Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Augsburg (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 KR 378/14
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 349/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 4. Juni 2014 in Fassung des Widerspruchsbescheids vom 8. September 2014 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Schmerztherapie mit Medizinal Cannabisblüten der Sorte Bedrocan und Sorte Bedica als Inhalation streitig.
Der am 1983 geborene Kläger ist Mitglied der Beklagten.
Am 12.05.2014 beantragte er die Kostenübernahme für eine Schmerztherapie mit Cannabis. Hierzu legte er einen ärztlichen Bericht seiner behandelnden Internistin Dr. C. vom 16.04.2014 vor. Danach leide der Kläger an der seltenen Erkrankung einer hereditären Neigung zu Druckparesen. Diese Krankheit führe zu erheblichen Schmerzen, insbesondere in den unteren Extremitäten. Wegen der Seltenheit der Erkrankung gebe es wenig gesicherte schulmedizinische Therapieansätze. Aktuell kämen beim Kläger Buprenorphin und Pregabalin zum Einsatz. Eine Tildinmedikation habe der Kläger nicht vertragen. Von der Cannabistherapie sei eine verbesserte Schmerzbehandlung mit günstigeren Nebenwirkungen zu erwarten sowie ein Rückgang der Krampfleiden und eine Besserung der Lebensqualität.
Hierzu holte die Beklagte eine medizinische Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) vom 19.05.2014 ein. Anschließend lehnte sie mit Bescheid vom 04.06.2014 den Antrag ab. Eine Verordnung von Cannabis zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung sei nur in absoluten Ausnahmefällen möglich. Zudem habe der MDK in seiner Stellungnahme mitgeteilt, dass eine Zulassung von Cannabis bei dem beschriebenen Krankheitsbild nicht bestehe. Es läge ein Off-Label-Use vor.
Dagegen richtet sich der Widerspruch des Bevollmächtigten vom 20.06.2014. Die Voraussetzungen für eine Übernahme der Therapiekosten im Rahmen eines Off-Label-Use seien erfüllt.
Hierauf holte die Beklagte nochmals eine Stellungnahme des MDK vom 25.07.2014 ein. In dieser führte der MDK aus, dass eine ursächliche Behandlung der Erkrankung des Klägers nicht möglich sei. Bei Medizinal-Cannabisblüten (in dem Fall Bedrocan und Bedica) handle es sich gemäß Anlage 2 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) um verkehrsfähige, aber nicht verschreibungsfähige Betäubungsmittel. Ein nicht verschreibungsfähiges Mittel könne nicht rezeptiert werden. Damit entfalle die Grundlage für eine Leistung der Krankenversicherung. Gemäß § 34 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) seien nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung nach § 31 ausgeschlossen, abgesehen von durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) in Richtlinien festgelegten Ausnahmen für solche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten und zur Anwendung bei diesen Erkrankung mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden könnten. Bei jedem Arzneimittel sei demnach eine vertragsärztliche Verordnung Voraussetzung für eine Leistungsgewährung der gesetzlichen Krankenversicherung. Beim Kläger läge auch keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung oder zumindest wertungsgemäß vergleichbare Erkrankung vor. Zur Behandlung neuropathischer Schmerzen, wie sie hier gegeben seien, würden vier systemisch verabreichte Substanzgruppen empfohlen. Vorliegend sei nicht erkennbar, ob auch andere als die genannten Medikamente bisher zur Anwendung gekommen seien in ausreichend hoher Dosierung und über ausreichend lange Zeit hinweg. Zudem sei den Unterlagen nicht zu entnehmen, ob zum Beispiel zusätzlich Antiemetika verabreicht worden seien. Inwieweit eine topische Therapie besonders betroffener Areale mit zum Beispiel Lidocain oder Capsaicin zur Anwendung gekommen seien, sei den Unterlagen ebenfalls nicht zu entnehmen. Unter der Behandlung mit Opiaten könne es zu Nebenwirkungen wie Schwindel, Müdigkeit, Übelkeit und Erbrechen kommen. Die Gefahren und Nebenwirkungen von Cannabis seien bisher nicht ausreichend untersucht worden. Es sei noch nicht abschließend geklärt, inwieweit Cannabis tatsächlich ein relativ günstiges Nebenwirkungsprofil aufweise.
