Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 68 U 254/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 149/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 25. August 2015 sowie der Bescheid der Beklagten vom 22. Dezember 2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 27. März 2013 geändert und festgestellt, dass die Hochtonschwerhörigkeit rechts sowie Ohrgeräusche rechts Folgen des Arbeitsunfalls vom 31. Dezember 1993 sind. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte erstattet dem Kläger die Hälfte seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Anerkennung von Arbeitsunfallfolgen.
Der 1943 geborene Kläger erlitt während seiner Beschäftigung als Postzusteller einen späterhin von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfall, als er sich bei einer Eilzustellung am 31. Dezember 1993 gegen 20.15 Uhr in B in einem Hausflur befand und dort neben seinem rechten Ohr ein Feuerwerkskörper explodierte. Er begab sich drei Tage später wegen eines Hörsturzes in ohrenärztliche Behandlung zu Dr. N, welche bei der Untersuchung am 03. Januar 1994 am rechten Ohr des Klägers audiometrisch einen Hochtonabfall feststellte. Es fanden darüber hinaus zunächst 1994 und 1995 etliche Gehörsuntersuchungen statt, welche bis zum 08. August 1995 einen fortbestehenden Hochtonabfall am rechten Ohr bestätigten. Eine Audiometrie vom 19. September 1995 erbrachte zwischenzeitlich rechts keinen Hochtonabfall mehr. Die von Januar bis Februar 1996 erhobenen Tonaudiometrien zeigten wiederum einen Hochtonabfall am rechten Ohr, bevor sich die Befunde in der Folgezeit auf beiden Seiten zusehends verschlechterten. Unterdessen litt der Kläger an diversen Hörstürzen, Ohrgeräuschen und einer zunehmenden Verschlechterung seines Gehörs auf beiden Seiten. Es wurde zudem ein Menière-Syndrom mit Drehschwindel, weitergehendem Hörverlust und Ohrgeräuschen festgestellt.
Der Kläger wandte sich im Jahr 2008 an die Beklagte und machte nunmehr Unfallfolgen geltend, woraufhin die Beklagte in medizinische Ermittlungen eintrat. Sie holte HNO-ärztliche Befunde und die beratungsärztliche Stellungnahme des HNO-Arztes Dr. de V vom 22. November 2010 ein, demzufolge ein Audiogramm vom 24. Januar 1994 den typischen Verlauf einer rechtsseitigen Lärmschädigung zeige, wohingegen aus dem Audiogramm vom 19. September 1995 ein normaler Kurvenverlauf hervorgehe, so dass sich vorliegend das Bild eines zwischenzeitlich abgeklungenen Hörverlusts nach Explosionstrauma ergebe.
Daraufhin erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 22. Dezember 2010 das Ereignis vom 22. Dezember 2010 als Arbeitsunfall an und lehnte die beim Kläger ab dem 20. September 1995 bestehenden Hörbeschwerden als Arbeitsunfallfolgen ab. Mit dem hiergegen gerichteten Widerspruch vom 25. Januar 2011 machte der Kläger geltend, dass er seit dem Arbeitsunfall an einer unveränderten Hörminderung leide, und verwies zur Untermauerung seines Vorbringens auf die bei ihm durchgeführten Untersuchungen und Behandlungen. Die Beklagte holte eine ergänzende beratungsärztliche Stellungnahme bei Dr. de V vom 24. April 2012 ein und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27. März 2013 als unbegründet zurück.
Der Kläger hat sein Begehren mit der am 18. April 2013 zum Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage weiterverfolgt und sein Vorbringen vertieft. Die Beklagte ist der Klage mit einer beratungsärztlichen Stellungnahme des HNO-Arztes Dr. B vom 30. Mai 2014 entgegen getreten. Das SG hat Befundberichte von den Kläger behandelnden Ärzten und das schriftliche Sachverständigengutachten des HNO-Arztes Dr. M vom 05. Oktober 2014 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, dass im Fall des Klägers durch eine Vielzahl audiometrischer Befunde gesichert sei, dass er beim angeschuldigten Ereignis eine Hochtonschwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen rechts davon getragen habe, welche nicht abgeklungen sei. Das Audiogramm vom 19. September 1995 beruhe auf einem Messfehler, weil sowohl unmittelbar zuvor als auch danach wieder ein Hochtonabfall festgestellt worden seien, was ansonsten medizinisch nicht zu erklären sei. Die weitergehenden Beeinträchtigungen am Gehör, d.h. Hörstürze, eine linksseitige, ab April 1996 auch rechtsseitig deutlichere Gehörsverschlechterung und das Menière-Syndrom seien unfallfremd.
