L 7 R 4889/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 10 R 1641/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 R 4889/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23. Oktober 2015 aufgehoben. Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin erhebt Anspruch auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Die 1964 geborene Klägerin erlernte nach dem Hauptschulabschluss von Januar 1980 bis Juli 1982 den Beruf der Verkäuferin. Danach war sie bei verschiedenen Firmen versicherungspflichtig beschäftigt, u.a. in einem Autoteile produzierenden Unternehmen, in einer Kartonagenfabrik sowie zuletzt in einem Warenhaus (ab Oktober 1997 als Verkäuferin, ab 1. Juli 2002 als Thekenaushilfe). Ab 20. September 2002 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt (Krankengeldbezug ab 7. Oktober 2002). Ab 23. Februar 2004 erhielt sie Arbeitslosengeld und nach Erlöschen des Anspruchs Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch; diese Leistungen bezieht die Klägerin auch derzeit. Von November 2010 bis Sommer 2017 war die Klägerin stundenweise als Reinigungskraft in einer Gaststätte in Wohnungsnähe tätig (geringfügige Beschäftigung). Ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 ist seit 14. Mai 2014 festgestellt.

In der Zeit vom 12. Februar bis 9. April 2003 führte die damalige Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in der Klinik B. H. ein Heilverfahren durch. Bei den Diagnosen einer Panikstörung und einer undifferenzierten Somatisierungsstörung wurde das Leistungsvermögen der Klägerin auf unter drei Stunden täglich eingeschätzt (Bericht des Chefarztes Dr. O. vom 17. April 2003). Der Klägerin wurde darauf - unter Umdeutung des im Oktober 2002 gestellten Antrags auf Rehabilitationsleistungen - eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. April 2003 bis 31. Oktober 2005 bewilligt (Bescheid vom 29. März 2004).

Auf den Weiterzahlungsantrag vom 14. Juli 2005 bewilligte die Beklagte die Rente wegen voller Erwerbsminderung befristet weiter bis 31. März 2006 (Bescheide vom 6. Oktober und 21. November 2005). In der Zeit vom 18. Januar bis 15. Februar 2006 fand in der S.klinik B. B. eine weitere stationäre Heilbehandlungsmaßnahme statt; die Entlassung erfolgte für körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung mehr als sechs Stunden täglich leistungsfähig (Bericht des Leitenden Arztes Dr. K. vom 15. Februar 2006; Diagnosen: akzentuierte Persönlichkeit, Kombinationskopfschmerz). Mit Bescheid vom 7. März 2006 lehnte die Beklagte darauf den Antrag auf wiederholte Rentengewährung ab. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 13. Juni 2006). Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Heilbronn (S 13 R 2278/06) wurden als sachverständige Zeugen Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. D. (Schreiben vom 25. Januar und 23. Juli 2007 sowie 6. Mai 2008) sowie die Diplom-Psychologin/Psychotherapeutin Weist gehört (Schreiben vom 21. August 2007 und 8. Mai 2008). Das SG beauftragte ferner Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H., Chefarzt der Klinik für Suchttherapie am Klinikum am W. in W., als Sachverständigen. Dieser hielt die Klägerin im Gutachten vom 22. November 2007 - bei den Diagnosen einer generalisierten Angststörung (differentialdiagnostisch Panikstörung) - für körperlich leichte Tätigkeiten unter Beachtung qualitativer Einschränkungen (keine Überforderung durch Akkordarbeit, Wechselschicht- und Nachtarbeit, keine Arbeiten unter Zeitdruck, keine Tätigkeiten mit einer das normale Maß deutlich übersteigenden Verantwortung oder mit einer das normale Maß deutlich übersteigenden geistigen Beanspruchung) acht Stunden täglich leistungsfähig. Einschränkungen hinsichtlich der Gehstrecke bestünden nicht; allerdings sei der Klägerin die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel derzeit wegen zu befürchtender Panikattacken nicht zuzumuten. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 4. Dezember 2008 erachtete es Dr. H. für die Klägerin dagegen für zumutbar, eine Arbeitsstelle innerhalb ihres (damaligen) Wohnorts S. täglich an fünf Tagen in der Woche mit dem Auto aufzusuchen und zu verlassen sowie Fahrtstrecken von etwa 15 bis 20 Minuten von und zu der Arbeitsstelle auch außerhalb des Wohnorts zurückzulegen. Mit Urteil vom 11. Dezember 2008 wies das SG Heilbronn die Klage ab. Die anschließende Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg (L 5 R 971/09) nahm die Klägerin im Termin zur Erörterung des Sachverhalts vom 2. Dezember 2009 zurück.

