L 12 AS 5372/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 15 AS 2988/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 5372/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20.11.2015 aufgehoben. Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 21.05.2013 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 09.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.08.2014 sowie des Bescheids vom 19.11.2013 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 27.02.2014 und vom 22.04.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.08.2014 verurteilt, der Klägerin für den Zeitraum 01.06.2013 bis 31.05.2014 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft in Höhe von insgesamt 860,00 EUR zu gewähren.

Der Beklagte hat der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten sind Kosten der Unterkunft nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum Juni 2013 bis Mai 2014 im Streit.

Die am 06.01.1956 geborene erwerbsfähige Klägerin bezog mit ihrem am 26.05.1955 geborenen Ehemann (schwerbehindert mit einem GdB von 100 und den Merkzeichen A, aG und B, verstorben am 09.06.2015) im streitgegenständlichen Zeitraum Leistungen nach dem SGB II. Die Eheleute bewohnten gemeinsam seit dem 01.01.2012 eine 150 qm große 6-Zimmer-Wohnung. Laut Mietvertrag betrug die monatliche Miete 860,00 EUR zuzüglich 30,00 EUR für Garage/Stellplatz sowie Heiz- und Betriebskostenvorauszahlung von 50,00 EUR bzw. 30,00 EUR.

Mit Bescheid vom 21.09.2012 bewilligte der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft auf den Leistungsantrag vom 20.09.2012 hin für die Monate September 2012 bis Februar 2013 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 398,63 EUR, wobei ausgehend von der tatsächlichen Miete ein Gesamtbedarf von 1.614,00 EUR monatlich angenommen und das von der Klägerin bis Mai 2013 bezogene Arbeitslosengeld I angerechnet wurde.

Ebenfalls mit Schreiben vom 21.09.2012 teilte der Beklagte der Klägerin, welche bisher immer für die gesamte Bedarfsgemeinschaft aufgetreten war, mit, dass ihre Wohnung unangemessen groß bzw. zu teuer sei. Angemessen sei eine Kaltmiete bis maximal 310,00 EUR und eine Wohnungsgröße bis max. 60 qm. Die Kaltmiete in der tatsächlichen Höhe könne längstens bis 31.03.2013 anerkannt werden. Es werde eine Senkung der Unterkunftskosten durch Wohnungswechsel, Vermieten oder auf andere Weise erwartet. Die Suche nach angemessenem Wohnraum solle insbesondere in Zeitungen, in den Mitteilungsblättern der Gemeinden oder im Internet erfolgen. Zur Dokumentation der Suche solle die Klägerin monatlich fünf Anzeigen über angemessene Wohnungen, auf die sie sich beworben habe, übersenden und schriftlich festhalten, wann sie mit wem unter welcher Telefonnummer und mit welchem Ergebnis über die jeweilige Wohnung gesprochen habe. Darüber hinaus erhielt die Klägerin die Anschriften von sechs Baugenossenschaften, bei denen sie sich um abgemessenen Wohnraum bemühen solle.

Nachdem schon für April und Mai 2013 nur die angemessenen Kosten der Unterkunft berücksichtigt wurden (Verfahren endete durch Vergleich vor dem Landessozialgericht [LSG]), bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 21.05.2013 Leistungen für den Zeitraum 01.06.2013 bis 30.11.2013 in Höhe von 1.182,20 EUR, wobei hier die von ihm für angemessenen erachteten Kosten der Unterkunft von 492,20 EUR (Unterkunft 412,20 EUR, Nebenkosten 30,00 EUR, Heizkosten 50,00 EUR) zugrunde gelegt wurden. Die Klägerin und ihr Ehemann legten hiergegen am 19.06.2013 Widerspruch ein.

Mit Änderungsbescheid vom 09.08.2013 wurden Leistungen für August 2013 in Höhe von 3.178,93 EUR bewilligt, da eine Nebenkostennachzahlung erfolgte.

