S 13 KR 241/12

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 13 KR 241/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Anwaltskosten aus dem Widerspruchsverfahren.

Die Gemeinschaftspraxis Dres. D. und E. verordnete dem Kläger am 14. Juli 2011 für den Zeitraum 13. Juli bis 31. Juli 2011 u.a. dreimal täglich Blutzuckermessungen. Mit Bescheid vom 21. Juli 2011 lehnte die Beklagte die Leistung ab. Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 1. August 2011 Widerspruch ein. Durch weiteren Bescheid vom 9. September 2011 lehnte die Beklagte diese Leistung erneut ab.

Am 27. Juli 2011 verordneten die Ärzte die Blutzuckermessungen für den Zeitraum 1. August bis 30. September 2011 erneut. Mit Bescheid vom 4. August 2011 lehnte die Beklagte die Leistung bezüglich der Verordnung vom 27. Juli 2011 ab. Durch Bescheid vom 9. September 2011 lehnte die Beklagte die Blutzuckermessungen für diesen Zeitraum erneut ab. Mit Schreiben vom 23. September 2011 legte der Kläger selbst Widerspruch ein.

Am 23. September 2011 verordneten die Ärzte erneut u.a. dreimal täglich Blutzuckermessungen für den Zeitraum vom 1. Oktober bis 31. Dezember 2011. Mit Bescheid vom 10. Oktober 2011 lehnte die Beklagte diese Blutzuckermessungen ab. Mit Schriftsatz vom 8. November 2011 legten die Prozessbevollmächtigten des Klägers bezüglich der Ablehnung wegen der Verordnung vom 23. September 2011 Widerspruch ein und begründeten diesen zugleich auch wegen der Ablehnung der Verordnung vom 14. Juli 2011.

Nachdem die Beklagte ein sozialmedizinisches Gutachten des MDK vom 19. Januar 2012 eingeholt hatte, half sie durch Bescheid vom 24. Januar 2012 den Widersprüchen gegen sämtliche Verordnungen (14. Juli 2011, 27. Juli 2011 und 23. September 2011) ab.

Mit Schriftsatz vom 27. Januar 2012 begehrten die Prozessbevollmächtigten des Klägers die Erstattung der Anwaltskosten. Wegen des Widerspruchsverfahrens bezüglich der Verordnung vom 14. Juli 2011 begehrten sie insgesamt Anwaltsgebühren in Höhe von 309,40 EUR, wegen des Widerspruchsverfahrens bezüglich der Verordnung vom 23. September 2011 anwaltliche Gebühren in Höhe von 261,80 EUR. Mit Schriftsatz vom 16. Februar 2011 berichtigten die Prozessbevollmächtigten des Klägers ihre Gebührenrechnung und begehrten nunmehr auch wegen der Ablehnung der ärztlichen Verordnung vom 23. September 2011 309,40 EUR.

Durch Bescheid vom 22. März 2012 erkannte die Beklagte Anwaltskosten in Höhe von 309,40 EUR an und lehnte die Erstattung weiterer Kosten ab. Sie wies darauf hin, beide Widersprüche hätten sich gegen Leistungsablehnungen wegen Blutzuckermessungen gerichtet. Die Widerspruchsbegründung vom 8. November 2011 habe sich auf beide Verordnungen bezogen. Die Argumentation sei als Einheit auf grundsätzlich eine Sache gerichtet zu werten. Folglich könnten nur die Gebühren für eine Angelegenheit geltend gemacht werden.

