S 23 U 112/13

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
23
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 23 U 112/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 152/17
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Wurde infolge eines Arbeitsunfalls der Anspruch auf Gewährung einer Rente nach einer bestimmten MdE rechtskräftig auch unter Dauerrentengesichtspunkten anerkannt, kann die Rechtskraft durch den Unfallversicherungsträger nicht unter Anwendung des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X durchbrochen und die Rente herabgesetzt werden, wenn laut Sachverständigengutachten bei unstreitig klinisch unverändertem Erscheinungsbild der Erkrankung Diagnosen nur deshalb nicht mehr gestellt werden können, weil sich die Begutachtungsleitlinie zwischenzeitlich geändert hat.
2. Eine Änderung der Begutachtungsleitlinie, wodurch aufgrund des standardisierten Einsatzes von Methoden zur Validierung von Angaben über Symptome, Funktionseinschränkungen, Krankheitsverlaufsmerkmale und Behandlungswirkungen sowie zum Konsistenzabgleich früher gestellte Diagnosen nun nicht mehr gestellt werden können, bewirkt bei klinisch unverändertem Erscheinungsbild der Erkrankung weder eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse noch stellt die Änderung der Begutachtungsleitlinie eine Änderung der rechtlichen Verhältnisse dar.
3. ob iter dictum:
Bei einer derartigen Sachlage ist eine Durchbrechung der Rechtskraft durch die Verwaltung auch nicht unter Anwendung des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X möglich, denn die Bindungswirkung der rechtskräftigten Entscheidung erstreckt sich auf die Beachtung der in den Entscheidungsgründen dargelegten Rechtsauffassung des Gerichts. Soweit in den Entscheidungsgründen der rechtskräftigen Entscheidung die Höhe der MdE unter Berücksichtigung bestimmter Erkrankungen als Unfallfolgen ermittelt wurde, hat die damit implizit erfolgte Feststellung bestimmter Erkrankungen als Unfallfolgen an der materiellen Rechtskraft teil.
Der Bescheid vom 07.02.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.05.2013 wird aufgehoben.

Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Herabsetzung ihrer Rente.

Die 1953 geborene Klägerin war stellvertretende Filialleiterin in einem Lebensmittelmarkt. Bereits in den Jahren 1999 und 2003 hatte die Klägerin in Ausübung ihrer Tätigkeit räuberische Überfälle auf den Lebensmittelmarkt erlebt.

Am 27.02.2004 war erneut ein bewaffneter Überfall auf den von der Klägerin stellvertretend geleiteten Markt in C-Stadt-X erfolgt. Hierbei hatten circa 10 bis 15 Minuten nach Ladenschluss zwei mit einer Schusswaffe sowie einem Elektroschockgerät bewaffnete Täter die Klägerin sowie drei weitere Mitarbeiterinnen bedroht, eine von ihnen gefesselt, einer weiteren die Schusswaffe durchgeladen an den Kopf gehalten und der Klägerin mit dem Elektroschockgerät einen Stromschlag versetzt.

Infolge dieses Überfalls war die Klägerin bis einschließlich April 2004 arbeitsunfähig erkrankt gewesen und hatte eine Verhaltenstherapie bei Frau Diplom-Psychologin D. begonnen. Diese hatte bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) diagnostiziert.

Seit dem 02.05.2004 war die Klägerin wieder in ihren alten Beruf tätig gewesen und im Frühjahr 2005 in eine andere Filiale versetzt worden, auf die bisher noch keine Überfälle verübt wurden waren.

Auf Veranlassung der Beklagten war die Klägerin durch Dr. AV. in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Frankfurt neurologisch-psychiatrisch begutachtet worden; Herrn Diplom-Psychologe DB hatte ein psychologisches Zusatz-Gutachten über die Klägerin erstellt. Dr. AV. hatte in seinem Gutachten vom 25.12.2005 bei der Klägerin als Unfallfolge eine PTBS sowie als komorbide Erkrankung eine massive Depression diagnostiziert und aufgrund der Schwere der seelischen Beeinträchtigung die MdE der Klägerin auf 50 v. H. eingeschätzt. Auch Herr DB hatte in seinem psychologischen Zusatz-Gutachten vom 30.12.2005 bei der Klägerin eine unfallbedingte PTBS sowie eine mittelgradige depressive Episode diagnostiziert.

Mit Bescheid vom 08.02.2006 hatte die Beklagte der Klägerin daraufhin eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE von 50 v. H. gewährt.

Im Hinblick auf die Gewährung einer Rente auf unbestimmte Zeit war die Klägerin sodann auf Veranlassung der Beklagten erneut von Dr. AV. sowie von Herrn DB begutachtet worden. In seinem Zusatzgutachten vom 06.10.2006 hatte Herr DB erneut als unfallbedingt die Diagnosen PTBS und mittelgradige depressive Störung sowie – neu – eine unfallbedingte dissoziative Störung festgestellt. Es sei von einem mindestens unveränderten Beschwerdeniveau bezüglich der PTBS und von einem leicht akzentuierten Beschwerdeniveau bezüglich der depressiven Symptomatik und einem deutlich erhöhten Beschwerdeniveau bezüglich einer dissoziativen Symptomatik auszugehen, so dass insgesamt eher eine Verschlechterung vorliege. Unter Einschluss des psychologischen Zusatzgutachtens des Herrn DB war Dr. AV. in seinem Gutachten vom 10.10.2006 zu dem Ergebnis gekommen, dass sicher von einem chronifizierten Belastungssyndrom auszugehen sei, so dass auch unter Dauerrentengesichtspunkten weiterhin eine MdE von 50 v. H. eingeschätzt werde. Der Sachverständige riet dringend zu einer zusätzlichen psychiatrischen Behandlung mit Antidepressiva und ggf. einer stationären Behandlung. Eine Nachuntersuchung solle nach entsprechend durchgeführten Therapiemaßnahmen in einem Jahr erfolgen.

Nach Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme bei Prof. TS hatte die Beklagte mit Bescheid vom 17.01.2007 die Gewährung einer Rente auf unbestimmte Zeit abgelehnt und der Klägerin die vorläufig gezahlte Rente mit Ablauf des Monats Januar 2007 entzogen. Zur Begründung hatte sie – angelehnt an die Stellungnahme ihres Beratungsarztes – ausgeführt, dass das Ereignis zwar grundsätzlich geeignet gewesen sei, eine PTBS hervorzurufen. Die hierzu von der Wissenschaft geforderten Kriterien lägen aber nicht vor bzw. aus den eingeholten Gutachten gehe nicht hervor, ob deren Vorliegen überhaupt sachgerecht geprüft worden sei. Insoweit habe eine PTBS nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit bejaht werden können. Vielmehr sei aus den Berichten der behandelnden Therapeutin (D.) ersichtlich, dass bei der Klägerin nicht auf den Überfall zurückzuführende Belastungsmomente familiärer, beruflicher und persönlichkeitsbedingter Art vorlägen. Die noch vorliegenden Beschwerden würden daher wesentlich durch überfallfremde Faktoren bestimmt.

Gegen den Bescheid vom 17.01.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.02.2007 hatte die Klägerin Klage zum Sozialgericht Frankfurt erhoben, die unter dem Aktenzeichen S 35 U 68/07 geführt worden war.

