Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 25 AS 4716/15 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 715/16 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Materiell nicht freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger konnten im Einzelfall Hilfe zum Lebensunterhalt nach Maßgabe von § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII in der Fassung vom 1. Januar 2005 bis zum 5. August 2016 geltenden Fassung beanspruchen.
2. Das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland stellt keine zumutbare Selbsthilfe dar und widerspricht dem Sinn und Zweck des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII a. F. (Anschluss an BVerwG, Beschluss vom 20. Oktober 1988 – 5 B 48/88 – NVwZ 1989, 671 = juris Rdnr. 2 [zu § 120 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 BSHG]).
2. Das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland stellt keine zumutbare Selbsthilfe dar und widerspricht dem Sinn und Zweck des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII a. F. (Anschluss an BVerwG, Beschluss vom 20. Oktober 1988 – 5 B 48/88 – NVwZ 1989, 671 = juris Rdnr. 2 [zu § 120 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 BSHG]).
I. Die Beschwerde des Beigeladenen gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 20. Mai 2016 wird zurückgewiesen.
II. Der Beigeladene trägt auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für das Beschwerdeverfahren.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtschutzes die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II).
Der 1982 geborene Antragsteller ist polnischer Staatsangehöriger. Er wohnte seit dem 1. Januar 2014 in einer Mietwohnung in A ... Für diese Wohnung musste er monatlich 360,00 EUR Warmmiete aufbringen (200,00 EUR Grundmiete, 50,00 EUR Betriebskostenvorauszahlung, 110,00 EUR Heizkostenvorauszahlung). Dem Antragsteller wurden zuletzt mit Bescheid vom 12. März 2015 vom Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1. April 2015 bis 30. September 2015 bewilligt.
Auf den Folgeantrag des Antragstellers vom 2. Oktober 2015 lehnte der Antragsgegner die Bewilligung von Leistungen für die Zeit ab Oktober 2015 ab. Der Antragsteller halte sich allein zum Zwecke der Arbeitssuche in der Bundesrepublik Deutschland auf und sei deswegen nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. b SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Der gegen diese Entscheidung erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 19. November 2015 als unbegründet zurückgewiesen.
Am 9. Dezember 2015 beantragte der Antragsteller beim Beigeladenen die Bewilligung von Sozialhilfe, was dieser mit Bescheid vom 11. Januar 2016 ablehnte. Der Antragsteller sei erwerbsfähig und damit dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II. Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller Widerspruch.
Gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 21. Oktober 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. November 2015 hat der Antragsteller am 14. Dezember 2015 Klage erhoben. Der Rechtstreit wird unter dem Aktenzeichen S 25 AS 4749/15 geführt und ist noch anhängig. Ebenfalls am 14. Dezember 2015 hat der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II beantragt. Er erfülle die Anspruchsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Er habe weder einen Wohnsitz in Polen, noch habe er Einkommen oder Vermögen, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können.
Mit Beschluss vom 11. Januar 2016 hat das Sozialgericht hat den Landkreis Mittelsachsen als Träger der Sozialhilfe beigeladen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 2016 hat der Beigeladene den Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid vom 11. Januar 2016 als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen hat der Antragsteller ebenfalls Klage erhoben. Der Rechtstreit wird unter dem Aktenzeichen S 21 SO 147/16 geführt.
Ausländerrechtliche Maßnahmen zur Beendigung des Aufenthaltes des Antragstellers im Bundesgebiet sind bisher nicht eingeleitet worden.
Ab dem 1. April 2016 hat der Antragsteller kurzzeitig eine Erwerbstätigkeit aufgenommen.
Mit Beschluss vom 20. Mai 2016 hat das Sozialgericht den Beigeladenen verpflichtet, dem Antragsteller vom 14. Dezember 2015 bis zum 31. März 2016 vorläufig Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) in gesetzlicher Höhe zu bewilligen. Zugleich hat es den Beigeladenen, der beantragt hat den Antrag abzulehnen, verpflichtet, die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu tragen. Nach Auffassung des Sozialgerichts habe der Antragsteller keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, da er sein Aufenthaltsrecht allein aus dem Recht zur Arbeitssuche ab-leite und deswegen nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Bucht. b SGB II vom Bezug von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen sei. Er habe aber einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII gegen den Beigeladenen. Auf die Gründe des Beschlusses vom 20. Mai 2016 wird verwiesen.
