L 7 AL 265/05

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 15 AL 688/01
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AL 265/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 4/09 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Urteil m. ZVW, neu L 7 AL 209/10 ZVW
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 26. September 2005 wird zurückgewiesen. II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Rechtmäßigkeit der rückwirkenden Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld vom 1. März 1998 bis zum 17. Januar 1999 und die Rückforderung überzahlter Leistungen (Arbeitslosengeld, Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge) in Höhe von insgesamt 23.446,35 DM bzw. 11.987,93 EUR.

Die 1941 geborene Klägerin bezog von der Beklagten aufgrund des Bescheides vom 1. Oktober 1997 ab dem 4. August 1997 Arbeitslosengeld. In ihrem Leistungsantrag hatte die Klägerin als Wohnanschrift "C-Straße, A-Stadt" angegeben. Ab dem 1. Januar 1998 erhielt sie wöchentlich 389,34 DM / täglich 55,62 DM (Bemessungsentgelt 1.170,00 DM, Leistungsgruppe A / 0).

Am 18. Januar 1999 ging ein Änderungsbescheid der Beklagten an die Klägerin vom 8. Januar 1999 mit dem Vermerk, dass der Empfänger unbekannt verzogen sei, wieder bei der Beklagten ein. Die Beklagte veranlasste daraufhin die Einstellung der weiteren Zahlung von Arbeitslosengeld ab dem 18. Januar 1999. Der wiederum an die Adresse "C-Straße, A-Stadt" von ihr versandte Bescheid vom 22. Januar 1999 kam ebenso mit dem Vermerk "unbekannt verzogen" zurück, wie ein dorthin geschickter Leistungsnachweis vom 26. Januar 1999.

Am 2. Februar 1999 meldete sich die Klägerin erneut arbeitslos und beantragte die Zahlung von Arbeitslosengeld, das die Beklagte in der Folge durch Bescheid vom 18. Februar 1999 bewilligte. Als Wohnanschrift gab die Klägerin bei der Antragstellung "A-Straße, A-Stadt” an.

Unter dem 4. Februar 1999 sendete die Beklagte den Aufhebungsbescheid vom 22. Januar 1999 an die neue Anschrift der Klägerin, mit Datum 8. Februar 1999 den Leistungsnachweis vom 26. Januar 1999. In ihrem Widerspruch gegen "das Schreiben" vom 26. Januar 1999 teilte die Klägerin mit, bereits zum 1. März 1998 in die A-Straße umgezogen zu sein und behauptete, dies bei ihren regelmäßigen Besuchen im Hause der Beklagten mitgeteilt zu haben. Herr D. könne sich erinnern, er habe ihr bei der Neubeantragung am 2. Februar 1999 gesagt, "die A-Straße war doch schon mal im Computer".

Mit Bescheid vom 31. Januar 2000 hob die Beklagte die Bewilligung des Arbeitslosengeldes ab dem 1. März 1998 ganz auf und forderte von der Klägerin die Erstattung der zu Unrecht erbrachten Leistungen (Arbeitslosengeld: 18.031,90 DM, Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge: 5.414,45 DM). Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin habe der Arbeitsvermittlung aufgrund des nicht angezeigten Umzuges am 1. März 1998 wegen einer fehlenden ladefähigen Anschrift nicht zur Verfügung gestanden.

Im Widerspruchsverfahren erklärte der Sachbearbeiter der Beklagten D. auf telefonische Nachfrage am 24. Februar 2000, dass die Behauptung der Klägerin nicht zuträfe. Im Falle einer Adressänderung werde grundsätzlich ein Vermerk gemacht. Es sei datentechnisch nicht möglich, die "alte" Anschrift wieder aufzurufen.

