S 13 KR 257/17

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 257/17
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von 16.985,00 EUR, die die Klägerin für privatärztlich erbrachte Leistungen einer Privatklinik im Zusammenhang mit drei Liposuktionen im Bereich der Unterschenkel, Oberschenkel und Arme zur Behandlung von Lipödemen bezahlt hat.

Die am 00.00.0000 geborene Klägerin leidet an Lipödemen im Bereich der Arme und Beine. Am 27.12.2016 beantragte sie bei der Beklagten die Übernahme der Kosten einer "Lipo-Dekompression via Liposuction" durch die nicht zur Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zugelassene privatärztliche LipoClinic Dr. I ... Sie legte hierzu eine befürwortende Stellungnahme der LipoClinic vom 02.12.2012 und drei Kostenvoranschläge bezüglich dreier Liposuktionsbehandlungen der Oberschenkel, Unterschenkel und Arme beidseits über je 5.995,00 EUR, insgesamt 17.985,00 EUR, vor.

Noch am selben Tag – 27.12.2016 – lehnte die Beklagte den Antrag ab mit der Begründung, die Liposuktion sei eine neue Behandlungsmethode, die nicht zu den vertragsärztlichen Leistungen gehöre.

Dagegen erhob die Klägerin am 13.01.2017 Widerspruch. Sie trug vor, das Lipödem der Arme und Beine sei diagnostisch gesichert. Die Liposuktion sei indiziert; alternative Behandlungsmaßnahmen wie lebenslange Kompression und Lymphdrainage wirkten nur symptomatisch. Die Klägerin meinte, in ihrem Falle seien alle drei Voraussetzungen, unter denen das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in der Entscheidung vom 06.12.2005 eine neue, noch nicht anerkannte Behandlungsmethode der Leistungspflicht der GKV unterstellt habe, erfüllt.

Nach Einholung eines Gutachtens des Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) wies die Beklagten den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 22.05.2017 zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 23.06.2017 Klage erhoben. Sie trägt vor, die konservative Entstauungstherapie mittels flachgestrickter Kompressionsbestrumpfung, die bisher zur Behandlung des im Jahre 2011 festgestellten Lipödems konsequent durchgeführt worden sei, habe die Grunderkrankung nicht positiv beeinflussen können; vielmehr sei eine stetige Verschlechterung des Gesundheitszustandes eingetreten. Die Mobilität in ihrer beruflichen Tätigkeit als Lageristin sei inzwischen zunehmend eingeschränkt. Mittelfristig sei davon auszugehen, dass die Berufsfähigkeit insbesondere für Tätigkeiten in stehender und sitzender Zwangshaltung bedroht sei. Ein schriftlicher Behandlungsvertrag sei mit der LipoClinic nicht geschlossen worden. Die erste Behandlung (Liposuktion der Unterschenkel) sei am 27.03.2017 erfolgt und habe Kosten von 5.995,00 EUR verursacht; hierzu hat die Klägerin die Rechnung vom 27.03.2017 vorgelegt und mitgeteilt, der Rechnungsbetrag sei am 13.03.2017 bezahlt worden. Erst in der mündlichen Verhandlung vom 21.11.2017 hat die Klägerin mitgeteilt, die zweite Liposuktionsbehandlung der Oberschenkel sei bereits am 31.05.2017 durchgeführt worden; hierfür habe die LipoClinic am selben Tag 5.995,00 EUR in Rechnung gestellt; dieser Betrag sei ebenfalls bereits bezahlt worden; zwischenzeitlich sei am 02.10.2017 auch die Liposuktion im Bereich der Arme durchgeführt worden; hierfür habe die LipoClinic 4.995,00 EUR in Rechnung gestellt; der Betrag sei bezahlt.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 27.12.2016 in der Fassung des Widerspruchbescheides vom 22.05.2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr die entstandenen Kosten i. H. v. 16.985,00 EUR für die von Dr. I. gemäß Rechnungen vom 27.03.2017, 31.05.2017 und 02.10.2017 in Anspruch genommenen Leistungen zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verbleibt bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Rechtsauffassung und verweist zudem auf die fehlende Zulassung der Privatklinik zur Versorgung gesetzlich Versicherter.