Das SG hat, nachdem es die Beteiligten zum beabsichtigten Erlass eines Gerichtsbescheids angehört hatte, die Klage mit Gerichtsbescheid vom 25. August 2015 abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass ausgehend von den von Dr. M angestellten Zusammenhangserwägungen nicht ersichtlich sei, dass sich die fortschreitende beidseitige Gehörsverschlechterung noch auf den Arbeitsunfall zurückführen lasse.
Der Kläger hat gegen den ihm am 28. August 2015 zugestellten Gerichtsbescheid am 24. September 2015 Berufung eingelegt. Er vertieft sein bisheriges Vorbringen.
Er beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 25. August 2015 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. Dezember 2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 27. März 2013 abzuändern und festzustellen, dass eine doppelseitige Schwerhörigkeit, Tinnitus und Morbus Menière des Arbeitsunfalls vom 31. Dezember 1993 sind.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Der Senat hat auf Antrag des Klägers das schriftliche Sachverständigengutachten des HNO-Arztes Dr. B vom 25. Januar 2017 eingeholt. Dieser hat sich kritisch mit der Befunderhebung durch Dr. M auseinandergesetzt und ausgeführt, dass beim Kläger eine Hochtonschwerhörigkeit rechts ab 1 kHz, eine Hochtonschwerhörigkeit in Form von Hörschwellensenken bei 4 kHz und 1 kHz links, ein belastender Tinnitus rechts bei 4 kHz Unfallfolgen seien. Die übrigen Beeinträchtigungen am Gehör seien unfallfremd. Hierzu hat die Beklagte die beratungsärztliche Stellungnahme des HNO-Arztes Dr. B vom 18. März 2017 vorgelegt. Der Senat hat sodann die ergänzende Stellungnahme von Dr. M vom 10. Juni 2017 eingeholt, in welcher er bei seinen bisherigen Zusammenhangserwägungen geblieben und sich kritisch mit den Ausführungen von Dr. B auseinandergesetzt hat.
Der Senat hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 04. September 2017 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.
Wegen des weiteren Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen und inhaltlich Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Aufgrund des Beschlusses des Senats vom 04. September 2017 hat der Berichterstatter gemäß § 153 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Einzelrichter zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entschieden.
Die zulässige Berufung ist im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet und im Übrigen unbegründet. Das SG hat mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid die auf die Anerkennung von Unfallfolgen gerichtete Klage teilweise zu Unrecht abgewiesen. Denn der Kläger hat einen Anspruch auf Feststellung einer Hochtonschwerhörigkeit und von Ohrgeräuschen rechts als Folgen des am 31. Dezember 1993 erlittenen Arbeitsunfalls. Soweit die Beklagte eben dies mit ihrem Bescheid vom 22. Dezember 2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 27. März 2013 zu Unrecht ablehnt, ist der Kläger auch beschwert. Ein Anspruch auf Feststellung weitergehender Unfallfolgen hat der Kläger hingegen nicht. Insofern sind die Verwaltungsentscheidung und der angefochtene Gerichtsbescheid rechtlich nicht zu beanstanden.
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Versicherte Tätigkeit ist dabei insbesondere die Beschäftigung (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII). Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitsschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (etwa Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 02. April 2009 – B 2 U 29/07 R -, zitiert nach juris). Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt, dass die Merkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung zur Zeit des Unfalls", "Unfallereignis" sowie "Gesundheitserst- bzw. Gesundheitsfolgeschaden" im Wege des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (etwa BSG, a. a. O.). Ob der Gesundheitsschaden eines Versicherten durch einen Arbeitsunfall (wesentlich) verursacht wurde, entscheidet sich - bei Vorliegen einer Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne - danach, ob das Unfallereignis selbst - und nicht eine andere, unfallunabhängige Ursache - die wesentliche Bedingung für den Eintritt des Gesundheitsschadens war (BSG, Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, zitiert nach juris).
Hieran gemessen bestehen keine Zweifel am Vorliegen eines Arbeitsunfalls einschließlich der oben angesprochenen haftungsbegründenden Kausalität. Der Kläger zog sich am 31. Dezember 1993 bei Ausübung seiner versicherten Beschäftigung durch die Explosion eines Feuerwerkskörpers eine Schädigung seines Gehörs zu, nämlich ein akutes akustisches Trauma. Dies stellt die Beklagte auch nicht in Abrede, sondern geht eben hiervon bei der von ihr mit dem Bescheid vom 22. Dezember 2010 vorgenommenen Anerkennung des Arbeitsunfalls der Sache nach aus.
