S 7 R 1530/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 7 R 1530/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 14 R 165/17
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 18.03.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.06.2014 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Kläger für seine ab dem 01.10.2012 bei der K-D GmbH ausgeübte Tätigkeit von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit ist. Die Beklagte trägt die Kosten des Klägers dem Grunde nach.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass er für seine seit dem 01.10.2012 ausgeübte Tätigkeit von der Versicherungspflicht befreit ist, hilfsweise begehrt er die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht.

Der Kläger stellte im Februar 2014 bei der Beklagten einen Antrag auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht. Er ist approbierter Arzt und ist seit dem 01.10.2012 bei dem Pharma-Unternehmen K-D GmbH als "Head of Medical Information" angestellt. In der Vergangenheit hatte die Beklagte den Kläger (nach einer Befreiung von der Versicherungspflicht als Apotheker mit Bescheid vom 03.12.2001) mit Bescheid vom 17.12.2008 für seine Tätigkeit als Arzt von der Versicherungspflicht befreit. Laut Antrag war er seinerzeit im evangelischen Krankenhaus in P als Assistenzarzt beschäftigt. Im Bescheid heißt es unter anderem wörtlich: "Die Befreiung gilt für die obengenannte und weitere berufsspezifische Beschäftigungen/Tätigkeiten, solange hierfür eine Pflichtmitgliedschaft in der berufsständischen Versorgungseinrichtung unter Beibehaltung der Pflichtmitgliedschaft in der Berufskammer besteht ". Unter der Überschrift "Hinweise" steht ferner: "Die Befreiung erstreckt sich nicht auf berufsfremde Tätigkeiten/Beschäftigungen, selbst wenn die Mitgliedschaft in der Berufskammer und in der Versorgungseinrichtung fortbesteht".

Mit Bescheid vom 18.03.2014 lehnte die Beklagte den Befreiungsantrag ab. Eine Befreiung von der Versicherungspflicht erfolge für Beschäftigte und selbstständig Tätige nur dann für eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit, wenn sie wegen dieser Beschäftigung aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind. Es müsse daher ein innerer Zusammenhang zwischen der Tätigkeit, für die die Befreiung beantragt wird, und dem Versicherungsschutz durch die berufsständische Versorgungseinrichtung bestehen. Ein solcher innerer Zusammenhang werde durch das Merkmal "berufsspezifisch" gewährleistet. Es reiche daher nicht aus, Pflichtmitglied in der berufsständischen Kammer zu sein, sondern es müsse auch eine dem Kammerberuf entsprechende Tätigkeit ausgeübt werden. Daraus folge, dass nicht jede Tätigkeit eines zugelassenen Arztes zur Ausübung des Befreiungsrechts berechtige, sondern nur eine solche Tätigkeit, die tatsächlich die Merkmale einer Tätigkeit als Arzt aufweise und daher auch ausschließlich für Personen mit diesem beruflichen Hintergrund zugänglich sei. Die Approbation als Arzt müsse objektiv unabdingbare Einstellungsvoraussetzung sein, damit für die Tätigkeit eine Befreiung erteilt werden könne. Es reiche nicht aus, dass der Arbeitgeber für eine bestimmte Tätigkeit bevorzugt Ärzte einstellt. Der Kläger sei zwar Pflichtmitglied in der Ärztekammer Nordrhein und der Nordrheinischen Ärzteversorgung, aus dem Gesamtbild seiner Tätigkeit ergebe sich aber, dass er keine Tätigkeit als Arzt ausübe. Aus der vorliegenden Stellenbeschreibung ergebe sich, dass die Tätigkeit mit einem abgeschlossenen Hochschulstudium der Humanmedizin, der Humanbiologie, der Veterinärmedizin, der Pharmazie, der Biologie oder der Chemie, bevorzugt mit Promotion ausgeübt werden könne. Ergänzend sei festzustellen, dass die Tätigkeit weder unmittelbar noch mittelbar die Ausübung der Heilkunde an Menschen beinhalte. Allein die Tatsache, dass die im Medizinstudium erworbenen Kenntnisse bei der Tätigkeit von Nutzen seien, reiche nicht aus, um eine ärztliche Tätigkeit anzunehmen. Wird eine Tätigkeit ausgeübt, die auch anderen – nicht verkammerten – Berufsgruppen offensteht, sei die fragliche Tätigkeit nicht geeignet, eine Pflichtmitgliedschaft in einer öffentlich-rechtlichen Versorgungseinrichtung zu begründen. Für diese Sichtweise spreche auch, dass das Tatbestandsmerkmal des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI, wonach eine Befreiung nur für die Tätigkeit auszusprechen sei, wegen der sie Pflichtmitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung seien, ansonsten seine Funktion verlöre. Denn dann würde die bloße Pflichtmitgliedschaft in der berufsständischen Versorgungseinrichtung ausreichen, der in § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI geregelte Tätigkeitsbezug würde aufgelöst.