Den i.ü. nicht näher begründeten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 2000 als unbegründet zurück. Zur Begründung vertiefte sie die bereits im Ausgangsbescheid gemachten Ausführungen. Ergänzend wies sie darauf hin, dass die von ihr erlassene Erreichbarkeitsanordnung (EAO) i.V.m. § 119 Abs. 3 Nr. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) für den Arbeitslosen gewisse Pflichten statuiere, denen die Klägerin im vorliegenden Falle nicht hinreichend nachgekommen sei. Ihren Umzug zum 1. März 1998 habe sie nicht rechtzeitig mitgeteilt. Das Arbeitsamt habe von diesem durch sie erst am 2. Februar 1999 erfahren. Ein Nachsendeantrag sei nicht gestellt worden. Die Klägerin sei erst wieder nach Mitteilung ihrer neuen Anschrift erreichbar gewesen. Wegen fehlender Erreichbarkeit habe sie im streitigen Zeitraum dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung gestanden, sei nicht arbeitslos gewesen. Die rückwirkende Bescheidaufhebung stützte die Beklagte auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, 4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) i.V.m. mit § 330 Abs. 3 SGB III. Die Klägerin sei grob fahrlässig ihrer Mitteilungspflicht nicht nachgekommen. Sie habe im Leistungsantrag mit ihrer Unterschrift bestätigt, das Merkblatt für Arbeitslose erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben. Dieses enthalte auch den Hinweis, dass jede Veränderung des Wohn- oder Aufenthaltsortes unverzüglich vorher dem Arbeitsamt mitzuteilen sei. Nach den gegebenen Hinweisen zur Verfügbarkeit / Erreichbarkeit in dem Merkblatt habe die Klägerin zudem auch wissen müssen oder zumindest leicht erkennen können, dass der Leistungsanspruch weggefallen sei. Die Erstattungspflicht ergäbe sich aus § 50 Abs. 1 SGB X.

Gegen den dem Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin am 19. Februar 2001 durch Übermittlung per Fax zugegangenen Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 27. Februar 2001 Klage bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben. Sie hat vorgetragen ihre neue Adresse unverzüglich mitgeteilt zu haben, unabhängig davon für die Beklagte erreichbar gewesen zu sein. Sie habe einen Postnachsendeauftrag erteilt, der sechs Monate lang gelaufen sei. Zu ihrer alten Adresse noch gerichtete Post habe sie stets erhalten. So auch ein undatiertes Schreiben der Beklagten, durch das sie gebeten worden sei, spätestens am 14. April 1998 persönlich bei der Beklagten vorzusprechen. Handschriftlich habe sie auf diesem "A-Straße" notiert. Nach Erhalt dieses Schreibens, das die Klägerin in Kopie vorgelegt hat, habe sie sich, bei dem für sie zuständigen Herrn des Arbeitsamtes gemeldet und diesem ihre neue Adresse durchgegeben, die auch im PC vermerkt worden sei. Die Vorsprache sei am 9. April 1998 gewesen, was sich aus der am Ende des Schreibens befindlichen Rubrik ergäbe. Sie sei nämlich gebeten worden, am 9. Oktober 1998, also sechs Monate später, wieder beim Arbeitsamt vorzusprechen. Aus dieser Aufstellung ergäbe sich weiter, dass sie am 9. Oktober 1998 erneut vorgesprochen habe und für den 9. April 1999 wieder einbestellt worden sei. Vorgesprochen habe sie dann jedoch am 2. Februar 1999, wenige Tage nachdem sie den Aufhebungsbescheid vom 22. Januar 1999 erhalten habe. In dem Aufhebungsbescheid sei die alte Adresse der Klägerin mit Schreibmaschine geschrieben worden, dann fein säuberlich mit einem Lineal durchgestrichen und die zutreffende neue Anschrift mit der Hand eingesetzt worden. Die handschriftliche Korrektur stamme nicht von der Klägerin. Eine entsprechende handschriftliche Korrektur im Adressfeld finde sich auch auf dem Änderungsbescheid vom 8. Januar 1999. Anlässlich ihrer Vorsprache am 2. Februar 1999 habe der für sie zuständige Sachbearbeiter D., in dessen Rechner natürlich aufgrund ihrer Vorsprache bei ihm z. B. am 9. April 1998 die neue Anschrift gewesen sei, sich den Vorgang nicht erklären können. Darüber hinaus rügt die Klägerin die fehlende Anhörung und auch Ermessensausübung. Die Jahresfrist für die Aufhebung sei abgelaufen.

