Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 11 KA 98/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 14/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 6/16 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Honorarbescheide für die Quartale I/09 bis IV/09, konkret die Frage der Verrechenbarkeit von zeitbezogenen Kapazitätsgrenzen nach Teil F, Ziff. 4 des Beschlusses des Erweiterten Bewertungsausschusses gemäß § 87 Abs. 4 SGB V zur Neuordnung der vertragsärztlichen Vergütung in seiner 7. Sitzung am 27. und 28. August 2008 (EB7F), gleichlautend mit Abschnitt II Ziff. 4 des Honorarvertrages 2009 (HV 2009).
Die Klägerin ist eine Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) bestehend aus den beiden Dipl.-Psych. C. und D. mit Praxissitz in A-Stadt. Die Klägerin legte mit Schreiben vom 09.09.2009, 14.02.2009, 02.03.2010 und 16.06.2010 jeweils Widerspruch gegen die Honorarbescheide für die Quartale I/09 bis IV/09, die sie nicht näher begründete, ein. Die Beklagte wies die Widersprüche mit Widerspruchsbescheid vom 25.01.2011 zurück. Zur Begründung wies sie auf die zeitbezogene Kapazitätsgrenze für Psychotherapeuten hin. Das Zeitbudget für antrags- und genehmigugnspflichtige Leistungen sei bundeseinheitlich durch Beschluss des Bewertungsausschusses auf 27.090 Minuten je Quartal festgelegt. Es berechne sich wie folgt: 36 Stunden je Woche bei 43 Wochen Arbeitszeit im Jahr bei 36 Sitzungen genehmigungspflichtiger Psychotherapie pro Woche und einer Plausibilitätszeit von 70 Minuten (36 x 43 x 70 / 4). Das Zeitbudget für nicht genehmigungspflichtige Leistungen werde durch die Beklagte quartalsweise berechnet und richte sich nach der arztgruppenspezifischen durchschnittlichen abgerechneten Zuwendungszeit je Arzt im Vorjahresquartal gemessen an den Prüfzeiten gem. Anhang 3 des EBM. Die jeweils gültige zeitbezogene Kapazitätsgrenze für die Quartale I/09 bis IV/09 sei im info.doc jeweils veröffentlicht worden. Dort ließen sich auch die konkreten Werte entnehmen. Es sei festzustellen, dass Herr D. in den streitgegenständlichen Quartalen die geltende Kapazitätsgrenze nicht überschritten habe. Das angeforderte Honorar sei vollständig vergütet worden. Eine Beschwer liege insoweit nicht vor. Herr C. habe hingegen die Kapazitätsgrenzen überschritten. Gemäß Abschnitt II Ziff. 4.1 HV 2009 würden diejenigen abgerechneten Leistungen, die die ermittelte Kapazitätsgrenze überschritten, maximal bis zum 1,5 fachen der Kapazitätsgrenze mit einer abgestaffelten Quote vergütet. Diese Quote sei der Arztrechnung zu entnehmen. Das angeforderte Honorar habe deshalb nicht vollständig vergütet werden können. Diese Vorgehensweise sei jedoch nicht zu beanstanden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage vom 24.02.2012. Die Klägerin trägt vor, dass die Funktion der Festlegung der zeitbezogenen Regelleistungsvolumina (RLV) bei den Psychotherapeuten der der Regelleistungsvolumina bei den Ärzten entspreche. Die Begrenzungen der abrechenbaren Leistungen dienten der Verhinderung einer übermäßigen Ausdehnung der vertragsärztlichen bzw. vertragspsychotherapeutischen Tätigkeit. Rechtsgrundlage für beide Regelungen bilde § 87b SGB V. Die Klage richte sich ausdrücklich nicht gegen die Festsetzung der zeitbezogenen Kapazitätsgrenzen als solches, sondern dagegen, dass die Beklagte keine Verrechnungsmöglichkeit zwischen