Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 R 2064/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts K. vom 11. April 2016 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Im Streit steht die Weitergewährung der Rente wegen Erwerbsminderung über den 31.9.2014 hinaus.
Der 1962 geborene türkische Kläger hat keinen Beruf erlernt. Seit 1980 war er mit Unterbrechungen versicherungspflichtig beschäftigt, zuletzt arbeitete er bis zur fristlosen Kündigung durch den Arbeitgeber im November 2007 als Lackierer. In der Folgezeit war der Kläger arbeitslos bzw. arbeitsunfähig krank.
Auf seinen Rentenantrag wegen orthopädischer und psychischer Beschwerden vom 19.10.2010 hin erstritt der Kläger die Gewährung der Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 1.10.2011 bis 30.9.2014, nachdem Dr. E., Neurologe und Psychiater, im Gutachten nach § 109 SGG vom 22.11.2011 eine rezidivierende Depression mittelschwerer Ausprägung, in kritischen Situationen und Konflikten auch Symptome schwerer Ausprägung diagnostiziert hatte und von einem beruflichen Leistungsvermögen von unter 6 Stunden ausgegangen war (Sozialgericht K. ( SG ) Urteil vom 4.7.2012 - S 15 R 1765/11; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 4.12.2012 - L 11 R 3331/12).
Am 12.4.2014 beantragte der Kläger die Weitergewährung der Rente wegen Erwerbsminderung und benannte als besonders belastende gesundheitliche Beschwerden im Wesentlichen Depressionen, Angstzustände, Schlaflosigkeit, innere Unruhe, Anpassungsprobleme unter Gesellschaft und Gelenkschmerzen in Schulter, Ellenbogen und Händen.
Die Beklagte ließ den Kläger daraufhin wieder zunächst orthopädisch durch Dr. R. begutachten. Der Gutachter stellte am 5.6.2014 einen Zustand nach zweimaliger Schulteroperation beidseits, Zustand nach Operation Ellbogen/Hand rechts sowie ein degeneratives Wirbelsäulensyndrom ohne maßgebliche Funktionseinschränkung, ohne radikuläre Ausfälle fest. Leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten über sechs Stunden seien unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen zumutbar, auch die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Lackierer.
Mit Bescheid vom 11.7.2014 lehnte die Beklagte den Antrag aus medizinischen Gründen ab. Der hiergegen eingelegte Widerspruch des Klägers vom 19.8.2014 wurde damit begründet, dass der Schwerpunkt der Erkrankung nicht auf orthopädischem, sondern im psychischen Bereich liege. Hierzu legte der Kläger das ärztliche Attest des Psychiaters Dr. Sch. vom 21.7.2014 vor. Die Beklagte ließ den Kläger daraufhin nervenärztlich begutachten. Im Gutachten vom 6.10.2014 führte Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. aus, mit der Lebensunzufriedenheit im Sinne einer Anpassungsstörung mit dysphorisch gereizten Zuständen lasse sich eine Minderung der Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben nicht begründen. Diagnostisch gehe er von einer Anpassungsstörung nach mehrjähriger Konfliktsituation mit dem inzwischen verstorbenen drogenabhängigen Sohn aus, der auch zum Verlust des Arbeitsplatzes geführt habe. Eine mehrjährige schwerwiegende depressive Erkrankung liege nicht vor. Der Kläger könne vollschichtig mittelschwere Arbeiten verrichten. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21.11.2014 zurück.
Am 1.12.2014 hat der Kläger erneut zum SG Klage erhoben und die Weitergewährung der Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit über den 30.9.2014 hinaus begehrt. Zur Begründung hat er vorgetragen, die Schwere der psychischen Erkrankung sei verkannt worden.
Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen schriftlich befragt. Der Orthopäde Dr. R. berichtete über die Behandlung im Januar 2014 im Zusammenhang mit einer Operation an der rechten Hand (Dupuytren’sche Kontraktur) und im März 2014 am rechten Ellenbogen (Tennisellenbogen) mit angegebener Besserung nach den Operationen und zeitgerechter Wundheilung (Bericht Eingang 21.1.2015, Bl. 20 SG Akte). Einer Tätigkeit von 6 Stunden täglich stehe nichts entgegen. Facharzt für Allgemeinmedizin Förster hielt den Kläger aufgrund der psychischen Situation nicht mehr in der Lage einer geregelten Arbeit nachzugehen (Auskunft vom 20.1.2015, Bl. 24 SG Akte). PD Dr. Sch. berichtete von einer gegenwärtig mittelschweren depressiven Störung und hielt den Kläger maximal noch 3 Stunden für arbeitsfähig (Auskunft vom 27.2.2015, Bl. 32 SG Akte).
Das SG hat das psychiatrische Gutachten des Dr. D., Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Krankenhäuser Landkreis F., vom 1.11.2015 eingeholt. Im Gutachten diagnostizierte er auf psychiatrischem Gebiet eine Dysthymia (F34.1), differenzialdiagnostisch eine anhaltende affektive Störung (F34.8) und andauernde Persönlichkeitsänderung (F62.8). Der Kläger sei zwischenzeitlich von der eigenen Leistungsinsuffizienz, Minderbelastbarkeit und seelischen Veränderung erfüllt und habe sich auf die Berentung fixiert. Bei inzwischen in seiner Persönlichkeit verankerter Unzufriedenheit, Missmutigkeit, Reizbarkeit und Lustlosigkeit sei der Kläger inzwischen ausgesprochen schwierig auf dem Arbeitsmarkt zu vermitteln. Eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne er mit qualitativen Einschränkungen im Umfang von ca. 4 Stunden täglich ausüben. Die bisherige Behandlung sei insuffizient gewesen. Eine intensivierte ambulante Psychotherapie und auch eine stationäre psychiatrisch-psychotherapeutische Rehabilitationsmaßnahme könne hilfreich sein. Die erneute Gewährung einer zeitlich befristeten Rente würde ihn in seiner Haltung bestätigen, einer Dauerrente zu bedürfen und im Befristungszeitraum keine Anstrengungen zu unternehmen wieder ins Erwerbsleben zurückzukehren.