Es besteht auch eine haftungsausfüllende Kausalität zwischen dem Unfall bzw. dem hierbei erlittenen Gesundheitserstschaden und beim Kläger verbliebenen Unfallfolgen, und zwar in Form einer anhaltenden Hochtonschwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen rechts. Der Gesetzgeber bringt mit der wiederholten Formulierung "infolge" – vgl. §§ 45 Abs. 1 Nr. 1, 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII - das Erfordernis eines Zusammenhangs zum Ausdruck. Es muss eine kausale Verknüpfung des Versicherungsfalls bzw. seiner Folgen mit der betrieblichen Sphäre bestehen, mithin eine rechtliche Zurechnung für besonders bezeichnete Risiken der Arbeitswelt beziehungsweise gleichgestellter Tätigkeiten, für deren Entschädigung die gesetzliche Unfallversicherung als spezieller Zweig der Sozialversicherung einzustehen hat, und zwar nicht nur im Sinne einer Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, sondern auch im Sinne der Zurechnung des eingetretenen Erfolges zum Schutzbereich der unfallversicherungsrechtlichen Norm als eines rechtlich wesentlichen Kausalzusammenhangs (Zurechnungslehre der wesentlichen Bedingung, ständige Rechtsprechung, etwa Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, zitiert nach juris Rn. 13 ff.). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (etwa BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R –, zitiert nach juris Rn. 15). Ein Zusammenhang ist hinreichend wahrscheinlich, wenn nach herrschender ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht und ernste Zweifel an einer anderen Ursache ausscheiden (vgl. BSG a.a.O., auch Rn. 18 und 20). Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache hat die Rechtsprechung folgende Grundsätze herausgearbeitet: Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob der Versicherungsfall wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben). Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden (vgl. BSG, Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, zitiert nach juris Rn. 15). Wenn auch die Theorie der wesentlichen Bedingung im Unterschied zu der an der generellen Geeignetheit einer Ursache orientierten Adäquanztheorie auf den Einzelfall abstellt, bedeutet dies nicht, dass generelle oder allgemeine Erkenntnisse über den Ursachenzusammenhang bei der Theorie der wesentlichen Bedingung nicht zu berücksichtigen oder bei ihr entbehrlich wären. Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Das schließt eine Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen. Maßgebend ist, dass die Beurteilung medizinischer Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge auf dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand aufbauen muss (BSG, a.a.O., Rn. 17). Dies erfordert nicht, dass es zu jedem Ursachenzusammenhang statistisch-epidemiologische Forschungen geben muss, weil dies nur eine Methode zur Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse ist und sie im Übrigen nicht auf alle denkbaren Ursachenzusammenhänge angewandt werden kann und braucht. Gibt es keinen aktuellen allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu einer bestimmten Fragestellung, kann in Abwägung der verschiedenen Auffassungen einer nicht nur vereinzelt vertretenen Auffassung gefolgt werden (BSG, a.a.O., Rn. 18). Dieser wissenschaftliche Erkenntnisstand ist jedoch kein eigener Prüfungspunkt bei der Prüfung des Ursachenzusammenhangs, sondern nur die wissenschaftliche Grundlage, auf der die geltend gemachten Gesundheitsstörungen des konkreten Versicherten zu bewerten sind. Bei dieser einzelfallbezogenen Bewertung kann nur auf das individuelle Ausmaß der Beeinträchtigung des Versicherten abgestellt werden, aber nicht so wie er es subjektiv bewertet, sondern wie es objektiv ist. Die Ursachenbeurteilung im Einzelfall hat "anhand" des konkreten individuellen Versicherten unter Berücksichtigung seiner Krankheiten und Vorschäden zu erfolgen, aber auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes (BSG, a.a.O., Rn. 19). Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung ggf. aus einem oder mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang zwischen dem Versicherungsfall und den Krankheitsfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 20).
