L 6 U 4314/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 8 U 26/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 4314/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 6. Oktober 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt noch die Anerkennung eines Gesundheitsschadens am rechten Auge als Folge eines Arbeitsunfalls sowie die Gewährung von Verletztengeld und Verletztenrente auf Grund dieses Ereignisses.

Der Kläger wurde im Jahre 1969 in P./Kosovo geboren, deutscher Staatsangehöriger und im Inland wohnhaft. Im August 2011 war er als Maschinenführer bei einem Unternehmen der Zulieferindustrie für den Automobilbau beschäftigt und in dieser Eigenschaft bei der beklagten gewerblichen Berufsgenossenschaft gesetzlich unfallversichert.

Der hier streitige Unfall ereignete sich in der Nachtschicht vom Abend des 18. auf den Morgen des 19. August 2011. Als Uhrzeit wurde anfangs die Zeit zwischen 1.00 und 2.00 Uhr morgens angegeben.

Der Kläger stellte sich um am 19. August 2011 morgens um 3:07 Uhr bei dem Durchgangsarzt Dr. H. (Dr. E.) vor. Dieser teilte in dem D-Bericht vom selben Tag mit, der Kläger habe angegeben, bei seiner Arbeit Metallspäne in das linke Auge bekommen zu haben und seinen Zustand durch Reiben verschlimmert zu haben. Festzustellen gewesen sei ein gerötetes, gefäßinjiziertes linkes Auge ohne sicheren Hinweis auf Fremdkörper. Der Kläger begab sich gegen 11:00 Uhr desselben Tages in das Augenzentrum T ... In dem dazu erstellten Nachschaubericht vom 19. August 2011 teilte Dr. A. mit, er habe angegeben, beim Vorbeilaufen am Eingangstor einen Fremdkörper in das linke Auge bekommen zu haben. Bei der Untersuchung sei - in den vorderen Augenabschnitten links - eine Rötung der Bindehaut und eine winzige Hornhauterosio festgestellt worden. Die Sehschärfe habe rechts 0,8 und links 0,3 betragen. Er habe den Kläger mit einer Augensalbe versorgt. Abschließend begab sich der Kläger, ebenfalls noch am 19. August 2011, zu dem Chirurgen Dr. L ... In dem dort erstellten Nachschaubericht ist ausgeführt, er habe in der Nacht eine Verletzung des linken Auges erlitten, es finde sich noch eine deutliche Rötung sowie eine Schwellung von Ober- und Unterlid.

Diese drei ärztlichen Berichte gingen zunächst bei einer anderen gewerblichen Berufsgenossenschaft ein, die den Vorgang am 25. August 2011 an die Beklagte weiterleitete. Am 14. November 2011 erstattete ferner die Arbeitgeberin bei ihr eine betriebliche Unfallanzeige. Darin ist in der Rubrik "verletzte Körperteile" das linke Auge genannt.

Eineinhalb Jahre später, vom 4. bis zum 12. März 2013, befand sich der Kläger in der Augenklinik des Universitätsklinikums Tü., wo er am 11. März 2013 operiert wurde. In dem Kurz-Entlassungsbericht vom 18. April 2013 teilte die Klinik mit, bei dem Kläger habe am rechten Auge ein chronischer Ulkus (Geschwür) der Hornhaut bestanden, der auch unter medikamentöser Therapie nicht zurückgegangen sei, weswegen er operiert worden sei.

Nachdem der Kläger in der Klinik angegeben hatte, die Erkrankung sei auf einen Arbeitsunfall "im Jahre 2011" zurückzuführen, versuchte diese, die Behandlung bei der Beklagten abzurechnen.

Gegenüber dieser teilte der Kläger am 26. April 2013 telefonisch mit, er habe bei einem Arbeitsunfall im Jahr 2011 etwas in das rechte Auge bekommen. Die Beschwerden seien in der Folgezeit trotz mehrerer Behandlungen mit Augentropfen nicht besser geworden. Am Ende habe "der Arzt" gesagt, es müsse operiert werden. Auf Vorhalt durch die Beklagte, im Jahre 2011 sei nur das linke, aber nicht das rechte Auge behandelt worden, behauptete der Kläger, er habe Unterlagen aus dem Jahre 2011, in denen das rechte Auge genannt sei, die er vorlegen werde.

