L 13 R 1371/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 6239/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 1371/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 20. März 2017 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung an das Sozialgericht Stuttgart zurückverwiesen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung der Versicherungspflicht als Selbstständiger für die Zeit vom 1. Januar 2009 bis 30. November 2011.

Im Rahmen eines Auskunftsverfahrens zur Durchführung eines Versorgungsausgleichs forderte die Beklagte den Kläger zu Angaben über seine selbstständige Tätigkeit auf. Der Kläger teilte unter dem 23. Dezember 2011 mit, dass er einen Baukran- und Baumaschinenhandel betreibe. Er beziehe auf Dauer nicht mindestens 5/6 der gesamten Betriebseinnahmen von einem der Auftraggeber. Der Kläger hat eine Gewerbeanmeldung vom 18. April 2011 vorgelegt. Unter dem 24. Januar 2012 forderte die Beklagte den Kläger auf, eine genaue Auflistung der Auftraggeber sowie die Verträge und Rechnungen vorzulegen. Der Kläger teilt hierauf telefonisch mit, dass er die selbstständige Tätigkeit kurz vor Weihnachten 2011 aufgegeben habe. Schriftlich ließ er vortragen, dass von einer Selbstständigkeit ausgegangen werden könne, da er in den Jahren 2007 und 2008 mehrere Auftraggeber gehabt habe. Aufgrund der sehr schlechten wirtschaftlichen Lage habe er ab Ende 2008/Anfang 2009 keine Umsätze mehr erzielen können. Seit dem Jahr 2011 sei er wieder als Angestellter tätig. Die Beklagte hielt am Schreiben vom 24. Januar 2012 fest und forderte vom Finanzamt B. eine Auskunft über die Einkünfte aus Gewerbebetrieb bzw. selbstständiger Tätigkeit an, die am 25. Juli 2012 (Bl. 55 der Verwaltungsakten der Beklagten) einging. Unter dem 19. März 2013 teilte der Kläger mit, dass er vom 15. November 2007 bis 30. November 2008 eine festangestellte Mitarbeiterin gehabt habe. Der Bevollmächtigte des Klägers trug weiterhin vor, dass sich aus seiner Sichtung der Buchhaltungsunterlagen ergebe, dass der Kläger in den Jahren 2007 und 2008 mehrere Auftraggeber gehabt habe, im Jahr 2009 lediglich Geschäftsbeziehungen zu der Firma M ... Der Bevollmächtigte des Klägers legte verschiedene DATEV-Ausdrucke sowie Lohnabrechnungen der Angestellten für November 2007 bis November 2008 vor. Die Beklagte holte noch weitere Auskünfte des Finanzamts B. ein (Bl. 89/90 der Verwaltungsakten der Beklagten) und entschied mit Bescheid vom 11. Juni 2013, dass vom 1. Januar 2007 bis 31. Dezember 2008 wegen der selbstständigen Tätigkeit als Händler von Baumaschinen keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung bestehe. Mit Bescheid vom 13. Juni 2013 (Bl. 101 der Verwaltungsakten der Beklagten) entschied die Beklagte, dass vom 1. Januar 2009 bis 30. November 2011 wegen der Selbstständigkeit eine Versicherungspflicht bestehe. Mit weiterem Bescheid vom 13. Juni 2013 (Bl. 103 der Verwaltungsakten der Beklagten) teilte die Beklagte dem Kläger mit, die Rentenversicherungspflicht als Selbstständiger ende mit Ablauf des 30. November 2011. Der Kläger schulde einen Betrag in Höhe von 4.841,29 EUR. Gegen die Bescheide vom 13. Juni 2013 legte der Kläger Widerspruch ein. Er habe zwar im Jahre 2009 nur noch einen Auftraggeber gehabt, jedoch habe die Selbstständigkeit der Vorjahre fortgewirkt. Die typische Abhängigkeit von einem Auftraggeber sei nicht gegeben gewesen, da es sich um die Endphase seiner selbstständigen Tätigkeit gehandelt habe. Er sei nicht Auftragnehmer eines Auftraggebers gewesen, sondern er habe mit Waren gehandelt. Insofern lägen schon die Grundlagen für eine Betrachtung als Scheinselbstständiger nicht vor. Er sei nie Werkunternehmer, sondern stets Händler gewesen. Er sei nie Auftraggeber, sondern Kaufvertragspartner gewesen. Mit Widerspruchsbescheid vom 30. Oktober 2013 hat die Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen. Nach den vorliegenden Unterlagen seien im Kalenderjahr 2009 ausschließlich Einkünfte durch Aufträge der Firma M. erzielt worden. Es sei allein auf die Verhältnisse und Gegebenheiten im jeweiligen Kalenderjahr abzustellen. In der Gesamtschau sei festzustellen, dass der Kläger im Wesentlichen an einen Auftraggeber gebunden gewesen sei. Die Feststellung der Versicherungspflicht für die Jahre 2010 und 2011 sei aufgrund einer vorausschauenden Betrachtung erfolgt. Hinweise auf eine geringfügige Tätigkeit im Sinne von § 5 Abs. 2 SGB VI hätten sich nicht ergeben. Bei Vorlage des Einkommensteuerbescheids für das Jahr 2011 könne der Kläger im Falle geringfügiger Einkünfte eine Überprüfung nach § 44 SGB X beantragen.