der Überschreitung der zeitbezogenen Kapazitätsgrenze bei einem Partner der BAG einerseits, mit der Unterschreitung den zeitbezogenen Kapazitätsgrenzen des anderen Partners der BAG andererseits zulasse. Damit seien die BAGs der Psychotherapeuten gegenüber den ärztlichen BAGs, welche diese Verrechnungsmöglichkeit hätten, ohne sachlichen Grund benachteiligt. Die Verrechnungsmöglichkeit bei den ärztlichen Fachgruppen ergebe sich quasi automatisch aus dem Umstand, dass zwar die RLV pro Arzt festgesetzt würden, die Addition der arztbezogenen RLV jedoch dann der BAG als Obergrenze zugewiesen werde, wodurch die Überschreitung des RLV bei dem einen Arzt, durch die Unterschreitung eines RLV bei einem anderen Arzt, entsprechend kompensiert werden könne.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, die psychotherapeutischen Leistungen der Klägerin in den Quartalen I/09 bis IV/09 unter Abänderung der Honorarbescheide in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.01.2012 ohne Abstaffelung auf Grund der Überschreitung der zeitbezogenen Kapazitätsgrenze durch Herrn C. zu vergüten,
hilfsweise,
die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin unter Abänderung der Honorarbescheide für die Quartale I/09 bis IV/09 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.01.2012 unter der Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Beklagtenvertreterin beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, dass nach dem EB7F Ziff. 4.1 je Quartal durch die Beklagte arztbezogen, das heißt jedem Arzt bzw. Psychotherapeuten zeitbezogene Kapazitätsgrenzen zugewiesen würden. Die Kapazitätsgrenze sei ausgehend vom Berechnungsmodell des Bundessozialgerichts einer vollausgelasteten psychotherapeutischen Praxis (BSG v. 25.08.1999 – B 6 KA 14/98 R –) und der Vergütung der zeitbezogenen genehmigungspflichtigen psychotherapeutischen Leistungen (Kapitel 35.2 EBM 2000) mit einem Mindestpunktwert ermittelt worden. Auf Grund dieser arzt- bzw. therapeutenbezogenen Zuweisung sei eine Verrechenbarkeit innerhalbe einer BAG nicht zulässig. Im Unterschied hierzu sehe der Beschluss für die RLV eine arztpraxisbezogene Zuweisung vor. Die Höhe des RLV ergebe sich aus der Addition der RLV je Arzt. Im Unterschied zur ärztlichen Fachgruppe mit RLV erbrächten Psychotherapeuten überwiegend zeitabhängige genehmigungspflichtige Leistungen. Das ermittelte Zeitbudget decke daher den Umfang der zeitabhängigen Leistungen bei optimaler Praxisauslastung und vollem persönlichen Arbeitseinsatz ab. Insoweit sei es folgerichtig, dass der Beschluss eine Verrechenbarkeit nicht ausgeschöpfter Zeitkontingente von anderen in der Praxis tätigen Partnern nicht zulasse.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakten verwiesen, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer hat in der Besetzung mit einer ehrenamtlichen Richterin und einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragsärzte und Psychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Psychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Die Honorarbescheide für die Quartale I/09 bis IV/09 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.01.2012 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf vollständige Vergütung der abgerechneten genehmigungspflichtigen Leistungen. Nach § 87b SGB V (in der Fassung des Gesetzes vom 26.03.2007, gültig vom 