Am 26. April 2013 gingen bei der Beklagten per Telefax, abgesandt von einem Gerät mit der privaten Telefonnummer des Klägers, Unterlagen ein. Darunter befanden sich Behandlungsberichte hinsichtlich des rechten Auges aus dem Jahre 2013 sowie eine "Unfallanzeige innerbetrieblich" mit dem Datum 19. August 2011 und einer Unterschrift des späteren Zeugen Tonn. In der Rubrik "was wurde verletzt" war dort handschriftlich eingetragen "Rechte Auge". Das Schriftbild dieser Eintragung weicht - etwas - vom Schriftbild der übrigen Eintragungen ab. Außerdem sind auf der Umrandung des entsprechenden Feldes weiße Schattierungen wie von einer Behandlung mit Tipp-Ex zu erkennen (Bl. 24, 30 Verw.-Akte).

Dr. A. teilte der Beklagten am 29. April 2013 mit, im Jahre 2011 sei definitiv das linke Auge betroffen gewesen. Wegen des rechten Auges sei der Kläger wesentlich später in Behandlung gewesen, habe aber insoweit keinen Arbeitsunfall angegeben.

Ebenfalls am 29. April 2013 übersandte die Arbeitgeberin des Klägers der Beklagten die bei ihr vorliegende Version der "Unfallanzeige betrieblich" vom 19. August 2011, in der in der Rubrik der Verletzungen - im selben Schriftbild wie die übrigen Eintragungen und ohne Aufhellungen des Querstrichs darüber - "linkes Auge" eingetragen war. In dieser Version befanden sich - in einer völlig anderen Handschrift - weitere Zusätze. So waren die Adresse des Klägers, seine persönlichen betrieblichen Daten und der behandelnde Arzt nachgetragen. Die mehrzeiligen Angaben zum Hergang des Unfalls im unteren Bereich waren durchgestrichen, stattdessen fand sich dort nunmehr der Verweis "siehe Rückseite" mit dem Datum 6. Oktober 2011. Auf dieses Telefax wird wegen der Einzelheiten ebenfalls Bezug genommen (Bl. 31 Verw.-Akte).

Die Beklagte hielt dem Kläger die abweichenden Fassungen der innerbetrieblichen Unfallanzeige vor. Dieser entgegnete telefonisch, sein Vorarbeiter sei zu dumm und habe das falsche Auge eingetragen, er habe von ihm verlangt, das abzuändern. Die behandelnden Ärzte, die allesamt das linke Auge als verletzt notiert hätten, hätten allesamt keine Ahnung. Er werde die Ärzte, die Arbeitgeberin und die Beklagte verklagen.

Diese bat auch die Arbeitgeberin um Erläuterung der veränderten Eintragung. Am 17. Juni 2013 teilte der zuständige Betriebsleiter, S. M., mit, er habe mit dem Vorarbeiter, dem Zeugen T., gesprochen. Dieser habe sich noch erinnern können und ausgeführt, dass nicht er die Änderung vorgenommen habe.

Für den Kläger waren seit der Operation mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU-Bescheinigungen) zu Lasten seiner gesetzlichen Krankenkasse erteilt worden. Am 25. Juni 2013 übersandte die Arbeitgeberin die bei ihr eingegangene Durchschrift der AU-Bescheinigung von Dr. K. vom 20. Juni 2013. Darin war maschinenschriftlich das Feld "Folgebescheinigung" angekreuzt, ferner in Handschrift das Feld "Arbeitsunfall, Arbeitsunfallfolgen, Berufskrankheit". Dr. K. teilte der Beklagten am 25. Juni 2013 mit, er habe die AU-Be¬schei¬ni¬gung bewusst zu Lasten der Krankenkasse ausgestellt, ein handschriftliches Kreuz sei in seiner Praxis nicht darauf gesetzt worden. Hierzu übersandte er per Telefax den in der Praxis verbliebenen Durchschlag der AU-Bescheinigung, auf dem das handschriftliche Kreuz nicht vorhanden war. Als Diagnose war "H16.0 G R" (Ulcus corneare, gesichert, rechts) angegeben.