– Der oben stehende Tatbestand ist bis hierhin im Wesentlichen dem zu diesem Aktenzeichen ergangenen Urteil entnommen. –

Dr. AV. hatte in dem Klageverfahren auf Aufforderung der Vorsitzenden der 35. Kammer unter dem 20.11.2007 eine ergänzende Stellungnahme nach Aktenlage in Ergänzung zum eigenen vorangegangenen Gutachten abgegeben. In seiner Stellungnahme hatte Dr. AV. – in Bezug auf die von Prof. TS geforderte Abklärung möglicherweise aggravativer Tendenzen bei der psychotraumatologischen Begutachtung mittels standardisierter Messverfahren – ausgeführt, dass die Fachdiskussion um die Validierungsverfahren im psychotraumatologischen Bereich noch anhalte und eine ausreichende Forschung im deutschsprachigen Raum für eine flächendeckende Anwendung noch nicht zur Verfügung stehe. Bislang gelte als Standard ein Kriterienkatalog von beobachtbaren Anzeichen für eine Aggravation. Diese Beobachtung lasse sich allerdings eher auf die Erfahrung des Arztes zurückführen und somit sei die Befundung von Simulations- oder Aggravationstendenzen zur Zeit nur über den ärztlichen Nachweis zu erbringen. In der BG-Unfallklinik Frankfurt finde dennoch seit Januar 2007 der Einsatz spezieller Messverfahren (Validitätsuntersuchung mit psychologischen Hilfsmitteln zur Klärung möglicher Aggravationstendenzen) im Erprobungsverfahren und zu Forschungszwecken statt. Bei den Begutachtungen der Klägerin in den Jahren 2005 und 2006 seien diese speziellen Messverfahren daher noch nicht eingesetzt worden. Der Nachweis des Nichtvorliegens von Aggravations- oder Simulationstendenzen sei bei der Klägerin über die ärztliche Beurteilung erbracht worden. Diese habe ergeben, dass derartige Tendenzen bei der Klägerin als sehr unwahrscheinlich einzustufen seien. Hinsichtlich der weiteren Ausführungen des Sachverständigen Dr. AV. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20.11.2007 wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Frau D. hatte sich in ihrer vom Gericht angeforderten Stellungnahme vom 19.03.2008 den Befunden, Diagnosen und Beurteilungen der Sachverständigen Dr. AV. und DB durchgängig angeschlossen. Die dissoziative Störung habe sich nach ihrer Einschätzung nicht verschärft, sondern habe durchgehend in der beschriebenen Schwere bestanden. Die Klägerin habe sich mittlerweile in eine psychiatrische Behandlung mit Antidepressiva begeben. Eine durchgreifende Besserung der Symptomatik sei bisher nicht zu verzeichnen.

Mit Urteil vom 23.09.2009 hatte die 35. Kammer des Sozialgerichts Frankfurt die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 17.01.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.02.2007 verurteilt, der Klägerin Verletztenrente nach einer MdE von 50 v. H. über den 31.01.2007 hinaus zu gewähren. Zur Begründung seiner Entscheidung hatte das erkennende Gericht ausgeführt, dass es sich den Schlussfolgerungen der Gutachter Dr. AV. und Herr DB in ihren Gutachten 2005 und 2006 vollumfänglich anschließe, nicht aber den Ausführungen des Beratungsarztes Prof. TS. Dr. AV. und Herr DB seien zu dem Ergebnis, dass sich der psychische Zustand der Klägerin gegenüber dem ersten Begutachtungszeitpunkt nicht verbessert habe. Beide Sachverständigen hätten bei der Klägerin einer PTBS sowie eine depressive Symptomatik diagnostiziert und dies ausführlich begründet. Auch hätten beide Gutachter die Klägerin jeweils zweimal persönlich untersucht und die Gutachten seien nicht nur in sich, sondern auch in ihrer Gesamtheit und vom Ergebnis her nachvollziehbar und schlüssig. Gestützt werde die Auffassung der Gutachter zudem durch die im gerichtlichen Verfahren eingeholte Stellungnahme der behandelnden Therapeutin der Klägerin Frau D. vom 19.03.2008, welche die Klägerin seit Jahren betreut habe. Schließlich finde sich in der vom Gericht beigezogenen OEG-Akte der Klägerin einer Stellungnahme der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. ZX vom 04.06.2007, welche ebenfalls die Gutachten von Dr. AV. und Herrn DB stütze. Frau Dr. ZX habe insoweit zu Recht darauf hingewiesen, dass die für eine PTBS typischen Beschwerden bei der Klägerin nahezu vollständig vorlägen. Auch habe in der Begutachtung eine psychologische Befundung stattgefunden, wonach die Klägerin deutlich erschöpft, verängstigt und depressiv verstimmt gewirkt habe mit deutlicher Affektlabilität. Das Gericht schließe sich insoweit den überzeugenden Ausführungen von Dr. AV. an, wonach die MdE der Klägerin auch über den 31.01.2007 hinaus weiterhin 50 v. H. betrage. Insoweit sei aus den eingeholten Gutachten für die Kammer ersichtlich, dass sich der psychische Zustand der Klägerin nicht gebessert habe.

Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Beklagten, mit der diese beantragt hatte, das erstinstanzliche Urteil insoweit aufzuheben, als die Beklagte zur Zahlung einer Rente nach einer höheren MdE als 20 v. H. verurteilt worden sei, hatte das Hessische Landessozialgericht (HLSG) mit Urteil vom 13.05.2011 (Aktenzeichen L 3 U 249/09) zurückgewiesen. Zur Begründung hatte der erkennende Senat ausgeführt, dass es auf der Grundlage der Gutachten von Dr. AV. und Herrn DB die MdE ebenfalls mit 50 v. H. einschätze. Hierbei habe der Senat berücksichtigt, dass bei der Klägerin nicht nur eine posttraumatische Belastungsstörung, sondern außerdem noch eine mittelgradige depressive Störung und eine dissoziative Störung diagnostiziert worden sei. Außerdem sei – so der Senat – von einem unveränderten Beschwerdeniveau bzw. von einer naheliegenden Verschlechterung des psychischen Zustandes der Klägerin auszugehen. Als Richtwerte für die MdE gälten folgende Werte (Schönberger, Mehrtens, Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, B. Aufl. 2010, S. 156 ff.): bei einer mittelgradigen depressiven Episode eine MdE bis 40 v.H., bei einer posttraumatischen Belastungsstörung, die geprägt sei durch starke emotional und durch Ängste bestimmte Verhaltensweisen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit und gleichzeitig größeren sozial-kommunikativen Beeinträchtigungen eine MdE bis 30 v.H., in schweren Fällen, gekennzeichnet durch massive Schlafstörungen mit Albträumen, häufige Erinnerungseinbrüche, Angstzustände, die auch tagsüber auftreten könnten, und ausgeprägtem Vermeidungsverhalten eine MdE bis 50 v.H., bei dissoziativer Störung mit leicht- bis mittelgradiger körperlich-funktioneller Einschränkung eine MdE bis 10 v.H., bei stärkergradiger körperlich-funktioneller Einschränkung und psychisch-emotionaler Beeinträchtigung eine MdE bis 30 v.H. Eine Aussage, in welcher Höhe die MdE bei Vorliegen mehrerer Störungen (hier: posttraumatische Belastungsstörung, mittelgradige depressive Störung, dissoziative Störung) zu bewerten sei, ließen die Richtwerte nicht erkennen. Die Beurteilung der Höhe der MdE habe daher unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu erfolgen und sei vorliegend zur Überzeugung des Senats zutreffend bemessen. Die Gutachtenlage böten keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine davon abweichende Bewertung der MdE.

Im Juni 2012 leitete die Beklagte Sachverhaltsermittlungen zur Prüfung ein, ob eine Änderung im Befund der Unfallfolgen eingetreten sei und veranlasste diesbezüglich eine ärztliche Begutachtung.