Hiergegen erhob der Kläger am 22.04.2014 Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, sehr wohl eine ärztliche Tätigkeit auszuüben. Er sei Leiter der medizinisch-wissenschaftlichen Abteilung und Informationsbeauftragter. Es sei seine Aufgabe, die medizinisch-wissenschaftlich korrekte Information zu den Arzneimitteln des Arbeitgebers sicherzustellen. Dabei seien im Wesentlichen drei Felder abzudecken: 1. Die Beantwortung von Kundenanfragen. Der Kläger überwache hierbei die ärztlichen und nichtärztlichen Mitarbeiter und führe auch entsprechende Schulungen durch. Ferner entwickle er Standardantworten für häufig gestellte Fragen und beantworte Fragen, die aufgrund des einzelnen Falles eine besondere ärztliche Expertise erforderten. Für all diese Tätigkeiten seien profunde medizinische Kenntnisse und Erfahrungen notwendig. 2. Das zweite Tätigkeitsfeld bestünde in der Werbung für Arzneimittel als Informationsbeauftragter nach § 74a Arzneimittelgesetz. Hierbei trage der Kläger die Verantwortung dafür, dass die wissenschaftlichen Informationen im Allgemeinen und im Besonderen in der Werbung wissenschaftlich korrekt sind. Auch müssten die Informationen im Einklang mit der jeweiligen Zulassung des Arzneimittels stehen. Dies könne aufgrund der Komplexität und der erforderlichen medizinischen Sachkenntnisse praktisch nur ein Arzt leisten. Aus diesem Grund seien auch die Vorgänger des Klägers als Informationsbeauftragte stets approbierte Humanmediziner gewesen. 3. Entsprechendes gelte für den dritten Bereich. Dieser umfasse die Arbeit an den sogenannten "informierenden Texten" wie beispielsweise die Packungsbeilage oder Inhalte in der "Roten Liste". Das humanmedizinische Studium des Klägers sei daher nicht nur "nützlich", sondern erforderlich, um seine Tätigkeit auszuüben. Zu der Stellenausschreibung, die die Beklagte ihrer Beurteilung zu Grunde gelegt habe, sei festzustellen, dass diese nicht mehr aktuell sei.

Die Ärztekammer Nordrhein hat ebenfalls Stellung genommen. Sie vertritt die Auffassung, dass ärztliche Tätigkeit nicht nur die diagnostische und therapeutische Tätigkeit der praktizierenden Ärzte sei, sondern auch jede Tätigkeit, die dadurch gekennzeichnet sei, dass sie aufgrund der für die Ärzte vorgeschriebene Ausbildung und Qualifikation ausgeübt werden kann. Für die Annahme der ärztlichen Tätigkeit im Sinne der Beitragsordnung sei es ausreichend, wenn vom Kammermitglied seine Vorbildung oder Stellung als approbierter Arzt verwendet werde. Nach § 2 Abs.1 der Beitragsordnung werde ärztliche Tätigkeit definiert als jede Tätigkeit, bei der ärztliche Fachkenntnisse vorausgesetzt, eingesetzt oder mitverwendet werden könnten. Es sei nicht erforderlich, Heilkunde unmittelbar als praktizierender Arzt am Patienten auszuüben. Nach dem Heilberufegesetz des Landes NRW zählten auch die theoretische Medizin sowie die methodisch-technische Medizin zu den ärztlichen Fachrichtungen. Die eingereichte Stellenbeschreibung entspreche einer ärztlichen Tätigkeit, denn hierzu seien unumgänglich medizinische Kenntnisse und Fähigkeiten notwendig. Diese wende der Kläger an bzw. könne sie auch bei der Sicherstellung der Beantwortung von medizinischen Fragen auch fachlich höchsten Niveau einsetzen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24.06.2014 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Neben den bereits ausgeführten Punkten wies die Beklagte darauf hin, dass die Annahme einer ärztlichen Tätigkeit im Sinne der Beitragsordnung der Ärztekammer nicht automatisch zur Annahme einer ärztlichen Tätigkeit im Sinne der Bundesärzteordnung führe. Nach § 2 Abs. 5 sei die Aufgabe eines Arztes Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen, Leiden zu lindern, sterbenden Beistand zu leisten und an der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Gesundheit der Menschen mitzuwirken. Keine der vom Kläger ausgeübten Aufgaben falle unter diese Beschreibung. Wer als Arzt im Sinne der Bundesärzteordnung arbeiten wolle, benötige hierfür die Approbation. Daher könne nur eine Tätigkeit, die eine Approbation erfordere, eine ärztliche Tätigkeit sein, die zu einer Befreiung von der Rentenversicherungspflicht führe.

