Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
32
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 175 AS 10791/16
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 32 AS 2516/17 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 1. Dezember 2017 wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 24. Dezember 2015 bis 23. März 2016.
Mit Bescheid vom 5. Juli 2016 lehnte der Beklagte den Antrag vom 12. Juni 2016 auf Überprüfung der Bescheide vom 5. Februar 2016 und 31. Mai 2016 ab: Diese Bescheide seien nicht zu beanstanden. Es sei bei dessen Erlass das Recht richtig angewandt sowie von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen worden.
Dagegen hat die Klägerin am 26. Juli 2016 Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben und begehrt, den Beklagten zu verurteilen, Leistungen zum Lebensunterhalt und Kosten für Unterkunft und Heizung für den Zeitraum vom 24. Dezember 2015 bis 23. März 2016 zu gewähren.
Der Beklagte hat entgegen entsprechenden Hinweisen des Sozialgerichts die Klage für unzulässig gehalten, da kein Vorverfahren durchgeführt worden sei und die Klägerin gegen den Bescheid vom 5. Juli 2016 auch keinen Widerspruch eingelegt habe. Die Klage könne auch nicht als Widerspruch gedeutet werden.
Mit Beschluss vom 1. Dezember 2017 hat das Sozialgericht das Verfahren ausgesetzt: In der Klageerhebung liege gleichzeitig die Einlegung des Widerspruchs. Der Beklagte habe den Widerspruch zu bescheiden. Während des nachzuholenden Vorverfahrens sei das Verfahren analog § 114 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auszusetzen (Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, § 78 Rdnrn. 3a und 3b).
Gegen den ihm am 7. Dezember 2017 zugestellten Beschluss richtet sich die am 8. Dezember 2017 eingelegte Beschwerde des Beklagten.
Er meint, die Aussetzung des Verfahrens sei zu Unrecht erfolgt. Sie setze zur Nachholung des Widerspruchsverfahrens die Antragstellung eines Beteiligten sowie eine Ermessensentscheidung des Gerichtes voraus. Es fehle an beidem. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des sonstigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte, die bei der Entscheidung vorgelegen hat, verwiesen. Die Verwaltungsakten des Beklagten (Behelfsakten Band I und II, ) sind beigezogen.
II.
Die nach § 172 SGG zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat das Verfahren zu Recht ausgesetzt. Des Antrages eines Beteiligten hat es nicht bedurft. Die Entscheidung ist zutreffend nicht als Ermessensentscheidung ergangen.
Nach § 78 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 SGG sind vor Erhebung der Anfechtungsklage und der Verpflichtungsklage Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes in einem Vorverfahren nachzuprüfen.
Die Durchführung des Vorverfahrens mit abschließender Entscheidung ist eine von Amts wegen zu prüfende Sachurteilsvoraussetzung (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 12. Auflage, § 78 Rdnr. 2). Fehlt es an einer Sachurteilsvoraussetzung ist das Gericht gehindert, eine inhaltliche Entscheidung zum Begehren zu treffen, also ein Sachurteil zu erlassen. Vielmehr ist eine solche Klage grundsätzlich als unzulässig zu verwerfen (Meyer-Ladewig a.a.O., vor § 51 Rdnr. 13).