Dagegen legte der Kläger mit Schriftsatz vom 4. April 2012 Widerspruch ein, worin er vorbrachte, die Widersprüche hätten sich gegen die Bescheide der Beklagten vom 21. Juli 2011 und 10. Oktober 2011 gerichtet und hätten nicht dieselbe Angelegenheit betroffen. Bei den Bescheiden habe es sich jeweils um selbstständige ablehnende Entscheidungen gehandelt, gegen welche der Widerspruch der zulässige Rechtsbehelf gewesen sei. Jedem der mit Widerspruch angegriffenen Bescheide habe ein separater Antrag auf Gewährung häuslicher Krankenpflege zu Grunde gelegen. Jeder dieser Leistungsanträge sei unabhängig vom jeweils anderen auf seine Genehmigungsfähigkeit zu überprüfen und zu bescheiden gewesen. Beide Anträge hätten jeweils unterschiedliche Leistungszeiträume betroffen. Die jeweils angesetzten Gebühren bezüglich der Nr. 2400 VV RVG in Höhe von jeweils 240,00 EUR seien angemessen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 2012 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Dagegen hat der Kläger am 8. Juni 2012 Klage bei dem Sozialgericht Darmstadt erhoben.

Er vertieft seine Argumentation aus dem Widerspruchsverfahren. Der Begriff der Angelegenheit verwende das RVG in den §§ 15 ff, definierte ihn aber nicht. Eine Angelegenheit liege nur dann vor, wenn ein einheitlicher Auftrag vorliege, ein gleicher Rahmen der Tätigkeit gegeben sei und ein innerer Zusammenhang bestehe. Davon könne vorliegend nicht ausgegangen werden. Auch die Höhe der geltend gemachten Gebühren sei angemessen. Die gegenständlichen Widerspruchsverfahren hätten keinen inneren Zusammenhang gehabt. Die Bescheide der Beklagten seien aufgrund völlig verschiedener Leistungsanträge des Klägers ergangen. Nach der Ablehnung des einen Leistungsantrags habe der Kläger mit einem neuen Antrag eine andere Sachleistung begehrt. Die mit dem ersten Antrag begehrte intensivierte Insulintherapie habe er mit einem weiteren Antrag nicht mehr erhalten können. Auch würden die einzelnen Bescheide auf jeweils eigenen Willensbestätigungen der Beklagten beruhen. Streng genommen hätte die Beklagte die Widersprüche auch nicht zu einem einzigen Verfahren zusammenfassen dürfen, da eine Regelung wie in § 113 SGG dem Verwaltungsverfahrensgesetz fremd sei.

Zur Stützung seines Vorbringens hat der Kläger verschiedene Kostenentscheidungen und Gerichtsentscheidungen vorgelegt.

Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 22. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 2012 zu verurteilen, ihm weitere 309,40 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, ein einheitlicher Auftrag könne auch dann vorliegen, wenn der Anwalt nacheinander mehrere (Teil-) Aufträge erhalte bzw. wenn es sich um eine sukzessive Erweiterung des ursprünglichen Auftrages handele. Bei der Bewertung von Art und Inhalt des Auftrags und dem hieraus resultierenden Gebühreneinsatz müsse insbesondere auch die Erwartungshaltung der Mandantschaft berücksichtigt werden. Die Frage, ob eine Angelegenheit oder mehrere vorlägen, bemesse sich hierbei unter dem Gesichtspunkt des einheitlichen Auftrags auch danach, ob es noch im Rahmen einer ordnungsgemäßen Bearbeitung des Auftrages liege, die verschiedenen Verordnungszeiträume gemeinsam mit der Mandantschaft zu erörtern. Aus Sicht der Mandantschaft wäre es unter Kostengesichtspunkten geradezu widersinnig gewesen, für jeden einzelnen Verordnungszeitraum einen neuen Auftrag zu erteilen. Dies sei auch nicht erforderlich gewesen, da es sich in Bezug auf den medizinischen Sachverhalt und Widerspruchsbegründung keine Änderungen ergeben hätten. Es habe sich jeweils um den gleichen Lebenssachverhalt gehandelt, so dass eindeutig von einem inneren Zusammenhang und einem einheitlichen Auftrag auszugehen sei.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen sowie wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 22. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 2012 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Erstattung weiterer Rechtsanwaltskosten zu.