Auf Anfrage des Gerichts hat die LipoClinic Dr. I. bestätigt, dass sie eine privatärztliche Praxis sei, welche über keine Kassenzulassung verfüge.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen der Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen, die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Sie hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten in Höhe von 16.895,00 EUR, die ihr durch die von der LipoClinic Dr. I. privatärztlich durchgeführten drei Liposuktionen im Bereich der Unterschenkel, der Oberschenkel und der Arme entstanden sind.

Für das Erstattungsbegehren kommt einzig § 13 Abs. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) als Anspruchsgrundlage nach dem Recht der GKV in Betracht. Satz 1 dieser Vorschrift lautet: "Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war." Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Bei den in der LipoClinic Dr. I. durchgeführten Liposuktionen zur Behandlung des Lipödems handelte es sich nicht um eine unaufschiebbare Leistung im Sinne des § 13 Abs. 3 Satz 1, 1. Alternative SGB V. Eine Leistung ist unaufschiebbar, wenn sie im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Durchführung so dringlich war, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten zeitlichen Aufschubs mehr bestand (LSG NRW, Urteil vom 20.12.2012 – L 1 KR 276/11 – unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 25.09.2000 – B 1 KR 5/99 R). Dies ist die Situation eines Notfalls im Sinne von § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V. Ein solcher Notfall, der auch zur Inanspruchnahme von Nichtvertragsärzten und Privatkliniken berechtigt und im Weiteren einen Kostenerstattungsanspruch entstehen lässt, liegt vor, wenn eine dringende Behandlungsbedürftigkeit besteht und ein an der Versorgung in der GKV teilnahmeberechtigter/s Arzt/Krankenhaus nicht rechtzeitig zur Verfügung steht. Das ist vor allem der Fall, wenn ohne eine sofortige Behandlung durch einen/ein Nichtvertragsarzt/Nichtvertragskrankenhaus Gefahren für Leib und Leben entstehen oder heftige Schmerzen unzumutbar lange andauern würden (LSG NRW, Urteil vom 18.02.2009 – L 11 KR 43/07). Dafür, dass diese Kriterien bei Durchführung der Liposuktionen vorgelegen haben, ist nichts ersichtlich und von der Klägerin auch nichts vorgetragen.

Auch die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 Satz 1, 2. Alternative SGB V sind nicht erfüllt. Denn die Beklagte hat die Leistung nicht zu Unrecht abgelehnt. Der in Betracht kommende Leistungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkasse allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. BSG, Urteil vom 24.09.1996 – 1 RK 33/95; Urteil vom 22.03.2005 – B 1 KR 11/03 R; Urteil vom 07.11.2006 – B 1 KR 24/06 R). Grundsätzlich werden die Sachleistungen durch Ärzte und Psychotherapeuten bzw. Krankenhäuser, die zur vertragsärztlichen Versorgung in der GKV zugelassen sind, erbracht (§§ 95, 108 SGB V). Andere Behandler dürfen nur in Notfällen in Anspruch genommen werden (§ 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Bei den von der LipoClinic Dr. I. durchgeführten Behandlungen handelte es sich jedoch – wie oben dargelegt – nicht um Notfallbehandlungen im Sinne dieser Vorschrift. Da die LipoClinic Dr. I. nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen ist, war schon allein deshalb die Ablehnung des Antrages rechtmäßig, weil die Behandlung gesetzlich Versicherter grundsätzlich nur durch zugelassenen Leistungserbringer erbracht wird (vgl. §§ 76 Abs. 1 Satz 1, 108 SGB V). Aber auch unabhängig davon handelt es sich bei den durchgeführten Liposuktionen nicht um eine Leistung der GKV.