Mit Widerspruchsbescheid vom 08.09.2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Behandlung neuropathischer Schmerzen würden vier systemisch verabreichte Substanzen empfohlen: Antidepressiva, Antikonvulsiva mit Wirkung am Calciumkanal, Antikonvulsiva mit Wirkung am Natriumkanal und Opoide. Zur Behandlung mit Cannabis lägen bisher keine evidenzbasierten Studien vor. Eine Heilung oder ein positiver Einfluss auf den Krankheitsverlauf sei nicht zu erwarten. Zudem seien die Gefahren und Nebenwirkungen von Cannabis bisher nicht ausreichend untersucht worden. Kürzlich seien Hinweise auf die potentielle kardiovaskuläre Toxizität der Substanz publizitiert worden. Die Voraussetzungen für einen Off-Label-Use seien somit insgesamt nicht gegeben.
Dagegen hat der Bevollmächtigte am 29.09.2014 Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Zur Klagebegründung ist vorgetragen worden, dass die Erkrankung des Klägers auf Dauer zu Einzellähmungen einzelner Gliedmaßen bis hin zur kompletten Lähmung führe. Im Zuge dieser Erkrankung habe der Kläger anhaltende und erhebliche Schmerzen der unteren Extremitäten, sowie schmerzhafte Muskelkrämpfe. Dies bestätige auch ein Arztbericht. Des Weiteren sei die über Jahrzehnte notwendige Schmerztherapie mit Opiaten laut der behandelnden Ärzte nur ein Notbehelf, die unzulänglich sei und mit weiteren zusätzlichen Beschwerden durch die hervorgerufenen Nebenwirkungen einhergehe. Es lägen die Voraussetzungen für einen Off-Label-Use vor. So leide der Kläger unter einer Erkrankung, die seine Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtige. Dies sei angesichts der starken dauerhaften Schmerzen und der zusätzlichen generalisierten Kraftminderung bei HNPP gegeben. Auch sei eine andere Therapie nicht vorhanden. Weiter sei auch mit einem Behandlungserfolg bzw. einer Besserung der Lebensqualität zu rechnen. In dem beigefügten ärztlichen Bericht vom 16.04.2014 der behandelnden Internistin Frau Dr. C. werde nämlich bestätigt, dass unter einer Cannabistherapie zu erwarten sei, dass hierdurch eine verbesserte Schmerzbehandlung erfolge, da nur eine verwendete Substanz mit überschaubaren Nebenwirkungen eingesetzt werde. Es sei ein Rückgang der Krampfneigung an der Extremitätenmuskulatur erwartbar und eine Besserung der Lebensqualität und Stabilisierung des Körpergewichts des Klägers.
Zur weiteren Sachverhaltsaufklärung hat das Gericht einen Befundbericht der behandelnden Ärztin Frau Dr. C. vom 18.12.2014 eingeholt. Die behandelnde Ärztin hat darin angegeben, dass der Kläger unter Einsatz von Opiaten behandelt worden sei. Zuletzt sei eine kontrollierte und begleitende Cannabistherapie erfolgt mit sehr gutem Ansprechen des Klägers bezüglich der Parameter: Schmerz, Muskelkrämpfe, Inappetenz und körperliches Leistungsvermögen.
Die Beklagte hat mit Schreiben vom 21.04.2015 unter Vorlage einer weiteren sozialmedizinischen Stellungnahme des MDK vom 02.04.2015 geantwortet, dass das vom Kläger begehrte Cannabis der Anlage 2 des BtMG zuzuordnen sei. Es handle sich dementsprechend um ein verkehrsfähiges aber nicht verschreibungsfähiges Betäubungsmittel. Ein nicht verschreibungsfähiges Betäubungsmittel könne nicht rezeptiert werden. Damit bestehe keine Grundlage für eine Kostenübernahme durch die Beklagte.
