S 40 U 58/15

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
40
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 40 U 58/15
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
1. Bei Unfallfolgen; wie hier im Bauchraum, ist es fast unabdingbar, dass die Aus-wirkungen durch eine körperliche Untersuchung festgestellt werden, denn es geht um Bewertungen, die ein Sachverständiger nach einer Palpation der Bauchdecke ableitet und bei der ein erheblicher Beurteilungsspielraum besteht.
2. Die bloße Beschreibung in einem Gutachten und ein daraus folgende Bewertung „nach Lage der Akten“ durch einen Beratungsarzt, wie dies bei Messungen nach der „Neutral-0-Methode“ grundsätzlich möglich ist, scheint vorliegend kaum zu-verlässig.
1. Der Bescheid der Beklagten vom 21. August 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Februar 2015 wird aufgehoben. 2. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob eine wesentliche Änderung (Besserung) in den Unfallfolgen eingetreten ist.

Der 1974 geborene Kläger erlitt am 16. Februar 2008 einen Arbeitsunfall, als er aus ca. 2 m Höhe von einer Leiter stürzte und hierbei eine ca. 100 kg schwere Betonplatte auf seinen Bauch fiel.

Mit Bescheid vom 24. November 2011 bewilligte die Beklagte dem Kläger ein eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vom Hundert. Als Folgen des Arbeitsunfalles erkannte die Beklagte einen Zustand nach erfolgter Laparotomie mit vorhandenen Restverwachsungen und gelegentlichen Stuhlunregelmäßigkeiten sowie deutlicher Narbenhernie nach erlittenem stumpfen Bauchtrauma mit Mesenterialblutungen an.

Bei einer Nachuntersuchung kam Dr. G. unter dem 20. Mai 2014 zu dem Ergebnis, die MdE sei weiterhin mit 20 vom Hundert einzuschätzen, eine Änderung in den Verhältnissen sei nicht eingetreten. Der Beratungsarzt der Beklagten, Dr. W., führte in seiner Stellungnahme zum Gutachten von Dr. G. unter dem 11. Juni 2014 aus, die MdE sei mit "unter 20 vom Hundert" einzuschätzen. Es sei ein Dauerzustand eingetreten. Eine Begründung hierfür lieferte er nicht.

Nach Anhörung des Klägers entzog die Beklagte die Rente mit Bescheid vom 21. August 2014 zum 31. August 2014. Zur Begründung führte sie aus, es sei eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten. Die die MdE in renten-berechtigendem Grade bedingende Narbenhernie sei nach operativer Korrektur nunmehr verschlossen.

Der Widerspruch des Klägers vom 29. August 2014 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 3. Februar 2015 von der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung führte sie zusammengefasst aus, es liege eine wesentliche Änderung vor, denn die Befunde hätten sich wesentlich geändert.

Mit Schriftsatz vom 4. März 2015 hat der Kläger dagegen Klage erhoben und trägt zusammengefasst vor, dass eine wesentliche Änderung in den Befunden nicht eingetreten sei, sodass die aufhebenden Bescheide rechtswidrig seien.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen (sinngemäß gefasst),

den Bescheid der Beklagten vom 21. August 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Februar 2015 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich im Wesentlichen auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.

Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhaltes die Verwaltungsakten der Beklagten beigezogen. Im Auftrag des Gerichts hat der medizinische Sachverständige Herr Z. nach Untersuchung des Klägers unter dem 8. Juli 2015 ein chirurgisches Gutachten erstattet. Zusammengefasst ist der Gutachter zu dem Ergebnis gelangt, dass die MdE sich in der Zusammenschau aller Befunde nicht geändert habe und weiterhin mit 20 vom Hundert eingeschätzt werden könne. Es sei dem Kläger weiterhin nicht möglich, dass er schwere bzw. auch keine mittelschweren körperlichen Tätigkeiten nachgehen könne. Insofern sei das Berufsfeld, welches für die Bemessung der MdE maßgeblich sei, nach der Versorgung des Narbenbruches nicht erweitert.

Unter dem 27. August 2015 hat Dr. P. eine beratungsärztliche Stellungnahme für die Beklagte abgegeben. Er führt zusammengefasst aus, die Minderung der Erwerbsfähigkeit sei vorliegend mit 10 vom Hundert zu bewerten. Die Besserung sei an der operativen Versorgung und Beseitigung der Bauchwandhernie festzumachen.

In einer Stellungnahme vom 1. Oktober 2015 führt Herr Z. ergänzend aus, dass beim Kläger weiterhin Passagestörungen (des Darmes) bei Verwachsungen im Bauchraum vorliegen würden, die eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 vom Hundert begründen würden. Eine entsprechende Besserung könne er nicht feststellen.

Unter dem 11. November 2015 hat Dr. F. für die Beklagte beratungsärztlich Stellung genommen und führt zusammengefasst aus, dass zur exakten Einschätzung der MdE mit Differenzierung der MdE zwischen 10 und 20 % die Beurteilung der Passagestörung erforderlich sei. Diese liege ihm nicht vor, so dass er die MdE nicht einschätzen könne.

Unter dem 2. Dezember 2015 hat Herr Z. erneut ergänzend Stellung genommen und führt aus, dass die Passagestörung nur ein Aspekt der MdE-Einschätzung sei. Wesentlich gravierender sei die Minderfunktion der Bauchdecke, die es dem Kläger nicht mehr möglich mache, schwere und mittelschwere Arbeiten dauerhaft zu verrichten. Hiermit sei ihm ein großer Teil des Arbeitsmarktes verschlossen.