Mit Bescheid vom 28. August 2013 erkannte die Beklagte das Ereignis vom 19. August 2011 als Arbeitsunfall an, als gesundheitliche Folge wurde ein "folgenlos ausgeheilter Zustand nach Rötung der Bindehaut und Schwellung des oberen und unteren Augenlids links" anerkannt. Keine Folgen des Arbeitsunfalls seien das operativ versorgte Hornhautgeschwür rechts mit Verschlechterung der Sehfähigkeit. Ein Anspruch auf Leistungen, insbesondere Heilbehandlung und "sonstige Geldleistungen", über den 19. August 2011 hinaus bestehe nicht, ebenso nicht auf "Rente" oder Rehabilitationsleistungen.

In der Folgezeit gelangte noch der Bericht der Augenklinik des Universitätsklinikums Tü. vom 13. August 2013 zur Akte, wonach das rechte Auge am 8. August erneut operiert worden sei, die Sehfähigkeit habe zuvor nur noch 0,05 betragen und habe sich nach der Operation auf 0,2 verbessert (links 1,0).

Den Widerspruch des Klägers, mit dem dieser daran festgehalten hatte, es sei das rechte Auge verletzt worden, und im Wesentlichen eine Rente begehrte, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 4. Dezember 2013 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 3. Januar 2014 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Er hat an seinem Vortrag festgehalten, insbesondere an einer Verletzung des rechten Auges im August 2011, während das linke Auge noch niemals verletzt oder erkrankt gewesen sei. Er hat ferner behauptet, er habe auch gegenüber der Arbeitgeberin und seinem Vorarbeiter immer das rechte Auge genannt. Die Veränderungen in der innerbetrieblichen Unfallanzeige habe nicht er vorgenommen. Er hat Kollegen, darunter seinen im selben Betrieb beschäftigten Sohn, seine Ehefrau und mehrere behandelnde Ärzte als Zeugen benannt.

Während des Verfahrens hat der Kläger ergänzend vorgetragen, es habe sich nunmehr ein Tumor am rechten Auge gezeigt, weswegen eine Chemotherapie durchgeführt werde.

Das SG hat die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen.

Dr. Th., Universitäts-Augenklinik Tü., hat mitgeteilt, er habe den Kläger erstmals am 20. März 2012 behandelt. Dabei habe der Kläger Doppelbilder angegeben, die erstmals im Januar nach einer Operation der Nase bei Zustand nach Nasenbeinbruch aufgetreten seien. Der Visus habe damals beidseits bei 1,0 gelegen (beigefügter Arztbrief vom 20. März 2012). Am 28. Februar 2013 habe der Kläger angegeben, seit drei Monaten bestehe rechts ein Hornhautgeschwür. Er habe dabei einen Zusammenhang zu dem Unfall 2011 hergestellt. Der Kläger sei bis 2014 dreimal am rechten Auge operiert worden. Im März 2014 habe sich eine große Raumforderung im Orbitatrichter gezeigt, es sei dann ein Nasopharynx-Karzinom festgestellt worden.

Dr. K. (Praxis Dr. A.) hat bekundet, am 19. August 2011 sei allein das linke Auge betroffen gewesen. Erstmals am 16. Dezember 2011 habe sich der Kläger mit Beschwerden am rechten Auge vorgestellt, dabei sei die Verletzung links problemlos ausgeheilt gewesen. Auf konkrete Nachfrage hat Dr. A. unter dem 20. Januar 2015 ausgeführt, eine Verwechselung der Augen im August 2011 sei völlig ausgeschlossen. Es sei mehrfach von verschiedenen Ärzten das linke Auge notiert worden. Der Kläger habe später sehr eindringlich auf eine Abänderung insistiert, offensichtlich wolle er den desolaten Krankheitsverlauf am rechten Auge auf eine unfallbedingte Schädigung zurückführen.

Unfallchirurg Dr. H. hat am 29. Januar 2015 bekundet, der Kläger habe bei der Vorstellung am 19. August 2011 selbst vom linken Auge gesprochen, es sei auch - nur - dieses beeinträchtigt gewesen und behandelt worden.