Hiervon ausgehend ist der Senat im nach § 128 Abs. 1 S. 1 SGG erforderlichen Maße davon überzeugt, dass so, wie vom Sachverständigen Dr. M in seinem fürs SG erstatteten schriftlichen Sachverständigengutachten vom 05. Oktober 2014 festgestellt, eine Hochtonschwerhörigkeit rechts und Ohrgeräusche rechts mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Folgen des unstreitigen Arbeitsunfalls vom 31. Dezember 1993 sind. Es liegen mithin klassische Folgen eines Knalltraumas vor (vgl. Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, Kap. 7.3.2.1, S. 340; Feldmann/ Brusis, Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohren-Arztes, 7. Aufl. 2012, Kap. 8.10.2, S. 298 f.). Dies hat der Sachverständige mithin überzeugend dargelegt. Dr. M hat zur Begründung seiner Zusammenhangserwägungen zudem anhand der durch etliche Audiometrien gesicherten Brückensymptomatik (vgl. auch hier Schönberger et al., a.a.O., Kap. 7.3.2.1.2, S. 341; Feldmann et al., a.a.O., S. 216) völlig plausibel ausgeführt, dass im Fall des Klägers gesichert ist, dass die beim angeschuldigten Ereignis eingetretene Hochtonschwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen rechts auch nicht abklang. Dr. M sieht eben dies nachvollziehbar gerade auch durch das Audiogramm vom 19. September 1995 nicht als widerlegt an, indem er ausführt, dass es offenkundig auf einem Messfehler beruht. Hierfür verweist er überzeugend darauf, dass die unmittelbar zuvor als auch danach wieder durchgeführten Messungen einen Hochtonabfall ergaben, was medizinisch nicht zu erklären wäre, wenn es zwischenzeitlich zu einer völligen Wiederherstellung des rechtsseitigen Hörvermögens gekommen wäre (vgl. hierzu auch Feldmann u.a., a.a.O., S. 214, wonach eine anfänglich erhebliche Schwerhörigkeit die Tendenz zur Besserung hat, die allerdings nach einigen Tagen bis Wochen abgeschlossen ist, sodass danach zumeist ein stationärer Zustand erreicht wird). Im Kern bestätigt werden diese Zusammenhangserwägungen auch durch das im Berufungsverfahren auf Antrag des Klägers eingeholte schriftliche Sachverständigengutachten von Dr. B vom 25. Januar 2017, soweit dieser ebenfalls eine anhaltende rechtsseitige Hochtonschwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen als Unfallfolge ausmacht. Soweit Dr. B darüber hinaus nun auch eine Hochtonschwerhörigkeit links als Unfallfolge identifiziert, ist dem nicht zu folgen. Insoweit fehlt es an anknüpfungsfähigen objektiven Brückenbefunden unmittelbar in der Zeit unmittelbar nach dem Unfall. Eine zunehmende linksseitige Gehörverschlechterung kann ohne Nachweis einer schweren primären Schädigung – hier anders als beim rechten Ohr – nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Unfall zurückgeführt werden (vgl. Schönberger et al., Kap. 7.3.2.1.2, S. 341, Abs. 1; Feldmann et al., a.a.O., S. 216). Die weitergehenden Beeinträchtigungen am Gehör, d.h. Hörstürze, eine linksseitige und eine deutliche rechtsseitige Gehörsverschlechterung ab April 1996 sowie das Menière-Syndrom erscheinen dem Senat nach den auch insoweit schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen Dr. M in der Tat als unfallfremd; hier lässt sich auch nicht mit nur hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Zusammenhang plausibel machen, wofür der Sachverständige plausibel auf die insofern fehlende Brückensymptomatik mit einer – anders als hier - kontinuierlichen Progredienz verweist (vgl. Feldmann et al., a.a.O., s. 216). Insbesondere wird eine Menière-Krankheit allenfalls als zeitlich unmittelbar nach einem stumpfen Schädeltrauma eingetretene Unfallfolge diskutiert (vgl. Schönberger et al., a.a.O., Kap. 7.2.3.8, S. 334).
Soweit die beiden Sachverständigen bei der MdE-Bewertung zu unterschiedlichen Einschätzungen gelangen, betrifft dies nicht den Verfahrensgegenstand. Dieser besteht hier allein in der Feststellung von Unfallfolgen. Nur hierüber traf die Beklagte mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid eine rechtsbehelfsfähige, d.h. gemäß § 31 S. 1 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X) verwaltungsaktsmäßige Entscheidung. Demgegenüber handelt es sich beim pauschalen Ausschluss von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung gerade nicht um die anfechtbare Ablehnung einer Verletztenrente als konkreter Entschädigungsleistung, sondern um eine nicht rechtsbehelfsfähige Leerformel. Dementsprechend ist mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid auch nur eine im Berufungsverfahren gemäß § 157 SGG überprüfbare Entscheidung bzgl. der zwischen den Beteiligten streitigen Unfallfolgen und gerade nicht bzgl. der Gewährung einer Verletztenrente ergangen, für welche erst die MdE-Einschätzung der Sachverständigen hätte Bedeutung erlangen können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs. 2 SGG vorliegt.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Anerkennung von Arbeitsunfallfolgen.