Rechtsgrundlage für die Erstattung von Kosten im Widerspruchsverfahren ist § 63 Abs. 1 S. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Soweit der Widerspruch erfolgreich ist, hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts im Vorverfahren sind erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war (§ 63 Abs. 2 SGB X).

Vorliegend besteht kein Streit zwischen den Beteiligten dahingehend, dass die Beklagte dem Grunde nach zur Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Klägers aus dem Widerspruchsverfahren verpflichtet ist.

Die anwaltliche Vergütung bemisst sich nach dem Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG) in Verbindung mit Anlage 1 (Vergütungsverzeichnis - VV RVG -) zu § 2 Abs. 2 RVG. Vorliegend ist eine Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2400 VV RVG in Höhe von 240,00 EUR, eine Post- und Telekommunikationspauschale nach Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20,00 EUR sowie Mehrwertsteuer nach Nr. 7008 VV RVG in Höhe von 49,40 EUR, insgesamt Gebühren in Höhe von 309,40 EUR entstanden.

Nach Nr. 2400 VV RVG entsteht eine Geschäftsgebühr in sozialrechtlichen Angelegenheiten, in denen im gerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen, in Höhe von 40,00 bis 520,00 EUR. Eine Gebühr von mehr als 240,00 EUR kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Vorliegend wurde der Kläger durch die von ihm beauftragten Rechtsanwälte bereits in beiden Widerspruchsverfahren vertreten. Damit wird im vorgerichtlichen Bereich die Gebühr nach Nr. 2400 VV RVG ausgelöst.

Die Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG ist nach den Kriterien des § 14 RVG festzusetzen. Bei Rahmengebühren bestimmt der Rechtsanwalt diese Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts kann bei der Bemessung herangezogen werden (§ 14 Abs. 1 Sätze 1 und 2 RVG). Diese Aufzählung der Kriterien ist nicht abschließend. Weitere unbenannte Kriterien können einbezogen werden. Sämtliche heranzuziehenden Kriterien stehen grundsätzlich selbstständig und gleichwertig nebeneinander. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 S. 4 RVG). Dem Rechtsanwalt ist ein Beurteilungs- und Entscheidungsvorrecht eingeräumt worden, das mit der Pflicht zur Berücksichtigung jedenfalls der in § 14 RVG genannten Kriterien verbunden ist. Dabei wird dem Rechtsanwalt darüber hinaus ein Spielraum von 20% (Toleranzgrenze) zugestanden, der von der Erstattung verpflichteten Dritten wie auch von den Gerichten zu beachten ist.

Die Mittelgebühr stellt in "Normalfällen" die billige Gebühr dar. Sie ist in Fällen zugrunde zu legen, in denen sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts nicht nach oben oder unten vom Durchschnitt abhebt, diese Vorgehensweise trägt Vereinfachungs- und Zweckmäßigkeitsgründen sowie dem verfassungsrechtlichen Gebot des Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz Rechnung, gleich liegende Fälle gleich und unterschiedliche Fälle entsprechend ihren Unterschieden ungleich zu behandeln. Diese Mittelgebühr soll gelten und damit zur konkreten billigen Gebühr in ausgesprochenen Normalfällen werden, wenn sämtliche, vor allem die nach § 14 Abs. 1 S. 1 RVG zu berücksichtigenden Umstände durchschnittlicher Art sind, also die übliche Bedeutung der Angelegenheit, durchschnittlicher Umfang und durchschnittliche Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, und die wirtschaftlichen Verhältnisse des Auftraggebers die dem Durchschnitt der Bevölkerung entsprechen (Gerold/Schmidt-Madert, RVG, § 14 Rdnr. 10 m.w.N.). Die Höchstgebühr ist auf jeden Fall dann angebracht, wenn alle Umstände für eine Erhöhung sprechen, aber allein schon der Umfang oder die besonderen Schwierigkeiten der anwaltlichen Tätigkeit können im Einzelfall auch bei durchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnissen eine solche Gebühr rechtfertigen (Gerold/Schmidt-Madert, a.a.o. Rdnr. 13). Deshalb kann die Höchstgebühr dann angemessen sein, wenn von einem deutlich überdurchschnittlichen Verfahren nach den Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG ausgegangen werden kann. Dazwischen liegen die Fälle, bei denen von einer Überdurchschnittlichkeit der genannten Kriterien auszugehen ist. Die Höhe der Gebühr wird sich dann etwa in der Mitte zwischen Mittelgebühr und Höchstgebühr zu bestimmen haben. Die Mindestgebühr kommt in der Regel nur für ganz einfache Sachen von geringem Umfang in Betracht, vor allem auch dann, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse des Auftraggebers ungünstig sind (Gerold/Schmidt-Madert, a.a.O. Rdnr. 14). Die Mindestgebühr ist daher zusammenfassend gesagt dann angemessen, wenn von einem deutlich unterdurchschnittlichen Verfahren nach den Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG gesprochen werden kann, demgegenüber bei einem unterdurchschnittlichen Verfahren eine Gebühr etwa in der Mitte zwischen Mindest- und Mittelgebühr anzusetzen ist.

