S 16 KA 588/16

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
16
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 16 KA 588/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 58/17
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Weder die individuelle Beratung nach § 106 Abs. 5e Satz I SGB V noch ihre schriftliche Zusammenfassung stellen einen Verwaltungsakt im Sinne des § 3l SGB X dar. Es handelt sich stattdessen um Realakte.

Der Rechtssatz des § 106 Abs. 5e Satz 1 SGB V dient hinsichtlich der Art und Weise der Durchführung einer individuellen Beratung dem öffentlichen Interesse und nicht dem Schutz von Individualinteressen. Die Vorschrift räumt dem betroffenen Vertragsarzt nach der sog. Schutznormtheorie keinen subjektiv öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Durchführung der Beratung in einer bestimmten Art und Weise ein.
Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Art und Weise einer individuellen Beratung wegen Überschreitung der Richtgröße für Heilmittelverordnungen des Jahres 2010.

Der Kläger ist seit April 2009 als Chirurg mit dem Schwerpunkt Gefäßchirurgie in A-Stadt niedergelassen und nimmt an der vertragsärztlichen Versorgung teil.

Im Rahmen eines entsprechenden Verwaltungsverfahrens hatte die Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen in Hessen (im Folgenden: Prüfungsstelle) mit Bescheid vom 03.12.2012 aufgrund der Überschreitung der Richtgröße Heilmittel im Jahr 2010 gegenüber dem Kläger eine individuelle Beratung festgesetzt. Den entsprechenden Widerspruch des Klägers hatte der Beklagte mit Bescheid vom 13.02.2014 aufgrund des Beschlusses vom 18.09.2013 zurückgewiesen. Hiergegen hatte der Kläger am 07.03.2014 Klage beim Sozialgericht Marburg erhoben. Die Klage (S 16 KA 121/14) wies das Gericht in der mündlichen Verhandlung am 21.06.2017, in derselben mündlichen Verhandlung wie der der vorliegenden Sache, zurück.

Die Prüfungsstelle hatte mit dem Kläger einen Termin zur individuellen Beratung am 11.11.2014 um 9:00 Uhr vereinbart. Nachdem der Kläger telefonisch am 30.10.2014 mitgeteilt hatte, dass er diesen Termin aus familiären Gründen unmöglich werde wahrnehmen können, vereinbarte die Prüfungsstelle mit ihm einen neuen Termin, nämlich den 25.11.2014 um 9:00 Uhr. Die individuelle Beratung wurde dann zum genannten Termin von Frau C., einer Mitarbeiterin der Prüfungsstelle mit der Qualifikation als Physiotherapeutin, gegenüber dem Kläger in Anwesenheit seiner Bevollmächtigten durchgeführt. Der Kläger bestätigte die Durchführung auf einem entsprechenden Vordruck der Prüfungsstelle (Bl. 277 der Verwaltungsakte).

Unter dem Datum des 11.12.2014 erhielt der Kläger eine schriftliche Zusammenfassung der individuellen Beratung (Bl. 278-279 der Verwaltungsakte). Dieses 21-seitige Dokument gliedert sich in folgende Teile: A. Eine Zusammenfassung der besprochenen und im Dokument so bezeichneten allgemeinen Themen, B. Eine Wiedergabe der statistischen Ausgangslage, C. Eine Zusammenfassung der besprochenen und im Dokument so bezeichneten speziellen Themen und schließlich eine Zusammenfassung der Empfehlungen der Prüfungsstelle.

Gegen diese schriftliche Zusammenfassung legte der Kläger durch seine Bevollmächtigte am 18.11.2015 Widerspruch ein (Bl. 329 der Verwaltungsakte). Zu dessen Begründung ließ er vortragen:

Bei der individuellen Beratung handele es sich nicht um einen reinen Realakt, sondern einen Verwaltungsakt, gegen den ein Widerspruch zulässig sei, was näher ausgeführt wurde.

Der Widerspruch richte sich gegen die inhaltliche Unrichtigkeit der Beratung. Die individuelle Beratung sei durch Frau C. durchgeführt worden. Frau C. sei Physiotherapeutin. Streitgegenständlich im Rahmen der individuellen Beratung sei jedoch insbesondere die Frage der medizinischen Indikation der vom Kläger ausgestellten Verordnung und Verordnungsdauer in Bezug auf die manuelle Lymphdrainage in Verbindung mit der anschließenden Kompressionsbandagierung sowie der Verordnung als Teil der komplexen physikalischen Entstauungstherapie gewesen. Hierbei ging es insbesondere in jedem einzelnen Punkt um die medizinische Indikation der Verordnung. Es werde beanstandet, dass insbesondere angesichts der besonderen Spezialisierung des Klägers im Bereich der Gefäßchirurgie die individuelle Beratung nicht durch einen Fachkollegen, der ebenfalls in diesem Schwerpunkt tätig ist, durchgeführt worden sei, sondern durch eine Physiotherapeutin.