Die hiermit beauftragten Sachverständigen Dr. AV. und Herr DB erstattete unter dem 04.12.2012 ihr Gutachten zur Rentennachprüfung unter Berücksichtigung der Aktenlage sowie der Befragung und psychotraumatologischen Untersuchung der Klägerin am 15.11.2012. Aus der im Gutachten wiedergegebenen "Aktenlage" wird deutlich, dass die Sachverständigen insoweit die von der Psychologin D. vorgelegten Berichte über die Behandlung der Klägerin in den Jahren 2006 bis 2008 ausgewertet haben. Die Untersuchungsbefunde wurden durch Befragung der Klägerin im Rahmen der Anamnese sowie durch die Anwendung diverser Testverfahren gewonnen. Zusätzlich wurde eine Fremdanamnese mit dem Ehemann der Klägerin (in deren Abwesenheit) erhoben. Bezüglich der depressiven Symptomatik der Klägerin hält das Gutachten insoweit fest: "Nach depressiven Symptomen befragt, gibt der Ehemann an, dass ihm solche nicht aufgefallen seien. Sie [seine Ehefrau, die Klägerin; Anm. d. Verf.] habe manchmal eine weinerliche klagsame Stimme zu Hause, wenn er sie aber ablenke, dann stabilisiere sie sich auch schnell wieder. Eine längere depressive Situation sei ihm zu Hause zumindest nicht aufgefallen. Er gibt an, zu Hause habe sie viel Spaß, sie gehen ab und zu zum Chinesen essen, auch mit den Enkelkindern habe sie Spaß."

