (LBV) habe mit Wirkung zum 18.01.2005 festgestellt, dass er wegen den Folgen eines Dienstunfalls hilflos sei. Nachdem das LBV bereits die Hilflosigkeit anerkannt habe, sei die Versagung des Merkzeichens "H" rechtswidrig. Zudem sei die Entscheidung nicht ausreichend begründet, es werde lediglich auf die Normen des SGB IX hingewiesen. Es fehlten jedoch Angaben zu den beteiligten Ärzten und deren Feststellungen zu seinem gesundheitlichen Status. Das LRA habe das Gehvermögen ausschließlich nach dem Status der unteren Gliedmaßen beurteilt. Diese Verfahrensweise sei pure Ignoranz. Dem LRA sei entgangen, dass der menschliche Körper ohne ein funktionsfähiges Hirn bewegungsunfähig bleibe. Aufgrund seines Dienstunfalls leide er unter erheblichen Folgen.
Entsprechend der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. W. vom 14.07.2014 lehnte das Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt des Widerspruch des Kläger mit Widerspruchsbescheid vom 24.07.2014 (Bl. 369/372 der Verwaltungsakte) ab.
Hiergegen erhob der Kläger am 25.08.2014 Klage bei dem Sozialgericht Karlsruhe (SG). Zur Begründung wiederholte und vertiefte er sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren. Ergänzend teilte er mit, dass er außerhalb des PKW schon nach wenigen Schritten ermüde. Er drohe zu stürzen bzw. stürze, wenn fremde Hilfe nicht zur Verfügung stehe. Er sei insbesondere wegen seiner psychomotorischen Retardierung und den Folgen der früheren Hirnverletzungen nicht im Stande, sich im innerstädtischen Fußgängerverkehr ohne Selbstgefährdung oder ohne Gefährdung anderer ohne eine Begleitperson fortzubewegen. Aus diesen Gründen sei ihm auch das Merkzeichen "H" zuzuerkennen. Er bedürfe für die häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im täglichen Ablauf (Ankleidung, Essen, Waschen, Kleidung richten) einer ständigen Hilfe und Beaufsichtigung. Hierfür sei ein Zeitaufwand von mindestens 2 Stunden erforderlich.
Zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sacherhalts befragte das SG die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen. Facharzt für Innere Medizin Dr. C. teilte mit (Auskunft vom 17.10.2014, Bl. 26 ff. der SG-Akte), der Kläger habe sich in der Zeit von Januar 2009 bis September 2014 insgesamt viermal in seiner Praxis vorgestellt. Nach der Herzschrittmacher-Implantation April 2009 habe sich das Luftnotgefühl bei Belastung gebessert. Behinderungen, die sich auf die Gehfähigkeit auswirkten, lägen in seinem Fachgebiet nicht vor. Zum Merkzeichen "H" könne er keine Angaben machen. Augenarzt Dr. S. gab an (Auskunft vom 23.10.2014, Bl. 34 ff. der SG-Akte), der Kläger könne Wegstrecken im Ortsverkehr ohne wesentliche Einschränkungen zurücklegen. Auch bei der frisch aufgetretenen Doppelwahrnehmung erfolge eine Adaption in der Gestalt, dass der Kläger wisse, welches Doppelbild das Scheinbild sei. Er gehe davon aus, dass sich der Kläger meistens ohne fremde Hilfe zurechtfinden könne. Neurologe Prof. Dr. K. bekundete (Auskunft vom 23.10.2014, Bl. 37 ff. der SG-Akte), es liege sowohl eine Gang- als auch eine Standataxie vor, welche eine gewisse Unsicherheit beim Gehen und Stehen mit der Tendenz zum Fallen bedeute. Kardiologe Prof. Dr. Z. teilte mit (Auskunft vom 04.11.2014, Bl. 44 der SG-Akte), der Kläger stelle sich lediglich zu Schrittmacherkontrollen vor. Arzt für Innere Medizin Dr. J. gab unter Übersendung weiterer Unterlagen an (Auskunft vom 17.11.2014, Bl. 47 ff. der SG-Akte), es bestünden keine Paresen, jedoch könne sich der Kläger wegen der Sturzneigung nur in Begleitung bewegen. Dies gelte auch für Gehstrecken bis 50 m. Der Kläger sei zudem hilfebedürftig beim Waschen, Duschen und Baden, beim Aufstehen und Zubettgehen, beim An- und Auskleiden, die mundgerechte Zubereitung von Speisen sei erforderlich. HNO-Arzt Dr. R. teilte mit (Auskunft vom 13.11.2014, Bl. 64 f. der SG-Akte), aufgrund der HNO-Erkrankung bestünden weder Einschränkungen im Hinblick auf das Merkzeichen "aG" noch auf das Merkzeichen "H". Arzt für Orthopädie Dr. B. bekundete (Auskunft vom 02.12.2014, Bl. 66 der SG-Akte), aus orthopädischer Sicht betrage die Wegstrecke nur noch 50 Meter. Die Schwierigkeit bestünde in einer schmerzbedingten Gehbehinderung und einer Sturzgefährdung.