Diese sei allein von ihrer beruflichen Ausbildung überhaupt nicht in der Lage, zur medizinischen Indikation verbindliche Aussagen zu treffen. Es sei gerade nicht Aufgabe des Physiotherapeuten über die medizinische Indikation der entsprechenden Maßnahmen zu entscheiden. Vielmehr sei dies originäre Aufgabe des Arztes. Nur dieser sei in der Lage und aufgrund seiner Qualifikation berechtigt, die medizinische Indikation für die Verordnung von manuellen Lymphdrainagen zu treffen.

Es fehle im vorliegenden Fall deshalb an einer wirksamen individuellen Beratung, die irgendeine Rechtswirkung gegenüber dem Kläger entfalten könne.

Überdies sei die durchgeführte individuelle Beratung im Wesentlichen durch die Wiedergabe der Heilmittelrichtlinien und allgemeine Aussagen zur generellen Verordnungsfähigkeit der hier interessierenden Maßnahmen geprägt gewesen. Sodann sei ein statistischer Vergleich in Bezug auf die hohe Verordnungsdichte und das hohe Verordnungsaufkommen beim Kläger erfolgt. Dies aber könne nicht Inhalt einer individuellen Beratung seien. Die Auffälligkeit im Vergleich zur Vergleichsgruppe sei bereits im Richtgrößenprüfungsverfahren Gegenstand des Verfahrens gewesen. Inhalte der individuellen Beratung könne nur die Überprüfung und medizinische Diskussion im Hinblick auf die individuelle medizinische Indikation der verordneten Maßnahmen beinhalten. Dies aber habe schon deshalb nicht stattfinden können, weil die beratende Person eine Physiotherapeutin war. Konkrete individuelle Beratungsinhalte habe es nicht gegeben.

Schließlich beinhalte auch die auf Seite 20 angegebene Zusammenfassung nur allgemeine Aussagen zur Verordnung. Eine individuelle Auseinandersetzung mit dem Tätigkeitsschwerpunkt des Klägers und seinen Verordnungen hätten gerade nicht stattgefunden.

Auch die Feststellung, dass die MLD-Ganzbehandlung nur in Ausnahmefällen erfolgen sollte und dass in der Regel eine MLD-45 ausreichend sei, schließe die Prüfungsstelle allein aus dem hohen Verordnungsverhalten des Klägers. Die medizinische Indikation, die Notwendigkeit dieser Verordnung sei in keinster Weise angesprochen oder diskutiert worden. Dies aber müsse Inhalt einer individuellen Beratung seien. Anhand von statistischen Auffälligkeiten könne eine solche nicht erfolgen.

Auch die Anmerkung, die Notwendigkeit der Anordnung von Hausbesuchen solle kritisch überprüft werden, gehe völlig an der Sache vorbei. Wenn aus medizinischer Sicht der Hausbesuch medizinisch indiziert sei, weil die Patientin nicht in der Lage sei, die Praxis bzw. Physiotherapiepraxis aufzusuchen, sei zwingend ein Hausbesuch anzuordnen. Dies habe nichts mit einem Rezeptwert oder einer Steigerung des Rezeptwerts oder besonders hohen Ausgaben zu tun. Es sei schließlich und allein danach zu fragen, ob eine medizinische Notwendigkeit bestehe. Sei diese gegeben, müsse zwingend auch ein Hausbesuch verordnet werden. Auch dieser Punkt zeige, dass die Beratung sich rein mit den statistischen Auffälligkeiten befasst und überhaupt nicht die medizinische Indikation in diesen Punkten hinterfragt und diskutiert habe.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit seinem Beschluss vom 11.05.2016 (vergleiche zur Niederschrift Bl. 334 der Verwaltungsakte) als unzulässig zurück. Im zugehörigen Bescheid vom 15.09.2016 (Bl. 339 der Verwaltungsakte) begründete er seine Entscheidung damit, dass es sich bei der individuellen Beratung nicht um einen Verwaltungsakt handele. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass an eine individuelle Beratung keine überspitzen Anforderungen gestellt werden dürften, so dass auch die inhaltlichen Beanstandungen nicht durchgriffen.

Hiergegen hat der Kläger am 17.10.2016 Klage erhoben.

Er vertritt die Rechtsauffassung, dass es sich bei der individuellen Beratung um einen Verwaltungsakt handelt. Mit der Übertragung der Verantwortung für die Information und Beratung der Vertragsärzte über Fragen der Wirtschaftlichkeit und Qualität der verordneten Leistungen auf die Prüfgremien habe der Gesetzgeber die Vorstellung verbunden, erhebliche Wirtschaftlichkeitspotenziale zu aktivieren und die Versorgungsqualität zu verbessern. Ziel der Beratung sei es, eine Verhaltensänderung herbeizuführen. Allerdings bestehe bei dem Kläger ein Schwerpunkt in der Gefäßchirurgie, woraus die Verordnung der manuellen Lymphdrainage resultiere. Diese seien auch medizinisch notwendig. Einsparpotenziale würden seitens des Klägers nicht gesehen. Sinngemäß wiederholt er seine Kritik aus dem Verwaltungsverfahren, insbesondere zur Qualifikation der Beraterin.