In ihrer Zusammenfassung und Beurteilung führten die Sachverständigen sodann Folgendes aus: "[ ] Es wurde im Rahmen der Vorgutachten festgestellt, dass von einer Posttraumatischen Belastungsstörung auszugehen ist, auch wurde von einer depressiven Erkrankung ausgegangen, zum Teil auch von einer dissoziativen Symptomatik. Bereits in der letzten Begutachtung wurde festgestellt, dass von einem hohen Chronifizierungsgrad auszugehen ist, dies aus verschiedenen Gründen. Bei der aktuellen Untersuchung zeigt sich vom klinischen Eindruck her kein wesentlicher Unterschied im Vergleich zu den Vorgutachten, wenn sich auch nun eine etwas andere Situation darstellt. Hier erscheinen einige Vorbemerkungen wesentlich, bevor die einzelnen Befunde weiter diskutiert werden. Die letzte Begutachtung fand im Jahr 2006 statt, die erste Begutachtung im Jahr 2005. Zwischen diesen beiden Untersuchungszeiträumen [gemeint ist der Zeitraum zwischen 2006 und der aktuellen Untersuchung 2012; Anm. d. Verf.] liegen sechs Jahre und in diesen sechs Jahren haben sich sowohl die Leitlinien der Begutachtung in erheblichem Maße verändert als auch die nun bei uns standardisiert eingesetzten Untersuchungsverfahren. Diese Weiterentwicklung der Begutachtung erlaubt nun einen viel differenzierteren Blick, als dies noch vor sechs Jahren möglich gewesen ist. Aus diesem Grund kann es zu einer differenten Einschätzung des Krankheitsverlaufs in einigen Punkten kommen, die nicht krankheitsbedingt sind, sondern, wie hier beschrieben, methodischer Art sind. Wie dies dann auf der Verwaltungsebene der Berufsgenossenschaft umgesetzt wird, wäre dort zu beurteilen. Bei der aktuellen Untersuchung zeigte sich im klinischen Bild eine erhebliche Erschöpfungsneigung, eine depressive Symptomatik, durchaus auch eine Angstsymptomatik, gerade bei der Schilderung des Unfallereignisses. Hier war sowohl ein Vermeideverhalten (C-Kriterium) als auch eine erhöhte Anspannung und Angstreaktion (B-Kriterium) erkennbar, auch wenn neben dieser Angst und Anspannung eine erhebliche Wut erkennbar war, die sicherlich nicht direkt auf die Posttraumatische Belastungsstörung beziehbar ist, sondern eher auf die noch später zu diskutierende Verbitterungsstörung. Dass das Unfallereignis ohne jede Frage geeignet ist, eine schwere psychoreaktive Störung auszulösen, ergibt sich aus den Vorgutachten, es ist auch eine entsprechende Initialreaktion anzunehmen. Es kann also festgestellt werden, dass sich bezüglich der Posttraumatischen Belastungsstörung aus dem rein klinischen Eindruck heraus keine wesentliche Veränderung ergeben hat, sowohl eine Angstreaktion (B-Kriterium) als auch ein Vermeideverhalten (C-Kriterium) ließe sich prinzipiell aus dem psychopathologischen Befund ableiten, auch eine Übererregung und Anspannung (B-Kriterium) ließe sich bereits aus dem klinischen Eindruck heraus ableiten. Etwas schwieriger ist es mit den Symptomen, die nur aus den Berichten der Probandin zu schließen sind, wie z.B. den Albträumen, der Aussage, dass sie eine schwarze Gestalt an sich vorbeihuschen sieht und ähnlichen Symptomen. Hier muss eine genauere detailliertere Überprüfung erfolgen. Voraussetzung für eine solche Überprüfung ist, dass die Aussagen der Probandin auch valide sind. Dies ist im vorliegenden Fall etwas kritisch zu sehen. Zum einen gibt es Widersprüche zwischen einzelnen Aussagen der Probandin, aber auch zu den Aussagen des Ehemanns. So gab der Ehemann z.B. an, dass die Probandin zu Hause nicht depressiv sei, durchaus Spaß habe, auch zum Essen gehe, mit den Enkelkinder spiele und Ähnliches. Bei der Probandin klang dies deutlich anders. Sie gab an, im Grunde genommen gar keinen Spaß mehr zu haben, ständig traurig zu sein, nur noch zu Hause zu weinen und Ähnliches. Aber auch die Probandin selbst macht Aussagen, die gewisse Inkonsistenzen aufweisen. Zum einen gibt sie an, dass sie mehrere Stunden am Arbeitsplatz sei, das nur mit schwersten Ängsten, hält dies aber bereits seit Jahren durch. Es erscheint durchaus möglich, dass jemand mal eine Arbeitszeit von einem halben Jahr, vielleicht auch zwei Jahren unter erhöhter Anspannung durchhält, dass dies aber über sechs Jahre der Fall ist, ist zumindest erst einmal ungewöhnlich. Etwas klarer wird die Situation, wenn man noch betrachtet, dass auch noch andere Belastungsfaktoren im vorliegenden Fall zur Diskussion stehen. So ist neben der Angstsymptomatik, die aus Sicht der Unterzeichner ohne jede Frage immer noch vorhanden ist, auch ohne jede Frage annehmbar, dass eine Belastungssituation durch den Arbeitsplatz an sich besteht. Es werden Arbeitszeiten von 12 Stunden und mehr beklagt, eine Mobbingsituation, auch immer wieder in den Psychotherapieberichten durchklingende schwierige Arbeitslage, die zu einer erhöhten Erschöpfungsneigung geführt haben. Dass die Erschöpfung natürlich auch durch die erhöhte Anspannung der Posttraumatischen Belastungsstörung anfangs mitbedingt war, versteht sich von selbst, allerdings ist auch unter Hinzunahme der Therapieberichte über die Jahre deutlich erkennbar, dass vor allen Dingen die Arbeitssituation und die aus Sicht der Probandin bestehende Inflexibilität der Chefin im Umgang mit ihr einen erheblichen Anteil an der jetzigen Symptomatik hat und sicherlich in den letzten Jahren die Therapie, aber auch das Empfinden der Probandin in erheblichem Maße mitbeeinflusst hat. Die jetzt beschriebene Wut richtet sich so weniger auf die Täter als denn tatsächlich mehr auf die Arbeitsplatzsituation und die Arbeitsbedingungen, so dass sicherlich von einer Verbitterungsreaktion, von einer Erschöpfungsdepression ausgegangen werden kann, allerdings weniger in Bezug auf das Unfallereignis, sondern tatsächlich eher in Bezug auf die Arbeitssituation. Schaut man sich den standardisierten Befund an, so erscheint es wenig plausibel, dass die Probandin nun kaum in der Lage ist, die Fragebögen adäquat auszufüllen. Wenn man hier Voruntersuchungen heranzieht, muss man festhalten, dass diese Probleme vorher nicht bestanden und auch jetzt kein plausibler Grund erkennbar war, warum sie die Fragebögen nicht hat vollständig ausfüllen können. Als einziger Grund bleibt im psychopathologischen Befund festzuhalten, dass der Eindruck entstand, dass sie wenig motiviert gewesen ist bei der Bearbeitung der Fragebögen. Schaut man sich die kurze neuropsychologische Testung an, so kann auch hier ein erhebliches Motivationsdefizit bereits aus den normalen Testuntersuchungen abgeleitet werden. [ ] Zieht man jetzt aber auch die Ergebnisse der so genannten Beschwerdenvalidierungsdiagnostik hinzu, so weisen auch diese auf negative Antwortverzerrungen hin, so dass insgesamt festgehalten werden muss, dass die Motivation der Probandin bei der Bearbeitung der Tests aus welchen Gründen auch immer deutlich erniedrigt war. Unter Zugrundelegung der Kriterien von Slick et al (1999) ist nun zu diskutieren, inwieweit die verringerte Motivationslage als Aggravationstendenz, Simulationstendenz oder vor dem Hintergrund eines anderen Faktors, z.B. konversionsneurotische Beschwerdeentwicklung oder Persönlichkeitsstörung, zu sehen ist. Die schon bereits beschriebenen Inkonsistenzen und der psychopathologische Befund, der annehmen lässt, dass ein gewisses Motivationsdefizit bewusstseinsnah durchaus besteht, die Art der Ergebnisse der neuropsychologischen Diagnostik, die weit über das erwartbare Maß hinaus Defizite anzeigen, sprechen nicht zwingend für eine konversionsneurotische Entwicklung oder für persönlichkeitsimmanente Faktoren. Es kann allenfalls angenommen werden, dass depressiv bedingt eine mangelnde Motivation zur Mitarbeit bestand, allerdings sprechen die Aussagen des Ehemanns, dass die Probandin eben nicht durchgehend depressiv ist, eher gegen diese These. Sicherlich stellt die Untersuchungssituation eine ungewöhnliche Belastungssituation für die Probandin dar und es soll an dieser Stelle auch nicht in Frage gestellt werden, dass bei der Untersuchungssituation selbst eine erhebliche Anspannung bestand und dass sicherlich ein gewisses Angsterleben zumindest phasenweise durchaus vorhanden war, so dass auch die Probandin sicherlich keine idealen Voraussetzungen für die Testuntersuchung aufzeigte, allerdings erklärt dies die Defizite nicht hinreichend, so dass festgehalten werden muss, dass die Motivationsdefizite zumindest in Anteilen sicherlich als aggravativ eingestuft werden müssen. Diese aggravativen Tendenzen müssen vor dem Hintergrund der eben beschriebenen Schwierigkeiten am Arbeitsplatz gesehen werden. So gibt es im vorliegenden Fall erhebliche Anzeichen, dass ein Ambivalenzkonflikt vorliegt. Zum einen möchte die Probandin keine Abzüge in der Rentenzahlung in Kauf nehmen, das bedeutet aber auch, dass sie mindestens ein Jahr laut Aussage des Ehemanns, allerdings nach Aussage der Probandin eher zwei, drei oder fünf Jahre bei der jetzigen Arbeitstätigkeit durchhalten muss. Eine berufliche Alternative sieht die Probandin nicht und hat sicherlich auch berechtigterweise Sorge, dass, wenn sie einen Arbeitsplatzwechsel vornehmen würde, sie keinen neuen Job mehr finden würde wegen ihres Alters. Ebenfalls für die Arbeitstätigkeit und für die Beibehaltung dieses Zieles ist die Persönlichkeit der Probandin heranzuführen, die sicherlich eine leistungsorientierte Persönlichkeit ist. Dies zeigt sich ganz allein dadurch, wie sie die letzten Jahre die Arbeitstätigkeit durchgehalten hat. Auf der anderen Seite besteht ein erheblicher Wunsch nach Entlastung, nach Ruhemöglichkeiten. Gerade wenn man die Aktenlage betrachtet, gab es eine Phase, wo sie arbeitsunfähig geschrieben wurde über mehrere Wochen. Hier schien sie sich auch zunehmend stabilisiert zu haben. Hieraus resultiert allerdings, dass die Arbeitstätigkeit aufgegeben werden müsste. Ein erster Schritt wurde in der Reduktion der Stundenzahl unternommen. Dies reicht aber nicht aus, um das Niveau zu erreichen, was die Probandin sich wünscht. Diese beiden Ziele, zum einen die Aufrechterhaltung der Arbeitstätigkeit, zum anderen die möglichst schnelle Beendigung der Arbeitstätigkeit, stehen sich naturgemäß im Widerspruch gegenüber und werden sicherlich zum Teil dadurch gelöst, dass bewusst Symptome aggraviert werden. Dies würde den Konflikt insofern gesehen lösen, als dass dies mit einer höheren finanziellen Zuwendung verbunden ist und dies vielleicht perspektivisch das frühere Ausscheiden aus dem Job durchaus ermöglichen könnte. An dieser Stelle sei aber eindeutig betont, dass im vorliegenden Fall nicht von einer Simulation der Defizite, auch nicht der neurokognitiven Defizite, ausgegangen werden kann, sondern lediglich von einer Aggravation und dies auch nur vor dem Hintergrund des beschriebenen Ambivalenzkonfliktes. Es kann mit hoher Sicherheit angenommen werden, dass tatsächlich eine psychoreaktive Situation besteht, dies ergibt sich aus dem doch recht eindeutigen psychopathologischen Befund, aus dem typischen Verlauf und dem Umstand, dass die Probandin an sich generell sicherlich keinen Hang hat, deutlich und allumfassend Symptome zu übertreiben. Dies zeigt sich daran, dass sie über Jahre hinweg die Arbeitstätigkeit aufrechterhalten hat, dies wäre sicherlich bei einem primären Rentenwunsch so nicht der Fall gewesen. An der Diagnose der Posttraumatischen Belastungsstörung sollte daher nicht gezweifelt werden, diese sollte im Kern noch als unfallabhängige Diagnose angenommen werden, allerdings muss festgehalten werden, dass die Aussagen der Probandin sicherlich nicht durchgängig als authentisch angesehen werden können, dass Aggravationstendenzen die genaue Diagnosestellung erschweren und dass darüber hinaus anzunehmen ist, dass die depressive Entwicklung, so sie denn durchgängig vorhanden ist (hieran lassen die Aussagen des Ehemanns zweifeln), eher unfallunabhängigen Problemfeldern wie der schlechten Situation am Arbeitsplatz, der Mobbingsituation und des beschriebenen Ambivalenzkonfliktes zuzuschreiben sind. Die bei der vorherigen Begutachtung angenommene dissoziative Symptomatik [ ...] lassen sich unter diesen Umständen der Aggravationstendenz ebenfalls nicht ausreichend sicher beurteilen. Hier kann eine Diagnosesicherung nicht mehr erfolgen, da die Aussagen der Probandin in einigen Teilen nicht verlässlich sind und die Diagnose sich alleinig auf die Aussagen der Probandin stützt und keine Erkenntnisse aus dem psychopathologischen Befund hier entnommen werden können und auch unter Hinzuziehung der Therapieberichte der Therapeutin keine Hinweise darauf zu finden sind, dass diese Symptomatik dort eine größere Rolle gespielt hat. Als gesicherte Diagnose kann daher alleinig eine Posttraumatische Belastungsstörung (F43.1) aus dem Krankheitsverlauf heraus angenommen werden, aus dem psychopathologischen Befund heraus, aber auch aus dem bereits beschriebenen erhöhten Chronifizierungsrisiko. Alle anderen Diagnosen müssen als fraglich angesehen werden. [ ] Sollte [ ...] [die jetzige Therapie noch zu Lasten der Beklagten stattfinden], so wäre daran zu denken, die Therapie zu Lasten der Berufsgenossenschaft langsam auszuschleichen und in eine Therapie überzuleiten zu Lasten der zuständigen Krankenkasse. Dies ergibt sich daraus, dass die berufliche Konfliktsituation eindeutig im Vordergrund steht und bezüglich der psychoreaktiven Symptomatik keine Veränderungen mehr erwartbar sind, so lange die Arbeitstätigkeit tatsächlich so aufrechterhalten wird, wie sie aktuell durchgeführt wird. Erst nach Beendigung der Arbeitstätigkeit wäre damit zu rechnen, dass die Symptomatik sich bessert und wie im Verlauf auch zu erkennen, tut sie dies wahrscheinlich auch großteilig ohne therapeutische Unterstützung, aber gegebenenfalls könnte zu diesem Zeitpunkt sicherlich noch einmal ein kurzes Konfrontationstraining stattfinden in dem Sinne, dass Einkaufssituationen und Ähnliches verstärkt geübt werden können. Bezüglich der Minderung der Erwerbsfähigkeit ist im vorliegenden Fall festzuhalten, dass unter Zugrundelegung der Kriterien von Schönberger et al (2011) für eine Posttraumatische Belastungsstörung grundsätzlich eine MdE von 30 v.H. anzunehmen ist (sofern sie die typischen Symptome betreffen). Da im vorliegenden Fall kein so ausgeprägtes Vermeideverhalten vorliegt, die Probandin konfrontiert sich zumindest mit bestimmten Reizen, wäre eine MdE im Bereich von 20 bis 30 zu diskutieren. In der Zusammenschau des doch sehr eindrücklichen psychopathologischen Befundes wird allerdings angeraten, eine MdE in Höhe von 30 v.H. festzusetzen. Die Veränderung im Vergleich zur Vorbegutachtung ergibt sich daraus, dass die depressive Symptomatik und die dissoziative Symptomatik aus den beschriebenen Gründen so nicht mehr nachweisbar ist und daher die MdE-Zubemessung allein auf Grundlage der Posttraumatische Belastungsstörung erfolgt und der damit verbundenen Funktionsbeeinträchtigungen wie verminderten Aktivitäten, ein Restvermeideverhalten, eine emotionale Belastung bei Reizen, die an das Unfallereignis erinnern und sicherlich sind auch Schlafstörungen noch mit genügender Wahrscheinlichkeit als authentisch anzunehmen."

