Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 3 R 984/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 4207/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 4. September 2015 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Im Streit steht die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab 1. Juni 2014.
Der am 1968 in der Türkei geborene Kläger lebt seit 1993 in der Bundesrepublik Deutschland. Er ist gelernter Maler und Lackierer. Bis zu einer Nierenerkrankung arbeitete er in seinem Beruf, danach als Montagearbeiter. Seit September 2002 war er arbeitsunfähig erkrankt. Wegen seiner Nierenerkrankung, die im August 2004 zur Nierentransplantation führte, bezog der Kläger vom 1. April 2003 bis 31. Dezember 2007 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Der Antrag des Klägers auf Weitergewährung wurde abgelehnt (Bescheid vom 2. Januar 2008). Ein erneuter Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente vom 2. Februar 2010 wurde mit Bescheid vom 1. Juni 2010 und Widerspruchsbescheid vom 30. August 2010 abgelehnt. Von 2008 bis 2010 war der Kläger als Imbissbetreiber selbständig tätig. Vom 1. Oktober 2010 bis 31. August 2011 war er als Fahrer bei einer Spedition sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Seither ist der Kläger arbeitsunfähig bzw. arbeitslos. Es ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 70 seit Mai 2007 anerkannt.
Vom 9. Januar bis 20. Februar 2013 befand er sich zur stationären Rehabilitation in der Rehaklinik K ... Im Entlassungsbericht vom 1. März 2013 nannte Dr. St. die Diagnosen Zustand nach Nierentransplantation, depressive Episode, Anpassungsstörungen, generalisierte Angststörung und Schmerzsyndrom bei Verdacht auf somatoforme Störung. Der Kläger wurde als arbeitsunfähig wegen eines interkurrenten Infekts entlassen. Die Leistungsfähigkeit sei aufgrund der ängstlichen und depressiven Symptomatik derzeit noch eingeschränkt. Aufgrund der Schmerzsymptomatik sollten unübliche kürzere Pausen möglich sein. Die aktuelle Leistungsfähigkeit sei auf bis zu fünf Stunden für leichte bis intermittierend kurzzeitiger körperlicher Arbeitsschwere begrenzt. Durch die Weiterführung der psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung sei kurz- bis mittelfristig von erneuter Leistungsfähigkeit auszugehen.
Vom 12. März bis 9. April 2014 absolvierte der Kläger eine weitere Rehabilitationsmaßnahme in B. S ... Im Entlassungsbericht vom 16. April 2014 nannte Privatdozent Dr. D. die Diagnosen rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradig mit psychischen Symptomen, generalisierte Angststörung, arterielle Hypertonie, Zustand nach Nierentransplantation und degenerative Wirbelsäulenbeschwerden. Der Kläger wurde wegen der Distorsion des rechten oberen Sprunggelenkes und der noch bestehenden depressiven Restsymptomatik als arbeitsunfähig entlassen. Die multimodale Behandlung (psychisch, orthopädisch, schmerztherapeutisch) sei noch nicht ausgeschöpft. Eine intensivierte Behandlung in diesen Bereichen werde empfohlen. Unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen könne der Kläger noch leichte körperliche Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden und mehr ausüben.
Am 12. Mai 2014 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Er halte sich wegen seiner Nierenerkrankung, psychischer Erkrankungen, Rückenbeschwerden, Schulterbeschwerden, Augenproblemen und Warzen an den Füßen und Händen seit Oktober 2010 für erwerbsgemindert.
Die Beklagte ließ den Kläger daraufhin durch Internisten und Sozialmediziner Dr. Me. begutachten. Im Gutachten vom 30. September 2014 werden die folgenden Diagnosen aufgeführt: ängstlich-depressive Anpassungsstörung nach Nierentransplantation, somatoforme Beschwerdezuflüsse möglich, chronisches Nierenversagen (Erstdiagnose 1996, ab 2003 Dialyse), Nierentransplantation mit gutem Erfolg, Hypertonie, Fehlhaltung und degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Cervikal- und Lumbalbeschwerden ohne neuromuskuläres Defizit, Kniegelenksarthrose links, Schultereckgelenksarthrose rechts, Gicht, beginnender Diabetes mellitus und Glaukom. Im Vordergrund stünden psychische Beeinträchtigungen infolge der chronischen Nierenerkrankung. Bei der jetzigen Untersuchung hätten sich aber keine schwerwiegenden psychischen Beeinträchtigungen, die das Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt quantitativ einschränken würden, gezeigt. Für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten überwiegend im Sitzen, ohne Nachtschicht, Bücken, Heben und Tragen von Lasten, Exposition von Kälte, Nässe und Zugluft sei der Kläger noch mehr als sechs Stunden am Tag leistungsfähig.
Mit Bescheid vom 4. November 2014 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab. Nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen sei der Kläger noch in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu arbeiten. Die Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente seien damit nicht erfüllt.
Hiergegen legte der Kläger am 25. November 2014 Widerspruch unter Vorlage eines Arztbriefes des Privatdozent Dr. Sc., Zentrums für Innere Medizin des Universitätsklinikums U. vom 15. Dezember 2014 ein und wies zur Begründung darauf hin, dass er noch unter weiteren Erkrankungen leide (Augen, Warzen, Rückenbeschwerden, Herz). Nach Einholung einer sozialmedizinischen Stellungnahme des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. Ho. vom 9. Februar 2015, wonach keine neuen medizinischen Befunde vorlägen, wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 3. März 2015 zurück.
Am 2. April 2015 erhob der Kläger beim Sozialgericht Ulm (SG) Klage und trug zur Begründung vor, er sehe sich aufgrund seiner psychischen Verfassung und der körperlichen Beeinträchtigungen nicht in der Lage, einer geregelten Erwerbstätigkeit nachzugehen. Er leide seit fünf Jahren unter ständig wiederkehrenden depressiven Störungen, die zu gedrückter Stimmung, Freudlosigkeit, Interessenverlust, Antriebsminderung/-hemmung, erhöhter Ermüdbarkeit/Tagesschläfrigkeit, Hoffnungslosigkeit/Verzweiflung, Einsamkeit/sozialem Rückzug, lebensmüden Gedanken, Ein- und Durchschlafstörungen, Früherwachen, plötzlichen Panikattacken sowie ständigen Befürchtungen/Ängstlichkeit und Furcht, den sicheren Ort zu verlassen, führten. Er sei nicht konzentrationsfähig und insgesamt nicht belastbar. Ein nervenfachärztliches und ein nephrologisches Gutachten seien einzuholen. Er legte einen aktuellen Befundbericht des Orthopäden Dr. U. vom 21. Juli 2015 und des Radiologen Dr. Pa. vom 14. Juli 2015 vor.