Der Beschluss ist dem Beigeladenen am 26. Mai 2016 zugestellt worden. Am 23. Juni 2016 hat er Beschwerde erhoben. Bereits am 7. Juni 2016 hat er den Beschluss des Sozialgerichtes umgesetzt und einen entsprechenden vorläufigen Bewilligungsbescheid erlassen.
Zur Begründung seiner Beschwerde trägt der Beigeladene vor, dass der Antragsteller als polnischer Staatsangehöriger dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II sei. Deswegen könne er gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 SGB XII keine Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII erhalten. Zudem habe er als Ausländer, dessen Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe, nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (Urteil vom 3. Dezember 2015, Az. B 4 AS 44/15), welches einen Anspruch nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII konstruiere, überzeuge nicht. Insoweit werde auf die Rechtsprechung des Landessozialgerichtes Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 11. Februar 2016, Az. L 3 AS 668/15 B ER) verwiesen. Das Landessozialgericht habe unter ausdrücklicher Abweichung von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes bei ähnlicher Ausgangslage Ansprüche von EU-Ausländern auf Leistungen nach dem SGB II und dem SGB XII verneint. Dieser Auffassung hätten sich zwischenzeitlich mehrere Landessozialgerichte angeschlossen.
Der Beigeladene beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 20. Mai 2016 aufzuheben und den Antrag abzulehnen.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er verweist auf die Ausführungen des Sozialgerichtes. Er habe keine Leistungsansprüche nach dem SGB II dem Grunde nach, sodass die Sperrwirkung des § 21 SGB XII nicht eintrete.
Der Antragsgegner hat keinen Antrag gestellt.
II.
1. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Der Antragsteller hat einen Anspruch auf Leistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII in der Fassung vom 1. Januar 2005 bis zum 5. August 2016 geltenden Fassung (vgl. Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003 [BGBl. I S. 3022]). Danach konnte Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt war.
Der Senat verweist zur Begründung zunächst auf die zutreffenden Ausführungen in der angegriffenen Entscheidung des Sozialgerichts, welchen sich der Senat gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG zu Eigen macht.
Der Senat vermag sich der vom Beigeladenen vertretenen, auf den Beschluss des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 11. Februar 2016 (Az. L 3 AS 668/15 B ER, NDV-RD 2016, 67 ff.) gestützten Auffassung zum Leistungsausschluss nicht anschließen. Vielmehr sieht der Senat auch unter Berücksichtigung der dieser obergerichtlichen Entscheidung entsprechenden Rechtsprechung anderer Obergerichte (vgl. nur LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Januar 2016 – L 29 AS 20/16 B ER – juris; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschlüsse vom 22. Februar 2016 – L 9 AS 1335/15 B ER – NdsRpfl 2016, 168 ff. – und vom 17. März 2016 – L 9 AS 1580/15 B ER – ZFSH/SGB 2016, 323 ff.; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. März 2016 – L 12 SO 79/16 B ER – juris; LSG Hamburg, Beschluss vom 14. April 2016 – L 4 AS 76/16 B ER - juris; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 7. Juli 2016 – L 9 SO 12/16 B ER, L 9 SO 13/16 B PKH – juris) keinen Anlass, von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Urteile vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 59/13 R – juris –, B 4 AS 43/15 R – BSGE 120, 139 ff. = SozR 4-4200 § 7 Nr. 46 – und B 4 AS 44/15 R – BSGE 120, 149 ff. = SozR 4-4200 § 7 Nr. 43; BSG, Urteile vom 16. Dezember 2015 – B 14 AS 15/14 R – SozR 4-4200 § 7 Nr. 48 –, B 14 AS 18/14 R – juris – und B 14 AS 33/14 R – juris –; BSG, Urteile vom 20. Januar 2016 – B 14 AS 15/15 R – juris – und B 14 AS 35/15 R – SozR 4-4200 § 7 Nr. 47; BSG, Urteil vom 17. Februar 2016 – B 4 AS 24/14 R – juris; BSG, Urteil vom 17. März 2016 – B 4 AS 32/15 R – juris) zur Anwendung und Auslegung des § 23 SGB XII abzuweichen.
