Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 15 KR 405/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 2391/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 1/18 BH
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der Bescheid einer Krankenkasse, mit dem diese die Belastungsgrenze des Versicherten für ein Kalenderjahr feststellt, entscheidet ausschließlich über die Zuzahlungspflicht für dieses Kalenderjahr. Der Rechtsstreit betrifft damit nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr.
Bescheide, mit denen die Krankenkasse die Belastungsgrenze des Versicherte für die darauffolgenden Kalenderjahre festsetzt, werden nicht Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens.
Für die Geltendmachung eines zeitlich unbegrenzten Anspruchs fehlt das Rechtsschutzbedürfnis.
Bescheide, mit denen die Krankenkasse die Belastungsgrenze des Versicherte für die darauffolgenden Kalenderjahre festsetzt, werden nicht Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens.
Für die Geltendmachung eines zeitlich unbegrenzten Anspruchs fehlt das Rechtsschutzbedürfnis.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 2. Juni 2017 wird verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Befreiung von der Zuzahlungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Die 1971 geborene, ledige Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie lebt in einem Pflegeheim und bezieht seit August 2015 (voraussichtlich auf Dauer) Leistungen zur Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).
Auf den Antrag der Klägerin, sie von den gesetzlichen Zuzahlungen zu befreien, setzte die Beklagte mit Bescheid vom 4. November 2015 die Belastungsgrenze der Klägerin für das Jahr 2016 auf EUR 48,48 fest. Bis zu diesem Betrag seien Zuzahlungen von der Klägerin zu leisten.
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und trug zur Begründung im Wesentlichen vor, die Entscheidung der Beklagten entspreche zwar den gesetzlichen Regelungen des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V). Die Anwendung der Normen auf den vorliegenden Fall sei jedoch verfassungswidrig. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) aus dem Jahr 2008 (Urteil vom 22. April 2008 – B 1 KR 10/07 R – juris), wonach das Existenzminimum durch die Zuzahlungsverpflichtung nicht unterschritten werde, sei durch die aktuellere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 18. Juli 2012 (1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11 – juris) zu den Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz überholt. Der monatliche Barbetrag nach § 27b Abs. 2 Satz 2 SGB XII in Höhe von EUR 107,73 im Jahr 2015 liege schon bedeutend unterhalb des vom BVerfG festgesetzten physischen und soziokulturellen Existenzminiums und dürfe deshalb nicht weiter geschmälert werden. Sie begehre deshalb, ihr die Vorauszahlungen für 2016 und alle anderen Aufwendungen für nach § 34 SGB V für von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossene Arznei-, Heil- und Hilfsmittel im Jahr 2016 zu erstatten und zukünftig nicht mehr anzufordern.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 2016 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch der Klägerin unter Verweis auf die Regelung in § 62 SGB V zurück. Die gesetzlich vorgegebenen Belastungsgrenzen seien eingehalten worden.
Am 1. Februar 2016 erhob die Klägerin beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage und beantragte, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 4. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Januar 2016 zu verurteilen, die Vorauszahlungen für 2016 und alle anderen Aufwendungen für nach § 34 SGB V für von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossene Arznei-, Heil- und Hilfsmittel im Jahr 2016 zu erstatten und zukünftig nicht mehr anzufordern. Zur Begründung wiederholte sie im Wesentlichen ihren Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren. Die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Normen seien verfassungswidrig. Insbesondere liege eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von ihr im Vergleich zu Asylbewerbern vor. Der Rechtsstreit sei dem BVerfG vorzulegen.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