01.07.2008-22.09.2011) müssen antragspflichtige psychotherapeutische Leistungen der Psychotherapeuten, der Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und psychotherapie, der Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, der Fachärzte für Nervenheilkunde, der Fachärzte für Psychosomatik und Psychotherapie sowie der ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Ärzte außerhalb der Regelleistungsvolumina vergütet werden. Nach § 87b Abs. 3 Satz 4 SGB V können auf der Grundlage der Zeitwerte nach § 87 Abs. 2 Satz 1 Kapazitätsgrenzen je Arbeitstag für das bei gesicherter Qualität zu erbringende Leistungsvolumen des Arztes oder der Arztpraxis festgelegt werden. Ausgehend von diesen gesetzlichen Vorgaben ist der Beschluss EB7F (DÄBl. 2008 (Heft 38), A-1988) ergangen. Nach Ziffer 4.1 werden abweichend von den Regelungen für Arztgruppen gemäß Anlage 1 für Psychologische Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie andere ausschließlich psychotherapeutisch tätige Vertragsärzte gemäß den Kriterien der Bedarfsplanungsrichtlinien zeitbezogene Kapazitätsgrenzen je Quartal durch die Kassenärztlichen Vereinigungen jedem Arzt zugewiesen, um eine übermäßige Ausdehnung der psychotherapeutischen Tätigkeit zu verhindern. Überschreitet die abgerechnete ärztliche bzw. therapeutische Zuwendungszeit gemessen nach den Prüfzeiten der Leistungen des Anhangs 3 zum Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) in der gültigen Fassung die gemäß 4.2 ermittelte zeitbezogene Kapazitätsgrenze je Arzt, so werden diese Leistungen maximal bis zur 1,5 fachen zeitbezogenen Kapazitätsgrenze mit den abgestaffelten Preisen nach 1.1 vergütet. Nach Ziffer 4.2.1 werden als Anteil der zeitbezogenen Kapazitätsgrenze für die antrags- und genehmigungspflichtigen Leistungen der in 4.1 genannten Arztgruppen je Arzt 27.090 Minuten je Abrechnungsquartal festgelegt. Nach 4.2.2 und 4.2.3 wird als Anteil der zeitbezogenen Kapazitätsgrenze für die nicht antrags- und genehmigungspflichtigen Leistungen der in 4.1 genannten Arztgruppen die arztgruppenspezifische, durchschnittlich abgerechnete ärztliche bzw. therapeutische Zuwendungszeit je Arzt gemessen nach den Prüfzeiten der Leistungen des Anhangs 3 zum EBM in der gültigen Fassung ermittelt. Je Arzt bzw. Psychotherapeut der in 4.1 genannten Arztgruppen ergibt sich die zeitbezogene Kapazitätsgrenze aus der Addition der Werte in 4.2.1 und 4.2.2. Auf der Grundlage dieser Regelungen im SGB V und der Vorgaben des Erweiterten Bewertungsausschusses haben die Kassenärztliche Vereinigung Hessen und die Verbände der Primärkassen sowie die Ersatzkassen den Honorarvertrag vom 13.12.2008 für die Zeit ab 01.01.2009 geschlossen. In Abschnitt II Ziffer 4 HV werden die Regelungen des EB7F wortgleich übernommen. Diese grundsätzliche Ermittlung der Kapazitätsgrenzen in EB7F und HV 2009 ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Zur Überzeugung des Gerichts steht darüber hinaus fest, dass sich aus dem Wortlaut und der Systematik der o.g. Vorschriften eindeutig ergibt, dass die zeitbezogenen Kapazitätsgrenzen arztbezogen, konkret "je Arzt", zugewiesen werden, während die RLV arztpraxisbezogen zugewiesen werden. Bereits diese terminologisch eindeutige Unterscheidung steht einer Verrechnungsmöglichkeit von Überschreitungen der Grenzen mit Unterschreitungen beim BAG-Partner ausdrücklich entgegen.