Das Sozialgericht Frankfurt hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 26. September 2005 unter Hinweis auf die Begründung der angefochtenen Verwaltungsakte abgewiesen. Ergänzend hat es ausgeführt, dass weder aus der Leistungsakte noch aus den elektronischen Beratungsvermerken ersichtlich sei, dass die Klägerin die Änderung ihrer Adresse vor dem 2. Februar 1999 mitgeteilt habe. Erst zu diesem Zeitpunkt sei die Adressänderung im Computer vermerkt worden. Ihr Vortrag, sie habe diese am 9. April 1998 anlässlich einer Vorsprache bei Herrn D. angegeben, könne bereits deshalb nicht zutreffen, weil die Vorsprache nach Aktenlage bei Herrn oder Frau E. stattgefunden habe. Die Nichterweislichkeit der Anzeige der Adressänderung gehe zu Lasten der Klägerin.

Gegen den am 28. September 2005 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 26. Oktober 2005 Berufung eingelegt. Zu deren Begründung wiederholt und vertieft sie im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen. Sie hält daran fest, anlässlich ihrer Vorsprache am 9. April 1998 auf dem undatierten Schreiben der Beklagten im Adressfeld handschriftlich ihre neue Anschrift vermerkt und dieses Schreiben dem zuständigen Sachbearbeiter vorgelegt zu haben, ihrer Erinnerung nach sei dies Herrn D., möglicherweise jedoch auch Herr E. gewesen. Dass sie das undatierte Schreiben mit der Bitte, spätestens am 14. April 1998 persönlich bei der Beklagten vorzusprechen unter ihrer neuen Anschrift erhalten habe, belege, dass sie einen Postnachsenderantrag gestellt gehabt habe.

Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 26. September 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 31. Januar 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 2000 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung ihres Antrags schließt sie sich dem erstinstanzlichen Urteil an und verweist darüber hinaus auf ihre bisherigen Ausführungen und den Widerspruchsbescheid. Die Beklagte weist nochmals darauf hin, dass vor dem 2. Februar 1999 ein Vermerk über die Mitteilung der geänderten Anschrift in der Akte nicht feststellbar sei. Der Klägerin sei anlässlich ihrer persönlichen Meldung am 12. Januar 1998 das von ihr vorgelegte undatierte Schreiben ausgehändigt worden, mit dem sie aufgefordert worden sei, die Arbeitslosmeldung bis spätestens 14. April 1998 zu erneuern. Dies ergäbe sich aus dem Beratungsvermerk auf Blatt 31 der Leistungsakte. Auf dem von der Klägerin vorgelegten undatierten Schreiben finde sich in der Fußzeile des Vordrucks die Bezeichnung "SGB III - § 122". Die Klägerin habe ihre Arbeitslosmeldung am 9. April 1998 erneuert, weil sie die Aufforderung hierzu bereits vor ihrem Umzug in den Händen gehabt habe. Eine Erreichbarkeit der Klägerin im streitigen Zeitraum sei nicht nachgewiesen.

Der Senat hat die frühere Mitarbeiterin der Beklagten E., verehelichte F., als Zeugin vernommen, auf die Sitzungsniederschrift vom 19. Dezember 2008 wird insoweit Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte des Sozialgerichts Frankfurt am Main (S 15 AL 688/01), die beigezogene Leistungsakte der Beklagten (Kundennr. xxxxx), auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und die Sitzungsniederschriften vom 19. Juni 2006, 8. August 2008 und 19. Dezember 2008 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG), jedoch nicht begründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Beklagten vom 31. Januar 2000 bezüglich des Zeitraumes vom 1. März 1998 bis 17. Januar 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 2000 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.

