S 25 R 626/13

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
25
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 25 R 626/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 529/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 25.7.2012 und der Bescheid vom 20.9.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.3.2012 werden teilweise aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, festzustellen, dass Herr T E für die Zeit vom 1.1.2012 bis zum 29.8.2012 in seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der Klägerin selbstständig tätig war. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtstreits. Der Streitwert wird auf 12.000 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um den sozialversicherungsrechtlichen Status des Herrn T E, des Geschäftsführers der Klägerin.

Die Klägerin betreibt ein Unternehmen, das Autokrane und Hubbühnen vermietet. In der streitgegenständlichen Zeit war Herr E aufgrund eines Geschäftsführer-Anstellungsvertrags vom 9.1.2009 bei der Klägerin als Geschäftsführer angestellt. Nach § 1 Abs. 2 des Vertrags wurde dieser auf unbestimmte Zeit geschlossen. Nach § 1 Abs. 3 des Vertrags führte der Geschäftsführer die Geschäfte nach Maßgabe der Gesetze, der Satzung der Gesellschaft und dieses Vertrags. Nach § 3 des Vertrags vertrat der Geschäftsführer die Klägerin gerichtlich und außergerichtlich und für die Geschäfte; er war alleinvertretungs- und alleingeschäftsführungsberechtigt; Einschränkungen seiner Tätigkeit ergaben sich durch Gesetz, Satzung, Dienstvertrag oder Beschlüsse der Gesellschafter. Ebenso hatte der Geschäftsführer alle Geschäfte der Klägerin mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns durchzuführen. Nach § 4 des Vertrags richtete sich die Arbeitszeit nach den betrieblichen Erfordernissen und war vom Geschäftsführer in diesem Rahmen frei und eigenverantwortlich zu gestalten. Nach § 5 des Vertrags erhielt der Geschäftsführer eine jährliche Vergütung von 48.000,00 EUR brutto. Nach § 6 S. 1 des Vertrags erhielt der Geschäftsführer einen Erholungsurlaub von 30 Arbeitstagen jährlich. Nach § 10 des Vertrags war der Geschäftsführer vom Selbstkontrahierungsverbot befreit.

In der hier streitgegenständlichen Zeit hielt der Geschäftsführer der Klägerin Anteile am Stammkapital der Gesellschaft i.H.v. 12.250,00 EUR, wobei das Stammkapital der Klägerin insgesamt 25.000 EUR betrug. Nach § 6 des Gesellschaftsvertrags der Klägerin entfiel auf 50 EUR Geschäftsanteile je eine Stimme in der Gesellschafterversammlung, wobei die Beschlüsse der Gesellschaft mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst wurden, wenn das Gesetz nicht zwingend eine höhere Mehrheit vorschrieb.

Anderer Anteilsgesellschafter war der Vater des Geschäftsführers der Klägerin mit 12.750,00 EUR Anteil am Stammkapital der Gesellschaft, Herr Q E. Im Zusammenhang mit der Übernahme der Gesellschaftsanteile verabredeten Herr Q E und der Geschäftsführer der Klägerin, dass sich Herr Q E jeder Hinsicht, sowohl operativ als auch beratend, aus den Geschäften der Klägerin heraushalten werde.

Auf Antrag des Geschäftsführers der Klägerin führte die Beklagte ein Statusfeststellungsverfahren durch, dass damit endete, dass die Beklagte mit Bescheid vom 25.7.2012 feststellte, dass die Tätigkeit des Geschäftsführers der Klägerin seit dem 1.1.2012 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde, und in diesem Beschäftigungsverhältnis Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung beginnend ab dem 1.1.2012 bestehe. Nach Gesamtwürdigung aller für die zu beurteilende Tätigkeit relevanten Tatsachen überwögen die Merkmale für ein abhängig beschaffenes Beschäftigungsverhältnis. Aufgrund des Kapitaleinsatzes von 49 % des gesamten Kapitals und den daraus resultierenden Stimmrechtsanteilen sei es dem Geschäftsführer der Klägerin nicht möglich, die Geschicke der Gesellschaft maßgeblich zu beeinflussen. Weiterhin könne er aufgrund von mangelnden Vetorechten oder Sperrminoritäten keine Entscheidung verhindern. Angesichts der Zahlung fester Bezüge trage der Geschäftsführer kein die selbstständige Tätigkeit kennzeichnendes Unternehmerrisiko, dass nur dann gegeben sei, wenn der Einsatz von Kapital der eigenen Arbeitskraft mit der Gefahr des Verlustes verbunden sei. Zwar sei der Geschäftsführer der Klägerin hinsichtlich der Arbeitszeit, des Arbeitsortes und der Ausübung der Tätigkeit weitgehende Gestaltungsfreiheit belassen. Trotzdem sei die Arbeitsleistung fremdbestimmt, da sie sich in eine von der Gesellschafterversammlung vorgegebenen Ordnung des Betriebes eingegliedere. Die Weisungsgebundenheit verfeinerte sich, die bei Diensten höherer Art üblich, zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess. Auch die familiäre Rücksichtnahme zwischen den Gesellschaftern, die in der schriftlichen Anhörung vorgetragen worden sei, führe nicht zu einer Änderung dieses Ergebnisses.