Bei der Bewertung des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit ist der zeitliche Aufwand zu berücksichtigen, den der Rechtsanwalt tatsächlich in der Sache betrieben hat und den er objektiv auf die Sache verwenden musste. Dabei ist es hilfreich, wenn der Rechtsanwalt den zeitlichen Umfang der im Einzelnen entfalteten Tätigkeit nachvollziehbar darlegt und belegt. Von Bedeutung für die Bewertung des Umfangs sind außerdem die Zahl der gefertigten Schriftsätze sowie der Einsatz des Rechtsanwalts im Einzelnen, den er zur Erstellung dieser Ausführungen notwendigerweise erbringen musste (BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, B 4 AS 21/09 R; Strassfeld, NZS 2010, 254 (255)). Von einem durchschnittlichen Umfang der anwaltlichen Tätigkeit in einem sozialgerichtlichen Verfahren kann nach Auffassung der Kammer dann gesprochen werden, wenn eine Klage erhoben oder ein Antrag auf einstweiligen Rechtschutz gestellt wird, die Klage bzw. der Antrag begründet und zu dem etwaigen Vortrag der Gegenseite sowie zu den vom Gericht veranlassten Ermittlungen (z.B. eingeholte Befund- oder Arztberichte, Arbeitgeberauskünfte) Stellung genommen wird (vgl. SG Kiel, Beschluss vom 24. August 2011, S 21 SF 16/11 E). Ein überdurchschnittlicher oder deutlich überdurchschnittlicher Umfang kann z.B. dann im Einzelfall angenommen werden, wenn Beiladungen vorgenommen worden sind und zu dem Vortrag der Beigeladenen sich inhaltlich zu äußern war oder bei Änderungen im Sach- oder Streitstand, etwa in Fällen des § 96 SGG, oder bei erheblichen Veränderungen im Gesundheitszustand des Auftraggebers, wenn streiterhebliche neue Tatsachen vorzutragen waren und in diesem Zusammenhang etwa Besprechungen mit diesem erforderlich waren.

