L 3 VE 8/15

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 37 VE 10/13
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 VE 8/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Versorgungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) streitig.

Die am xxxxx 1962 geborene Klägerin ist seit ihrer Geburt insbesondere wegen einer beinbetonten Tetraspastik behindert. Im Zeitraum vom 23. Oktober 1965 bis zum 4. November 1965 wurde sie wegen dieser Gesundheitsstörung stationär im Städtischen Krankenhaus H2 behandelt. In den Jahren 1971 und 1973 folgten mehrere weitere stationäre Behandlungen im Universitätskrankenhaus E. in H ... Die Klägerin ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 100 und führt die Merkzeichen "G", "aG", "B", "H" und "RF".

Am 4. August 2011 beantragte die Klägerin beim Versorgungsamt der Freien und Hansestadt Hamburg, welches diesen Antrag zuständigkeitshalber an den Beklagten weitergab, die Gewährung von Versorgung nach dem OEG. Sie habe während ihrer Krankenhausaufenthalte als Kind massive Gewalt, Rohheit und Vernachlässigung erfahren, wodurch sie traumatisiert worden sei. Nachdem in den Medien viel über Menschen mit Gewalterfahrungen in kirchlichen Einrichtungen berichtet worden sei und sie sich in deren Beschreibungen wiedergefunden habe, habe sie sich mit ihren eigenen Erinnerungen auseinandergesetzt. Die Klägerin reichte ein 19-seitiges Erinnerungsprotokoll vom 23. Juli 2011 ein, in welchem sie unter anderem folgendes ausführte: Bei dem Aufenthalt im Krankenhaus H2 sei sie drei Jahre alt gewesen. Sie habe von den Füßen bis zum oberen Rippenbogen in Gips gelegen und sich kaum bewegen können. Die Kinder auf der Station seien den ganzen Tag sich selbst überlassen gewesen; man habe sich nicht weiter um sie gekümmert. Da sie selber nicht habe klingeln können, habe sie geweint, wenn etwas gewesen sei. Die verantwortliche Schwester namens "T." sei dann hereingekommen, habe sie brutal an den Handgelenken gepackt und ihre Arme zunächst hochgezogen und dann mit voller Wucht auf die Matratze zurückgestoßen. Dies habe sie mit so großer körperlicher Kraft getan, dass die damit verbundene körperliche Erschütterung durch den gesamten Körper der Klägerin gelaufen sei. Dazu habe sie immer wieder geschrien: "Hast du mich verstanden, hast du mich verstanden ...!" Man sei so lange angeschrien worden, bis man verstummt sei. Im Anschluss an den Krankenhausaufenthalt habe sie – die Klägerin – wegen der Szenen mit "T." etwa zwei Jahre lang Albträume und große Angst vor Dunkelheit und dem Alleinsein gehabt. Wenn die Eltern morgens in den Stall gemusst hätten, habe sie panische Angst gehabt und aus vollem Hals geschrien. Deshalb sei ihr immer mal wieder der Hosenboden stramm gezogen worden bzw. sie sei mit dem hölzernen Kochlöffel versohlt worden; es habe ordentlich Haue gegeben. "T." habe sie außerdem verspottet, wenn sie – was mangels ausreichender Blasenkontrolle häufig vorgekommen sei – Urin verloren habe. Sie erinnere auch, dass es im Krankenhaus extrem wenig zu trinken gegeben habe, in der Regel nur zum Essen einen Becher Milch. Sie habe daher ein ständiges Durstgefühl gehabt. Als der Gips endlich entfernt worden sei, habe der Arzt ihr dabei ins Bein geschnitten, welches ordentlich geblutet habe.

Bei der Aufnahme ins U. im September 1971 habe sie sich sehr verunsichert und allein gelassen gefühlt. Nach der Operation habe sie starke Schmerzen gehabt, aber dagegen keine Medikamente bekommen. Das Personal sei sehr unfreundlich gewesen; niemand habe sie getröstet. Die Fäden seien zu spät gezogen worden. Um häufige Toilettengänge zu vermeiden, habe sie nur dreimal täglich einen Becher zu trinken bekommen. Nachdem sie lange Zeit im Gips auf dem Rücken gelegen hatte, habe sie plötzlich starke Schmerzen in den Fersen verspürt. Trotzdem habe zunächst niemand etwas unternommen. Erst durch Zufall sei festgestellt worden, dass sie sich einen Dekubitus 4. Grades an beiden Fersen zugezogen hatte, dessen Heilung fast zwei Jahre angedauert habe. Es sei auch sehr bedrückend gewesen, das Leid und die Qualen der Mitpatientinnen mit ansehen zu müssen. Das Pflegepersonal im U. sei unfreundlich und brutal gewesen. Eine Schwester M. habe den Patientinnen beim Fiebermessen immer absichtlich mit dem Thermometer wehgetan. Es habe aber auch Brutalität der Kinder untereinander gegeben, die vom Pflegepersonal ignoriert worden sei. Nachdem der Gips entfernt gewesen sei, habe Krankengymnastik erfolgen müssen, die ebenfalls äußert brutal und roh ausgeführt worden sei.