Am 13. September 2013 stellte die Klägerin den hier streitgegenständlichen Rentenantrag, den sie mit Angstzuständen, einer Panikstörung und Depressionen begründete. Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. E ... Diese diagnostizierte im Gutachten vom 21. November 2013 Persönlichkeitsstörungen mit selbstunsicheren und abhängigen Anteilen sowie eine generalisierte Angststörung. Die Klägerin sei in der Lage, Tätigkeiten ohne hohe Anforderungen an die Stresstoleranz, die Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit sowie die Verantwortung für Personen mehr als sechs Stunden täglich zu verrichten. Durch Bescheid vom 2. Dezember 2013 lehnte die Beklagte darauf den Rentenantrag ab, weil die Klägerin unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könne. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin unter Verweis auf ein bereits früher zu den Akten gereichtes Schreiben des Facharztes für Psychotherapie und Psychiatrie S. vom 18. Oktober 2013 geltend, seit 2011 nicht in der Lage zu sein, sich außerhalb eines eingespielten Umkreises von etwa vier bis fünf Kilometern alleine zu bewegen. Nach Einholung einer sozialmedizinischen Stellungnahme wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 8. April 2014 (Zugang bei den damaligen Klägerbevollmächtigten am 14. April 2014) zurück.

Deswegen hat die Klägerin am 13. Mai 2014 Klage zum SG Karlsruhe erhoben. Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen gehört. Während der Frauenarzt Dr. H. aus gynäkologischer Sicht keine Leistungseinschränkungen gesehen hat (Schreiben vom 21. August 2014), hat Chirurg R. im Schreiben vom 25. August 2014 eine rein sitzende Tätigkeit über sechs Stunden bei entsprechenden Arbeitspausen "mittelfristig" für "gut denkbar" gehalten. Psychotherapeut/Psychiater S. hat demgegenüber der Klägerin im Schreiben vom 20. Oktober 2014 lediglich noch eine drei- bis vierstündige leichte Tätigkeit ohne Publikumsverkehr zumuten wollen, wobei diese sich meist, jedoch "tagesformabhängig", in einem nahen Ortsumfeld von etwa vier bis fünf Kilometern auf erprobten Strecken mit dem Kraftfahrzeug bewegen könne. Psychiater Dr. D. ging wegen einer auf Behandlung nur inkomplett ansprechenden Angststörung mit Vermeidungsverhalten von einem Restleistungsvermögen von etwa vier Stunden aus (Schreiben vom 5. November 2014). Das SG hat anschließend Facharzt für Innere Medizin, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S. zum Sachverständigen bestellt. Im Gutachten vom 27. Juli 2015 hat der Sachverständige eine generalisierte Angststörung, Wirbelsäulenbeschwerden ohne radikuläre Reiz- oder Ausfallsymptomatik sowie eine (medikamentös behandelte) Osteoporose diagnostiziert. Er ist zum Ergebnis gelangt, dass die Klägerin körperlich leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten in wechselnden Arbeitshaltungen ohne Akkord- und Fließbandarbeiten, Tätigkeiten in Nachtschicht, Tätigkeiten mit Publikumsverkehr, Tätigkeiten mit vermehrten Anforderungen an die Konzentration oder Reaktion sowie Tätigkeiten mit vermehrt psychischen Belastungen, mit vermehrt emotionalen Belastungen sowie mit erhöhtem Konfliktpotential noch acht Stunden täglich verrichten könne. Einschränkungen hinsichtlich des Fußwegs bestünden nicht; allerdings sei die Klägerin nach seiner Einschätzung "gegenwärtig und vorläufig" nicht in der Lage, wegen der generalisierten Angststörung bzw. den agoraphobischen Ängsten öffentliche Verkehrsmittel alleine zu benutzen, wobei diese Ängste jedoch mittels bewährter Module gut behandelbar seien. Zum Führen eines Kraftfahrzeugs sei die Klägerin in der Lage. In der mündlichen Verhandlung vom 23. Oktober 2013 hat die Klägerin, die im Termin anwesend war, beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 2. Dezember 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. April 2014 zu verurteilen, ihr eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. September 2013 "zumindest auf Zeit" zu gewähren. Mit Urteil vom 23. Oktober 2015 hat das SG Karlsruhe die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 1. September 2013 bis 31. August 2016 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren, und im Übrigen die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat das SG im Wesentlichen ausgeführt, die bei der Klägerin vorhandenen Gesundheitsstörungen führten nur zu einer Einschränkung des Leistungsvermögens in qualitativer, nicht dagegen in quantitativer Hinsicht. Neben der zeitlichen Einsetzbarkeit des Versicherten am Arbeitsplatz gehöre zur Erwerbsfähigkeit jedoch auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen. Die Klägerin sei nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. auf Grund der generalisierten Angststörung bzw. agoraphobischen Ängsten nicht in der Lage, alleine öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Auch sei sie zwar im Besitz eines Führerscheins, jedoch stehe ihr kein Kraftfahrzeug zur Verfügung. Damit sei der Arbeitsmarkt trotz vorhandenem vollschichtigem Leistungsvermögen verschlossen. Da nach den Ausführungen des Sachverständigen eine Besserung der maßgeblichen Leiden der Klägerin nicht unwahrscheinlich sei, sei die volle Erwerbsminderungsrente nur auf Zeit zu gewähren. Das Urteil ist der Beklagten - ebenso wie den damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin - am 3. November 2015 zugestellt worden.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte am 25. November 2015 beim LSG Baden-Württemberg Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie vorgebracht, die Klägerin träfen, was öffentliche Verkehrsmittel anbelange, Mitwirkungspflichten. Bereits das SG Heilbronn habe es im Urteil vom 11. Dezember 2008 für durchaus möglich erachtet, dass die Klägerin ihr Vermeidungsverhalten hinsichtlich der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel im Rahmen einer Verhaltenstherapie sowie etwa durch den Besuch einer Selbsthilfegruppe durchbrechen könne. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung erhielten psychische Erkrankungen rentenrechtlich erst Relevanz, wenn trotz adäquater Behandlung davon auszugehen sei, dass der Versicherte die psychischen Einschränkungen nicht überwinden könne. Die Behandlungsoptionen seien bei der Klägerin nicht ausgeschöpft. Die Beklagte hat die sozialmedizinischen Stellungnahmen des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. N. vom 20. November 2015 und 9. Juni 2016 vorgelegt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23. Oktober 2015 aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen,