Am 5. November 2013 hat der Kläger beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage gegen die Bescheide vom 11. und 13. Juni 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Oktober 2013 erhoben. Der Handel mit Baumaschinen gehöre schon vom Grundsatz her nicht zu arbeitnehmerähnlichen Leistungen, auch wenn nur ein Lieferant vorhanden sei. Im Handel gliedere sich man weder in den Betriebsablauf des Verkäufers ein, noch sei man von dessen Weisungen abhängig. Ohne Ermittlungen und ohne mündliche Verhandlung hat das SG die Klage unter dem 20. März 2017 abgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid vom 11. Juni 2013 sei unzulässig, da es insoweit an einem erforderlichen Vorverfahren nach § 78 Abs. 1 S. 1 SGG mangele. Dieser Bescheid sei bestandskräftig geworden. Im Übrigen sei die Klage zulässig, aber unbegründet. Das Bestehen einer selbstständigen Tätigkeit sei zwischen den Beteiligten nicht streitig. Für das Bestehen einer abhängigen Beschäftigung bestünden keinerlei Anhaltspunkte. Der Kläger habe auch im streitigen Zeitraum keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt. Der Kläger sei auch auf Dauer und im Wesentlichen nur noch für einen Auftraggeber, die Firma M., tätig gewesen. Ausweislich des vom Kläger vorgelegten DATEV-Ausdrucks habe der Kläger ab dem Jahr 2009 ausschließlich Einnahmen von der Firma M. erzielt, weshalb nur diese als Auftraggeber im Sinne von § 2 S. 1 Nr. 9 b SGB VI angesehen werden könne, da die Vertragsbeziehung mit dieser, nicht dagegen mit den Kunden, die Baumaschinen und -kräne erworben haben, bestanden habe. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger in den Jahr 2010 und 2011 wieder für mehrere Auftraggeber tätig geworden sei, habe die Kammer nicht. Der Kläger habe die Höhe des festgesetzten Beitrages nicht angegriffen, eine fehlerhafte Festsetzung sei auch für die Kammer nicht ersichtlich.

Am 6. April 2017 hat der Kläger gegen das am 22. März 2017 zugestellte Urteil Berufung eingelegt. Er habe Waren von Lieferanten bezogen und an die Firma M. verkauft. Er sei kein Werkunternehmer, sondern Händler. Er habe nicht seine Arbeitskraft an die Firma M. "verkauft".

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 20. März 2017 abzuändern sowie die Bescheide der Beklagten vom 13. Juni 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 2013 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Aus der Berufungsbegründung ergäben sich keine neuen Gesichtspunkte.

Nachdem der Senat mitgeteilt hat, dass eine Zurückverweisung des Verfahrens an das Sozialgericht beabsichtigt ist, haben die Beteiligten einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung des Klägers ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung zur Durchführung weiterer Ermittlungen an das SG erfolgreich.

Gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das SG zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und aufgrund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwendige Beweisaufnahme notwendig ist. Wesentlich ist der Mangel, wenn die Entscheidung auf ihm beruhen kann (vgl. Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 12. Auflage, § 159 Rdnr. 3a).

