L 2 AS 3370/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 8 AS 3751/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 AS 3370/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Beigeladenen gegen das Urteil des Sozialgerichts M. vom 13. Mai 2016 wird zurückgewiesen.

Der Beigeladene hat den Klägern auch die außergerichtlichen Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten. Ansonsten haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten stehen Leistungen zur Sicherung der Existenz für die Kläger als Unionsbürger für die Zeit vom 10. Juni 2014 bis 31. Januar 2015 im Streit.

Die Kläger sind bulgarische Staatsangehörige. Die 1984 und 1986 geborenen Kläger Ziff. 1 und Ziff. 2 reisten Ende 2013 mit ihren 2005 und 2006 geborenen Kindern, den Klägern Ziff. 3 und Ziff. 4, in die Bundesrepublik Deutschland ein.

Am 4. Juni 2014 wurden die Kläger von der Stadtverwaltung Sch. als Ordnungsbehörde in einer Obdachlosenunterkunft in Sch. untergebracht. Sie hatten zuvor ohne Mietvertrag eine Dachgeschosswohnung in Sch. bewohnt, die ihnen von einem Unbefugten überlassen worden war. Aus diesem Grund schlossen sie am 15. Dezember 2013 mit dem Eigentümer der Wohnung eine Räumungsvereinbarung mit einer Räumungsfrist bis zum 30. Juni 2014. Die Miete für die Obdachlosenunterkunft betrug im Juni 2014 anteilig 317,60 EUR und anschließend monatlich 354,00 EUR (102,00 EUR je untergebrachtem Erwachsenen und 75,00 EUR je untergebrachtem Kind). Die Kläger Ziff. 3 und Ziff. 4 besuchen seit dem 24. Juni 2014 die H. Grundschule.

Am 10. Juni 2014 stellten die Kläger einen Leistungsantrag beim beklagten Jobcenter und gaben an, sie hätten keine Arbeit und seien nicht krankenversichert. Die Antragsformulare gaben die Kläger am 13. Juni 2014 ab. Aufgrund von Arbeitslosigkeit in Bulgarien und der daraus resultierenden fehlenden Möglichkeit, die Miete zu zahlen, seien sie mit den beiden Kindern, den Klägern Ziff. 3 und Ziff. 4, zum Arbeiten nach Deutschland gekommen.

Am 20. Juni 2014 teilte die AOK Baden-Württemberg dem Beklagten mit, dass der Kläger Ziff. 1 und die Klägerin Ziff. 2 diese als Krankenkasse gewählt hätten. Soweit die Voraussetzungen für den Eintritt der Versicherungspflicht erfüllt seien, beginne die Mitgliedschaft.

Den Leistungsantrag der Kläger vom 10. Juni 2014 lehnte die Beklagte unter Hinweis auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) mit Bescheid vom 23. Juni 2014 ab.

Hiergegen erhoben die Kläger am 8. Juli 2014 Widerspruch und führten zur Begründung an, dass sich der Anspruch aus dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 18 AEUV sowie des Gleichbehandlungsanspruchs von Arbeitnehmern nach Art. 45 Abs. 2 AEUV und außerdem aus der Verordnung EGVO 883/2004 ergebe. Einer europarechtlichen Verordnung stehe als höherrangiges Gemeinschaftsrecht Anwendungsvorrang gegenüber dem nationalen Recht wie dem SGB II zu. Art. 4 der Verordnung garantiere Unionsbürgern, die sich in einem anderen Mitgliedsstaat aufhalten würden, Gleichbehandlung bei den Leistungen der sozialen Sicherheit. Dies gelte auch für besondere beitragsunabhängige Geldleistungen. Dieser Grundsatz sei lediglich dahingehend eingeschränkt, dass die Leistungen nicht exportiert werden dürften.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 2014 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Am 4. September 2014 brachte die Klägerin Ziff. 2 die Klägerin Ziff. 5 zur Welt. Mit Fax vom 19. September 2014 teilte der Bevollmächtigte der Kläger dies dem Beklagten mit.

Aufgrund einer stattgebenden Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Sozialgericht (SG) M. (Beschluss vom 24. Oktober 2014 - S 8 AS 2609/14 ER -) mit der Verpflichtung, den Klägern vom 28. August 2014 bis zum 31. Januar 2015, längstens jedoch bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in gesetzlicher Höhe zu gewähren, bewilligte der Beklagte den Klägern ab 28. August 2014 bis zum 31. Januar 2015 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Hierbei rechnete der Beklagte Kindergeld in Höhe von 184,00 EUR für die Kläger Ziff. 3 und Ziff. 4 an (Bescheide vom 4. November 2014 und 4. Dezember 2014).