Der 1943 geborene Kläger erlitt während seiner Beschäftigung als Postzusteller einen späterhin von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfall, als er sich bei einer Eilzustellung am 31. Dezember 1993 gegen 20.15 Uhr in B in einem Hausflur befand und dort neben seinem rechten Ohr ein Feuerwerkskörper explodierte. Er begab sich drei Tage später wegen eines Hörsturzes in ohrenärztliche Behandlung zu Dr. N, welche bei der Untersuchung am 03. Januar 1994 am rechten Ohr des Klägers audiometrisch einen Hochtonabfall feststellte. Es fanden darüber hinaus zunächst 1994 und 1995 etliche Gehörsuntersuchungen statt, welche bis zum 08. August 1995 einen fortbestehenden Hochtonabfall am rechten Ohr bestätigten. Eine Audiometrie vom 19. September 1995 erbrachte zwischenzeitlich rechts keinen Hochtonabfall mehr. Die von Januar bis Februar 1996 erhobenen Tonaudiometrien zeigten wiederum einen Hochtonabfall am rechten Ohr, bevor sich die Befunde in der Folgezeit auf beiden Seiten zusehends verschlechterten. Unterdessen litt der Kläger an diversen Hörstürzen, Ohrgeräuschen und einer zunehmenden Verschlechterung seines Gehörs auf beiden Seiten. Es wurde zudem ein Menière-Syndrom mit Drehschwindel, weitergehendem Hörverlust und Ohrgeräuschen festgestellt.
Der Kläger wandte sich im Jahr 2008 an die Beklagte und machte nunmehr Unfallfolgen geltend, woraufhin die Beklagte in medizinische Ermittlungen eintrat. Sie holte HNO-ärztliche Befunde und die beratungsärztliche Stellungnahme des HNO-Arztes Dr. de V vom 22. November 2010 ein, demzufolge ein Audiogramm vom 24. Januar 1994 den typischen Verlauf einer rechtsseitigen Lärmschädigung zeige, wohingegen aus dem Audiogramm vom 19. September 1995 ein normaler Kurvenverlauf hervorgehe, so dass sich vorliegend das Bild eines zwischenzeitlich abgeklungenen Hörverlusts nach Explosionstrauma ergebe.
Daraufhin erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 22. Dezember 2010 das Ereignis vom 22. Dezember 2010 als Arbeitsunfall an und lehnte die beim Kläger ab dem 20. September 1995 bestehenden Hörbeschwerden als Arbeitsunfallfolgen ab. Mit dem hiergegen gerichteten Widerspruch vom 25. Januar 2011 machte der Kläger geltend, dass er seit dem Arbeitsunfall an einer unveränderten Hörminderung leide, und verwies zur Untermauerung seines Vorbringens auf die bei ihm durchgeführten Untersuchungen und Behandlungen. Die Beklagte holte eine ergänzende beratungsärztliche Stellungnahme bei Dr. de V vom 24. April 2012 ein und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27. März 2013 als unbegründet zurück.
Der Kläger hat sein Begehren mit der am 18. April 2013 zum Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage weiterverfolgt und sein Vorbringen vertieft. Die Beklagte ist der Klage mit einer beratungsärztlichen Stellungnahme des HNO-Arztes Dr. B vom 30. Mai 2014 entgegen getreten. Das SG hat Befundberichte von den Kläger behandelnden Ärzten und das schriftliche Sachverständigengutachten des HNO-Arztes Dr. M vom 05. Oktober 2014 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, dass im Fall des Klägers durch eine Vielzahl audiometrischer Befunde gesichert sei, dass er beim angeschuldigten Ereignis eine Hochtonschwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen rechts davon getragen habe, welche nicht abgeklungen sei. Das Audiogramm vom 19. September 1995 beruhe auf einem Messfehler, weil sowohl unmittelbar zuvor als auch danach wieder ein Hochtonabfall festgestellt worden seien, was ansonsten medizinisch nicht zu erklären sei. Die weitergehenden Beeinträchtigungen am Gehör, d.h. Hörstürze, eine linksseitige, ab April 1996 auch rechtsseitig deutlichere Gehörsverschlechterung und das Menière-Syndrom seien unfallfremd.
