L 8 R 443/17 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 25 R 110/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 443/17 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 8.5.2017 wird zurückgewiesen. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin, mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die ihre Kosten selbst tragen. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren auf 15.542,01 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die gemäß § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht am 31.5.2017 (§§ 173 Satz 1, 64 Abs. 2, 63 SGG]) eingelegte Beschwerde der Antragstellerin gegen den ihr am 9.5.2017 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts (SG) Köln vom 8.5.2017 ist unbegründet.

1. Das SG hat die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 20.12.2016 gegen den Betriebsprüfungsbescheid vom 12.12.2016 zu Recht abgelehnt. Denn es ist zutreffend davon ausgegangen, dass sich nach summarischer Prüfung der Bescheid als rechtmäßig erweisen wird. Zu Recht fordert die Antragsgegnerin darin nach § 28p Abs. 1 Satz 5 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) von der Antragstellerin für den Zeitraum vom 1.1.2012 bis zum 31.12.2015 Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 62.168,04 Euro aufgrund bestehender Versicherungspflicht des an der Antragstellerin mit einem Gesellschaftsanteil von 24% beteiligten Geschäftsführers, dem Beigeladenen zu 1), nach. Der Senat schließt sich nach eigener Prüfung und Meinungsbildung der Beurteilung des SG an und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf dessen im Wesentlichen zutreffenden Ausführungen (vgl. § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

2. Ergänzend ist auf Folgendes hinzuweisen:

a) § 5 Abs. 3, 5 der Geschäftsführerordnung (GO) verleiht dem Beigeladenen zu 1) lediglich innerhalb der Geschäftsführung die Möglichkeit einseitige Anweisungen der Geschäftsführerkonferenz nach § 3 Abs. 2 GO ihm gegenüber zu verhindern. Keine Rechtsmachtverschiebung wird dadurch innerhalb der maßgeblichen Gesellschafterversammlung bewirkt. Dort soll es nach dem Willen der Gesellschafter gerade bei einer Beschlussfassung mit einfacher Mehrheit und damit dem maßgeblichen Einfluss des Mehrheitsgesellschafters verbleiben, § 6 Abs. 1, 3 Gesellschaftsvertrag (GesV).

b) Eine für den sozialversicherungsrechtlichen Status relevante faktische Weisungsfreiheit ergibt sich ferner nicht aus einer familiären Verbundenheit innerhalb des Gesellschafterkreises der Antragstellerin. Die von den für das Leistungsrecht der Arbeitsförderung und das Recht der Unfallversicherung zuständigen Senaten des BSG entwickelte "Kopf und Seele"-Rechtsprechung ist für die Beurteilung des sozialversicherungsrechtlichen Status nach § 7 Abs. 1 SGB IV nicht heranzuziehen. Eine Abhängigkeit der Statuszuordnung vom rein faktischen, nicht rechtlich gebundenen und daher jederzeit änderbaren Verhalten der Beteiligten ist mit dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände nicht in Einklang zu bringen (BSG, Urteil v. 29.7.2015, B 12 KR 23/13 R und B 12 R 1/15 R; jeweils juris unter Verweis auf BSGE 111, 257 = SozR 4-2400 § 7 Nr. 17, Rdnr. 32).

c) Die ferner angeführte Befreiung von den Beschränkungen des § 181 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist für einen abhängig beschäftigten Gesellschafter-Geschäftsführer nicht untypisch und deutet deshalb nicht zwingend auf eine selbständige Tätigkeit hin. Entsprechendes gilt für die erteilte Einzelvertretungsbefugnis (vgl. BSG, Urteil v. 6.3.2003, B 11 AL 25/02 R; Senat, Urteil v. 18.6.2014, L 8 R 5/13, juris).