Einer Abweichung steht das Verständnis des aus der Menschenwürde abgeleiteten Rechts auf Existenzsicherung als Menschenrecht entgegen. Das Bundesverfassungsgericht hat im Urteil vom 18. Juli 2012 dargelegt, dass das aus Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) in Verbindung mit Artikel 20 Abs. 1 GG abgeleitete Grundrecht auf Existenzsicherung ein Menschenrecht ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 – BVerfGE 132, 134 ff. = SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 = juris Rdnr. 62), Dieses steht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, welche sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu (vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012, a. a. O., Rdnr. 63), Dieses – unabhängig von der Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes – bestehende Grundrecht ist durch einen Leistungsanspruch des Hilfesuchenden einzulösen (vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012, a. a. O., Rdnr. 62), wobei hier allein § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII a. F. im konkreten Fall die hierzu taugliche Norm ist. Das Verständnis des Grundrechts auf Existenzsicherung als Menschenrecht verbietet es darüber hinaus, über das Grundsicherungsrecht Migration zu steuern (vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012, a. a. O., Rdnr. 95). Dies ist allein Aufgabe des Aufenthaltsrechts und innerhalb dessen umzusetzen. Deswegen überzeugt in diesem Zusammenhang insbesondere die Auffassung des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen nicht, welches einen Leistungsausschluss mit Blick auf die zumutbare Rückkehrmöglichkeit eines EU-Ausländer in sein Heimatland für unbedenklich hält (vgl. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. März 2016 – L 12 SO 79/16 B ER – juris Rdnr. 36). Das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland stellt gerade keine zumutbare Selbsthilfe dar und widerspricht dem Sinn und Zweck des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII a. F. (vgl. hierzu bereits zur Vorgängernorm des § 120 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 des Bundessozialhilfegesetzes [BSHG]: BVerwG, Beschluss vom 20. Oktober 1988 – 5 B 48/88 – NVwZ 1989, 671 = juris Rdnr. 2).
Damit ist das Ermessen des Beigeladenen im Hinblick auf die Dauer des Aufenthaltes des Antragstellers von mehr als 6 Monaten auf Null reduziert (vgl. BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 44/15 R – BSGE 120, 149 ff. = SozR 4-4200 § 7 Nr. 43 = juris, jeweils Rdnr. 53; BSG, Urteil vom 20. Januar 2016 – B 14 AS 35/15 R – SozR 4-4200 § 7 Nr. 47 = juris, jeweils Rdnr. 45). Im Hinblick auf die Dauer des Aufenthalts von mehr als zwei Jahren und wegen fehlender Anhaltspunkte für die Einleitung oder auch nur Vorbereitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen hat der Antragsteller einen bereits verfestigten Aufenthalt (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, a. a. O., Rdnr. 58; BSG, Urteil vom 20. Januar 2016, a. a. O., Rdnr. 41). Gesichtspunkte, die trotz Vorliegens eines verfestigten Aufenthalts gegen eine Ermessensreduzierung auf Null sprechen könnten, fehlen.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs. 1 SGG.
3. Die Entscheidung ist unanfechtbar (vgl. § 177 SGG)
Dr. Scheer Höhl Czarnecki
II. Der Beigeladene trägt auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für das Beschwerdeverfahren.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtschutzes die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II).
Der 1982 geborene Antragsteller ist polnischer Staatsangehöriger. Er wohnte seit dem 1. Januar 2014 in einer Mietwohnung in A ... Für diese Wohnung musste er monatlich 360,00 EUR Warmmiete aufbringen (200,00 EUR Grundmiete, 50,00 EUR Betriebskostenvorauszahlung, 110,00 EUR Heizkostenvorauszahlung). Dem Antragsteller wurden zuletzt mit Bescheid vom 12. März 2015 vom Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1. April 2015 bis 30. September 2015 bewilligt.
Auf den Folgeantrag des Antragstellers vom 2. Oktober 2015 lehnte der Antragsgegner die Bewilligung von Leistungen für die Zeit ab Oktober 2015 ab. Der Antragsteller halte sich allein zum Zwecke der Arbeitssuche in der Bundesrepublik Deutschland auf und sei deswegen nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. b SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Der gegen diese Entscheidung erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 19. November 2015 als unbegründet zurückgewiesen.
Am 9. Dezember 2015 beantragte der Antragsteller beim Beigeladenen die Bewilligung von Sozialhilfe, was dieser mit Bescheid vom 11. Januar 2016 ablehnte. Der Antragsteller sei erwerbsfähig und damit dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II. Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller Widerspruch.
Gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 21. Oktober 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. November 2015 hat der Antragsteller am 14. Dezember 2015 Klage erhoben. Der Rechtstreit wird unter dem Aktenzeichen S 25 AS 4749/15 geführt und ist noch anhängig. Ebenfalls am 14. Dezember 2015 hat der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II beantragt. Er erfülle die Anspruchsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Er habe weder einen Wohnsitz in Polen, noch habe er Einkommen oder Vermögen, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können.