Aus einem parallel anhängigen schwerbehindertenrechtlichen Verfahren hat das SG die dort erhobene Zeugenaussage des Internisten E. vom 28. September 2014 beigezogen. Dieser Zeuge hat bekundet, bei dem Kläger beständen bei wenig ausgeprägter Krankheitseinsicht und insgesamt inkonsistenter Kooperation eine arterielle Hypertone, eine COPD auf der Basis eines langjährigen exzessiven Nikotinkonsums von 60 pack years (2 Schachteln täglich über 30 Jahre) und das nunmehr aufgetretene Nasopharynxkarzinom, das in ursächlichem Zusammenhang mit dem Nikotinabusus stehe und mit erheblich komplikationsbeladenem Ablauf angegangen worden sei. Das Sehvermögen rechts sei verloren und es beständen Schluckstörungen mit zwischenzeitlich kritischem Gewichtsverlust, die eine Ernährung mit einer PEG-Sonde erforderlich gemacht hätten. Die Gesamtsituation müsse als palliativ bezeichnet werden.

Der Kläger hat in der Folgezeit mehrere Fotografien von sich zur Akte gereicht, die nach seinen Angaben zwischen August 2011 und Mitte 2012 entstanden seien (aufgedruckte Daten weisen die Bilder nicht auf) und die Verletzungen bzw. Rötungen am rechten Auge zeigten.

Auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers hat das SG das augenfachärztliche Gutachten bei Prof. Dr. Au. vom 29. Mai 2015 erhoben. Der Sachverständige hat ausgeführt, anhand der aktuell vorhandenen medizinischen Befunde könne nicht mehr geklärt werden, ob am 19. August 2011 das linke oder das rechte Auge betroffen gewesen sei. An beiden Augen lägen heute Befunde vor, die auf zurückliegende Hornhautverletzungen hindeuteten. Ob diese jedoch auf einen Unfall am 19. August 2011 zurückzuführen seien, könne nicht endgültig geklärt werden. Als Folge des Unfalls sei damals - bezogen auf das linke Auge - eine winzige Hornhauterosio beschrieben worden. Eine solche heile üblicherweise binnen weniger Stunden bis Tage. Dass mindestens bis November 2012 keine Behandlungen wegen einer Hornhautproblematik stattgefunden hätten, lasse vermuten, dass dies auch bei dem Kläger der Fall gewesen sei. Sowohl im Dezember 2011 bei Dr. A. als auch im März 2012 in Tü. seien unauffällige Befunde hinsichtlich der Hornhaut erhoben worden. Es liege daher nahe, dass die Bagatellverletzung ausgeheilt gewesen sei. Es sei rückblickend von einer Arbeitsunfähigkeit von zwei bis sieben Tagen auszugehen. Die schwere Hornhauterosio rechts mit Geschwürsbildung sei erst am 22. Februar 2013 diagnostiziert worden, dabei sei initial eine Herpesinfektion vermutet worden. Die Krebserkrankung sei im März 2014 dazugekommen. Diese Erkrankungen seien nicht auf den Unfall zurückzuführen.

In der mündlichen Verhandlung beim SG am 6. Oktober 2016 hat die Beklagte "eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich 26. August 2011" anerkannt, der Kläger hat dieses Anerkenntnis angenommen. Das SG hat ferner angekündigt, die Akten der Staatsanwaltschaft vorzulegen.