d) Einer Entscheidung der Antragsgegnerin stand auch nicht der Bescheid der VBG vom 7.2.2009 nach dem Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) entgegen, da dieser zur Feststellung einer Beschäftigung im Sinne des SGB VII ergangene Bescheid für die Antragsgegnerin nicht bindend ist (zu den Grundsätzen: Senat, Urteil v. 6.5.2015, L 8 R 655/14; Senat, Urteil v. 21.10.2015, L 8 R 67/15, jeweils juris). Die Beiträge zur Unfallversicherung sind nicht mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag nach § 28d SGB IV gleichzusetzen (Pietrek in: jurisPK-SGB IV, 3. Auflage, § 7a Rdnr. 90 m.w.N.; Senat, Urteil v. 14.9.2016, L 8 R 352/16 WA, juris). Ob der Bescheid hingegen verschuldensausschließend wirken konnte, kann der Senat offen lassen, da die Antragsgegenerin keine Säumniszuschläge geltend macht.

3. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt ebenfalls keine abweichende Beurteilung:

a) Soweit sich die Antragstellerin darauf beruft, dass der Geschäftsführer- Anstellungsvertrag (AV) vom 1.1.2008 vorrangig aus steuerlichen Gründen geschlossen worden sei, geht sie unzutreffend davon aus, es unterliege ihrer Disposition, die Wirkungen eines wirksamen Vertrages nach Maßgabe ihrer Individualnützigkeit auf bestimmte Rechtsgebiete zu beschränken (vgl. dazu bereits: BSG, Urteil v. 24.1.2007, B 12 KR 31/06 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 7).

b) Der Beigeladene zu 1) ist auch nicht bereits deshalb als Unternehmer anzusehen, weil er zuvor ein einzelkaufmännisches Unternehmen betrieben hat. Zunächst wurde bei der Gründung der Antragstellerin nur der Gewerbebetrieb des weiteren Gesellschafters der Antragstellerin aber nicht der des Beigeladenen zu 1) als Sacheinlage eingebracht (vgl. § 3 Abs. 2 GesV). Zudem haben die Gesellschafter sich willentlich zur Gründung einer juristischen Person des Privatrechts und damit einer eigenen Rechtspersönlichkeit entschlossen. Auf etwaige frühere oder parallele einzelkaufmännische Unternehmungen kann sich die Antragstellerin im Rahmen der Betriebsprüfung, die die rechtliche Beziehung des Beigeladenen zu 1) zu ihr im Streitzeitraum bewertet, nicht berufen.

c) Der Beigeladene zu 1) hat im Streitzeitraum auch - entgegen der Ansicht der Antragstellerin - kein erhebliches, für eine selbständige Tätigkeit maßgeblich sprechendes Unternehmerrisiko zu tragen. Maßgebendes Kriterium für ein unternehmerisches Risiko ist nach den von dem BSG entwickelten Grundsätzen (vgl. etwa BSG, Urteil v. 25.1.2001, B 12 KR 17/00 R, SozR 2001, 329, 331; BSG, Urteil v. 28.5.2008, B 12 KR 13/07 R, juris, Rdnr. 27; BSG, Urteil v. 28.9.2011, B 12 R 17/09 R, USK 2011-125, juris Rdnr. 25 f.), der sich der Senat in seiner ständigen Rechtsprechung bereits angeschlossen hat (vgl. nur Senat, Urteil v. 22.4.2015, L 8 R 680/12, jeweils juris), ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr des Verlusts eingesetzt wird, der Erfolg des Einsatzes der sächlichen und persönlichen Mittel also ungewiss ist. Allerdings ist ein unternehmerisches Risiko nur dann Hinweis auf eine selbständige Tätigkeit, wenn diesem Risiko auch größere Freiheiten in der Gestaltung und der Bestimmung des Umfangs beim Einsatz der eigenen Arbeitskraft (vgl. BSG Urteil v. 28.5.2008, a.a.O.; BSG, Urteil v. 28.9.2011, a.a.O.) oder größere Verdienstmöglichkeiten gegenüberstehen (vgl. BSG, Urteil v. 25.1.2001, a.a.O.; BSG, Urteil v. 31.3.2015, B 12 KR 17/13 R, juris).