Die Klägerin, die mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 28. November 2016 (Eingang beim LSG Baden-Württemberg am 30. November 2016) eine unselbständige Anschlussberufung eingelegt hatte, hat die Anschlussberufung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 16. November 2017 zurückgenommen. Sie verteidigt das von der Beklagten angefochtene Urteil. Sie hat vorgebracht, sie befinde sich seit Mai 2011 regelmäßig in Verhaltenstherapie bei dem sachverständigen Zeugen S.; auf Grund von Vorgaben der gesetzlichen Krankenversicherung habe die engmaschige Therapie nach Weihnachten 2015 geendet und sei für die Dauer der von der Krankenkasse verordneten Therapiepause von zwei Jahren zweimal im Quartal durchgeführt worden. Im Rahmen eines stationären Aufenthalts in der Klinik des Dr. D. habe sie "selbstverständlich" auch ein Expositionstraining gemacht. Auch der Therapeut S. habe derartige Trainings mit ihr durchgeführt. Auswärtige Termine nehme sie stets nur in Begleitung (ihres Freundes, einer Bekannten oder ihres Sohnes) wahr. Im Besitz eines Führerscheins sei sie; auch sei auf sie ein Kraftfahrzeug zugelassen, das allerdings ihr in Karlsruhe studierender Sohn, der es auch finanziert habe, benutze. Die Klägerin hat eine Stellungnahme ihres Therapeuten S. vom 24. Oktober 2016 sowie ein Attest des Dr. D. vom 7. November 2016 zu den Akten gereicht.

Der Senat hat erneut Dr. D. sowie den Psychotherapeuten/Psychiater S. als sachverständige Zeugen befragt. Dr. D. hat im Schreiben vom 21. April 2016 die Behandlungsdaten seit November 2014 (insgesamt drei Termine) mitgeteilt; er hat die "Grundproblematik" in weitgehend unveränderter Ausprägung als fortbestehend erachtet. Der Therapeut S. hat im Schreiben vom 28. April 2016 über eine Besserung der Fähigkeit, mit der Störung zu leben, durch die Therapie berichtet, wobei die Klägerin allerdings nicht in der Lage sei, eine Belastung durchzustehen. Der Senat hat anschließend Facharzt für Psychiatrie Dr. M., Ärztlicher Direktor der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum am W., zum Sachverständigen bestellt. Im Gutachten vom 26. September 2016 ist der Sachverständige - bei der Diagnose einer bereits anamnestisch beschriebenen generalisierten Angststörung mit agoraphobischen Anteilen - zum Ergebnis gelangt, dass die Klägerin eine körperlich leichte Arbeit noch mindestens sechs Stunden täglich an fünf Tagen in der Woche verrichten könne, wobei Überforderung durch Akkordarbeit, Wechselschicht, Nachtarbeit und besonderen Zeitdruck sowie durch Tätigkeiten mit einer das normale Maß deutlich übersteigenden Verantwortung oder mit einer das normale Maß deutlich übersteigenden geistigen Beanspruchung wegen der bestehenden Angsterkrankung zu vermeiden seien. Die Klägerin sei grundsätzlich auch in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten zu benutzen; die agoraphobischen Anteile der Angststörung seien nicht so ausgeprägt, dass das nicht möglich erscheine. Zu den Einwendungen der Klägerin einschließlich der von ihr vorgelegten oben genannten Schreiben ihrer Behandler hat sich Dr. M. in seiner ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme vom 7. März 2017 geäußert; den abweichenden Einschätzungen der behandelnden Ärzte der Klägerin folge er nicht, er teile auch nicht die Diagnose des Dr. D. hinsichtlich einer Panikstörung.

