Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 1177/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid des Beklagten vom 21.03.2016 wird ersatzlos aufgehoben. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Streitig ist ein Regress wegen fehlerhafter Angabe des Kostenträgers.
Das zur vertragsärztlichen Versorgung in Düsseldorf zugelassene klagende MVZ behandelte u.a. den Patienten E U, geb. 00.00.1978. Dessen Mitgliedschaft bei der Beigeladenen zu 1) endete zum 30.06.2012. Über das Ende dieser Mitgliedschaft unterrichtete die Beigeladene zu 1) die Klägerin zuletzt mit Schreiben vom 14.08.2013 unter Hinweis darauf, dass eine Abrechnung von der Klägerin erbrachter Leistungen mit ihr ab der Kenntnisnahme dieses Schreibens nicht möglich sei. Gleichwohl verordnete die Klägerin zu Lasten der Beigeladenen zu 1) am 05.05.2014 und 12.06.2016 das Präparat Advate 3.000IE zu einem Gesamtpreis von netto 191.924,80 EUR.
Auf Prüfantrag der Beigeladenen zu 1) setzte die Prüfungsstelle mit Bescheid vom 26.10.2015 gegen die Klägerin einen Regress in Höhe von 191.924,80 EUR netto fest.
Einen hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Bescheid vom 21.03.2016 zurück: Er habe die Verordnungen von Advate 3.000IE gemäß § 16 der Prüfvereinbarung - Prüfung in besonderen Fällen - zu prüfen gehabt. In der falschen Eingabe der Beigeladenen zu 1) als Kostenträger liege die von der Klägerin zu verantwortende schuldhafte Pflichtverletzung.
Bei einem Verfahren auf Festsetzung eines "sonstigen Schadens" handele es sich nicht um ein originäres Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren nach § 106 SGB V, sondern werde eine Zuständigkeit der Prüfgremien hier auch durch (bundesmantel-)vertragliche Vereinbarung begründet. Trotzdem regelten sich Verfahren und Entscheidung im Wesentlichen nach denselben Regeln. Auch das Gesetz differenziere in § 106 Abs. 5 Satz 3 SGB V nicht nach dem Gegenstand der angegriffenen Entscheidung, sondern stelle allein auf die Entscheidungsträger ab. Daher sei es sachgerecht, die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu den Besonderheiten des Verfahrens vor dem Beschwerdeausschuss auch insoweit zugrunde zu legen (Urteil des BSG vom 29.06.2011 - B 6 KA 16/10 R -). Auch seien die Prüfgremien umfassend für die Beanstandung von Verordnungsfehlern zuständig - teils im Wege von Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren gemäß § 106 SGB V und im Übrigen im Schadensfeststellungsverfahren gemäß § 48 BMV-Ä (BSG vom 20.03.2013 - B 6 KA 17/12 R -). Die gerügte Unzuständigkeit der Prüfungsgremien liege somit nicht vor.
Hiergegen richtet sich die am 20.04.2016 erhobene Klage.
Die Klägerin ist - wie bereits im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren - der Ansicht, es handele sich vorliegend um den ausdrücklich in § 48 Abs. 3 BMV-Ä geregelten Fall der Ausstellung einer (ansonsten zutreffenden) Verordnung zu Lasten des falschen Kostenträgers. In diesem Fall seien nicht - auch nicht alternativ - die Prüfgremien, sondern allein die Kassenärztliche Vereinigung zuständig. Auch inhaltlich lägen die Voraussetzungen dieser Bestimmung nicht vor, denn der Beigeladenen zu 1) sei der im Verordnungszeitraum zuständige Kostenträger - die AOK Nordwest - bekannt gewesen. Es hätte mithin eine Erstattung zwischen diesen Krankenkassen stattfinden müssen. Ob dem ggf. interne Absprachen entgegenstünden, könne nicht zu Lasten der Klägerin gehen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 21.03.2016 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, über den Widerspruch gegen den Bescheid des Prüfungsausschusses vom 26.10.2015 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes erneut zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verteidigt seinen Bescheid.