Der Kläger beantragt,
die schriftliche Zusammenfassung der individuellen Beratung nach § 106 Abs. 5 S. 1 SGB V betreffend die Richtgrößenprüfung Heilmittel 2010 in Gestalt des Bescheid des Beschwerdeausschusses der Ärzte- und Krankenkassen in Hessen vom 15.09.2016 (Beschluss vom 11.05.2016) aufzuheben,
hilfsweise,
den Beklagten zu verurteilen, eine ordnungsgemäße individuelle Beratung nach § 106 Abs. 5e S. 1 SGB V in der Fassung vom 19.10.2012, gültig vom 26.10.2012 bis 31.12.2016, unter Bewertung therapeutischer Alternativen (Arzneimittel, Heilmittel, Operationen) durch das Prüfgremium unter Hinzuziehung eines Facharztes für Gefäßchirurgie zu erteilen,
hilfsweise,
eine solche durch einen Arzt zu erteilen.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Er hält an der Auffassung fest, dass es sich bei der individuellen Beratung um einen Realakt handele.

Das Gericht hat die Verwaltungsakte des Beklagten beigezogen. Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den Inhalt der Behördenvorgänge sowie der Gerichtsakten. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat gem. § 12 Abs. 3 Satz 1 SGG in der Besetzung mit je einem Vertreter der Vertragsärzte und Psychotherapeuten sowie der Krankenkassen verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts handelt. Die Entscheidung konnte trotz des Ausbleibens eines Vertreters der Beigeladenen zu 1) bis 7) ergehen, weil diese ordnungsgemäß geladen und gem. § 110 Abs. 1 SGG auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind.

Die Anfechtungsklage ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet. Die hilfsweise erhobenen Leistungsklagen sind zulässig, aber unbegründet.

Die Anfechtungsklage, die der Kläger mit seinem Hauptantrag verfolgt, ist zulässig, soweit sie sich gegen den Bescheid des Beklagten vom 15.09.2016 auf seinen Beschluss vom 11.05.2016 richtet. Sie ist indes unzulässig, soweit sie sich gegen die schriftliche Zusammenfassung der individuellen Beratung nach § 106 Abs. 5 S. 1 SGB V betreffend die Richtgrößenprüfung Heilmittel 2010 richtet.

Gem. § 54 Abs. 1 SGG kann durch Klage die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

Die schriftliche Zusammenfassung der individuellen Beratung stellt aber keinen Verwaltungsakt dar.

Nach § 31 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist.

Eine Regelung zielt allgemein ab auf die Begründung rechtlicher Verpflichtungen, entweder zu Lasten der Behörde oder zu Lasten des Bürgers. Dies ist der Fall, wenn Rechte begründet, abgelehnt, aufgehoben, festgestellt oder geändert werden oder wenn dies (jeweils) abgelehnt wird (vgl. statt vieler Luthe in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 31 SGB X, Rn. 40). Zweifellos handelt es sich deshalb bei der Festsetzung einer individuellen Beratung um einen Verwaltungsakt (vgl. dazu auch SG Marburg, Beschluss vom 16.12.2013, S 12 KA 565/13 ER), so der Fall bei dem im Tatbestand genannten Bescheid des Beklagten vom 13.02.2014 aufgrund des Beschlusses vom 18.09.2013.

Der gegenüber dem Kläger durchgeführten individuellen Beratung fehlt es aber, ebenso wie der nachgeschobenen schriftlichen Zusammenfassung, jedenfalls an dem für einen Verwaltungsakt erforderlichen Regelungscharakter. Hierbei handelt es sich deshalb um einen Realakt. Um einen solche handelt es sich z.B. bei einer Mitteilung, einer Aufklärung, vgl. § 13 SGB I, einer Beratung, vgl. § 14 SGB I, oder einer Auskunft, vgl. § 15 SGB I (siehe statt vieler: KassKomm/Mutschler, 93. EL März 2017, SGB X § 31 Rn. 15, vgl. zur Einordnung einer Auskunftserteilung als Realakt auch SG Marburg, Urteil vom 18.04.2012, S 12 KA 488/10). Auch im Rahmen der individuellen Beratung selbst werden lediglich Informationen weitergegeben bzw. Wissen vermittelt.

Diese Überzeugung der Kammer wird gestützt durch die der individuellen Beratung zugehörigen Rechtsvorschriften.