Die Klägerin hat bei der Beklagten während des Berufungsverfahrens am 11. Mai 2016 die Weitergewährung der seitens des SG Karlsruhe zugesprochenen Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31. August 2016 hinaus beantragt. Hierüber ist von der Beklagten mit Blick auf das vorliegende Berufungsverfahren bislang nicht entschieden worden.

Zur weiteren Darstellung wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten (1 Bd. Rentenakten, 1 Bd. Reha-Akten), die Klageakte des SG Karlsruhe (S 10 R 1641/14), die Akte des SG Heilbronn (S 13 R 2278/06), die Berufungsakte des Senats (L 7 R 4889/15) und die weitere Akte des LSG Baden-Württemberg (L 5 R 971/09) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 2. Dezember 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. April 2014, mit dem die Beklagte den Antrag der Klägerin auf eine Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt hat. Über die Rechtmäßigkeit dieser Verwaltungsentscheidung ist im Berufungsverfahren allerdings nur noch für die (begrenzte) Zeit vom 1. September 2013 bis 31. August 2016 zu befinden, nachdem allein die Beklagte Berufung gegen das Urteil des SG Karlsruhe vom 23. Oktober 2015 eingelegt hat. Die Klägerin hat ihre am 30. November 2016 eingelegte unselbständige Anschlussberufung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 16. November 2017 zurückgenommen, sodass es vorliegend keiner Erörterungen zur Zulässigkeit der Anschlussberufung bedarf.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegt worden sowie statthaft (§ 143 SGG), weil die Berufung wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft. Die Berufung der Beklagten ist auch begründet. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens hat die Klägerin keinen Anspruch auf eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung (§ 102 Abs. 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI)), weil sie in der streitbefangenen Zeit durchgehend nicht erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI gewesen ist.

Versicherte haben gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersrente Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie (1.) voll erwerbsgemindert sind, (2.) in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (besondere versicherungsrechtliche Voraussetzungen) und (3.) vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Satz 2 a.a.O.). Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (vgl. hierzu allgemein Bundessozialgericht (BSG) BSGE 80, 24 ff. = SozR 3-2600 § 44 Nr. 8).

Die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 51 Abs. 1 SGB VI) hat die Klägerin erfüllt. Ferner wären die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ausweislich der Versicherungsverläufe vom 13. März und 7. April 2017 gegeben, wenn die Erwerbsminderung, wie von der Klägerin in der Anlage zum Rentenantrag vom 13. September 2013 geltend gemacht, bereits am 1. Januar 2002 eingetreten wäre; sie wären aber auch noch zu jedem späteren Zeitpunkt innerhalb des streitbefangenen Zeitraums erfüllt. Die Klägerin hat indes keinen Anspruch auf die begehrte Rente, weil hierfür die erforderlichen medizinischen Voraussetzungen nicht vorliegen.

Die bei der Klägerin vorhandenen Gesundheitsstörungen berühren vorwiegend das psychiatrische Gebiet. Die von der Klägerin anlässlich früherer Begutachtungen beschriebenen Angstzustände ließen sich bei der Untersuchung durch den Sachverständigen Dr. M., der dem Senat als sorgfältig abwägender, forensisch erfahrener Gutachter bekannt ist, so nicht finden. Zwar hat die Klägerin dem Sachverständigen gegenüber im Rahmen der Untersuchung am 16. August 2016 angegeben, Ängste bei Benutzung ihres Kraftfahrzeugs zu haben; so habe sie in der Woche vor dem Untersuchungstermin versucht, damit zu fahren, wobei es ihr schwindlig geworden sei, die Füße gebrannt hätten, sie nichts habe hören und sehen und sich nicht habe konzentrieren können, sodass sie aus Angst den Versuch aufgegeben habe. Eine klinisch relevante Angstsymptomatik hat sich nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. M. im Rahmen seiner Untersuchung jedoch nicht feststellen lassen. Die sehr gepflegt auftretende Klägerin war bei dem Sachverständigen bewusstseinsklar und allseits voll orientiert, zeigte keine Störungen der Konzentration, der Auffassung und des Durchhaltevermögens. Anhaltspunkte für relevante Störungen der Merkfähigkeit oder des Gedächtnisses haben sich bei ihm nicht ergeben; Fragen beantwortete die Klägerin durchgehend, rasch und präzise. Der formale Gedankengang war geordnet und nicht verlangsamt; alle Themen konnte der Sachverständige mit der Klägerin flüssig, konzentriert und zügig besprechen. Die Stimmung war zwar streckenweise leicht dysphorisch, besonders zu Beginn der Untersuchung zeigte sich die Klägerin emotional labil, konnte sich jedoch nach kurzer Zeit beruhigen; die affektive Schwingungsfähigkeit war gut erhalten. Die Klägerin zeigte eine lebendige Mimik und Gestik und konnte bei entsprechenden Gesprächsinhalten sogar gelegentlich lächeln. Die Antriebslage war ungestört, die Psychomotorik lebendig; die Klägerin war während der Untersuchung zugewandt und kooperativ. Einen ähnlichen psychopathologischen Befund hatten schon der Sachverständige Dr. S. und die Rentengutachterin Dr. E. erhoben; auch bei ihnen zeigten sich keine relevanten Störungen in der Konzentration, der Aufmerksamkeit und im Antrieb; die affektive Schwingungsfähigkeit war erhalten, der Kontakt gut herstellbar.