Die Beklagte hat die Klägerin zwar vor Aufhebung der Leistungsbewilligung durch Bescheid vom 31. Januar 2000 nicht angehört, jedoch führt dies nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheides. Zwar hat die Beklagte insoweit dem Gebot des § 24 SGB X, Leistungsempfänger vor einer Aufhebung der Leistungsbewilligung anzuhören, keine Folge geleistet, jedoch wurde dieser Mangel im Laufe des Widerspruchsverfahrens geheilt (§ 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X). Sie hat der Klägerin die für ihre Entscheidung maßgeblichen Tatsachen in dem Ausgangsbescheid mitgeteilt und ihr dadurch Gelegenheit gegeben, sich hierzu im Widerspruchsverfahren zu äußern und dieses sachgerecht zu betreiben.

Der Bescheid der Beklagten ist darüber hinaus auch materiell rechtmäßig. Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Zahlung von Arbeitslosengeld für den streitgegenständlichen Zeitraum zu.

Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Leistungsbewilligung bildet § 48 SGB X. Nach dessen Absatz 1 soll ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit 1. die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt, 2. der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, 3. nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsakts Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder 4. der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt im besonders schweren Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (Satz 2 Nr. 1 - 4 SGB X). Gemäß § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III ist diese Regelung im Bereich des SGB III zwingend und lässt selbst bei Bejahung eines atypischen Falls keinen Raum für eine Ermessensausübung. Die Behörde muss den Verwaltungsakt innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen, die die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts rechtfertigen, zurücknehmen (§ 48 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X).

Bei dem Bescheid vom 8. Januar 1998, durch den der Klägerin das Arbeitslosengeld ab dem 1. Januar 1998 in veränderter Höhe weiterbewilligt worden war, handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung; denn mit der Bewilligung wurde eine regelmäßig wiederkehrende Leistung zugesprochen, so dass der Verwaltungsakt rechtliche Bedeutung über den Zeitpunkt der Bekanntgabe hinaus äußerte (vgl. BSG SozR 4100 § 138 Nr. 25; SozR 3-4100 § 138 Nr. 1). Die erforderliche wesentliche Änderung in den Verhältnissen, die beim Erlass dieses Verwaltungsaktes vorgelegen haben, ist ab dem 1. März 1998 insoweit eingetreten, als die Klägerin ab diesem Zeitpunkt nicht mehr unter der von ihr bei Antragstellung am 4. August 1997 angegebenen Anschrift "A-Straße, A Stadt" wohnte und ihre neue Anschrift der Beklagten nicht mitgeteilt hat. Letzteres steht für den Senat auf Grund der durchgeführten Beweisaufnahme fest.