Das SG zog zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhalts die medizinischen Unterlagen des LBV bei. Dieses übersandte mit Schreiben vom 30.04.2015 ein amtsärztliches Gutachten der Ärztin für Allgemeinmedizin und öffentliches Gesundheitswesen Dr. S.-W. vom 23.08.2004 (Bl. 80 ff. der SG-Akte) sowie ein Pflegegutachten der Dr. W. vom 03.07.2014 (Bl. 84 ff der SG-Akte).
Das SG beauftragte sodann den Orthopäden Dr. J. mit der Erstellung eines orthopädischen Gutachtens. Der Kläger teilte daraufhin mit, dass er sich keiner weiteren orthopädischen Begutachtung unterziehen wolle, da dies in seinem Alter eine erhebliche Belastung darstelle. Ausgangspunkt und Ursache der von ihm geltend gemachten Behinderungen sei die durch den früheren Unfall beeinträchtigte Steuerungsfähigkeit des Gehirns. Er bitte daher darum, den Gutachtensauftrag an den Orthopäden zurückzuziehen und ein neurologisches Gutachten in Auftrag zu geben.
Zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhalts erhob das SG sodann das nervenärztliche Gutachten des Facharztes für Innere Medizin, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S. vom 29.04.2016, welcher den Kläger am 22.04.2016 persönlich untersuchte (Bl. 101 ff. der SG-Akte). Es bestehe ein unsicherer Gang. In Begleitung könne der Kläger entsprechend seiner Angaben noch etwa 20 bis 30 Minuten langsam gehen. Die Wegstrecke werde auf 500 m bis 1 km geschätzt. Der Kläger sei nicht als hilflos anzusehen.
Mit Urteil vom 15.07.2016 wie das SG die Klage ab.
Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 21.07.2016 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19.08.2016 Berufung bei dem SG erhoben (Eingang beim LSG am 24.08.2016). Zur Begründung hat er angeführt, das Urteil gründe sich im Wesentlichen auf das Gutachten des Dr. S. vom 29.04.2016. Dieses Gutachten leide jedoch unter erheblichen Mängeln. Die Beantwortung der Beweisfragen seien teils unzutreffend, teils fehlerhaft und in wichtigen Punkten ohne Begründung geblieben, so dass die dazu getroffenen Aussagen des Gutachters nicht nachvollziehbar seien. Der Gutachter führe zwar im Wesentlichen die einzelnen Behinderungen auf, füge aber nicht den daraus folgenden Einzel-GdB hinzu. Dies verbaue dem Gutachter den Blick auf das Zusammenwirken der Behinderungen. Der Diabetes mellitus bedinge einen GdB von 20, da eine medikamentöse Behandlung erfolge. Wenn das eingenommene Präparat kein Hypoglykämiepotenzial enthalten sollte, dann sei zu prüfen, ob die ärztliche Behandlung lege artis erfolge. Die Auswirkungen der Polyneuropathie auf die Gehfähigkeit würden nicht näher dargelegt. Die Aussage, die anerkannten "Gleichgewichtstörungen" hätten kein organisches Korrelat sei nicht weiter begründet. Hinsichtlich der Wegstrecken im Ortsverkehr hätte das Gutachten eine Abwägung treffen müssen zwischen der Bestform und der schlechtesten Tagesform. Der Gutachter unterlasse es, eine Verknüpfung der orthopädischen Einschränkungen und der weiteren körperlichen Behinderungen mit dem hirnorganischen Leiden vorzunehmen. Er setze sich zudem nicht ausreichend mit den vorliegenden medizinischen Unterlagen auseinander. Er begründe auch nicht, aus welchen Gründen er zu einem geringen Zeitaufwand bei der Grundpflege und Körperpflege komme als das Pflegegutachten. Zudem hätten sich die Einschränkungen im Bereich der Wirbelsäule verschlimmert.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15.07.2016 sowie den Bescheid vom 26.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 24.07.2014 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm die Merkzeichen "aG" und "H" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Mit Schreiben vom 30.12.2016 reichte der Kläger die Entlassungsanzeige des H. -Klinikums P. vom 17.10.2016 zu den Akten. Mit weiterem Schreiben vom 28.03.2017 legte der Kläger zudem das im Verfahren L3 SB 4847/05 erhobene neurootologische Gutachten des PD. Dr. Schn. vom 22.05.2008 (Bl. 35 ff. der Senatsakte) vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die angefallenen Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf einen Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, jedoch nicht begründet. Der Bescheid vom 26.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.07.2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung der Merkzeichen "aG" und "H". Das Urteil des SG vom 15.07.2016 ist nicht zu beanstanden.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens "aG".
Maßgebliche Rechtsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens "aG" ist § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX). Hiernach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Zu diesen Merkmalen gehört das im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften in den Schwerbehindertenausweis einzutragende Merkzeichen "aG" (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Schwerbehindertenausweisverordnung).