In der mündlichen Verhandlung vom 14.07.2015 beantrag die Bevollmächtigte des Klägers,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 04.06.2014 in Fassung des Widerspruchsbescheids zum 08.09.2014 zu verurteilen, für den Kläger die Kosten für Cannabis als Schmerztherapie zu übernehmen.
Die Bevollmächtigte der Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird im Übrigen auf die beigezogene Verwaltungsakte und Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz (SGG) frist - und formgerecht erhobene Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
Der Kläger hat gegenüber der Beklagten keinen Leistungsanspruch auf die beantragte Kostenübernahme für eine Schmerztherapie mit Medizinal Cannabisblüten.
Der Kläger kann seinen Anspruch nicht auf § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V stützen. Danach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit Arzneimittel nicht nach § 34 oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 ausgeschlossen sind. Vorliegend ist jedoch das vom Kläger begehrte Cannabis der Anlage 2 zum BtMG als verkehrs- aber nicht verschreibungsfähiges Betäubungsmittel zuzuordnen, da der Kläger dieses nicht in Form eines Fertigarzneimittels verwendet. Damit kann das beantragte Cannabis nicht verordnet werden, so dass eine Kostenübernahme durch die Beklagte gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht in Betracht kommt. Mangels der Eigenschaft als Fertigarzneimittel ist auch keine Verordnungsfähigkeit als Rezepturarzneimittel entsprechend der Anlage 3 zum BtMG gegeben, da es sich insoweit um eine Zubereitung handeln muss, die als Fertigarzneimittel zugelassen ist.
Letztendlich besteht auch kein Leistungsanspruch des Klägers im Hinblick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 - 1 BvR 347/98, der zu der gesetzlichen Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V geführt hat. Danach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungswertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, eine von Abs. 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Es muss sich insgesamt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bei der Versorgung mit Arzneimittel hierbei um eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik handeln. Von einer solchen Situation ist beim Kläger derzeit aber nicht auszugehen. Das BSG hat nämlich in seiner ständigen Rechtsprechung darauf abgestellt, dass die Erkrankung einem nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorganes oder eine herausgehobenen körperfernen Funktion vergleichbar sein müsse. Selbst bei einer hochgradigen akuten Suizidgefahr wegen des schwerwiegenden Krankheitsverlaufs bei Versicherten bewirke dies grundsätzlich nicht, dass sie Leistungen außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung beanspruchen könnten, sondern nur spezifische Behandlung etwa mit den Mitteln der Psychiatrie. Die vom Kläger glaubhaft geschilderten Beschwerden kommen aber nach Überzeugung des Gerichts nicht einem nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion gleich. Vielmehr leidet der Kläger an einem chronischen Schmerzsyndrom vergleichbar der Entscheidung des BSG vom 27.03.2007 - B 1 KR 30/06 R -. In einem solchen Fall hat das BSG aber in der genannten Entscheidung das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung verneint. Auch der MDK hat in seinem Gutachten vom 25. Juli 2014 ausgeführt, dass nach akut aufgetretener Läsion sich die sensomotorischen Ausfälle zumeist innerhalb von wenigen Tagen bis Wochen wieder vollständig zurückbilden. Dass der Kläger somit demnächst nicht mehr gehfähig ist, ist nicht zu erwarten. Insgesamt geht es daher derzeit um die Schmerzbewältigung an sich und nicht um den Erhalt eines Sinnesorgans oder um eine palliative Situation. Hinzu kommt, dass, wie bereits auch vom MDK in seinen Stellungnahmen ausgeführt worden ist, es derzeit keine evidenzbasierten Studien vorliegen, die eine Heilung oder ein positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf bestätigen oder für wahrscheinlich einschätzen. Daneben bestehen auch noch zugelassene alternative Therapiemöglichkeiten. Dass diese vom Kläger bereits vollständig ausgeschöpft worden sind, davon ist aber nicht auszugehen. So wurde von ihm insbesondere bislang keine konsequente psychosomatische bzw. nervenärztliche Schmerztherapie durchgeführt. Die Voraussetzungen für eine Therapie mit Cannabis im Wege des Off-Label-Use liegen damit nicht vor.