Dem Sachverständigen Dr. M. gegenüber hat sich die Klägerin auch nicht ängstlich oder scheu gezeigt. Nachdem die Klägerin den Untersuchungsort (im Büro des Sachverständigen auf der geschlossenen Station) zunächst nicht hatte betreten wollen, dem jedoch nach einem aufklärenden Gespräch nachkam, konnte Dr. M. ein ängstliches Verhalten in der Folge zu keinem Zeitpunkt beobachten; Angst wurde nach seiner Schilderung von der Klägerin nicht mehr geäußert, selbst in Situationen, in denen sie allein gelassen oder von Dritten begleitet wurde. So befand sich die Klägerin beispielsweise zum Entkleiden vor der körperlichen Untersuchung etwa fünf bis acht Minuten alleine in einem anderen Raum (einem für sie unbekannten Zimmer); die vegetative Symptomatik (Tachykardie oder Schweißausbrüche) war danach unauffällig, auch beklagte sich die Klägerin anschließend nicht. Nach Beendigung der Untersuchung wurde die Klägerin von einem Mitarbeiter der Klinik zum Ausgang gebracht, was sie ohne Probleme bewältigen konnte, obwohl sie im Vorfeld der Untersuchung geäußert hatte, dass das Betreten des Gebäudes ihr auf Grund von Ängsten nicht möglich sei. Der Medikamentenspiegel des der Klägerin verschriebenen Arzneimittels Venlafaxin (ein sedierendes und angstlösendes Antidepressivum) befand sich bei der von Dr. M. mit Einverständnis der Klägerin veranlassten laborchemischen Untersuchung im Übrigen im unteren therapeutischen Referenzbereich, was nach den Ausführungen des Sachverständigen für eine unregelmäßige oder unzuverlässige Einnahme oder nicht ausreichende Dosierung spricht. Die Klägerin hat in ihrem mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 28. November 2016 vorgelegten Schreiben auch eingeräumt, statt der verordneten zwei Tabletten pro Tag wegen der von ihr befürchteten Nebenwirkungen nur eine einzunehmen. Der neurologische Befund war unauffällig. Die Augenfolgebewegungen waren glatt; die Klägerin, die dem Sachverständigen gegenüber angegeben hatte, "fast jeden Tag" an Schwindelanfällen zu leiden, zeigte keinen Nystagmus. Die Prüfung des Gangbildes sowie die erschwerten Stand- und Gangprüfungen ergaben ebenfalls keine Auffälligkeiten.