Die Partner der Bundesmantelverträge hätten in § 48 BMV-Ä den Prüfgremien die Kompetenz zugewiesen, den sonstigen durch einen Vertragsarzt verursachten Schaden festzustellen. Werde geltend gemacht, (nur) die Art und Weise der Ausstellung der Verordnung sei fehlerhaft gewesen, so stehe ein "sonstiger Schaden" in Frage, der im Verfahren gemäß § 48 BMV-Ä geltend zu machen sei (BSG, Urteil vom 20.03.2013 - B 6 KA 17/12 R -). Vorliegend sei die Verordnung zulasten der Beigeladenen zu 1) ausgestellt worden, obwohl die Klägerin positiv gewusst habe, dass der Patient inzwischen nicht mehr bei ihr versichert gewesen sei. Infolge dessen werde die Art und Weise der Verordnung beanstandet, woraus die Zuständigkeit der Prüfgremien resultiere. Aus der schuldhaften Verordnung sei der Beigeladenen zu 1) der geltend gemachte Schaden entstanden, für welchen die Klägerin ersatzpflichtig sei.
Die Beigeladenen stellen keine Prozessanträge.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen nimmt die Kammer Bezug auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte des Beklagten. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), da dieser rechtswidrig ist.
Der Beklagte war für die Festsetzung des Regresses sachlich nicht zuständig.
Als Gremium der Wirtschaftlichkeitsprüfung geht der Beklagte zutreffend davon aus, dass es sich vorliegend nicht um ein originäres Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung handelt. Er sieht seine Zuständigkeit über (bundesmantel-)vertragliche Vorschriften begründet. Dem vermag die Kammer nicht zu folgen.
Die von dem Beklagten herangezogenen Entscheidungen des BSG entfalten allein für den Anwendungsbereich des § 48 Abs. 1 BMV-Ä Geltung (Urteile vom 29.06.2011 - B 6 KA 16/10 R – (Rn. 10, 11, 16, 19, 20, 32, 34); vom 20.03.2013 - B 6 KA 17/12 R – (Rn. 18, 20)). Nach dieser Vertragsbestimmung wird der sonstige durch einen Vertragsarzt verursachte Schaden, der einer Krankenkasse aus der unzulässigen Verordnung von Leistungen, die aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind, oder aus der fehlerhaften Ausstellung von Bescheinigungen entsteht, durch die Prüfungseinrichtungen nach § 106 SGB V festgestellt. Hierbei geht es um unzulässige Verordnungen, bei denen Fehler in Frage stehen, welche die Art und Weise ihrer Ausstellung betreffen. Aus welchem Rechtsgrund die Verordnung unzulässig ist, ist dabei ohne Bedeutung (BSG, Urteil vom 29.06.2011 - B 6 KA 16/10 R – (Rn. 19)).
Den vorliegenden Fall einer fehlerhaften Angabe des Kostenträgers erfasst § 48 Abs. 1 BMV-Ä indes nicht. Vielmehr haben die Partner der Bundesmantelverträge insofern in § 48 Abs. 3 BMV-Ä eine eigenständige Regelung getroffen, die als lex specialis die Anwendung des § 48 Abs. 1 BMV-Ä verdrängt.
Gemäß § 48 Abs. 3 Satz 1 BMV-Ä (in der hier maßgeblichen Fassung ab 01.10.2013) ist auf Antrag der Krankenkasse ein Schadensersatzanspruch durch die Kassenärztliche Vereinigung (KV) festzustellen, wenn die Krankenkasse einen Schaden geltend macht, der ihr dadurch entstanden ist, dass sie der Vertragsarzt auf den Verordnungsunterlagen fälschlicherweise als Kostenträger angegeben hat. Voraussetzungen dafür ist gemäß Satz 2 u.a., dass die Krankenkasse versichert, dass der zuständige Kostenträger durch eigene Ermittlungen der Krankenkasse nicht festgestellt werden kann (Nr. 2), und vorsorglich den Ausgleichsanspruch gegen den zuständigen Kostenträger an die KV abtritt (Nr. 3).