Mit Wirkung zum 30.12.2016 sind die Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" nunmehr in § 146 Abs. 3 SGB IX geregelt, der durch Art. 2 Nr. 13 des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) vom 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234) neu geschaffen wurde und die am 01.01.2018 in Kraft tretende Regelung des § 229 Abs. 3 SGB IX n.F. vorwegnimmt (Art. 26 Abs. 2 BTHG). Nach § 146 Abs. 3 Satz 1 SGB IX sind schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung Personen mit einer erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung, die einem Grad der Behinderung von mindestens 80 entspricht. Eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung liegt nach der Legaldefinition des § 146 Abs. 3 Satz 2 SGB IX vor, wenn sich die schwerbehinderten Menschen wegen der Schwere ihrer Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Damit normiert § 146 Abs. 3 SGB IX nunmehr zwei (kumulative) Voraussetzungen: Zum einen muss bei dem Betroffenen eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung bestehen, die zum anderen einem GdB von mindestens 80 entspricht. Mit der Bezugnahme auf mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigungen wollte sich der Gesetzgeber von der Einengung auf orthopädische Gesundheitsstörungen lösen, so dass "keine Fallgestaltung von vornherein bevorzugt oder ausgeschlossen wird, auch nicht dem Anschein nach" (BT-Drs. 18/9522, S. 318). Trotz dieser Ausweitung übernimmt die Neuregelung den bewährten Grundsatz, dass das Recht, Behindertenparkplätze zu benutzen, nur unter engen Voraussetzungen eingeräumt werden darf und verlangt daher auf der zweiten Prüfungsstufe einen - relativ hohen - GdB von wenigstens 80 für die mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung. Dabei ist an den tatsächlich zuerkannten GdB anzuknüpfen (Senatsurteil vom 27.01.2017 - L 8 SB 943/16, juris; sich dem anschließend LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 03.08.2017 - L 6 SB 3654/16, Sozialgerichtsbarkeit.de).
Die bisherige Rechtslage zum Merkzeichen "aG" ergab sich im Wesentlichen aus Abschnitt 2 Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) vom 26. Januar 2001 (BAnz S. 1419, berichtigt S. 5206). Ergänzende Vorschriften enthielt bzw. enthält weiterhin Teil D Nr. 3 c Satz 1 der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV).
Nach Abschnitt II Nr. 1 der VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO sind als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung insbesondere solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können, oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem zuvor genannten Personenkreis gleichzustellen sind.
Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten.
Zunächst konnte sich der Beklagte hinsichtlich der Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichen "aG" nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht auf die VG (Teil D Ziff. 3) berufen. Eine gesetzliche Ermächtigung für den Verordnungsgeber, die Grundsätze für die nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden Nachteilsausgleiche durch Verordnung regeln zu können, enthielten nach Auffassung des Senats weder § 30 Abs. 17 BVG in der Fassung bis 30.06.2011 bzw. § 30 Abs. 16 BVG in der ab 01.07.2011 gültigen Fassung, der nicht auf die im Schwerbehindertenrecht im SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche verweist (vgl. Dau, jurisPR SozR 4/2009), noch andere Regelungen des BVG. Eine Rechtsgrundlage zum Erlass einer Verordnung über Nachteilsausgleiche war bislang auch nicht in den einschlägigen Vorschriften des SGB IX vorhanden. Die Regelungen der VG zum Nachteilsausgleich aG (und G) waren damit nach ständiger Rechtsprechung des Senats mangels entsprechender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig (vgl. Urteile des Senats vom 23.07.2010 - L 8 SB 3119/08 - und vom 14.08.2009 - L 8 SB 1691/08 -, beide veröff. in juris und www.sozialgerichtsbarkeit.de; so auch der ebenfalls für Schwerbehindertenrecht zuständige 6. Senat des LSG Baden Württemberg, vgl. stellvertretend Urteil vom 04.11.2010 L 6 SB 2556/09, unveröffentlicht; offen lassend der 3. Senat, vgl. Urteil vom 17.07.2012 L 3 SB 523/12, unveröffentlicht). Rechtsgrundlage waren daher allein die genannten gesetzlichen Bestimmungen und die hierzu nach ständiger Rechtsprechung zulässig anzuwendenden Verwaltungsvorschriften.
Ein Betroffener war danach gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in Nr. 11 Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 1. Halbsatz VwV-StVO aufgeführten schwerbehinderten Menschen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 23). Hierbei ist zu beachten, dass die maßgebenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschrift nicht darauf abstellen, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur noch mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung - praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an und selbst unter Einsatz orthopädischer Hilfsmittel - erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt (vgl. BSG SozR 3-3250 § 69 Nr. 1 und Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R-, juris).
Mit Wirkung zum 15.01.2015 hat jedoch der Gesetzgeber in § 70 Abs. 2 SGB IX eine Verordnungsermächtigung eingeführt und in § 159 Abs. 7 SGB IX eine Übergangsregelung getroffen (eingefügt durch Art. 1a des am 15.01.2015 in Kraft getretenen Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/174/EG vom 07.01.2015; BGBl. II S. 15).
§ 70 Abs. 2 SGB IX in der Fassung vom 07.01.2015 lautet nunmehr: Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des Grades der Behinderung und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Von der Verordnungsermächtigung ist bislang kein Gebrauch gemacht worden.
Nach der ebenfalls am 15.01.2015 in Kraft getretenen Übergangsregelung des § 159 Abs. 7 SGB IX in der Fassung vom 07.01.2015 gelten, soweit noch keine Verordnung nach § 70 Abs. 2 erlassen ist, die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des Bundesversorgungsgesetzes erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend.