Hierauf gestützt hat das SG die Beklagte im Urteil vom 11.4.2016 verurteilt, dem Kläger unter Aufhebung des Bescheids vom 11.7.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.11.2014 Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1.10.2014 bis 30.9.2017 zu gewähren. Dr. D. habe die Herabsetzung des Leistungsvermögens auf 4 Stunden mit Blick auf die Einschränkungen im Tagesablauf und der Freizeitgestaltung nachvollziehbar dargelegt. Zudem habe sich bei der gutachterlichen Untersuchung ein auffälliger psychopathologischer Befund im Sinne einer deutlich erhöhten emotionalen Steuerbarkeit, Irritierbarkeit und vermehrter Reizbarkeit gefunden. Das eingeschränkte quantitative Leistungsvermögen habe auch Dr. Sch. attestiert. Aufgrund des mittlerweile chronifizierten Krankheitsbildes und der glaubhaften Einschränkungen im Alltagsleben gehe das SG nicht von einer willentlichen Überwindbarkeit in dem Maße aus, die es dem Kläger ermögliche, dauerhaft mehr als 4 Stunden am Tag auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.
Gegen das der Beklagten gegen Empfangsbekenntnis am 17.5.2016 zugestellte Urteil hat sie am 6.6.2016 schriftlich Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt und unter Vorlage der sozialmedizinischen Stellungnahme der Dr. De. vom 31.5.2016 zur Begründung ausgeführt, das Gutachten des Dr. D. sei einer mangelnden Konsistenzprüfung unterzogen worden. Einen aussagekräftigen Tagesablauf habe er nicht erhoben und sich auch nicht ausreichend mit kulturimmanenten Angaben auseinandergesetzt. Das Heimweh nach seinem Heimatland Türkei zu seiner dortigen Dreizimmer(eigentums)wohnung, in der er mit einer Rente gut leben könne, bedinge keine krankheitsbedingte Leistungseinschränkung. Fraglich sei, ob der Kläger nicht könne oder nicht wolle. Hinsichtlich des behaupteten sozialen Rückzugs ergebe sich insofern eine Diskrepanz, als der Kläger regelmäßig die Moschee besuche und auch Auto fahre. Der erhobene psychische Befund sei ohne Einschränkungen gewesen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts K. vom 11. April 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger über den 30. September 2017 hinaus bis zum 30. September 2020 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren, hilfsweise ein orthopädisches Sachverständigengutachten einzuholen.
Er hält das Urteil des SG für zutreffend und sieht sich hinsichtlich der eingelegten Anschlussberufung für beschwert an, als die vom SG zugesprochene Zeitrente mittlerweile bereits abgelaufen und über den Folgezeitraum zu befinden sei.
Der Senat hat das neurologisch-psychiatrische Gutachten des Dr. W., Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie in N. eingeholt. In seinem Gutachten vom 13.10.2016 (mit ergänzender Stellungnahme vom 21.11.2016) stellt er die Diagnosen: • rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode (F93.0), • Dysthymie (F34.1) und • chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (F45.41).
Ganz zentral sei beim Kläger die Motivation. Er habe sich in der jetzigen Situation arrangiert und die Berentung sei für ihn die beste Möglichkeit. Im Falle des Klägers sei es ein "nicht Wollen" aber nicht ein "nicht Können". Der Kläger könne unter Beachtung qualitativer Einschränkungen leichte Arbeiten 6 Stunden und mehr verrichten. Konfrontiert mit den Einwendungen des Klägers gegen das Gutachten hat Dr. W. in seiner ergänzenden Stellungnahme angegeben, bei seiner Leistungseinschätzung zu bleiben. Angenehme Tätigkeiten - wie z.B. der Türkei Besuch 3 Wochen vor der Begutachtung - könne der Kläger machen. Er wolle nicht mehr arbeiten.
Nach Auswahl des Klägers hat der Senat gemäß § 109 SGG das Gutachten des Dr. B., Arzt für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie, forensische Psychiatrie und Suchtmedizin der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie T. vom 19.6.2017 mit testpsychologischem Zusatzgutachten vom 13.4.2017 (Dipl. Psychologin P.) eingeholt. Dr. B. diagnostizierte eine Dysthymie und eine leichte depressive Episode. Testpsychologisch hätten sich auffällige Befunde ergeben, eine Aggravation sei nicht sicher auszuschließen. Nicht alle Behandlungsoptionen seien bisher ausgeschöpft worden. Wegen der geringen Erfolgsaussichten hinsichtlich der Wiederaufnahme des Berufslebens hielt den Kläger nur noch für in der Lage 3 bis unter 6 Stunden zu arbeiten. Er vertrat die Auffassung, dass eine weitere Zeitrentengewährung das Rentenbegehren stützen werde. Der Kläger habe subjektiv mit der Erwerbsbiografie abgeschlossen.
Die Beklagte ist dem Gutachten mit der sozialmedizinischen Stellungnahme der Dr. De. vom 16.8.2017 entgegengetreten.
Die Berichterstatterin hat den Rechtsstreit am 7.9.2017 mit den Beteiligten erörtert. Im Hinblick auf die geäußerte Erfolgswahrscheinlichkeit der Berufung der Beklagten hat der Klägervertreter mit Schreiben vom 11.9.2017 Anschlussberufung eingelegt und im Termin zur mündlichen Verhandlung am 11.10.2017 im Hinblick auf den zwischenzeitlich abgelaufenen Zeitraum der vom SG zugesprochenen Zeitrente - bis 30.9.2017 - die Rentengewährung bis 30.9.2020 begehrt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten hat Erfolg, die Anschlussberufung des Klägers ist unbegründet.
Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthafte Berufung der Beklagten ist zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden. Sie ist auch begründet, soweit sie die Aufhebung des SG-Urteils und sinngemäß die Zurückweisung der Anschlussberufung sowie die Abweisung der in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG erweiterten Klage begehrt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verlängerung der bis 30.9.2014 gewährten Zeitrente wegen Erwerbsminderung.
Die unselbständige Anschlussberufung des Klägers und Berufungsgegners ist zulässig, auch wenn der Kläger durch das Urteil des SG nicht beschwert ist, weil ihm die zeitlich befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung antragsgemäß vollumfänglich vom SG zugesprochen worden ist. Eine Beschwer ist nämlich nicht erforderlich. Mit der Anschlussberufung soll demjenigen, der nicht Berufung einlegen kann oder will, die Möglichkeit gegeben werden, der Hauptberufung mit eigenen Anträgen entgegenzutreten. Sie ist nicht eigentlich Rechtsmittel, sondern nur ein angriffsweise wirkender Antrag, mit dem sich der Gegner innerhalb des Rechtsmittels des Berufungsklägers an dieses anschließt (BSG, Urteil vom 23.2.1966 – 2 RU 103/65 –, juris Rn. 38; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., § 143, Rn. 5a). Die Anschlussberufung, innerhalb derer der Kläger beantragt hat, ein orthopädisches Sachverständigengutachten einzuholen, ist jedoch unbegründet. Der Sachverhalt ist geklärt.