Das SG hat, nachdem es die Beteiligten zum beabsichtigten Erlass eines Gerichtsbescheids angehört hatte, die Klage mit Gerichtsbescheid vom 25. August 2015 abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass ausgehend von den von Dr. M angestellten Zusammenhangserwägungen nicht ersichtlich sei, dass sich die fortschreitende beidseitige Gehörsverschlechterung noch auf den Arbeitsunfall zurückführen lasse.
Der Kläger hat gegen den ihm am 28. August 2015 zugestellten Gerichtsbescheid am 24. September 2015 Berufung eingelegt. Er vertieft sein bisheriges Vorbringen.
Er beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 25. August 2015 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. Dezember 2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 27. März 2013 abzuändern und festzustellen, dass eine doppelseitige Schwerhörigkeit, Tinnitus und Morbus Menière des Arbeitsunfalls vom 31. Dezember 1993 sind.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Der Senat hat auf Antrag des Klägers das schriftliche Sachverständigengutachten des HNO-Arztes Dr. B vom 25. Januar 2017 eingeholt. Dieser hat sich kritisch mit der Befunderhebung durch Dr. M auseinandergesetzt und ausgeführt, dass beim Kläger eine Hochtonschwerhörigkeit rechts ab 1 kHz, eine Hochtonschwerhörigkeit in Form von Hörschwellensenken bei 4 kHz und 1 kHz links, ein belastender Tinnitus rechts bei 4 kHz Unfallfolgen seien. Die übrigen Beeinträchtigungen am Gehör seien unfallfremd. Hierzu hat die Beklagte die beratungsärztliche Stellungnahme des HNO-Arztes Dr. B vom 18. März 2017 vorgelegt. Der Senat hat sodann die ergänzende Stellungnahme von Dr. M vom 10. Juni 2017 eingeholt, in welcher er bei seinen bisherigen Zusammenhangserwägungen geblieben und sich kritisch mit den Ausführungen von Dr. B auseinandergesetzt hat.
Der Senat hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 04. September 2017 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.
Wegen des weiteren Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen und inhaltlich Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Aufgrund des Beschlusses des Senats vom 04. September 2017 hat der Berichterstatter gemäß § 153 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Einzelrichter zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entschieden.
Die zulässige Berufung ist im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet und im Übrigen unbegründet. Das SG hat mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid die auf die Anerkennung von Unfallfolgen gerichtete Klage teilweise zu Unrecht abgewiesen. Denn der Kläger hat einen Anspruch auf Feststellung einer Hochtonschwerhörigkeit und von Ohrgeräuschen rechts als Folgen des am 31. Dezember 1993 erlittenen Arbeitsunfalls. Soweit die Beklagte eben dies mit ihrem Bescheid vom 22. Dezember 2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 27. März 2013 zu Unrecht ablehnt, ist der Kläger auch beschwert. Ein Anspruch auf Feststellung weitergehender Unfallfolgen hat der Kläger hingegen nicht. Insofern sind die Verwaltungsentscheidung und der angefochtene Gerichtsbescheid rechtlich nicht zu beanstanden.
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Versicherte Tätigkeit ist dabei insbesondere die Beschäftigung (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII). Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitsschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (etwa Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 02. April 2009 – B 2 U 29/07 R -, zitiert nach juris). Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt, dass die Merkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung zur Zeit des Unfalls", "Unfallereignis" sowie "Gesundheitserst- bzw. Gesundheitsfolgeschaden" im Wege des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (etwa BSG, a. a. O.). Ob der Gesundheitsschaden eines Versicherten durch einen Arbeitsunfall (wesentlich) verursacht wurde, entscheidet sich - bei Vorliegen einer Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne - danach, ob das Unfallereignis selbst - und nicht eine andere, unfallunabhängige Ursache - die wesentliche Bedingung für den Eintritt des Gesundheitsschadens war (BSG, Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, zitiert nach juris).
Hieran gemessen bestehen keine Zweifel am Vorliegen eines Arbeitsunfalls einschließlich der oben angesprochenen haftungsbegründenden Kausalität. Der Kläger zog sich am 31. Dezember 1993 bei Ausübung seiner versicherten Beschäftigung durch die Explosion eines Feuerwerkskörpers eine Schädigung seines Gehörs zu, nämlich ein akutes akustisches Trauma. Dies stellt die Beklagte auch nicht in Abrede, sondern geht eben hiervon bei der von ihr mit dem Bescheid vom 22. Dezember 2010 vorgenommenen Anerkennung des Arbeitsunfalls der Sache nach aus.