Mit Urteil vom 2. Juni 2017 wies das SG die Klage der Klägerin ab und führte zur Begründung aus, das Begehren der Klägerin sei dahingehend auszulegen, dass sie die Befreiung von der Zuzahlungsverpflichtung ab dem Jahr 2016 sowie die Erstattung der bereits erfolgten Vorauszahlungen begehre. Die zulässige Klage sei unbegründet, weil der angefochtene Bescheid vom 4. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Januar 2016 rechtmäßig sei. Die Entscheidung beruhe auf der geltenden Rechtslage. Rechtsgrundlage seien die §§ 61, 62 SGB V. Die Belastungsgrenze betrage zwei von Hundert der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt. Bei Versicherten wie der Klägerin sei der Regelsatz für die Regelbedarfsstufe I nach der Anlage zu § 28 SGB XII maßgeblich. Für das Jahr 2016 ergebe sich daraus ein Zuzahlungsbetrag von EUR 48,48. Die Entscheidung der Beklagten sei deshalb rechtlich nicht zu beanstanden. Aus denselben Gründen bestünde kein Anspruch auf Erstattung der bereits geleisteten Vorauszahlungen. Auch eine Aussetzung des Verfahrens und eine Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) scheide aus, weil die Kammer nicht von der Verfassungswidrigkeit der Normen überzeugt sei. Die bisherige Rechtsprechung habe die vielfach erhobenen Einwände gegen die Zuzahlungsverpflichtung nicht geteilt. Das BSG habe bestätigt, dass die Zuzahlungen als Teil des Regelbedarfs gewährt würden und das notwendige Existenzminimum durch die Regelung der Belastungsgrenze nicht verletzt werde (Urteil vom 22. April 2008 – B 1 KR 10/07 R –; Beschluss vom 21. Januar 2011 – B 8 SO 57/10 B –). Der Bundesfinanzhof (BFH) habe in diesem Zusammenhang jüngst entschieden, dass die Zuzahlungen nicht zum (einkommenssteuerrechtlichen) Existenzminimum gehörten (Urteil vom 2. September 2015 – VI R 32/13 und VI R 33/13 –). Die hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde habe das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluss vom 23. November 2016 – 2 BvR 180/16 –). Den genannten Entscheidungen schließe sich die Kammer nach eigener Prüfung an. Eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung der Klägerin im Vergleich zu Asylbewerbern liege nicht vor. Im Bereich der Massenverwaltung dürfe der Gesetzgeber typisierende Regelungen treffen, wenn damit verbundene Härten nicht besonders schwer wiegten und nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären. Entsprechend besonders schwer wiegende Härten seien nicht ersichtlich. Zu berücksichtigen sei insbesondere, dass die Befreiung von Asylbewerbern von der Zuzahlungspflicht nur für die ersten 15 Monate ihres Aufenthalts gelte. Danach seien auch für diese Personengruppe die Regelungen des SGB XII anwendbar.
Gegen das ihr am 13. Juni 2017 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 20. Juni 2017 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen ihren bisherigen Vortrag wiederholt. Ergänzend hat sie vorgetragen, das SG sei nicht auf ihre Argumente eingegangen. Insbesondere gehe das SG nicht auf die europarechtlichen Richtlinien 2011/95/EU, 2013/33/EU und 2000/43/EG ein. Zudem weise sie auf die Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) hin. Auf den Hinweis des Senats, die Berufungssumme von EUR 750,00 werde möglicherweise nicht erreicht, hat die Klägerin die Auffassung vertreten, es handle sich um jährlich wiederkehrende Leistungen. Sie habe gegen die Bescheide für die Jahre 2016 bis 2018 jeweils Widerspruch eingelegt. Die Rechtssache habe auch grundsätzliche Bedeutung.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG vom 2. Juni 2017 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 4. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Januar 2016 zu verurteilen, die Klägerin von den Zuzahlungen ab dem Jahr 2016 zu befreien.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung des SG für zutreffend.
Mit Bescheid vom 4. November 2016 hat die Beklagte die Belastungsgrenze der Klägerin für das Jahr 2017 auf EUR 49,08 festgesetzt. Hiergegen hat die Klägerin fristgemäß Widerspruch eingelegt, über den bislang nicht entschieden worden ist. Mit Bescheid vom 18. Oktober 2017 hat die Beklagte die Belastungsgrenze für 2018 festgesetzt. Auch hiergegen hat die Klägerin Widerspruch eingelegt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist unzulässig und daher gemäß § 158 Satz 1 SGG zu verwerfen.
Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG in der hier anwendbaren, ab 1. April 2008 geltenden Fassung, bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, EUR 750,00 nicht übersteigt. Diese Regelung findet nur dann keine Anwendung, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Nach den für die Bestimmung des Beschwerdewertes maßgeblichen Ausführungen in der Berufungsschrift verlangt die Klägerin, von den Zuzahlungen nach §§ 61, 62 SGB V (in voller Höhe) befreit zu werden. Eine solche Klage betrifft einen auf eine Geldleistung gerichteten Verwaltungsakt im Sinne von § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG (vgl. BSG, Urteil vom 19.11.1996 – 1 RK 18/95, juris, Rn. 18). In dem einzig angefochtenen Bescheid vom 4. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Januar 2016 hat die Beklagte die Belastungsgrenze der Klägerin für das Jahr 2016 auf EUR 48,48 festgesetzt. Damit hat die Klägerin im Jahr 2016 Zuzahlungen in Höhe von maximal EUR 48,48 zu leisten. Mit diesem Betrag ist der für eine statthafte Berufung erforderliche Beschwerdewert von EUR 750,00 (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) nicht überschritten.