Unter den 13. Januar 2016 hat Dr. F. erneut beratungsärztlich für die Beklagte Stellung genommen. Er führt zusammengefasst aus, dass die Palpation der Bauchdecke ohne groben pathologischen Befund gewesen sei. Daher sei es für ihn nicht nachvollziehbar, warum der Kläger dauerhaft von mittelschweren Arbeiten ausgeschlossen sein sollte. Weiter würde dies allgemein bedeuten, dass Patienten nach Bauchoperationen mit einer längeren Narbe keine mittelschweren Tätigkeiten mehr verrichten könnten.

Mit Verfügung vom 25. Februar 2016 hat das Gericht den Beteiligten mitgeteilt, dass beabsichtigt ist, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Den Beteiligten wurde eine angemessene Frist zur Stellungnahme eingeräumt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt und der beigezogenen Akten Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung des Gerichts.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte gem. § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht aufweist und der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist.

Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Es kann nicht festgestellt werden, dass eine wesentliche Änderung in den Unfallfolgen des Arbeitsunfalles vom 16. Februar 2008 eingetreten ist. Die MdE ist weiterhin mit 20 vom Hundert zutreffend eingeschätzt.

Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt nach § 48 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse liegt im Bereich von Unfallfolgen vor, wenn sich der Grad der MdE wegen der nach § 73 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) anerkannten oder neu anzuerkennenden Unfallfolgen um mehr als 5 vom Hundert ändert. Eine solche "wesentliche" Änderung ist nicht festzustellen.

Das Gericht folgt insoweit der gutachterlichen Einschätzung des gerichtlich bestellten Sachverständigen Z., der den Kläger am 18. Juni 2015 klinisch untersucht hat und stellt fest, dass keine wesentliche Änderung eingetreten ist. Zutreffend weist der Gutachter darauf hin, dass die MdE im Jahre 2011 mit 20 vom Hundert korrekt eingeschätzt wurde. Auch nach der operativen Versorgung der Narbenhernie ist eine erhebliche Besserung der Beschwerdesymptomatik, insbesondere für die tatsächlichen Auswirkungen auf das Erwerbsleben, nicht festzustellen. Weiter weist der Gutachter darauf hin, dass beim Kläger das 3-malige operative Eröffnen des Bauchraumes erforderlich war, um die entsprechenden Verwachsungen "in den Griff" zu bekommen. Dass dies zu einer erheblich größeren Einschränkung der Leistungsfähigkeit und damit der MdE auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens führen kann, als bei einer nur einmaligen Bauchdeckenoperation, ist für das Gericht gut nachvollziehbar. Insoweit ist der pauschale "Vergleich" des Dr. F. in seiner Stellungnahme nicht ganz verständlich, wenn er dies beispielhaft erwähnt. Insbesondere hat Herr Z. den Kläger tatsächlich untersucht und konnte sich daher einen unmittelbaren Eindruck über die körperliche Leistungsfähigkeit in Bezug auf die Unfallfolgen verschaffen. Gerade bei Unfallfolgen; wie der vorliegenden Art, ist es fast unabdingbar, dass die Auswirkungen durch eine körperliche Untersuchung festgestellt werden, denn es geht um Bewertungen, die ein Sachverständiger nach einer Palpation der Bauchdecke ableitet und bei der ein erheblicher Beurteilungsspielraum besteht. Die bloße Beschreibung in einem Gutachten und ein daraus folgende Bewertung "nach Lage der Akten", wie dies bei Messungen nach der "Neutral-0-Methode" grundsätzlich möglich ist, scheint vorliegend kaum zuverlässig möglich. Die Aussagen und Feststellungen des gerichtlichen Gutachters werden ebenfalls durch das von der Beklagten eingeholte Gutachten von Dr. G. gestützt, der ebenfalls nach einer klinischen Untersuchung des Klägers weiterhin von einer MdE von 20 vom Hundert ausging.

Die beratungsärztlichen Stellungnahmen der Beklagten überzeugen daher nicht. Etwas verwunderlich ist bereits die Stellungnahme von Dr. W., der lediglich in einem Satz ausführt, die MdE sei "unter 20 vom Hundert", ohne eine inhaltliche Begründung zu liefern. Umso erstaunlicher ist es daher, dass die Beklagte hierin bereits eine "wesentliche Änderung" (nach § 73 Abs. 3 SGB VII) von mehr als 5 vom Hundert annimmt, und damit eine wesentliche Änderung feststellt.

Die Stellungnahmen von Dr. P. und von Dr. F. sind ebenfalls nicht überzeugend. Insbesondere geht Dr. F. in seiner Stellungnahme etwas spekulativ davon aus, wenn man der Auffassung von Herr Z. folgen würde, sei davon auszugehen, dass bei jeder Bauchdeckenöffnung die Folge sei, dass die Probanden keine mittelschweren Arbeiten mehr verrichten können. Dr. F. übersieht hierbei, dass beim Kläger bereits 3 entsprechende Operationen durchgeführt wurden und nicht nur eine. Es ist aber insbesondere festzustellen, dass die Gutachter, die den Kläger tatsächlich klinisch untersucht haben, übereinstimmt von einer tatsächlichen MdE von 20 vom Hundert ausgehen.

Eine tatsächliche bzw. feststellbare wesentliche Änderung in den Verhältnissen von mehr als 5 vom Hundert kann nicht festgestellt werden. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind daher aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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