Der Anspruch auf Arbeitslosengeld setzt nach § 117 Abs. 1 Nr. 1 SGB III voraus, dass der Arbeitnehmer arbeitslos ist. Arbeitslos ist nach § 118 Abs. 1 SGB III ein Arbeitnehmer, der vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit, Nr. 1) und eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung sucht (Beschäftigungssuche, Nr. 2). Zur Beschäftigungssuche gehört die Verfügbarkeit (§ 119 Abs. 1 Nr. 2 SGB III), die gegeben ist, wenn der Arbeitslose arbeitsfähig und seiner Arbeitsfähigkeit entsprechend arbeitsbereit ist (§ 119 Abs. 2 SGB III). Nach § 119 Abs. 3 Nr. 3 SGB III ist arbeitsfähig ein Arbeitsloser, der u.a. Vorschlägen des Arbeitsamtes zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann. Diese Voraussetzung konkretisiert die sog. "Erreichbarkeits-Anordnung" - EAO - (Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit zur Pflicht des Arbeitslosen, Vorschlägen des Arbeitsamtes zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten zu können vom 23. Oktober 1997 in der hier anzuwendenden Fassung ab dem Inkrafttreten am 1. Januar 1998). Wann der Arbeitslose Vorschlägen des Arbeitsamtes zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann, ergibt sich aus § 1 Abs. 1 EAO. Nach Satz 1 dieser Vorschrift muss der Arbeitslose in der Lage sein, bestimmte im Einzelnen aufgeführte Mitwirkungshandlungen unverzüglich vorzunehmen. Hierzu gehört, unverzüglich Mitteilungen des Arbeitsamtes persönlich zur Kenntnis zu nehmen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EAO). Zur Konkretisierung dieser Voraussetzung bestimmt § 1 Abs. 1 Satz 2 EAO, der Arbeitslose habe "deshalb sicherzustellen, dass das Arbeitsamt ihn persönlich an jedem Werktag an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt unter der von ihm benannten Anschrift (Wohnung) durch Briefpost erreichen" könne. Die aktuelle Verfügbarkeit des Arbeitslosen muss dabei an jedem Tag, für den Arbeitslosengeld erbracht werden soll, vorhanden sein (BSG SozR 4100 § 103 Nr. 39). Nicht erheblich ist, ob im strittigen Zeitraum überhaupt Vermittlungsangebote unterbreitet wurden (BSG SozR 4100 Nr. 36).

Die Klägerin war unter der von ihr benannten Anschrift "A-Straße, A-Stadt" ab dem 1. März 1998 nicht mehr erreichbar.

Unerheblich und daher nicht weiter aufklärungsbedürftig ist zunächst, ob die Klägerin wie sie behauptet - einen Postnachsendeantrag gestellt hat oder nicht. Denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG vom 20. Juni 2001 – B 11 AL 10/01 R), der der Senat folgt, obliegt es arbeitslosen Leistungsbeziehern, dem zuständigen Arbeitsamt leistungsrechtlich erhebliche Umstände wie einen Wohnungswechsel persönlich und unverzüglich mitzuteilen. Ein rechtzeitiger Postnachsendeauftrag genügt dem regelmäßig nicht, da die unerlässliche Unterrichtung des Arbeitsamts nicht der Post als Drittem überlassen werden darf. Nicht maßgeblich ist dabei, ob sich Postnachsendeaufträge mit den gegenwärtigen technischen Möglichkeiten ohne Zeitverlust abwickeln lassen. Denn die Voraussetzungen der Leistungen wegen Arbeitslosigkeit sollen gerade nicht von den Zufälligkeiten der Postzustellung abhängig sein. Selbst wenn durch einen Nachsendeauftrag keinerlei zeitliche Verzögerung bei der Beförderung der Post eintreten sollte, änderte dies nichts daran, dass der Kläger in der fraglichen Zeit nicht an jedem Werktag an seinem Wohnsitz unter der von ihm dem Arbeitsamt benannten Anschrift nach § 1 Abs. 1 Satz 2 EAO durch Briefpost erreichbar gewesen ist (vgl. BSG SozR 3-4300 § 119 Nr. 4). Nichts anderes ergibt sich im Übrigen aus der Entscheidung des BSG vom 30. Mai 2005 (Az.: B 7a/7 AL 98/04 R), die lediglich und auch ausschließlich für die Erreichbarkeit von älteren Arbeitslosen, die Arbeitslosengeld unter den erleichterten Voraussetzungen des § 428 SGB III beziehen, andere Maßstäbe setzt und für diese das Stellen eines Postnachsendeantrages ausreichen lässt. Zu diesem Personenreis gehörte die im streitbefangenen Zeitraum 56 jährige Klägerin jedoch nicht.