Mit dem Merkmal der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ist die Intensität der Arbeit des Rechtsanwalts gemeint. Ausgehend von einem objektiven Maßstab ist auf einen Rechtsanwalt abzustellen, der sich bei der Wahrnehmung des Mandats darauf beschränken kann und darf, den Fall mit den einschlägigen Rechtsvorschriften, gegebenenfalls unter Heranziehung von Rechtsprechung und Kommentarliteratur zu bearbeiten. Es kommt nicht darauf an, ob bzw. dass bestimmte Rechtsmaterien innerhalb des Sozialrechts regelhaft als schwierig eingestuft werden können. Vielmehr ist die Fragestellung im Einzelfall für die Bewertung der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ausschlaggebend. Eine durchschnittlich schwierige anwaltliche Tätigkeit liegt dann nicht mehr vor, wenn der zu bearbeitende Fall von einem Normal- bzw. Routinefall abweicht (BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, a.a.O.; Strassfeld, a.a.O., 257). In der Regel wird ein Verfahren als durchschnittlich schwierig einzuordnen sein, wenn wegen einmaliger oder laufender Leistungen gestritten wird, bei denen es neben rechtlichen Fragen auch um die Würdigung medizinischer Sachverhalte geht (z.B. Renten wegen Erwerbsminderung, Pflegegeld, Krankengeld, Heil- oder Hilfsmittel, Leistungen der Rehabilitation, Feststellung des Grades der Behinderung oder von Merkzeichen im Schwerbehindertenrecht). Sofern bei medizinischen Sachverhalten auch Fragen der medizinischen Kausalität oder arbeitstechnischen Voraussetzungen streiterheblich sind (z.B. Unfallversicherungsrecht oder soziales Entschädigungsrecht), kann im Einzelfall von einer überdurchschnittlichen oder deutlich überdurchschnittlichen Schwierigkeit gesprochen werden (vgl. SG Kiel, a.a.O.). Auch unterschiedliche Beweisergebnisse im Rahmen von eingeholten Sachverständigengutachten können eine überdurchschnittliche Schwierigkeit bei der Bearbeitung ergeben. Entsprechende Gesichtspunkte gelten bei anderen streitigen Tatsachen. Sofern ausschließlich Rechtsfragen streitig sind, ist maßgebend, ob und inwieweit durch Rechtsprechung und/oder Literatur bereits gefestigte Grundsätze entwickelt worden sind.

Bei der Beurteilung der Bedeutung der Angelegenheit ist auf die unmittelbare tatsächliche, ideelle, gesellschaftliche, wirtschaftliche oder rechtliche Bedeutung für den Auftraggeber, nicht aber für die Allgemeinheit abzustellen. Streitigkeiten über Leistungen, die das soziokulturelle Existenzminimum des Auftraggebers sichern, haben in der Regel eine überdurchschnittliche Bedeutung, es sei denn, wenn es lediglich um monatliche Euro-Beträge im einstelligen Bereich bzw. nur für einen kurzen Zeitraum geht (BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, a.a.O.; Strassfeld, a.a.O., S. 257). Unterdurchschnittliche Bedeutung wird regelmäßig dann anzunehmen sein, wenn es etwa bei Grundsicherungsleistungen um einmalige Leistungen geht. Bei Leistungen mit Dauerwirkung (z.B. Rentenleistungen) kann in der Regel von einer Überdurchschnittlichkeit ausgegangen werden.

Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers können, sofern nichts anderes vorgetragen oder ersichtlich ist, als durchschnittlich zugrunde gelegt werden. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht erforderlich war. Sofern Prozesskostenhilfe gewährt wurde, liegen auf jeden Fall unterdurchschnittliche Einkommens- und Vermögensverhältnisse vor. Bei Empfängern von Grundsicherungsleistungen oder Empfängern von Sozialhilfe liegen regelmäßig deutlich unterdurchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse vor (vgl. SG Kiel, a.a.O.).