Nach Anhörung der Klägerin erteilte die Beklagte dieser unter dem 07.02.2013 einen "Bescheid über Rentenherabsetzung", in dem sie verfügte, dass die MdE ab 01.03.2013 auf 30 v. H. neu festgestellt und die Rente dementsprechend herabgesetzt werde.

Zur Begründung berief sich die Beklagte darauf, dass sich die dem Bescheid vom 25.12.2005 zu Grund liegenden Verhältnisse wesentlich geändert hätten [ein Bescheid vom 25.12.2005 existiert nicht; unter dem 25.12.2005 hatte Dr. AV. sein neurologisch-psychiatrisches Gutachten erstattet, das Grundlage für den Bescheid vom 08.02.2006 war; Anm. d. Verf.]: Bei der Klägerin sei zwar im Vergleich zu dem früheren Befund bezüglich des klinischen Eindrucks kein wesentlicher Unterschied festgestellt, allerdings werde dieser Befund nicht mehr nur durch die schädigende Wirkung des Unfalls vom 27.02.2004 verursacht, sondern auch durch unfallunabhängige Faktoren. Es handelt sich somit um eine Verschiebung der Wesensgrundlage. Es lägen zwar weiterhin psychische Beeinträchtigungen wegen des o.g. Unfalls vor, allerdings jetzt auch erhebliche unfallunabhängige Faktoren, wie Belastungen durch Arbeitszeiten von mehr als 12 Stunden, Mobbingsituationen, schwierige Arbeitslagen u.a. aufgrund der Inflexibilität der Chefin mit daraus folgenden erhöhten Erschöpfungsneigungen. Diese Situationen hätten jetzt eine Wut und Verbitterungsreaktion mit Erschöpfungsdepressionen auf die Arbeitsplatzsituation und die Arbeitsbedingungen hervorgerufen. Auch dem Ehemann der Klägerin seien nach dessen Aussagen keine längeren depressiven Phasen zu Hause aufgefallen, sondern eher, dass die Klägerin Spaß zu Hause habe. Gleichzeitig werde auch durch ihren Ehemann bekräftigt, dass die Klägerin sehr unter den Arbeitsbedingungen leide und dass es Mobbingsituationen während der Arbeit gebe. Die Entscheidung zu den Folgen des Arbeitsunfalls und zur MdE stütze sich auf das neurologisch-psychiatrische Gutachten des Dr. AV. vom 04.12.2012.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin, vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigte, Widerspruch ein, mit dem sie sich der Annahme des Eintritts einer Verbesserung entgegen stellte. Diesbezüglich wurden mit dem Widerspruchsschreiben die von der Klägerin mit einem Opferverein (vgl. Schriftsatz der Klägervertreterin vom 17.04.2014) verfassten "Anmerkungen" zu dem Gutachten der Herren Dr. AV. und DB vom 04.12.2012 vorgelegt. Die Klägervertreterin wandte gegen die angefochtene Entscheidung der Beklagten ergänzend ein, dass den Sachverständigen lediglich die medizinischen Berichte bis zum 19.03.2008 vorgelegen hätten, obwohl sich die Klägerin weiterhin in psychotherapeutischer Behandlung befinde. Zudem seien die Berichte bis zum 19.03.2008 bereits Gegenstand des vorausgegangenen Rechtsstreits gewesen, in dem rechtskräftig das Vorliegen einer MdE von 50 v. H. festgestellt worden sei.

Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 07.02.2013 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.05.2013 zurück. Zur Begründung führte die Beklagte unter Berufung auf die Feststellungen des herangezogenen Gutachtens der Herren Dr. AV./DB vom 04.12.2012 aus, dass die gutachterlich erhobenen Befunde und deren Bewertung eine wesentliche Änderung (§ 48 Abs. 1 SGB X) ergäben. So seien die depressiven und dissoziativen Reaktionen der Kläger abgeklungen. Unfallunabhängig sei dagegen eine Wut- und Verbitterungsreaktion mit Erschöpfungsdepression in Bezug auf einzelne Konflikt- und Belastungssituationen im beruflichen Alltag eingetreten.

Die Klägerin hat durch ihre Prozessbevollmächtigte am 17.06.2013 Klage zum Sozialgericht Frankfurt erhoben.

Die Klägervertreterin wiederholt im Wesentlichen ihren Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren.

Die Klägervertreterin beantragt,
den Bescheid vom 07.02.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.05.2013 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält ihre Rechtsauffassung für zutreffend und wendet sich schon aus Rechtsgründen gegen eine Verwertung der im Klageverfahren eingeholten gutachtlichen Stellungnahme von Frau D. (s. u.) als Sachverständigengutachten. Den Ausführungen von Frau D. komme allenfalls der Stellenwert einer subjektiven Meinungsäußerung zu, zumal sie einseitig für die Klägerin Stellung bezogen habe. Falls das Gericht dem Gutachten von Dr. AV. und Herrn DB nicht folge, sei zur weiteren Sachverhaltsaufklärung ein Gutachten auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet einzuholen, was (hilfsweise) beantragt werde.

Das Gericht hat im Rahmen der Sachverhaltsermittlungen die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakte des vorangegangenen Rechtsstreits S 35 U 68/07 inklusive nachgeheftetem Berufungsverfahren zu dem Rechtsstreit beigezogen. Es hat zudem einen Befundbericht bei Frau D. angefordert, der vom 12.07.2014 stammt und der über die letzten zwei Jahre der psychotherapeutischen Behandlung (bis 12.08.2014) berichtet. Aus dem Bericht ergibt sich, dass eine Verbesserung des psychischen Gesundheitszustandes nicht stattgefunden habe. Die Symptomatik sei chronifiziert. Die Therapie diene der Stabilisierung und dem Schutz vor Dekompensation. Im Anschluss an diesen Bericht hat das Gericht Frau D. aufgefordert, eine kurze gutachtliche Stellungnahme zum Gutachten der Herren Dr. AV. und DB vom 04.12.2012 abzugeben, was Frau D. unter dem 28.04.2015 getan hat. In ihrer Stellungnahme führt Frau D. u. a. aus, dass die teilweise auftretenden Konflikte am Arbeitsplatz mit wechselnden (meist männlichen) Chefs mit der posttraumatischen Symptomatik, insbesondere der starken Anspannung und erhöhten Reizbarkeit/Agitiertheit der Patientin zusammenhingen, die Vorgesetze, Kollegen und Kunden zu spüren bekämen. Das traumatisierende Ereignis, der Überfall, habe am Arbeitsplatz stattgefunden, die Täter seien von hinten aus einem Versteck gekommen. Der Überfall habe die Symptomatik ausgelöst und halte die Symptomatik aufrecht, nicht der eine oder andere Konflikt mit einem Vorgesetzten, einer Kollegin oder einem Kunden. Der Umgang mit diesen Konflikten sei therapeutisch zu bewältigen (und deshalb oft Gegenstand der Berichte) gewesen, die innere Anspannung aufgrund des traumatisierenden Ereignisses kaum, zumal die Klägerin an jedem Arbeitstag permanent mit dem Ort des Überfalls konfrontiert (gewesen) sei. Aus Sicht der Psychotherapeutin seien zu keinem Zeitpunkt der Therapie überfallunabhängige Faktoren soweit in den Vordergrund getreten, dass sie die wesentliche Ursache der Symptomatik gebildet hätten, weder Konflikte am Arbeitsplatz, noch die Erkrankung des Ehemannes und auch nicht der Tod des Mannes im Mai 2014. Die Symptomatik der Klägerin inklusive der Agitiertheit, der Wut, der Aggressivität und der Verbitterung stehe eindeutig mit dem Überfall im Zusammenhang. Die Ausführungen des Ehemannes, die zur Einschätzung der Gutachter geführt hätten, die Klägerin sei nicht depressiv, überraschten die Psychotherapeutin sehr. Hier hätten wohl Scham und soziale Erwünschtheit eine Rolle gespielt. Offensichtlich habe der Ehemann nicht erwähnt, dass er in der Regel trotz seiner körperlichen Einschränkungen den Haushalt erledigt und gekocht habe und die Klägerin zum Essen habe ermuntern müssen. Auch seine wiederholte Kritik an der Klägerin, die nach der Arbeit nicht mehr in Lage gewesen sei, zu putzen und Ordnung zu halten, habe er offensichtlich nicht den Gutachtern zugänglich machen wollen. Die Klägerin habe zudem versucht, ihren Mann nicht zu belasten, um auch hier zu funktionieren. Aus der kurzen Befragung des Ehemannes könne nicht geschlossen werden, dass bei der Klägerin keine depressive Störung vorliege. Die Klägerin leide unter Erschöpfung, erhöhter Ermüdbarkeit, Existenz- und Zukunftsängsten, gedrückter Stimmung, Resignation, Freudlosigkeit, Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit, Agitiertheit, Reizbarkeit, Dissoziationserleben ("Ich laufe neben mir"), Gewichtsverlust, Schlafstörungen und Alpträumen und lebe sozial zurückgezogen. Kontakt habe sie nur zum engsten Familienkreis. Ihre Tochter und Enkelkinder lebten seit Jahren im Ausland, derzeit in England und der Kontakt sei auch hier sehr eingeschränkt. Es liege daher weiterhin eine MdE von 50 v.H. vor, da sich die Arbeitsfähigkeit und Belastbarkeit der Patientin nicht verbessert habe.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht beim zuständigen Sozialgericht eingelegt worden und als Anfechtungsklage statthaft. Durch die begehrte gerichtliche Aufhebung der angefochtenen Entscheidung der Beklagten wäre die Rechtslage wiederhergestellt, die durch das rechtskräftige Urteil des Sozialgerichts Frankfurt vom 23.09.2009 (Az.: S 35 U 68/07) bestanden hat (mit der Rechtskraft des die Berufung der Beklagten zurückweisenden Urteils zweiter Instanz – Urteil vom 13.05.2011, L 9 U 249/09 – ist das erstinstanzliche Urteil rechtskräftig geworden.). In beiden Instanzen ist der Bescheid vom 08.02.2006 über die Gewährung einer Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE von 50 v. H. auch unter Dauerrentengesichtspunkten bestätigt worden.

Die zulässige Klage führt auch in der Sache zum Erfolg.

Die Klägerin hat Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen Entscheidung der Beklagten, weil diese rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt. Eine wesentliche Änderung nach § 48 Abs. 1 SGB X ist nicht eingetreten; die Beklagte kann die Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung nicht durchbrechen; die Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung einer Rente nach einer MdE von 50 v. H. besteht fort.

Die Voraussetzungen des § 48 SGB X, auf den sich der angefochtene Bescheid vom 07.02.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.05.2013 stützt, sind bei der Klägerin nicht gegeben.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.

Die Anwendung dieser Vorschrift auf den Fall der Klägerin begründet die Beklagte in ihrer Entscheidung unter Bezugnahme auf das Gutachten der Herren Dr. AV. und DB vom 04.12.2012 jeweils unterschiedlich: Laut Bescheid habe eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse insoweit stattgefunden, als bei der psychischen Erkrankung der Klägerin eine Verschiebung der Wesensgrundlage eingetreten sei: Der – im Wesentlichen zur Vorbegutachtung 2006 unveränderte – klinische Befund sei jetzt auch durch erhebliche unfallunabhängige Faktoren bedingt, auf deren Grundlage sich jetzt eine Wut mit Verbitterungsreaktion mit Erschöpfungsdepressionen entwickelt habe. Bekräftigt werde diese Einschätzung durch die fremdanamnestischen Angaben des Ehemannes der Klägerin in dem o. g. Gutachten. Im Widerspruchsbescheid begründet die Beklagte ihre Entscheidung damit, dass die Unfallfolgen Depression und Dissoziative Störung abgeklungen seien und eine Wut- und Verbitterungsreaktion mit Erschöpfungsdepression unfallunabhängig eingetreten sei.

Nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts sind – abgesehen von einer Widersprüchlichkeit der Argumentation (sind, unabhängig von der Unfallbedingtheit, Depression und Dissoziation noch vorhanden oder nicht?) – beide Begründungen sachlich nicht vereinbar mit den Ausführungen der Sachverständigen Dr. AV. und DB in ihrem Gutachten vom 04.12.2012.

Mit diesem Gutachten kann die Anwendung des § 48 SGB X zu Lasten der Klägerin nicht begründet werden.

1. Keine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse: 1.1 Die mittelgradige depressive Störung sowie die Dissoziative Störung sind nach dem o. g. Gutachten keinesfalls abgeklungen. Im Gegenteil: die Sachverständigen Dr. AV. und DB stellen ausdrücklich fest, dass "vom klinischen Eindruck her kein wesentlicher Unterschied im Vergleich zu den Vorgutachten" besteht. Der Unterschied liegt nach den Sachverständigen darin, dass eine Diagnosesicherung bezüglich der Dissoziativen Störung und der Depression wegen Aggravationstendenzen der Klägerin nicht (mehr) möglich ist. Die Annahme von Aggravationstendenzen mit der Folge der fehlenden Diagnosesicherung in Bezug auf die beiden genannten Diagnosen beruht laut Sachverständigengutachten darauf, dass erstmals bei der Begutachtung der Klägerin 2012 unter Geltung der "Leitlinie zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen" bestimmte Validierungverfahren eingesetzt worden sind, die 2005 und 2006 noch nicht zum Einsatz gekommen waren. Ausgehend von den sehr ausführlichen Angaben des Sachverständigen Dr. AV. zum aktuellen (2007) Stand der medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse in Bezug auf den Einsatz von Validierungsverfahren im psychotraumatologischen Bereich (ergänzende Stellungnahme vom 20.11.2007) haben die Sachverständigen in ihrem Gutachten vom 04.12.2012 betont, dass eine "differente Einschätzung" nach Änderung der Leitlinie im Vergleich zu den Vorgutachten nicht krankheitsbedingt, sondern methodischer Art ist (eingangs der "Zusammenfassung und Beurteilung" des Gutachtens vom 04.12.2012; im Tatbestand wörtlich zitiert).

Das Vorliegen einer wesentlichen Veränderung durch Abklingen der depressiven Störung und der Dissoziativen Störung kann mit dem Sachverständigengutachten (aa0) also nicht begründet werden. Auch dem Bericht und der Stellungnahme der sachverständigen Zeugin D. (zur Verwertbarkeit deren Äußerungen vgl. rechtlicher Hinweis vom 28.04.2017 an die Beklagte), die im Klageverfahren vorgelegt worden sind, kann ein Abklingen dieser Erkrankungen keinesfalls entnommen werden.

1.2 Von einer Verschiebung der Wesensgrundlage ist in dem o. g. Gutachten an keiner Stelle, weder wörtlich noch sinngemäß, die Rede. Unter Verschiebung der Wesensgrundlage wird der nachträgliche Wechsel der Ursache bei unverändert gebliebenem Krankheitsbild verstanden (vgl. Bay. LSG vom 18.02.2014 - L 15 VG 2/09 -, Rn. 156 m.w.N. aus der Rspr. d. BSG (juris)). In den (Normal-)Fällen, bei denen es hinsichtlich der Kausalität nur auf die wesentliche Verursachung ankommt, liegt eine Verschiebung der Wesensgrundlage vor, wenn das vorher wesentlich ursächliche Unfallereignis aufgrund nachträglicher Änderung so in den Hintergrund rückt, dass es seine Eigenschaft als wesentliche Ursache verliert. Dies kann der Fall sein, wenn unfallbedingte Gesundheitsstörungen abklingen, der Gesundheitszustand wegen davon unabhängiger neuer Leiden jedoch dennoch unverändert bleibt (vgl. Bay. LSG vom 09.12.2015 - L 2 U 496/12 -, Rn. 71 (juris); Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, Seite 112). Eine Verschiebung der Wesensgrundlage darf nur dann bejaht werden, wenn im gesundheitlichen Sachverhalt tatsächliche Änderungen - wenn auch "unsichtbare" - eingetreten und eindeutig festgestellt sind. Dabei hat das BSG eine Art tatsächliche Vermutung formuliert (vgl. BSG v. 23.05.1969 - 10 RV 273/66 -, Rn. 19 (juris)): würden danach die gleichen Erscheinungen und Beschwerden, also die gleichen Zustände einer Normabweichung festgestellt, dann spreche die Gleichheit der Zustände dafür, dass sich auch an der Ursache dieser Krankheitserscheinungen nichts geändert habe. Der Ursachenwechsel muss deshalb im Einzelfall erwiesen sein (mit Vollbeweis). Die objektive Beweislast liegt insoweit beim Leistungsträger, der sich auf eine Verschiebung der Wesensgrundlage beruft (dieser Absatz ist zitiert aus SG Karlsruhe, Urteil vom 26. April 2016 – S 1 U 90/14 –, Rn. 29, juris). Da sich weder aus dem Sachverständigengutachten vom 04.12.2012 noch aus anderen medizinischen Unterlagen der Akte – bei klinischer Gleichheit der Erscheinungen und Beschwerden, die die Beklagte sogar ausdrücklich anerkennt (vgl. Begründung im Bescheid vom 07.02.2013) – ein derartiger Ursachenwechsel herleiten lässt, ist auch die diesbezügliche Argumentation der Beklagten ohne jede Grundlage. Für eine Verschiebung der Wesensgrundlage liegt keinerlei Beweis vor, schon gar kein Vollbeweis. Daher scheidet auch eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse durch Verschiebung der Wesensgrundlage nach § 48 SGB X aus.

2. Keine Änderung der rechtlichen Verhältnisse: Die Publikation der zwischen April 2008 und März 2011 erstellten Leitlinie zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen (konkret: Sk2 – Leitlinie zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen – AWMF – Registernr. 051/029; http://www.awmf.org/uploads/tx szleitlinien/051-029l S2k Begutachtung psych und psychosom Erkrankungen 2017-04 abgelaufen.pdf; Internetrecherche der Kammervorsitzenden vom 12.06.2017) ist nicht als wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse anzusehen.

Die Leitlinie verpflichtet den Sachverständigen, die bei der Begutachtung berichteten Beschwerden des Probanden mit den "unterschiedlichen zur Verfügung stehenden geeigneten Methoden" zu validieren (Leitlinie, aa0, Seiten 4-5 – Problemaufriss und Fragestellung –). Als geeignete Methoden zur Validierung von Angaben über Symptome, Funktionseinschränkungen, Krankheitsverlaufsmerkmale und Behandlungswirkungen sowie zum Konsistenzabgleich nennt die Leitlinie (aa0, Seiten 10 – Beschwerdevalidierung –) Exploration/Interview, Verhaltensbeobachtung, standardisierte/normierte Fragebögen, Fragebogenkontrollskalen oder Fragebögen zu Antworttendenzen, körperliche Funktions- und Leistungstests, psychologische Funktions- und Leistungstests, Symptomvalidierungstests, Labortests/Kontrolle des Serumspiegels.