Mit Urteil vom selben Tage hat das SG die Klage abgewiesen. Sie sei auf die Anerkennung von Unfallfolgen, Verletztengeld und Verletztenrente gerichtet. Soweit sie Verletztengeld bis zum 26. August 2011 betreffe, sei sie nach dem angenommenen Anerkenntnis der Beklagten und im Hinblick auf den Entgeltfortzahlungsanspruch des Klägers gegen seine Arbeitgeberin unzulässig. Im Übrigen sei sie unbegründet. Die Folgen des Unfalls am 19. August 2011 seien in der anerkannten Zeit folgenlos ausgeheilt. Die im zeitlichen Nachgang aufgetretene Hornhautulceration sei keine Unfallfolge. Ein solcher Zusammenhang sei nicht wahrscheinlich. Alle vorhandenen Unterlagen und die Zeugenaussagen der Behandler belegten, dass damals das linke Auge betroffen gewesen sei. Anderes ergebe sich auch nicht aus den vorgelegten Lichtbildern, von denen nicht bekannt sei, wann sie aufgenommen worden seien. Selbst wenn im August 2011 das rechte Auge betroffen gewesen sei, seien die Folgen ebenfalls folgenlos ausgeheilt gewesen, bevor an diesem Auge die andere Erkrankung aufgetreten sei. Dies habe der Wahlgutachter Prof. Dr. Au. überzeugend daraus hergeleitet, dass am Unfalltag nur eine Bagatellverletzung dokumentiert worden sei und bei den Behandlungen danach bis Anfang 2013 unauffällige Hornhautbefunde vorgelegen hätten. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 27. Oktober 2016 zugestellt worden.

Am 26. Oktober 2016 hat das SG die Akten der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Urkundenfälschung und des versuchten Prozessbetrugs vorgelegt (Az.: 15 Js 11591/16).

Gegen das Urteil des SG hat der Kläger am 22. November 2016 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg erhoben. Er hält an seinen Behauptungen fest. Er trägt vor, entgegen der Ansicht des Wahlgutachters Prof. Dr. Au. sei nicht von einer zwischenzeitlichen Ausheilung der unfallbedingten Verletzungen des rechten Auges auszugehen. Während des Berufungsverfahrens hat der Kläger mehrere Beweisanträge zur Vernehmung von Familienangehörigen sowie von Prof. Dr. Au. als Zeugen angekündigt. Diese Anträge hat er jedoch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht aufrechterhalten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 6. Oktober 2016 aufzuheben und den Bescheid vom 28. August 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Dezember 2013 teilweise aufzuheben sowie die Beklagte zu verpflichten, als Folge des Unfalls vom 19. August 2011 ein Hornhautgeschwür mit Verschlechterung der Sehfähigkeit am rechten Auge anzuerkennen sowie sie zu verurteilen, Verletztengeld und Verletztenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Berichterstatter des Senats hat den Kläger persönlich angehört. Wegen seiner Angaben wird auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung vom 18. Juli 2017 Bezug genommen. Der Kläger hat mitgeteilt, er sei in dem auf Grund der Anzeige des SG eingeleiteten Strafverfahren freigesprochen worden.

Der Senat hat die Akten des Strafverfahrens wegen Verdachts der Urkundenfälschung und des versuchten Prozessbetrugs gegen den Kläger beigezogen. Daraus ergibt sich, dass der Vorarbeiter T. und der Sohn des Klägers, S. N., polizeilich als Zeugen vernommen worden sind. Der Zeuge T. hat bestritten, die Unfallanzeige von "links" nach "rechts" abgeändert zu haben. Der Zeuge S. N. hat angegeben, er habe gesehen, wie die aufgewirbelten Späne das rechte Auge seines Vaters verletzt hätten. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hat das Amtsgericht T. (AG) den Strafbefehl vom 12. Januar 2017 über eine Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen wegen Urkundenfälschung (Unfallanzeige) und versuchten Betrugs (Behauptungen vor dem SG) erlassen. Eine Einstellungsverfügung hinsichtlich der möglicherweise gefälschten AU-Bescheini¬gung ist in den Strafakten nicht zu finden. Gegen den Strafbefehl hat der Kläger Einspruch erhoben. Das AG hat in der Verhandlung am 12. Juni 2017 die Zeugen Tonn und S. N. erneut sowie ergänzend die Ehefrau des Klägers, D. N., vernommen. Mit Urteil vom selben Tage hat das AG den Kläger freigesprochen. Nachdem keine Rechtsmittel eingelegt worden sind, ist das schriftliche Urteil in verkürzter Form abgesetzt worden. Es enthält lediglich den Hinweis, der Kläger sei aus tatsächlichen Gründen freizusprechen gewesen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 5. Oktober 2017 hat der Kläger, persönlich angehört, unter anderem ausgeführt, er habe, nachdem er die Metallspäne in das rechte Auge bekommen habe, noch einige Stunden weitergearbeitet, bevor er die Arbeitsstelle verlassen habe. Es habe sich aber um dieselbe Arbeitsschicht gehandelt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, insbesondere war sie nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig, weil der Kläger hauptsächlich eine behördliche Feststellung und daneben laufende Sozialleistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG) begehrt. Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 151 Abs. 1 SGG). Sie ist aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Anfechtungs- und Verpflichtungs- bzw. Anfechtungs- und Leistungsklagen (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG) des Klägers abgewiesen.