Es besteht auch eine haftungsausfüllende Kausalität zwischen dem Unfall bzw. dem hierbei erlittenen Gesundheitserstschaden und beim Kläger verbliebenen Unfallfolgen, und zwar in Form einer anhaltenden Hochtonschwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen rechts. Der Gesetzgeber bringt mit der wiederholten Formulierung "infolge" – vgl. §§ 45 Abs. 1 Nr. 1, 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII - das Erfordernis eines Zusammenhangs zum Ausdruck. Es muss eine kausale Verknüpfung des Versicherungsfalls bzw. seiner Folgen mit der betrieblichen Sphäre bestehen, mithin eine rechtliche Zurechnung für besonders bezeichnete Risiken der Arbeitswelt beziehungsweise gleichgestellter Tätigkeiten, für deren Entschädigung die gesetzliche Unfallversicherung als spezieller Zweig der Sozialversicherung einzustehen hat, und zwar nicht nur im Sinne einer Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, sondern auch im Sinne der Zurechnung des eingetretenen Erfolges zum Schutzbereich der unfallversicherungsrechtlichen Norm als eines rechtlich wesentlichen Kausalzusammenhangs (Zurechnungslehre der wesentlichen Bedingung, ständige Rechtsprechung, etwa Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, zitiert nach juris Rn. 13 ff.). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (etwa BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R –, zitiert nach juris Rn. 15). Ein Zusammenhang ist hinreichend wahrscheinlich, wenn nach herrschender ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht und ernste Zweifel an einer anderen Ursache ausscheiden (vgl. BSG a.a.O., auch Rn. 18 und 20). Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache hat die Rechtsprechung folgende Grundsätze herausgearbeitet: Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob der Versicherungsfall wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben). Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden (vgl. BSG, Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, zitiert nach juris Rn. 15). Wenn auch die Theorie der wesentlichen Bedingung im Unterschied zu der an der generellen Geeignetheit einer Ursache orientierten Adäquanztheorie auf den Einzelfall abstellt, bedeutet dies nicht, dass generelle oder allgemeine Erkenntnisse über den Ursachenzusammenhang bei der Theorie der wesentlichen Bedingung nicht zu berücksichtigen oder bei ihr entbehrlich wären. Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Das schließt eine Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen. Maßgebend ist, dass die Beurteilung medizinischer Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge auf dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand aufbauen muss (BSG, a.a.O., Rn. 17). Dies erfordert nicht, dass es zu jedem Ursachenzusammenhang statistisch-epidemiologische Forschungen geben muss, weil dies nur eine Methode zur Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse ist und sie im Übrigen nicht auf alle denkbaren Ursachenzusammenhänge angewandt werden kann und braucht. Gibt es keinen aktuellen allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu einer bestimmten Fragestellung, kann in Abwägung der verschiedenen Auffassungen einer nicht nur vereinzelt vertretenen Auffassung gefolgt werden (BSG, a.a.O., Rn. 18). Dieser wissenschaftliche Erkenntnisstand ist jedoch kein eigener Prüfungspunkt bei der Prüfung des Ursachenzusammenhangs, sondern nur die wissenschaftliche Grundlage, auf der die geltend gemachten Gesundheitsstörungen des konkreten Versicherten zu bewerten sind. Bei dieser einzelfallbezogenen Bewertung kann nur auf das individuelle Ausmaß der Beeinträchtigung des Versicherten abgestellt werden, aber nicht so wie er es subjektiv bewertet, sondern wie es objektiv ist. Die Ursachenbeurteilung im Einzelfall hat "anhand" des konkreten individuellen Versicherten unter Berücksichtigung seiner Krankheiten und Vorschäden zu erfolgen, aber auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes (BSG, a.a.O., Rn. 19). Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung ggf. aus einem oder mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang zwischen dem Versicherungsfall und den Krankheitsfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 20).