Die Beklagte trat der Klage entgegen.
Das SG forderte bei dem den Kläger behandelnden Nephrologen Dr. Sc. einen aktuellen Befundbericht an. Dieser übersandte seinen Arztbrief vom 13. Mai 2015 (Zustand nach Nierentransplantation, chronische Transplantatdysfunktion ohne Proteinurie).
Mit Gerichtsbescheid vom 4. September 2015 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, dem Kläger stünde keine Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung zu. Es bestünden Erkrankungen auf psychiatrischem, orthopädischem und internistischem Fachgebiet. Trotz der Erkrankungen sei der Kläger für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden leistungsfähig. Den Beeinträchtigungen werde durch qualitative Einschränkungen ausreichend Rechnung getragen. Es folge dem Gutachten von Dr. Me ... Bei der Untersuchung sei der Kläger schwingungsfähig gewesen. Es hätten sich keine Antriebsminderung und keine Affektlabilität gezeigt. Die affektive Schwingungsbreite sei erhalten gewesen. Die Wirkstoffe der angegebenen Medikamente seien im Blut nicht nachweisbar gewesen. Der Kläger befinde sich außerdem nicht in psychiatrischer oder psychotherapeutischer Behandlung. Ohne adäquate Behandlung könne bei psychischen Erkrankungen nicht auf eine dauerhafte Leistungsminderung geschlossen werden. Auf internistischem Fachgebiet habe die Untersuchung bei Dr. Me. einen nur leicht erhöhten Kreatinin-Wert ergeben. Die Hypertonie sei gut eingestellt. Der beginnende Diabetes mellitus müsse noch nicht medikamentös behandelt werden. Auch dem Befundbericht von Dr. Sc. vom 13. Mai 2015 sei ein nur leicht erhöhter Kreatinin-Wert zu entnehmen. Auch den orthopädischen Beeinträchtigungen könne hinreichend durch qualitative Einschränkungen Rechnung getragen werden. Auch insoweit folge es dem Gutachten von Dr. Me ... Bandscheibenprotrusionen seien in mehreren Etagen der Lendenwirbelsäule nachgewiesen. Die Beweglichkeit der Wirbelsäule sei aber gut erhalten. Es bestünde kein neuromuskuläres Defizit. Der Reflexstatus sei seitengleich erhalten. An den Kniegelenken bestünde eine schmerzhafte Kniegelenksarthrose mit Knorpelschäden und eine Bewegungseinschränkung. Schulterbeschwerden mit einer Bewegungseinschränkung ergäben sich aus dem Befundbericht von Dr. U. vom 21. Juli 2015. Den Beeinträchtigungen könne aber durch qualitative Einschränkungen für häufiges Bücken, Heben und Tragen von Lasten und Überkopfarbeiten ausreichend Rechnung getragen werden.
Gegen den ihm am 11. September 2015 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 6. Oktober 2015 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung ausgeführt, das SG nehme unzutreffend an, er befinde sich nicht in psychiatrischer oder psychotherapeutischer Behandlung. Das SG habe die Berichte der Neurologin Dr. Be. nicht berücksichtigt. Er sei dort regelmäßig in neurologischer Behandlung gewesen. Auch wenn im Zeitpunkt der Entscheidung des SG keine fachärztliche Behandlung durch einen Psychiater mehr erfolgt sei, so sei er dennoch auf eine Überwachung seines psychischen Zustandes angewiesen, was über die nephrologische Abteilung des Universitätsklinikums U. erfolge. Hier stelle er sich alle zwei bis drei Monate vor und erhalte Verschreibungen der notwendigen Medikamente. Die Einschätzung des Leistungsvermögens durch Dr. Me. erscheine im Hinblick auf den Arztbrief des Privatdozent Dr. Sc. vom 13. Mai 2015 fragwürdig. Er legte Arztbriefe von Dr. Be. vom 26. Mai 2014 (Diagnose: antriebsarm-depressives Syndrom), der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. Mi. vom 17. September 2015 (Diagnose: Angst und depressive Störung, gemischt), von Prof. Dr. Sp., Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums U. vom 25. Februar 2016 (Diagnose: Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome), von Dr. v. E., Nephrologe der Klinik für Innere Medizin des Universitätsklinikums U. vom 20. Oktober 2016 (Diagnose: Z.n. lebend-Nierentransplantation 2005, aktuell Kreatinin 148 µmol/l, keine Proteinurin) und des Orthopäden Dr. Ha. vom 18. November 2016 (Diagnose: Gicht, Spinalkanalstenose Halswirbelsäule, Verdacht auf Sulcus-ulnaris-Syndrom beidseitig, Klinik-Plattfußes beidseitig), ein Attest vom 15. August 2015 und eine Stellungnahme vom 24. April 2016 des Facharztes für Allgemeinmedizin Em. (wegen Multimorbidität auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr als drei Stunden täglich leistungsfähig) sowie ein Attest des Psychotherapeuten Dr. Gr. vom 2. Oktober 2015 (Diagnose: Anpassungsstörungen und schwere depressive Episode im Rahmen einer rezidivierenden depressiven Störung) vor.
Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 4. September 2015 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 4. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. März 2015 zu verurteilen, ihm eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. Juni 2014 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Berufung entgegengetreten und hat zur Begründung Stellungnahmen ihres ärztlichen Dienstes vorgelegt (vom 7. Dezember 2015 und 22. August 2016). Dr. Sch. führt darin im Wesentlichen aus, den Ausführungen von Prof. Dr. Ke. im Gutachten vom 25. Juli 2016 (dazu unten) könne nicht gefolgt werden. Sie bestünden überwiegend aus sozialkulturellen Ausführungen mit dem Versuch, hieraus auf eine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens zu schließen. Die Berücksichtigung der depressiven Störung erfolge von fachfremder Seite. Die Notwendigkeit von zusätzlichen betriebsunüblichen Pausen habe der Sachverständige auf nephrologischem Fachgebiet nicht ausreichend begründen können.