In dem zuvor am 23. Oktober 2014 durchgeführten Erörterungstermin beim SG gab der Kläger Ziff. 1 an, er sei im August 2014 an zehn Tagen für die Firma S. in M. tätig gewesen und habe einen Lohn in Höhe von 460,00 EUR erhalten. Einen Arbeitsvertrag oder eine Lohnbescheinigung konnte er jedoch nicht vorlegen. Das Unternehmen sei dann insolvent geworden. Er habe auch seit September 2013 ein- bis zweimal pro Woche in M. und Ludwigshafen auf dem Bau gearbeitet. Nähere Angaben hierzu hat der Kläger Ziff. 1 nicht gemacht. Auch hierfür konnte er keine Arbeitsverträge vorlegen. In seinem Gewerbe, das er anlässlich der Beschäftigung im August 2014 am 8. August 2014 angemeldet habe, habe er aber keine Stunde gearbeitet. Er sei im Jahr 2012 bereits schon einmal für zwei Monate zum Arbeiten in Deutschland gewesen. Im September und Oktober 2014 hätten er und die Klägerin Ziff. 2 kein Einkommen erzielt. Lediglich vom Caritasverband hätten sie einen Einmalbetrag in Höhe von 1.200,00 EUR zur Geburt der Klägerin Ziff. 5 erhalten. In der Antragsschrift vom 28. August 2014 hatte der Bevollmächtigte der Klägerin noch mitgeteilt, dass die Klägerin Ziff. 2 hochschwanger sei, jedoch ein Zeitpunkt der erwarteten Niederkunft nicht genannt werden könne.

Auf den Weiterbewilligungsantrag der Kläger vom 7. Januar 2015 bewilligte der Beklagte den Klägern mit Bescheid vom 30. Januar 2015 vorläufig Leistungen für den Zeitraum vom 1. Februar 2015 bis 31. Mai 2015. Die Kläger gaben an, sie hätten Kindergeld beantragt, aber bislang nicht erhalten.

Mit Bescheid vom 20. Januar 2015 wurde der Klägerin Ziff. 2 Elterngeld für die Klägerin Ziff. 5 ab dem 4. Oktober 2014 in Höhe von 300,00 EUR monatlich bewilligt.

Mit Änderungsbescheiden vom 17. März 2015 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen für die Zeit vom 28. August 2014 bis 31. Januar 2015 sowie für die Zeit vom 1. Februar 2015 bis 31. Mai 2015 unter Berücksichtigung der Klägerin Ziff. 5 ab 4. September 2014, 190,00 EUR Kindergeld für sie und den mit ihrer Geburt einhergehenden höheren Kosten der Unterkunft.

Auf den Weiterbewilligungsantrag der Kläger vom 10. April 2015 bewilligte der Beklagte den Klägern mit Bescheid vom 21. Mai 2015 Leistungen für die Zeit vom 1. Juni 2015 bis 31. Januar 2016 endgültig. auf den Weiterbewilligungsantrag der Kläger vom 3. Dezember 2015 bewilligte der Beklagte den Klägern mit Bescheid vom 11. Dezember 2015 Leistungen für die Zeit vom 1. Februar 2016 bis 30. November 2016 endgültig (i.H.v. 1.358 EUR).

Mit ihrer am 28. August 2014 erhobenen Klage vor dem SG machen die Kläger geltend, sie seien nicht von den Leistungen gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ausgeschlossen. Der Kläger Ziff. 1 habe durch seine Beschäftigungen einen Arbeitnehmerstatus erhalten. Jedenfalls stünde ihnen aber hilfsweise ein Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) zu.

Der Beklagte ist dem entgegengetreten und hat die Auffassung vertreten, ein Anspruch der Kläger nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII bestehe nicht. Die Vorschrift sei eine Ermessensentscheidung und bedinge nur ausnahmsweise eine Ermessensreduzierung auf null. Außerdem sei der Kläger erwerbsfähig. Hierbei bezog der Beklagte sich auf das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. Dezember 2015 (S 149 AS 7191/13). Der gegenteiligen Auffassung des Bundessozialgerichts (BSG) in seinem Urteil vom 3. Dezember 2015 (B 4 AS 44/15 R, in Juris Rdnr. 40) könne nicht gefolgt werden. Selbst Auszubildende, die nach § 7 Abs. 5 SGB II von den Leistungen des SGB II ausgeschlossen seien, blieben ebenso dem Grunde nach erwerbsfähige Leistungsberechtigte nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II.