Diese arztbezogene Betrachtung ist auch nicht rechtswidrig. Der Beschluss des Bewertungsausschusses ist rechtlich als vertragliche Vereinbarung (Normsetzungsvertrag) der Vertragspartner der Bundesmantelverträge zu werten und als untergesetzliche Rechtsnorm einzuordnen (ständige Rechtsprechung BSG, vgl. z.B. Urteil vom 17.09.2008 - B 6 KA 46/07 R -). Für die Gerichte hat dieses Regelungskonzept zur Folge, dass sie die Gestaltungsfreiheit des Bewertungsausschusses, wie sie für jede Normsetzung kennzeichnend ist, zu respektieren haben und Beschlüsse des Bewertungsausschusses mithin wegen ihrer spezifischen Struktur und der Art ihres Zustandekommens nicht in vollem Umfang der gerichtlichen Überprüfung zugänglich sind. Durch die personelle Zusammensetzung der paritätisch mit Vertretern der Ärzte bzw. Zahnärzte und Krankenkassen besetzten Bewertungsausschüsse und den vertraglichen Charakter der Beschlüsse soll gewährleistet werden, dass die unterschiedlichen Interessen der an der vertragsärztlichen Versorgung beteiligten Gruppen zum Ausgleich kommen und auf diese Weise eine sachgerechte inhaltliche Umschreibung und Bewertung der ärztlichen Leistungen erreicht wird. Das vom Bewertungsausschuss erarbeitete System für die Honorarverteilung kann seinen Zweck nur erfüllen, wenn Eingriffe von außen grundsätzlich unterbleiben (BSG, Urteil vom 17.09.2008 - B 6 KA 46/07 R -). Die richterliche Kontrolle untergesetzlicher Normen beschränkt sich darauf, ob die äußersten rechtlichen Grenzen der Rechtsetzungsbefugnis durch den Normgeber überschritten wurden. Dies ist erst dann der Fall, wenn die getroffene Regelung in einem "groben Missverhältnis" zu den mit ihr verfolgten legitimen Zwecken steht, d.h. in Anbetracht des Zwecks der Ermächtigung schlechterdings unvertretbar oder unverhältnismäßig ist (BSG, Urteil vom 28.05.2008 B 6 KA 9/07 R -). Die gerichtliche Kontrolle von Entscheidungen des Bewertungsausschusses ist somit im Wesentlichen auf die Prüfung beschränkt, ob sich die untergesetzliche Norm auf eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage stützen kann und ob die Grenzen des Gestaltungsspielraums eingehalten sind. Der Bewertungsausschuss überschreitet den ihm eröffneten Gestaltungsspielraum, wenn sich zweifelsfrei feststellen lässt, dass seine Entscheidungen von sachfremden Erwägungen getragen sind - etwa weil eine Gruppe von Leistungserbringern bei der Honorierung bewusst benachteiligt wird - oder dass es im Lichte von Art. 3 Abs. 1 GG keinerlei vernünftige Gründe für die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem bzw. für die ungleiche Behandlung von im Wesentlichen gleich gelagerten Sachverhalten gibt (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 01.09.2010, - L 11 KA 29/08 -). Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung, der sich die Kammer vollumfänglich anschließt, hat der Bewertungsausschuss mit (Gestaltung und) Bewertung der Regelleistungsvolumina einerseits und Kapazitätsgrenzen andererseits den ihm eröffneten Gestaltungsspielraum nicht verletzt, da sich nicht (zweifelsfrei) feststellen lässt, dass seine Entscheidungen von sachfremden Erwägungen getragen waren. Der Erweiterte Bewertungsausschuss hat durch die Formulierung des Gesetzgebers in § 87b Abs. 3 S. 4 SGB V die ausdrückliche Ermächtigung erhalten, Kapazitätsgrenzen je Arzt oder je Arztpraxis zu bemessen. Zwar ist sowohl den Regelungen über die RLV als auch den Regelungen über die Kapazitätsgrenzen gemein, dass sie eine übermäßige Ausdehnung der Tätigkeit verhindern sollen. Darüber hinaus bestehen bei der Honorierung psychotherapeutischer Leistungen jedoch traditionell Unterschiede zur sonstigen ärztlichen Vergütung, da ein Großteil der psychotherapeutischen Leistungen zeitbezogen erbracht und vergütet wird. Der weit überwiegende Teil der psychotherapeutischen Tätigkeit besteht in der Durchführung von Therapiesitzungen, die in aller Regel eine starke Patienten-Therapeuten-Beziehung voraussetzen. Auch nach der Psychotherapie-Vereinbarung werden die Therapiesitzungen vom jeweiligen Therapeuten beantragt und müssen von diesem auch durchgeführt werden. Insofern ist die Wahl einer Kooperationsform – wie vorliegend in Gestalt einer BAG – für Psychotherapeuten höchst ungewöhnlich, da die durch eine BAG üblicherweise zu erzielenden Synergieeffekte aufgrund der o.g. Rahmenbedingungen nicht zu erwarten sind. Es ist insoweit fernliegend, dass Sonderregelungen für Kooperationsformen überhaupt vorgesehen werden. Jedenfalls ist eine arztbezogene Betrachtung unter diesen Rahmenbedingungen nicht schlechterdings unvertretbar oder unverhältnismäßig.
Nach alledem konnte die Klage keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 VwGo und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Honorarbescheide für die Quartale I/09 bis IV/09, konkret die Frage der Verrechenbarkeit von zeitbezogenen Kapazitätsgrenzen nach Teil F, Ziff. 4 des Beschlusses des Erweiterten Bewertungsausschusses gemäß § 87 Abs. 4 SGB V zur Neuordnung der vertragsärztlichen Vergütung in seiner 7. Sitzung am 27. und 28. August 2008 (EB7F), gleichlautend mit Abschnitt II Ziff. 4 des Honorarvertrages 2009 (HV 2009).
Die Klägerin ist eine Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) bestehend aus den beiden Dipl.-Psych. C. und D. mit Praxissitz in A-Stadt. Die Klägerin legte mit Schreiben vom 09.09.2009, 14.02.2009, 02.03.2010 und 16.06.2010 jeweils Widerspruch gegen die Honorarbescheide für die Quartale I/09 bis IV/09, die sie nicht näher begründete, ein. Die Beklagte wies die Widersprüche mit Widerspruchsbescheid vom 25.01.2011 zurück. Zur Begründung wies sie auf die zeitbezogene Kapazitätsgrenze für Psychotherapeuten hin. Das Zeitbudget für antrags- und genehmigugnspflichtige Leistungen sei bundeseinheitlich durch Beschluss des Bewertungsausschusses auf 27.090 Minuten je Quartal festgelegt. Es berechne sich wie folgt: 36 Stunden je Woche bei 43 Wochen Arbeitszeit im Jahr bei 36 Sitzungen genehmigungspflichtiger Psychotherapie pro Woche und einer Plausibilitätszeit von 70 Minuten (36 x 43 x 70 / 4). Das Zeitbudget für nicht genehmigungspflichtige Leistungen werde durch die Beklagte quartalsweise berechnet und richte sich nach der arztgruppenspezifischen durchschnittlichen abgerechneten Zuwendungszeit je Arzt im Vorjahresquartal gemessen an den Prüfzeiten gem. Anhang 3 des EBM. Die jeweils gültige zeitbezogene Kapazitätsgrenze für die Quartale I/09 bis IV/09 sei im info.doc jeweils veröffentlicht worden. Dort ließen sich auch die konkreten Werte entnehmen. Es sei festzustellen, dass Herr D. in den streitgegenständlichen Quartalen die geltende Kapazitätsgrenze nicht überschritten habe. Das angeforderte Honorar sei vollständig vergütet worden. Eine Beschwer liege insoweit nicht vor. Herr C. habe hingegen die Kapazitätsgrenzen überschritten. Gemäß Abschnitt II Ziff. 4.1 HV 2009 würden diejenigen abgerechneten Leistungen, die die ermittelte Kapazitätsgrenze überschritten, maximal bis zum 1,5 fachen der Kapazitätsgrenze mit einer abgestaffelten Quote vergütet. Diese Quote sei der Arztrechnung zu entnehmen. Das angeforderte Honorar habe deshalb nicht vollständig vergütet werden können. Diese Vorgehensweise sei jedoch nicht zu beanstanden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage vom 24.02.2012. Die Klägerin trägt vor, dass die Funktion der Festlegung der zeitbezogenen Regelleistungsvolumina (RLV) bei den Psychotherapeuten der der Regelleistungsvolumina bei den Ärzten entspreche. Die Begrenzungen der abrechenbaren Leistungen dienten der Verhinderung einer übermäßigen Ausdehnung der vertragsärztlichen bzw. vertragspsychotherapeutischen Tätigkeit. Rechtsgrundlage für beide Regelungen bilde § 87b SGB V. Die Klage richte sich ausdrücklich nicht gegen die Festsetzung der zeitbezogenen Kapazitätsgrenzen als solches, sondern dagegen, dass die Beklagte keine Verrechnungsmöglichkeit zwischen der Überschreitung der zeitbezogenen Kapazitätsgrenze bei