Nach Auffassung des Senats hat der Gesetzgeber mit der Übergangsregelung des § 159 Abs. 7 SGB IX ab dem 15.01.2015 wirksam und mit hinreichend bestimmtem Gesetzeswortlaut eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens "aG" geschaffen. Die so geschaffene Rechtsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens "aG" entfaltet jedoch keine Rückwirkung, sondern ist erst ab dem Datum des Inkrafttretens am 15.01.2015 wirksam (Urteil des Senats vom 22.05.2015, - L 8 SB 70/13 -, juris, www.sozialgerichtsbarkeit.de). Folglich stellt der Senat für die Zeit bis zum 31.12.2008 auf die AHP, bis 14.01.2015 auf die von der Rechtsprechung für die Feststellung des Merkzeichens "aG" entwickelten Kriterien und für die Zeit ab dem 15.01.2015 auf die in den VG geregelten Kriterien ab. Ab 30.12.2016 gilt die Neuregelung des § 146 Abs. 3 SGB IX. Eine Übergangsregelung enthält das Gesetz insoweit nicht, so dass § 146 Abs. 3 SGB IX für alle Ansprüche gilt, über die am Tag des Inkrafttretens noch nicht bestandskräftig entschieden wurde.
Vorliegend besteht weder auf der Basis der bis zum 30.12.2016 geltenden Regelungen (hierzu unter a.) noch für die Zeit ab Inkrafttreten der Neuregelung des § 146 SGB IX (hierzu unter b.) ein Anspruch des Klägers auf Feststellung des Merkzeichen "aG".
a.) Der Kläger gehört unstreitig nicht zu dem in Abschnitt II Nr. 1 der VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO ausdrücklich genannten Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten. Der Kläger kann dem genannten Personenkreis auch nicht gleichgestellt werden. Für den Senat steht fest, dass seine Gehfähigkeit nicht in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nicht nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in der VwV genannten Personen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann. Dies ergibt sich aus den zu den Akten gelangten medizinischen Unterlagen und insbesondere auch aus seinen eigenen Angaben gegenüber dem Gutachter Dr. S ...
Der Senat war insoweit auch nicht daran gehindert, das Gutachten des Dr. S. zu verwerten. Zwar hat der Kläger angegeben, in den Äußerungen des Gutachters manifestiere sich eine Voreingenommenheit des Gutachters, die nur mit einer möglichen Befangenheit gegenüber dem Kläger zu erklären sei. Ein ausdrücklicher Antrag auf Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit (§§ 406 Abs. 1 Satz 1, 42 ZPO, § 202 SGG) wurde durch den Kläger jedoch nicht gestellt. Ein solcher wäre im Übrigen auch unzulässig. Der Ablehnungsantrag ist nach § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO iVm § 202 SGG vor der Vernehmung des Sachverständigen zu stellen, spätestens jedoch binnen zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung. Zu einem späteren Zeitpunkt ist die Ablehnung nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO nur zulässig, wenn die Antragstellenden glaubhaft machen, dass sie ohne Verschulden verhindert waren, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn erst aus dem schriftlich abgefassten Gutachten der Ablehnungsgrund ersichtlich wird. In diesem Fall endet die Frist für den Ablehnungsantrag mit dem Ablauf der Frist, die das Gericht den Beteiligten zur Stellungnahme zum Gutachten eingeräumt hat. Ansonsten ist der Ablehnungsantrag unverzüglich, d.h. innerhalb einer angemessenen Überlegungszeit zu stellen (zum Ganzen Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., § 118 RdNr. 12l). Das Gutachten des Dr. S. wurde dem Kläger mit richterlicher Verfügung vom 04.05.2016 zur Stellungnahme binnen vier Wochen übersandt. Mit Schreiben vom 13.06.2016 teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers lediglich mit, dass die Klage nicht zurückgenommen werde und das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bestünde. Erst mit Schreiben vom 06.07.2016 wurden Einwände gegen das Gutachten erhoben, ein Befangenheitsantrag wurde jedoch auch zu diesem Zeitpunkt nicht gestellt. Der Senat hat daher das klägerische Vorbringen als bloßen Beitrag zur Beweiswürdigung des Gutachtens von Dr. S. gewertet. Entgegen der Auffassung des Klägers hat der Senat keine Veranlassung, an der Aussagekraft des Gutachtens von Dr. S. zu zweifeln. Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür gewinnen können, dass das Gutachten von sachfremden Erwägungen geprägt ist und nicht von fachlich fundierten Untersuchungsmethoden und allein medizinischer Überzeugungsbildung getragen ist.
Bei der Untersuchung durch Dr. S. zeigte sich Muskelrelief und -tonus soweit regelrecht. Ein sicherer Hinweis für latente oder manifeste Paresen an den Extremitäten fand sich nicht. Der Ein-Bein-Stand war deutlich unsicher. Alle Gelenke der oberen und unteren Extremitäten waren frei beweglich. Nervendehnungszeichen bestanden nicht. Im Langsitz bei Demonstrierung von Gymnastikübungen erreichte der Kläger mit den Fingerkuppen nahezu die Fußspitzen beidseits. Das Gangbild war unsicher und etwas breitbasig. Die Schrittlänge war verkürzt. Der Kläger hielt zeitweilig beim Gehen inne und taumelte. Ein auf das Schwerste eingeschränkte Gehvermögen liegt bei dem Kläger danach nicht vor. Insoweit gab der Kläger auch an, er werde montags bis freitags von jemanden von der Lebenshilfe abgeholt, gemeinsam gehe man dann für eine halbe Stunde spazieren. Die Ehefrau des Klägers teilte hierzu mit, sie könne den Kläger nicht begleiten, da die Wohngegend sehr hügelig sei. Soweit der Kläger nunmehr rügt, der Gutachter habe die Gehzeiten von 20 bis 30 Minuten geschätzt, erschließt sich dies dem Senat nicht, nachdem die Angabe auf der eigenen Auskunft des Klägers beruht. Auch soweit der Kläger nunmehr angibt, es werde bei dieser Annahme eine gleich bleibende, relativ gute gesundheitliche Verfassung vorausgesetzt, die es in seinem hohen Alter nur noch selten gebe, entspricht dies nicht den eigenen Angaben während der Begutachtung.