Mit Bescheid vom 15. März 2016 hat die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg dem Kläger eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme bewilligt. Die Bewilligung hat die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg mit Bescheid vom 27. Mai 2016 widerrufen, nachdem der Chefarzt der Rehabilitationsklinik zu dem Ergebnis gelangt ist, dass eine Aufnahme des Klägers erst möglich sei, wenn die Empfehlungen der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie II des Universitätsklinikums U. umgesetzt worden seien (u.a. kardiovaskuläre Diagnostik, internistische Vorstellung zur Blutzuckerkontrolle).
Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat ein Sachverständigengutachten bei Prof. Dr. Ke., Klinik für Innere Medizin I des Universitätsklinikums U., eingeholt. Im Gutachten vom 25. Juli 2016 wird unter Diagnosen aufgeführt: terminale Niereninsuffizienz seit 2003, nierenbioptisch 1996 Glomerulopathie Typ Dünne Basalmembran, zusätzlich Tubulus-Atrophie und interstitielle Fibrose, Nierentransplantation 2005 mit Nierenlebendspende von Cousin, Z.n. dreimaliger Abstoßungsbehandlung, aber transplantatbioptisch 2012 nur chronische Kalzineurinhemmer-Toxizität – kein Anhalt für Abstoßung, zunehmende depressive Störung, deshalb stationärer Aufenthalt zuletzt im Februar 2016. Das Verhalten des Klägers sei sicherlich auch aus seiner kulturellen Herkunft zu deuten. Gerecht werde man den unterschiedlichen Kulturen durch gegenseitigen Respekt. Der Kampf des Klägers um Anerkennung werde so lange weiter gehen bis Geld fließe. Eine Teilerwerbsminderungsrente wäre ein guter Kompromiss. Im Vordergrund stünden derzeit eigentlich die psychischen Probleme. Die rentenrelevanten Diagnosen seien die depressiven Störungen. Der Kläger sei offensichtlich nicht in der Lage sechs Stunden am Tag zu arbeiten. Formal sei er in der Lage drei Stunden am Tag zu arbeiten. Er bräuchte mindestens alle halbe Stunde eine Pause wegen Erschöpfung und Konzentrationsverlust. Prof. Dr. Ke. hat seinem Gutachten den Arztbrief des Augenarztes Dr. Eckart vom 27. April 2016 (Diagnosen: Presbyopie, Conjunktivitis subakuta beidseits, Fundus hypertonicus I, Catarakta provecta beidseits) beigefügt.
Der Senat hat ein weiteres Sachverständigengutachten von Amts wegen auf nervenfachärztlichem Fachgebiet eingeholt. Der Sachverständige Dr. He. führte im Gutachten vom 22. Mai 2017 aus, auf dem psychiatrischen Fachgebiet seien die Kriterien für das Vorliegen einer rezidivierenden depressiven Störung erfüllt, wobei sich aktuell eine mittelgradige depressive Episode zeige. Die Stimmungslage sei leicht bis mäßig gedrückt, der Antrieb leicht reduziert. Die affektive Schwingungsfähigkeit sei leicht bis mäßig reduziert. Die Kriterien für eine schwere depressive Episode seien definitiv nicht erfüllt. Eine eigenständige Angsterkrankung habe sich nicht nachweisen lassen. Kognitive Leistungseinschränkungen hätten sich nicht gezeigt. Die Auffassung, die Konzentration, das Durchhaltevermögen und das Gedächtnis seien intakt. Qualitativ seien Akkordarbeit, Nachtarbeit und Arbeiten unter besonderem Zeitdruck, Arbeiten mit besonders hohen Ansprüchen an Auffassung und Konzentration sowie mit besonders hoher Verantwortung und besonders hoher geistiger Beanspruchung zu vermeiden. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen sei der Kläger in der Lage sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche zu arbeiten. Besondere Arbeitsbedingungen seien nicht erforderlich.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des SG sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die nach § 151 Abs. 1 und 2 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist auch sonst zulässig. Insbesondere bedurfte sie nicht der Zulassung, da der Kläger laufende Leistungen für mehr als ein Jahr begehrt (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
2. Die Berufung ist aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 4. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. März 2015 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. Juni 2014 (vgl. § 99 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VI]).
a) Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 1. Januar 2008 geändert durch Artikel 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
b) Ausgehend davon kann der Kläger eine Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB VI nicht beanspruchen.
(1) Der Kläger leidet an einem Zustand nach Nierentransplantation, zuletzt ohne Anhalt für eine Abstoßungsreaktion (Arztbrief des Dr. v. E. vom 20. Oktober 2016), einer rezidivierenden depressiven Störung, zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. He. mittelgradige depressive Episode, Hypertonie, Fehlhaltung und degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Cervikal- und Lumbalbeschwerden ohne neurologisches Defizit, Kniegelenksarthrose links, Schultereckgelenksarthrose rechts, Gicht, Knick-Plattfuß beidseitig, beginnender Diabetes mellitus und Katarakt mit Visus 0,4 beidseits nach optischer Korrektur (Arztbrief des Dr. Ec. vom 27. April 2016). Dies entnimmt der Senat dem Sachverständigengutachten von Dr. He., dem Gutachten im Verwaltungsverfahren von Dr. Me., das der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet, sowie den Arztbriefen der den Kläger behandelnden Ärzte.
Eine eigenständige Angsterkrankung, wie sie Privatdozent Dr. D. im Reha-Entlassungsbericht vom 16. April 2014 aufführte, liegt zur Überzeugung des Senats nicht vor. Nach den für den Senat schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen Dr. He. sind die Kriterien für eine solche Erkrankung nicht erfüllt.
Soweit Dr. Me. in seinem Gutachten die Diagnose Glaukom aufführt, ist eine solche Erkrankung nicht zur Überzeugung des Senats nachgewiesen. Aus den aktenkundigen Befundunterlagen ergibt sich eine solche Krankheit nicht. Dem Arztbrief des Dr. Ec. vom 27. April 2016 ist lediglich ein Katarakt zu entnehmen.
(2) Die festgestellten körperlichen Gesundheitsstörungen schränken das berufliche Leistungsvermögen des Klägers nur in qualitativer, nicht aber in zeitlicher Hinsicht ein.
Aus dem Gutachten von Dr. Me. sowie dem Sachverständigengutachten von Dr. He. ergeben sich Einschränkungen für Akkordarbeit, Nachtarbeit, Arbeiten unter besonderem Zeitdruck, Arbeiten mit besonders hohen Ansprüchen an Auffassung und Konzentration sowie mit besonders hoher Verantwortung und besonders hoher geistiger Beanspruchung, Arbeiten überwiegend im Stehen oder Gehen, mit Bücken, Heben und Tragen von Lasten, Exposition von Kälte, Nässe und Zugluft.