Diese Regelung begründet eine originäre und ausschließliche Zuständigkeit der Krankenkasse zur Prüfung, ob ihr durch die fehlerhafte Angabe des Kostenträgers ein Schaden entstanden ist. Wenn sie dies bejaht und die weiteren Vor-aussetzungen des § 48 Abs. 3 Satz 2 BMV-Ä gegeben sind, stellt die KV auf ihren Antrag einen Schadensersatzanspruch gegen den Vertragsarzt oder die Einrichtung fest.
Die Bestimmung des § 48 Abs. 3 BMV-Ä fügt sich auch systemkonform in die gesetzlichen Aufgabenzuweisungen bei der Wirtschaftlichkeits- und Abrechnungsprüfung ein.
Gemäß § 106a Abs. 3 Satz 1 SGB V (seit 16.07.2015: § 106d Abs. 3 Satz 1 SGB V) prüfen die Krankenkassen die Abrechnungen der Vertragsärzte (jetzt: "der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen") insbesondere hinsichtlich des Bestehens und des Umfangs ihrer Leistungspflicht (Nr. 1 a.a.O.). In Bezug auf das Bestehen der Leistungspflicht ist zu prüfen, ob der Versicherte, für den die Leistungen zu Lasten der Krankenkasse abgerechnet werden, gegen diese dem Grunde und dem Umfang nach einen Anspruch hatte. Dies beinhaltet auch die Feststellung der Leistungspflicht im Hinblick auf die Zuständigkeit eines anderen Leistungsträgers (vgl. § 16 Abs. 2 der "Richtlinien der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Spitzenverbände der Krankenkassen zum Inhalt und zur Durchführung der Abrechnungsprüfungen der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Krankenkassen" (PrüfRL § 106a)), mithin auch die Frage, ob der behandelnde Vertragsarzt den zutreffenden Kostenträger angegeben hat (BSG, Urteil vom 23.03.2016 - B 6 KA 8/15 R – (Rn. 16 f., 40)).
Die Krankenkasse ist verpflichtet, die KV von dem Ergebnis der von ihr durchgeführten Prüfung zu unterrichten (§ 106a Abs. 3 Satz 2 SGB V); diese Unterrichtung hat die KV von sich aus - also "von Amts wegen" - zum Anlass zu nehmen, die gebotenen Maßnahmen zu ergreifen. Die KV ist an das mitgeteilte Ergebnis der von der Krankenkasse durchgeführten Prüfung gebunden und hat dieses nur noch im Verhältnis zu den betroffenen Vertragsärzten und Einrichtungen durch Bescheid umzusetzen; ein Recht, das Prüfungsergebnis der Krankenkassen inhaltlich zu überprüfen, steht ihr insofern nicht zu (BSG, Urteil vom 23.03.2016, a.a.O. (Rn. 24 ff.))
Die Prüfung der fehlerhafte Angabe des Kostenträgers ist daher auch im Rahmen sachlich-rechnerischer Abrechnungsprüfung mit Inkrafttreten des § 106a SGB V ausdrücklich und originär den Krankenkassen zugewiesen (BSG, Urteil vom 23.03.2016, a.a.O. (Rn. 18)).
Der angefochtene Bescheid war daher mangels sachlicher Zuständigkeit des Beklagten ersatzlos aufzuheben. Für eine Neubescheidung bleibt kein Raum.
Für die vorliegend entscheidungserhebliche Frage nach der Zuständigkeit des Beklagten ist es schließlich ohne Belang, ob die Beigeladene zu 1) hier bei der Beigeladenen zu 2) einen entsprechenden Antrag gestellt hat und ob die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des § 48 Abs. 3 BMV-Ä für einen Schadensersatzanspruch erfüllt sind. Unerheblich ist ferner, ob es im Innenverhältnis zwischen der Beigeladenen zu 1) und der AOK Nordwest einen Erstattungsverzicht für Arzneimittel gibt, wie er jedenfalls früher in Ziffer 2. (Umfang der Erstattung) der "Vereinbarung über die Abwicklung von Erstattungsansprüchen nach § 105 SGB X innerhalb der AOK-Gemeinschaft" vom 15.03.1994 geregelt war (vgl. dazu auch Urteil der erkennenden Kammer vom 16.05.2007 - S 2 (17) KA 287/04 – (rkr.)).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Tatbestand:
Streitig ist ein Regress wegen fehlerhafter Angabe des Kostenträgers.