Soweit der Kläger und Berufungsgegner in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat die Klage erweitert und begehrt hat, die Beklagte über den Ausspruch des SG hinaus, nämlich über den 30.9.2017 hinaus zur Rentengewährung bis 30.9.2020 zu verurteilen, ist dies zumindest unbegründet. Es kann dahinstehen, ob die Klageerweiterung im Rahmen der Anschlussberufung statthaft ist (bejahend für den Anspruch auf höhere Unfallrente: BSG, Urteil vom 23. Februar 1966 – 2 RU 103/65 –, BSGE 24, 247, SozR Nr 9 zu § 521 ZPO, Rn. 38; zur Verlängerung des Erstattungszeitraums Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15. Februar 2016 – L 20 SO 476/12 –, Rn. 49 ff., juris, hierzu anhängig BSG - B 8 SO 12/16 R -; zweifelnd wegen der Einheitlichkeit des Streitgegenstandes: Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., § 143, Rn. 5d m.w.Nw.). Es kann weiter dahinstehen, ob der Senat ohne vorherigen Verwaltungsakt und Überprüfung in einem Vorverfahren über die für die Zeit vom 1.10.2017 nur im Wege der Leistungsklage geltend gemachte Rentengewährung bis 30.9.2020 entscheiden durfte. Jedenfalls ist die Klage insofern unbegründet, da der Kläger auch derzeit nicht erwerbsgemindert ist.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung der Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1.10.2014.
Streitgegenstand ist der Bescheid vom 11.7.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.11.2014, mit dem es die Beklagte abgelehnt hat, dem Kläger die Rente wegen Erwerbsminderung für die Zeit ab 1.10.2014 weiterzuzahlen. Hiergegen hat sich der Kläger vor dem SG erfolgreich mit der Anfechtungs- und Leistungsklage gewandt.
Versicherte haben gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Versicherte haben gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie 1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Erwerbsgemindert ist gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Zur Überzeugung des Senats ist der Kläger entgegen der Auffassung des SG nicht ab 1.10.2014 und auch nicht ab 1.10.2017 erwerbsgemindert, da er noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann und dabei leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verrichten kann, wenn er denn wollte. Beim Kläger stehen im Vordergrund die Beschwerden auf psychiatrischem Fachgebiet, die auch ursprünglich zur Zeitrentengewährung bis 30.9.2014 leitend waren. Der Senat stützt seine Einschätzung auf das im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten des Dr. H. vom 16.10.2014, auf das Gutachten des Dr. W. vom 13.10.2016 aber auch auf die Gutachten der Dres. D. vom 1.11.2015 und B. vom 19.6.2017. Soweit die beiden letzten allerdings zu einem unter 6-stündigen Leistungsvermögen des Klägers gelangen, ist diese Leistungseinschätzung anhand der gestellten Diagnosen und der erhobenen Befunde für den Senat in keiner Weise nachvollziehbar und deshalb unschlüssig. Übereinstimmend diagnostizieren alle Gerichtsgutachter beim Kläger lediglich eine Dysthymia, also eine Verstimmtheit, die vom Krankheitswert unterhalb einer Depression anzusiedeln ist. Soweit darüber hinaus Dr. W. und Dr. B. noch eine rezidivierende depressive Episode angenommen haben, war diese jedoch nur im Schweregrad einer leichten Ausprägung vorhanden. Zudem ergibt sich aus der Diagnose einer Episode, dass damit kein überdauernder Zustand zum Ausdruck gebracht wird. Auch die von Dr. W. noch angenommene chronische Schmerzstörung war nach dem Befund nur leicht ausgeprägt. So waren während der gesamten Untersuchung keinerlei schmerzbedingte Ausgleichsbewegungen erkennbar, der Kläger war in der Lage sich normal an- und auszukleiden und zeigte auch ein völlig ausreichendes Muskelrelief, was in Anbetracht der angegebenen Tatenlosigkeit den Gutachter zu Recht verwunderte. Der Kläger hat auch gegenüber Dr. D. angegeben, dass die Schmerzen ihn nicht weiter beeinträchtigten und er damit klar komme, er Schmerzmittel nehme und deshalb auch nicht mehr zum Orthopäden gehe.
Schon nach der Diagnosestellung in allen Gutachten - Dysthymia, leichte depressive Episode - ist hier keine psychische Erkrankung in der Wertigkeit festzustellen, dass von einem zeitlich eingeschränkten Leistungsvermögen ausgegangen werden könnte. Soweit der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung auf die Schilderung des Dr. B. (in dessen Gutachten auf S. 27) abgestellt hat, wonach von einer "depressiven Stimmung in einem für die Betroffenen deutlich ungewöhnlichem Ausmaß" die Rede ist, handelt es sich um eine Wiedergabe der Definition nach ICD-10 und nicht um eine Beschreibung eines beim Kläger verschlimmerten Zustands. Zutreffend hat die Beklagte in der Berufungsbegründung herausgearbeitet, dass es beim Kläger hinsichtlich der Erwerbsfähigkeit keine Frage des Könnens, sondern des Wollens ist. Hierauf hat auch speziell Dr. W. hingewiesen und auch Dr. D. hat dies mit der Beschreibung von fehlender Motivation insbesondere auch nach erfolgter Zeitrentengewährung so benannt. Danach ist der zentrale Punkt in der fehlenden Motivation des Klägers zu sehen, der sich unter dem Eindruck des Gescheitertseins die Rückkehr in die Türkei mit dem bei dort vorhandener Eigentumswohnung auskömmlichen Renteneinkommen wünscht. Letztlich stützt auch Dr. B. seine Beurteilung einer eingeschränkten zeitlichen Leistungsfähigkeit nicht auf das Unvermögen des Klägers, sondern auf den fehlenden Willen, der - so der Gutachter - möglicherweise soziokulturell bedingt meint, in seinem Leben genug gearbeitet zu haben und subjektiv mit seiner Erwerbsbiographie abgeschlossen hat. Keinesfalls ist nach Dr. W. die fehlende Motivation als Ausdruck einer tiefgreifenden psychischen Erkrankung zu sehen. Sie ist bei zumutbarer Willensanspannung aus eigener Kraft zu überwinden. Ohne Relevanz für den Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung zielt es auf den Arbeitsmarkt ab, wenn Dres. D. und B. nur geringe Erfolgsaussichten für die Wiederkehr ins Berufsleben sehen. Eine Begründung für eine Leistungseinschränkung stellt dies jedenfalls nicht dar, worauf auch Dr. W. hingewiesen hat. Nachdem beide Gutachter die quantitative Leistungseinschränkung mit den Vermittlungsschwierigkeiten bei fehlender Motivation begründen, ist es nicht nachvollziehbar, dass aber dennoch ein zeitlich reduziertes Leistungsvermögen bestehen soll.