Die Klage war somit als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Schmerztherapie mit Medizinal Cannabisblüten der Sorte Bedrocan und Sorte Bedica als Inhalation streitig.
Der am 1983 geborene Kläger ist Mitglied der Beklagten.
Am 12.05.2014 beantragte er die Kostenübernahme für eine Schmerztherapie mit Cannabis. Hierzu legte er einen ärztlichen Bericht seiner behandelnden Internistin Dr. C. vom 16.04.2014 vor. Danach leide der Kläger an der seltenen Erkrankung einer hereditären Neigung zu Druckparesen. Diese Krankheit führe zu erheblichen Schmerzen, insbesondere in den unteren Extremitäten. Wegen der Seltenheit der Erkrankung gebe es wenig gesicherte schulmedizinische Therapieansätze. Aktuell kämen beim Kläger Buprenorphin und Pregabalin zum Einsatz. Eine Tildinmedikation habe der Kläger nicht vertragen. Von der Cannabistherapie sei eine verbesserte Schmerzbehandlung mit günstigeren Nebenwirkungen zu erwarten sowie ein Rückgang der Krampfleiden und eine Besserung der Lebensqualität.
Hierzu holte die Beklagte eine medizinische Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) vom 19.05.2014 ein. Anschließend lehnte sie mit Bescheid vom 04.06.2014 den Antrag ab. Eine Verordnung von Cannabis zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung sei nur in absoluten Ausnahmefällen möglich. Zudem habe der MDK in seiner Stellungnahme mitgeteilt, dass eine Zulassung von Cannabis bei dem beschriebenen Krankheitsbild nicht bestehe. Es läge ein Off-Label-Use vor.
Dagegen richtet sich der Widerspruch des Bevollmächtigten vom 20.06.2014. Die Voraussetzungen für eine Übernahme der Therapiekosten im Rahmen eines Off-Label-Use seien erfüllt.
Hierauf holte die Beklagte nochmals eine Stellungnahme des MDK vom 25.07.2014 ein. In dieser führte der MDK aus, dass eine ursächliche Behandlung der Erkrankung des Klägers nicht möglich sei. Bei Medizinal-Cannabisblüten (in dem Fall Bedrocan und Bedica) handle es sich gemäß Anlage 2 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) um verkehrsfähige, aber nicht verschreibungsfähige Betäubungsmittel. Ein nicht verschreibungsfähiges Mittel könne nicht rezeptiert werden. Damit entfalle die Grundlage für eine Leistung der Krankenversicherung. Gemäß § 34 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) seien nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung nach § 31 ausgeschlossen, abgesehen von durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) in Richtlinien festgelegten Ausnahmen für solche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten und zur Anwendung bei diesen Erkrankung mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden könnten. Bei jedem Arzneimittel sei demnach eine vertragsärztliche Verordnung Voraussetzung für eine Leistungsgewährung der gesetzlichen Krankenversicherung. Beim Kläger läge auch keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung oder zumindest wertungsgemäß vergleichbare Erkrankung vor. Zur Behandlung neuropathischer Schmerzen, wie sie hier gegeben seien, würden vier systemisch verabreichte Substanzgruppen empfohlen. Vorliegend sei nicht erkennbar, ob auch andere als die genannten Medikamente bisher zur Anwendung gekommen seien in ausreichend hoher Dosierung und über ausreichend lange Zeit hinweg. Zudem sei den Unterlagen nicht zu entnehmen, ob zum Beispiel zusätzlich Antiemetika verabreicht worden seien. Inwieweit eine topische Therapie besonders betroffener Areale mit zum Beispiel Lidocain oder Capsaicin zur Anwendung gekommen seien, sei den Unterlagen ebenfalls nicht zu entnehmen. Unter der Behandlung mit Opiaten könne es zu Nebenwirkungen wie Schwindel, Müdigkeit, Übelkeit und Erbrechen kommen. Die Gefahren und Nebenwirkungen von Cannabis seien bisher nicht ausreichend untersucht worden. Es sei noch nicht abschließend geklärt, inwieweit Cannabis tatsächlich ein relativ günstiges Nebenwirkungsprofil aufweise.