Allerdings ist die Klage auch insoweit zulässig, wie der Kläger Verletztengeld nach dem Ende des von dem Anerkenntnis der Beklagten umfassten Zeitraums am 26. August 2011 begehrt. Diesem Antrag kann nicht wegen eines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG) gegen den Arbeitgeber das notwendige Rechtsschutzbedürfnis abgesprochen werden. Anders als unter Umständen beim Krankengeld (vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB V]) wird Arbeitsentgelt für denselben Zeitraum auf einen Anspruch auf Verletztengeld lediglich angerechnet, und dies auch nur teilweise (§ 52 Nr. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VII]). Es ist daher nicht vollständig auszuschließen, dass gleichwohl ein Auszahlbetrag des Verletztengeldes verbleibt. Im Übrigen bestehen vom Anspruch auf Entgeltfortzahlung mehrere Ausnahmen (vgl. § 3 Abs. 3, § 11 EntgFG).

Im Übrigen kann die Klage ebenfalls noch als zulässig eingestuft werden. Für den Verpflichtungsantrag auf behördliche Feststellung einer Unfallfolge besteht eine ausreichende Klagebefugnis (§ 54 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 SGG), weil das materielle Recht mit § 102 SGB VII i.V.m. § 36a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) eine entsprechende Anspruchsgrundlage dafür bereitstellt, sodass ein Versicherter nicht auf eine gerichtliche Feststellung (§ 55 Abs. 1 Halbsatz 1 Nr. 3 SGG) beschränkt ist. Die Anträge des Klägers auf Verurteilung zur Gewährung von Verletztengeld und Verletztenrente sind zwar reichlich unbestimmt. So gibt er z.B. nicht an, für welche Zeiträume er welche Leistung begehrt, was aber relevant wäre, da diese Ansprüche grundsätzlich nicht nebeneinander bestehen können. Aber im Rahmen einer Klage auf Erlass eines Grundurteils über diese Leistungen wie hier (§ 130 Abs. 1 SGG) reichen die Angaben noch aus. Ferner hat die Beklagte in dem angegriffenen Bescheid ausdrücklich auch über diese Ansprüche entschieden. Verletztenrente hat sie ausdrücklich erwähnt. Ihre Entscheidung über einen Anspruch auf Verletztengeld kann durch Auslegung ihren Ausführungen über die Dauer der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit entnommen werden. Insoweit hat auch über die Leistungsanträge das nach § 78 Abs. 1 SGG notwendige Vorverfahren stattgefunden, zumal der Kläger nach Erhebung des Widerspruchs erneut ausdrücklich auf die Gewährung einer Rente gedrängt hat.

Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die geltend gemachten Ansprüche bestehen nicht.

Zwar hat der Kläger am 18. bzw. 19. August 2011 im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) einen versicherten Arbeitsunfall erlitten. Die Beklagte hat das Ereignis einschließlich einer daraus entstandene Schädigung (Gesundheitserstschaden) anerkannt. An dem Unfall und einer Augenverletzung an sich bestehen auch keine Zweifel, nachdem der Kläger wenige Stunden nach dem Unfall bei drei Ärzten war, die seine damaligen Angaben protokolliert und die Augenverletzung (links) dokumentiert haben. An dieser Einschätzung ändern auch die Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nichts, aus denen sich ergibt, dass der Unfall selbst schon am späten Abend des 18. August 2011 geschehen sein muss. Maßgebend für die Feststellung eines Arbeitsunfalls ist - auch in Abgrenzung zu dem Versicherungsfall der Berufskrankheit, ob die Einwirkungen innerhalb derselben Arbeitsschicht stattgefunden haben. Dies ist hier der Fall.