Die Klägerin reichte zu ihrem Antrag Unterlagen des Orthopäden Dr. R1 und des U. ein, welchen zu entnehmen ist, dass sie am 26. Oktober 1965 im Krankenhaus H2 von Dr. R1 operiert wurde und eine stationäre Aufnahme ins U. für September 1971 geplant war sowie sie vom 15. Februar 1973 bis 17. März 1973 stationär im U. behandelt wurde. Auf Nachfrage des Beklagten teilte die Klägerin mit, Zeugen für die geltend gemachten Taten nicht benennen zu können. Ihre auf Anregung des Beklagten im März 2012 erstattete Strafanzeige blieb erfolglos; das Strafverfahren wurde im April 2012 ohne weitere Aufklärung der geltend gemachten Vorfälle mit der Begründung eingestellt, dass eventuelle Taten strafrechtlich bereits verjährt seien.

Nachdem der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Versorgungsleistungen nach dem OEG mit Bescheid vom 29. August 2012 mit der Begründung abgelehnt hatte, dass nicht zu beweisen sei, dass die Klägerin Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden sei, erhob die Klägerin gegen diese Entscheidung Widerspruch, mit dem sie geltend machte, sie habe glaubhaft anhand einzelner Begebenheiten geschildert, dass es während ihrer Krankenhausaufenthalte mehrfach zu gewalttätigen Grenzüberschreitungen durch aufsichtspflichtige Personen gekommen sei. Ihre Angaben seien schon deshalb als glaubhaft anzusehen, weil sich ihre schweren psychischen Beeinträchtigungen gerade dann massiv verstärkten, wenn sie sich mit Erinnerungen an die Zeit der Krankenhausaufenthalte konfrontiert sehe. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 1. März 2013 zurückgewiesen. Zwar werde nicht in Abrede gestellt, dass es während der Krankenhausaufenthalte vermutlich zu Grenzüberschreitungen gekommen sei und es wahrscheinlich auch Behandlungs- und Pflegefehler gegeben habe. Nach mehr als 40 Jahren werde jedoch der Nachweis, dass Ärzte und Krankenschwestern die Klägerin vorsätzlich schädigen wollten, nicht mehr zu erbringen sein.

Während des nachfolgenden Klageverfahrens hat die Klägerin ihr Vorbringen wiederholt und ergänzend vorgetragen, der Nachweis eines vorsätzlichen rechtswidrigen Angriffs sei durch ihre Schilderungen erbracht, zumal insoweit zur Nachweisführung die Glaubhaftmachung genüge. Die Schüttelungen im Städtischen Krankenhaus H2 durch "T.", die drei- bis viermal täglich erfolgt seien, immer wenn sie geweint habe, habe sie als massive Gewalt erlebt. Sie habe Todesangst gehabt und sei "innerlich eingefroren". Sie habe zunächst niemandem, auch ihren Eltern nicht, von diesen Erfahrungen erzählt und selbst auch lange keinen Zusammenhang zwischen ihren psychischen Problemen und den Gewalterfahrungen in der Kindheit erkannt. Erst als in den letzten Jahren verstärkt in den Medien über Vorfälle in kirchlichen Heimen berichtet worden sei, habe sie einen Zusammenhang herstellen können. Sie sei als Kind auch hin und wieder von ihren Eltern geschlagen worden. Dies habe aber nicht die gleiche Todesangst ausgelöst wie die Gewalterfahrung im Krankenhaus H2, zumal die elterlichen Züchtigungen immer aus konkretem Anlass erfolgt seien und sie immer gewusst habe, warum sie geschlagen werde. Außerdem seien die Eltern durchaus auch lieb und nett gewesen.