Die Beklagte war zwar nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V zur Gewährung ärztlicher Behandlung bei der Klägerin verpflichtet. Denn es bestand bei dieser eine Krankheit im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB V; sie litt an einem Lipödem im Bereich der unteren Extremitäten und der Arme. Der Behandlungsanspruch unterliegt allerdings den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Die Krankenkassen sind daher nicht bereits dann leistungspflichtig, wenn die streitige Therapie nach eigener Einschätzung der Versicherten oder der behandelnden Ärzte sinnvoll ist und befürwortet wird. Vielmehr muss die betreffende Therapie rechtlich von der Leistungspflicht der GKV umfasst sein. Dies ist bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V nur dann der Fall, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung zu den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Durch diese Richtlinien wird nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zur Lasten der Krankenkasse erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr wird durch diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 1 KR 24/06 R = BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 12).

Die von Klägerin zur Behandlung des Lipödems beantragten und nach der Ablehnung durch die Beklagte selbst beschafften Liposuktionen gehör(t)en (noch) nicht zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenkassen (LSG NRW, Urteil vom 16.01.2014 – L 16 KR 558/13; LSG Sachsen, Urteile vom 16.01.2014 – L 1 KR 229/10 und vom 23.07.2015 – L 1 KR 104/15; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 05.02.2015 – L 5 KR 228/13; LSG Thüringen, Beschluss vom 20.04.2015 – L 6 KR 1935/12 B; LSG Baden-Württemberg, Urteile vom 27.04.2012 – L 4 KR 595/11, vom 01.03.2013 – L 4 KR 3517/11, vom 31.08.2016 – L 5 KR 609/16 und vom 13.09.2016 – L 4 KR 320/16; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 30.08.2016 – L 16/1 KR 303/15;). Die Liposuktion entspricht – schon ganz grundlegend – nicht den erforderlichen Qualitätsanforderungen, die an eine zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung durchzuführende Behandlungsmethode zu stellen sind.

§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V gibt vor, dass Qualität und Wirksamkeit der Leistungen, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben. Der Anspruch eines Versicherten auf Behandlung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 SGB V umfasst daher nur solche Leistungen, deren Qualität und Wirksamkeit diesen wissenschaftlichen Anforderungen entsprechen. Hierzu gehört es nicht, dass eine Behandlungsmethode bei einem Versicherten nach Ansicht seiner Ärzte positiv wirkt. Neue Verfahren, die nicht ausreichend erprobt sind, oder Außenseitenmethoden, die zwar bekannt sind, aber sich nicht bewährt haben, lösen keine Leistungspflicht der Krankenkasse aus. Es ist nicht Aufgabe der Krankenkassen, die medizinische Forschung zu finanzieren (so ausdrücklich: BT-Drucksache 11/2237, S. 157). Die einzige – hier nicht in Betracht kommende – Ausnahme bildet nach § 137c Abs. 2 Satz 2 SGB V die Durchführung klinischer Studien. Behandlungen im Rahmen solcher Studien waren und sind zur Förderung des medizinischen Fortschritts zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abrechenbar (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 01.03.2013 – L 4 KR 3517/11 m.w.N.).