Eine Änderung in den rechtlichen Verhältnissen liegt vor bei einer Änderung der dem Dauerverwaltungsakt zugrunde liegenden Rechtsnormen. Erfasst wird jede Änderung von Gesetzen im materiellen Sinne (BSG 30. 6. 1998 - B 2 U 41/97 R = BSGE 82, 212, 213), also Änderungen von Parlamentsgesetzen, Rechtsverordnungen, Satzungsbestimmungen (BSG 23. 11. 1992 - 12 RK 27/92 = SozR 3-2500 § 240 Nr. 10). Administrative Akte können jedenfalls dann zu Änderungen in den rechtlichen Verhältnissen führen, wenn sie unmittelbare Folgen für die Anwendung von Rechtsnormen haben (für Vorbehalte der Bundesregierung nach Art. 16 Abs. 6 des Europäischen Fürsorgeabkommens - EFA: BSG vom 3. 12. 2015 - B 4 AS 43/15 R = juris). Änderungen interner Verwaltungsvorschriften ohne Rechtsnormqualität bewirken keine Änderungen in den rechtlichen Verhältnissen (BSG 27. 11. 1991 - 9a RV 13/90 = ZfS 1992, 115, 117; ebenso Hess. LSG 9. 2. 2005 - L 8/5 V 140/03 = juris; LSG Baden-Württemberg vom 21. 2. 2013 - L 6 VJ 3646/10 = juris). Gleiches gilt nach der Rechtsprechung des BSG bei Änderungen medizinischer Erfahrungssätze (für Empfehlungen für die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit siehe BSG 30. 6. 1998 - B 2 U 41/97 R = BSGE 82, 212, 214 und BSG 19. 12. 2000 - B 2 U 49/99 R = juris; zustimmend Waschull in LPK-SGB X § 48 Rz 26; a. A. LSG Niedersachsen 14. 8. 1995 - L 6 U 80/95 = Breith. 1996, 28, 29). Die Gegenauffassung differenziert danach, ob die geänderten Erfahrungssätze auf eine andere rechtliche Bewertung zurückzuführen sind (dann Änderung in den rechtlichen Verhältnissen), oder lediglich Ausdruck neuer medizinischer Erkenntnisse oder verfeinerter medizinischer Untersuchungsmethoden sind, sodass von Anfang an eine entsprechende Entscheidung hätte ergehen müssen (dann allenfalls Korrektur wegen anfänglicher Rechtswidrigkeit nach §§ 44, 45 SGB X, siehe Schütze in von Wulffen, SGB X § 48 Rz 11) (dieser Absatz ist zitiert nach Merten in: Hauck/Noftz, SGB, 05/17, § 48 SGB X, Rn. 20).

Im Falle der Klägerin ist den Sachverständigen Dr. AV. und DB durch die Einbeziehung von Validierungsverfahren entsprechend der Leitlinie (aa0) keine Diagnosesicherung in Bezug auf die Depression und die Dissoziative Störung möglich, anders als bei den vorangegangenen Begutachtungen in den Jahren 2005 und 2006, als die Leitlinie noch nicht galt und die Validierung nur nach einem Kriterienkatalog beobachtbarer Anzeichen für eine Aggravation nach ärztlicher Beurteilung erfolgte (Stellungnahme Dr. AV. vom 20.11.2007, s. Tatbestand). Dass die Diagnosen Depression und Dissoziative Störung, die in den Vorgutachten noch als Unfallfolgen anerkannt worden waren, bei der Begutachtung 2012 von den Sachverständigen nicht (mehr) gestellt werden konnten, ist Ausdruck verfeinerter medizinischer Untersuchungsmethoden und damit nach keiner der oben genannten Rechtsauffassungen einer Änderung der rechtlichen Verhältnisse geschuldet. Die Reduzierung der MdE von 50 auf 30 v. H. ist nach dem Sachverständigengutachten keinesfalls Ausdruck einer Verbesserung des Gesundheitszustandes der Klägerin, was die Sachverständigen auch explizit ausführen (ihr Gutachten enthält sogar den Hinweis auf die Klärungsnotwendigkeit der rechtlichen Umsetzung dieses Ergebnisses an die Beklagte: "Wie dies dann auf der Verwaltungsebene der Berufsgenossenschaft umgesetzt wird, wäre dort zu beurteilen.") Dem Antrag der Beklagten, ein Sachverständigengutachten von Amts wegen einzuholen, musste nicht nachgekommen werden, weil weder das Sachverständigengutachten vom 04.12.2012 noch der Befundbericht bzw. die Stellungnahme der behandelnden Psychotherapeutin D. eine Verbesserung des psychischen Gesundheitszustandes oder eine Verschiebung der Wesensgrundlage festgestellt haben. Ein Ermittlungsansatz war bei dieser Sachlage nicht zu verzeichnen.

Der Klage war stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Rechtsmittelbelehrung folgt aus §§ 143, 144 SGG.

Zur Vermeidung eines weiteren Rechtsstreits sei darauf hingewiesen, dass die Beklagte auch nicht berechtigt (gewesen) wäre, nach § 44 SGB X vorzugehen mit dem Argument, dass, hätte die Leitlinie schon 2005 gegolten, die Diagnosen Depression und Dissoziative Störung schon 2005 und 2006 nicht hätten gestellt werden können. Einem solchen Vorgehen stünde die Rechtskraft der Urteile des SG Frankfurt (S 35 U 68/07) vom 23.09.2009 und des Hessischen LSG vom 13.05.2014 entgegen:

Zwar erfasst die Bindungswirkung (materielle Rechtskraft) grundsätzlich nur die Urteilsformel, deren Tragweite ist aber unter Heranziehung der Urteilsgründe einschließlich der tatsächlichen Feststellungen im Urteilstatbestand zu ermitteln. Die Rechtskraft geht soweit wie "der in der Formel enthaltene Gedanke reicht" (so die Formulierung in BSG, Urteil vom 21. 3. 2006, B 2 U 2/05 R, juris, Rn. 28; zitiert nach Dr. Tilman Breitkreuz in: Breitkreuz/Fichte, § 141 Rz. 8; juris). Die Bindungswirkung des Urteils der 35. Kammer des Sozialgerichts Frankfurt erstreckt sich auf die Beachtung der in den Entscheidungsgründen dargelegten Rechtsauffassung des Gerichts (vgl. Dr. Tilman Breitkreuz in: Breitkreuz/Fichte, § 141 Rz. 8-10, aa0, mwN aus der Rechtsprechung).

Das Vorliegen einer MdE von 50 v. H., das zur Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils durch die Berufungsinstanz geführt hat, wurde vom erkennenden Senat gerade mit dem Vorhandensein dreier Erkrankungen als Unfallfolgen (PTBS, mittelgradige depressive Episode, dissoziative Störung) begründet, weshalb die Gesamt-MdE auch unter Dauerrentengesichtspunkten mit 50 v. H. eingeschätzt wurde. Die Entscheidungsgründe (Berücksichtigung von Erkrankungen als Unfallfolgen; explizit im Urteil des Hessischen LSG) haben damit teil an der materiellen Rechtskraft (§ 141 Abs. 1 SGG) (vgl. BSG, Beschluss vom 25. August 2014 – B 11 AL 138/13 B –, Rz. 13, juris).
Rechtskraft
Aus
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