Rechtsgrundlage für die Beratung ist § 106 SGB V, bezogen auf den vorliegenden Fall vornehmlich in der Fassung vom 17.07.2009, gültig vom 23.07.2009 bis 31.12.2010, ergänzend aber Abs. 5e in der Fassung vom 19.10.2012, gültig vom 26.10.2012 bis 31.12.2016, sowie § 24 der Prüfvereinbarung vom 12.06.2008 für die Zeit ab dem 01.01.2008 i.V.m. der dortigen Anlage 6.

Nach § 106 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der genannten Fassung überwachen die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung durch Beratungen und Prüfungen.

Diese Vorschrift steht spiegelbildlich dem Wirtschaftlichkeitsgebot aus § 12 Abs. 1 SGB V gegenüber. Demnach müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte hingegen nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.

Nach § 106 Abs. 1a) SGB V in der genannten Fassung berät die Prüfungsstelle in erforderlichen Fällen die Vertragsärzte auf der Grundlage von Übersichten über die von ihnen im Zeitraum eines Jahres oder in einem kürzeren Zeitraum erbrachten, verordneten oder veranlassten Leistungen über Fragen der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Versorgung. Die in Abs. 2 Satz 4 genannten Vertragspartner (nämlich die Landesverbände der Krankenkassen, die Ersatzkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen) vereinbaren nach Abs. 3 Satz 1 Inhalt und Durchführung der Beratung nach Absatz 1a und der Prüfung der Wirtschaftlichkeit nach Absatz 2 gemeinsam und einheitlich; die Richtlinien nach Absatz 2b sind Inhalt der Vereinbarungen. Nach Abs. 5 entscheidet die Prüfungsstelle im Rahmen der Verfahren, ob der Vertragsarzt, der ermächtigte Arzt oder die ermächtigte Einrichtung gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat und welche Maßnahmen zu treffen sind. Dabei sollen gezielte Beratungen weiteren Maßnahmen in der Regel vorangehen.

Speziell für Richtgrößenverfahren gilt nach Abs. 5a), dass Beratungen nach Absatz 1a bei Überschreitung der Richtgrößenvolumen durchgeführt werden, wenn das Verordnungsvolumen eines Arztes in einem Kalenderjahr das Richtgrößenvolumen um mehr als 15 vom Hundert übersteigt und auf Grund der vorliegenden Daten die Prüfungsstelle nicht davon ausgeht, dass die Überschreitung in vollem Umfang durch Praxisbesonderheiten begründet ist (Vorab-Prüfung). Bei einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 vom Hundert hat der Vertragsarzt nach Feststellung durch die Prüfungsstelle den sich daraus ergebenden Mehraufwand den Krankenkassen zu erstatten, soweit dieser nicht durch Praxisbesonderheiten begründet ist. Abweichend hiervon erfolgt allerdings nach Abs. 5e) in der oben genannten abweichenden Fassung bei einer erstmaligen Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 Prozent eine individuelle Beratung nach Absatz 5a Satz 1. Ein Erstattungsbetrag kann bei künftiger Überschreitung erstmals für den Prüfzeitraum nach der Beratung festgesetzt werden. Dies gilt entsprechend, wenn ein Vertragsarzt die ihm angebotene Beratung abgelehnt hat. Im Rahmen der Beratung nach Satz 1 können Vertragsärzte in begründeten Fällen eine Feststellung der Prüfungsstelle über die Anerkennung von Praxisbesonderheiten beantragen. Eine solche Feststellung kann auch beantragt werden, wenn zu einem späteren Zeitpunkt die Festsetzung eines Erstattungsbetrags nach Absatz 5a droht. Das Nähere zur Umsetzung der Sätze 1 bis 5 regeln die Vertragspartner nach Absatz 2 Satz 4.

In § 24 bestimmt die o.g. Prüfvereinbarung, dass die im Rahmen des SGB V, insbesondere in § 106 Abs. 1 a SGB V vorgesehenen Beratungen, in Anlage 6 geregelt werden.

Anlage 6 in der Fassung des Jahres 2013 lautet auszugsweise:

"§ 1 Gegenstand und Ziel der Beratung

Die gezielte Beratung der Ärzte, die nach § 106 Abs. 5 SGB V weiteren Prüfmaßnahmen in der Regel vorangehen soll, dient dem Zweck, die Verordnungsweise der Ärzte im Sinne der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses positiv zu beeinflussen.