Die Berufung war auch nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG zulassungsfrei. Der Streit betrifft nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr. Ob dabei auf die den Zuzahlungen zugrunde liegenden Leistungen der Beklagten oder auf die Zuzahlungen selbst abzustellen ist, kann offen bleiben. Denn jedenfalls steht vorliegend nicht mehr als ein Jahr im Streit. Mit dem angefochtenen Bescheid hat die Beklagte ausschließlich über die Zuzahlungspflicht für das Jahr 2016 entschieden. Dies entspricht § 62 Abs. 1 Satz 1 SGB V, der für die Zuzahlungen bis zur Belastungsgrenze jeweils auf das Kalenderjahr abstellt, so dass jeweils nur für ein Kalenderjahr zu entscheiden ist. Die Bescheide vom 4. November 2016 und 18. Oktober 2017 über die Zuzahlungspflicht in den Jahren 2017 und 2018 sind deshalb nicht Gegenstand des Verfahrens geworden, weil die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 SGG (in Verbindung mit § 153 Abs. 1 SGG) nicht gegeben sind. Die neuen Bescheide ersetzen weder den Bescheid vom 4. November 2015 noch ändern sie diesen ab.
Die Berufung wäre auch nicht ohne Zulassung durch das SG statthaft, wenn die Klägerin die Befreiung von den Zuzahlungen auf Dauer begehrte (vgl. BSG, Urteil vom 18. Juli 1989 – 10 RKg 27/88 – juris, Rn. 19 f). Insoweit verfolgte die Klägerin einen gesetzlich nicht vorgesehenen Anspruch, weil nach § 62 Abs. 1 Satz 1 SGB V nur für das jeweilige Kalenderjahr zu entscheiden ist. Für die Geltendmachung eines zeitlich unbegrenzten Anspruchs fehlte das Rechtsschutzbedürfnis.
Das SG hat die Berufung auch nicht zugelassen. Eine solche Zulassung ist weder im Tenor noch in den Entscheidungsgründen des Urteils vom 2. Juni 2017 erfolgt. Die beigefügte (und unzutreffende) Rechtsmittelbelehrung, nach der das Urteil mit der Berufung angefochten werden könnte, stellt keine Berufungszulassung dar (vgl. BSG, Beschluss vom 6. Oktober 2011 – B 9 SB 45/11 B – juris, Rn. 12).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.
3. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Befreiung von der Zuzahlungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Die 1971 geborene, ledige Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie lebt in einem Pflegeheim und bezieht seit August 2015 (voraussichtlich auf Dauer) Leistungen zur Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).
Auf den Antrag der Klägerin, sie von den gesetzlichen Zuzahlungen zu befreien, setzte die Beklagte mit Bescheid vom 4. November 2015 die Belastungsgrenze der Klägerin für das Jahr 2016 auf EUR 48,48 fest. Bis zu diesem Betrag seien Zuzahlungen von der Klägerin zu leisten.
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und trug zur Begründung im Wesentlichen vor, die Entscheidung der Beklagten entspreche zwar den gesetzlichen Regelungen des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V). Die Anwendung der Normen auf den vorliegenden Fall sei jedoch verfassungswidrig. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) aus dem Jahr 2008 (Urteil vom 22. April 2008 – B 1 KR 10/07 R – juris), wonach das Existenzminimum durch die Zuzahlungsverpflichtung nicht unterschritten werde, sei durch die aktuellere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 18. Juli 2012 (1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11 – juris) zu den Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz überholt. Der monatliche Barbetrag nach § 27b Abs. 2 Satz 2 SGB XII in Höhe von EUR 107,73 im Jahr 2015 liege schon bedeutend unterhalb des vom BVerfG festgesetzten physischen und soziokulturellen Existenzminiums und dürfe deshalb nicht weiter geschmälert werden. Sie begehre deshalb, ihr die Vorauszahlungen für 2016 und alle anderen Aufwendungen für nach § 34 SGB V für von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossene Arznei-, Heil- und Hilfsmittel im Jahr 2016 zu erstatten und zukünftig nicht mehr anzufordern.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 2016 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch der Klägerin unter Verweis auf die Regelung in § 62 SGB V zurück. Die gesetzlich vorgegebenen Belastungsgrenzen seien eingehalten worden.