Das zur vertragsärztlichen Versorgung in Düsseldorf zugelassene klagende MVZ behandelte u.a. den Patienten E U, geb. 00.00.1978. Dessen Mitgliedschaft bei der Beigeladenen zu 1) endete zum 30.06.2012. Über das Ende dieser Mitgliedschaft unterrichtete die Beigeladene zu 1) die Klägerin zuletzt mit Schreiben vom 14.08.2013 unter Hinweis darauf, dass eine Abrechnung von der Klägerin erbrachter Leistungen mit ihr ab der Kenntnisnahme dieses Schreibens nicht möglich sei. Gleichwohl verordnete die Klägerin zu Lasten der Beigeladenen zu 1) am 05.05.2014 und 12.06.2016 das Präparat Advate 3.000IE zu einem Gesamtpreis von netto 191.924,80 EUR.
Auf Prüfantrag der Beigeladenen zu 1) setzte die Prüfungsstelle mit Bescheid vom 26.10.2015 gegen die Klägerin einen Regress in Höhe von 191.924,80 EUR netto fest.
Einen hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Bescheid vom 21.03.2016 zurück: Er habe die Verordnungen von Advate 3.000IE gemäß § 16 der Prüfvereinbarung - Prüfung in besonderen Fällen - zu prüfen gehabt. In der falschen Eingabe der Beigeladenen zu 1) als Kostenträger liege die von der Klägerin zu verantwortende schuldhafte Pflichtverletzung.
Bei einem Verfahren auf Festsetzung eines "sonstigen Schadens" handele es sich nicht um ein originäres Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren nach § 106 SGB V, sondern werde eine Zuständigkeit der Prüfgremien hier auch durch (bundesmantel-)vertragliche Vereinbarung begründet. Trotzdem regelten sich Verfahren und Entscheidung im Wesentlichen nach denselben Regeln. Auch das Gesetz differenziere in § 106 Abs. 5 Satz 3 SGB V nicht nach dem Gegenstand der angegriffenen Entscheidung, sondern stelle allein auf die Entscheidungsträger ab. Daher sei es sachgerecht, die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu den Besonderheiten des Verfahrens vor dem Beschwerdeausschuss auch insoweit zugrunde zu legen (Urteil des BSG vom 29.06.2011 - B 6 KA 16/10 R -). Auch seien die Prüfgremien umfassend für die Beanstandung von Verordnungsfehlern zuständig - teils im Wege von Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren gemäß § 106 SGB V und im Übrigen im Schadensfeststellungsverfahren gemäß § 48 BMV-Ä (BSG vom 20.03.2013 - B 6 KA 17/12 R -). Die gerügte Unzuständigkeit der Prüfungsgremien liege somit nicht vor.
Hiergegen richtet sich die am 20.04.2016 erhobene Klage.
Die Klägerin ist - wie bereits im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren - der Ansicht, es handele sich vorliegend um den ausdrücklich in § 48 Abs. 3 BMV-Ä geregelten Fall der Ausstellung einer (ansonsten zutreffenden) Verordnung zu Lasten des falschen Kostenträgers. In diesem Fall seien nicht - auch nicht alternativ - die Prüfgremien, sondern allein die Kassenärztliche Vereinigung zuständig. Auch inhaltlich lägen die Voraussetzungen dieser Bestimmung nicht vor, denn der Beigeladenen zu 1) sei der im Verordnungszeitraum zuständige Kostenträger - die AOK Nordwest - bekannt gewesen. Es hätte mithin eine Erstattung zwischen diesen Krankenkassen stattfinden müssen. Ob dem ggf. interne Absprachen entgegenstünden, könne nicht zu Lasten der Klägerin gehen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 21.03.2016 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, über den Widerspruch gegen den Bescheid des Prüfungsausschusses vom 26.10.2015 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes erneut zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verteidigt seinen Bescheid.
