L 1 R 484/15

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 12 R 924/11
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 R 484/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Feststellung zum Beitragstatbestand ohne gleichzeitige Einbehaltung von Pflichtbeiträgen zur Gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung aus der Erwerbsminderungsrente nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Krankenversicherung – SGB V) und dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (Soziale Pflegeversicherung – SGB XI) für die Zeit vom 1. Januar 2004 bis zum 31. Dezember 2008.

Der 1947 geborene Kläger ist gelernter Industriekaufmann und war in der Zeit von 1971 bis 1999 als Beitragsprüfer, teilweise auch als Geschäftsstellenleiter bei der H.er Zimmererkrankenkasse - Krankenkasse für Bau- und Holzberufe (HZK) beschäftigt. Er war bei der HZK freiwillig kranken- und pflegeversichert.

Am 3. Mai 2002 beantragte der Kläger Rente wegen Erwerbsminderung. Ihm wurden ein Antragsvordruck mit Erläuterungen und das Merkblatt über die Krankenversicherung der Rentner ausgehändigt. Der Kläger beantragte am 2. September 2002 Zuschüsse zu den Aufwendungen zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung für den Fall, dass keine Versicherungspflicht in der Kranken- bzw. Pflegeversicherung bestätigt werde. Auf dem Antragsformular gab er an, nicht in der Gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert zu sein.

Mit Bescheid vom 24. Januar 2003 bewilligte die Beklagte dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. Mai 2002 auf Dauer. Sie führte für ihn keine Beiträge zur Gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung ab. Sie ging davon aus, dass die Rente zum Zeitpunkt der laufenden Zahlung nicht der Kranken- und Pflegeversicherungspflicht unterlegen habe. Einen Zuschuss zur freiwilligen Kranken- oder Pflegeversicherung gewährte die Beklagte jedoch auch nicht.

Am 10. September 2004 sprach der Kläger persönlich bei der Beklagten vor. Er beantragte die Überprüfung des Bewilligungsbescheides über die ihm gewährte Rente wegen Erwerbsminderung, da keinerlei Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge berücksichtigt worden seien. Er bat um Feststellung, ob er in der Gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung freiwillig oder pflichtversichert sei.

In dem beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten sind inhaltlich unterschiedliche Meldungen der HZK über den Versicherungsstatus des Klägers enthalten. In einem Meldesatz vom 14. August 2003 war der Kläger sowohl bis zum 31. Januar 2003 als auch ab dem 1. Februar 2003 als pflichtversichert registriert. Nach einer telefonischen Mitteilung vom 24. September 2004 sei der Kläger entgegen einer auf den 24. September 2004 datierten schriftlichen Meldung versicherungspflichtig gewesen. Dem Meldesatz vom 9. November 2004 lässt sich wiederum eine Pflichtversicherung für die Zeit ab dem 1. Februar 2003 entnehmen. Mit Meldesatz vom 15. Dezember 2004 meldete die HZK, dass der Kläger bis zum 31. Januar 2003 in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung freiwillig und ab dem 1. Februar 2003 pflichtversichert sei. Der Meldesatz vom 8. Juli 2008 wies die vorherigen Melderegister bis auf den vom 15. Dezember 2004 als fehlerhaft aus.

In dem Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis zum 31. Dezember 2008 entrichtete der Kläger selbst keine Beiträge zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung.