Das Verfahren beim SG unterlag einem wesentlichen Verfahrensmangel, weil sich das SG - auch ohne Beweisantrag - hätte gedrängt fühlen müssen, Ermittlungen durchzuführen (vgl. Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a. a. O., § 144 Rdnr. 34 m. w. N.).

Das SG hat ohne jegliche Kenntnis des/der Vertragsverhältnisse(s) des Klägers zur Firma M. und ohne Kenntnis der tatsächlichen Umstände -aus den DATEV-Ausdrucken ergibt sich dies nicht- die Klage abgewiesen, eine selbstständige Tätigkeit des Klägers und eine Tätigkeit nur für die Firma M. angenommen, ohne jegliche Ermittlungen ergriffen und ohne den Kläger persönlich angehört zu haben. Bereits die Beklagte hat eine genaue Auflistung der Auftraggeber sowie die Vorlage der Verträge mit den Auftraggebern und die Rechnungen verlangt, ohne dass dem der Kläger nachgekommen ist. Auch das SG hätte diese Unterlagen anfordern, den Kläger persönlich zur Anhörung laden (§ 106 Abs. 3 Nr. 7 SGG) und den Geschäftsführer der Firma M. oder/und andere Beschäftigte dieser Firma sowie die ehemalige eigene Angestellte des Klägers vernehmen müssen, um die Frage beantworten zu können, ob der Kläger tatsächlich selbstständig tätig war und wie das Vertragsverhältnis zur Firma M. wirklich war. Aus dem Ergebnis dieser Beweisaufnahme können sich dann weitere Ermittlungsansätze für die Frage ergeben, ob der Kläger auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber, nämlich die Firma M., tätig geworden ist. Der schriftliche Vortrag des Klägers ging teilweise am relevanten Sachverhalt vorbei; auch sind Zweifel an der Richtigkeit der schriftlichen Angaben angebracht. So hat er unter dem 14. Juni 2012 angegeben, dass er ab Ende 2008/Anfang 2009 keine Umsätze mehr erzielt habe, wohingegen das Finanzamt B. für die Jahre 2009 und 2010 Einkünfte aus Gewerbebetrieb bzw. selbstständiger Tätigkeit mitgeteilt hat. Auch im Übrigen war die schriftliche Mitwirkung des Klägers nur unzureichend. So hat er im Berufungsverfahren dargelegt, dass er Waren an die Firma M. verkauft habe, wohingegen der schriftliche Vortrag in erster Instanz dahin gehend ausgelegt werden konnte -und vom SG wohl dahin gehend verstanden worden ist- dass der Kläger von der Firma M. (Lieferant) Waren gekauft habe. Zu welchem -einzigen- Auftraggeber der Kläger im Jahr 2010 und 2011 in Beziehung gestanden haben soll, hat das SG ebenfalls nicht ermittelt, sondern lediglich die Vermutung aufgestellt, dass sich gegenüber 2009 nichts geändert habe. In diesem Rahmen erscheint es auch von Interesse, als was und bei wem der Kläger ab 2011 arbeitete. Schließlich hat das SG auch nicht ermittelt, ob im streitgegenständlichen Zeitraum eine geringfügige selbständige Tätigkeit gem. § 5 Abs. 2 SGB VI vorlag.

Die Entscheidung kann auch auf dem Mangel beruhen, da die Möglichkeit besteht, dass eine Beweisaufnahme die Entscheidung beeinflusst. Es ist auch eine umfangreiche und aufwendige Beweisaufnahme notwendig (s.o.). Das damit eröffnete Ermessen übt der Senat dahingehend aus, das angefochtene Urteil aufzuheben und das Verfahren an das SG zurückzuverweisen. Der Rechtsstreit ist erst kurze Zeit am Berufungsgericht anhängig, sodass die Beteiligten keinen wesentlichen zeitlichen Nachteil in Kauf nehmen müssen. Der Senat verhindert damit auch, dass die Beteiligten hinsichtlich der Beweisaufnahme eine Instanz verlieren.

Die Kostenentscheidung bleibt der erneuten Entscheidung des SG vorbehalten.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 u. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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