Aus diesem Unfall ist jedoch nicht der geltend gemachte Folgeschaden entstanden.

Über diese Frage kann der Senat abschließend entscheiden. Eine weitere Beweiserhebung zu der Frage, ob der Unfall vom 18./19. August 2011 das linke oder das rechte Auge betroffen hat, war nicht notwendig. Für eine Beweiserhebung von Amts wegen sieht der Senat keinen Anlass, Beweisanträge - etwa auf Vernehmung von Familienangehörigen als Zeugen - hat der Kläger nicht gestellt. Der Senat unterstellt vielmehr bei seiner Entscheidung, dass dessen Angabe, der Unfall habe damals das rechte Auge betroffen, wahr ist. Eine solche Wahrunterstellung ist auch im sozialgerichtlichen Verfahren möglich. In einem solchen Fall ist eine - weitere - Beweiserhebung in Bezug auf die als wahr unterstellte Tatsache wegen Unerheblichkeit unnötig (BSG, Beschluss vom 7. Oktober 2016 – B 9 V 28/16 B –, juris, Rz. 20), sodass sogar entsprechende Beweisanträge abgelehnt werden könnten (vgl. die Grundsätze aus § 244 Abs. 3 Strafprozessordnung [StPO]).

Die als wahr unterstellte Verletzung am rechten Auge im August 2011 ist nicht mit Wahrscheinlichkeit die wesentliche Ursache für das im Frühjahr 2013 erstmals diagnostizierte und hier als Gesundheitsfolgeschaden geltend gemachte Hornhautgeschwür.

Die für die haftungsausfüllende Kausalität zwischen einem Arbeitsunfall einschließlich des damit verbundenen Erstschadens und einem später aufgetretenen Schaden (Gesundheitsfolgeschaden) zu fordernde hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R -, juris, Rz. 17) liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht, so dass auf diesen Grad der Wahrscheinlichkeit vernünftiger Weise die Entscheidung gestützt werden kann und ernste Zweifel ausscheiden. Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Dies schließt eine Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen. Der wissenschaftliche Erkenntnisstand ist die Grundlage, auf der die geltend gemachten Gesundheitsstörungen des konkreten Versicherten zu bewerten sind. Nach der Feststellung eines Ursachenzusammenhangs im natürlichen Sinne ist auf der materiellen, wertenden Ebene der Prüfung zu entscheiden, ob der Unfall die wesentliche Bedingung für den Gesundheitsschaden war. Dies muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs beziehungsweise Gesundheitsschadens abgeleitet werden. Wenn es mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen gibt, ist sozialrechtlich allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere Ursache keine überragende Bedeutung hat. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber nicht als "wesentlich" anzusehen ist, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder "Auslöser" bezeichnet werden (BSG, Urteil vom 30. Januar 2007 - B 2 U 23/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 22). Bei dieser Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen. Weitere Gesichtspunkte für die Beurteilung der besonderen Beziehung einer versicherten Ursache zum Erfolg sind der zeitliche Ablauf des Geschehens - aber eine Ursache ist nicht deswegen wesentlich, weil sie die letzte war, das Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, die Befunde und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes sowie die gesamte Krankengeschichte. Ergänzend kann der Schutzzweck der Norm heranzuziehen sein (vgl. zu allem auch Urteil des Senats vom 22. Januar 2015 – L 6 U 4801/12 –, juris, Rz. 36).

Vor diesem Hintergrund kann sich der Senat bereits nicht davon überzeugen, auch nicht auf der Basis einer bloßen Wahrscheinlichkeit, dass das Hornhautgeschwür im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne auf den Unfall am 19. August 2011 zurückgeführt werden kann.