Nach einer Neuberechnung der Rente gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 14. November 2008 Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. Januar 2004 neu. Für die Zeit vom 1. Januar 2004 bis zum 31. Dezember 2008 ergebe sich eine Überzahlung in Höhe von 8.330,56 Euro. Für die Zeit bis zum 31. Dezember 2003 sei die Beitragsnachforderung verjährt. Als Begründung gab die Beklagte an, das Kranken- und Pflegeversicherungsverhältnis habe sich zum 1. Februar 2003 geändert. Der Kläger sei in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung pflichtversichert und habe entsprechende Beiträge aus der Rente zu zahlen. Es sei vorgesehen, die Überzahlung aus der weiterhin an den Kläger zu zahlenden Rente einzubehalten. Die Einbehaltung des Überzahlungsbetrages ist noch nicht erfolgt.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Widerspruch, welchen die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 2011 zurückwies. Für den Kläger bestehe seit dem 1. Februar 2003 eine Beitragspflicht. Diese Tatsache sei fehlerhaft nicht berücksichtigt worden. Wegen der geltenden Verjährungsvorschriften, könnten die Beiträge erst ab dem 1. Januar 2004 nacherhoben werden. Es handele sich nicht um eine Aufhebungsentscheidung für die Vergangenheit, sondern vielmehr um eine nachträgliche gesetzlich vorgeschriebene und zwingende Beitragsnacherhebung.

Daraufhin hat der Kläger am 10. August 2011 Klage beim Sozialgericht Magdeburg erhoben. Er sei von Anfang an gesetzlich kranken- und pflegeversichert gewesen. Bei seiner Antragstellung habe er ordnungsgemäß seine Krankenversicherungspflicht in der freiwilligen Versicherung der gesetzlichen Krankenkassen angegeben und zudem ausdrücklich einen Antrag auf Bezuschussung gestellt. Er habe im September 2004 persönlich in seiner Rentensache vorgesprochen und einen Antrag auf Überprüfung gestellt, da seine Rentenberechnung ohne Berücksichtigung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen erfolgt sei. Die Beitragsnacherhebung sei verwirkt, da sich die Beklagte erst im Jahr 2008 der Überprüfung angenommen habe. Es handele sich um eine unzulässige Rechtsausübung, wenn eine Beitragsnachforderung trotz seines persönlichen Hinweises erst vier Jahre später erfolge.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 25. September 2015 abgewiesen. Die Beitragsnacherhebung sei rechtmäßig erfolgt. Eine Verwirkung liege nicht vor. Es fehle hierfür insbesondere an einem Umstandsmoment. Zwar habe die Beklagte den persönlich gestellten Überprüfungsantrag nicht weiter beachtet. Dieses Nichtstun sei jedoch kein konkretes Verhalten, aufgrund welches der Kläger auf die Richtigkeit habe vertrauen können. Der Kläger hätte auf eine Entscheidung der Beklagten drängen können.

Gegen das ihm am 14. Oktober 2015 zugestellte Urteil hat der Kläger am 10. November 2015 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt.

Er gehe von einer Pflichtversicherung in der Gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung aus. Allerdings sei die Beitragserhebung vier Jahre, nachdem er die Beklagte auf die Unstimmigkeiten in seinem Rentenbescheid hingewiesen habe, verwirkt. Den Überprüfungsantrag habe er "nicht ins Blaue hinein" gestellt, sondern die Beklagte persönlich auf den Sachverhalt hingewiesen. Da die Beklagte gleichwohl eine Neuberechnung der Rente nicht zeitnah vorgenommen habe, habe er davon ausgehen dürfen, dass es mit der Rentenzahlung seine Richtigkeit habe. Darauf habe er auch tatsächlich vertraut. Seine persönliche Vorsprache sei der besondere Umstand, der zu dem Zeitablauf hinzutrete. Ein Verwirkungshandeln sei in der unveränderten Weiterzahlung der Rente zu sehen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichtes Magdeburg vom 25. September 2015 aufzuheben und den Bescheid vom 14. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juli 2011 teilweise aufzuheben, soweit für ihn Beitragsanteile zur Gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung für den Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis zum 31. Dezember 2008 in Höhe von insgesamt 8.330,56 Euro festgestellt werden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält ihre Entscheidung und das sie bestätigende Urteil des Sozialgerichts für zutreffend. Sie sei an die gesetzlichen Vorschriften zur Beitragsnacherhebung bei festgestellter Kranken- und Pflegeversicherungspflicht gebunden. Eine Verwirkung liege schon deshalb nicht vor, da besondere Umstände zu dem langen Zeitablauf nicht hinzugetreten seien. Nach den besonderen Umständen des Einzelfalls habe der Kläger das behördliche Unterlassen nicht als gezieltes Handeln verstehen dürfen. Vielmehr habe dem Kläger bewusst sein müssen, dass Beiträge nacherhoben werden würden. Er habe nicht darauf vertrauen können und dürfen, dass die Beiträge nicht mehr nacherhoben werden.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, in der Form und Frist des § 151 SGG eingelegte und nach § 144 SGG zulässige Berufung ist unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 14. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juli 2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, §§ 153 Abs. 1, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 25. September 2015 zu Recht abgewiesen.

Der Kläger ist seit dem 1. Februar 2003 in der Gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung pflichtversichert. Die Feststellung über die Beitragsnacherhebung für den Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis zum 31. Dezember 2008 ist rechtmäßig erfolgt.

Rechtsgrundlage für die Nacherhebung der Krankenversicherungsbeiträge ist § 255 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbsatz SGB V; für die Nacherhebung der Beiträge zur Pflegeversicherung § 60 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB XI. Danach sind für den Fall, dass bei der Zahlung einer Rente die Einbehaltung von Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung unterblieben ist, die rückständigen Beiträge durch den Träger der Rentenversicherung aus der weiterhin zu zahlenden Rente einzubehalten.

1.

Der Bescheid ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Zwar hat die Beklagte vor Erlass ihres Bescheides vom 14. November 2008 den Kläger nicht angehört. Die nach § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X) vorgesehene Anhörung ist jedoch mit dem Widerspruchsverfahren nachgeholt worden, da dem Kläger die Möglichkeit gegeben worden ist, sich sachgerecht zu äußern (vgl. Schütze in von Wulffen, SGB X, 8. Auflage 2014, § 41, Rn. 15; Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 12. Dezember 2001 - B 6 KA 3/01 R; Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13. April 2017 - L 8 R 1083/14). Die Beklagte hat die aus ihrer Sicht entscheidungserheblichen Tatsachen bereits im Bescheid vom 14. November 2008 genannt.

2.

Die Beklagte durfte im Verwaltungsverfahren nach § 255 Abs. 2 Satz 1 SGB V bzw. § 60 Abs. 1 Satz 2 SGB IX in Verbindung mit § 255 Abs. 2 Satz 1 SGB V vor einer Entscheidung über die Einbehaltung rückständiger Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge aus der Rente des Klägers auch (isolierte) Feststellungen über den Beitragstatbestand treffen.

Zunächst sind nach § 255 Abs. 1 Satz 1 SGB V Beiträge, die Versicherungspflichtige aus ihrer Rente zu tragen haben, von den Trägern der Rentenversicherung bei der Zahlung der Rente einzubehalten und zusammen mit den von den Trägern der Rentenversicherung zu tragenden Beiträgen an die Deutsche Rentenversicherung Bund für die Krankenkassen zu zahlen. Es handelt sich aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung um ein eigenes Verwaltungsverfahren. Rechtstechnisch geschieht die Beitragszahlung danach in der Weise, dass der Träger der Rentenversicherung in einem ersten Schritt die Rente "gekürzt" um den von dem Versicherten zu tragenden Krankenversicherungsbeitrag auszahlt. Sodann zahlt er in einem zweiten Schritt den einbehaltenen Betrag - als eine Art Inkasso-Stelle für die Krankenkassen - an die Deutsche Rentenversicherung Bund (vgl. BSG, Urteil vom 31. März 2017 - B 12 R 6/14 R; Mecke in Becker/Kingreen, SGB V, 5. Auflage 2017, § 255 Rn. 2).

In Vorbereitung einer späteren Einbehaltung rückständiger Beitragsanteile aus der Rente war die Beklagte aufgrund des § 255 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbsatz SGB V berechtigt, in der Handlungsform des feststellenden Verwaltungsakts (zunächst) nur über die Beitragspflicht der Erwerbsminderungsrente des Klägers zur Gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung, die Beitragshöhe und die Beitragstragung (feststellend) zu entscheiden.