Die Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG erfasst den Aufwand für Besprechung und Beratung, das Lesen der Verwaltungsentscheidungen, das Aktenstudium, das Anfertigen von Notizen, das Anfordern von Unterlagen beim Mandanten und deren Sichtung, die Rechtsprechung- und Literaturrecherche, die Auseinandersetzung mit Rechtsprechung und Literatur, das Eingehen auf die von dem Leistungsträger herangezogenen Beweismittel, den Schriftverkehr mit dem Auftraggeber und der Gegenseite sowie alle Tätigkeiten, die mangels entsprechender Gebührenvorschriften nicht durch eine besondere Gebühr vergütet werden (Strassfeld, NZS 2010, 254). Die so genannte Schwellengebühr im Rahmen der Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG hat die so genannte Mittelgebühr nicht ersetzt (BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, B 4 AS 21/09 R). Deren Einführung hat zur Folge, dass die in einem ersten Schritt ausgehend von der Mittelgebühr bestimmte Gebühr in einem zweiten Schritt in Höhe des Schwellenwertes gekappt wird, wenn weder der Umfang noch die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit mehr als durchschnittlich sind. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 1. Juli 2009, a.a.O.), der die Kammer folgt, ist zur Bestimmung der konkreten Gebühr demgemäß wie folgt vorzugehen: In einem ersten Schritt ist die Gebühr ausgehend von der Mittelgebühr zu bestimmen. Liegt diese über der Schwellengebühr, ist in einem zweiten Schritt zu beurteilen, ob es bei der ermittelten Gebühr bleibt. Dies ist der Fall, wenn der Umfang und/oder die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit mehr als durchschnittlich sind. Ist dem nicht so, wird die an sich zutreffende Gebühr in Höhe des Betrages der Schwellengebühr gekappt. Dies führt etwa zur Kappung auf die Schwellengebühr, wenn jede der in § 14 Abs. 1 S. 1 RVG genannten Bemessungskriterien durchschnittlich ist. Denn war zum Beispiel der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit leicht überdurchschnittlich, die Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber leicht unterdurchschnittlich und die übrigen Kriterien durchschnittlich, so ist eine Gebühr in Höhe der Mittelgebühr billig, obwohl die Tätigkeit des Rechtsanwalts im Ergebnis ebenfalls dem Durchschnitt zuzuordnen ist.

Bezogen auf die Geschäftsgebühr hat die Beklagte zutreffend die Schwellengebühr in Höhe von 240,00 EUR angenommen. Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit war unterdurchschnittlich. Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 21. Juli 2011 hatte der Kläger ohne anwaltliche Mitwirkung eingelegt. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 8. November 2011 wurde der Widerspruch gegen den Bescheid vom 10. Oktober 2011 eingelegt und diese zusammen mit dem Widerspruch gegen die Ablehnung der Verordnung vom 14. Juli 2011 gemeinsam und einheitlich begründet. Die Begründung der Widersprüche hatte einen Umfang von knapp einer Seite. Das Widerspruchsverfahren kann aus anwaltlicher Sicht ebenfalls nur als unterdurchschnittlich schwierig bezeichnet werden, die Argumentation bezüglich der begehrten Leistungen erfolgte mit rechtlichen Argumenten, während der Sachverhalt auf tatsächlicher Ebene zum damaligen Zeitpunkt nicht streitig war. Die Bedeutung der Angelegenheit sowie die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers können als durchschnittlich zu Grunde gelegt werden.

Zu Recht hat die Beklagte es abgelehnt, diese Gebühren für zwei Widerspruchsverfahren zu erstatten. Denn vergütungsrechtlich handelt es sich entgegen der Auffassung des Klägers um "dieselbe Angelegenheit", für die Gebühren nur einmal verlangt werden können. Wann von "derselben Angelegenheit" und wann von "verschiedenen Angelegenheiten" im vergütungsrechtlichen Sinne auszugehen ist, wird durch das RVG nicht abschließend geregelt. Insbesondere die §§ 16 und 17 RVG beinhalten jeweils verschiedene Fallkataloge, bei denen die eine oder die andere Konstellation zu Grunde zu legen ist, definieren die Begriffe allerdings nicht. Nach allgemeiner Meinung (vgl. zB BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2000, 11 C 1/99; OLG Köln, Beschluss vom 11. November 1998, 17 W 365/98; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 10. April 2003, L 12 AL 4537/02) ist unter "derselben Angelegenheit" das gesamte Geschäft zu verstehen, das der Rechtsanwalt für den Auftraggeber besorgen soll. Eine Angelegenheit kann auch mehrere Gegenstände umfassen. Ob mehrere Gegenstände dieselbe oder mehrere Angelegenheiten darstellen, hängt davon ab, ob sie von einem einheitlichen Auftrag erfasst werden, zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und der Rechtsanwalt einen einheitlichen Tätigkeitsrahmen wahrt. Unerheblich ist dabei, ob es sich um verschiedene Streitgegenstände im prozessualen Sinne handelt oder ob mehrere rechtlich selbstständige Bescheide ergangen sind (LSG Baden-Württemberg, a.a.O.). Die Kammer folgt insoweit auch der Auffassung der Beklagten, dass von einem einheitlichen Auftrag auch dann ausgegangen werden kann, wenn der ursprüngliche Auftrag sukzessive erweitert wird, wenn die übrigen o.g. Voraussetzungen gegeben sind.