einem Partner der BAG einerseits, mit der Unterschreitung den zeitbezogenen Kapazitätsgrenzen des anderen Partners der BAG andererseits zulasse. Damit seien die BAGs der Psychotherapeuten gegenüber den ärztlichen BAGs, welche diese Verrechnungsmöglichkeit hätten, ohne sachlichen Grund benachteiligt. Die Verrechnungsmöglichkeit bei den ärztlichen Fachgruppen ergebe sich quasi automatisch aus dem Umstand, dass zwar die RLV pro Arzt festgesetzt würden, die Addition der arztbezogenen RLV jedoch dann der BAG als Obergrenze zugewiesen werde, wodurch die Überschreitung des RLV bei dem einen Arzt, durch die Unterschreitung eines RLV bei einem anderen Arzt, entsprechend kompensiert werden könne.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, die psychotherapeutischen Leistungen der Klägerin in den Quartalen I/09 bis IV/09 unter Abänderung der Honorarbescheide in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.01.2012 ohne Abstaffelung auf Grund der Überschreitung der zeitbezogenen Kapazitätsgrenze durch Herrn C. zu vergüten,
hilfsweise,
die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin unter Abänderung der Honorarbescheide für die Quartale I/09 bis IV/09 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.01.2012 unter der Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Beklagtenvertreterin beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, dass nach dem EB7F Ziff. 4.1 je Quartal durch die Beklagte arztbezogen, das heißt jedem Arzt bzw. Psychotherapeuten zeitbezogene Kapazitätsgrenzen zugewiesen würden. Die Kapazitätsgrenze sei ausgehend vom Berechnungsmodell des Bundessozialgerichts einer vollausgelasteten psychotherapeutischen Praxis (BSG v. 25.08.1999 – B 6 KA 14/98 R –) und der Vergütung der zeitbezogenen genehmigungspflichtigen psychotherapeutischen Leistungen (Kapitel 35.2 EBM 2000) mit einem Mindestpunktwert ermittelt worden. Auf Grund dieser arzt- bzw. therapeutenbezogenen Zuweisung sei eine Verrechenbarkeit innerhalbe einer BAG nicht zulässig. Im Unterschied hierzu sehe der Beschluss für die RLV eine arztpraxisbezogene Zuweisung vor. Die Höhe des RLV ergebe sich aus der Addition der RLV je Arzt. Im Unterschied zur ärztlichen Fachgruppe mit RLV erbrächten Psychotherapeuten überwiegend zeitabhängige genehmigungspflichtige Leistungen. Das ermittelte Zeitbudget decke daher den Umfang der zeitabhängigen Leistungen bei optimaler Praxisauslastung und vollem persönlichen Arbeitseinsatz ab. Insoweit sei es folgerichtig, dass der Beschluss eine Verrechenbarkeit nicht ausgeschöpfter Zeitkontingente von anderen in der Praxis tätigen Partnern nicht zulasse.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakten verwiesen, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer hat in der Besetzung mit einer ehrenamtlichen Richterin und einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragsärzte und Psychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Psychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Die Honorarbescheide für die Quartale I/09 bis IV/09 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.01.2012 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf vollständige Vergütung der abgerechneten genehmigungspflichtigen Leistungen. Nach § 87b SGB V (in der Fassung des Gesetzes vom 26.03.2007, gültig vom 01.07.2008-22.09.2011) müssen