Zudem gehen insbesondere Dres. D. und B. übereinstimmend davon aus, dass beim Kläger nicht alle Behandlungsoptionen ausgeschöpft sind. Psychische Erkrankungen sind nach ständiger Rechtsprechung des BSG erst dann rentenrechtlich relevant, wenn trotz adäquater Behandlung (medikamentös, therapeutisch, ambulant und stationär) davon auszugehen ist, dass ein Versicherter die psychischen Einschränkungen dauerhaft nicht überwinden kann - weder aus eigener Kraft, noch mit ärztlicher oder therapeutischer Hilfe (BSG, Urteil vom 12.9.1990 - 5 RJ 88/89; BSG, Urteil vom 29.2.2006 - B 13 RJ 31/05 R - jeweils juris, BayLSG, Urteile vom 18.1.2017 - L 19 R 755/11 mwN - , vom 24.5.2017 - L 19 R 1047/14 –, Rn. 80, juris; LSG Baden-Württemberg Urteile vom 22.9.2016 - L 7 R 2329/15, 25.5.2016 - L 5 R 4194/13 und 27.4.2016 - L 5 R 459/15 - jeweils juris). Dr. B. verweist hierzu auf eine indizierte psychopharmako- und psychotherapeutische Behandlung.
Demgegenüber ist die Leistungseinschätzung der Dres. H. und W. anhand der von allen Gutachtern erhobenen Befunde nachvollziehbar und schlüssig. So hat schon Dr. H. den psychischen Befund dahingehend erhoben, dass die Schwingungsfähigkeit und Konzentrationsfähigkeit erhalten waren, der Kläger aber unzufrieden und angespannt wirkte, er mit seiner Lebenssituation unzufrieden war. Dr. D. beschrieb lediglich die konzentrative Belastbarkeit als leicht reduziert und die affektive Schwingungsfähigkeit als geringgradig eingeschränkt. Bei gequälter Mimik und innerlicher Angespanntheit war eine Minderung des Antriebs nicht vorhanden, ebenso keine relevante Störung der Auffassung und des Gedächtnisses. Die Grundstimmung wurde als deutlich missbefindlich beschrieben, was mit der von Dr. H. so bezeichneten Unzufriedenheit mit der Lebenssituation in Deutschland - mit geringen finanziellen Mitteln nach Verlust der Arbeit 2007, Abhängigkeit vom geringen Einkommen der Ehefrau und einhergehendem Verlust der Anerkennung im Freundeskreis und Familie - korreliert und von Dr. B. als Unzufriedenheit, Missmutigkeit und Ärger bezüglich der Situation beschrieben wurde, die Diagnose einer Dysthymia belegt. Die grundsätzliche Fähigkeit, Freude zu empfinden, ist aber erhalten. So war es dem Kläger auch möglich, 2016 mit dem eigenen Auto in die Türkei zu fahren, wo es ihm besser gegangen ist. Aus der Angabe von fehlenden Hobbys kann vorliegend kein Rückschluss gezogen werden, weil der Kläger angegeben hat, auch schon früher keine Hobbys gehabt zu haben. Ein Verlust an Interessen und Freudfähigkeit ist damit nicht belegt. So hat der Kläger auch keinen Libidoverlust beklagt, sondern leidet eher unter den mit der medikamentösen Behandlung einhergehenden Potenzschwierigkeiten.
Ebenso lassen sich auch aus dem Tagesablauf keine Rückschlüsse auf eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit ziehen. Der Kläger hat gegenüber Dr. W. hierzu angegeben, zwischen 9 und 10 Uhr aufzustehen, dann zu rauchen und eine Tasse Kaffee zu trinken, nach dem anschließenden Frühstück Fern zu sehen, nach dem Mittagessen etwas zu ruhen. Im Haushalt hilft er nicht, weil er dazu keine Lust hat und meint, dies könne sein Sohn auch machen. Ein nicht mehr Können haben hieraus auch die Gutachter nicht herausgelesen. Angesichts dieser entspannten Tagesgestaltung verwundert es nicht, dass der Kläger über Schlafprobleme klagt, aber andererseits Schlafmittel bisher nicht eingenommen hat.
Eine typisch depressive Leistungseinschränkung hat sich auch testpsychologisch bei der Begutachtung bei Dr. B. bzw. Dipl.-Psych. P. nicht ergeben, sondern eine generelle Minderleistung, die nicht mit der zu beobachtenden Konzentration während der Untersuchungssituation in Einklang zu bringen war. Es haben sich jedoch in den Systemvalidierungstests teilweise auffällige Befunde bezüglich der Beschwerdeschilderung gezeigt und auch bei den Leistungstests ergaben sich Hinweise auf geringe Anstrengungsbereitschaft. Hieraus resultieren zumindest Zweifel an den subjektiven Angaben des Klägers, die auch Dr. W. und Dr. D. haben.
Auch ist eine zeitliche Leistungseinschränkung nicht von Seiten des orthopädischen Gebiets beim Kläger gegeben. Die vom Klägervertreter mit Schreiben vom 11.5.2017 vorgelegten Befundberichte belegen dies nicht. So hatte der Orthopäde Dr. R., der den Kläger als sachverständiger Zeuge im Januar 2015 befragt den Kläger noch vollschichtig leistungsfähig eingeschätzt hat, auch am 14.12.2016 eine typische radikuläre Symptomatik nicht feststellen können. Der im radiologischen Bericht des Dr. Elsner vom 7.4.2017 beschriebene Bandscheibenvorfall bei L3/L4 ist ausweislich des Entlassungsberichts des türkischen Krankenhauses (Dr. Ümit Demirci) am 4.10.2017 durch lumbale mikrochirurgische Diskektomie behoben worden. Der Kläger wurde in gutem Allgemeinzustand ohne Schmerzen entlassen. Nach der Mobilisation bestand kein Defizit. Anlass zur Einholung eines orthopädischen Gutachtens von Amts wegen bestand danach nicht, dem Beweisantrag des Klägers musste nicht nachgegangen werden.
Aus all dem schließt der Senat, dass der Kläger bei entsprechender Willensanspannung noch 6 Stunden und mehr leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen, die auch seinen orthopädischen Beschwerdeangaben Rechnung tragen, verrichten kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Im Streit steht die Weitergewährung der Rente wegen Erwerbsminderung über den 31.9.2014 hinaus.