Unter Beachtung dieser qualitativen Einschränkungen ist der Kläger in der Lage, zumindest leichte Tätigkeiten im Umfang von mindestens sechs Stunden an fünf Tagen in der Woche auszuüben. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Gutachten von Dr. Me. und dem Sachverständigengutachten von Dr. He ... Bestätigt wird diese Leistungseinschätzung von Privatdozent Dr. D. im Entlassungsbericht vom 16. April 2014.
Die Erkrankung auf psychiatrischem Fachgebiet steht leichten Tätigkeiten im Umfang von sechs Stunden und mehr nicht entgegen. Dies hat der Sachverständige Dr. He. schlüssig und nachvollziehbar dargelegt. Bei der ambulanten Untersuchung zeigte sich zwar eine teils gedrückte Stimmungslage mit leicht bis mäßig reduzierter affektiver Schwingungsfähigkeit und leicht reduziertem Antrieb. Das Durchhaltevermögen, die Auffassung, die Konzentration und das Gedächtnis waren aber nicht beeinträchtigt.
Die Leistungseinschätzung von Prof. Dr. Ke., die sich im Wesentlichen auf die für ihn fachfremde Erkrankung auf psychiatrischem Fachgebiet stützt, kann vor diesem Hintergrund nicht überzeugen. Auch im Übrigen ist seine Argumentation nicht nachvollziehbar. Die angeführten sozialkulturellen Gründe genügen für die Annahme einer rentenrelevanten Leistungseinschränkung nicht.
Die Erkrankungen auf internistischem Fachgebiet begründen ebenfalls keine quantitative Leistungseinschränkung. Weder aus dem Gutachten von Dr. Me. noch aus den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Ke. ergeben sich Hinweise auf eine rentenrelevante Einschränkung der Nierenfunktion. Auch dem Arztbrief des Dr. v. E. vom 20. Oktober 2016 ist zu entnehmen, dass eine stabile Transplantatfunktion ohne Nachweis einer Proteinurie vorliegt. Die sonstigen Erkrankungen auf internistischem Fachgebiet führen ebenfalls nicht zu einem Rentenanspruch. Die Gichtbeschwerden und die Hypertonie werden medikamentös behandelt, wobei sich der Blutdruck mit der derzeitigen Medikation im Zielwert befindet (Arztbrief des Dr. v. E. vom 20. Oktober 2016).
Den Erkrankungen des Klägers auf orthopädischem Fachgebiet kann mit den genannten qualitativen Leistungseinschränkungen hinreichend begegnet werden. Die Wirbelsäulenbeschwerden gehen nicht mit neurologischen Defiziten einher, wie sich bei der Begutachtung durch den Sachverständigen Dr. He. am 20. Mai 2017 gezeigt hat. Der Senat sah vor diesem Hintergrund keine Veranlassung, aufgrund der im Arztbrief des Dr. Ha. vom 18. November 2016 genannten Spinalkanalstenose der Halswirbelsäule weitere Ermittlungen von Amts wegen einzuleiten.
Der augenärztlich festgestellte Visus von 0,4 beidseits bei Katarakt steht einem über sechsstündigen Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht entgegen. Insoweit folgt der Senat den schlüssigen Ausführungen von Dr. Sch. vom ärztlichen Dienst der Beklagten vom 22. August 2016.
(3) Ob dem Kläger ein Arbeitsplatz vermittelt werden kann oder nicht, ist für den geltend gemachten Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht erheblich. Die jeweilige Arbeitsmarktlage ist nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Maßgebend ist, ob der Kläger mit dem ihm verbliebenen Restleistungsvermögen – wenn auch mit qualitativen Einschränkungen – in der Lage ist, zumindest körperlich leichte Tätigkeiten arbeitstäglich für mindestens sechs Stunden zu verrichten, er also in diesem zeitlichen Umfang unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig sein kann, wovon im Regelfall ausgegangen werden kann (vgl. z. B. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 13 R 78/09 R – juris, Rn. 31). Dies bejaht der Senat wie zuvor dargelegt.
(4) Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung lagen nicht vor. In einem solchen Fall kann der Arbeitsmarkt selbst bei einem noch vorhandenen sechsstündigen Leistungsvermögen ausnahmsweise als verschlossen gelten (siehe – auch zum Folgenden – etwa Urteil des Senats vom 21. November 2014 – L 4 R 4797/13 – nicht veröffentlicht). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf noch vorhandenes Restleistungsvermögen nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten.
Dies ist nicht der Fall. Zwar liegen bei dem Kläger die aufgezeigten qualitativen Leistungseinschränkungen vor, diese sind jedoch nicht als ungewöhnlich zu bezeichnen. Darin ist weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu sehen. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Hierzu können – unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände – beispielsweise Einäugigkeit, Einarmigkeit und Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 – B 5 R 68/11 R – juris, Rn. 28 m.w.N.). Keine dieser Fallkonstellationen ist bei dem Kläger vorhanden. Insbesondere sind keine betriebsunüblichen Pausen erforderlich. Der Sachverständige Prof. Dr. Ke. konnte hierfür keine für den Senat nachvollziehbare Begründung anführen, warum zusätzliche Pausen erforderlich sein sollen, zumal eine Leistungsminderung infolge der Nierenerkrankung des Klägers gerade nicht beschrieben wird. Aus psychiatrischer Sicht hat die Begutachtung durch Dr. He. ein intaktes Durchhaltevermögen ergeben.
(5) Auch die Wegefähigkeit des Klägers ist gegeben. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit eines Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle in zumutbarer Zeit aufsuchen zu können. Das BSG hat dieses Vermögen nur dann für gegeben erachtet, wenn es dem Versicherten möglich ist, Entfernungen von über 500 Metern zu Fuß zurückzulegen, weil davon auszugehen ist, dass derartige Wegstrecken üblicherweise erforderlich sind, um Arbeitsstellen oder Haltestellen eines öffentlichen Verkehrsmittels zu erreichen (zum Ganzen z.B. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1991 – 13/5 RJ 73/90 – juris, Rn. 16 ff.; Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 21/10 R – juris, Rn. 21 f.; Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 79/11 R – juris, Rn. 19 f.). Der Kläger ist in der Lage, eine Gehstrecke von 500 Metern viermal in weniger als 20 Minuten täglich zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Aus den ärztlichen Äußerungen ergeben sich keine Befunde, die für eine unter den genannten Maßstäben eingeschränkte Gehfähigkeit des Klägers sprechen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.