§ 2 Inhalte der Beratung

[Teile vom Gericht nicht wiedergegeben]

Inhalte der Beratung im Heilmittelbereich sind beispielsweise:

• Indikationen bei denen Heilmittel verordnungsfähig sind
• Art und Umfang der verordnungsfähigen Heilmittel bei diesen Indikationen unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten
• Menge der verordnungsfähigen Heilmittel je Diagnosegruppe unter dem Gesichtspunkt des med. Erfordernisses des Einzelfalls innerhalb des Regelfalls
• Informationen zur Einhaltung behandlungsfreier Intervallen
• über die Notwendigkeit einer zwingend durchzuführenden störungsbildabhängigen Diagnostik innerhalb und außerhalb des Regelfalls
• Qualitative Bewertung der veranlassten Heilmitteltherapie
• Bewertung therapeutischer Alternativen unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten
• Informationen zu Inhalt und Umsetzung der Heilmittel-Richtlinien in der jeweils gültigen Fassung • Einsparpotenziale durch Preisvergleich bei der Wahl des Heilmittels bei gleicher Diagnose/Indikation
• Abwägung einer Heilmittelverordnung unter Beachtung der Vorschriften der Heilmittelrichtlinie sowie deren Anlagen in der jeweils gültigen Fassung
• Abwägung der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung

§ 3 Durchführung der Beratung

(1) Die Prüfungsstelle führt in erforderlichen Fällen eine Beratung der Ärzte über Fragen der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Versorgung durch. Die Prüfungsstelle kann qualifizierte Berater an der Beratung beteiligen. Ferner kann sie die Durchführung der Beratung an qualifizierte und neutrale Berater delegieren.

(2) Eine individuelle Beratung hat insbesondere bei einer erstmaligen Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 % zu erfolgen. Nähere Einzelheiten sind in § 4 geregelt.

(3) Zur Abwendung eines Regresses bzw. einer Kürzung kann der Arzt um eine Beratung auch selbst nachsuchen und beantragen, das Prüfungsverfahren einstweilen auszusetzen. Die Prüfungsstelle oder der Beschwerdeausschuss entscheiden hierüber im Einvernehmen mit den Beteiligten des Prüfverfahrens. Die Beratung soll innerhalb von 4 Wochen nach dieser Entscheidung erfolgen. Die Prüfungsstelle oder der Beschwerdeausschuss treffen ihre abschließende Entscheidung aufgrund der Auswirkung der Beratung. Abs. 1 gilt entsprechend.

(4) Grundlage der Beratung sind insbesondere Übersichten über die von den Ärzten im Zeitraum eines Jahres oder in einem kürzeren Zeitraum erbrachten, verordneten oder veranlassten Leistungen. Die Vertragspartner verständigen sich mit der Prüfungsstelle über Art und Umfang der Beratungsunterlagen.

(5) Über den Inhalt und die Ergebnisse der Beratung wird ein Protokoll erstellt, das den Vertragspartnern zugeht.

§ 4 Beratungen nach § 106 Abs. 5 e SGB V

(1) Die als Folge der erstmaligen Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 % durchzuführende Beratung durch die Prüfungsstelle kann erst nach Abschluss des kompletten Prüfverfahrens einschließlich des Widerspruchsverfahrens an Stelle einer Ersatzverpflichtung (insbesondere eines Regresses) erfolgen. Eine erstmalige Überschreitung wird für den Arzneimittel- und Heilmittelbereich getrennt voneinander bewertet.

(2) Die Festlegung der erstmaligen Überschreitung orientiert sich an der BSNR sowie der NBSNR.

(3) Die Beratung erfolgt in mündlicher Form, um dem gesetzlichen Anspruch nach einer individuellen Beratung gerecht zu werden.

(4) Die Beratung soll - priorisiert nach Beratungsbedarf - innerhalb von 6 Monaten nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens erfolgen. Bei Ablehnung der Beratung durch den Arzt gilt die Beratung als erfolgt. Bei dreimaliger Verhinderung des Arztes gilt die Beratung als abgelehnt. wenn nicht besondere, vom Arzt darzulegende Gründe (z. B. eine schwere Erkrankung) dem entgegenstehen.

(5) bis (7) [Abs. vom Gericht nicht wiedergegeben]"

Aus diesen normativen Vorgaben wird erkennbar, dass mit der individuellen Beratung eine reine Wissensvermittlung, aber gerade keine Regelung einhergeht.

Vorliegend ergibt sich auch keine abweichende Beurteilung aus dem Umstand, dass die Durchführung der individuellen Beratung für den Kläger die Konsequenz hat, dass sein sprichwörtlicher Freischuss verbraucht ist und er bei einer neuerlichen unwirtschaftlichen Behandlungsweise mit einem Regress zu rechnen hat. Denn dies ist die Folge der Maßnahmendurchführung, die aber nicht durch sie, die Beratung, sondern durch das Gesetz, nämlich die oben erwähnte Vorschrift in § 106 SGB V, angeordnet wird.