Dass die Klägerin ihren Umzug der Beklagten rechtzeitig persönlich mitgeteilt hat, lässt sich nicht feststellen. Nach der Leistungsakte der Beklagten ist die Wohnanschrift "A Straße, A-Stadt" dort erstmals im Rahmen der persönlichen Vorsprache der Klägerin am 2. Februar 1999 bekannt und - auch EDV-mäßig (Bl. 24 der Leistungsakte) - aktenkundig gemacht worden. Sowohl der Änderungsbescheid vom 8. Januar 1999, als auch der Aufhebungsbescheid vom 22. Januar 1999 und der Leistungsnachweis vom 26. Januar 1999 sind von der Beklagten noch an die alte Wohnanschrift übersandt und jeweils mit dem Postzustellnachweis "unbekannt verzogen" zurückgekommen (Bl. 14, 18, 23 der Leistungsakte). Nochmalige Zusendungen der Originalschreiben erfolgten am 27. Mai 1999, 4. Februar 1999 und 8. Februar 1999, wobei die Umschläge der zurückgelaufenen Briefe jeweils in der Leistungsakte abgeheftet wurden (s.o.), die Briefe selbst entnommen und das Adressfeld jeweils handschriftlich korrigiert wurde.

Dafür, dass die Klägerin bereits vor dem 2. Februar 1999 einen Brief der Beklagten unter ihrer neuen Anschrift erhalten hat, ergibt sich kein Anhalt. Das von ihr vorgelegte undatierte Schreiben (Bl. 4 der Gerichtsakte) belegt ein anderes nicht. Die Klägerin räumt zu diesem ein, die handschriftliche Ergänzung "A-Straße" selbst vorgenommen zu haben. Bei dem Schreiben handelt es sich um ein Kontrollblatt zur Arbeitslosmeldung, das die nächsten Meldetermine dokumentieren und zum Nachweis erfolgter Meldungen dienen soll. Es verbleibt durchgängig in den Händen des Arbeitslosen.

Nach dem elektronischen Beratervermerk in der Leistungsakte wurde das Schreiben der Klägerin anlässlich ihrer persönlichen Vorsprache am 12. Januar 1998 von dem Berater der Beklagten "H." ausgehändigt (Bl. 31 der Leistungsakte). Dies belegt für den Senat auch der dortige Hinweis "SGB III - § 122", der identisch mit der Vordruckangabe auf dem Schreiben selbst (dortige kleingedruckte Fußzeile) ist.

Bei den nächsten Vorsprachen am 9. April 1998 und 9. Oktober 1998 wurden diese, ebenso wie die Folgetermine, in dem Schreiben vermerkt. Berater waren die Mitarbeiter der Beklagten E. (jetzt: F.) und G. Eine Umzugsmitteilung wurde weder datentechnisch im System, noch in den Beratervermerken selbst erfasst.

Mit dem von der Klägerin benannten Zeugen D. hatte sie lediglich am 12. Januar 1998 und 2. Februar 1999 gesprochen. Die Behauptung der Klägerin, der Zeuge habe ihr gegenüber erklärt, die Anschrift "A-Straße, A-Stadt" sei schon einmal im Computer gewesen, ist nicht glaubhaft. Dagegen spricht zunächst schon, dass der Datenbestand nach manueller Eingabe einer neuen Wohnanschrift in den Stammdaten des Versicherten dauerhaft geändert ist. Als Folge verwendet das Programm resp. die Anwendung danach bei über das System generierten Schreiben automatisch nur noch diese (neue) Adresse. Dies hat die Zeugin F. im Rahmen ihrer Vernehmung bestätigt. Zudem hatte hierauf auch schon der Zeuge D. bei seiner telefonischen Befragung im Widerspruchsverfahren hingewiesen. Die Anschrift "A-Straße, A-Stadt" wurde im Computer erstmals am 2. Februar 1999 erfasst.

Eine Mitteilung des Umzugs unabhängig davon ist nicht aktenkundig. Die Klägerin kann nicht sicher sagen, welchem Mitarbeiter der Beklagten gegenüber sie die neue Anschrift angegeben haben will.