Das Sozialgericht hat Befundberichte des Hausarztes und Schmerztherapeuten Dr. H1 sowie des Neurologen und Psychiaters Dr. R. beigezogen und anschließend die Klage durch Urteil vom 31. August 2015 abgewiesen. Es habe sich zur Überzeugung des Gerichts nicht feststellen lassen, dass die Klägerin Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden sei. Dies gelte auch unter Berücksichtigung der Beweiserleichterung des § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG), wonach die Angaben des Antragstellers bezüglich der mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen der Entscheidung zugrunde zu legen seien, soweit diese Angaben nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Es komme vorliegend nicht darauf an, ob die Angaben der Klägerin glaubwürdig seien oder ob bezogen auf den Aufenthalt im Städtischen Krankenhaus H2 nach entwicklungspsychologischen Erkenntnissen valide Erinnerungen an Zeiten vor dem vierten Geburtstag überhaupt möglich seien. Denn auch unter Zugrundelegung der Angaben der Klägerin lasse sich ein Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG nicht feststellen. Soweit die Klägerin das lieblose Klima und die Gleichgültigkeit des Pflegepersonals, die Verweigerung von Hilfe, die strenge Rationierung der Getränke sowie das Verspotten anführe, fehle es schon an der erforderlichen körperlichen Einwirkung. Der Dekubitus, der sich bei der Klägerin während eines ihrer Aufenthalte im U. entwickelt habe, stelle sich als Behandlungsfehler dar, auf der Grundlage der Schilderungen der Klägerin sei es jedoch nicht wahrscheinlich, dass dieser von den Ärzten oder dem Pflegepersonal vorsätzlich begangen oder in Kauf genommen worden sei. Entsprechendes gelte für die Verletzung der Haut beim Aufschneiden des Gipses nach der Operation im Krankenhaus H2. Hinsichtlich des unsanften Vorgehens der Schwester M. beim Fiebermessen lasse sich nach den Angaben der Klägerin nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf einen Verletzungswillen bzw. eine feindselige Willensrichtung schließen. Auch das von der Klägerin in den Vordergrund gestellte Schütteln durch die Krankenschwester "T." im Städtischen Krankenhaus H2 lasse sich nicht mit der für eine Glaubhaftmachung erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit als Angriff im Sinne von § 1 Abs. 1 OEG ansehen. Insbesondere sei den Angaben der Klägerin nicht die überwiegende Wahrscheinlichkeit einer feindseligen Willensrichtung der Schwester zu entnehmen. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass zum damaligen Zeitpunkt hinsichtlich der Frage des angemessenen Umgangs mit Kindern durchaus andere Maßstäbe als heute gegolten hätten. Nach der damals geltenden Rechtslage und auch der Gesellschaftsauffassung sei den Erziehungsberechtigten bei der Erziehung von Kindern eine Befugnis zur maßvollen körperlichen Züchtigung zugestanden worden, die selbst die Verwendung von Schlaggegenständen nicht ausgeschlossen habe. Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände sei daher weder eine Schädigungsabsicht der Krankenschwester "T." noch eine feindselige Willensrichtung überwiegend wahrscheinlich. Wahrscheinlicher sei es, dass diese sich innerhalb des nach damaligen Maßstäben sozialadäquaten bzw. gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens bewegt habe. Gegen das am 17. September 2015 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 15. Oktober 2015 Berufung eingelegt. Sie macht geltend, dass das Klinikpersonal entgegen der Auffassung des Sozialgerichts vorsätzlich, d.h. auch mit Wissen und Wollen, ihr Schmerzen zuzufügen, mit übertriebener Härte vorgegangen sei. Grund dafür könne vielleicht ihr vor allem altersbedingtes weinerliches Verhalten gewesen sein. Insbesondere die Schüttelungen durch die Krankenschwester "T.", welche wegen der dabei erfolgten Erschütterungen des gesamten Körpers mit Misshandlungen, die nach heutigen Erkenntnissen zu dem mit schweren körperlichen Gesundheitsschäden einhergehenden "Shaken Baby Syndrom" führen könnten, vergleichbar seien, seien vorsätzlich erfolgt; zumindest in dem Moment habe die Krankenschwester sie, die Klägerin, zur Ruhe bringen und ihr Schmerzen zufügen wollen. Ebenfalls entgegen der Auffassung des Sozialgerichts hätten die damals zugefügten Misshandlungen auch nach damaliger Anschauung regelmäßig Rechts- und Menschenrechtsverletzungen in erheblichem Umfang dargestellt und seien keinesfalls vom Züchtigungsrecht abgedeckt bzw. umfasst worden. Auch damals habe sich bei allen Maßnahmen des Züchtigungsrechts die Frage gestellt, ob diese zur Erziehung verhältnismäßig, also "geeignet, erforderlich und angemessen im engeren Sinne" gewesen seien. Nur wenn dies der Fall gewesen sei, sei die damit verbundene Körperverletzung gerechtfertigt gewesen. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass sie, die Klägerin, sich zum Zeitpunkt der Schüttelungen durch die Krankenschwester in einem nahezu Ganzkörpergips befunden habe und sich nicht habe bewegen können. Das heftige Schütteln habe daher unerträgliche Schmerzen verursacht. Schon aufgrund der Fachkunde der die Schüttelungen vornehmenden Krankenschwester müsse von Vorsatz hinsichtlich der Bereitung von Schmerzen und der Verursachung von Angst und Schrecken ausgegangen werden. Die Krankenschwester habe sie, die Klägerin, immer dann geschüttelt, wenn sie zu viel geweint und gejammert habe, schlicht lästig gewesen sei. Ziel sei die Ruhigstellung unter Gewaltanwendung gewesen. Zwar sei sie gelegentlich auch von den Eltern körperlich mit leichten Klapsen gezüchtigt worden, jedoch habe sie dann immer gewusst, warum sie Ärger bekommen habe. Demgegenüber habe sie bei der groben Gewaltanwendung der Krankenschwester zum Teil Todesangst gehabt. Durch die Misshandlungen im Krankenhaus sei es bei ihr zu einer mittlerweile chronifizierten posttraumatischen Belastungsstörung oder sogar einer andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung gekommen, was das einzuholende Gutachten eines auf dem Gebiet der Traumatologie spezialisierten Sachverständigen belegen werde.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 31. August 2015 sowie den Bescheid des Beklagten vom 29. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. März 2013 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr unter Anerkennung von physischen und psychischen Störungen als Schädigungsfolgen im Sinne von § 1 Abs. 1 OEG Versorgungsleistungen nach einem Grad der Schädigungsfolgen von mindestens 50 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, das Sozialgericht habe die Klage zu Recht und mit zutreffenden Gründen abgewiesen. Die Berufungsbegründung gebe zu einer Änderung der Entscheidung keinen Anlass. Soweit die Klägerin die beschriebenen Schüttelungen durch die Krankenschwester "T.", die laut erstinstanzlichem Vortrag darin bestanden haben sollen, dass die Schwester die Klägerin an den Handgelenken gepackt, diese hochgezogen habe, bis sich Ober- und Unterarm in einem 90-Grad-Winkel befunden hätten, und dann die Unterarme auf die Matratze zurückgestoßen habe, so dass die Vibrationen durch den ganzen Körper gegangen seien, jetzt dahingehend dramatisiere, dass "T." die Oberarme ergriffen und den Oberkörper mit gezielten schnellen Bewegungen auf und ab bewegt habe, und mit einem zu einem "Shaken Baby Syndrom" führenden Schütteln vergleiche, sei ein derartiger Vergleich fernliegend und könne wegen der anderslautenden ursprünglichen Darstellung der Schüttelungen einer Entscheidung nicht zu Grunde gelegt werden.