Der 1962 geborene türkische Kläger hat keinen Beruf erlernt. Seit 1980 war er mit Unterbrechungen versicherungspflichtig beschäftigt, zuletzt arbeitete er bis zur fristlosen Kündigung durch den Arbeitgeber im November 2007 als Lackierer. In der Folgezeit war der Kläger arbeitslos bzw. arbeitsunfähig krank.
Auf seinen Rentenantrag wegen orthopädischer und psychischer Beschwerden vom 19.10.2010 hin erstritt der Kläger die Gewährung der Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 1.10.2011 bis 30.9.2014, nachdem Dr. E., Neurologe und Psychiater, im Gutachten nach § 109 SGG vom 22.11.2011 eine rezidivierende Depression mittelschwerer Ausprägung, in kritischen Situationen und Konflikten auch Symptome schwerer Ausprägung diagnostiziert hatte und von einem beruflichen Leistungsvermögen von unter 6 Stunden ausgegangen war (Sozialgericht K. ( SG ) Urteil vom 4.7.2012 - S 15 R 1765/11; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 4.12.2012 - L 11 R 3331/12).
Am 12.4.2014 beantragte der Kläger die Weitergewährung der Rente wegen Erwerbsminderung und benannte als besonders belastende gesundheitliche Beschwerden im Wesentlichen Depressionen, Angstzustände, Schlaflosigkeit, innere Unruhe, Anpassungsprobleme unter Gesellschaft und Gelenkschmerzen in Schulter, Ellenbogen und Händen.
Die Beklagte ließ den Kläger daraufhin wieder zunächst orthopädisch durch Dr. R. begutachten. Der Gutachter stellte am 5.6.2014 einen Zustand nach zweimaliger Schulteroperation beidseits, Zustand nach Operation Ellbogen/Hand rechts sowie ein degeneratives Wirbelsäulensyndrom ohne maßgebliche Funktionseinschränkung, ohne radikuläre Ausfälle fest. Leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten über sechs Stunden seien unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen zumutbar, auch die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Lackierer.
Mit Bescheid vom 11.7.2014 lehnte die Beklagte den Antrag aus medizinischen Gründen ab. Der hiergegen eingelegte Widerspruch des Klägers vom 19.8.2014 wurde damit begründet, dass der Schwerpunkt der Erkrankung nicht auf orthopädischem, sondern im psychischen Bereich liege. Hierzu legte der Kläger das ärztliche Attest des Psychiaters Dr. Sch. vom 21.7.2014 vor. Die Beklagte ließ den Kläger daraufhin nervenärztlich begutachten. Im Gutachten vom 6.10.2014 führte Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. aus, mit der Lebensunzufriedenheit im Sinne einer Anpassungsstörung mit dysphorisch gereizten Zuständen lasse sich eine Minderung der Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben nicht begründen. Diagnostisch gehe er von einer Anpassungsstörung nach mehrjähriger Konfliktsituation mit dem inzwischen verstorbenen drogenabhängigen Sohn aus, der auch zum Verlust des Arbeitsplatzes geführt habe. Eine mehrjährige schwerwiegende depressive Erkrankung liege nicht vor. Der Kläger könne vollschichtig mittelschwere Arbeiten verrichten. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21.11.2014 zurück.
Am 1.12.2014 hat der Kläger erneut zum SG Klage erhoben und die Weitergewährung der Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit über den 30.9.2014 hinaus begehrt. Zur Begründung hat er vorgetragen, die Schwere der psychischen Erkrankung sei verkannt worden.
Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen schriftlich befragt. Der Orthopäde Dr. R. berichtete über die Behandlung im Januar 2014 im Zusammenhang mit einer Operation an der rechten Hand (Dupuytren’sche Kontraktur) und im März 2014 am rechten Ellenbogen (Tennisellenbogen) mit angegebener Besserung nach den Operationen und zeitgerechter Wundheilung (Bericht Eingang 21.1.2015, Bl. 20 SG Akte). Einer Tätigkeit von 6 Stunden täglich stehe nichts entgegen. Facharzt für Allgemeinmedizin Förster hielt den Kläger aufgrund der psychischen Situation nicht mehr in der Lage einer geregelten Arbeit nachzugehen (Auskunft vom 20.1.2015, Bl. 24 SG Akte). PD Dr. Sch. berichtete von einer gegenwärtig mittelschweren depressiven Störung und hielt den Kläger maximal noch 3 Stunden für arbeitsfähig (Auskunft vom 27.2.2015, Bl. 32 SG Akte).
Das SG hat das psychiatrische Gutachten des Dr. D., Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Krankenhäuser Landkreis F., vom 1.11.2015 eingeholt. Im Gutachten diagnostizierte er auf psychiatrischem Gebiet eine Dysthymia (F34.1), differenzialdiagnostisch eine anhaltende affektive Störung (F34.8) und andauernde Persönlichkeitsänderung (F62.8). Der Kläger sei zwischenzeitlich von der eigenen Leistungsinsuffizienz, Minderbelastbarkeit und seelischen Veränderung erfüllt und habe sich auf die Berentung fixiert. Bei inzwischen in seiner Persönlichkeit verankerter Unzufriedenheit, Missmutigkeit, Reizbarkeit und Lustlosigkeit sei der Kläger inzwischen ausgesprochen schwierig auf dem Arbeitsmarkt zu vermitteln. Eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne er mit qualitativen Einschränkungen im Umfang von ca. 4 Stunden täglich ausüben. Die bisherige Behandlung sei insuffizient gewesen. Eine intensivierte ambulante Psychotherapie und auch eine stationäre psychiatrisch-psychotherapeutische Rehabilitationsmaßnahme könne hilfreich sein. Die erneute Gewährung einer zeitlich befristeten Rente würde ihn in seiner Haltung bestätigen, einer Dauerrente zu bedürfen und im Befristungszeitraum keine Anstrengungen zu unternehmen wieder ins Erwerbsleben zurückzukehren.