Die Abweisung einer Klage als unzulässig kommt allerdings beim Fehlen eines Vorverfahrens nicht in Betracht. Vielmehr muss das Gericht dem Kläger die Möglichkeit geben, das Vorverfahren nachzuholen (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 78 Rdnr. 3 und 3 a). Das Gericht darf daher in einem solchen Verfahrensstand nicht nur kein Sachurteil, sondern überhaupt kein Urteil erlassen. Dies bedeutet den faktischen Stillstand des gerichtlichen Verfahrens. Einen solchen faktischen Stillstand kennt allerdings das Sozialgerichtsgesetz ebenso wie die anderen gerichtlichen Verfahrensordnungen nicht. Kommt das gerichtliche Verfahren aufgrund eines tatsächlichen Umstandes zum Stillstand, so ordnet das Gesetz unmittelbar die Unterbrechung des Verfahrens (§ 202 Satz 1 SGG i. V. m. § 239 Abs. 1, § 240 bis § 245 ZPO), also insbesondere in denjenigen Fällen an, in denen das Gericht entweder objektiv gehindert ist, zu einem Urteil zu gelangen, oder ein erheblicher Grund, der dem Fortgang des gerichtlichen Verfahrens entgegensteht, vorliegt. Wenn eine weitere Fortführung des Verfahrens nicht als zweckmäßig erscheint, sieht das Gesetz die Aussetzung des Verfahrens (§ 202 Satz 1 SGG i. V. m. § 246, § 247 ZPO, § 114 SGG) oder, wenn die Beteiligten selbst ein Urteil (noch) nicht für zweckdienlich erachten, das Ruhen des Verfahrens (§ 202 Satz 1 SGG i. V. m. § 251 ZPO) vor. Soll das Verfahren aus Zweckmäßigkeitsgründen, also in den Fällen der Aussetzung und des Ruhens, nicht fortgeführt werden, bedarf es grundsätzlich einer (ausdrücklichen) Entscheidung des Gerichtes dazu, die eine Ermessensentscheidung darstellt, wie das Wort "kann" (§ 247 ZPO, § 114 SGG; anders § 246 ZPO) ausdrückt, und teilweise darüber hinaus des Antrages eines Beteiligten (§ 246, § 247 ZPO, § 114 Abs. 2 Satz 2 SGG) oder gar übereinstimmender Anträge aller Beteiligten (§ 251 ZPO). Dies zeigt, dass ein faktischer Stillstand des gerichtlichen Verfahrens dergestalt, dass das Gericht keine Verfahrenshandlungen vornimmt (bzw. vornehmen kann) und keine Entscheidung, also auch keine Zwischenentscheidung wie in den genannten Fällen einer Aussetzung oder eines Ruhens, erlässt (bzw. erlassen kann), vom Gesetz nicht vorgesehen ist.
Der Sachverhalt, dass wegen eines noch durchzuführenden Vorverfahrens das Gericht gehindert ist, ein Urteil zu erlassen, ist den Sachverhalten vergleichbar, in denen bereits das Gesetz unmittelbar die Unterbrechung des Verfahrens anordnet. In beiden Fällen kann bzw. darf ein Urteil nicht ergehen. Fehlt es am Vorverfahren, tritt allerdings, denn es mangelt an einer entsprechenden Vorschrift, eine Unterbrechung kraft Gesetzes nicht ein. Da jedoch das Gesetz einen faktischen Stillstand des gerichtlichen Verfahrens nicht kennt, bedarf es zur Schließung dieser Gesetzeslücke eines Rückgriffes auf solche Regelungen, nach denen das Verfahren durch eine Entscheidung des Gerichtes unterbrochen wird. Lediglich im Hinblick darauf und nicht etwa im Hinblick auf Zweckmäßigkeitserwägungen bietet sich die entsprechende Anwendung des § 114 SGG, also die Aussetzung des Verfahrens, an. Keiner der in § 114 SGG geregelten Sachverhalte ist inhaltlich-sachlich mit dem Fehlen eines Vorverfahrens vergleichbar, denn in allen Fällen des § 114 SGG ist das Gericht nicht gehindert, ein Urteil zu erlassen; lediglich der Erlass eines solchen Urteils im gegenwärtigen Verfahrensstand erscheint nicht zweckmäßig. Demgegenüber gebieten bei Fehlen eines Vorverfahrens nicht Gründe der Zweckmäßigkeit, sondern das Verbot, ein Urteil zu erlassen, eine Aussetzung. Die analoge Anwendung des § 114 SGG erfolgt somit nicht wegen eines dort geregelten (vergleichbaren) Sachverhalts, sondern wegen der dort vorgesehenen Befugnis des Gerichts zur Aussetzung und bezieht sich daher auf die Vorschrift insgesamt. Soweit das Bundessozialgericht (BSG) im Beschluss vom 1. Juli 2014 – B 1 KR 99/13 B (Rdnr. 12, zitiert nach juris, m. w. N.) ausdrücklich auf "§ 114 Abs. 2 SGG" (und nicht etwa auf § 114 Abs. 2 Satz 2 SGG) Bezug nimmt, folgt daraus nichts anderes, denn auch nach diesem Beschluss "hat das LSG das gerichtliche Verfahren auszusetzen" (vgl. auch Meyer-Ladewig, a.a.O., § 114, Rdnr. 5). Dies verdeutlicht, dass nicht Zweckmäßigkeitserwägungen, sondern die (auch) dort geregelte Befugnis des Gerichts zur Aussetzung die analoge Anwendung des § 114 SGG begründet.