Hiergegen erhob die Klägerin am 20.8.2012 in Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 13.3.2013 zurückgewiesen wurde.

Am 30.8.2012 wurden die Kapitalanteile an der Gesellschaft von Herrn Q E auf den Geschäftsführer der Klägerin vollständig übertragen. Mit Bescheid vom 20.9.2012 nahm die Beklagte den Bescheid vom 25.7.2012 für die Zeit ab dem 30.8.2012 auf und stellte fest, dass der Geschäftsführer der Klägerin ab diesem Zeitpunkt selbständig tätig war.

Mit ihrer am 14.4.2013 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie sieht in der Vereinbarung zwischen dem Geschäftsführer der Beklagten und dem Mehrheitsgesellschafter eine sogenannte Stimmbindungsvereinbarung, die dazu führe, dass der Geschäftsführer der Klägerin letztendlich die Klägerin alleine im Rahmen der Beschlussfassung in der Gesellschafterversammlung beherrsche.

Die Klägerin beantragt,

die Bescheide der Beklagten vom 25.7.2012 am 20.9.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 13.3.2013 aufzuheben, Selbstständigkeit des T E für diesen Zeitraum festzustellen und der Beklagten die Kosten dieses Verfahrens aufzuerlegen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Bescheide rechtmäßig. Zwar sei hier von einer wirksamen Stimmbindungvereinbarung auszugehen; dies führe aber nicht dazu, dass der Geschäftsführer der Klägerin als selbstständig tätig anzusehen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Gerichtsakte Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewonnen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig und beschweren die Klägerin gemäß § 54 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in ihren Rechten. Die Beklagte war nicht berechtigt, festzustellen, dass die Tätigkeit des Geschäftsführers der Klägerin seit dem 1.1.2012 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde, und in diesem Beschäftigungsverhältnis Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung beginnend ab dem 1.1.2012 besteht, und hat es rechtswidrig unterlassen, festzustellen, dass Herr T E für die Zeit vom 1.1.2012 bis zum 29.8.2012 in seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der Klägerin selbstständig tätig war.

Nach § 7 a Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist die Beklagte auf Antrag verpflichtet, festzustellen, ob eine Beschäftigung vorliegt. Die Beklagte entscheidet nach Abs. 2 auf Grund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles, ob eine Beschäftigung vorliegt. Im Rahmen dieses Verfahrens darf sich die Beklagte nicht darauf beschränken, eine abhängige Beschäftigung oder zusätzlich eine daraus folgende Versicherungspflicht "dem Grunde nach" festzustellen. Die Beklagte muss vielmehr, um einen Lebenssachverhalt zum Rechtsbegriff der abhängigen Beschäftigung zuzuordnen, das konkrete Rechtsverhältnis bezeichnen, an das sozialrechtlich angeknüpft werden soll, auch Aussagen darüber treffen, in welchen Zweigen der Sozialversicherung die festgestellte Beschäftigung im jeweiligen Feststellungszeitraum zur Sozialversicherung geführt hat (BSG, Urteil vom 11.3.2009, aaO).