4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Im Streit steht die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab 1. Juni 2014.
Der am 1968 in der Türkei geborene Kläger lebt seit 1993 in der Bundesrepublik Deutschland. Er ist gelernter Maler und Lackierer. Bis zu einer Nierenerkrankung arbeitete er in seinem Beruf, danach als Montagearbeiter. Seit September 2002 war er arbeitsunfähig erkrankt. Wegen seiner Nierenerkrankung, die im August 2004 zur Nierentransplantation führte, bezog der Kläger vom 1. April 2003 bis 31. Dezember 2007 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Der Antrag des Klägers auf Weitergewährung wurde abgelehnt (Bescheid vom 2. Januar 2008). Ein erneuter Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente vom 2. Februar 2010 wurde mit Bescheid vom 1. Juni 2010 und Widerspruchsbescheid vom 30. August 2010 abgelehnt. Von 2008 bis 2010 war der Kläger als Imbissbetreiber selbständig tätig. Vom 1. Oktober 2010 bis 31. August 2011 war er als Fahrer bei einer Spedition sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Seither ist der Kläger arbeitsunfähig bzw. arbeitslos. Es ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 70 seit Mai 2007 anerkannt.
Vom 9. Januar bis 20. Februar 2013 befand er sich zur stationären Rehabilitation in der Rehaklinik K ... Im Entlassungsbericht vom 1. März 2013 nannte Dr. St. die Diagnosen Zustand nach Nierentransplantation, depressive Episode, Anpassungsstörungen, generalisierte Angststörung und Schmerzsyndrom bei Verdacht auf somatoforme Störung. Der Kläger wurde als arbeitsunfähig wegen eines interkurrenten Infekts entlassen. Die Leistungsfähigkeit sei aufgrund der ängstlichen und depressiven Symptomatik derzeit noch eingeschränkt. Aufgrund der Schmerzsymptomatik sollten unübliche kürzere Pausen möglich sein. Die aktuelle Leistungsfähigkeit sei auf bis zu fünf Stunden für leichte bis intermittierend kurzzeitiger körperlicher Arbeitsschwere begrenzt. Durch die Weiterführung der psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung sei kurz- bis mittelfristig von erneuter Leistungsfähigkeit auszugehen.
Vom 12. März bis 9. April 2014 absolvierte der Kläger eine weitere Rehabilitationsmaßnahme in B. S ... Im Entlassungsbericht vom 16. April 2014 nannte Privatdozent Dr. D. die Diagnosen rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradig mit psychischen Symptomen, generalisierte Angststörung, arterielle Hypertonie, Zustand nach Nierentransplantation und degenerative Wirbelsäulenbeschwerden. Der Kläger wurde wegen der Distorsion des rechten oberen Sprunggelenkes und der noch bestehenden depressiven Restsymptomatik als arbeitsunfähig entlassen. Die multimodale Behandlung (psychisch, orthopädisch, schmerztherapeutisch) sei noch nicht ausgeschöpft. Eine intensivierte Behandlung in diesen Bereichen werde empfohlen. Unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen könne der Kläger noch leichte körperliche Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden und mehr ausüben.
Am 12. Mai 2014 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Er halte sich wegen seiner Nierenerkrankung, psychischer Erkrankungen, Rückenbeschwerden, Schulterbeschwerden, Augenproblemen und Warzen an den Füßen und Händen seit Oktober 2010 für erwerbsgemindert.
Die Beklagte ließ den Kläger daraufhin durch Internisten und Sozialmediziner Dr. Me. begutachten. Im Gutachten vom 30. September 2014 werden die folgenden Diagnosen aufgeführt: ängstlich-depressive Anpassungsstörung nach Nierentransplantation, somatoforme Beschwerdezuflüsse möglich, chronisches Nierenversagen (Erstdiagnose 1996, ab 2003 Dialyse), Nierentransplantation mit gutem Erfolg, Hypertonie, Fehlhaltung und degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Cervikal- und Lumbalbeschwerden ohne neuromuskuläres Defizit, Kniegelenksarthrose links, Schultereckgelenksarthrose rechts, Gicht, beginnender Diabetes mellitus und Glaukom. Im Vordergrund stünden psychische Beeinträchtigungen infolge der chronischen Nierenerkrankung. Bei der jetzigen Untersuchung hätten sich aber keine schwerwiegenden psychischen Beeinträchtigungen, die das Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt quantitativ einschränken würden, gezeigt. Für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten überwiegend im Sitzen, ohne Nachtschicht, Bücken, Heben und Tragen von Lasten, Exposition von Kälte, Nässe und Zugluft sei der Kläger noch mehr als sechs Stunden am Tag leistungsfähig.
Mit Bescheid vom 4. November 2014 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab. Nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen sei der Kläger noch in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu arbeiten. Die Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente seien damit nicht erfüllt.
Hiergegen legte der Kläger am 25. November 2014 Widerspruch unter Vorlage eines Arztbriefes des Privatdozent Dr. Sc., Zentrums für Innere Medizin des Universitätsklinikums U. vom 15. Dezember 2014 ein und wies zur Begründung darauf hin, dass er noch unter weiteren Erkrankungen leide (Augen, Warzen, Rückenbeschwerden, Herz). Nach Einholung einer sozialmedizinischen Stellungnahme des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. Ho. vom 9. Februar 2015, wonach keine neuen medizinischen Befunde vorlägen, wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 3. März 2015 zurück.
Am 2. April 2015 erhob der Kläger beim Sozialgericht Ulm (SG) Klage und trug zur Begründung vor, er sehe sich aufgrund seiner psychischen Verfassung und der körperlichen Beeinträchtigungen nicht in der Lage, einer geregelten Erwerbstätigkeit nachzugehen. Er leide seit fünf Jahren unter ständig wiederkehrenden depressiven Störungen, die zu gedrückter Stimmung, Freudlosigkeit, Interessenverlust, Antriebsminderung/-hemmung, erhöhter Ermüdbarkeit/Tagesschläfrigkeit, Hoffnungslosigkeit/Verzweiflung, Einsamkeit/sozialem Rückzug, lebensmüden Gedanken, Ein- und Durchschlafstörungen, Früherwachen, plötzlichen Panikattacken sowie ständigen Befürchtungen/Ängstlichkeit und Furcht, den sicheren Ort zu verlassen, führten. Er sei nicht konzentrationsfähig und insgesamt nicht belastbar. Ein nervenfachärztliches und ein nephrologisches Gutachten seien einzuholen. Er legte einen aktuellen Befundbericht des Orthopäden Dr. U. vom 21. Juli 2015 und des Radiologen Dr. Pa. vom 14. Juli 2015 vor.