Außerhalb klinischer Studien muss es jedoch zu Qualität und Wirksamkeit einer Behandlungsmethode grundsätzlich verlässliche wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen geben. Im Bereich der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung ist Voraussetzung für eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen, dass der G-BA in der Richtlinie nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der (neuen) Behandlungsmethode abgegeben hat (vgl. § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Nichts anderes gilt für neue Behandlungsmethoden, die im Rahmen stationärer Krankenhausbehandlung durchgeführt werden. Zwar ergibt sich aus § 137c Abs. 1 SGB V, dass für den stationären Bereich ein Anspruch grundsätzlich nur dann ausgeschlossen ist, wenn der G-BA dazu eine negative Stellungnahme abgegeben hat, was für die Liposuktion nicht der Fall ist. Allein die rechtstechnisch unterschiedliche Gestaltung einerseits von § 135 Abs. 1 SGB V als "Verbot mit Erlaubnisvorbehalt" für die ambulante vertragsärztliche Versorgung und andererseits von § 137c Abs. 1 SGB V als "Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt" für die stationäre Versorgung im Krankenhaus sowie Wortlaut und Regelungszweck von § 137c Abs. 1 SGB V gebieten es nicht, bereits im Rahmen der Prüfung, ob Nachweise zur Wirksamkeit der Methode bei der beanspruchten Indikation vorliegen, unterschiedliche Maßstäbe zur Beurteilung der therapeutischen Wirksamkeit einer Behandlungsmethode im ambulanten oder stationären Versorgungsbereich zur Anwendung zu bringen. Trotz der andersartigen Normstruktur und des unterschiedlichen Wortlauts von § 135 Abs. 1 und § 137c Abs. 1 SGB V ist die Methodenbewertung im SGB V prinzipiell bereits übergreifend angelegt (LSG NRW, Urteile vom 08.05.2014 – L 16 KR 439/10 – und 16.01.2014 – L 16 KR 558/13 – unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 06.05.2009 – B 6 A 1/08 R). Dementsprechend erfordert der Anspruch auf Krankenhausbehandlung auch dann, wenn der G-BA nicht über die Zulässigkeit der Behandlungsmethode im Krankenhaus entschieden hat, dass die angewandte Methode zur Zeit der Behandlung dem Qualitätsgebot des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse oder den Voraussetzungen grundrechtsorientierter Leistungsauslegung genügt. Nur insoweit entspricht der Vergütungsanspruch des Krankenhauses dem Anspruch der Versicherten auf stationäre Behandlung (LSG NRW, a.a.O.).

Zu Qualität und Wirksamkeit der Liposuktion bei Lipödem im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V konnten zum Zeitpunkt der drei Behandlungen und können zurzeit keine zuverlässigen, wissenschaftlich nachprüfbaren Aussagen gemacht werden. Es fehlen wissenschaftlich einwandfrei durchgeführte Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode. Dies ergibt sich aus dem "Gutachten Liposuktion bei Lip- und Lymphödemen" der sozialmedizinischen Expertengruppe 7 "Methoden- und Produktbewertung" des MDK vom 06.10.2011 in der aktualisierten Fassung vom 15.01.2015 (abrufbar unter: www.sindbad-mds.de [Datenbank/Schlagwortliste "L"/Liposuktion]). Das Gutachten nimmt eine umfassende Auswertung der über den Einsatz Liposuktion als Methode zur Behandlung von Lipödemen oder anderen Fettverteilungserkrankungen veröffentlichten Studien vor. Die Gutachter kommen in der Zusammenfassung (Abschnitt 11 des Gutachtens) zu dem Ergebnis, dass für die Liposuktion keine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung besteht. Diesem überzeugenden Fazit der Gutachter schließt sich die Kammer an. Die Methode ist derzeit noch Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion; es sind weitere randomisierte Studien erforderlich, um sie zu einer den Kriterien der Evidenz basierten Medizin entsprechenden Behandlungsmethode qualifizieren zu können (so auch: LSG NRW, Urteile vom 08.05.2014 – L 16 KR 439/10 – und vom 16.01.2014 – L 16 KR 558/13; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 01.03.2013 – L 4 KR 3517/11). Einer Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung in Bezug auf die – ambulante oder stationäre – Liposuktion zur Therapie des Lipödems steht nach alledem entgegen, dass die in den §§ 2 und 12 SGB V definierten Anforderungen an Qualität und Wirtschaftlichkeit nicht erfüllt sind.