Zwar fehlt es insoweit an einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung der Beklagten. Indessen wird eine solche in § 255 Abs. 1 Satz 2 SGB V vorausgesetzt, der für den dort angesprochenen Sachverhalt die Erteilung eines gesonderten Bescheides durch den Rentenversicherungsträger entbehrlich macht (Mecke in Becker/Kingreen, SGB V, 5. Auflage 2017, § 255 Rn. 3). Der Rentenversicherungsträger ist bei einer Einbehaltung der Krankenversicherungsbeiträge aus der Rente gleichzeitig für die Entscheidung über Beitragspflicht, Beitragshöhe und Beitragstragung sachlich zuständig, sofern nicht aufgrund von Sonderregelungen diese Aufgabe einem anderen Versicherungsträger übertragen ist (vgl. BSG, Urteil vom 29. November 2006 - B 12 RJ 4/05 R - BSGE 97, 292; Urteil vom 18. Juli 2007 - B 12 R 21/06 R - BSGE 99, 19). Dies gilt auch für den Fall der Einbehaltung rückständiger Beiträge aus der weiterhin zu zahlenden Rente nach § 255 Abs. 2 Satz 1 SGB V, solange eine förmliche Entscheidung der Krankenkasse nicht vorliegt (BSG, Urteil vom 18. Dezember 2001 - B 12 RA 2/01 R; Urteil vom 31. März 2017 - B 12 R 6/14 R). Die Vorschrift stellt eine hinreichende Rechtsgrundlage dar, die dem Vorbehalt des Gesetzes nach Artikel 20 Abs. 3 Grundgesetz genügt (BSG, Urteil vom 31. März 2017 - B 12 R 6/14 R).

Das Erfordernis einer vorgeschalteten isolierten Feststellung über den Beitragstatbestand besteht schon deshalb, da die Beklagte erst dadurch entscheiden kann, ob eine Einbehaltung der Beiträge sozial verträglich ist. Nach § 255 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz SGB V in Verbindung mit § 51 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (Allgemeiner Teil - SGB I) darf der Rentenbezieher durch die Einbehaltung nicht sozialhilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Zwölfen Buches Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe - SGB XII) werden. Der Rentenversicherungsträger kann verwaltungspraktisch grundsätzlich erst in einem zweiten Schritt über die Beitragseinbehaltung befinden, nachdem er in einem ersten Schritt die "Beitragsschuld" des Rentners (bindend) festgestellt, diesen im Rahmen des § 24 SGB X zur Frage möglicherweise eintretender Hilfebedürftigkeit angehört und dessen Äußerung abgewartet hat.

3.

§ 255 SGB V und § 60 SGB XI sind vorrangige Regelungen zu den §§ 45, 48 SGB X, so dass die Vorschriften der §§ 44 ff. SGB X keine Anwendung finden. Auf die Frage, ob die Beklagte hinsichtlich der nachträglichen Erhebung der Beiträge ein Verschulden trifft, kommt es nicht an (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 7. September 2011 - L 16 R 121/11; Peters in Engelmann/Schlegel, SGB V, § 255, Rn. 40). Auf der Rechtsfolgenseite ist die Ermessensausübung nicht vorgesehen (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 12. April 2012 - L 1 R 21/10; vom 9. August 2012 - L 1 R 300/11; vom 12. September 2013 - L 1 R 337/11 und vom 24. April 2014 - L 1 R 247/12 - alle juris). Auch gilt die Frist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X nicht, wonach die Behörde einen Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit nur innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen zurücknehmen kann.

4.

Die Feststellung der Beitragsnachforderung für den Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis zum 31. Dezember 2008 ist weder verjährt noch verwirkt. Für die Beitragsansprüche nach § 255 Abs. 1 Satz 1 SGB V und nach § 60 Abs. 1 SGB XI gilt die vierjährige Verjährungsfrist des § 25 Abs. 1 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV); vgl. BSG, Urteil vom 15. Juni 2000 - B 12 RJ 6/99 R; Urteil vom 31. März 2017 - B 12 R 6/14 R - juris). Aufgrund der Erteilung des Bescheides am 14. November 2008 waren die Beiträge bis zum 31. Dezember 2003 bereits verjährt. Die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung können nur noch ab dem 1. Januar 2004 nacherhoben werden.