Insgesamt hat der Sachverständige Dr. M. anlässlich seiner Untersuchung eine wesentliche Symptomatik der generalisierenden Angststörung nicht mehr für nachweisbar gehalten; er ist angesichts fehlender Hinweise auf eine klinisch relevante Angstsymptomatik von einer deutlichen Stabilisierung des Zustandsbildes ausgegangen. Obwohl von der Klägerin vereinzelt berichtet, konnte der Sachverständige entsprechende Symptome der generalisierten Angststörung (z.B. Nervosität, Zittern, Muskelspannung, vegetative Übererregbarkeit mit Schwitzen, Benommenheit, Schwindelgefühlen oder Oberbauchbeschwerden) bei Beobachtung ihres Verhaltens und im Rahmen der vertieften Exploration nicht sicher verifizieren. Schlüssig und nachvollziehbar hat Dr. M. deshalb bei der Klägerin Anhaltspunkte für eine höhergradige Angststörung oder Panikstörung, aber auch für eine affektive Störung, z.B. im Sinne einer Depression, verneint und zusammenfassend keine Hinweise für eine leichte, mittelschwere oder gar schwere psychische Erkrankung gesehen. Die Kriterien für eine Panikstörung, eine depressive Erkrankung oder das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung sind nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht erfüllt. Dr. M. ist insoweit - ebenso wie zuvor schon der Sachverständige Dr. S. - der Rentengutachterin Dr. E. entgegengetreten, die bei der Klägerin eine Persönlichkeitsstörung mit selbstunsicheren und abhängigen Anteilen gesehen hatte. Der Sachverständige Dr. M. hat ferner Dr. D. widersprochen, der im Attest vom 7. November 2016 - im Übrigen im Gegensatz zu seinem Schreiben vom 21. April 2016 sowie den Arztbriefen vom 10. Juni und 26. August 2013 - neuerdings wieder "Panikattacken" (wie schon im Schreiben vom 5. November 2014) an das SG erwähnt hatte, ohne allerdings entsprechende psychopathologische Befunde mitzuteilen. Zutreffend hat Dr. N., dessen sozialmedizinische Stellungnahmen der Senat als qualifiziertes Beteiligtenvorbringen zu verwerten hat (vgl. BSG SozR Nr. 68 zu § 128 SGG; BSG, Urteil vom 6. April 1989 - 2 RU 55/88 - (juris Rdnr. 20)), auf die nur niederfrequente Therapie (beispielsweise im Jahr 2015 nach längerem Intervall nur zweimalige Vorstellungen am 14. September und 30. November) sowie auf die von Dr. D. im Schreiben vom 21. April 2016 angeführte "schwankende Ausprägung" der Angstsymptomatik hingewiesen, was im Ergebnis - insoweit die Einschätzung von Dr. M. untermauernd - gegen eine durchgreifende schwere Erkrankung spricht. Angst- und Stimmungseinbrüche - so Psychotherapeut/Psychiater S. in seiner Stellungnahme vom 24. Oktober 2016 - hat der Sachverständige Dr. M. im Rahmen seiner Begutachtung, bei der er sowohl die Angaben der Klägerin berücksichtigt als auch deren Verhalten beobachtet hat, gerade nicht festgestellt. Zu der von dem Therapeuten S. im Schreiben vom 28. April 2016 diagnostizierten "schweren chronifizierten Panikstörung", zu der von ihm ebenfalls keine psychopathologischen Befunde und auch keine Attackenfrequenz mitgeteilt worden sind, hat sich Dr. N. schon in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme vom 9. Juni 2016 ablehnend - und damit im Einklang mit den späteren Ausführungen des Sachverständigen Dr. M. - geäußert. Therapeut S. hat zudem sowohl im Schreiben vom 20. Oktober 2014 an das SG Karlsruhe als auch im Schreiben vom 28. April 2016 von einer Besserung der Symptomatik seit der im Mai 2011 begonnenen verhaltenstherapeutischen Behandlung berichtet. Von einer Agoraphobie wird im Übrigen, worauf Dr. N. zu Recht hingewiesen hat, von keinem der beiden psychiatrischen Behandler der Klägerin gesprochen. Die Klägerin ist, wenngleich im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung, ab November 2010 Reinigungstätigkeiten in einer benachbarten Gaststätte nachgegangen, hat sich mithin in der streitbefangenen Zeit Arbeiten außerhalb des häuslichen Bereichs durchaus selbst zugetraut.

Auf orthopädischem Gebiet leidet die Klägerin an Wirbelsäulenbeschwerden bei degenerativen Veränderungen vor allem an der Hals- und Brustwirbelsäule. Neurologische Ausfallerscheinungen liegen insoweit nach den Ausführungen der Sachverständigen Dr. M. und Dr. S. nicht vor. Die Kopfbeweglichkeit war bei beiden Sachverständigen nicht eingeschränkt; Chirurg R. maß am 3. Juni 2014 eine beidseitige Seitneigung von 25/0/25 Grad. Die bei der Klägerin erstmals am 11. Juni 2014 durch eine Knochendichtemessung verifizierte Osteoporose wird medikamentös behandelt. Internistischerseits finden sich nach den Darlegungen des Dr. S. keine Auffälligkeiten; die Blutdruckmessung ergab bei ihm Werte (systolisch/diastolisch) von 110/60 mmHg, bei Dr. M. von 110/80 mmHg. Die Kläger leidet außerdem an Kopfschmerzen. Auf gynäkologischem Gebiet finden sich, wie dem Schreiben des Dr. H. vom 21. August 2014 zu entnehmen ist, keine gravierenden Befunde.