Lediglich im Übrigen ist auch darauf hinzuweisen, dass diese Rechtsfolge des sprichwörtlichen Freischussverbrauchs in der schriftlichen Zusammenfassung keine Erwähnung findet, also der vermeintliche Verwaltungsakt auch keinen Verfügungssatz enthält. Selbst die Erwähnung der Rechtsfolge aber machte den Realakt nach den vorangestellten Grundsätzen nicht zum Verwaltungsakt. Auch das Bundessozialgericht hat entschieden, dass in der bloßen Mitteilung an den Betroffenen, dass eine unmittelbar in seine Rechtsstellung eingreifende Änderung der Rechtslage eingetreten sei, keine Regelung liegt (BSGE 58, 72 [73]). Ebenfalls im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Leitsatz aus dem Urteil des BSG vom 05.06.2013 (B 6 KA 40/12 R), "1. Eine Beratung als Maßnahme der Wirtschaftlichkeitsprüfung ist selbstständig anfechtbar." missverständlich ist. Tatsächlich handelt es sich um die Festsetzung einer Beratung, wobei es sich, wie oben erwähnt, freilich um eine Regelung handelt.

Die zulässige Teil-Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Beklagten vom 15.09.2016 auf seinen Beschluss vom 11.05.2016 ist form- und fristgerecht eingelegt worden, auch ist das Sozialgericht Marburg zuständig.

Die Anfechtungsklage ist aber unbegründet.

Der vorgenannte Bescheid ist nämlich rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Die Zurückweisung des Widerspruchs als unzulässig ist nicht zu beanstanden. Wie oben, im Rahmen der Ausführungen zur Zulässigkeit der Teilklage dargestellt wurde, handelt es sich bei der individuellen Beratung bzw. ihrer schriftlichen Zusammensetzung gerade nicht um einen Verwaltungsakt, weshalb der Widerspruch nach § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht statthaft war.

Dass der Beklagte ein Vorverfahren durchgeführt und einen ablehnenden Widerspruchsbescheid erlassen hat ist unschädlich (vgl. BSG, Urteil vom 24.11.2011, B 14 AS 151/AS) und verletzt den hiesigen Kläger überdies nicht in seinen Rechten.

Eine sonstige Beschwer aus dem Bescheid ist weder vorgetragen noch erkennbar.

Die hilfsweise erhobene erste Leistungsklage ist zulässig.

Mit der echten Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

In entsprechender Anwendung des § 54 Abs 1 Satz 2 SGG ist die Klagebefugnis für eine Leistungsklage gegeben, wenn der Kläger behauptet, durch die ihm verweigerte Leistung beschwert zu sein (BSG, Urteil vom 22.04.2015, B 3 KR 2/14 R). Wie im Rahmen der Anfechtungsklage auch, verwendet die Rechtsprechung hier die sog. Möglichkeitstheorie (dazu vgl. etwa BSGE 84, 67, 69). Der Kläger muss also geltend machen, einen Anspruch auf die begehrte Leistung zu haben, und es muss zumindest möglich sein, dass er einen solchen Anspruch hat (BeckOK SozR/Mink SGG § 54 Rn. 16, beck-online). Dass bedeutet insbesondere, dass die einschlägige Rechtsnorm nicht nur dem allgemeinen Interesse dienen darf, sondern auch den Schutz der Rechtssphäre des einzelnen bezwecken muss (Schutznormtheorie). Ein Eingriff in sog. Reflexrechte, die auf Normen beruhen, welche ausschließlich dem öffentlichem Interesse dienen sollen und nur als Nebenwirkung dem Individualinteresse zugutekommen, ohne dass die Norm dies beabsichtigt, reicht nicht aus (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt/Keller SGG § 54 Rn. 10, beck-online).

Dabei dürfen aus dem Gebot des effektiven Rechtschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) allerdings keine zu hohen Anforderungen gestellt werden (BSGE 68, 291). Die Klagebefugnis fehlt lediglich, wenn dem Kläger der behauptete Anspruch unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt zustehen kann (BSGE 105, 10), eine rechtlich anerkannte Rechtsposition des Klägers also ausgeschlossen werden kann (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt/Keller aaO).

Angesichts dessen ist der Kläger, unbeachtlich der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung der Kammer jedenfalls klagebefugt, weil es sich bei der Auslegung der Vorschrift um eine Wertungsfrage handelt. Denn der Kläger behauptet sinngemäß durch das Unterlassen einer ordnungsgemäßen individuellen Beratung beschwert zu sein bzw. hierauf einen Anspruch zu haben.

Die Prozessordnung kennt keine Klagefrist für die Leistungsklage, weswegen der entsprechende Hilfsantrag in der mündlichen Verhandlung insoweit unbedenklich ist.

Schließlich handelt es sich bei der Ergänzung des ursprünglich angekündigten Klageantrages um einen Hilfsantrag gem. § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG nicht um eine Klageänderung (vgl. dazu auch BSG, Urteil vom 24.07.2003, B 3 P 1/03 R), weshalb es diesbezüglich keiner näheren Erörterung bedarf.

Die zulässige Leistungsklage ist aber nicht begründet.