Hiergegen hat der Kläger am 25.07.2014 Klage erhoben, die er im Wesentlichen mit den bereits im Widerspruchsverfahren vorgetragenen Argumenten begründet.

Seit März 2015 gibt es für die Stelle des Klägers eine neue Stellenbeschreibung. Die Position heißt nun "Head of Medical Information Office". In dieser Stellenausschreibung wird ausgeführt, dass ein abgeschlossenes Hochschulstudium und die Approbation als Arzt für die Tätigkeit notwendig seien.

Es hat ein Erörterungstermin stattgefunden. Der Kläger hat u.a. ausgeführt, dass die veraltete Stellenbeschreibung aus 2012 zum März 2015 angepasst worden sei, seine Tätigkeit habe sich hierdurch aber nicht geändert. Ferner hat er seine Tätigkeit ausführlich beschrieben und insbesondere dargelegt, wie hoch der Anteil seiner Tätigkeit ist, in welchem er Aufgaben als Vorgesetzter seiner Abteilung ausübt (eher 10 %) und wie hoch der Anteil der übrigen Tätigkeiten in den bereits dargelegten drei Tätigkeitsbereichen ist.

Die Beklagte hat darum gebeten, die im Termin vom Kläger abgegebene Stellenbeschreibung von seinem Arbeitgeber bestätigen zu lassen. Diese Bestätigung erfolgte mit Schreiben vom 27.06.16. Die Beklagte ist jedoch weiterhin der Auffassung, dass der Kläger nicht von der Versicherungspflicht zu befreien ist.

Das Gericht hat darauf hingewiesen, dass aufgrund der Formulierung des Bescheids vom 17.12.2008 viel dafür spreche, dass der Kläger auch für seine aktuelle Tätigkeit bereits von der Versicherungspflicht befreit ist.

Der Kläger beantragt hierauf, den Bescheid vom 18.03.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2014 aufzuheben und festzustellen, dass der Kläger für seine ab dem 01.10.2012 bei der K-D GmbH ausgeübte Tätigkeit von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit ist, hilfsweise, ihn für diese Tätigkeit ab dem 01.10.2012 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte verwiesen, die der Kammer vorgelegen haben und deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist. Hinsichtlich der Tätigkeitsbeschreibung des Klägers wird auf das Protokoll vom 26.04.2016 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet. Der angegriffene Bescheid ist rechtswidrig und der Kläger daher in seinen Rechten gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verletzt. Der Kläger hat Anspruch auf Feststellung, dass er für seine Tätigkeit bei der K-D GmbH von der Versicherungspflicht befreit ist.

Der Kläger wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 17.12.2008 (auch) für seine ab dem 01.10.2012 ausgeübte Tätigkeit von der Versicherungspflicht befreit. Zwar beschränkt sich eine Befreiung gemäß § 6 Abs. 5 Satz 1 SGB VI grundsätzlich auf die jeweilige Beschäftigung und erfasst damit nach der gesetzlichen Vorschrift eigentlich nicht die Tätigkeit des Klägers nach seinem Wechsel von der Tätigkeit als Assistenzarzt in einem Krankenhaus zu seinem jetzigen Arbeitgeber (vgl. zu diesem Grundsatz BSG, Urteil vom 31.10.2012 - B 12 R 3/11 R – Entscheidungen ohne nähere Angaben sind aus juris zitiert). Allerdings beschränken sich die Ausführungen der Beklagten im Bescheid vom 17.12.2008 gerade nicht darauf, lediglich eine Befreiung von der Versicherungspflicht für die konkrete Beschäftigung zu erteilen. Vielmehr lassen sich die gesonderten, zusätzlichen Ausführungen in der hier verwandten Formulierung aus der für die Auslegung maßgeblichen Empfängerperspektive nach Auffassung der Kammer nur dahingehend verstehen, dass eine weitergehende selbstständige Regelung zur Dauer der Befreiung getroffen wurde und der Kläger auch bei einem Wechsel der Arbeitsstelle von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreit bleiben sollte, so lange er nur weiterhin zum einen Pflichtmitglied in der berufsständischen Versorgungseinrichtung unter Beibehaltung der Pflichtmitgliedschaft in der Berufskammer ist – was unstreitig der Fall ist – und zum anderen "berufsspezifisch" tätig ist (vgl. auch BSG Urteil vom 10.03.2011 - B 3 KS 2/10 R -). Die Kammer ist der Auffassung, dass der Kläger auch bei seinem jetzigen Arbeitgeber berufsspezifisch tätig ist. Als "berufsspezifisch" im Sinne des Bescheids vom 17.12.2008 müssen jedenfalls solche Tätigkeiten behandelt werden, für die nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI eine Befreiung zu erteilen wäre. Zu der Frage, wann von einer Tätigkeit als "Arzt" auszugehen ist, für die eine Befreiung zu erteilen ist, hat das LSG Nordrhein-Westfalen in seinem Urteil vom 30.06.2016 (L 4 R 238/15) mit überzeugenden Argumenten ausgeführt, dass der engen Sichtweise der Beklagten nicht zu folgen ist.