Soweit der Kläger rügt, Dr. S. lege die Auswirkungen der Polyneuropathie nicht näher dar, ist diese Rüge ebenfalls nicht nachvollziehbar. Dr. S. führt die von ihm aufgeführten Einschränkungen ausdrücklich auf die Polyneuropathie zurück. Entscheidend sind zudem nicht die Diagnosen, sondern die vorliegenden Funktionseinbußen sowie die konkreten Einschränkungen. Diese hat Dr. S. jedoch dargestellt.
Ein auf das Schwerste eingeschränkte Gehvermögen liegt bei dem Kläger danach nicht vor.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der zeugenschaftlichen Auskunft des Dr. S. vom 23.10.2014. Dieser hat selbst angegeben, dass von einer normalen Gehwegstrecke ausgegangen werden könne. Auch Orientierungsstörungen bestünden nicht. Zwar hat Dr. S. weiter angegeben, dass durch das Auftreten von Doppelbildern eine falsche Lokalisation eines Autos eintreten könne, wodurch eine erhebliche Beeinträchtigung entstehe. Für die Feststellung des Merkzeichens "aG" ist dies jedoch nicht maßgeblich. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 19.05.2017 - L 8 SB 2009/16, sozialgerichtsbarkeit) sind für die Prüfung der Gleichstellung nur die Beeinträchtigungen des Gehvermögens selbst und nicht Funktionsstörungen, die das Gehvermögen nicht oder nur peripher einschränken, maßgebend. Dies folgt unmittelbar aus den aufgeführten schwerwiegenden Gehbehinderungen der in Abschnitt II Nr. 1 der VwV-StV zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StV genannten Personen, mit denen eine Gleichstellung zu prüfen ist (Senatsurteil vom 24.01.2014 - L 8 SB 2723/13 – juris und vom 23.07.2010 – L 8 SB 3119/08 –, juris). Der Wortlaut des § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG ergibt, dass es allein auf das Maß der Gehbehinderung ankommt. Auch der Zusammenhang mit der Regelung in der VwV-StVO macht den Gesetzeszweck deutlich, dass das Restgehvermögen für den Nachteilsausgleich "aG" maßgebend ist. Nach der an diesem Gesetzeszweck orientierten Rechtsprechung des BSG muss daher der Leidenszustand die Möglichkeit der Fortbewegung auf das Schwerste behindern (grundlegend BSG 08.05.1981 - 9 RVs 5/80 -). Die genannte Rechtsprechung ist in der Folgezeit durch weitere Entscheidungen des BSG bestätigt worden (z.B. BSG 06.11.1985 - 9a RVs 7/83 - und BSG 13.12.1994 - 9 RVs 3/94 - betreffend Anfallsleiden und Störungen der Orientierungsfähigkeit; s. auch BSG 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R - und BSG 05.07.2007 - B 9/9a SB 5/06 R betreffend den Begriff der großen Anstrengung). Allen genannten Entscheidungen gemein ist, dass der Nachteilsausgleich "aG" eine Einschränkung des Gehvermögens des betreffenden Behinderten auf das Schwerste erfordert. Danach sind maßgebend für den Nachteilsausgleich "aG" nur die Beeinträchtigungen des Gehvermögens selbst (die auch auf schweren Herz- und Lungenkrankheiten beruhen können) und nicht Funktionsstörungen, die das Gehvermögen als solches nicht beeinträchtigen. Aus Gesundheitsstörungen, die das Gehvermögen nicht oder nur peripher einschränken, sondern lediglich bewirken, dass ein tatsächlich vorhandenes Gehvermögen nicht ausgenutzt wird, kann eine außergewöhnliche Gehbehinderung nicht abgeleitet werden (vgl. z.B. Senatsurteile vom 24.02.2012 – L 8 SB 1738/11 – betreffend eine phobische Gangbildstörung, vom 20.05.2011 -L 8 SB 4848/10 - betreffend Stuhlinkontinenz und vom 29.07.2011 - L 8 SB 576/10 - betreffend Orientierungslosigkeit; alle nicht veröffentlicht; s. auch Senatsurteil vom 24.01.2014 - L 8 SB 2723/13 – juris). Orientierungsstörungen, die durch die Doppelbilder auftreten können, werden durch das Merkzeichen "B", welches beim Kläger bereits festgestellt ist, ausgeglichen.