Mit Beschluss vom 11. Januar 2016 hat das Sozialgericht hat den Landkreis Mittelsachsen als Träger der Sozialhilfe beigeladen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 2016 hat der Beigeladene den Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid vom 11. Januar 2016 als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen hat der Antragsteller ebenfalls Klage erhoben. Der Rechtstreit wird unter dem Aktenzeichen S 21 SO 147/16 geführt.
Ausländerrechtliche Maßnahmen zur Beendigung des Aufenthaltes des Antragstellers im Bundesgebiet sind bisher nicht eingeleitet worden.
Ab dem 1. April 2016 hat der Antragsteller kurzzeitig eine Erwerbstätigkeit aufgenommen.
Mit Beschluss vom 20. Mai 2016 hat das Sozialgericht den Beigeladenen verpflichtet, dem Antragsteller vom 14. Dezember 2015 bis zum 31. März 2016 vorläufig Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) in gesetzlicher Höhe zu bewilligen. Zugleich hat es den Beigeladenen, der beantragt hat den Antrag abzulehnen, verpflichtet, die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu tragen. Nach Auffassung des Sozialgerichts habe der Antragsteller keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, da er sein Aufenthaltsrecht allein aus dem Recht zur Arbeitssuche ab-leite und deswegen nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Bucht. b SGB II vom Bezug von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen sei. Er habe aber einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII gegen den Beigeladenen. Auf die Gründe des Beschlusses vom 20. Mai 2016 wird verwiesen.
Der Beschluss ist dem Beigeladenen am 26. Mai 2016 zugestellt worden. Am 23. Juni 2016 hat er Beschwerde erhoben. Bereits am 7. Juni 2016 hat er den Beschluss des Sozialgerichtes umgesetzt und einen entsprechenden vorläufigen Bewilligungsbescheid erlassen.
Zur Begründung seiner Beschwerde trägt der Beigeladene vor, dass der Antragsteller als polnischer Staatsangehöriger dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II sei. Deswegen könne er gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 SGB XII keine Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII erhalten. Zudem habe er als Ausländer, dessen Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe, nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (Urteil vom 3. Dezember 2015, Az. B 4 AS 44/15), welches einen Anspruch nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII konstruiere, überzeuge nicht. Insoweit werde auf die Rechtsprechung des Landessozialgerichtes Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 11. Februar 2016, Az. L 3 AS 668/15 B ER) verwiesen. Das Landessozialgericht habe unter ausdrücklicher Abweichung von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes bei ähnlicher Ausgangslage Ansprüche von EU-Ausländern auf Leistungen nach dem SGB II und dem SGB XII verneint. Dieser Auffassung hätten sich zwischenzeitlich mehrere Landessozialgerichte angeschlossen.
Der Beigeladene beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 20. Mai 2016 aufzuheben und den Antrag abzulehnen.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er verweist auf die Ausführungen des Sozialgerichtes. Er habe keine Leistungsansprüche nach dem SGB II dem Grunde nach, sodass die Sperrwirkung des § 21 SGB XII nicht eintrete.
Der Antragsgegner hat keinen Antrag gestellt.
II.
1. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Der Antragsteller hat einen Anspruch auf Leistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII in der Fassung vom 1. Januar 2005 bis zum 5. August 2016 geltenden Fassung (vgl. Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003 [BGBl. I S. 3022]). Danach konnte Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt war.
Der Senat verweist zur Begründung zunächst auf die zutreffenden Ausführungen in der angegriffenen Entscheidung des Sozialgerichts, welchen sich der Senat gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG zu Eigen macht.