Auch der Beigeladene ist der Klage entgegengetreten und hat darauf verwiesen, dass die Kläger Ziff. 1 und 2 als Erwerbsfähige von Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII ausgeschlossen seien. Außerdem handele es sich allenfalls um eine Ermessensleistung, die voraussetze, dass eine Leistungserbringung im konkreten Einzelfall auch in Ansehung von Sinn und Zweck eines bestimmten, grundsätzlich eingreifenden Leistungsausschlusses gerechtfertigt sei. Es seien keine Anhaltspunkte glaubhaft gemacht oder sonst ersichtlich, nach denen im vorliegenden konkreten Einzelfall eine Gewährung von Sozialhilfe trotz des gesetzlich ausdrücklich geregelten Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II bzw. gleichlautend für das SGB XII in § 23 Abs. 3 Satz 1 ausnahmsweise gerechtfertigt sein könnte. Den Ermessensleistungen könne in diesem Zusammenhang allenfalls ein Ausnahmecharakter beigemessen werden. Besondere Umstände, um von dem grundsätzlich geltenden Leistungsausschluss abzuweichen, seien nicht ersichtlich.

Am 12. November 2014 hatte das SG das Ruhen des Verfahrens angeordnet (vormals S 8 AS 2610/14). Am 8. Dezember 2015 haben die Kläger das Verfahren wieder angerufen und die Beiladung des SGB XII-Leistungsträgers beantragt. Daraufhin hat das SG den Rhein-Neckarkreis als Sozialhilfeträger mit Beschluss vom 19. Januar 2016 nach § 75 Abs. 2 SGG beigeladen, weil dieser bei Ablehnung des Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB II als Träger der Sozialhilfe nach dem SGB XII als leistungspflichtig in Betracht komme.

Mit Urteil vom 13. Mai 2016 hat das SG den Beigeladenen verurteilt, den Klägern Ziff. 1 bis 4 Hilfe zum Lebensunterhalt für den Zeitraum vom 10. Juni 2014 bis 31. Januar 2015 und der Klägerin Ziff. 5 für den Zeitraum vom 4. September 2014 bis 31. Januar 2015 in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Im Übrigen hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat hierbei die Auffassung vertreten, dass die Kläger im streitigen Zeitraum keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II hätten. Die Kläger Ziff. 1 und Ziff. 2 erfüllten zwar die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II, würden jedoch dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II unterfallen, der die EU-Ausländer umfasse, die weder über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung noch ein Aufenthaltsrecht verfügten, was bei den Klägern Ziff. 1 und Ziff. 2 der Fall sei. Diesem Leistungsausschluss stünden weder das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA), noch das Recht der Europäischen Union (EU), noch das Grundgesetz (GG) entgegen. Stattdessen seien den Klägern Ziff. 1 und 2 vom Beigeladenen Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren. Der Anwendbarkeit des SGB XII auf die Kläger Ziff. 1 und Ziff. 2 stehe § 21 Satz 1 SGB XII nicht entgegen. Der Beigeladene müsse sich die Kenntnis des Beklagten vom Existenzsicherungsbedarf der Kläger Ziff. 1 und 2 zurechnen lassen. Zwar würden die Kläger Ziff. 1 und Ziff. 2 dem Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII unterliegen und sei dieser mit dem EFA und dem EU-Recht vereinbar, jedoch schließe dies nicht Ermessensleistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII aus. Ab dem 10. Juni 2014 könnten die Kläger Ziff. 1 und 2 aufgrund einer Ermessensreduzierung auf null Leistungen nach dem SGB XII beanspruchen. Für die Kläger Ziff. 3 und 4 gelte im Ergebnis nichts anderes und auch die Klägerin Ziff. 5 könne ab ihrer Geburt am 4. September 2014 aus denselben Gründen Leistungen nach dem SGB XII beanspruchen.