Die Frage, ob ein Arzt wegen einer Beschäftigung im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI Pflichtmitglied einer Versorgungseinrichtung und berufsständischen Kammer ist, ist anhand der einschlägigen versorgungs- und kammerrechtlichen Normen zu prüfen (vgl. z.B. BSG Urteil vom 31.10.2012 - B 12 R 3/11 R -; LSG Nordrhein-Westfalen, a. a. O.). Gemäß § 6 Abs. 1 der Satzung der Nordrheinischen Ärzteversorgung in der im Rheinischen Ärzteblatt am 30.01.2015 veröffentlichten Fassung sind Mitglieder der Versorgungseinrichtung alle Angehörigen der Ärztekammer Nordrhein, die bei Inkrafttreten der Versorgungseinrichtung das 68. Lebensjahr nicht vollendet haben. Gemäß § 1a Abs. 1 der Satzung der Ärztekammer Nordrhein vom 23. Oktober 1993 (Stand: 21. November 2015) gehören der Ärztekammer Nordrhein alle Ärztinnen und Ärzte an, die in Nordrhein ihren Beruf ausüben oder, falls sie ihren Beruf nicht ausüben, ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben (Kammermitglieder). Wer Mitglied einer anderen Ärztekammer ist, wird auch Mitglied der Ärztekammer Nordrhein, wenn der ärztliche Beruf zugleich in Nordrhein ausgeübt wird. Den Beruf der Ärztin / des Arztes übt nach § 1a Abs. 1 Satz 3 aus, wer ärztliche Fachkenntnisse einsetzt oder mitverwendet. Nicht hingegen ist ärztliche Tätigkeit - wie die Beklagte meint - nur dann anzunehmen, wenn der Arzt die Heilkunde in Form einer unmittelbaren Behandlung von Patienten ausübt. Die in der Satzung der Ärztekammer Nordrhein aufgeführte Definition des Begriffes der ärztlichen Tätigkeit sieht ausdrücklich ein weites Begriffsverständnis vor.