Mit Widerspruchsbescheid vom 08.09.2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Behandlung neuropathischer Schmerzen würden vier systemisch verabreichte Substanzen empfohlen: Antidepressiva, Antikonvulsiva mit Wirkung am Calciumkanal, Antikonvulsiva mit Wirkung am Natriumkanal und Opoide. Zur Behandlung mit Cannabis lägen bisher keine evidenzbasierten Studien vor. Eine Heilung oder ein positiver Einfluss auf den Krankheitsverlauf sei nicht zu erwarten. Zudem seien die Gefahren und Nebenwirkungen von Cannabis bisher nicht ausreichend untersucht worden. Kürzlich seien Hinweise auf die potentielle kardiovaskuläre Toxizität der Substanz publizitiert worden. Die Voraussetzungen für einen Off-Label-Use seien somit insgesamt nicht gegeben.
Dagegen hat der Bevollmächtigte am 29.09.2014 Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Zur Klagebegründung ist vorgetragen worden, dass die Erkrankung des Klägers auf Dauer zu Einzellähmungen einzelner Gliedmaßen bis hin zur kompletten Lähmung führe. Im Zuge dieser Erkrankung habe der Kläger anhaltende und erhebliche Schmerzen der unteren Extremitäten, sowie schmerzhafte Muskelkrämpfe. Dies bestätige auch ein Arztbericht. Des Weiteren sei die über Jahrzehnte notwendige Schmerztherapie mit Opiaten laut der behandelnden Ärzte nur ein Notbehelf, die unzulänglich sei und mit weiteren zusätzlichen Beschwerden durch die hervorgerufenen Nebenwirkungen einhergehe. Es lägen die Voraussetzungen für einen Off-Label-Use vor. So leide der Kläger unter einer Erkrankung, die seine Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtige. Dies sei angesichts der starken dauerhaften Schmerzen und der zusätzlichen generalisierten Kraftminderung bei HNPP gegeben. Auch sei eine andere Therapie nicht vorhanden. Weiter sei auch mit einem Behandlungserfolg bzw. einer Besserung der Lebensqualität zu rechnen. In dem beigefügten ärztlichen Bericht vom 16.04.2014 der behandelnden Internistin Frau Dr. C. werde nämlich bestätigt, dass unter einer Cannabistherapie zu erwarten sei, dass hierdurch eine verbesserte Schmerzbehandlung erfolge, da nur eine verwendete Substanz mit überschaubaren Nebenwirkungen eingesetzt werde. Es sei ein Rückgang der Krampfneigung an der Extremitätenmuskulatur erwartbar und eine Besserung der Lebensqualität und Stabilisierung des Körpergewichts des Klägers.
Zur weiteren Sachverhaltsaufklärung hat das Gericht einen Befundbericht der behandelnden Ärztin Frau Dr. C. vom 18.12.2014 eingeholt. Die behandelnde Ärztin hat darin angegeben, dass der Kläger unter Einsatz von Opiaten behandelt worden sei. Zuletzt sei eine kontrollierte und begleitende Cannabistherapie erfolgt mit sehr gutem Ansprechen des Klägers bezüglich der Parameter: Schmerz, Muskelkrämpfe, Inappetenz und körperliches Leistungsvermögen.
Die Beklagte hat mit Schreiben vom 21.04.2015 unter Vorlage einer weiteren sozialmedizinischen Stellungnahme des MDK vom 02.04.2015 geantwortet, dass das vom Kläger begehrte Cannabis der Anlage 2 des BtMG zuzuordnen sei. Es handle sich dementsprechend um ein verkehrsfähiges aber nicht verschreibungsfähiges Betäubungsmittel. Ein nicht verschreibungsfähiges Betäubungsmittel könne nicht rezeptiert werden. Damit bestehe keine Grundlage für eine Kostenübernahme durch die Beklagte.