Der Kläger hat nämlich nach Rechtsauffassung der Kammer keinen subjektiv-öffentlich-rechtlichen Anspruch auf eine erneute individuelle Beratung. Nach der oben bereits erwähnten Schutznormtheorie erforderte dies einen zwingender Rechtssatz des objektiven Rechts, der neben den mit ihm verfolgten Allgemeininteressen zumindest auch dem Schutz von Individualinteressen zu dienen bestimmt ist und dieser Rechtssatz dem Begünstigten zudem die Rechtsmacht zur Durchsetzung der in ihm geschützten Interessen einräumt (vgl. schon oben und aus der Rspr. statt vieler grundlegend: BVerfGE 27, 297 [307]).

Einen solchen Charakter weist § 106 Abs. 5e Satz 1 SGB V in der genannten Fassung im Hinblick auf die Art und Weise der Beratung nicht auf. Die Kammer geht durchaus, insoweit in Übereinstimmung mit dem Kläger, davon aus, dass der Gesetzgeber mit der individuellen Beratung nach der genannten Vorschrift kein gänzlich inhaltsleeres Regresshindernis bei erstmaliger Richtgrößenüberschreitung schaffen wollte. Dies hätte er auch mit dem einfachen Hinweis tun können, dass eine erstmalige Überschreitung sanktionslos bleibt. Weil er sich aber für das Beratungserfordernis entschieden hat, in der vorliegenden Konstellation sogar der individuellen Beratung, geht die Kammer davon aus, dass er dem Vertragsarzt auch eine echte Beratung zuteilwerden lassen wollte. Es spricht trotz des grundsätzlichen Ermessens des Beklagten bzw. der Prüfungsstelle hinsichtlich der Durchführung der individuellen Beratung und dem Konkretisierungsauftrag durch die Vertragspartner deshalb neben anderen Anforderungen einiges dafür, die Durchführung eines persönlichen Gesprächs mit dem Vertragsarzt für eine ordnungsgemäße Beratung zu fordern (so SG München, Urteil vom 08.12.2015, S 28 KA 1344/14). Dies deckt sich auch mit der oben zitierten Vorgabe aus § 4 Abs. 3 der Anlage 6 zur Prüfvereinbarung.

Die Kammer ist im Übrigen auch der Überzeugung, dass die von Frau C. durchgeführte individuelle Beratung gerade nicht in Einklang mit den gesetzlichen und den sonstigen rechtlichen Vorgaben erfolgte. Denn Gegenstand der Beratung sind schon nach dem oben auszugsweise wiedergegebenen § 2 von Anlage 6 zur Prüfvereinbarung Fragen der Indikationsstellung zu Heilmittelverordnungen, die qualitative Bewertung der veranlassten Therapie sowie die Bewertung therapeutischer Alternativen. Frau C. aber weist (lediglich) die Berufsqualifikation einer Physiotherapeutin auf (vgl. zu den Anforderungen an dieses Berufsbild das Gesetz über die Berufe in der Physiotherapie [Masseur- und Physiotherapeutengesetz – MPhG] sowie die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Physiotherapeuten [PhysTh-AprV]). Woher sie die fachliche Kompetenz haben soll, den Kläger als Vertragsarzt in Fragen der Heilbehandlung zu beraten erschließt sich der Kammer nicht. Überdies ist die Ausübung der Heilkunde dem approbierten Arzt vorbehalten (vgl. § 1 HeilprG [Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung Heilpraktikergesetz]), so dass auch die rechtliche Kompetenz der Beraterin im Hinblick auf entsprechende Fragen nicht erkennbar ist. Diese Frage wird ein Gericht allerdings inzident in solchen Fällen zu prüfen haben, in denen (erstmalig) die Festsetzung eines Regresses gegen den Kläger streitgegenständlich ist.

Vorliegend kommt es hierauf nicht an, weil der Kläger mangels Schutznormqualität des § 106 Abs. 5e SGB V keinen Anspruch darauf hat, die fehlerhafte Beratung wiederholen zu lassen. Die Durchführung der individuellen Beratung dient nämlich der Durchsetzung des Wirtschaftlichkeitsgebotes, damit der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Gesundheitssystems und mithin einem öffentlichen Interesse.

Nach Feststellung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 22.10.2014, B 6 KA 3/14 R) ist Sinn und Zweck der Einführung des § 106 Abs 5e SGB V gewesen, Ärzte nach erstmaligem Überschreiten des Richtgrößenvolumens nicht unmittelbar einem Regress auszusetzen, sondern ihnen über eine eingehende "Beratung" zunächst ohne finanzielle Konsequenzen für die Praxis die Möglichkeit zu geben, ihr Verordnungsverhalten bei Arznei- und Heilmitteln zu modifizieren. Damit bringt das Obergericht das in der Wirtschaftlichkeitsprüfung vom Gesetzgeber festgelegte und allgemein anerkannte Prinzip "Beratung vor Regress" (vgl. beispielhaft BT-Drs. 17/6906, S. 46) sprachlich abgewandelt zum Ausdruck.