Die Partner der Bundesmantelverträge hätten in § 48 BMV-Ä den Prüfgremien die Kompetenz zugewiesen, den sonstigen durch einen Vertragsarzt verursachten Schaden festzustellen. Werde geltend gemacht, (nur) die Art und Weise der Ausstellung der Verordnung sei fehlerhaft gewesen, so stehe ein "sonstiger Schaden" in Frage, der im Verfahren gemäß § 48 BMV-Ä geltend zu machen sei (BSG, Urteil vom 20.03.2013 - B 6 KA 17/12 R -). Vorliegend sei die Verordnung zulasten der Beigeladenen zu 1) ausgestellt worden, obwohl die Klägerin positiv gewusst habe, dass der Patient inzwischen nicht mehr bei ihr versichert gewesen sei. Infolge dessen werde die Art und Weise der Verordnung beanstandet, woraus die Zuständigkeit der Prüfgremien resultiere. Aus der schuldhaften Verordnung sei der Beigeladenen zu 1) der geltend gemachte Schaden entstanden, für welchen die Klägerin ersatzpflichtig sei.
Die Beigeladenen stellen keine Prozessanträge.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen nimmt die Kammer Bezug auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte des Beklagten. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), da dieser rechtswidrig ist.
Der Beklagte war für die Festsetzung des Regresses sachlich nicht zuständig.
Als Gremium der Wirtschaftlichkeitsprüfung geht der Beklagte zutreffend davon aus, dass es sich vorliegend nicht um ein originäres Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung handelt. Er sieht seine Zuständigkeit über (bundesmantel-)vertragliche Vorschriften begründet. Dem vermag die Kammer nicht zu folgen.
Die von dem Beklagten herangezogenen Entscheidungen des BSG entfalten allein für den Anwendungsbereich des § 48 Abs. 1 BMV-Ä Geltung (Urteile vom 29.06.2011 - B 6 KA 16/10 R – (Rn. 10, 11, 16, 19, 20, 32, 34); vom 20.03.2013 - B 6 KA 17/12 R – (Rn. 18, 20)). Nach dieser Vertragsbestimmung wird der sonstige durch einen Vertragsarzt verursachte Schaden, der einer Krankenkasse aus der unzulässigen Verordnung von Leistungen, die aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind, oder aus der fehlerhaften Ausstellung von Bescheinigungen entsteht, durch die Prüfungseinrichtungen nach § 106 SGB V festgestellt. Hierbei geht es um unzulässige Verordnungen, bei denen Fehler in Frage stehen, welche die Art und Weise ihrer Ausstellung betreffen. Aus welchem Rechtsgrund die Verordnung unzulässig ist, ist dabei ohne Bedeutung (BSG, Urteil vom 29.06.2011 - B 6 KA 16/10 R – (Rn. 19)).
Den vorliegenden Fall einer fehlerhaften Angabe des Kostenträgers erfasst § 48 Abs. 1 BMV-Ä indes nicht. Vielmehr haben die Partner der Bundesmantelverträge insofern in § 48 Abs. 3 BMV-Ä eine eigenständige Regelung getroffen, die als lex specialis die Anwendung des § 48 Abs. 1 BMV-Ä verdrängt.
Gemäß § 48 Abs. 3 Satz 1 BMV-Ä (in der hier maßgeblichen Fassung ab 01.10.2013) ist auf Antrag der Krankenkasse ein Schadensersatzanspruch durch die Kassenärztliche Vereinigung (KV) festzustellen, wenn die Krankenkasse einen Schaden geltend macht, der ihr dadurch entstanden ist, dass sie der Vertragsarzt auf den Verordnungsunterlagen fälschlicherweise als Kostenträger angegeben hat. Voraussetzungen dafür ist gemäß Satz 2 u.a., dass die Krankenkasse versichert, dass der zuständige Kostenträger durch eigene Ermittlungen der Krankenkasse nicht festgestellt werden kann (Nr. 2), und vorsorglich den Ausgleichsanspruch gegen den zuständigen Kostenträger an die KV abtritt (Nr. 3).