Streitig war vorliegend bei den ärztliche Verordnungen vom 14. Juli 2011, 27. Juli 2001 (nicht Gegenstand der Klage) und 23. September 2011 die Übernahme der Kosten von Blutzuckermessungen. Nachdem die Protokolle der Blutzuckermessungen vorgelegt worden waren, ist der MDK von der Beklagten zur Beurteilung aufgefordert worden. Dieser kam zu der Einschätzung, dass aufgrund des Gesundheitszustandes des Klägers das nötige geforderte Maß an Mitarbeit nicht zu erwarten sei ebenso wie ein selbständiges Ergreifen der notwendigen Maßnahmen. Dem folgend hat die Beklagte die Leistungen im Abhilfebescheid vom 24. Januar 2012 bewilligt. Bei sämtlichen Folgeverordnungen lag der notwendige innere Zusammenhang vor. Denn der Lebenssachverhalt änderte sich nicht, lediglich die Verordnungszeiträume schlossen sich aneinander an. Die Rechtsanwälte des Klägers haben auch einen einheitlichen Tätigkeitsrahmen gewahrt. Denn sie selbst haben die Verbindung schon dadurch hergestellt, als sie wegen der Ablehnung der Verordnung vom 23. September 2011 (Bescheid vom 10. Oktober 2011) mit Schriftsatz vom 8. November 2011 Widerspruch einlegten und in diesem Zusammenhang gleichzeitig den Widerspruch wegen der Verordnung vom 14. Juli 2011 begründeten. Die Aufgaben der Rechtsanwälte des Klägers änderten sich nicht. Zwar mussten sie die verschiedenen Bescheide von ihrem Inhalt her überprüfen und die Widerspruchsfristen eigenständig berechnen. Dieser Aufwand kann allerdings ohne weiteres über die Höhe der Rahmengebühr der Nr. 2400 VV RVG abgebildet werden. Auch auf die von der Beklagten aufgeworfene Frage der Verbindung im prozessualen Sinne kommt es nach Auffassung der Kammer nicht an. Das Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahren ist ökonomisch und pragmatisch zu handhaben. Nach Auffassung der Kammer kann ein Leistungsträger verschiedene Streitgegenstände (im prozessualen Sinne) ohne weiteres in einem Verfahren zusammenfassen und gegebenenfalls in einem Bescheid entscheiden, wenn sich dies von der Sache her anbietet. Es ist auch vorstellbar, dass der Leistungsträger, wenn er noch im Verwaltungsverfahren - etwa bei zeitlich nachfolgenden Verordnungen - durch verschiedene Bescheide entschieden hat, die eingelegten Widersprüche in solchen Fällen zu einem einheitlichen Widerspruchsverfahren zusammenfasst. Erst recht könnte der Leistungsträger im Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren verschiedene Gegenstände zusammenfassen, die zum Beispiel von einem Rechtsanwalt "künstlich" aufgeteilt worden sind. Erst dann, wenn der Leistungsträger über verschiedene Gegenstände in unterschiedlichen Widerspruchsbescheiden entscheidet, wird man in der Regel von "verschiedenen Angelegenheiten" auszugehen haben.

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen von § 144 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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