Versicherungspflichtig in der Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V), in der Pflegeversicherung nach § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch – Soziale Pflegeversicherung - (SGB XI), in der Rentenversicherung nach § 1 Satz 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) und in der Arbeitslosenversicherung nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) sind gegen Arbeitsentgelt beschäftigte Personen. Dabei ist nach § 7 Abs. 1 SGB IV unter Beschäftigung die nicht selbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis, zu verstehen. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind die Tätigkeit nach Weisungen und die Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Die Beschäftigung setzt voraus, dass der Arbeitnehmer von dem Arbeitgeber persönlich abhängig ist, in den Betrieb eingegliedert ist und einem – ggfs. nach den Erfordernissen des konkreten Tätigkeitsfeldes eingeschränkten – umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Dabei kommt es auf die Gesamtwürdigung aller Umstände an (BSG SozR 3 – 2400 § 7 Nr. 13 m.w.N.w.).

Das Gesamtbild bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinne sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine "Beschäftigung" vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung nur dann vor, soweit eine - formlose - Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht (BSG SozR 3-2400 § 7 Nr. 4). In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so, wie sie praktiziert wird, und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist (BSG ZIP 2006, 678-682).

Auf dieser Grundlage ist auch zu beurteilen, ob der Gesellschafter einer GmbH zu dieser gleichzeitig in einem Beschäftigungsverhältnis steht. Dies ist grundsätzlich neben seiner gesellschaftsrechtlichen Stellung möglich (BSG a.a.O). Eine Abhängigkeit gegenüber der Gesellschaft ist nicht bereits durch die Stellung des Geschäftsführers als Gesellschafter ausgeschlossen. Bei einem am Stammkapital der Gesellschaft beteiligten Geschäftsführer ist der Umfang der Beteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenden Einflusses auf die Gesellschaft ein wesentliches Merkmal. Bei Fremdgeschäftsführern, die nicht am Gesellschaftskapital beteiligt sind, hat das BSG dementsprechend regelmäßig eine abhängige Beschäftigung angenommen, soweit nicht besondere Umstände vorliegen, die eine Weisungsgebundenheit im Einzelfall ausnahmsweise aufheben (BSG SozR 4-2400 § 7 Nr. 8). Vergleichbares gilt nach der Rechtsprechung des BSG auch bei Geschäftsführern, die zwar zugleich Gesellschafter sind, jedoch weder über die Mehrheit der Gesellschaftsanteile noch über eine so genannte Sperrminorität verfügen. Auch für diesen Personenkreis ist im Regelfall von einer abhängigen Beschäftigung auszugehen. Eine hiervon abweichende Beurteilung kommt wiederum nur dann in Betracht, wenn besondere Umstände des Einzelfalles den Schluss zulassen, es liege keine Weisungsgebundenheit vor (BSG SozR 4-2400 § 7 Nr. 8).

Nach diesen Grundsätzen ist der Geschäftsführer der Klägerin in dieser Tätigkeit als selbständig anzusehen. Zwar steht die Minderheitsbeteiligung an der Klägerin dieser Beurteilung nach der genannten Rechtsprechung grundsätzlich entgegen; es liegen jedoch besondere Umstände des Einzelfalls vor, die nach Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände für die Kammer einzig den Schluss zulassen, dass keine Weisungsgebundenheit des Geschäftsführers der Klägerin vorliegt. Diese besonderen Umstände erblickt die Kammer in der zwischen den Gesellschaftern zugunsten des Geschäftsführers getroffenen Vereinbarung, nach der sich der Mehrheitsgesellschafter nicht in die Entscheidungen über die Führung der Geschäfte der Gesellschaft einbringt, sondern sich nach den Entscheidungen des Geschäftsführers der Klägerin – seines Sohnes - richtet. Eine solche Stimmbindungsvereinbarung ist formlos zulässig; durch sie wird die Rechtsmacht des Mehrheitsgesellschafters – jedenfalls bis zum Abschluss einer gegenläufigen Aufhebungsvereinbarung, die hier nicht im Raum steht - eingeschränkt. Die übrigen Umstände, die für eine abhängige Beschäftigung sprechen könnten – festes Gehalt, Urlaubsanspruch – treten danach in den Hintergrund.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

Der Streitwert folgt aus § 52 Abs. 2 GKG und ergibt sich aus den im Streit stehenden Sozialversicherungsbeiträgen von ca. 40 % des Bruttogehalts im streitgegenständlichen Zeitraum.
Rechtskraft
Aus
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