Der Zeuge D. konnte mangels Verhandlungsfähigkeit hierzu vom Senat nicht befragt werden. Darüber hinaus war dessen Vernehmung auch deshalb entbehrlich, weil er sich – wie die Klägerin im Verhandlungstermin am 8. August 2008 mitgeteilt hat – an die damaligen Vorgänge nach seiner Erklärung ihr gegenüber im Sommer 2007 nicht mehr erinnern kann.

Am 9. April 1998 und 9. Oktober 1998 war die Klägerin bei anderen Beratern der Beklagten. Dass mehrere Personen eine mitgeteilte Änderung der Wohnanschrift als für die Leistungsgewährung erheblichen Umstand übergangen und nicht aktenkundig gemacht haben, ist kaum denkbar.

Die Zeugin F. hatte keine Erinnerung mehr an die Klägerin. Sie hat jedoch glaubhaft und dem Arbeitsablauf einer Beratungssituation entsprechend nachvollziehbar dargetan, dass - generell - eine Adressänderung sofort in den Computer eingepflegt wird. Ein schlichtes Vergessen bzw. späteres Eingeben dieser Daten in das System ist daher eher unwahrscheinlich.

Nach alledem war nicht nachzuweisen, dass die Klägerin ihren Umzug gegenüber der Beklagten angezeigt hat. Angesichts dessen kommt der Beweislastverteilung vorliegend eine wesentliche Bedeutung zu.

Die Beweislastverteilung und die Folgen einer objektiven Beweislosigkeit folgen auch im sozialgerichtlichen Verfahren dem Grundsatz der sog. objektiven Beweislast. Danach trifft jeden Verfahrensbeteiligten die Beweislast für die Tatsachen, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 103 Anm. 19a m.w.N.). Der Beteiligte muss daher die Folgen tragen, wenn eine Ungewissheit wegen der für ihn günstigen Tatsachen verblieben ist. Im Falle einer streitigen Rechtmäßigkeit eines Rücknahme- und Rückforderungsbescheides trägt die objektive Beweislast für das Vorliegen der die Rechtswidrigkeit des ursprünglichen Bewilligungsbescheides begründenden Tatsachen daher grds. der Leistungsträger. Zu berücksichtigen ist dabei allerdings die Zurechenbarkeit der Ungewissheit bzw. Unaufklärbarkeit einzelner Sachverhaltselemente, soweit diese dem Sphärenbereich des einen oder anderen Verfahrensbeteiligten zuzuordnen sind. Denn diese sind der Beweisführung des anderen Beteiligten der Natur nach im Regelfall entzogen. Ergibt sich daher nach Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Ermittlungsmöglichkeiten, dass der Sphäre des Arbeitslosen zuzuordnende Vorgänge nicht aufklärbar sind, so geht dies zu seinen Lasten. Insbesondere kann sich dabei eine dem Arbeitslosen anzulastende Beweisnähe daraus ergeben, dass er durch Unterlassung von Angaben im Zusammenhang mit den Antragstellungen eine zeitnahe Aufklärung des Sachverhalts unmöglich gemacht hat (vgl. dazu u.a. BSG vom 28. August 2007 – B 7/7a AL 10/06 R, BSG vom 13. September 2006 - B 11a AL 19/06 R).

Eine derartige Umkehr der Beweislast erscheint dem Senat vorliegend gerechtfertigt. Die Pflicht zur Unterrichtung über den Umzug fällt allein in die Sphäre des Arbeitslosen, so dass er die Unterrichtung, über die Angaben in der Akte der Beklagten nicht vorhanden sind, nachweisen muss.

Dies gilt jedenfalls in den Fällen, in denen sich – wie vorliegend – über die reine Behauptung des Arbeitslosen, eine mündliche Mitteilung gemacht zu haben hinaus, keinerlei weitere Anhaltspunkte ergeben. Da die Klägerin den Nachweis nicht führen konnte, geht dies daher zu ihren Lasten.

Ist sonach in den tatsächlichen Verhältnissen, die im Zeitpunkt der Weiterbewilligung des Arbeitslosengeldes am 8. Januar 1998 vorgelegen haben, ab dem 1. März 1998 wegen Wegfalls der Verfügbarkeit eine wesentliche Änderung eingetreten, kommt es für die rückwirkende Aufhebung der Arbeitslosengeldbewilligung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X darauf an, ob die Klägerin, die der Beklagten ihren Umzug nicht mitgeteilt hat, einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Mitteilungspflicht vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist.

Das ist jedenfalls hinsichtlich eines grob fahrlässigen Verhaltens zu bejahen. Die Klägerin war zur Mitteilung ihres Umzugs verpflichtet. Das ergibt sich aus § 60 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I), wonach derjenige, der Sozialleistungen beantragt oder erhält, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind, unverzüglich mitzuteilen hat.

Gegen diese gesetzliche Pflicht zur Mitteilung der tatsächlichen neuen Anschrift hat die Klägerin - wie ausgeführt - verstoßen. Es trifft sie auch insoweit der Vorwurf des vorsätzlichen Handelns, zumindest aber der groben Fahrlässigkeit.

Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maß verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 2. Halbsatz SGB X). Dabei ist ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab anzulegen. Grobe Fahrlässigkeit ist zu bejahen, wenn der Betroffene schon einfachste, naheliegende Überlegungen nicht angestellt und deshalb nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste (vgl. BSG SozR 1300 § 48 Nr. 22, S. 51; BSG, Urteil vom 6. März 1997 - 7 RAr 40/96). Entscheidend sind stets die besonderen Umstände des Einzelfalles und die individuellen Fähigkeiten des Betroffenen, d.h. seine Urteilsfähigkeit und sein Einsichtsvermögen, im Übrigen auch sein Verhalten (BSGE 42, 184, 186 f). Das Außerachtlassen von Vorschriften, auf die in einem Merkblatt besonders hingewiesen wird, ist im Allgemeinen grob fahrlässig, es sei denn, dass der Betroffene die Vorschriften nicht verstanden hat (BSGE 44, 264, 273).

Auf Grund der unmissverständlichen Hinweise in dem "Merkblatt für Arbeitslose", dessen Erhalt und Kenntnisnahme die Klägerin bei der Stellung des Antrags auf Arbeitslosengeld am 4. August 1997 durch Unterschrift ausdrücklich bestätigt hatte (Bl. 1 RS der Leistungsakte), musste für sie offensichtlich sein, dass sie der Beklagten ihre jeweilige Wohnanschrift mitzuteilen hat. Aus dem Vortrag der Klägerin in dem gesamten Rechtsstreit ergibt sich zudem, dass die Klägerin sehr wohl um die Pflicht zur Mitteilung der Adressenänderung gewusst hat.

Die Fristen für die Aufhebung, insbesondere die Jahresfrist nach § 48 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X sind ausgehend von einem Bekanntwerden der neuen Anschrift am 2. Februar 1999, gewahrt.

Die Aufhebung der Arbeitslosengeldbewilligung mit Wirkung ab dem 1. März 1998 hat ohne Weiteres zur Folge, dass die Klägerin verpflichtet ist, die in der Zeit vom 1. März 1998 bis 17. Januar 1999 erhaltenen Leistungen, die der Höhe nach nicht streitig sind, zurückzuzahlen. Nach § 50 Abs. 1 SGB X sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit – wie hier – ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Die Klägerin hatte in dem genannten Zeitraum Arbeitslosengeld in Höhe von insgesamt 18.031,90 DM zu Unrecht erhalten.

Die Erstattungspflicht hinsichtlich der Kranken- und Pflegeversicherung (5.414,45 DM) folgt aus § 335 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 SGB III. Aus den Erstattungsbeträgen errechnet sich eine Gesamtsumme von 23.446,35 DM /11.987,93 EUR.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil die Frage der Beweislastverteilung unter Berücksichtigung der sog. Sphärentheorie in Fällen wie dem vorliegenden noch nicht höchstrichterlich geklärt ist (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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