Gleiches gilt für die Auskunft des Dr. R. vom 13.11.2014, der ebenfalls selbst angibt, es lägen keine Einschränkungen vor. Soweit der Kläger solche mit plötzliche Schlafanfällen bedingt durch das Schlaf-Apnoe-Syndrom begründet, welche schon nicht nachgewiesen sind - Dr. R. gibt insoweit eine Tagesmüdigkeit sowie ein Schlafbedürfnis am Nachmittag an -, bewirken auch diese lediglich, dass ein tatsächlich vorhandenes Gehvermögen nicht ausgenutzt wird. Dies reicht jedoch - wie dargelegt - für die Anerkennung des Merkzeichens "aG" nicht aus. Für neurologische Erkrankungen wie Anfallsleiden - die mit einem plötzlichen Schlafanfall vergleichbar sind - hat das BSG in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass die dauernde Gefahr des Eintretens einer außergewöhnlichen Gehunfähigkeit infolge von Anfällen nicht dem dauernden Fortbestand der außergewöhnlichen Gehunfähigkeit gleichzusetzen ist und eine einer hochgradigen Einschränkung der Herzleistung oder Lungenfunktion vergleichbare Beeinträchtigung erst bei einer gleichbleibenden Häufigkeit von Anfällen erreicht wird, die "ständig" einen Rollstuhl erforderlich macht (BSG 16.03.2016 – B 9 SB 1/15 R – juris RdNr. 21). Ein entsprechendes Erfordernis besteht bei dem Kläger nicht. Nach den Schilderungen des Gutachters Dr. S. werden vielmehr keine orthopädischen Hilfsmittel verwendet.
Weiter ergibt sich auch aus der zeugenschaftlichen Auskunft des Dr. B. vom 02.12.2014 keine andere Beurteilung. Soweit er angegeben hat, dass die Wegstecke aus orthopädischer Sicht nur noch 50 m betrage, ergibt sich schon aus der - wenn auch geringen - möglichen Wegstrecke, dass der Kläger nicht vom ersten Schritt an außergewöhnlich gehbehindert ist. Seine Begründung für diese Wegstreckeneinschätzung, nämlich Schmerzen und eine Sturzneigung, trägt nach dem Gutachten von Dr. S. die Bewertung einer solchen Funktionseinschränkung nicht. Eine schmerzbedingte Gehstörung in diesem Ausmaß lässt sich bereits aus den eigenen Angaben des Klägers bei der Untersuchung durch Dr. S. nicht ableiten. Vor dem Hintergrund der strengen Anforderungen an die Vergabe des Merkzeichens auch im Hinblick auf den geforderten Dauerzustand begründet eine Sturzgefahr nur dann die Inanspruchnahme des Merkzeichens "aG", wenn diese Gefahr so ausgeprägt ist, dass aus der objektiven und medizinisch begründeten Sicht eines vernünftigen Behinderten, der sich in der gleichen Situation wie der Kläger befindet, dieser dauerhaft auf einen Rollstuhl angewiesen wäre (LSG Hamburg, Urteil vom 21.07.2016 - L 3 SB 20/15 - juris). Dies ist vorliegend nicht der Fall.
An der Beurteilung ändert ebenfalls die zeugenschaftliche Auskunft des Dr. J. nichts. Auch dieser begründet zur Bejahung des Merkzeichens "aG" mit der Sturzneigung des Klägers. Dies rechtfertigt die Feststellung jedoch nicht.
Soweit der Kläger zuletzt noch das neurootologische Gutachten des PD Dr. Schn. vom 22.05.2008 vorgelegt hat, ändert auch dies nichts an der Beurteilung und war zudem auch schon Gegenstand des Verfahrens L 3 SB 4847/05. Der Gutachter rechtfertigt die Einschränkung der Gehfähigkeit ebenfalls allein mit einer Sturzneigung bei Schwindelanfällen.
b.) Auch mit Inkrafttreten der Neuregelung des § 146 Abs. 3 SGB IX zum 30.12.2016 ergibt sich kein Anspruch des Klägers auf Feststellung des Merkzeichens "aG". Bei dem Kläger besteht bereits keine mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung, die nur für sich einen GdB von 80 bedingen würde. Zwar ist bei ihm zurzeit bestandskräftig ein Gesamt-GdB von 100 zuerkannt, diejenigen Gesundheitsstörungen, die sich im Sinne von § 146 Abs. 3 SGB IX auf die Mobilität auswirken, bedingen jedoch keinen GdB von 80. Von den Beeinträchtigungen im Funktionssystem des Gehirns einschließlich der Psyche, die mit einem Einzel-GdB von 50 bewertet sind, handelt sich nur bei den Gleichgewichtsstörungen um mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigungen. Von den Beeinträchtigungen der Wirbelsäule (Funktionssystem Rumpf), die einen Teil-GdB von 30 begründen, entfällt nur ein Teil auf die Lendenwirbelsäule. Im Übrigen bestehen mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigungen in der Form einer chronischen Bronchitis (Teil-GdB 20), einer Polyneuropathie (Teil-GdB 20) sowie von Hüft- und Kniebeschwerden und einer Funktionsstörung durch Fußfehlform (Teil-GdB 20, wobei hierbei noch Beschwerden im Bereich des Armes berücksichtigt wurden). Insofern kann bei dem Kläger von mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigungen mit einem GdB von allenfalls 60 ausgegangen werden.