Am 1. Februar 2016 erhob die Klägerin beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage und beantragte, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 4. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Januar 2016 zu verurteilen, die Vorauszahlungen für 2016 und alle anderen Aufwendungen für nach § 34 SGB V für von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossene Arznei-, Heil- und Hilfsmittel im Jahr 2016 zu erstatten und zukünftig nicht mehr anzufordern. Zur Begründung wiederholte sie im Wesentlichen ihren Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren. Die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Normen seien verfassungswidrig. Insbesondere liege eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von ihr im Vergleich zu Asylbewerbern vor. Der Rechtsstreit sei dem BVerfG vorzulegen.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
Mit Urteil vom 2. Juni 2017 wies das SG die Klage der Klägerin ab und führte zur Begründung aus, das Begehren der Klägerin sei dahingehend auszulegen, dass sie die Befreiung von der Zuzahlungsverpflichtung ab dem Jahr 2016 sowie die Erstattung der bereits erfolgten Vorauszahlungen begehre. Die zulässige Klage sei unbegründet, weil der angefochtene Bescheid vom 4. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Januar 2016 rechtmäßig sei. Die Entscheidung beruhe auf der geltenden Rechtslage. Rechtsgrundlage seien die §§ 61, 62 SGB V. Die Belastungsgrenze betrage zwei von Hundert der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt. Bei Versicherten wie der Klägerin sei der Regelsatz für die Regelbedarfsstufe I nach der Anlage zu § 28 SGB XII maßgeblich. Für das Jahr 2016 ergebe sich daraus ein Zuzahlungsbetrag von EUR 48,48. Die Entscheidung der Beklagten sei deshalb rechtlich nicht zu beanstanden. Aus denselben Gründen bestünde kein Anspruch auf Erstattung der bereits geleisteten Vorauszahlungen. Auch eine Aussetzung des Verfahrens und eine Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) scheide aus, weil die Kammer nicht von der Verfassungswidrigkeit der Normen überzeugt sei. Die bisherige Rechtsprechung habe die vielfach erhobenen Einwände gegen die Zuzahlungsverpflichtung nicht geteilt. Das BSG habe bestätigt, dass die Zuzahlungen als Teil des Regelbedarfs gewährt würden und das notwendige Existenzminimum durch die Regelung der Belastungsgrenze nicht verletzt werde (Urteil vom 22. April 2008 – B 1 KR 10/07 R –; Beschluss vom 21. Januar 2011 – B 8 SO 57/10 B –). Der Bundesfinanzhof (BFH) habe in diesem Zusammenhang jüngst entschieden, dass die Zuzahlungen nicht zum (einkommenssteuerrechtlichen) Existenzminimum gehörten (Urteil vom 2. September 2015 – VI R 32/13 und VI R 33/13 –). Die hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde habe das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluss vom 23. November 2016 – 2 BvR 180/16 –). Den genannten Entscheidungen schließe sich die Kammer nach eigener Prüfung an. Eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung der Klägerin im Vergleich zu Asylbewerbern liege nicht vor. Im Bereich der Massenverwaltung dürfe der Gesetzgeber typisierende Regelungen treffen, wenn damit verbundene Härten nicht besonders schwer wiegten und nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären. Entsprechend besonders schwer wiegende Härten seien nicht ersichtlich. Zu berücksichtigen sei insbesondere, dass die Befreiung von Asylbewerbern von der Zuzahlungspflicht nur für die ersten 15 Monate ihres Aufenthalts gelte. Danach seien auch für diese Personengruppe die Regelungen des SGB XII anwendbar.
Gegen das ihr am 13. Juni 2017 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 20. Juni 2017 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen ihren bisherigen Vortrag wiederholt. Ergänzend hat sie vorgetragen, das SG sei nicht auf ihre Argumente eingegangen. Insbesondere gehe das SG nicht auf die europarechtlichen Richtlinien 2011/95/EU, 2013/33/EU und 2000/43/EG ein. Zudem weise sie auf die Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) hin. Auf den Hinweis des Senats, die Berufungssumme von EUR 750,00 werde möglicherweise nicht erreicht, hat die Klägerin die Auffassung vertreten, es handle sich um jährlich wiederkehrende Leistungen. Sie habe gegen die Bescheide für die Jahre 2016 bis 2018 jeweils Widerspruch eingelegt. Die Rechtssache habe auch grundsätzliche Bedeutung.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG vom 2. Juni 2017 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 4. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Januar 2016 zu verurteilen, die Klägerin von den Zuzahlungen ab dem Jahr 2016 zu befreien.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung des SG für zutreffend.