Die bei der Klägerin vorhandenen Gesundheitsstörungen bewirken keine Einschränkung ihres Leistungsvermögens in quantitativer Hinsicht; sie führen lediglich zur Beachtung qualitativer Einschränkungen. Zu dieser Überzeugung gelangt der Senat unter Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens einschließlich aller Beweismittel, zu deren Verwertung er im Rahmen der in freier richterlicher Beweiswürdigung zu treffenden Entscheidung verpflichtet ist (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG). Der Senat folgt der schlüssigen und nachvollziehbaren Leistungsbeurteilung des Sachverständigen Dr. M., die im Einklang steht mit den Einschätzungen des vom SG Karlsruhe beauftragten Sachverständigen Dr. S. sowie der Rentengutachterin Dr. E., deren von der Beklagten veranlasstes Gutachten urkundenbeweislich zu verwerten ist; alle diese Gutachter haben bei der Klägerin ein Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden arbeitstäglich bejaht. Auch Dr. H. und Chirurg R. haben zeitliche Leistungseinschränkungen bei der Klägerin nicht gesehen, wobei die vom letztgenannten Arzt befürwortete "sitzende Tätigkeit mit Arbeitspausen" in Anbetracht von Art und Ausmaß der bei der Klägerin vorhandenen Gesundheitsstörungen freilich nicht nachvollziehbar ist. Dies gilt auch für die Leistungseinschätzungen des Dr. D. und des Psychotherapeuten/Psychiaters S.; soweit diese der Klägerin lediglich noch drei bzw. vier Stunden täglich haben zumuten wollen, ist das nur mit ihrer subjektiven Einstellung als Behandler erklärbar, entspricht jedoch nicht der in gutachterlicher Hinsicht zu fordernden Neutralität. Schon Dr. H. (Gutachten vom 22. November 2007) und Dr. K. (Entlassungsbericht vom 15. Februar 2006) hatten im Übrigen in zeitlicher Hinsicht keine Einschränkungen des Leistungsvermögens der Klägerin gesehen.

Hinsichtlich des zu beachtenden positiven und negativen Leistungsbildes würdigt der Senat die schlüssigen ärztlichen Äußerungen dahingehend, dass die Klägerin jedenfalls körperlich leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung noch mindestens sechs Stunden täglich verrichten kann; nicht zumutbar sind Akkord- und Fließbandarbeiten, Tätigkeiten in Wechsel- und Nachtschicht, Tätigkeiten unter besonderem Zeitdruck, Tätigkeiten mit Publikumsverkehr sowie Tätigkeiten mit einer das normale Maß deutlich übersteigenden Verantwortung und Tätigkeiten mit einer das normale Maß deutlich übersteigenden geistigen Beanspruchung. Einschränkungen hinsichtlich der Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit haben sowohl Dr. M. als auch Dr. S. verneint. Die Notwendigkeit von Arbeitsunterbrechungen in einem das betriebsübliche Maß übersteigenden Rahmen (vgl. hierzu BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 136; BSG, Urteil vom 19. August 1997 - 13 RJ 11/96 - (juris)) besteht ausweislich der Ausführungen beider Sachverständigen nicht.

Die Klägerin ist unter Würdigung der Darlegungen der Sachverständigen Dr. M. und Dr. S. ferner in der Lage, vier Mal täglich eine Wegstrecke von mehr als 500 m in weniger als 20 Minuten zurückzulegen (vgl. hierzu BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr. 10; BSG SozR 4-2600 § 43 Nr. 8 (Rdnr. 15)). Eine rentenrechtlich relevante Einschränkung der Mobilität der Klägerin liegt auch sonst nicht vor. Zwar gehört nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen (vgl. etwa BSGE 80, 24, 35) wobei ein abstrakter, generalisierender Maßstab anzulegen ist. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z.B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten (z.B. öffentliche Verkehrsmittel, eigenes Kraftfahrzeug) zu berücksichtigen (BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr. 10; BSG, Urteil vom 14. März 2002 - B 13 RJ 25/01 R - (juris Rdnr. 20); BSG, Urteil vom 28. August 2002 - B 5 RJ 8/02 R - (juris Rdnr. 11)). Einschränkungen der Fähigkeit der Klägerin, beispielsweise öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten zu benutzen, sind jedoch nicht ersichtlich.