Der Beigeladene hat gegen das ihm mit Empfangsbekenntnis am 8. August 2016 zugestellte Urteil am 7. September 2016 Berufung eingelegt. Zur Begründung stützt sich der Beigeladene auf Rechtsprechung, die der Auffassung des BSG zu einem Anspruch nicht freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger (insbesondere zur Anwendung der Ausschlussnorm des § 21 Satz 1 SGB XII und zum Anwendungsbereich der Ermessensvorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII) nicht folge. Es stützt sich hierbei u.a. auf Beschlüsse des LSG Rheinland-Pfalz vom 11. Februar 2016 - L 3 AS 668/15 B-ER -, des LSG Niedersachsen-Bremen vom 22. Februar 2016 - L 9 AS 1335/15 B-ER -, LSG Nordrhein-Westfalen vom 7. März 2016 - L 12 SO 79/16 B-ER - und des LSG Mecklenburg-Vorpommern vom 7. Juli 2016 - L 9 SO 12/16 B-ER (alle Juris). So habe das LSG Mecklenburg-Vorpommern im Beschluss vom 7. Juli 2016 ausgeführt, diese vom BSG vertretene Auslegung erfolge contra legem und sei weder durch bundesdeutsches Verfassungsrecht noch EU-Recht begründet. Nach Wortlaut, Systematik und eindeutigem gesetzgeberischem Willen könnten Leistungen für EU-Ausländer in diesen Fallkonstellationen allenfalls ausnahmsweise als Ermessensleistung in Betracht kommen, wenn sie im Einzelfall gerechtfertigt seien. Zur richterlichen Schaffung eines gebundenen Daueranspruches bestehe jedoch keine Rechtfertigung. In gleicher Weise habe sich auch das LSG Nordrhein-Westfalen in seinem Beschluss vom 23. Mai 2016 eingehend mit der Problematik auseinandergesetzt und aus Sicht des Beigeladenen überzeugende Bedenken gegen die Auffassung des BSG vorgetragen, die der Beigeladene im Weiteren dann im Zitat dargestellt hat. Im vorliegenden Fall seien schließlich weder konkrete Tatsachen vorgetragen noch allgemeinkundig, die den Klägern eine Rückkehr nach Bulgarien unzumutbar machen würden. Sie könnten Sozialleistungen in ihrem Heimatland in Anspruch nehmen, gegebenenfalls könnten sie Ermessensleistungen zur Überbrückung bzw. Rückreise beantragen.

Der Beigeladene beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts M. vom 13. Mai 2016 insoweit aufzuheben, als es den Klägern Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII zuspreche und die Klage auch insoweit abzuweisen.

Der Beklagte stellt keinen Antrag.

Hilfsweise regt der Beklagte an, das vorliegende Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG bzw. Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG analog zu der Frage einzuholen, ob das Eingreifen des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II bei Unionsbürgern, bei denen nach Ablauf von sechs Monaten durch ein Vollzugsdefizit des Ausländerrechts das Faktum eines nicht nur vorübergehenden tatsächlichen Aufenthaltes geschaffen worden sei, wegen Verletzung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG) teilweise verfassungswidrig sei. Zur Begründung führt der Beklagte an, das Urteil des BSG vom 3. Dezember 2015 (B 4 AS 44/15 R) dürfte nach Auffassung des Beklagten rechtsfehlerhaft sein und keine Rechtsgrundlage dafür bieten, den Beigeladenen nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII dazu zu verurteilen, den Klägern Hilfe zum Lebensunterhalt für den hier streitigen Zeitraum in gesetzlicher Höhe zu gewähren. So dürfte nach Auffassung des Beklagten das Bundessozialgericht bereits fehl in der Annahme gehen, dass bei Unionsbürgern nach Ablauf von sechs Monaten eine Aufenthaltsverfestigung eingetreten sei, der nach geltendem Recht entgegengetreten werden könne. Für diese Rechtsauffassung dürfte sich weder im Gesetz noch in der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit eine Stütze finden. Grundsätzlich träte nämlich nach allgemeinem Ausländerrecht und auch nach dem Aufenthaltsrecht der Unionsbürger (besonderes Ausländerrecht) eine "Verfestigung des Aufenthalts", also ein Daueraufenthaltsrecht, regelmäßig frühestens nach Ablauf eines rechtmäßigen Aufenthalts von fünf Jahren ein (vgl. § 9 Abs. 2 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz, § 4a Abs. 1 Satz 1 Freizügigkeitsgesetz/EU). Ein Aufenthalt von mehr als sechs Monaten gelte in der Regel als "nicht nur vorübergehender Aufenthalt", jedoch nicht als "verfestigter Aufenthalt", zumal schon dann nicht, wenn ein EU-Bürger über kein materielles Aufenthaltsrecht (mehr) verfüge. Das BSG vertrete in dem benannten Urteil - ohne ein plausibles Argument oder eine schlüssige Begründung zu nennen - die Auffassung, dass die "Kläger" im streitigen Zeitraum dem Grunde nach nicht leistungsberechtigt nach dem SGB II gewesen seien, weil sie dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II unterfallen würden, was dazu führe, sie dem Leistungssystem des SGB XII zuzuweisen. Dem könne nach hiesiger Rechtsauffassung nicht gefolgt werden. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II seien im jeweils streitbefangenen Zeitraum im Falle der Kläger Ziff. 1 bis Ziff. 5 erfüllt. Die Kläger seien dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II. Sie waren und seien dem Leistungssystem des SGB II und nicht dem des SGB XII zuzuweisen. Eine zwingende "Automatik" der Gestalt, dass das Vorliegen der in § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II normierten Tatbestandsvoraussetzungen dazu führe, dass die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II nicht mehr erfüllt seien oder vorliegen würden, lasse sich dem Gesetz nicht entnehmen. Insgesamt vertritt die Beklagte im Weiteren die Auffassung, dass die Argumentation des BSG, dass das Eingreifen des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II auf die dem Grunde nach bestehende Leistungsberechtigung (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II) durchgreife, vor dem hier bestehenden Hintergrund auch kaum unter dem Begriff der "schöpferischen Rechtsfortbildung" subsummiert werden könne. Die Kläger seien damit für den hier streitgegenständlichen Zeitraum dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II und nicht dem Leistungssystem des SGB XII zuzuweisen. Das BSG habe dadurch, dass es die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II an den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II anknüpfe und die zuerst genannte Regel für nicht anwendbar und nicht einschlägig erkläre, obwohl deren Tatbestandsmerkmale eindeutig erfüllt seien und die Norm anwendbar sei, diese quasi aufgehoben bzw. außer Kraft gesetzt. Letztlich stehe dies aber dem BSG nicht zu. Dem BSG sei jedoch (sachdienlich ausgelegt) darin zuzustimmen, dass das SGB II keine dem § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII oder § 23 Abs. 5 Satz 1 SGB XII entsprechende Auffangnorm oder Regelung enthalte. Insoweit dürfte im SGB II eine sekundäre Lücke "klaffen", die im Wege ergänzender Auslegung (Analogiebildung) geschlossen werden müsste. Im SGB II selbst sei ersichtlich keine andere Norm mit ähnlicher oder vergleichbarer Interessenlage vorhanden, mit der diese Lücke geschlossen werden könnte. Letztlich käme im Hinblick darauf auch eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz an das Bundesverfassungsgericht in Betracht.