Die Klägerin legte mit E-Mail vom 25.10.2013 umfangreiche Listen vor, in denen Kontakte mit Vermietern und Baugenossenschaften aufgeführt waren, die Listen enthielten die Telefonnummern der Vermieter vermerkt sowie den Grund, warum ein Mietverhältnis nicht zustande kam. In die Suche waren auch Wohnungen einbezogen worden, die über dem vom Beklagten angegebenen Preis lagen. Danach fanden im April neun Kontakte mit Vermietern statt, im Mai acht, im Juni fünf, im Juli sieben, im August acht, im September zehn und im Oktober neun. Ein Großteil der aufgeführten Wohnungen lag über dem vom Beklagten in der Kostensenkungsaufforderung angegebenen Preis, war jedoch nicht barrierefrei oder behindertengerecht (44 von 56). Die angeschriebenen Baugenossenschaften hatten keine barrierefreien Wohnungen im Angebot. Die barrierefreien Wohnungen lagen deutlich über den vom Beklagten angegeben Preis. Eine Reaktion des Beklagten hierauf erfolgte nicht.

Vom 30.10.2013 bis 13.11.2013 befand sich der Ehemann in stationärer Behandlung u.a. wegen hypertensiver Entgleisung unter verstärkter psychischer Belastung.

Mit Bescheid vom 19.11.2013 bewilligte der Beklagte für die Zeit vom 01.12.2013 bis 31.05.2014 Leistungen in Höhe von 1.182,20 EUR für Dezember 2013 und 1.198,20 EUR für Januar bis Mai 2014, wobei hier die von ihm für angemessenen erachteten Kosten der Unterkunft von 492,20 EUR (Unterkunft 412,20 EUR, Nebenkosten 30,00 EUR, Heizkosten 50,00 EUR) zugrunde gelegt wurden.

Am 11.12.2013 erhoben die Klägerin Widerspruch, dem ein Attest von Dr. Dombrowski beigefügt war, wonach der Ehemann häufig einen Rollstuhl benötige, so dass die Wohnung rollstuhlgängig sein müsse, also ebenerdig sein oder über einen Aufzug verfügen, auch müssten entsprechend breite Türen vorhanden sein.

Mit Bescheid vom 27.02.2014 wurde die Bewilligung für die Monate März bis Juni 2014 auf Grund der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit der Klägerin geändert, wobei sich die Höhe der Leistungen nicht änderte, sondern die Leistungen lediglich vorläufig bewilligt wurden. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 22.04.2014 wurden für Mai 2014 auf Grund einer Betriebskostennachzahlung 1.245,30 EUR bewilligt.

Der Beklagte wies die Widersprüche mit Widerspruchsbescheiden vom 04.08.2014 zurück. Zur Begründung verwies der Beklagte im Wesentlichen auf die Begründungen in den bislang geführten sozialgerichtlichen Verfahren.

Am 08.09.2014 haben die Eheleute Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Ehemannes ließen eine Suche auf dem allgemeinen Wohnungsmarkt nicht zu, vielmehr müsste die Wohnung bestimmten Kriterien genügen, so müsse sie rollstuhlgeeignet, ebenerdig oder mit Aufzug sowie und über ein großes Bad und weite Türen verfügen. Ungeachtet dessen hätten sie sehr wohl versucht, eine Wohnung zu finden (vgl. Auflistung S. 39 ff. der SG-Akte).

Am 09.06.2015 verstarb der Ehemann. Die Klägerin führt die Klage für dessen Ansprüche als Sonderrechtsnachfolgerin fort.

Mit Schriftsatz vom 10.08.2015 hat der Beklagte in Anlehnung an den vor dem LSG für die Monate April und Mai 2013 geschlossenen für den vorliegend streitbefangenen Zeitraum Juni 2013 bis Mai 2014 eine monatliche Kaltmiete von 496,90 EUR (zuzüglich Heizkosten von monatlich 50,00 EUR und Nebenkosten von monatlich 30,00 EUR) vor dem SG anerkannt. Dieses Teilanerkenntnis wurde angenommen.

Mit Urteil vom 20.11.2015, zugestellt am 04.12.2015, hat das SG die Klage, soweit sie über das Teilanerkenntnis hinausgeht, abgewiesen. Die Wohnung der Eheleute sei unangemessen gewesen. Sie hätten sich nicht ausreichend um angemessenen Wohnraum bemüht. Zwar sei den Eheleuten die Suche erschwert gewesen, jedoch vermöge das SG aus den Angaben "nicht barrierefrei" und "nicht behindertengerecht" nicht zwingend schließen, dass diese für den Ehemann der Klägerin nicht geeignet gewesen seien.

Gegen das Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung vom 29.12.2015, eingegangen am 31.12.2105. Entgegen der Ansicht des SG seien der Klägerin höhere Leistungen für die Kosten der Unterkunft zu gewähren. Auf Grund der vorliegenden gesundheitlichen Einschränkungen des Ehemannes sei ein Umzug unzumutbar gewesen, da der Umzug einen vom Durchschnitt abweichende Belastungssituation darstelle. Außerdem habe sie sich ernsthaft um bedarfsgerechten billigeren Wohnraum bemüht.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteils des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20.11.2015 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 21.05.2013 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 09.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.08.2014 sowie des Bescheids vom 19.11.2013 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 27.02.2014 und vom 22.04.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.08.2014 zu verurteilen, ihr für den Zeitraum 01.06.2013 bis 31.05.2014 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft in Höhe von insgesamt 860,00 EUR zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verweist auf die Entscheidung des SG. Darüber hinaus sei der Vortrag der Klägerin insofern widersprüchlich als sie einerseits behaupte, dass ein Umzug unmöglich sei, andererseits jedoch vortrage, billigeren Wohnraum gesucht zu haben. Ein schlüssiges Konzept nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts habe der Berechnung der Angemessenheitsgrenze nicht zugrunde gelegen.

Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte gemäß § 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben.

Die Klägerin führt den Rechtsstreit nach § 56 Abs. 1 Nr. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) als Sonderrechtsnachfolgerin ihres am 09.06.2015 verstorbenen Ehemannes.

Die zulässige Berufung ist begründet. Der Bescheide des Beklagten vom 21.05.2013 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 09.08.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04.08.2014 sowie der Bescheid vom 19.11.2013 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 27.02.2014 und vom 22.04.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04.08.2014 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch Übernahme der begehrten 860,00 EUR (Kaltmiete) als Kosten der Unterkunft.

Die Eheleute haben die Tatbestandsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfüllt.

Streitig ist lediglich die Höhe der Leistungen für Unterkunft und Heizung im Zeitraum Juni 2013 bis einschließlich Mai 2014. Nach § 22 Abs. 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind (Satz 1). Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf der Bedarfsgemeinschaft so lange zu berücksichtigen, wie es dieser nicht möglich oder zumutbar ist, die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate.

Grundsätzlich sind nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II nur die angemessenen Kosten der Unterkunft zu berücksichtigen. Davon macht § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II eine Ausnahme; die damit bewirkte "Schonfrist" soll in der Regel sechs Monate nicht übersteigen. § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II stellt eine Billigkeitsregel dar, wobei dem Hilfesuchenden ausnahmsweise für eine in der Regel höchstens sechsmonatige Übergangsfrist etwas weiter gewährt wird, worauf er nach der grundsätzlichen Konzeption des Gesetzes (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II) an sich keinen Anspruch haben soll (u.a. Bayerisches LSG, Urteil vom 13.04.2007 - L 7 AS 182/06). Die Frist gewährt dem Hilfesuchenden Aufschub, damit dieser innerhalb vertretbarer Zeit seine Unterkunftskosten auf das angemessene Maß zu senken, in der Lage ist.

Dabei sind bei der Bestimmung der abstrakten Angemessenheit, die sich an der Wohnraumgröße orientiert, zunächst die persönlichen Lebensverhältnisse nicht in den Blick zu nehmen, diese können jedoch bei der Frage der konkreten Angemessenheit berücksichtigt werden (Luik, in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 22 Rn. 83). Zur Bestimmung der angemessenen Nettokaltmiete pro Quadratmeter Wohnfläche unter Berücksichtigung eines einfachen Wohnungsstandards innerhalb des Vergleichsraums (Referenzmiete), ist nach der Rechtsprechung des BSG grundsätzlich ein sog. schlüssiges Konzept zugrunde zu legen. Der Beklagte hat allerdings die von ihm als angemessen erachteten Kosten der Unterkunft im vorliegenden Fall auf Basis des WoGG ermittelt, hat also für den Bereich Straubenhardt kein schlüssiges Konzept im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) entwickelt. Nach den Grundsätzen, welche die beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG im Zusammenhang mit der Feststellung eines Ausfalls der lokalen Erkenntnismöglichkeiten entwickelt haben, ist die umfassende Ermittlung der Daten sowie deren Auswertung im Sinne der Erstellung eines schlüssigen Konzepts Angelegenheit des Grundsicherungsträgers und bereits für die sachgerechte Entscheidung im Verwaltungsverfahren notwendig. Im Rechtsstreit muss der Grundsicherungsträger sein Konzept auf Anforderung durch das Gericht vorlegen. Entscheidet er ohne ein solches schlüssiges Konzept, ist er im Rahmen seiner prozessualen Mitwirkungspflicht nach § 103 Satz 1 Halbsatz 2 SGG gehalten, dem Gericht eine zuverlässige Entscheidungsgrundlage zu verschaffen und ggf. eine unterbliebene Datenerhebung und -aufbereitung nachzuholen (BSG, Urteil vom 12.12.2013 – B 4 AS 87/12 R –, SozR 4-4200 § 22 Nr. 73 Rn. 24; BSG, Urteil vom 20.12.2011 – B 4 AS 19/11 R –, BSGE 110, 52 = SozR 4-4200 § 22 Nr. 51, Rn. 21; BSG, Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 50/09 R –, SozR 4-4200 § 22 Nr. 29 Rn. 25). Von der Schlüssigkeit eines Konzepts ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG nur dann auszugehen, wenn die folgenden Mindestvoraussetzungen erfüllt sind (zuletzt BSG, Urteil vom 10.09.2013 – B 4 AS 77/12 R –, SozR 4-4200 § 22 Nr. 70, Rn. 28 m.w.N.): Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen. Es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung (Art von Wohnungen, Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete/Vergleichbarkeit, Differenzierung nach Wohnungsgröße), Angaben über den Beobachtungszeitraum, eine Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, zB Mietspiegel), eine Repräsentativität des Umfangs der einbezogenen Daten, eine Validität der Datenerhebung sowie die Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung und zuletzt Angaben über die gezogenen Schlüsse (zB Spannoberwert oder Kappungsgrenze). Nach der Rechtsprechung des BSG müssen die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit, insbesondere wenn wie vorliegend weit zurückliegende Zeiträume betroffen sind, keine unverhältnismäßig aufwändigen Ermittlungen durchführen. Die Amtsermittlungspflicht der Tatsacheninstanzen ist in diesen Fällen begrenzt (BSG, Urteil vom 16.06.2015 - B 4 AS 44/14 R -, juris).

Der damit vorliegende Erkenntnisausfall hinsichtlich der angemessenen Referenzmiete macht den Rückgriff auf die Tabellenwerte des § 12 WoGG zzgl. eines "Sicherheitszuschlags" nach generell-abstrakten Kriterien im Sinne einer Angemessenheitsobergrenze zulässig und erforderlich (BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R -, juris). Die damit maßgeblichen Tabellenwerte des § 12 WoGG (gültig ab 01.01.2011) deckeln die dann grundsätzlich zu übernehmenden tatsächlichen Aufwendungen im Sinne einer Angemessenheitsobergrenze (BSG, Urteil vom 22.03.2012, a.a.O., Rn. 20; Luik, a.a.O; Rn. 95). In ihnen sind die – ansonsten ebenfalls abstrakt zu ermittelnden – kalten Betriebskosten enthalten (§ 9 Abs. 1 WoGG). Es ist auf den jeweiligen Höchstbetrag der Tabelle, also die rechte Spalte zurückzugreifen und ein "Sicherheitszuschlag" von 10 % einzubeziehen (BSG, Urteil vom 22.03.2012, a.a.O., Rn. 22, m.w.N.).