Diese Regelung begründet eine originäre und ausschließliche Zuständigkeit der Krankenkasse zur Prüfung, ob ihr durch die fehlerhafte Angabe des Kostenträgers ein Schaden entstanden ist. Wenn sie dies bejaht und die weiteren Vor-aussetzungen des § 48 Abs. 3 Satz 2 BMV-Ä gegeben sind, stellt die KV auf ihren Antrag einen Schadensersatzanspruch gegen den Vertragsarzt oder die Einrichtung fest.
Die Bestimmung des § 48 Abs. 3 BMV-Ä fügt sich auch systemkonform in die gesetzlichen Aufgabenzuweisungen bei der Wirtschaftlichkeits- und Abrechnungsprüfung ein.
Gemäß § 106a Abs. 3 Satz 1 SGB V (seit 16.07.2015: § 106d Abs. 3 Satz 1 SGB V) prüfen die Krankenkassen die Abrechnungen der Vertragsärzte (jetzt: "der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen") insbesondere hinsichtlich des Bestehens und des Umfangs ihrer Leistungspflicht (Nr. 1 a.a.O.). In Bezug auf das Bestehen der Leistungspflicht ist zu prüfen, ob der Versicherte, für den die Leistungen zu Lasten der Krankenkasse abgerechnet werden, gegen diese dem Grunde und dem Umfang nach einen Anspruch hatte. Dies beinhaltet auch die Feststellung der Leistungspflicht im Hinblick auf die Zuständigkeit eines anderen Leistungsträgers (vgl. § 16 Abs. 2 der "Richtlinien der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Spitzenverbände der Krankenkassen zum Inhalt und zur Durchführung der Abrechnungsprüfungen der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Krankenkassen" (PrüfRL § 106a)), mithin auch die Frage, ob der behandelnde Vertragsarzt den zutreffenden Kostenträger angegeben hat (BSG, Urteil vom 23.03.2016 - B 6 KA 8/15 R – (Rn. 16 f., 40)).
Die Krankenkasse ist verpflichtet, die KV von dem Ergebnis der von ihr durchgeführten Prüfung zu unterrichten (§ 106a Abs. 3 Satz 2 SGB V); diese Unterrichtung hat die KV von sich aus - also "von Amts wegen" - zum Anlass zu nehmen, die gebotenen Maßnahmen zu ergreifen. Die KV ist an das mitgeteilte Ergebnis der von der Krankenkasse durchgeführten Prüfung gebunden und hat dieses nur noch im Verhältnis zu den betroffenen Vertragsärzten und Einrichtungen durch Bescheid umzusetzen; ein Recht, das Prüfungsergebnis der Krankenkassen inhaltlich zu überprüfen, steht ihr insofern nicht zu (BSG, Urteil vom 23.03.2016, a.a.O. (Rn. 24 ff.))
Die Prüfung der fehlerhafte Angabe des Kostenträgers ist daher auch im Rahmen sachlich-rechnerischer Abrechnungsprüfung mit Inkrafttreten des § 106a SGB V ausdrücklich und originär den Krankenkassen zugewiesen (BSG, Urteil vom 23.03.2016, a.a.O. (Rn. 18)).
Der angefochtene Bescheid war daher mangels sachlicher Zuständigkeit des Beklagten ersatzlos aufzuheben. Für eine Neubescheidung bleibt kein Raum.
Für die vorliegend entscheidungserhebliche Frage nach der Zuständigkeit des Beklagten ist es schließlich ohne Belang, ob die Beigeladene zu 1) hier bei der Beigeladenen zu 2) einen entsprechenden Antrag gestellt hat und ob die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des § 48 Abs. 3 BMV-Ä für einen Schadensersatzanspruch erfüllt sind. Unerheblich ist ferner, ob es im Innenverhältnis zwischen der Beigeladenen zu 1) und der AOK Nordwest einen Erstattungsverzicht für Arzneimittel gibt, wie er jedenfalls früher in Ziffer 2. (Umfang der Erstattung) der "Vereinbarung über die Abwicklung von Erstattungsansprüchen nach § 105 SGB X innerhalb der AOK-Gemeinschaft" vom 15.03.1994 geregelt war (vgl. dazu auch Urteil der erkennenden Kammer vom 16.05.2007 - S 2 (17) KA 287/04 – (rkr.)).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
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