Darüber hinaus vermag der Kläger außerhalb eines Kraftfahrzeugs ohne fremde Hilfe und ohne große Anstrengungen noch Wegstrecken zurückzulegen, die die Zuerkennung des Merkzeichen"aG" ausschließen. Auf die obigen Ausführungen wird insoweit Bezug genommen.
Die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "aG" liegen demnach nicht vor.
2. Grundlage für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" sind § 69 Abs. 4 SGB IX in Verbindung mit § 33b Abs. 3 Satz 3, Abs. 6 Satz 1 Einkommenssteuergesetz (EStG) und § 3 Abs. 1 Nr. 2 der Schwerbehinderten-Ausweisverordnung (SchwbAwV). Gemäß § 33b Abs. 6 Satz 3 EStG ist eine Person hilflos im Sinne dieser Regelungen, wenn sie für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den in Satz 3 dieser Vorschrift genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist (§ 33b Abs. 6 S. 4 EStG). Dieser Begriff der Hilflosigkeit geht auf Umschreibungen zurück, die von der Rechtsprechung des BSG im Schwerbehindertenrecht bezüglich der steuerlichen Vergünstigung und im Versorgungsrecht hinsichtlich der gleich lautenden Voraussetzungen für die Pflegezulage nach § 35 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) entwickelt worden sind. Dabei hat sich der Gesetzgeber bewusst nicht an den Begriff der Pflegebedürftigkeit im Sinne der §§ 14, 15 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) angelehnt (vgl. BSG, Urteile vom 12.02.2003 – B 9 SB 1/02 R –, juris RdNr. 11 und vom 24.11.2005 – B 9a SB 1/05 R – juris RdNr. 13).
Bei den gemäß § 33b Abs. 6 EStG zu berücksichtigenden Verrichtungen handelt es sich um solche, die im Ablauf eines jeden Tages unmittelbar zur Wartung, Pflege und Befriedigung wesentlicher Bedürfnisse des Betroffenen gehören sowie häufig und regelmäßig wiederkehren. Dazu zählen zunächst die auch von der Pflegeversicherung (vgl. § 14 Abs. 4 SGB XI) erfassten Bereiche der Körperpflege (Waschen, Duschen, Baden, Zahnpflege, Kämmen, Rasieren, Darm- und Blasenentleerung), Ernährung (mundgerechtes Zubereiten und Aufnahme der Nahrung) und Mobilität (Aufstehen, Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung). Diese Bereiche werden unter dem Begriff der so genannten Grundpflege zusammengefasst (vgl. § 14 Abs. 1 Satz 1, § 15 Abs. 3 SGB XI; § 37 Abs. 1 Satz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch). Hinzu kommen jene Verrichtungen, die in den Bereichen der psychischen Erholung, geistigen Anregung und der Kommunikation (Sehen, Hören, Sprechen, Fähigkeit zu Interaktionen) anfallen. Nicht vom Begriff der Hilflosigkeit umschlossen ist der Hilfebedarf bei hauswirtschaftlichen Verrichtungen (vgl. BSG, Urteile vom 12.02.2003 – B 9 SB 1/02 R –, juris RdNr. 12 und vom 24.11.2005 – B 9a SB 1/05 R – juris RdNr. 15). Bei psychisch oder geistig behinderten Menschen liegt Hilflosigkeit auch dann vor, wenn sie bei zahlreichen Verrichtungen des täglichen Lebens zwar keiner Handreichungen bedürfen, sie diese Verrichtungen aber infolge einer Antriebsschwäche ohne ständige Überwachung nicht vornähmen. Die ständige Bereitschaft ist z. B. anzunehmen, wenn Hilfe häufig und plötzlich wegen akuter Lebensgefahr notwendig ist (vgl. Teil A Nr. 4 c VMG).
Die tatbestandlich vorausgesetzte "Reihe von Verrichtungen" kann regelmäßig erst dann angenommen werden, wenn es sich um mindestens drei Verrichtungen handelt, die einen Hilfebedarf in erheblichem Umfang erforderlich machen. Zu den zu berücksichtigenden Verrichtungen zählen hierbei alle Verrichtungen der Grundpflege im Sinne der Pflegeversicherung (Körperpflege: Waschen, Duschen, Baden, Zahnpflege, Haarpflege, Rasieren, Toilettengang; Ernährung: mundgerechtes Zubereiten und Aufnahme der Nahrung; Mobilität: Aufstehen, Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppen steigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung, BSG, Urteil vom 12.02.2003 - B 9 SB 1/02 R - juris RdNr. 12). Hinzu kommen können ferner auch Maßnahmen zur psychischen Erholung, geistigen Anregung und Kommunikation (Sehen, Hören, Sprechen und Fähigkeit zu Interaktionen, BSG, Urteil vom 12.02.2003 - B 9 SB 1/02 R - juris RdNr. 12; Urteil vom 10.12.2002 - B 9 V 3/01 R - juris). Der Hilfebedarf bei der hauswirtschaftlichen Versorgung (z. B. Reinigen der Wohnung; Einkauf und Zubereitung von Mahlzeiten) ist dagegen nicht zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 12.02.2003 - B 9 SB 1/02 R - juris RdNr. 12). Die Beurteilung der Erheblichkeit orientiert sich an dem Verhältnis der dem Beschädigten nur noch mit fremder Hilfe möglichen Verrichtungen zu denen, die er auch ohne fremde Hilfe bewältigen kann. In der Regel wird dabei neben der Zahl der Verrichtungen auf den wirtschaftlichen Wert der Hilfe und den zeitlichen Aufwand abzustellen sein, wobei Maßstab für die Erheblichkeit des Hilfebedarfs in erster Linie der tägliche Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen ist. Gemessen an diesem Maßstab ist nicht hilflos, wer nur in relativ geringem Umfang, täglich etwa eine Stunde, auf fremde Hilfe angewiesen ist. Daraus ergibt sich jedoch nicht schon, dass bei einem Überschreiten dieser Mindestgrenze in jedem Fall Hilflosigkeit zu bejahen ist. Typisierend ist vielmehr Hilflosigkeit grundsätzlich erst dann anzunehmen, wenn der tägliche Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen mindestens zwei Stunden erreicht. Um den individuellen Verhältnissen Rechnung tragen zu können, ist aber nicht allein auf den zeitlichen Betreuungsaufwand abzustellen; vielmehr sind auch die weiteren Umstände der Hilfeleistung, insbesondere deren wirtschaftlicher Wert zu berücksichtigen. Dieser wird wesentlich durch die Zahl und die zeitliche Verteilung der Verrichtungen bestimmt (vgl. BSG, Urteile vom 12.02.2003 – B 9 SB 1/02 R – juris RdNr. 14ff und vom 24.11.2005 – B 9a SB 1/05 R – juris RdNr. 16f).