antragspflichtige psychotherapeutische Leistungen der Psychotherapeuten, der Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und psychotherapie, der Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, der Fachärzte für Nervenheilkunde, der Fachärzte für Psychosomatik und Psychotherapie sowie der ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Ärzte außerhalb der Regelleistungsvolumina vergütet werden. Nach § 87b Abs. 3 Satz 4 SGB V können auf der Grundlage der Zeitwerte nach § 87 Abs. 2 Satz 1 Kapazitätsgrenzen je Arbeitstag für das bei gesicherter Qualität zu erbringende Leistungsvolumen des Arztes oder der Arztpraxis festgelegt werden. Ausgehend von diesen gesetzlichen Vorgaben ist der Beschluss EB7F (DÄBl. 2008 (Heft 38), A-1988) ergangen. Nach Ziffer 4.1 werden abweichend von den Regelungen für Arztgruppen gemäß Anlage 1 für Psychologische Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie andere ausschließlich psychotherapeutisch tätige Vertragsärzte gemäß den Kriterien der Bedarfsplanungsrichtlinien zeitbezogene Kapazitätsgrenzen je Quartal durch die Kassenärztlichen Vereinigungen jedem Arzt zugewiesen, um eine übermäßige Ausdehnung der psychotherapeutischen Tätigkeit zu verhindern. Überschreitet die abgerechnete ärztliche bzw. therapeutische Zuwendungszeit gemessen nach den Prüfzeiten der Leistungen des Anhangs 3 zum Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) in der gültigen Fassung die gemäß 4.2 ermittelte zeitbezogene Kapazitätsgrenze je Arzt, so werden diese Leistungen maximal bis zur 1,5 fachen zeitbezogenen Kapazitätsgrenze mit den abgestaffelten Preisen nach 1.1 vergütet. Nach Ziffer 4.2.1 werden als Anteil der zeitbezogenen Kapazitätsgrenze für die antrags- und genehmigungspflichtigen Leistungen der in 4.1 genannten Arztgruppen je Arzt 27.090 Minuten je Abrechnungsquartal festgelegt. Nach 4.2.2 und 4.2.3 wird als Anteil der zeitbezogenen Kapazitätsgrenze für die nicht antrags- und genehmigungspflichtigen Leistungen der in 4.1 genannten Arztgruppen die arztgruppenspezifische, durchschnittlich abgerechnete ärztliche bzw. therapeutische Zuwendungszeit je Arzt gemessen nach den Prüfzeiten der Leistungen des Anhangs 3 zum EBM in der gültigen Fassung ermittelt. Je Arzt bzw. Psychotherapeut der in 4.1 genannten Arztgruppen ergibt sich die zeitbezogene Kapazitätsgrenze aus der Addition der Werte in 4.2.1 und 4.2.2. Auf der Grundlage dieser Regelungen im SGB V und der Vorgaben des Erweiterten Bewertungsausschusses haben die Kassenärztliche Vereinigung Hessen und die Verbände der Primärkassen sowie die Ersatzkassen den Honorarvertrag vom 13.12.2008 für die Zeit ab 01.01.2009 geschlossen. In Abschnitt II Ziffer 4 HV werden die Regelungen des EB7F wortgleich übernommen. Diese grundsätzliche Ermittlung der Kapazitätsgrenzen in EB7F und HV 2009 ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Zur Überzeugung des Gerichts steht darüber hinaus fest, dass sich aus dem Wortlaut und der Systematik der o.g. Vorschriften eindeutig ergibt, dass die zeitbezogenen Kapazitätsgrenzen arztbezogen, konkret "je Arzt", zugewiesen werden, während die RLV arztpraxisbezogen zugewiesen werden. Bereits diese terminologisch eindeutige Unterscheidung steht einer Verrechnungsmöglichkeit von Überschreitungen der Grenzen mit Unterschreitungen beim BAG-Partner ausdrücklich entgegen.