Hierauf gestützt hat das SG die Beklagte im Urteil vom 11.4.2016 verurteilt, dem Kläger unter Aufhebung des Bescheids vom 11.7.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.11.2014 Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1.10.2014 bis 30.9.2017 zu gewähren. Dr. D. habe die Herabsetzung des Leistungsvermögens auf 4 Stunden mit Blick auf die Einschränkungen im Tagesablauf und der Freizeitgestaltung nachvollziehbar dargelegt. Zudem habe sich bei der gutachterlichen Untersuchung ein auffälliger psychopathologischer Befund im Sinne einer deutlich erhöhten emotionalen Steuerbarkeit, Irritierbarkeit und vermehrter Reizbarkeit gefunden. Das eingeschränkte quantitative Leistungsvermögen habe auch Dr. Sch. attestiert. Aufgrund des mittlerweile chronifizierten Krankheitsbildes und der glaubhaften Einschränkungen im Alltagsleben gehe das SG nicht von einer willentlichen Überwindbarkeit in dem Maße aus, die es dem Kläger ermögliche, dauerhaft mehr als 4 Stunden am Tag auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.
Gegen das der Beklagten gegen Empfangsbekenntnis am 17.5.2016 zugestellte Urteil hat sie am 6.6.2016 schriftlich Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt und unter Vorlage der sozialmedizinischen Stellungnahme der Dr. De. vom 31.5.2016 zur Begründung ausgeführt, das Gutachten des Dr. D. sei einer mangelnden Konsistenzprüfung unterzogen worden. Einen aussagekräftigen Tagesablauf habe er nicht erhoben und sich auch nicht ausreichend mit kulturimmanenten Angaben auseinandergesetzt. Das Heimweh nach seinem Heimatland Türkei zu seiner dortigen Dreizimmer(eigentums)wohnung, in der er mit einer Rente gut leben könne, bedinge keine krankheitsbedingte Leistungseinschränkung. Fraglich sei, ob der Kläger nicht könne oder nicht wolle. Hinsichtlich des behaupteten sozialen Rückzugs ergebe sich insofern eine Diskrepanz, als der Kläger regelmäßig die Moschee besuche und auch Auto fahre. Der erhobene psychische Befund sei ohne Einschränkungen gewesen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts K. vom 11. April 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger über den 30. September 2017 hinaus bis zum 30. September 2020 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren, hilfsweise ein orthopädisches Sachverständigengutachten einzuholen.
Er hält das Urteil des SG für zutreffend und sieht sich hinsichtlich der eingelegten Anschlussberufung für beschwert an, als die vom SG zugesprochene Zeitrente mittlerweile bereits abgelaufen und über den Folgezeitraum zu befinden sei.
Der Senat hat das neurologisch-psychiatrische Gutachten des Dr. W., Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie in N. eingeholt. In seinem Gutachten vom 13.10.2016 (mit ergänzender Stellungnahme vom 21.11.2016) stellt er die Diagnosen: • rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode (F93.0), • Dysthymie (F34.1) und • chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (F45.41).
Ganz zentral sei beim Kläger die Motivation. Er habe sich in der jetzigen Situation arrangiert und die Berentung sei für ihn die beste Möglichkeit. Im Falle des Klägers sei es ein "nicht Wollen" aber nicht ein "nicht Können". Der Kläger könne unter Beachtung qualitativer Einschränkungen leichte Arbeiten 6 Stunden und mehr verrichten. Konfrontiert mit den Einwendungen des Klägers gegen das Gutachten hat Dr. W. in seiner ergänzenden Stellungnahme angegeben, bei seiner Leistungseinschätzung zu bleiben. Angenehme Tätigkeiten - wie z.B. der Türkei Besuch 3 Wochen vor der Begutachtung - könne der Kläger machen. Er wolle nicht mehr arbeiten.
Nach Auswahl des Klägers hat der Senat gemäß § 109 SGG das Gutachten des Dr. B., Arzt für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie, forensische Psychiatrie und Suchtmedizin der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie T. vom 19.6.2017 mit testpsychologischem Zusatzgutachten vom 13.4.2017 (Dipl. Psychologin P.) eingeholt. Dr. B. diagnostizierte eine Dysthymie und eine leichte depressive Episode. Testpsychologisch hätten sich auffällige Befunde ergeben, eine Aggravation sei nicht sicher auszuschließen. Nicht alle Behandlungsoptionen seien bisher ausgeschöpft worden. Wegen der geringen Erfolgsaussichten hinsichtlich der Wiederaufnahme des Berufslebens hielt den Kläger nur noch für in der Lage 3 bis unter 6 Stunden zu arbeiten. Er vertrat die Auffassung, dass eine weitere Zeitrentengewährung das Rentenbegehren stützen werde. Der Kläger habe subjektiv mit der Erwerbsbiografie abgeschlossen.
Die Beklagte ist dem Gutachten mit der sozialmedizinischen Stellungnahme der Dr. De. vom 16.8.2017 entgegengetreten.
Die Berichterstatterin hat den Rechtsstreit am 7.9.2017 mit den Beteiligten erörtert. Im Hinblick auf die geäußerte Erfolgswahrscheinlichkeit der Berufung der Beklagten hat der Klägervertreter mit Schreiben vom 11.9.2017 Anschlussberufung eingelegt und im Termin zur mündlichen Verhandlung am 11.10.2017 im Hinblick auf den zwischenzeitlich abgelaufenen Zeitraum der vom SG zugesprochenen Zeitrente - bis 30.9.2017 - die Rentengewährung bis 30.9.2020 begehrt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten hat Erfolg, die Anschlussberufung des Klägers ist unbegründet.
Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthafte Berufung der Beklagten ist zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden. Sie ist auch begründet, soweit sie die Aufhebung des SG-Urteils und sinngemäß die Zurückweisung der Anschlussberufung sowie die Abweisung der in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG erweiterten Klage begehrt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verlängerung der bis 30.9.2014 gewährten Zeitrente wegen Erwerbsminderung.
Die unselbständige Anschlussberufung des Klägers und Berufungsgegners ist zulässig, auch wenn der Kläger durch das Urteil des SG nicht beschwert ist, weil ihm die zeitlich befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung antragsgemäß vollumfänglich vom SG zugesprochen worden ist. Eine Beschwer ist nämlich nicht erforderlich. Mit der Anschlussberufung soll demjenigen, der nicht Berufung einlegen kann oder will, die Möglichkeit gegeben werden, der Hauptberufung mit eigenen Anträgen entgegenzutreten. Sie ist nicht eigentlich Rechtsmittel, sondern nur ein angriffsweise wirkender Antrag, mit dem sich der Gegner innerhalb des Rechtsmittels des Berufungsklägers an dieses anschließt (BSG, Urteil vom 23.2.1966 – 2 RU 103/65 –, juris Rn. 38; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., § 143, Rn. 5a). Die Anschlussberufung, innerhalb derer der Kläger beantragt hat, ein orthopädisches Sachverständigengutachten einzuholen, ist jedoch unbegründet. Der Sachverhalt ist geklärt.