Hiervon ausgehend ist der Senat im nach § 128 Abs. 1 S. 1 SGG erforderlichen Maße davon überzeugt, dass so, wie vom Sachverständigen Dr. M in seinem fürs SG erstatteten schriftlichen Sachverständigengutachten vom 05. Oktober 2014 festgestellt, eine Hochtonschwerhörigkeit rechts und Ohrgeräusche rechts mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Folgen des unstreitigen Arbeitsunfalls vom 31. Dezember 1993 sind. Es liegen mithin klassische Folgen eines Knalltraumas vor (vgl. Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, Kap. 7.3.2.1, S. 340; Feldmann/ Brusis, Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohren-Arztes, 7. Aufl. 2012, Kap. 8.10.2, S. 298 f.). Dies hat der Sachverständige mithin überzeugend dargelegt. Dr. M hat zur Begründung seiner Zusammenhangserwägungen zudem anhand der durch etliche Audiometrien gesicherten Brückensymptomatik (vgl. auch hier Schönberger et al., a.a.O., Kap. 7.3.2.1.2, S. 341; Feldmann et al., a.a.O., S. 216) völlig plausibel ausgeführt, dass im Fall des Klägers gesichert ist, dass die beim angeschuldigten Ereignis eingetretene Hochtonschwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen rechts auch nicht abklang. Dr. M sieht eben dies nachvollziehbar gerade auch durch das Audiogramm vom 19. September 1995 nicht als widerlegt an, indem er ausführt, dass es offenkundig auf einem Messfehler beruht. Hierfür verweist er überzeugend darauf, dass die unmittelbar zuvor als auch danach wieder durchgeführten Messungen einen Hochtonabfall ergaben, was medizinisch nicht zu erklären wäre, wenn es zwischenzeitlich zu einer völligen Wiederherstellung des rechtsseitigen Hörvermögens gekommen wäre (vgl. hierzu auch Feldmann u.a., a.a.O., S. 214, wonach eine anfänglich erhebliche Schwerhörigkeit die Tendenz zur Besserung hat, die allerdings nach einigen Tagen bis Wochen abgeschlossen ist, sodass danach zumeist ein stationärer Zustand erreicht wird). Im Kern bestätigt werden diese Zusammenhangserwägungen auch durch das im Berufungsverfahren auf Antrag des Klägers eingeholte schriftliche Sachverständigengutachten von Dr. B vom 25. Januar 2017, soweit dieser ebenfalls eine anhaltende rechtsseitige Hochtonschwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen als Unfallfolge ausmacht. Soweit Dr. B darüber hinaus nun auch eine Hochtonschwerhörigkeit links als Unfallfolge identifiziert, ist dem nicht zu folgen. Insoweit fehlt es an anknüpfungsfähigen objektiven Brückenbefunden unmittelbar in der Zeit unmittelbar nach dem Unfall. Eine zunehmende linksseitige Gehörverschlechterung kann ohne Nachweis einer schweren primären Schädigung – hier anders als beim rechten Ohr – nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Unfall zurückgeführt werden (vgl. Schönberger et al., Kap. 7.3.2.1.2, S. 341, Abs. 1; Feldmann et al., a.a.O., S. 216). Die weitergehenden Beeinträchtigungen am Gehör, d.h. Hörstürze, eine linksseitige und eine deutliche rechtsseitige Gehörsverschlechterung ab April 1996 sowie das Menière-Syndrom erscheinen dem Senat nach den auch insoweit schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen Dr. M in der Tat als unfallfremd; hier lässt sich auch nicht mit nur hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Zusammenhang plausibel machen, wofür der Sachverständige plausibel auf die insofern fehlende Brückensymptomatik mit einer – anders als hier - kontinuierlichen Progredienz verweist (vgl. Feldmann et al., a.a.O., s. 216). Insbesondere wird eine Menière-Krankheit allenfalls als zeitlich unmittelbar nach einem stumpfen Schädeltrauma eingetretene Unfallfolge diskutiert (vgl. Schönberger et al., a.a.O., Kap. 7.2.3.8, S. 334).
Soweit die beiden Sachverständigen bei der MdE-Bewertung zu unterschiedlichen Einschätzungen gelangen, betrifft dies nicht den Verfahrensgegenstand. Dieser besteht hier allein in der Feststellung von Unfallfolgen. Nur hierüber traf die Beklagte mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid eine rechtsbehelfsfähige, d.h. gemäß § 31 S. 1 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X) verwaltungsaktsmäßige Entscheidung. Demgegenüber handelt es sich beim pauschalen Ausschluss von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung gerade nicht um die anfechtbare Ablehnung einer Verletztenrente als konkreter Entschädigungsleistung, sondern um eine nicht rechtsbehelfsfähige Leerformel. Dementsprechend ist mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid auch nur eine im Berufungsverfahren gemäß § 157 SGG überprüfbare Entscheidung bzgl. der zwischen den Beteiligten streitigen Unfallfolgen und gerade nicht bzgl. der Gewährung einer Verletztenrente ergangen, für welche erst die MdE-Einschätzung der Sachverständigen hätte Bedeutung erlangen können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs. 2 SGG vorliegt.
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