Das Berufungsgericht hat einen Befundbericht nebst Krankenunterlagen des die Klägerin behandelnden Allgemeinmediziners Dr. H1 beigezogen. Dabei befindet sich unter anderem der Arztbrief des Krankenhauses B. – Klinik für psychische und psychosomatische Erkrankungen – vom 24. Mai 1988, in welchem über die dortige stationäre Behandlung der Klägerin vom 23. Februar bis 17. Mai 1988 berichtet wird. Nachdem die Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Einholung eines neurologischen/psychiatrischen/psychosomatischen Gutachtens zum Nachweis dafür beantragt hatte, dass sie an einer posttraumatischen Belastungsstörung und/oder andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung leide und diese Gesundheitsstörungen wesentlich ursächlich auf die beschriebenen Schädigungshandlungen in den Krankenhäusern zurückführen seien, hat das Gericht ihr unter dem 18. Mai 2016 mitgeteilt, dass es erwägt, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen, weil es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 Satz 1 SGG ), ohne zuvor dem nach § 109 SGG gestellten Antrag nachzukommen, weil es darauf, ob und ggf. welche Schädigungsfolgen bei der Klägerin vorliegen und welchen Grad der Schädigungsfolgen sie bedingen, nicht ankommt. Den Beteiligten ist Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden. Die Klägerin hat dazu Stellung genommen und die Einholung eines Sachverständigengutachten von einem Rechtsmediziner zu den Fragen angeregt, ob - die von ihr beschriebene Behandlung durch Schwester Walla grundsätzlich geeignet ist, eine Bewegung und damit verbundene Vibration des Körpers zu verursachen, - diese Behandlung in ihrem damaligen körperlichen Zustand geeignet war, Schmerzen zu verursachen, - sie unter Berücksichtigung ihrer damaligen Situation infolge dieser Behandlung nachhaltig psychisch beeinträchtigt werden konnte.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten des Beklagten sowie der Prozessakten Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen sind.