Ein Leistungsanspruch der Klägerin ergab und ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Systemmangels. Danach kann eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem G-BA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzung nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde ("Systemversagen"; vgl. BSG, Urteil vom 04.04.2006 – B 1 KR 12/05 R). Im Fall der Liposuktion besteht ein Systemversagen deshalb nicht, weil sich der G-BA mit der Behandlungsmethode laufend befasst. Der G-BA hat in seiner Sitzung vom 22.05.2014 den Beschluss gefasst, den Antrag der Patientenvertretung anzunehmen und das diesbezügliche Beratungsverfahren einzuleiten; er hat den Unterausschuss Methodenbewertung mit der Durchführung der Bewertung der Liposuktion bei Lipödem gem. §§ 135 Abs. 1 und 137c SGB V beauftragt. Zuletzt hat der G-BA am 20.07.2017 aktuelle Beschlüsse zur "Liposuktion bei Lipödem" gefasst, die vom Bundesministerium für Gesundheit gemäß Schreiben vom 09.10.2017 nicht beanstandet worden sind. Danach ist für diese Methode das Bewer¬tungsverfahren ausgesetzt und ein Beratungsverfahren zur Richtlinie zur Erprobung gem. § 137e SGB V eingeleitet worden. Die Einzelheiten er¬geben sich aus § 137e SGB V und den dazu noch zu erlassenden Richt¬linie des G-BA. Versicherte könnten nunmehr die Liposuktion entsprechend den Vorgaben dieser Richtlinie in einem an der Erprobung teilnehmendem Krankenhaus oder nach Maßgabe von § 137e Abs. 2 Satz 3 SGB V auch an einem anderen Krankenhaus zu Lasten der GKV durchführen lassen. Für den geltend gemachten Anspruch der Klägerin hat dies jedoch keine Bedeutung. Das Fazit (Ziffer 6.) der tragenden Gründe des Beschlusses vom 20.07.2017 wird mit dem Satz eingeleitet: "Für die Methode "Liposuktion bei Lipödem" ist der Nutzen noch nicht hinreichend belegt."

Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich ein Kostenerstattungsanspruch auch nicht wegen Vorliegens einer notstandsähnlichen Krankheitssituation unter Berücksichtigung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Beschluss vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 5) entschieden, dass es mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Ab. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar ist, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, generell von der Gewährung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Im Sinne dieser Rechtsprechung hat der Gesetzgeber in § 2 Abs. 1a SGB V eine entsprechende gesetzliche Regelung eingefügt. Eine Fallgestaltung, wie sie das BVerfG und die genannte Vorschrift beschreiben, liegt bei der Klägerin nicht vor.

Die Klägerin kann sich auch nicht auf § 2 Abs. 1a SGB V, eingefügt durch Art. 1 Nr. 1 GKV-VStG vom 22.12.2011 (BGBl. I, S. 2983) mit Wirkung vom 01.01.2012, berufen. Diese Vorschrift setzt die Rechtsprechung BVerfG im Beschluss vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98) und die diese Rechtsprechung konkretisierenden Entscheidungen des BSG (z.B. BSG, Urteile vom 04.04.2006 – B 1 KR 12/04 R und B 1 KR 7/05 R – und vom 16.12.2008 – B 1 KR 11/08 R) zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung um. Der vom BVerfG entwickelte Anspruch von Versicherten auf ärztliche Behandlung mit nicht allgemein anerkannten Methoden, die durch den zuständigen G-BA bisher nicht anerkannt sind, setzt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder – nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare – Erkrankung voraus (BSG, Urteile vom 04.04.2006 – B 1 KR 12/04 R und B 1 KR 7/05 R –, vom 16.12.2008 – B 1 KR 11/08 R – und vom 07.05.2013 – B 1 KR 26/12 R). Mit dem Kriterium einer Krankheit, die zumindest mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung in der Bewertung vergleichbar ist, ist eine strengere Voraussetzung umschrieben, als sie etwa mit dem Erfordernis einer "schwerwiegenden" Erkrankung für die Eröffnung des so genannten Off-Label-Use formuliert ist (BSG a.a.O.). Gerechtfertigt ist hiernach eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen u.a. nur, wenn eine notstandsähnliche Situation vorliegt, in der ein erheblicher Zeitdruck für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.11.2015 – 1 BvR 2056/12). Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich ein voraussichtlich tödlicher Krankheitsverlauf innerhalb überschaubaren Zeitraums mit Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird; Ähnliches kann für den nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion gelten. Einen solchen Schweregrad erreichte das Lipödem-Syndrom der Klägerin nicht (vgl. dazu auch: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.09.2016 – L 4 KR 320/16).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved