S 59 SB 420/13

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
59
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 59 SB 420/13
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass bei ihm die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Eintragung des Merkzeichens "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) erfüllt sind.

Bei dem 1958 geborenen Kläger stellte die Beklagte aufgrund seiner Gesundheitsstörungen mit Bescheid vom 22. August 2012 einen Grad der Behinderung (GdB) von 60 fest. Dabei berücksichtigte sie eine psychische Störung (Teil-GdB 50), eine Lungenfunktionseinschränkung (Teil-GdB 20) sowie ein Bluthochdruckleiden (Teil-GdB 10).

Am 15. Januar 2013 beantragte der Kläger bei der Beklagten u.a. die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G". Mit Bescheid vom 25. April 2013 lehnte die Beklagte diese Feststellung ab. Der Kläger erhob hiergegen Widerspruch und verwies darauf, dass er im März und April 2013 wegen einer dekompensierten Herzinsuffizienz im Krankenhaus habe behandelt werden müssen. Die Beklagte wertete Berichte der Krankenhäuser aus und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 2013 zurück. Dabei berücksichtigte sie neben den bereits dem Bescheid vom 22. August 2012 zu Grunde liegenden Gesundheitsstörungen eine das Bluthochdruckleiden einschließende Herzleistungsminderung mit einem Teil-GdB von 30 sowie eine Refluxkrankheit der Speiseröhre mit einem Teil-GdB von 10. Die Voraussetzungen (u.a.) für die Feststellung des Merkzeichens "G" sah die Beklagte aufgrund dieser Erkrankungen jedoch nicht als erfüllt an.

Mit seiner am 31. Juli 2013 erhobenen Klage begehrt der Kläger eine "Fahrkarte" und erstrebt die Feststellung des Merkzeichens "G". Zur Begründung legt er dar, er sei schon mehrfach im Krankenhaus gewesen, habe große Probleme beim Treppensteigen und müsse Tabletten nehmen. Er habe massive Luftprobleme und könne nur kurze Strecken gehen, auch Stehen falle ihm schwer.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 25. April 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Juli 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist zur Begründung auf den Akteninhalt und die angefochtenen Bescheide.

Das Gericht hat die Schwerbehindertenakte der Beklagten beigezogen und Berichte der den Kläger behandelnden Ärztinnen und Ärzte eingeholt, insbesondere der S.-Klinik H., der Praktischen Ärztin Frau S. und der Psychiaterin und Psychotherapeutin Frau Dr. K ... Außerdem liegen dem Gericht Berichte des E.-Krankenhauses und des B.- H. sowie des Lungenarztes Dr. P. vor.

Auf Veranlassung des Gerichts hat der Internist Dr. W. den Kläger am 24. Juli 2014 untersucht und ein Gutachten erstattet. Der Sachverständige hat auf seinem Fachgebiet ein Bluthochdruckleiden, eine Herzleistungsminderung, Herzrhythmusstörungen sowie eine Lungenfunktionseinschränkung festgestellt. Für das Bluthochdruckleiden einschließlich der Herzerkrankungen hat er einen Teil-GdB von 30 berücksichtigt. Die Lungenfunktionseinschränkung hat er als leichtgradig mit einem Teil-GdB von 20 bewertet. Insgesamt seien die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "G" aus innerfachärztlicher Sicht nicht erfüllt.

Der Kläger hält auch nach dieser Begutachtung an seiner Auffassung hinsichtlich des Merkzeichens "G" fest.

In der mündlichen Verhandlung am 2. Juni 2015 hat das Gericht die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte der Kammer, sowie der beigezogenen Akte der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Klage zielt, wie sich bereits aus dem Hinweis des Klägers auf die von ihm gewünschte "Fahrkarte" in der Klagbegründung ergibt, auf die Feststellung des Merkzeichens "G" (vgl. § 145 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teil¬habe behinderter Menschen - , SGB IX -).

Sie ist zulässig, aber nicht begründet.

Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" festzustellen. Der Kläger hat hierauf keinen Anspruch.

Nach § 69 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 S. 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversor¬gungsgesetzes zuständigen Behörden den Grad der Behinderung fest und treffen die erfor¬derlichen Feststellungen über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen (Merkzeichen).

Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" ergeben sich aus §§ 145 und 146 SGB IX. Nach § 145 Abs. 1 S. 1 1. Hs. SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beein¬trächtigt oder hilflos oder gehörlos sind, im öffentlichen Personennahverkehr gegen Vor¬zeigen eines entsprechend gekennzeichneten Schwerbehindertenausweises (§ 69 Abs. 5 SGB IX) unentgeltlich befördert. Gemäß § 146 Abs. 1 S. 1 SGB IX ist in seiner Bewegungs¬fähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Die Norm erfasst damit nicht nur schwerbehinderte Menschen mit einer Einschränkung des Gehvermögens im engeren Sinne, also einer Funktionsstörung des Stütz- und Bewegungsapparates. Die mit dem Merkzeichen "G" verbundenen Vergünstigungen sollen auch solchen Personen zu Gute kommen, deren Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr aus den in der Norm aufgeführten weiteren Gründen erheblich beeinträchtigt ist, nämlich aufgrund von inneren Leiden, infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit. Diese Aufzählung ist im Hinblick auf die sich nicht auf das Gehvermögen auswirkenden Beeinträchtigungen abschließend (Bundessozialgericht – BSG – vom 10. Mai 1994, Az.: 9 BVs 45/93, zur inhaltsgleichen Vorgängervorschrift des § 60 Abs. 1 S. 1 Schwerbehindertengesetz – SchwbG -; Landessozialgericht – LSG – Hamburg vom 12. April 2011, Az.: L 4 SB 7/09, beide veröffentlicht in Juris).

Im Einzelnen wird die Bestimmung des § 146 Abs. 1 S. 1 SGB IX für Sachverhalte bis zum 31. Dezember 2008 durch die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) in ihrer jeweils geltenden Fassung (zuletzt Ausgabe 2008) konkretisiert.

Seit dem 1. Januar 2009 ist an die Stelle der AHP die Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung getreten (Versorgungsmedizinische Grundsätze). Eine inhaltliche Änderung der bisher angewandten Grundsätze und Kriterien erfolgte hierdurch nicht; denn die Versorgungsmedizinischen Grundsätze haben die Grundsätze zum Merkzeichen "G" aus den AHP übernommen (vgl. Teil D Nr. 1) und damit gewährleistet, dass gegenüber dem bisherigen Feststellungsverfahren keine Schlechterstellung möglich ist (LSG Baden-Württemberg vom 14. August 2009, Az.: L 8 SB 1691/08, Juris). Seit dem 15. Januar 2015 gelten die Kriterien der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ausdrücklich auch für die Feststellung von Merkzeichen (§ 159 Abs. 7 SGB IX in der Fassung von Art. 1 a Nr. 3 des Gesetzes vom 7. Januar 2005, BGBl. I S. 15).

Hiernach ergibt sich für den Kläger Folgendes:

Funktionsstörungen des Stütz- und Bewegungsapparates, die die Bewegungsfähigkeit des Klägers im Straßenverkehr maßgeblich einschränken, bestehen bei ihm nicht. Ebensowenig besteht ein Anfallsleiden oder sind Störungen der Orientierungsfähigkeit dokumentiert. Es liegen auch keine psychischen Störungen vor, die sich spezifisch auf das Gehvermögen auswirken und zu einer erheblichen Einschränkung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr führen können (vgl. LSG Berlin-Brandenburg vom 16. Januar 2014, Az.: L 13 SB 51/12, Juris).

Schwerwiegende innere Leiden, die das Gehvermögen entscheidend einschränken, sind in Teil B Nr. 30 Abs. 3 der AHP und Teil D Nr. 1 Buchst. d der Versorgungsmedizinischen Grundsätze konkretisiert. Beispielhaft ("vor allem") genannt sind dort u.a. Herzschäden mit einer Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 (Teil B Nr. 9.1.1 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze, Teil-GdB danach 50-70) und Lungenfunktionseinschränkungen wenigstens mittleren Grades (Teil B Nr. 8.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze, Teil-GdB danach ebenfalls 50-70). Derartige Erkrankungen bestehen beim Kläger, wie sich aus dem vom Gericht eingeholten internistischen Gutachten des Sachverständigen Dr. W. ergibt, nicht.

Bei seiner eigenen Untersuchung des Klägers und anhand der vorliegenden Berichte hat der Sachverständige eine schwerwiegende chronische Herzleistungseinschränkung mit einem Teil-GdB von 50 ausgeschlossen (Seite 11 f des Gutachtens) und für die Herzerkrankung des Klägers nur einem Teil-GdB von 30 zugrunde gelegt. Diese Bewertung erscheint dem Gericht insbesondere deshalb schlüssig, weil sich im Rahmen des Belastungs-EKGs, das der Kläger nach drei Minuten auf der Stufe von 75 Watt abgebrochen hat, kein Hinweis auf eine Mangeldurchblutung des Herzmuskels ergeben hat (Seite 7 f des Gutachtens). Ein anderes Ergebnis ergibt sich insoweit auch nicht unter Berücksichtigung der beim Kläger bestehenden Herzrhythmusstörungen; denn deren Beurteilung richtet sich vor allem nach der Leistungsbeeinträchtigung des Herzens (Teil B Nr. 9.1.6 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze).

Auch die Einschränkung der Lungenfunktion hat beim Kläger nicht ein solches Ausmaß, dass diese auf der Basis der geschilderten Rechtslage zu einer erheblichen Einschränkung des Gehvermögens und damit zum Merkzeichen "G" führt. Nach den Feststellungen des Sachverständigen besteht beim Kläger keine mittel-, sondern nur eine leichtgradige, von ihm mit einem Teil-GdB von 20 bewertete Lungenfunktionseinschränkung (Seiten 8 f und 13 des Gutachtens).

Nach allem sind die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "G" nicht erfüllt und ist die Klage abzuweisen ...

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Rechtskraft
Aus
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