Diese hat der Beklagte in seinem Anerkenntnis berücksichtigt und ging sogar noch darüber hinaus, in dem er, um den behinderungsbedingten Einschränkungen des Ehemannes Rechnung zu tragen, die Werte für drei Personen zugrunde gelegt hat. Zur Bestimmung der Angemessenheit nach § 12 WoGG ist zunächst die einschlägige Mietenstufe festzulegen. Einschlägig ist vorliegend die Mietstufe III Straubenhardt ist nach der Anlage zu § 1 Abs. 3 der Wohngeldverordnung (WoGV, BGBl. I 2001, S. 2722; zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 11.12.2012, BGBl. I S. 2654) der Mietenstufe III zugeordnet. Somit ergibt sich aus der Tabelle des § 12 WoGG ein Betrag von 402 EUR. Zuzüglich eines Sicherheitszuschlags in Höhe von 10 % beträgt die abstrakt angemessene Kaltmiete inklusive Nebenkosten mithin 442,20 EUR. Vor diesem Hintergrund waren die Unterkunftskosten der Eheleute abstrakt unangemessen.

Allerdings ist einem weiteren Schritt die konkrete Angemessenheit zu prüfen. Hierzu muss dargelegt werden, dass auch die konkrete Möglichkeit besteht, eine als abstrakt angemessen erachtete Wohnung auf dem Wohnungsmarkt im Vergleichsraum anmieten zu können (Luik, a.a.O. Rn. 108). Dies ist immer dann unproblematisch, wenn keine Besonderheiten vorliegen und ein qualifizierter Mietspiegel dem schlüssigen Konzept zugrunde liegt (Luik, a.a.O. Rn. 108). Hier liegen jedoch bereits vom Standardfall abweichende Voraussetzungen vor, da der Ehemann auf einen Rollstuhl angewiesen war (Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Urteil vom 01.10.1992 – 5 C 28/89 –, juris). Dass die Eheleute einen erhöhten Unterkunftsbedarf hatten, steht für den Senat auf Grund des Attest von Dr. Dombrowski fest. Dort wird nachvollziehbar beschrieben, dass der Ehemann, bei dem Merkzeichen aG anerkannt wurde, auch auf Grund der Schwindelanfälle häufig einen Rollstuhl benötigte und sich auch sonst nur mühsam mit einem Stock fortbewegen konnte. Daraus schließt der Senat, dass die Eheleute eine Wohnung benötigen, die besondere Voraussetzungen wie z.B. ebenerdig oder Aufzug, rollstuhlgerecht erfüllt. Solche Wohnungen waren jedoch zu dem vom Beklagten veranschlagten Preis von 492,20 EUR (Unterkunft 412,20 EUR, Nebenkosten 30,00 EUR, Heizkosten 50,00 EUR) nicht zu finden. Dies entnimmt der Senat den Aufstellungen der Klägerin, die sie im Verwaltungsverfahren vorgelegt hatte. Die dort angefragten Wohnungen lagen preislich bereits über den vom Beklagten angegeben Werten, waren jedoch (teilweise) nicht barrierefrei oder behindertengerecht. Die behindertengerechten Wohnungen lagen sämtlich deutlich über den Werten des Beklagten. Die auf Anraten des Beklagten angeschriebenen Baugenossenschaften hatten barrierefreie Wohnungen nicht im Angebot. Insbesondere der letzte Punkt belegt aus Sicht des Senats, dass behindertengerechter oder zumindest barrierefreier Wohnraum zu den als angemessen erachteten Kriterien nicht zu erhalten war. Der Beklagte vermochte keine Anhaltspunkte dafür darzulegen, dass zu den von ihm als angemessen erachteten Kriterien auch für die Eheleute in ihrer besonderen Situation ausreichend Wohnraum zur Verfügung stand. Insofern wäre der Beklagte verpflichtet gewesen, den Klägern eine konkrete Unterkunftsalternative nachzuweisen, z.B. über die Auswertung von Wohnungsinseraten (Luik, a.a.O.). Der Beklagte hat keine konkrete Unterkunftsalternative angeboten und noch nicht einmal Anhaltspunkte dafür dargelegt, dass auch für die Eheleute in Frage kommende Wohnungen zu dem von ihm als angemessen erachteten Preis verfügbar sind. Deshalb sind die Aufwendungen für die tatsächlich gemietete Unterkunft als konkret angemessen anzusehen (BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 18/06 R –, juris Rn. 22 unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerwG).

Vor diesem Hintergrund hat der Beklagte Kosten der Unterkunft im streitgegenständlichen Zeitraum in Höhe von 860,00 EUR zu berücksichtigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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