L 3 U 38/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 12 U 69/14
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 38/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Anerkennung eines Ereignisses als Arbeitsunfall.

Der 1963 geborene Kläger zog sich während seiner Beschäftigung als Müllwerker am 15. November 2013 eine Achillessehnenruptur links zu, als er beim Zurückstellen eines 1.100 l fassenden Müllbehälters rückwärts lief und mit dem linken Hacken des mit einem Sicherheitsschuh umkleideten Fußes gegen einen Torhaken stieß. Die Achillessehnenruptur wurde noch am 15. November 2013 operativ genäht. Hierbei bestätigte sich der ursprüngliche Verdacht auf einen frischen knöchernen Riss der Achillessehne laut Zwischenbericht des S-Krankenhauses vom 19. November 2013 (Dr. S u.a.) nicht. Vielmehr ergab sich intraoperativ makroskopisch der Anschein einer degenerativen Vorschädigung der Achillessehne, vgl. OP-Bericht vom 18. November 2013. Die histologische Untersuchung ergab neben stark fragmentiertem kollagenfaserreichem Bindegewebe ein teils von Knorpel umgebenes knöchernes Fragment mit herdförmiger granulierender Reaktion sowie Zeichen des Knochenumbaus, vgl. Histologiebericht vom 21. November 2013.

Die Beklagte lehnte nach Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme mit Bescheid vom 08. Januar 2014 die Gewährung einer Entschädigung aus Anlass des Ereignisses vom 15. November 2013 ab. Zur Begründung führte sie aus, dass bereits kein entschädigungsfähiger Arbeitsunfall vorliege. Es fehle an einer plötzlichen überraschenden Gewalteinwirkung. Es lägen keine Prellmarken oder Hautläsionen vor. Es sei davon auszugehen, dass bereits unfallfremde Vorschädigungen an der Achillessehne vorgelegen hätten, so dass das angeschuldigte Ereignis nur als sog. Gelegenheitsursache anzusehen sei. Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers vom 16. Januar 2014 wies die Beklagte nach Einholung einer Stellungnahme von Dr. S vom 29. Januar 2014, wonach nach dem histologischen Ergebnis, welches degenerative Schädigungen gezeigt habe, entgegen der ursprünglichen Einschätzung letztlich nicht von einem Arbeitsunfall habe ausgegangen werden können, mit Widerspruchsbescheid vom 04. Juni 2014 als unbegründet zurück.

Der Kläger hat sein Begehren mit der am 25. Juni 2014 zum Sozialgericht Potsdam (SG) erhobenen Klage weiterverfolgt und geltend gemacht, dass es sich beim angeschuldigten Ereignis sehr wohl um einen in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Arbeitsunfall handele. Das SG hat u.a. das schriftliche Sachverständigengutachten von Dr. W vom Orthopädischen Forschungsinstitut vom 28. August 2015 eingeholt. Dieser ist nach einer ambulanten Untersuchung des Klägers sowie nach Auswertung der nach dem Unfall durchgeführten Röntgen- und histologischen Diagnostik zur Einschätzung gelangt, dass die in der linken Achillessehne bereits vor dem angeschuldigten Ereignis bestandenen Metaplasien im Sinne einer in verknöchernden Gewebeumwandlungen bestehenden degenerativen Veränderung und nicht die äußere Krafteinwirkung beim angeschuldigten Ereignis die wesentliche Ursache für die Achillessehnenruptur gewesen seien. Das angeschuldigte Ereignis sei biomechanisch ungeeignet, die Verletzung einer nicht vorgeschädigten Achillessehne hervorzurufen, und damit nur als austauschbare Gelegenheitsursache anzusehen. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 28. Januar 2016 abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass kein Arbeitsunfall zu erkennen sei. Der Riss der Achillessehne sei nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im Wesentlichen auf das angeschuldigte Ereignis zurückzuführen. Es hat die Zusammenhangserwägungen von Dr. W für zutreffend erachtet.

Der Kläger hat gegen das ihm am 29. Februar 2016 zugestellte Urteil am 21. März 2016 Berufung eingelegt und macht geltend, dass sich vorliegend genau die Gefahr verwirklicht habe, vor der der Kläger im Rahmen des Versicherungsverhältnis habe geschützt werden sollen. Zu betonen sei, dass er vor dem angeschuldigten Ereignis keinerlei Beschwerden an der Achillessehne gehabt habe. Es sei mitnichten bewiesen, dass sich die Gefahr der Vorschädigung verwirklicht habe.

Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 28. Januar 2016 sowie den Bescheid der beklagten vom 08. Januar 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 04. Juni 2014 aufzuheben und festzustellen, dass das Ereignis vom 15. November 2013 ein Arbeitsunfall mit einer Achillessehnenruptur links als Gesundheitserstschaden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Nach Hinweis des Berichterstatters vom 26. August 2016 hat der Senat auf Antrag des Klägers das schriftliche Sachverständigengutachten von Prof. Dr. S vom 22. März 2017 eingeholt. Dieser hat sich im Wesentlichen den Zusammenhangserwägungen von Dr. W angeschlossen und ausgeführt, dass spätestens die histologische Nachuntersuchung degenerative Umbauprozesse in der linken Achillessehne aufgedeckt habe, welche alleinige Ursache für die Ruptur gewesen seien und die beim angeschuldigten Ereignis zugrunde zu legende Krafteinleitung nicht ausreichgereicht habe, eine gesunde Achillessehne zum Zerreißen zu bringen.

Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 17./ 26. Juni und 03. Juli 2017 einer Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle des Senats im Wege schriftlicher Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen und inhaltliche Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Berichterstatter kann, weil die vorliegende Streitsache weder besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist noch von grundsätzlicher Bedeutung ist, in Ausübung des insofern eröffneten richterlichen Ermessens anstelle des Senats im schriftlichen Verfahren ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben, vgl. §§ 155 Abs. 3 und 4, 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. Januar 2016 sowie der Bescheid der Beklagten vom 08. Januar 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 04. Juni 2014 sind rechtlich nicht zu beanstanden. Das angeschuldigte Ereignis vom 15. November 2013 ist nicht als Arbeitsunfall anzuerkennen.

Anerkennungs- bzw. feststellungsfähige Versicherungsfälle sind gemäß § 7 Abs. 1 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Für einen Arbeitsunfall ist danach erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitsschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (etwa Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 02. April 2009 – B 2 U 29/07 R -, zitiert nach juris Rn. 15). Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt, dass die Merkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung zur Zeit des Unfalls", "Unfallereignis" sowie "Gesundheitserst- bzw. Gesundheitsfolgeschaden" im Wege des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen (etwa BSG, a.a.O., Rn. 16). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (etwa BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R –, zitiert nach juris Rn. 15). Ein Zusammenhang ist hinreichend wahrscheinlich, wenn nach herrschender ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht und ernste Zweifel an einer anderen Ursache ausscheiden (vgl. BSG a.a.O., auch Rn. 18 und 20). Ob der Gesundheitsschaden eines Versicherten durch einen Arbeitsunfall wesentlich verursacht wurde, entscheidet sich - bei Vorliegen einer Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne - danach, ob das Unfallereignis selbst - und nicht nur eine andere, unfallunabhängige Ursache - wesentliche Bedingung für den Eintritt des Gesundheitsschadens war (BSG, Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, zitiert nach juris Rn. 13 ff.). Soweit das Gesetz in § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII eine äußere Ursache für den Gesundheitsschaden fordert, lösen im Umkehrschluss solche Gesundheitsschäden keinen Anspruch aus, welche auf so genannten inneren Ursachen beruhen. Dies sind körpereigene Ursachen infolge krankhafter Erscheinungen oder der Konstitution des Betroffenen (Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017 (Schönberger et al.), Kap. 1.8, S. 29).

Dies zugrunde gelegt ist das Ereignis vom 15. November 2013 kein Arbeitsunfall. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass im Wesentlichen ein äußeres Ereignis hier einen Gesundheitserstschaden in Gestalt der Achillessehnenruptur mit überwiegender Wahrscheinlichkeit herbeigeführt haben könnte. Soweit das angeschuldigte Ereignis vorliegend lediglich in einem Anprall der durch einen Arbeitsschuh geschützten linken Ferse gegen einen im Boden verankerten Feststellhaken bestand, ist von vornherein nur Raum für eine innere Ursache bzw. Schadensanlage des Achillessehnenrisses, weil es sich nach dem aktuellen arbeitsmedizinischen Schrifttum, auf welches bereits der Sachverständige Dr. W in seinem für das SG erstatteten schriftlichen Sachverständigengutachten und das SG in seinem angefochtenen Urteil abgestellt haben, um eine für die Zerreißung einer gesunden Achillessehne – biodynamisch – ungeeigneten Bewegungsablauf handelt. Dem Geschehensablauf als solchen geht bereits der geeignete Verletzungsmechanismus ab. Ein solcher lässt sich etwa bei Sprüngen, dem Ausrutschen, Stürzen oder direkten Traumata und gegebenenfalls bei einem schnellen Antritt (im Sinne des Abstoßens) mit fußsohlenwärtiger Belastung im oberen Sprunggelenk bei gleichzeitiger Streckung des Kniegelenks denken. Die verletzungsspezifische Biodynamik erfährt ein solcher Bewegungsablauf indes nur dann, wenn ungeplante Änderungen des Bewegungsablaufs z.B. durch eine Bodenunebenheit zu einer zusätzlichen Belastung der Achillessehne führten, welche diese bei maximaler physiologischer Anspannung nicht mehr kompensieren konnte (vgl. Schönberger et al., a.a.O., Kap. 8.2.3.2, S. 423 f.). Hierfür ist vorliegend nichts ersichtlich. Hier liegt lediglich der Anprall des durch einen Arbeitsschuh geschützten Fußhackens vor. Davon abgesehen hat der Sachverständige Dr. W ebenfalls zutreffend auf den auf ein degeneratives Geschehen hinweisenden histologischen Befund abgestellt. Hier zeigte sich ein knöcherner Gewebeumbau, den Dr. W überzeugend als degenerative Vorschädigung interpretiert, welche letztlich allein die wesentliche Ursache für die Achillessehnenruptur ist. Dies alles hat sich im Berufungsverfahren nach Einholung des auf Antrag des Klägers gehörten Orthopäden und Unfallchirurgen Prof. Dr. S bestätigt. Dieser hat wie bereits Dr. W nachvollziehbar und auf dem Boden des einschlägigen unfallmedizinischen Fachschrifttums nur die degenerative Vorschädigung als wesentliche Ursache für die Achillessehnenruptur angesehen und ausgeführt, dass die beim angeschuldigten Ereignis zugrunde zu legende Krafteinleitung nicht ausreichte, eine gesunde Achillessehne zum Zerreißen zu bringen. Dies alles wird durch den Vortrag des Klägers, er habe bis zum angeschuldigten Ereignis keine Beschwerden in der Achillessehne gehabt, nicht in Frage gestellt, weil für eine innere Ursache bzw. Schadensanlage nicht zu fordern ist, dass sich entsprechende physische Prädispositionen bereits vor dem fraglichen Versicherungsfall klinisch geäußert haben müssen, worauf Dr. W in seinem Gutachten ebenfalls schlüssig hingewiesen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Die Revision ist mangels Revisionszulassungsgrunds gemäß § 160 Abs. 2 SGG nicht zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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