Die Beklagte trat der Klage entgegen.
Das SG forderte bei dem den Kläger behandelnden Nephrologen Dr. Sc. einen aktuellen Befundbericht an. Dieser übersandte seinen Arztbrief vom 13. Mai 2015 (Zustand nach Nierentransplantation, chronische Transplantatdysfunktion ohne Proteinurie).
Mit Gerichtsbescheid vom 4. September 2015 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, dem Kläger stünde keine Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung zu. Es bestünden Erkrankungen auf psychiatrischem, orthopädischem und internistischem Fachgebiet. Trotz der Erkrankungen sei der Kläger für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden leistungsfähig. Den Beeinträchtigungen werde durch qualitative Einschränkungen ausreichend Rechnung getragen. Es folge dem Gutachten von Dr. Me ... Bei der Untersuchung sei der Kläger schwingungsfähig gewesen. Es hätten sich keine Antriebsminderung und keine Affektlabilität gezeigt. Die affektive Schwingungsbreite sei erhalten gewesen. Die Wirkstoffe der angegebenen Medikamente seien im Blut nicht nachweisbar gewesen. Der Kläger befinde sich außerdem nicht in psychiatrischer oder psychotherapeutischer Behandlung. Ohne adäquate Behandlung könne bei psychischen Erkrankungen nicht auf eine dauerhafte Leistungsminderung geschlossen werden. Auf internistischem Fachgebiet habe die Untersuchung bei Dr. Me. einen nur leicht erhöhten Kreatinin-Wert ergeben. Die Hypertonie sei gut eingestellt. Der beginnende Diabetes mellitus müsse noch nicht medikamentös behandelt werden. Auch dem Befundbericht von Dr. Sc. vom 13. Mai 2015 sei ein nur leicht erhöhter Kreatinin-Wert zu entnehmen. Auch den orthopädischen Beeinträchtigungen könne hinreichend durch qualitative Einschränkungen Rechnung getragen werden. Auch insoweit folge es dem Gutachten von Dr. Me ... Bandscheibenprotrusionen seien in mehreren Etagen der Lendenwirbelsäule nachgewiesen. Die Beweglichkeit der Wirbelsäule sei aber gut erhalten. Es bestünde kein neuromuskuläres Defizit. Der Reflexstatus sei seitengleich erhalten. An den Kniegelenken bestünde eine schmerzhafte Kniegelenksarthrose mit Knorpelschäden und eine Bewegungseinschränkung. Schulterbeschwerden mit einer Bewegungseinschränkung ergäben sich aus dem Befundbericht von Dr. U. vom 21. Juli 2015. Den Beeinträchtigungen könne aber durch qualitative Einschränkungen für häufiges Bücken, Heben und Tragen von Lasten und Überkopfarbeiten ausreichend Rechnung getragen werden.
Gegen den ihm am 11. September 2015 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 6. Oktober 2015 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung ausgeführt, das SG nehme unzutreffend an, er befinde sich nicht in psychiatrischer oder psychotherapeutischer Behandlung. Das SG habe die Berichte der Neurologin Dr. Be. nicht berücksichtigt. Er sei dort regelmäßig in neurologischer Behandlung gewesen. Auch wenn im Zeitpunkt der Entscheidung des SG keine fachärztliche Behandlung durch einen Psychiater mehr erfolgt sei, so sei er dennoch auf eine Überwachung seines psychischen Zustandes angewiesen, was über die nephrologische Abteilung des Universitätsklinikums U. erfolge. Hier stelle er sich alle zwei bis drei Monate vor und erhalte Verschreibungen der notwendigen Medikamente. Die Einschätzung des Leistungsvermögens durch Dr. Me. erscheine im Hinblick auf den Arztbrief des Privatdozent Dr. Sc. vom 13. Mai 2015 fragwürdig. Er legte Arztbriefe von Dr. Be. vom 26. Mai 2014 (Diagnose: antriebsarm-depressives Syndrom), der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. Mi. vom 17. September 2015 (Diagnose: Angst und depressive Störung, gemischt), von Prof. Dr. Sp., Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums U. vom 25. Februar 2016 (Diagnose: Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome), von Dr. v. E., Nephrologe der Klinik für Innere Medizin des Universitätsklinikums U. vom 20. Oktober 2016 (Diagnose: Z.n. lebend-Nierentransplantation 2005, aktuell Kreatinin 148 µmol/l, keine Proteinurin) und des Orthopäden Dr. Ha. vom 18. November 2016 (Diagnose: Gicht, Spinalkanalstenose Halswirbelsäule, Verdacht auf Sulcus-ulnaris-Syndrom beidseitig, Klinik-Plattfußes beidseitig), ein Attest vom 15. August 2015 und eine Stellungnahme vom 24. April 2016 des Facharztes für Allgemeinmedizin Em. (wegen Multimorbidität auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr als drei Stunden täglich leistungsfähig) sowie ein Attest des Psychotherapeuten Dr. Gr. vom 2. Oktober 2015 (Diagnose: Anpassungsstörungen und schwere depressive Episode im Rahmen einer rezidivierenden depressiven Störung) vor.
Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 4. September 2015 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 4. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. März 2015 zu verurteilen, ihm eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. Juni 2014 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Berufung entgegengetreten und hat zur Begründung Stellungnahmen ihres ärztlichen Dienstes vorgelegt (vom 7. Dezember 2015 und 22. August 2016). Dr. Sch. führt darin im Wesentlichen aus, den Ausführungen von Prof. Dr. Ke. im Gutachten vom 25. Juli 2016 (dazu unten) könne nicht gefolgt werden. Sie bestünden überwiegend aus sozialkulturellen Ausführungen mit dem Versuch, hieraus auf eine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens zu schließen. Die Berücksichtigung der depressiven Störung erfolge von fachfremder Seite. Die Notwendigkeit von zusätzlichen betriebsunüblichen Pausen habe der Sachverständige auf nephrologischem Fachgebiet nicht ausreichend begründen können.
Mit Bescheid vom 15. März 2016 hat die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg dem Kläger eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme bewilligt. Die Bewilligung hat die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg mit Bescheid vom 27. Mai 2016 widerrufen, nachdem der Chefarzt der Rehabilitationsklinik zu dem Ergebnis gelangt ist, dass eine Aufnahme des Klägers erst möglich sei, wenn die Empfehlungen der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie II des Universitätsklinikums U. umgesetzt worden seien (u.a. kardiovaskuläre Diagnostik, internistische Vorstellung zur Blutzuckerkontrolle).
Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat ein Sachverständigengutachten bei Prof. Dr. Ke., Klinik für Innere Medizin I des Universitätsklinikums U., eingeholt. Im Gutachten vom 25. Juli 2016 wird unter Diagnosen aufgeführt: terminale Niereninsuffizienz seit 2003, nierenbioptisch 1996 Glomerulopathie Typ Dünne Basalmembran, zusätzlich Tubulus-Atrophie und interstitielle Fibrose, Nierentransplantation 2005 mit Nierenlebendspende von Cousin, Z.n. dreimaliger Abstoßungsbehandlung, aber transplantatbioptisch 2012 nur chronische Kalzineurinhemmer-Toxizität – kein Anhalt für Abstoßung, zunehmende depressive Störung, deshalb stationärer Aufenthalt zuletzt im Februar 2016. Das Verhalten des Klägers sei sicherlich auch aus seiner kulturellen Herkunft zu deuten. Gerecht werde man den unterschiedlichen Kulturen durch gegenseitigen Respekt. Der Kampf des Klägers um Anerkennung werde so lange weiter gehen bis Geld fließe. Eine Teilerwerbsminderungsrente wäre ein guter Kompromiss. Im Vordergrund stünden derzeit eigentlich die psychischen Probleme. Die rentenrelevanten Diagnosen seien die depressiven Störungen. Der Kläger sei offensichtlich nicht in der Lage sechs Stunden am Tag zu arbeiten. Formal sei er in der Lage drei Stunden am Tag zu arbeiten. Er bräuchte mindestens alle halbe Stunde eine Pause wegen Erschöpfung und Konzentrationsverlust. Prof. Dr. Ke. hat seinem Gutachten den Arztbrief des Augenarztes Dr. Eckart vom 27. April 2016 (Diagnosen: Presbyopie, Conjunktivitis subakuta beidseits, Fundus hypertonicus I, Catarakta provecta beidseits) beigefügt.
Der Senat hat ein weiteres Sachverständigengutachten von Amts wegen auf nervenfachärztlichem Fachgebiet eingeholt. Der Sachverständige Dr. He. führte im Gutachten vom 22. Mai 2017 aus, auf dem psychiatrischen Fachgebiet seien die Kriterien für das Vorliegen einer rezidivierenden depressiven Störung erfüllt, wobei sich aktuell eine mittelgradige depressive Episode zeige. Die Stimmungslage sei leicht bis mäßig gedrückt, der Antrieb leicht reduziert. Die affektive Schwingungsfähigkeit sei leicht bis mäßig reduziert. Die Kriterien für eine schwere depressive Episode seien definitiv nicht erfüllt. Eine eigenständige Angsterkrankung habe sich nicht nachweisen lassen. Kognitive Leistungseinschränkungen hätten sich nicht gezeigt. Die Auffassung, die Konzentration, das Durchhaltevermögen und das Gedächtnis seien intakt. Qualitativ seien Akkordarbeit, Nachtarbeit und Arbeiten unter besonderem Zeitdruck, Arbeiten mit besonders hohen Ansprüchen an Auffassung und Konzentration sowie mit besonders hoher Verantwortung und besonders hoher geistiger Beanspruchung zu vermeiden. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen sei der Kläger in der Lage sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche zu arbeiten. Besondere Arbeitsbedingungen seien nicht erforderlich.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des SG sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die nach § 151 Abs. 1 und 2 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist auch sonst zulässig. Insbesondere bedurfte sie nicht der Zulassung, da der Kläger laufende Leistungen für mehr als ein Jahr begehrt (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
2. Die Berufung ist aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 4. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. März 2015 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. Juni 2014 (vgl. § 99 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VI]).
a) Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 1. Januar 2008 geändert durch Artikel 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
b) Ausgehend davon kann der Kläger eine Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB VI nicht beanspruchen.
(1) Der Kläger leidet an einem Zustand nach Nierentransplantation, zuletzt ohne Anhalt für eine Abstoßungsreaktion (Arztbrief des Dr. v. E. vom 20. Oktober 2016), einer rezidivierenden depressiven Störung, zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. He. mittelgradige depressive Episode, Hypertonie, Fehlhaltung und degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Cervikal- und Lumbalbeschwerden ohne neurologisches Defizit, Kniegelenksarthrose links, Schultereckgelenksarthrose rechts, Gicht, Knick-Plattfuß beidseitig, beginnender Diabetes mellitus und Katarakt mit Visus 0,4 beidseits nach optischer Korrektur (Arztbrief des Dr. Ec. vom 27. April 2016). Dies entnimmt der Senat dem Sachverständigengutachten von Dr. He., dem Gutachten im Verwaltungsverfahren von Dr. Me., das der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet, sowie den Arztbriefen der den Kläger behandelnden Ärzte.
Eine eigenständige Angsterkrankung, wie sie Privatdozent Dr. D. im Reha-Entlassungsbericht vom 16. April 2014 aufführte, liegt zur Überzeugung des Senats nicht vor. Nach den für den Senat schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen Dr. He. sind die Kriterien für eine solche Erkrankung nicht erfüllt.
Soweit Dr. Me. in seinem Gutachten die Diagnose Glaukom aufführt, ist eine solche Erkrankung nicht zur Überzeugung des Senats nachgewiesen. Aus den aktenkundigen Befundunterlagen ergibt sich eine solche Krankheit nicht. Dem Arztbrief des Dr. Ec. vom 27. April 2016 ist lediglich ein Katarakt zu entnehmen.
(2) Die festgestellten körperlichen Gesundheitsstörungen schränken das berufliche Leistungsvermögen des Klägers nur in qualitativer, nicht aber in zeitlicher Hinsicht ein.
Aus dem Gutachten von Dr. Me. sowie dem Sachverständigengutachten von Dr. He. ergeben sich Einschränkungen für Akkordarbeit, Nachtarbeit, Arbeiten unter besonderem Zeitdruck, Arbeiten mit besonders hohen Ansprüchen an Auffassung und Konzentration sowie mit besonders hoher Verantwortung und besonders hoher geistiger Beanspruchung, Arbeiten überwiegend im Stehen oder Gehen, mit Bücken, Heben und Tragen von Lasten, Exposition von Kälte, Nässe und Zugluft.