Die über die Einzelbehandlung am Patienten hinausgehende landesrechtliche Begriffsauffassung der Ausübung des ärztlichen Berufs lässt sich auch der Berufsordnung für die nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte vom 14. November 1998 in der Fassung vom 21. November 2015 entnehmen. Hiernach dienen Ärztinnen und Ärzte gemäß § 1 Abs. 1 der Gesundheit des einzelnen Menschen und der Bevölkerung. Nach Abs. 2 ist es ärztliche Aufgabe, das Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen, Leiden zu lindern, Sterbenden Beistand zu leisten und an der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Gesundheit der Menschen mitzuwirken. Diese Aufgabenbezeichnung gibt ausweislich der Präambel die Überzeugung der Ärzteschaft u.a. zur Förderung berufswürdigen Verhaltens wieder und bildet das historisch gewachsene ärztliche Berufsverständnis deutlich ab. Dies hat auch das LSG Nordrhein-Westfalen in seinem Urteil vom 30.09.2016 zu den vergleichbaren Formulierungen in der Berufsordnung der Ärztekammer Berlin angenommen. Wörtlich hat es hierzu ausgeführt: "Bereits in diesen Formulierungen, die neben dem einzelnen Menschen die Bevölkerung und die Lebensgrundlagen in Bezug nimmt, kommt klar zum Ausdruck, dass sich der ärztliche Aufgabenbereich nicht in der unmittelbaren Behandlung konkret einer einzelnen erkrankten Person erschöpft, sondern in weit umfassenderen Maß auf den Schutz bzw. die Wiederherstellung der Gesundheit allgemein abzielt. Auch diejenigen Tätigkeiten, welche nicht unmittelbar am Patienten ausgeübt werden, diesem jedoch mittelbar zugute kommen, entsprechen dem in der Berufsordnung niedergelegten Selbstverständnis und sind damit ärztliche Tätigkeit. Inwiefern die Beklagte sich aus den Formulierungen der Berufsordnung in ihrem engen Begriffsverständnis gestützt sehen will, erschließt sich dem Senat nicht. In Übereinstimmung hiermit formuliert § 1 Abs. 2 S. 2 der Berufsordnung der Ärztekammer Berlin in der aktuell geltenden Neufassung vom 26.11.2014 (Abl. S. 2341) nunmehr noch ergänzend präzisierend, dass Ärztinnen und Ärzte ihre ärztlichen Aufgaben über die unmittelbare Sorge um die Gesundheit von Patientinnen und Patienten hinaus auch wahrnehmen, "wenn sie mit ihren ärztlichen Fachkenntnissen an der Förderung und Erhaltung der Gesundheit des einzelnen Menschen, der Bevölkerung, der hierfür erforderlichen natürlichen und gesellschaftlichen Lebensgrundlagen oder des Gesundheitssystems mitwirken"." Des Weiteren hat das LSG Nordrhein-Westfalen in der zitierten Entscheidung auch überzeugend dargestellt, dass der von der Beklagten vertretenen engen Sichtweise auch historisch betrachtet nicht zu folgen ist und dass sie überdies nicht im Einklang mit Sinn und Verständnis des im Interesse der Gesundheitssorge stehenden ärztlichen Weiterbildungsrechts und der Rechtsprechung des BGH und des BVerfG steht.

Unter Berücksichtigung der genannten Maßstäbe übt der Kläger nach dem Ergebnis der Beweisermittlung im Verfahren und insbesondere seinen Schilderungen im Erörterungstermin, die von seinem Arbeitgeber bestätigt wurden, seit dem 01.10.2012 eine ärztliche Tätigkeit aus, weil die Anwendung bzw. Mitverwendung von ärztlichem Wissen der Tätigkeit ihr Gepräge gibt. Der Anteil der Tätigkeiten, in denen der Kläger Vorgesetztenfunktionen ausübt (zB Bewerbungsgespräche oder Mitarbeitergespräche führen), ist von eher untergeordneter Bedeutung. Die hierzu vom Kläger getätigten Äußerungen schienen angesichts der Größe der Abteilung, der er vorsteht, mit 5 Mitarbeitern auch plausibel. Der weit überwiegende Teil seiner Arbeit betrifft die Beantwortung von Fragen zu den Arzneimitteln seines Arbeitgebers, die wissenschaftlich korrekte und nicht irreführende Gestaltung von Werbematerial sowie die medizinisch korrekte Gestaltung informierender Texte, wie den Beipackzettel oder Inhalte der "Roten Liste". Darüber hinaus hat der Kläger bei neuen Studien zu prüfen, ob und inwieweit die Ergebnisse die eigenen Arzneimittel unmittelbar oder mittelbar betreffen und wie breit gefächert angesichts der Häufigkeit der Verwendung der betroffenen Medikamente in Deutschland oder auch in anderen Ländern Informationen zu erteilen sind. Bei all diesen Aufgaben, die nach der Überzeugung der Kammer seiner Tätigkeit ihr Gepräge geben, verwendet der Kläger sein Fachwissen als Arzt und ist damit "berufsspezifisch" tätig mit der Folge, dass auch für seine seit dem 01.10.2012 ausgeübte Tätigkeit die Befreiung vom 17.12.2008 gilt. Diese hätte aufgehoben werden müssen, um ihre Wirkung aus der Welt zu schaffen. Freilich liegen die Voraussetzungen für eine Aufhebung nach Auffassung der Kammer nicht vor, da der Kläger weiterhin alle Merkmale erfüllt, die laut dem Bescheid vom 17.12.2008 Grundlage für die erteilte Befreiung waren. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gegen das Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung gegeben. Da die Klage keine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, kommt es auf den Wert des Streitgegenstandes nicht an (§ 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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