Die Kläger beantragen,

die Berufung des Beigeladenen zurückzuweisen.

Sie halten die Entscheidung des SG für zutreffend. Es sei auch festzustellen, dass große Teile der Rechtsprechung der einschlägigen Entscheidung des BSG vom 3. Dezember 2015 (B 4 AS 44/15 R) zustimmen würden (unter Benennung verschiedener Entscheidungen des LSG NRW, des SG Nürnberg, SG Hamburg, LSG Sachsen-Anhalt und weiterer Entscheidungen). Außerdem habe auch der hier zur Entscheidung berufene Senat die zitierte Rechtsprechung des BSG bereits für vorzugswürdig erklärt (mit Hinweis auf Beschluss des erkennenden Senates vom 6. Juni 2016 - L 2 SO 1905/16 ER-B -).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1, Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 und Abs. 3 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig.

II.

Die Berufung der Beigeladenen ist jedoch unbegründet. Mit dem SG besteht auch nach Überzeugung des Senates auf der Grundlage der maßgeblichen gesetzlichen Regelungen (§ 7 SGB II, § 23 SGB XII) und der anzuwendenden Rechtsprechung des BSG ein Anspruch der Kläger auf Gewährung von Leistungen der Sozialhilfe nach dem SGB XII für den streitigen Zeitraum 10. Juni 2014 bis 31. Januar 2015.

Zur Begründung nimmt der Senat auf die Ausführungen des SG in seinem Urteil vom 13. Mai 2016 vollumfänglich Bezug und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 153 Abs. 2 SGG ab.

Ergänzend ist lediglich noch darauf hinzuweisen, dass sich der Beigeladene den am 10. Juni 2014 beim Jobcenter als Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II gestellten Antrag gemäß § 18 SGB XII zurechnen lassen muss.

Ergänzend ist noch zum Vorbringen des Beklagten bzw. des Beigeladenen und Berufungsführers auszuführen, dass für den hier streitigen Zeitraum, der vor der Gesetzesänderung zu § 7 SGB II und § 23 SGB XII mit Gesetz vom 29. Dezember 2016 liegt, die Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 3. Dezember 2015 - B 4 AS 44/15 R - und vom 20. Januar 2016 - B 14 AS 15/15 R-) zu dem Anspruch aus § 23 SGB XII (alte Fassung) zugrunde zu legen ist. Der Senat sieht insbesondere keine Veranlassung zu einer Vorlage nach Art. 100 GG an das Bundesverfassungsgericht.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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