Gemessen an diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichen "H" weder unter Berücksichtigung der Ausführungen des Dr. S. , noch unter Berücksichtigung der Ausführungen im Pflegegutachten der Dr. W. , vor.
Dr. S. hat insoweit einen Gesamtzeitbedarf für die Grundpflege von 15 Minuten am Tag festgestellt, welcher damit hinter dem nach der Rechtsprechung des BSG für die Annahme von Hilflosigkeit erforderlichen Hilfebedarf von jedenfalls einer Stunde täglich zurückbleibt.
Soweit der Kläger dies als Fehlfeststellung betrachtet und auf das Pflegegutachten der Dr. W. verweist, welche einen Gesamtpflegeaufwand von 91 Minuten festgestellt hat, ändert dies an der Beurteilung nichts. Zwar gelangt Dr. W. zu einem Gesamtaufwand von 91 Minuten, dieser setzt sich jedoch zusammen aus 46 Minuten Grundpflege und 45 Minuten hauswirtschaftliche Versorgung. Der Hilfebedarf bei der hauswirtschaftlichen Versorgung ist - wie ausgeführt - jedoch nicht bei der Beurteilung der Hilflosigkeit zu berücksichtigen. Damit liegen auch unter Zugrundelegung der Ausführungen im Pflegegutachten der Dr. W. die Voraussetzungen für eine Feststellung des Merkzeichen "H" nicht vor.
Dieser Beurteilung steht auch nicht entgegen, dass bei dem Kläger beamtenrechtlich Hilflosigkeit gemäß § 49 Landesbeamtenversorgungsgesetz Baden-Württemberg (LBeamtVGBW) anerkannt wurde. Der Beklagte ist an diese Feststellung nicht gebunden. Die in § 69 Abs. 2 SGB IX vorgesehene Bindungswirkung bezieht sich auf das Vorliegen einer Behinderung und den (Gesamt-)GdB.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der zeugenschaftlichen Auskunft des behandelnden Hausarztes Dr. J ... Dieser hat zwar angegeben, der Kläger sei hilfebedürftig beim Waschen, Duschen und Baden. Er benötige Assistenz beim Aufstehen und Zubettgehen, beim An- und Auskleiden, beim Stehen und Gehen, beim Treppensteigen, bei Spaziergängen, im Straßenverkehr ebenso beim Besuch von Kulturveranstaltungen. Zudem sei auch die mundgerechte Zubereitung der Speisen erforderlich. Diese Angabe alleine rechtfertigt jedoch noch nicht die Feststellung des Merkzeichens "H". Angaben zum zeitlichen Umfang, die das Pflegegutachten der Dr. W. bzw. die Angaben des Dr. S. erschüttern könnten und die für die Annahme eines erheblichen Hilfebedarfs erforderlich sind, enthält die Auskunft des Dr. J. jedoch nicht. Anhaltspunkte für eine andere Beurteilung ergeben sich auch nicht aus den übrigen zeugenschaftlichen Auskünften.
Die Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" waren mithin nicht festzustellen.
Anlass zu weiteren Ermittlungen besteht nicht. Der Sachverhalt ist durch die vom Senat durchgeführten Ermittlungen und die zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen vollständig aufgeklärt und vermitteln dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO). Der medizinische festgestellte Sachverhalt bietet die Basis für die vom Senat vorzunehmende rechtliche Bewertung des Vorliegens der Voraussetzungen der Merkzeichen "aG" und "H". Dass sich aus der Einsetzung der Stents erhebliche Mobilitätsbeeinträchtigungen ergeben ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Der Senat sah sich auch nicht veranlasst, weitere Ermittlungen hinsichtlich der Wirbelsäulenerkrankung durchzuführen. Der anwaltlich vertretene Kläger hat insoweit - trotz Aufforderung - keine entsprechenden Befundberichte vorgelegt. Ermittlungen "ins Blaue hinein" waren nicht angezeigt.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
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