Mit Bescheid vom 4. November 2016 hat die Beklagte die Belastungsgrenze der Klägerin für das Jahr 2017 auf EUR 49,08 festgesetzt. Hiergegen hat die Klägerin fristgemäß Widerspruch eingelegt, über den bislang nicht entschieden worden ist. Mit Bescheid vom 18. Oktober 2017 hat die Beklagte die Belastungsgrenze für 2018 festgesetzt. Auch hiergegen hat die Klägerin Widerspruch eingelegt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist unzulässig und daher gemäß § 158 Satz 1 SGG zu verwerfen.
Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG in der hier anwendbaren, ab 1. April 2008 geltenden Fassung, bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, EUR 750,00 nicht übersteigt. Diese Regelung findet nur dann keine Anwendung, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Nach den für die Bestimmung des Beschwerdewertes maßgeblichen Ausführungen in der Berufungsschrift verlangt die Klägerin, von den Zuzahlungen nach §§ 61, 62 SGB V (in voller Höhe) befreit zu werden. Eine solche Klage betrifft einen auf eine Geldleistung gerichteten Verwaltungsakt im Sinne von § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG (vgl. BSG, Urteil vom 19.11.1996 – 1 RK 18/95, juris, Rn. 18). In dem einzig angefochtenen Bescheid vom 4. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Januar 2016 hat die Beklagte die Belastungsgrenze der Klägerin für das Jahr 2016 auf EUR 48,48 festgesetzt. Damit hat die Klägerin im Jahr 2016 Zuzahlungen in Höhe von maximal EUR 48,48 zu leisten. Mit diesem Betrag ist der für eine statthafte Berufung erforderliche Beschwerdewert von EUR 750,00 (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) nicht überschritten.
Die Berufung war auch nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG zulassungsfrei. Der Streit betrifft nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr. Ob dabei auf die den Zuzahlungen zugrunde liegenden Leistungen der Beklagten oder auf die Zuzahlungen selbst abzustellen ist, kann offen bleiben. Denn jedenfalls steht vorliegend nicht mehr als ein Jahr im Streit. Mit dem angefochtenen Bescheid hat die Beklagte ausschließlich über die Zuzahlungspflicht für das Jahr 2016 entschieden. Dies entspricht § 62 Abs. 1 Satz 1 SGB V, der für die Zuzahlungen bis zur Belastungsgrenze jeweils auf das Kalenderjahr abstellt, so dass jeweils nur für ein Kalenderjahr zu entscheiden ist. Die Bescheide vom 4. November 2016 und 18. Oktober 2017 über die Zuzahlungspflicht in den Jahren 2017 und 2018 sind deshalb nicht Gegenstand des Verfahrens geworden, weil die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 SGG (in Verbindung mit § 153 Abs. 1 SGG) nicht gegeben sind. Die neuen Bescheide ersetzen weder den Bescheid vom 4. November 2015 noch ändern sie diesen ab.
Die Berufung wäre auch nicht ohne Zulassung durch das SG statthaft, wenn die Klägerin die Befreiung von den Zuzahlungen auf Dauer begehrte (vgl. BSG, Urteil vom 18. Juli 1989 – 10 RKg 27/88 – juris, Rn. 19 f). Insoweit verfolgte die Klägerin einen gesetzlich nicht vorgesehenen Anspruch, weil nach § 62 Abs. 1 Satz 1 SGB V nur für das jeweilige Kalenderjahr zu entscheiden ist. Für die Geltendmachung eines zeitlich unbegrenzten Anspruchs fehlte das Rechtsschutzbedürfnis.
Das SG hat die Berufung auch nicht zugelassen. Eine solche Zulassung ist weder im Tenor noch in den Entscheidungsgründen des Urteils vom 2. Juni 2017 erfolgt. Die beigefügte (und unzutreffende) Rechtsmittelbelehrung, nach der das Urteil mit der Berufung angefochten werden könnte, stellt keine Berufungszulassung dar (vgl. BSG, Beschluss vom 6. Oktober 2011 – B 9 SB 45/11 B – juris, Rn. 12).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.
3. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
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