Unter Beachtung dieser qualitativen Einschränkungen ist der Kläger in der Lage, zumindest leichte Tätigkeiten im Umfang von mindestens sechs Stunden an fünf Tagen in der Woche auszuüben. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Gutachten von Dr. Me. und dem Sachverständigengutachten von Dr. He ... Bestätigt wird diese Leistungseinschätzung von Privatdozent Dr. D. im Entlassungsbericht vom 16. April 2014.
Die Erkrankung auf psychiatrischem Fachgebiet steht leichten Tätigkeiten im Umfang von sechs Stunden und mehr nicht entgegen. Dies hat der Sachverständige Dr. He. schlüssig und nachvollziehbar dargelegt. Bei der ambulanten Untersuchung zeigte sich zwar eine teils gedrückte Stimmungslage mit leicht bis mäßig reduzierter affektiver Schwingungsfähigkeit und leicht reduziertem Antrieb. Das Durchhaltevermögen, die Auffassung, die Konzentration und das Gedächtnis waren aber nicht beeinträchtigt.
Die Leistungseinschätzung von Prof. Dr. Ke., die sich im Wesentlichen auf die für ihn fachfremde Erkrankung auf psychiatrischem Fachgebiet stützt, kann vor diesem Hintergrund nicht überzeugen. Auch im Übrigen ist seine Argumentation nicht nachvollziehbar. Die angeführten sozialkulturellen Gründe genügen für die Annahme einer rentenrelevanten Leistungseinschränkung nicht.
Die Erkrankungen auf internistischem Fachgebiet begründen ebenfalls keine quantitative Leistungseinschränkung. Weder aus dem Gutachten von Dr. Me. noch aus den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Ke. ergeben sich Hinweise auf eine rentenrelevante Einschränkung der Nierenfunktion. Auch dem Arztbrief des Dr. v. E. vom 20. Oktober 2016 ist zu entnehmen, dass eine stabile Transplantatfunktion ohne Nachweis einer Proteinurie vorliegt. Die sonstigen Erkrankungen auf internistischem Fachgebiet führen ebenfalls nicht zu einem Rentenanspruch. Die Gichtbeschwerden und die Hypertonie werden medikamentös behandelt, wobei sich der Blutdruck mit der derzeitigen Medikation im Zielwert befindet (Arztbrief des Dr. v. E. vom 20. Oktober 2016).
Den Erkrankungen des Klägers auf orthopädischem Fachgebiet kann mit den genannten qualitativen Leistungseinschränkungen hinreichend begegnet werden. Die Wirbelsäulenbeschwerden gehen nicht mit neurologischen Defiziten einher, wie sich bei der Begutachtung durch den Sachverständigen Dr. He. am 20. Mai 2017 gezeigt hat. Der Senat sah vor diesem Hintergrund keine Veranlassung, aufgrund der im Arztbrief des Dr. Ha. vom 18. November 2016 genannten Spinalkanalstenose der Halswirbelsäule weitere Ermittlungen von Amts wegen einzuleiten.
Der augenärztlich festgestellte Visus von 0,4 beidseits bei Katarakt steht einem über sechsstündigen Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht entgegen. Insoweit folgt der Senat den schlüssigen Ausführungen von Dr. Sch. vom ärztlichen Dienst der Beklagten vom 22. August 2016.
(3) Ob dem Kläger ein Arbeitsplatz vermittelt werden kann oder nicht, ist für den geltend gemachten Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht erheblich. Die jeweilige Arbeitsmarktlage ist nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Maßgebend ist, ob der Kläger mit dem ihm verbliebenen Restleistungsvermögen – wenn auch mit qualitativen Einschränkungen – in der Lage ist, zumindest körperlich leichte Tätigkeiten arbeitstäglich für mindestens sechs Stunden zu verrichten, er also in diesem zeitlichen Umfang unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig sein kann, wovon im Regelfall ausgegangen werden kann (vgl. z. B. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 13 R 78/09 R – juris, Rn. 31). Dies bejaht der Senat wie zuvor dargelegt.
(4) Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung lagen nicht vor. In einem solchen Fall kann der Arbeitsmarkt selbst bei einem noch vorhandenen sechsstündigen Leistungsvermögen ausnahmsweise als verschlossen gelten (siehe – auch zum Folgenden – etwa Urteil des Senats vom 21. November 2014 – L 4 R 4797/13 – nicht veröffentlicht). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf noch vorhandenes Restleistungsvermögen nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten.
Dies ist nicht der Fall. Zwar liegen bei dem Kläger die aufgezeigten qualitativen Leistungseinschränkungen vor, diese sind jedoch nicht als ungewöhnlich zu bezeichnen. Darin ist weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu sehen. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Hierzu können – unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände – beispielsweise Einäugigkeit, Einarmigkeit und Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 – B 5 R 68/11 R – juris, Rn. 28 m.w.N.). Keine dieser Fallkonstellationen ist bei dem Kläger vorhanden. Insbesondere sind keine betriebsunüblichen Pausen erforderlich. Der Sachverständige Prof. Dr. Ke. konnte hierfür keine für den Senat nachvollziehbare Begründung anführen, warum zusätzliche Pausen erforderlich sein sollen, zumal eine Leistungsminderung infolge der Nierenerkrankung des Klägers gerade nicht beschrieben wird. Aus psychiatrischer Sicht hat die Begutachtung durch Dr. He. ein intaktes Durchhaltevermögen ergeben.
(5) Auch die Wegefähigkeit des Klägers ist gegeben. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit eines Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle in zumutbarer Zeit aufsuchen zu können. Das BSG hat dieses Vermögen nur dann für gegeben erachtet, wenn es dem Versicherten möglich ist, Entfernungen von über 500 Metern zu Fuß zurückzulegen, weil davon auszugehen ist, dass derartige Wegstrecken üblicherweise erforderlich sind, um Arbeitsstellen oder Haltestellen eines öffentlichen Verkehrsmittels zu erreichen (zum Ganzen z.B. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1991 – 13/5 RJ 73/90 – juris, Rn. 16 ff.; Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 21/10 R – juris, Rn. 21 f.; Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 79/11 R – juris, Rn. 19 f.). Der Kläger ist in der Lage, eine Gehstrecke von 500 Metern viermal in weniger als 20 Minuten täglich zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Aus den ärztlichen Äußerungen ergeben sich keine Befunde, die für eine unter den genannten Maßstäben eingeschränkte Gehfähigkeit des Klägers sprechen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.
4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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BWB
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