aa) Tantiemenzahlungen kommt grundsätzlich nur Bedeutung für die Abgrenzung von Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit als (ein) Anknüpfungspunkt für ein mögliches wirtschaftliches Eigeninteresse des für ein Unternehmen Tätigen zu, das im Rahmen der Gesamtwürdigung Gewicht gewinnen kann, jedoch nicht allein entscheidend ist (vgl. BSG, Urteil v. 29.8.2012, B 12 KR 25/10 R, m.w.N., juris, Senat, Urteil v. 17.10.2012, a.a.O. juris). Vor dem Hintergrund, dass die Gewährung einer Tantieme an Arbeitnehmer nicht ungewöhnlich ist, ist deren Gewicht für die Abgrenzung der Beschäftigung gegenüber einer selbständigen Tätigkeit nicht allein erheblich.

bb) Auch die Gewährung eines Darlehns im Streitzeitraum begründet kein unternehmerisches Risiko des Beigeladenen zu 1). Zwar besteht durch die Darlehnsgewährung ein gewisser Einfluss in wirtschaftlicher Hinsicht. Jedoch folgt aus der Darlehnsvergabe typischerweise keine unternehmerische Position im eigentlichen Sinne, denn durch sie erhöhen sich nicht die rechtlichen Einflussmöglichkeiten auf die Gesellschaft (BSG, Urteil v. 29.7.2015, B 12 KR 23/13 R, juris; Senat, Urteil v. 20.4.2016, L 8 R 761/15).

c) Eine Anmeldung zur Sozialversicherung ist nicht erfolgt. Der Wille der Beteiligten, dass der Geschäftsführer selbständig tätig sein soll, ist grundsätzlich allerdings nicht geeignet, Selbstständigkeit zu begründen. Nur wenn der Abwägungsprozess kein Überwiegen von Gesichtspunkten für einen Status ergibt, gibt der Wille der Beteiligten den Ausschlag. Ansonsten unterliegt der sozialversicherungsrechtliche Status keiner uneingeschränkten Dispositionsfreiheit der Beteiligten (BVerfG, Beschluss v. 20.5.1996, 1 BvR 21/96, SozR 3-2400 § 7 Nr. 11). Sozialversicherungsrecht ist öffentliches Recht und steht auch nicht mittelbar dadurch zur Disposition der am Geschäftsleben Beteiligten, dass diese durch die Bezeichnung ihrer vertraglichen Beziehungen über den Eintritt oder Nichteintritt sozialrechtlicher Rechtsfolgen verfügen können (Segebrecht in: jurisPK, SGB IV, 3. Auflage, § 7 Rn. 93). Der besondere Schutzzweck der Sozialversicherung und ihre Natur als eine Einrichtung des öffentlichen Rechts schließen es grundsätzlich aus, über die rechtliche Einordnung allein nach dem Willen der Vertragsparteien, ihren Vereinbarungen oder ihren Vorstellungen hierüber zu entscheiden (BSG, Urteil v. 3.4.2014, B 5 RE 9/14 R, Rn. 47).

4. Weitere als die bereits durch die Antragsgegnerin berücksichtigten Tatbestände, die eine Versicherungsfreiheit des Beigeladenen zu 1) in den jeweiligen Zweigen der Sozialversicherung begründen, sind nicht ersichtlich.

5. Die Höhe der Nachforderung ist im Übrigen nicht zu beanstanden. Bei versicherungspflichtig Beschäftigten wird das aus der Beschäftigung erzielte Arbeitsentgelt zugrunde gelegt (§ 162 Nr. 1 SGB VI, § 342 SGB III).

6. Dafür, dass die sofortige Vollziehung des Beitragsbescheides für die Antragstellerin eine unbillige Härte bedeuten würde, bestehen keine glaubhaft gemachten Anhaltspunkte.

Die Kostenentscheidung beruht auf den § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 154, 163 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 197a SGG i. V. m. §§ 52, 53 Abs. 2 Nr. 4 Gerichtskostengesetz (GKG) und berücksichtigt, dass in Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes, die Beitragsangelegenheiten betreffen, regelmäßig nur ein Viertel des Wertes der Hauptsache als Streitwert anzusetzen ist.

Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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