Soweit der Kläger und Berufungsgegner in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat die Klage erweitert und begehrt hat, die Beklagte über den Ausspruch des SG hinaus, nämlich über den 30.9.2017 hinaus zur Rentengewährung bis 30.9.2020 zu verurteilen, ist dies zumindest unbegründet. Es kann dahinstehen, ob die Klageerweiterung im Rahmen der Anschlussberufung statthaft ist (bejahend für den Anspruch auf höhere Unfallrente: BSG, Urteil vom 23. Februar 1966 – 2 RU 103/65 –, BSGE 24, 247, SozR Nr 9 zu § 521 ZPO, Rn. 38; zur Verlängerung des Erstattungszeitraums Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15. Februar 2016 – L 20 SO 476/12 –, Rn. 49 ff., juris, hierzu anhängig BSG - B 8 SO 12/16 R -; zweifelnd wegen der Einheitlichkeit des Streitgegenstandes: Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., § 143, Rn. 5d m.w.Nw.). Es kann weiter dahinstehen, ob der Senat ohne vorherigen Verwaltungsakt und Überprüfung in einem Vorverfahren über die für die Zeit vom 1.10.2017 nur im Wege der Leistungsklage geltend gemachte Rentengewährung bis 30.9.2020 entscheiden durfte. Jedenfalls ist die Klage insofern unbegründet, da der Kläger auch derzeit nicht erwerbsgemindert ist.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung der Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1.10.2014.
Streitgegenstand ist der Bescheid vom 11.7.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.11.2014, mit dem es die Beklagte abgelehnt hat, dem Kläger die Rente wegen Erwerbsminderung für die Zeit ab 1.10.2014 weiterzuzahlen. Hiergegen hat sich der Kläger vor dem SG erfolgreich mit der Anfechtungs- und Leistungsklage gewandt.
Versicherte haben gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Versicherte haben gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie 1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Erwerbsgemindert ist gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Zur Überzeugung des Senats ist der Kläger entgegen der Auffassung des SG nicht ab 1.10.2014 und auch nicht ab 1.10.2017 erwerbsgemindert, da er noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann und dabei leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verrichten kann, wenn er denn wollte. Beim Kläger stehen im Vordergrund die Beschwerden auf psychiatrischem Fachgebiet, die auch ursprünglich zur Zeitrentengewährung bis 30.9.2014 leitend waren. Der Senat stützt seine Einschätzung auf das im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten des Dr. H. vom 16.10.2014, auf das Gutachten des Dr. W. vom 13.10.2016 aber auch auf die Gutachten der Dres. D. vom 1.11.2015 und B. vom 19.6.2017. Soweit die beiden letzten allerdings zu einem unter 6-stündigen Leistungsvermögen des Klägers gelangen, ist diese Leistungseinschätzung anhand der gestellten Diagnosen und der erhobenen Befunde für den Senat in keiner Weise nachvollziehbar und deshalb unschlüssig. Übereinstimmend diagnostizieren alle Gerichtsgutachter beim Kläger lediglich eine Dysthymia, also eine Verstimmtheit, die vom Krankheitswert unterhalb einer Depression anzusiedeln ist. Soweit darüber hinaus Dr. W. und Dr. B. noch eine rezidivierende depressive Episode angenommen haben, war diese jedoch nur im Schweregrad einer leichten Ausprägung vorhanden. Zudem ergibt sich aus der Diagnose einer Episode, dass damit kein überdauernder Zustand zum Ausdruck gebracht wird. Auch die von Dr. W. noch angenommene chronische Schmerzstörung war nach dem Befund nur leicht ausgeprägt. So waren während der gesamten Untersuchung keinerlei schmerzbedingte Ausgleichsbewegungen erkennbar, der Kläger war in der Lage sich normal an- und auszukleiden und zeigte auch ein völlig ausreichendes Muskelrelief, was in Anbetracht der angegebenen Tatenlosigkeit den Gutachter zu Recht verwunderte. Der Kläger hat auch gegenüber Dr. D. angegeben, dass die Schmerzen ihn nicht weiter beeinträchtigten und er damit klar komme, er Schmerzmittel nehme und deshalb auch nicht mehr zum Orthopäden gehe.
Schon nach der Diagnosestellung in allen Gutachten - Dysthymia, leichte depressive Episode - ist hier keine psychische Erkrankung in der Wertigkeit festzustellen, dass von einem zeitlich eingeschränkten Leistungsvermögen ausgegangen werden könnte. Soweit der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung auf die Schilderung des Dr. B. (in dessen Gutachten auf S. 27) abgestellt hat, wonach von einer "depressiven Stimmung in einem für die Betroffenen deutlich ungewöhnlichem Ausmaß" die Rede ist, handelt es sich um eine Wiedergabe der Definition nach ICD-10 und nicht um eine Beschreibung eines beim Kläger verschlimmerten Zustands. Zutreffend hat die Beklagte in der Berufungsbegründung herausgearbeitet, dass es beim Kläger hinsichtlich der Erwerbsfähigkeit keine Frage des Könnens, sondern des Wollens ist. Hierauf hat auch speziell Dr. W. hingewiesen und auch Dr. D. hat dies mit der Beschreibung von fehlender Motivation insbesondere auch nach erfolgter Zeitrentengewährung so benannt. Danach ist der zentrale Punkt in der fehlenden Motivation des Klägers zu sehen, der sich unter dem Eindruck des Gescheitertseins die Rückkehr in die Türkei mit dem bei dort vorhandener Eigentumswohnung auskömmlichen Renteneinkommen wünscht. Letztlich stützt auch Dr. B. seine Beurteilung einer eingeschränkten zeitlichen Leistungsfähigkeit nicht auf das Unvermögen des Klägers, sondern auf den fehlenden Willen, der - so der Gutachter - möglicherweise soziokulturell bedingt meint, in seinem Leben genug gearbeitet zu haben und subjektiv mit seiner Erwerbsbiographie abgeschlossen hat. Keinesfalls ist nach Dr. W. die fehlende Motivation als Ausdruck einer tiefgreifenden psychischen Erkrankung zu sehen. Sie ist bei zumutbarer Willensanspannung aus eigener Kraft zu überwinden. Ohne Relevanz für den Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung zielt es auf den Arbeitsmarkt ab, wenn Dres. D. und B. nur geringe Erfolgsaussichten für die Wiederkehr ins Berufsleben sehen. Eine Begründung für eine Leistungseinschränkung stellt dies jedenfalls nicht dar, worauf auch Dr. W. hingewiesen hat. Nachdem beide Gutachter die quantitative Leistungseinschränkung mit den Vermittlungsschwierigkeiten bei fehlender Motivation begründen, ist es nicht nachvollziehbar, dass aber dennoch ein zeitlich reduziertes Leistungsvermögen bestehen soll.