Zwar kann der Hergang noch als geeignet eingestuft werden. Es ist zwar nicht gesichert, ob wirklich Metallspäne in das (rechte) Auge gelangt sind, jedenfalls konnten die erstbehandelnden Ärzte keine Fremdkörper in dem untersuchten Auge feststellen, wie sich insbesondere aus dem D-Arzt-Bericht von Dr. E. (Dr. H.) vom Unfalltag ergibt. Aber eine "winzige" Hornhauterosio lag unmittelbar nach dem Unfall vor. Sie wurde von Dr. A. am späten Vormittag des Unfalltags festgestellt. Eine solche Hornhauterosio kommt als Ursache (im natürlichen) Sinne eines Hornhautgeschwürs in Betracht. Auf diesen medizinischen Erfahrungssatz hat zum einen Dr. Th., Universitäts-Augenklinik Tü., in seiner Zeugenaussage vom 15. Juli 2014 hingewiesen, er hat - differentialdiagnostisch - unter anderem eine "rezidivierende Erosio z.B. nach Verletzung" genannt. Auch Prof. Dr. Au. hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass eine (allerdings nur eine große) Hornhauterosio, wie sie eineinhalb Jahre später bei dem Kläger festgestellt worden ist, zu einer reduzierten Hornhautsensibilität führen könne, die ihrerseits eine denkbare Mitursache für ein Geschwür sei, das dann primär z.B. durch eine Infektion ausgelöst werde.

Es ist jedoch festzustellen, dass die im August 2011 aufgetretene Erosio folgenlos ausgeheilt war, lange bevor das Hornhautgeschwür aufgetreten ist. Aus dem Behandlungsbericht vom Unfalltag ("winzig") ergibt sich, dass nur eine Bagatellverletzung vorlag. Prof. Dr. Au. hat in seinem Gutachten überzeugend dargelegt, dass solche Verletzungen nach medizinischer Erfahrung binnen Stunden oder Tagen ausheilen. Dem entspricht auch der weitere Verlauf. Das Geschwür wurde eineinhalb Jahre später, im Frühjahr 2013, festgestellt, wobei der Kläger dort über Beschwerden am Auge "seit Januar" bzw. "seit einigen Monaten" klagte. Er war zwar auch in der Zwischenzeit in augenärztlicher Behandlung, so erstmals wegen des rechten Auges bei Dr. A. am 16. Dezember 2011. Dabei bestand jedoch eine Entzündung der Lider, wie Dr. A. in seiner Zeugenaussage vom 20. Januar 2015 bekundet hat. Auch bei der weiteren dokumentierten Behandlung am 20. März 2012 im Universitätsklinikum Tü. wurde ein Sicca-Syndrom diagnostiziert. Das damals geklagte Doppelsehen wurde auf ein gereiztes, trockenes Auge zurückgeführt. Hinweise darauf, dass auch zu dieser Zeit weiterhin Veränderungen der Hornhaut vorlagen oder gar schon das Geschwür in der Entstehung war, ergeben sich aus den Behandlungsberichten nicht. Vielmehr wurde die Hornhaut jeweils als unauffällig beschrieben. Insgesamt ist also von einem über ein Jahr andauernden, hinsichtlich der Hornhaut beschwerdefreien Zeitintervall zwischen dem Unfall und der Erstdiagnose des Geschwürs auszugehen, sodass eine Ausheilung anzunehmen ist.

Wenn demnach schon die Kausalität zwischen dem Unfall und dem Geschwür im natürlichen Sinne zu verneinen ist, kann offen bleiben, ob es ggfs. andere Ursachen gibt, die ihrerseits wesentlich sind. Wie ausgeführt, wurde zwischenzeitlich eine Herpes-Infektion angeschuldigt. Die Nasenkrebserkrankung des Klägers, die erstmals im März 2014, also ein Jahr nach dem Hornhautgeschwür, festgestellt worden ist, hat weder der Kläger als Folge des Unfalls noch die Beklagte als alternative Ursache des Geschwürs geltend gemacht.

Wenn demnach die allein durch den Unfall verursachten Schäden am (linken oder rechten) Auge binnen weniger Tage ausgeheilt waren, wie es der Senat den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. Au. entnimmt, kann der Kläger für die noch streitige Zeit nach dem Ende der anerkannten Arbeitsunfähigkeit (26. August 2011) insoweit auch kein Verletztengeld (§ 45 Abs. 1 SGB VII) verlangen. Ein Anspruch auf Verletztenrente (§ 56 Abs. 1 SGB VII) besteht ebenfalls nicht, weil der streitgegenständliche Unfall keine bleibenden Folgen zurückgelassen hat, die zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) führen konnten.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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