II.

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung (§§ 143, 144, 151 SGG) wird – nachdem die Beteiligten auf diese beabsichtigte Verfahrensweise hingewiesen worden sind und Gelegenheit zur Stellungnahme hatten – durch Beschluss zurückgewiesen, da das Gericht sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 SGG).

Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht die auf Gewährung von Versorgungsleistungen nach dem OEG gerichtete Klage abgewiesen. Insbesondere zutreffend hat es dabei unter Beachtung der einschlägigen Rechtsprechung dargelegt, dass es auch unter Berücksichtigung der der Klägerin zu Gute kommenden Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG nicht glaubhaft gemacht ist, dass die Klägerin Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden ist, weil es hinsichtlich des lieblosen Klimas, der Gleichgültigkeit des Pflegepersonals, der Verweigerung von Hilfe, der strengen Rationierung der Getränke und des Verspottens schon an der für einen Angriff nach § 1 OEG erforderlichen körperlichen Einwirkung fehlt, bezüglich der Behandlungsfehler in Form des Dekubitus, der Verletzung der Haut beim Aufschneiden des Gipses, der Zufügung von Schmerzen bei den krankengymnastischen Übungen und wohl auch beim Fiebermessen an der Wahrscheinlichkeit fehlt, dass diese in feindseliger Absicht vorsätzlich begangen wurden, und in Bezug auf das von der Klägerin besonders hervorgehobene Schütteln durch die Krankenschwester "T." an der überwiegenden Wahrscheinlichkeit einer feindseligen Willensrichtung der Krankenschwester fehlt, sondern vielmehr wahrscheinlich ist, dass diese sich innerhalb des nach damaligen Maßstäben sozialadäquaten bzw. gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens bewegt hat. Der Senat schließt sich dieser Beurteilung des Sozialgerichts vollen Umfangs an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen insoweit Bezug auf die Gründe des erstinstanzlichen Urteils (§ 153 Abs. 2 SGG). In Würdigung der gesamten Aktenlage lässt sich auch zur Überzeugung des Senats nicht mit dem notwendigen Grad der Wahrscheinlichkeit feststellen, dass die Klägerin Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden ist. Dies gilt auch dann, wenn der kaum nachzuvollziehende Umstand, dass die Klägerin während ihrer knapp 3-monatigen stationären Behandlung im Krankenhauses B. – Klinik für psychische und psychosomatische Erkrankungen – im Jahre 1988 die jetzt geltend gemachten Gewalterfahrungen nicht einmal ansatzweise angegeben hat, außer Betracht bleibt.