Diese arztbezogene Betrachtung ist auch nicht rechtswidrig. Der Beschluss des Bewertungsausschusses ist rechtlich als vertragliche Vereinbarung (Normsetzungsvertrag) der Vertragspartner der Bundesmantelverträge zu werten und als untergesetzliche Rechtsnorm einzuordnen (ständige Rechtsprechung BSG, vgl. z.B. Urteil vom 17.09.2008 - B 6 KA 46/07 R -). Für die Gerichte hat dieses Regelungskonzept zur Folge, dass sie die Gestaltungsfreiheit des Bewertungsausschusses, wie sie für jede Normsetzung kennzeichnend ist, zu respektieren haben und Beschlüsse des Bewertungsausschusses mithin wegen ihrer spezifischen Struktur und der Art ihres Zustandekommens nicht in vollem Umfang der gerichtlichen Überprüfung zugänglich sind. Durch die personelle Zusammensetzung der paritätisch mit Vertretern der Ärzte bzw. Zahnärzte und Krankenkassen besetzten Bewertungsausschüsse und den vertraglichen Charakter der Beschlüsse soll gewährleistet werden, dass die unterschiedlichen Interessen der an der vertragsärztlichen Versorgung beteiligten Gruppen zum Ausgleich kommen und auf diese Weise eine sachgerechte inhaltliche Umschreibung und Bewertung der ärztlichen Leistungen erreicht wird. Das vom Bewertungsausschuss erarbeitete System für die Honorarverteilung kann seinen Zweck nur erfüllen, wenn Eingriffe von außen grundsätzlich unterbleiben (BSG, Urteil vom 17.09.2008 - B 6 KA 46/07 R -). Die richterliche Kontrolle untergesetzlicher Normen beschränkt sich darauf, ob die äußersten rechtlichen Grenzen der Rechtsetzungsbefugnis durch den Normgeber überschritten wurden. Dies ist erst dann der Fall, wenn die getroffene Regelung in einem "groben Missverhältnis" zu den mit ihr verfolgten legitimen Zwecken steht, d.h. in Anbetracht des Zwecks der Ermächtigung schlechterdings unvertretbar oder unverhältnismäßig ist (BSG, Urteil vom 28.05.2008 B 6 KA 9/07 R -). Die gerichtliche Kontrolle von Entscheidungen des Bewertungsausschusses ist somit im Wesentlichen auf die Prüfung beschränkt, ob sich die untergesetzliche Norm auf eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage stützen kann und ob die Grenzen des Gestaltungsspielraums eingehalten sind. Der Bewertungsausschuss überschreitet den ihm eröffneten Gestaltungsspielraum, wenn sich zweifelsfrei feststellen lässt, dass seine Entscheidungen von sachfremden Erwägungen getragen sind - etwa weil eine Gruppe von Leistungserbringern bei der Honorierung bewusst benachteiligt wird - oder dass es im Lichte von Art. 3 Abs. 1 GG keinerlei vernünftige Gründe für die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem bzw. für die ungleiche Behandlung von im Wesentlichen gleich gelagerten Sachverhalten gibt (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 01.09.2010, - L 11 KA 29/08 -). Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung, der sich die Kammer vollumfänglich anschließt, hat der Bewertungsausschuss mit (Gestaltung und) Bewertung der Regelleistungsvolumina einerseits und Kapazitätsgrenzen andererseits den ihm eröffneten Gestaltungsspielraum nicht verletzt, da sich nicht (zweifelsfrei) feststellen lässt, dass seine Entscheidungen von sachfremden Erwägungen getragen waren. Der Erweiterte Bewertungsausschuss hat durch die Formulierung des Gesetzgebers in § 87b Abs. 3 S. 4 SGB V die ausdrückliche Ermächtigung erhalten, Kapazitätsgrenzen je Arzt oder je Arztpraxis zu bemessen. Zwar ist sowohl den Regelungen über die RLV als auch den Regelungen über die Kapazitätsgrenzen gemein, dass sie eine übermäßige Ausdehnung der Tätigkeit verhindern sollen. Darüber hinaus bestehen bei der Honorierung psychotherapeutischer Leistungen jedoch traditionell Unterschiede zur sonstigen ärztlichen Vergütung, da ein Großteil der psychotherapeutischen Leistungen zeitbezogen erbracht und vergütet wird. Der weit überwiegende Teil der psychotherapeutischen Tätigkeit besteht in der Durchführung von Therapiesitzungen, die in aller Regel eine starke Patienten-Therapeuten-Beziehung voraussetzen. Auch nach der Psychotherapie-Vereinbarung werden die Therapiesitzungen vom jeweiligen Therapeuten beantragt und müssen von diesem auch durchgeführt werden. Insofern ist die Wahl einer Kooperationsform – wie vorliegend in Gestalt einer BAG – für Psychotherapeuten höchst ungewöhnlich, da die durch eine BAG üblicherweise zu erzielenden Synergieeffekte aufgrund der o.g. Rahmenbedingungen nicht zu erwarten sind. Es ist insoweit fernliegend, dass Sonderregelungen für Kooperationsformen überhaupt vorgesehen werden. Jedenfalls ist eine arztbezogene Betrachtung unter diesen Rahmenbedingungen nicht schlechterdings unvertretbar oder unverhältnismäßig.
Nach alledem konnte die Klage keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 VwGo und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
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