In der mündlichen Verhandlung vom 14.07.2015 beantrag die Bevollmächtigte des Klägers,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 04.06.2014 in Fassung des Widerspruchsbescheids zum 08.09.2014 zu verurteilen, für den Kläger die Kosten für Cannabis als Schmerztherapie zu übernehmen.
Die Bevollmächtigte der Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird im Übrigen auf die beigezogene Verwaltungsakte und Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz (SGG) frist - und formgerecht erhobene Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
Der Kläger hat gegenüber der Beklagten keinen Leistungsanspruch auf die beantragte Kostenübernahme für eine Schmerztherapie mit Medizinal Cannabisblüten.
Der Kläger kann seinen Anspruch nicht auf § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V stützen. Danach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit Arzneimittel nicht nach § 34 oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 ausgeschlossen sind. Vorliegend ist jedoch das vom Kläger begehrte Cannabis der Anlage 2 zum BtMG als verkehrs- aber nicht verschreibungsfähiges Betäubungsmittel zuzuordnen, da der Kläger dieses nicht in Form eines Fertigarzneimittels verwendet. Damit kann das beantragte Cannabis nicht verordnet werden, so dass eine Kostenübernahme durch die Beklagte gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht in Betracht kommt. Mangels der Eigenschaft als Fertigarzneimittel ist auch keine Verordnungsfähigkeit als Rezepturarzneimittel entsprechend der Anlage 3 zum BtMG gegeben, da es sich insoweit um eine Zubereitung handeln muss, die als Fertigarzneimittel zugelassen ist.
Letztendlich besteht auch kein Leistungsanspruch des Klägers im Hinblick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 - 1 BvR 347/98, der zu der gesetzlichen Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V geführt hat. Danach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungswertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, eine von Abs. 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Es muss sich insgesamt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bei der Versorgung mit Arzneimittel hierbei um eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik handeln. Von einer solchen Situation ist beim Kläger derzeit aber nicht auszugehen. Das BSG hat nämlich in seiner ständigen Rechtsprechung darauf abgestellt, dass die Erkrankung einem nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorganes oder eine herausgehobenen körperfernen Funktion vergleichbar sein müsse. Selbst bei einer hochgradigen akuten Suizidgefahr wegen des schwerwiegenden Krankheitsverlaufs bei Versicherten bewirke dies grundsätzlich nicht, dass sie Leistungen außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung beanspruchen könnten, sondern nur spezifische Behandlung etwa mit den Mitteln der Psychiatrie. Die vom Kläger glaubhaft geschilderten Beschwerden kommen aber nach Überzeugung des Gerichts nicht einem nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion gleich. Vielmehr leidet der Kläger an einem chronischen Schmerzsyndrom vergleichbar der Entscheidung des BSG vom 27.03.2007 - B 1 KR 30/06 R -. In einem solchen Fall hat das BSG aber in der genannten Entscheidung das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung verneint. Auch der MDK hat in seinem Gutachten vom 25. Juli 2014 ausgeführt, dass nach akut aufgetretener Läsion sich die sensomotorischen Ausfälle zumeist innerhalb von wenigen Tagen bis Wochen wieder vollständig zurückbilden. Dass der Kläger somit demnächst nicht mehr gehfähig ist, ist nicht zu erwarten. Insgesamt geht es daher derzeit um die Schmerzbewältigung an sich und nicht um den Erhalt eines Sinnesorgans oder um eine palliative Situation. Hinzu kommt, dass, wie bereits auch vom MDK in seinen Stellungnahmen ausgeführt worden ist, es derzeit keine evidenzbasierten Studien vorliegen, die eine Heilung oder ein positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf bestätigen oder für wahrscheinlich einschätzen. Daneben bestehen auch noch zugelassene alternative Therapiemöglichkeiten. Dass diese vom Kläger bereits vollständig ausgeschöpft worden sind, davon ist aber nicht auszugehen. So wurde von ihm insbesondere bislang keine konsequente psychosomatische bzw. nervenärztliche Schmerztherapie durchgeführt. Die Voraussetzungen für eine Therapie mit Cannabis im Wege des Off-Label-Use liegen damit nicht vor.
Die Klage war somit als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Login
FSB
Saved