Eine Verwirkung der Beitragsnacherhebung liegt nicht vor. Das Rechtsinstitut der Verwirkung ist als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben nach § 242 Bürgerliches Gesetzbuch auch im Sozialversicherungsrecht anerkannt (vgl. BSG, Urteil vom 20. Mai 1958 - 2 RU 285/56; Urteil vom 29. Juni 1972 - 2 RU 62/70; Urteil vom 29. Januar 1997 - 5 RJ 52/94; Urteil vom 31. März 2017 - B 12 R 6/14 R). Die Verwirkung setzt voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraumes unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen. Solche, die Verwirkung auslösenden "besonderen" Umstände liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage) und er tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) sowie sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Urteil vom 26. Januar 1972 - 2 BvR 255/67 - BVerfGE 32, 305; BSG, Urteil vom 31. März 2017 - B 12 R 6/14 R; Urteil vom 30. November 1978 - 12 RK 6/76 - BSGE 47, 194, 196).

Der Rechtsprechung des BSG folgend gelten für die Annahme eines Verwirkungsverhaltens grundsätzlich strenge Anforderungen (u.a. BSG, Urteil vom 31. März 2017 - B 12 R 6/14 R). Dem Interesse des Beitragsschuldners, das Ausmaß der wirtschaftlichen Belastung durch Beitragsnachforderungen in angemessenen Grenzen zu halten, wird bereits durch die vierjährige Verjährungsfrist gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV hinreichend Rechnung getragen. Es muss daher ein konkretes Verhalten der Beklagten vorliegen, welches bei dem Kläger die berechtigte Erwartung erweckt, dass eine Forderung nicht besteht oder nicht (mehr) geltend gemacht wird (BSG, Urteil vom 31. März 2017 - B 12 R 6/14 R).

Nach Auffassung des Senats liegt ein solches Verwirkungsverhalten der Beklagten nicht vor. Diese hat durch ihr Handeln bzw. Unterlassen bei dem Kläger nicht das berechtigte Vertrauen begründen können, es würden künftig keine Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge nacherhoben. Das bloße (rechtswidrige) Unterlassen der Einbehaltung von Versicherungsbeiträgen durch die Beklagte erfüllt die Anforderungen an ein Vertrauen begründendes Verwirkungsverhalten nicht (vgl. BSG, Urteil vom 31. März 2017 - B 12 R 6/14 R). Ein Verwaltungshandeln ist nicht darin zu sehen, dass die Beklagte nach der persönlichen Vorsprache des Klägers im September 2004 die Rente ohne Berechnung von Beiträgen zur gesetzlichen Renten- und Pflegeversicherung weiterzahlte. Darin liegt kein bewusstes aktives Tun. Die unveränderte Weiterzahlung beruhte vielmehr auf dem oben beschriebenen Unterlassen. Die Beklagte hatte zwischen September 2004 und November 2008 im Hinblick auf eine konkrete Prüfung des Bestehens einer Versicherungspflicht nichts unternommen. Ein Verwaltungsvorgang ist für diesen Zeitraum nicht dokumentiert. Diese fehlende Prüfung ist als Unterlassen zu sehen. Es ist dem Zeitmoment zuzurechnen und kann nicht in ein Verwaltungshandeln umgedeutet werden.

5.

Die Feststellung der Beklagten über die Beitragsnacherhebung mit Bescheid vom 14. November 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juli 2011 ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat die gesetzlich vorgeschriebenen Betragssätze zur Pflichtversicherung in der Kranken- und Pflegeversicherung zutreffend ermittelt. Gegen die Berechnung der nacherhobenen Beiträge hat der Kläger keine Einwände erhoben.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

III.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.
Rechtskraft
Aus
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