Der Sachverständige Dr. M. hat darauf hingewiesen, dass die agoraphobischen Anteile der Angststörung, die sich aber so in der Untersuchungssituation bei fehlender klinisch relevanter Angstsymptomatik nicht gezeigt haben, bei der Klägerin nicht so ausgeprägt sind, dass eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht möglich erscheint. Soweit Dr. S. im Gutachten vom 27. Juli 2015 davon ausgegangen ist, dass die Klägerin "gegenwärtig und vorläufig" nicht in der Lage sei, öffentliche Verkehrsmittel alleine zu benutzen, vermag sich der Senat dieser Einschätzung nicht anzuschließen. Psychische Erkrankungen sind erst dann von rentenrechtlicher Relevanz, wenn trotz adäquater Behandlung (medikamentös, therapeutisch, ambulant und stationär) davon auszugehen ist, dass ein Versicherter die psychischen Einschränkungen dauerhaft nicht überwinden kann (vgl. BSG, Urteil vom 12. September 1990 - 5 RJ 88/89 - (juris Rdnr. 17); Bayer. LSG, Urteil vom 21. März 2012 - L 19 R 35/08 - (juris Rdnr. 58); LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27. April 2016 - L 5 R 459/15 - (juris Rdnr. 37)). Für das tatsächliche Vorliegen von seelisch bedingten Störungen, ihre Unüberwindbarkeit aus eigener Kraft und ihre Auswirkungen auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit trifft im Übrigen den Rentenbewerber die (objektive) Beweislast (vgl. BSG, Urteil vom 20. Oktober 2004 - B 5 RJ 48/03 R - (juris Rdnr. 30)). Der Sachverständige Dr. S. hat indessen selbst ausgeführt, dass agoraphobische Ängste mittels bewährter Module gut behandelt werden können. Auch Dr. N. hat in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme vom 20. November 2015 auf die prinzipiell leichte Behandelbarkeit und gute Überwindbarkeit von Angsterkrankungen hingewiesen. Der Sachverständige Dr. M. hat sogar noch eine weitere Stabilisierung und Besserung der Leistungsfähigkeit der Klägerin durch eine konsequente verhaltenstherapeutische Behandlung im ambulanten Bereich und in Kombination mit einer suffizienten Medikation für aussichtsreich erachtet. Die Klägerin hat im Übrigen in dem Selbsteinschätzungsbogen vom 16. September 2013 die Benutzung von Auto und Bus "tagesabhängig" selbst für möglich gehalten.

Mit dem vorhandenen Leistungsvermögen ist die Klägerin nicht voll erwerbsgemindert. Eine - trotz mindestens sechsstündiger Leistungsfähigkeit - eine Rente wegen voller Erwerbsminderung rechtfertigende Ausnahme ist allerdings dann gegeben, wenn qualitative Leistungsbeschränkungen vorliegen, die eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung darstellen (vgl. etwa BSG SozR 3-2600 § 43 Nrn. 17 und 21; SozR a.a.O. § 44 Nr. 12), oder der Arbeitsmarkt sonst praktisch verschlossen ist, etwa weil der Versicherte nicht in der Lage ist, noch unter betriebsüblichen Bedingungen Tätigkeiten zu verrichten oder seine Fähigkeit, einen Arbeitsplatz zu erreichen, aus gesundheitlichen Gründen eingeschränkt ist (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nrn. 137 und 139). Die letztgenannten beiden Gründe, die zu einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes führen können, sind nach dem Beweisergebnis - wie oben ausgeführt - nicht gegeben. Ebenso wenig stellt das bei der Klägerin zu beachtende positive und negative Leistungsbild eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung dar. Hinsichtlich der vorhandenen qualitativen Beschränkungen hängt das Bestehen einer Benennungspflicht im Übrigen entscheidend von deren Anzahl, Art und Schwere ab, wobei die Frage der Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zweckmäßigerweise in zwei Schritten zu klären ist. Zunächst ist in einem ersten Prüfungsschritt festzustellen, ob das Restleistungsvermögen der Versicherten körperliche Verrichtungen erlaubt, die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden (wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw.; vgl. BSGE 80, 24, 32); erst wenn insoweit Zweifel an der betrieblichen Einsetzbarkeit bestehen, folgt eine weitere Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, die alsdann zur Pflicht zur Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit führt (vgl. BSG SozR 3-2600 § 43 Nrn. 17 und 21; SozR a.a.O. § 44 Nr. 12; BSGE 109, 189 = SozR 4-2600 § 43 Nr. 16; SozR a.a.O. § 43 Nrn. 18 und 19).

Die bei der Klägerin zu beachtenden qualitativen Einschränkungen führen indes nicht zu Zweifeln an ihrer betrieblichen Einsetzbarkeit. Die bei der Klägerin zu beachtenden qualitativen Einschränkungen (keine Arbeiten unter erhöhtem Zeitdruck, im Akkord, am Fließband, im Schichtdienst, kein Publikumsverkehr, keine Tätigkeiten mit einer das normale Maß deutlich übersteigenden Verantwortung, mit einer das normale Maß deutlich übersteigenden geistigen Beanspruchung) führen nicht zu einer Einengung der beruflichen Einsetzbarkeit der Klägerin im oben genannten Sinn (vgl. hierzu BSGE 80, 24, 32; BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 117; BSG, Urteil vom 20. Oktober 2004 - B 5 RJ 48/03 R - (juris Rdnr. 19); BSG SozR 4-2600 § 43 Nrn. 18 und 19). Körperlich leichte Arbeiten werden im Übrigen nicht typischerweise unter diesen Bedingungen ausgeübt. Etwaige häufigere Zeiten der Arbeitsunfähigkeit bewirken für sich allein noch keine verminderte Erwerbsfähigkeit (vgl. BSGE 9, 192, 194; BSG SozR 2200 § 1247 Nr. 12 S. 23).

Die Klägerin ist nach allem nicht voll erwerbsgemindert; es liegt noch nicht einmal eine teilweise Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 SGB VI vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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