Während des Berufungsverfahrens sind keine neuen Gesichtspunkte von klägerischer Seite vorgetragen worden, die zu einer anderen Beurteilung führen könnten. Soweit die Klägerin die Behandlung durch die Krankenschwester "T." mit Misshandlungen von Kleinkindern vergleicht, die zu dem "Shaken Baby Syndrom" führen können, hat schon der Beklagte zutreffend dargelegt, dass ein derartiger Vergleich bereits deshalb fernliegend ist, weil die Schüttelungen durch die Krankenschwester nach dem ursprünglichen und letztlich im Berufungsverfahren bestätigten Vorbringen der Klägerin darin bestanden, dass die Schwester die Klägerin an den Handgelenken gepackt, diese hochgezogen hat, bis sich Ober- und Unterarm in einem 90-Grad-Winkel befunden haben, und dann die Unterarme auf die Matratze zurückgestoßen hat, so dass die Vibrationen durch den ganzen Körper gegangen sind. Bei dieser Art des Schüttelns, bei welcher der Oberkörper und Kopf stabil auf dem Bett liegen, kann es naturgemäß nicht zu dem als Grundvoraussetzung für ein "Shaken Baby Syndrom" angesehenen unkontrollierten Umherrotieren des kindlichen Kopfes mit daraus resultierenden Abrissen von Blutgefäßen und Nervenverbindungen sowie einer Hirnschwellung kommen. Dementsprechend werden von der Klägerin auch keine hirnorganischen Schädigungen als Folge der Schüttelungen geltend gemacht. Soweit die Klägerin geltend macht, entgegen der Auffassung des Sozialgerichts hätten die damals durch die Krankenschwester "T." zugefügten Misshandlungen auch nach damaliger Anschauung regelmäßig Rechts- und Menschenrechtsverletzungen in erheblichem Umfang dargestellt und seien keinesfalls vom Züchtigungsrecht abgedeckt bzw. umfasst worden, ist ihr zwar dahingehend zuzustimmen, dass nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens tatsächlich das Ziel der Schüttelungen die Ruhigstellung unter – vorsätzlicher – Gewaltanwendung gewesen ist. Jedoch verkennt sie insoweit, dass – wie vom Sozialgericht zutreffend dargestellt – zum damaligen Zeitpunkt im Jahre 1965 hinsichtlich der Frage des angemessenen Umgangs mit Kindern durchaus andere Maßstäbe als heute gegolten haben und nach der damals geltenden Rechtslage und auch der Gesellschaftsauffassung den Erziehungsberechtigten bei der Erziehung von Kindern eine Befugnis zur maßvollen körperlichen Züchtigung zugestanden wurde, die selbst die Verwendung von Schlaggegenständen nicht ausgeschlossen hat. Dies wird von der Klägerin selbst bestätigt durch ihre Angaben zu den Erziehungsmethoden ihrer Eltern. Wenn sie in ihrem Erinnerungsprotokoll vom 23. Juli 2011 gut nachvollziehbar darstellt, dass sie, wenn die Eltern morgens in den Stall gemusst hätten, panische Angst gehabt und aus vollem Hals geschrien habe, weshalb ihr immer mal wieder der Hosenboden stramm gezogen worden bzw. sie mit dem hölzernen Kochlöffel versohlt worden sei, es "ordentlich Haue gegeben" habe, und betont, dass derartiges auch in ihrer Nachbarschaft und ihrem Freundeskreis an der Tagesordnung gewesen sei, belegt sie, dass in der damaligen Zeit die Anwendung körperlicher Gewalt in weitaus größerem Ausmaß als von der Krankenschwester "T." praktiziert zu Erziehungszwecken und insbesondere auch mit dem Ziel der Ruhigstellung des Kindes in weiten Kreisen der Bevölkerung durchaus üblich, gesellschaftlich toleriert und unter rechtlichen Gesichtspunkten vom Züchtigungsrecht abgedeckt bzw. umfasst war. Unter Berücksichtigung dieser Umstände spricht auch zur Überzeugung des Senats alles dafür, dass den Maßnahmen der Krankenschwester "T." keine feindselige Willensrichtung innewohnte, sondern sie sich im Rahmen des damals üblichen sozialadäquaten Verhaltens bewegte.

Lässt sich danach nicht mit dem erforderlich Grad der Wahrscheinlichkeit feststellen, dass die Klägerin Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden ist, kommt es darauf, ob und ggf. welche Schädigungsfolgen bei der Klägerin vorliegen und welchen Grad der Schädigungsfolgen sie bedingen, für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht mehr an. Der Senat ist deshalb dem Antrag der Klägerin nach § 109 SGG zur Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Klärung dieser Fragen nicht nachgekommen, zumal dieses nicht nur unnötige Kosten verursacht, sondern auch zu einer nicht zu vertretenden zusätzlichen Verzögerung geführt hätte. Entsprechendes gilt für die Anregung der Klägerin, von Amts wegen ein rechtsmedizinisches Gutachten zu den Fragen einzuholen, ob und ggf. in welchem Umfang sie durch die Behandlung durch Krankenschwester "T." psychisch beeinträchtigt wurde. Stellt sich diese Behandlung nach den vorstehenden Ausführungen nicht als vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff dar, geht eine derartige Beweisanregung ins Leere.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.

Der Senat hat die Revision gegen den Beschluss nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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