Der Senat vermag sich der vom Beigeladenen vertretenen, auf den Beschluss des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 11. Februar 2016 (Az. L 3 AS 668/15 B ER, NDV-RD 2016, 67 ff.) gestützten Auffassung zum Leistungsausschluss nicht anschließen. Vielmehr sieht der Senat auch unter Berücksichtigung der dieser obergerichtlichen Entscheidung entsprechenden Rechtsprechung anderer Obergerichte (vgl. nur LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Januar 2016 – L 29 AS 20/16 B ER – juris; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschlüsse vom 22. Februar 2016 – L 9 AS 1335/15 B ER – NdsRpfl 2016, 168 ff. – und vom 17. März 2016 – L 9 AS 1580/15 B ER – ZFSH/SGB 2016, 323 ff.; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. März 2016 – L 12 SO 79/16 B ER – juris; LSG Hamburg, Beschluss vom 14. April 2016 – L 4 AS 76/16 B ER - juris; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 7. Juli 2016 – L 9 SO 12/16 B ER, L 9 SO 13/16 B PKH – juris) keinen Anlass, von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Urteile vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 59/13 R – juris –, B 4 AS 43/15 R – BSGE 120, 139 ff. = SozR 4-4200 § 7 Nr. 46 – und B 4 AS 44/15 R – BSGE 120, 149 ff. = SozR 4-4200 § 7 Nr. 43; BSG, Urteile vom 16. Dezember 2015 – B 14 AS 15/14 R – SozR 4-4200 § 7 Nr. 48 –, B 14 AS 18/14 R – juris – und B 14 AS 33/14 R – juris –; BSG, Urteile vom 20. Januar 2016 – B 14 AS 15/15 R – juris – und B 14 AS 35/15 R – SozR 4-4200 § 7 Nr. 47; BSG, Urteil vom 17. Februar 2016 – B 4 AS 24/14 R – juris; BSG, Urteil vom 17. März 2016 – B 4 AS 32/15 R – juris) zur Anwendung und Auslegung des § 23 SGB XII abzuweichen.
Einer Abweichung steht das Verständnis des aus der Menschenwürde abgeleiteten Rechts auf Existenzsicherung als Menschenrecht entgegen. Das Bundesverfassungsgericht hat im Urteil vom 18. Juli 2012 dargelegt, dass das aus Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) in Verbindung mit Artikel 20 Abs. 1 GG abgeleitete Grundrecht auf Existenzsicherung ein Menschenrecht ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 – BVerfGE 132, 134 ff. = SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 = juris Rdnr. 62), Dieses steht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, welche sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu (vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012, a. a. O., Rdnr. 63), Dieses – unabhängig von der Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes – bestehende Grundrecht ist durch einen Leistungsanspruch des Hilfesuchenden einzulösen (vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012, a. a. O., Rdnr. 62), wobei hier allein § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII a. F. im konkreten Fall die hierzu taugliche Norm ist. Das Verständnis des Grundrechts auf Existenzsicherung als Menschenrecht verbietet es darüber hinaus, über das Grundsicherungsrecht Migration zu steuern (vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012, a. a. O., Rdnr. 95). Dies ist allein Aufgabe des Aufenthaltsrechts und innerhalb dessen umzusetzen. Deswegen überzeugt in diesem Zusammenhang insbesondere die Auffassung des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen nicht, welches einen Leistungsausschluss mit Blick auf die zumutbare Rückkehrmöglichkeit eines EU-Ausländer in sein Heimatland für unbedenklich hält (vgl. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. März 2016 – L 12 SO 79/16 B ER – juris Rdnr. 36). Das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland stellt gerade keine zumutbare Selbsthilfe dar und widerspricht dem Sinn und Zweck des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII a. F. (vgl. hierzu bereits zur Vorgängernorm des § 120 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 des Bundessozialhilfegesetzes [BSHG]: BVerwG, Beschluss vom 20. Oktober 1988 – 5 B 48/88 – NVwZ 1989, 671 = juris Rdnr. 2).
Damit ist das Ermessen des Beigeladenen im Hinblick auf die Dauer des Aufenthaltes des Antragstellers von mehr als 6 Monaten auf Null reduziert (vgl. BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 44/15 R – BSGE 120, 149 ff. = SozR 4-4200 § 7 Nr. 43 = juris, jeweils Rdnr. 53; BSG, Urteil vom 20. Januar 2016 – B 14 AS 35/15 R – SozR 4-4200 § 7 Nr. 47 = juris, jeweils Rdnr. 45). Im Hinblick auf die Dauer des Aufenthalts von mehr als zwei Jahren und wegen fehlender Anhaltspunkte für die Einleitung oder auch nur Vorbereitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen hat der Antragsteller einen bereits verfestigten Aufenthalt (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, a. a. O., Rdnr. 58; BSG, Urteil vom 20. Januar 2016, a. a. O., Rdnr. 41). Gesichtspunkte, die trotz Vorliegens eines verfestigten Aufenthalts gegen eine Ermessensreduzierung auf Null sprechen könnten, fehlen.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs. 1 SGG.
3. Die Entscheidung ist unanfechtbar (vgl. § 177 SGG)
Dr. Scheer Höhl Czarnecki
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