Die Kammer sieht in der sprichwörtlichen Freischussregelung durchaus die Zwecksetzung, den betroffenen Vertragsarzt zu schützen. Dies lässt sich zumindest andeutungsweise auch den Gesetzgebungsmaterialien entnehmen. In der amtlichen Begründung zur hier interessierenden Regelung heißt es: "Bei erstmaliger Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 v. H. soll kein Regress festgesetzt werden, bevor den betroffenen Vertragsärztinnen und -ärzten daraufhin nicht zumindest eine einmalige Beratung angeboten wurde. Damit das wirtschaftliche Risiko infolge einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens kalkulierbar bleibt und insoweit Rechtssicherheit besteht, wird ihnen dabei zudem die Möglichkeit eingeräumt, in begründeten Fällen bereits im Rahmen dieser Beratung eine Feststellung der Prüfungsstelle über die Anerkennung von Praxisbesonderheiten zu beantragen. Ein Feststellungsinteresse kann beispielsweise bestehen für geltend gemachte Praxisbesonderheiten, die nicht vorab anerkannt oder bereits Gegenstand von Prüfungsverfahren gewesen sind. Die Beantragung soll auch möglich sein, wenn zu einem späteren Zeitpunkt auf Grund einer nachweislich absehbaren erneuten Überschreitung des Richtgrößenvolumens die Festsetzung eines Erstattungsbetrages droht." (BT-Drs. 17/6906, S. 79, Kursivstellung durch Gericht). Noch deutlicher wird das Parlamentsdokument hinsichtlich der zeitlich früher geschaffenen Vorschrift des § 106 Abs. 5c Satz 7 SGB V, mit dem die Höhe des erstmaligen Regresses begrenzt wird und die insoweit vergleichbar mit dem Erfordernis der individuellen Beratung ist. Es lautet in der dortigen amtlichen Begründung: "Die Regelung ist sachgerecht, weil damit insbesondere Ärzte, die ihre Tätigkeit in der vertrags- ärztlichen Versorgung aufnehmen oder die neue Versorgungsaufgaben übernehmen, mehr Zeit erhalten, sich auf die spezifischen Anforderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch an die Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Verordnungen einzustellen." (17/2413, S. 29, Kursivstellung durch Gericht).

Von der Zwecksetzung der Freischussregelung als solcher ist aber die hier zu erörternde Frage zu trennen, ob der Art und Weise, insbesondere also dem Inhalt der individuellen Beratung ein Schutzzweck zukommt. Dafür gibt es keine Anhaltspunkte.

Denn Ziel der Wirtschaftlichkeitsprüfung ist es, die Vertragsärzte zu einem Verordnungsverhalten in Übereinstimmung mit den entsprechenden Vorgaben des SGB V bzw. der zugehörigen untergesetzlichen Vorschriften anzuhalten (vgl. dazu insb. das in § 12 SGB V normierte und oben zitierte Wirtschaftlichkeitsgebot). Es handelt sich hierbei um Vorschriften zur Aufrechterhaltung der Funktions- und Leistungsfähigkeit des Systems der Krankenversicherung (LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 20.11.2013, L 11 KA 81/13 B ER, m.w.N.). Die Wirtschaftlichkeitsprüfung ist dabei immer mehr auf die Richtgrößenprüfung ausgerichtet worden, um der Ausuferung der Kosten ärztlich veranlasster Leistungen zu begegnen (vgl. Wenner, Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, München 2008, § 24 Rdnr. 2 f.). Der Gesetzgeber sieht die Durchführung der Wirtschaftlichkeitsprüfung als verpflichtend an (vgl. dazu etwa BSG, Urteil vom 19.10.2011, B 6 KA 38/10 R, m.w.N.) und unterstreicht dies mit einer Haftungsandrohung gegenüber den Vorstandsmitgliedern der beteiligten Institutionen in § 106 Abs. 4b SGB V.

Diese Erkenntnis deckt sich auch mit dem oben zitierten § 1 der Anlage 6 zur Prüfvereinbarung, demzufolge die gezielte Beratung der Ärzte dem Zweck dient, ihre Verordnungsweise im Sinne der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses positiv zu beeinflussen. Man mag den Charakter der individuellen Beratung semantisch als Maßnahme mit pädagogischer Wirkung (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.11.2013, L 11 KA 81/13 B ER) einordnen. Die Kenntnis wirtschaftlicher Verordnungsweise gehört allerdings, wie § 12 Abs. 1 Satz 2 SGB V erkennen lässt, schon per se zu den Pflichten des Vertragsarztes und wird nicht erstmalig durch die Beratung im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung erworben. Dass eine qualitativ gehobene Beratung den Vertragsarzt vor unwirtschaftlicher Verordnungsweise und damit vor Regressen bewahren mag, ist ein Rechtsreflex ihrer Durchführung, aber nicht Zwecksetzung der Maßnahme.

Für die hilfsweise erhobene zweite Anfechtungsklage wird sinngemäß auf die voranstehenden Ausführungen verwiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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