Zudem gehen insbesondere Dres. D. und B. übereinstimmend davon aus, dass beim Kläger nicht alle Behandlungsoptionen ausgeschöpft sind. Psychische Erkrankungen sind nach ständiger Rechtsprechung des BSG erst dann rentenrechtlich relevant, wenn trotz adäquater Behandlung (medikamentös, therapeutisch, ambulant und stationär) davon auszugehen ist, dass ein Versicherter die psychischen Einschränkungen dauerhaft nicht überwinden kann - weder aus eigener Kraft, noch mit ärztlicher oder therapeutischer Hilfe (BSG, Urteil vom 12.9.1990 - 5 RJ 88/89; BSG, Urteil vom 29.2.2006 - B 13 RJ 31/05 R - jeweils juris, BayLSG, Urteile vom 18.1.2017 - L 19 R 755/11 mwN - , vom 24.5.2017 - L 19 R 1047/14 –, Rn. 80, juris; LSG Baden-Württemberg Urteile vom 22.9.2016 - L 7 R 2329/15, 25.5.2016 - L 5 R 4194/13 und 27.4.2016 - L 5 R 459/15 - jeweils juris). Dr. B. verweist hierzu auf eine indizierte psychopharmako- und psychotherapeutische Behandlung.
Demgegenüber ist die Leistungseinschätzung der Dres. H. und W. anhand der von allen Gutachtern erhobenen Befunde nachvollziehbar und schlüssig. So hat schon Dr. H. den psychischen Befund dahingehend erhoben, dass die Schwingungsfähigkeit und Konzentrationsfähigkeit erhalten waren, der Kläger aber unzufrieden und angespannt wirkte, er mit seiner Lebenssituation unzufrieden war. Dr. D. beschrieb lediglich die konzentrative Belastbarkeit als leicht reduziert und die affektive Schwingungsfähigkeit als geringgradig eingeschränkt. Bei gequälter Mimik und innerlicher Angespanntheit war eine Minderung des Antriebs nicht vorhanden, ebenso keine relevante Störung der Auffassung und des Gedächtnisses. Die Grundstimmung wurde als deutlich missbefindlich beschrieben, was mit der von Dr. H. so bezeichneten Unzufriedenheit mit der Lebenssituation in Deutschland - mit geringen finanziellen Mitteln nach Verlust der Arbeit 2007, Abhängigkeit vom geringen Einkommen der Ehefrau und einhergehendem Verlust der Anerkennung im Freundeskreis und Familie - korreliert und von Dr. B. als Unzufriedenheit, Missmutigkeit und Ärger bezüglich der Situation beschrieben wurde, die Diagnose einer Dysthymia belegt. Die grundsätzliche Fähigkeit, Freude zu empfinden, ist aber erhalten. So war es dem Kläger auch möglich, 2016 mit dem eigenen Auto in die Türkei zu fahren, wo es ihm besser gegangen ist. Aus der Angabe von fehlenden Hobbys kann vorliegend kein Rückschluss gezogen werden, weil der Kläger angegeben hat, auch schon früher keine Hobbys gehabt zu haben. Ein Verlust an Interessen und Freudfähigkeit ist damit nicht belegt. So hat der Kläger auch keinen Libidoverlust beklagt, sondern leidet eher unter den mit der medikamentösen Behandlung einhergehenden Potenzschwierigkeiten.
Ebenso lassen sich auch aus dem Tagesablauf keine Rückschlüsse auf eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit ziehen. Der Kläger hat gegenüber Dr. W. hierzu angegeben, zwischen 9 und 10 Uhr aufzustehen, dann zu rauchen und eine Tasse Kaffee zu trinken, nach dem anschließenden Frühstück Fern zu sehen, nach dem Mittagessen etwas zu ruhen. Im Haushalt hilft er nicht, weil er dazu keine Lust hat und meint, dies könne sein Sohn auch machen. Ein nicht mehr Können haben hieraus auch die Gutachter nicht herausgelesen. Angesichts dieser entspannten Tagesgestaltung verwundert es nicht, dass der Kläger über Schlafprobleme klagt, aber andererseits Schlafmittel bisher nicht eingenommen hat.
Eine typisch depressive Leistungseinschränkung hat sich auch testpsychologisch bei der Begutachtung bei Dr. B. bzw. Dipl.-Psych. P. nicht ergeben, sondern eine generelle Minderleistung, die nicht mit der zu beobachtenden Konzentration während der Untersuchungssituation in Einklang zu bringen war. Es haben sich jedoch in den Systemvalidierungstests teilweise auffällige Befunde bezüglich der Beschwerdeschilderung gezeigt und auch bei den Leistungstests ergaben sich Hinweise auf geringe Anstrengungsbereitschaft. Hieraus resultieren zumindest Zweifel an den subjektiven Angaben des Klägers, die auch Dr. W. und Dr. D. haben.
Auch ist eine zeitliche Leistungseinschränkung nicht von Seiten des orthopädischen Gebiets beim Kläger gegeben. Die vom Klägervertreter mit Schreiben vom 11.5.2017 vorgelegten Befundberichte belegen dies nicht. So hatte der Orthopäde Dr. R., der den Kläger als sachverständiger Zeuge im Januar 2015 befragt den Kläger noch vollschichtig leistungsfähig eingeschätzt hat, auch am 14.12.2016 eine typische radikuläre Symptomatik nicht feststellen können. Der im radiologischen Bericht des Dr. Elsner vom 7.4.2017 beschriebene Bandscheibenvorfall bei L3/L4 ist ausweislich des Entlassungsberichts des türkischen Krankenhauses (Dr. Ümit Demirci) am 4.10.2017 durch lumbale mikrochirurgische Diskektomie behoben worden. Der Kläger wurde in gutem Allgemeinzustand ohne Schmerzen entlassen. Nach der Mobilisation bestand kein Defizit. Anlass zur Einholung eines orthopädischen Gutachtens von Amts wegen bestand danach nicht, dem Beweisantrag des Klägers musste nicht nachgegangen werden.
Aus all dem schließt der Senat, dass der Kläger bei entsprechender Willensanspannung noch 6 Stunden und mehr leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen, die auch seinen orthopädischen Beschwerdeangaben Rechnung tragen, verrichten kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
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