Dies wird sowohl vom Beklagten als auch in dem von ihm genannten Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28. September 2017 – L 20 KR 536/17 B, die § 114 Abs. 2 Satz 2 SGG, wonach auf Antrag das Gericht die Verhandlung zur Heilung von Verfahrens- und Formfehlern aussetzen kann, soweit dies im Sinne der Verfahrenskonzentration sachdienlich ist, analog anwenden wollen, nicht hinreichend berücksichtigt. Entgegen der Ansicht des Bayerischen Landessozialgerichts (Rdnr. 15) beruht die Formulierung "hat" im Beschluss des BSG vom 1. Juli 2014 – B 1 KR 99/13 B ersichtlich nicht auf einer Formulierungsungenauigkeit. Es ist (daher) keine Ermessensentscheidung zu treffen und (auch) nicht darüber zu befinden, ob eine Aussetzung zweckmäßig ist oder ob ein einfaches Abwarten angezeigt ist (so aber dieses LSG, Rdnr. 17) und es bedarf entgegen der Ansicht dieses LSG auch nicht des Antrages eines Beteiligten (Rdnr. 18). Dies folgt, wie bereits dargelegt, daraus, dass das Gericht im Falle des fehlenden Vorverfahrens überhaupt keine andere rechtlich zulässige Möglichkeit hat, als in einem solchen Fall des faktischen Stillstandes des gerichtlichen Verfahrens mit Beschluss die Aussetzung anzuordnen.
Es mag dahinstehen, ob ausnahmsweise, wie dies in der gerichtlichen Praxis vielfältig geschieht, von einem Aussetzungsbeschluss abgesehen werden kann. Da eine solche Verfahrensweise, wie dargelegt, vom Gesetz nicht vorgesehen ist, kann "ein einfaches Abwarten" jedenfalls kein zulässiger Gesichtspunkt bei einer Ermessenserwägung sein, so dass einem Gericht, das dem Gesetz gemäß handelt und durch Beschluss die Aussetzung des Verfahrens anordnet, nicht entgegengehalten werden kann, eines solchen Beschlusses bedürfe es nicht. Dies gilt insbesondere in solchen Fällen, in denen die Behörde meint, ein Widerspruch läge gar nicht vor und deswegen sei ein Widerspruchsbescheid nicht zu erlassen.
Ist die Durchführung des Vorverfahrens unverzichtbare Sachurteilsvoraussetzung, so liegt in der Klageerhebung zugleich die Einlegung des Widerspruchs (BSG, Urteil vom 13. Dezember 2000 – B 6 KA 1/00 R, Rdnr. 19, zitiert nach juris, abgedruckt in SozR 3-1500 § 78 Nr. 5, m.w.N.). Gegen eine solche Rechtsansicht mögen dogmatische Gründe sprechen. So mag eingewandt werden können, dass in einer prozessualen Erklärung nicht zugleich zwei Willenserklärungen enthalten sein können, einerseits Klage und andererseits Widerspruch (so aber schon BSG, Urteil vom 18. Februar 1964 – 11/1 RA 90/61, Rdnr. 21, zitiert nach juris, abgedruckt in BSGE 20, 199), oder dass in der Klage nicht zugleich hilfsweise wirksam (zur hilfsweisen, also bedingten Vornahme von Prozesshandlungen wie die Einlegung von Rechtsmitteln bzw. von Prozesshandlungen gleichstehenden Erklärungen: vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O., vor § 60, Rdnr 11, § 83, Rdnr. 5) die Erhebung des Widerspruches erblickt werden könne (so aber schon BSG, Urteil vom 22. Juni 1966 – 3 RK 64/62, Rdnr. 21, zitiert nach juris, abgedruckt in BSGE 25, 66). Ungeachtet dieser Bedenken stellt die Rechtsauffassung, wonach in der Erhebung der Klage zugleich die Erhebung des Widerspruches zu sehen ist, wenn es am erforderlichen Vorverfahren fehlt, eine jahrzehntelange ständige höchstrichterliche Rechtsprechung dar, von der abzuweichen der erkennende Senat keine Veranlassung sieht, zumal das BSG, soweit ersichtlich, diese Rechtsprechung trotz bekannter Einwände fortführt und nicht in Zweifel zieht.
Aus alledem folgt, dass das Verfahren ohne Vorliegen des Antrages eines Beteiligten und ohne eine Ermessensentscheidung des Gerichts auszusetzen ist.
Die Beschwerde muss mithin erfolglos bleiben.
Eine Kostenentscheidung ergeht nicht, weil die Entscheidung über die Aussetzung kein eigenständiger Verfahrensabschnitt, sondern Bestandteil des Hauptsacheverfahrens ist (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 114 Rdnr. 9, m.w.N.).
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 24. Dezember 2015 bis 23. März 2016.
Mit Bescheid vom 5. Juli 2016 lehnte der Beklagte den Antrag vom 12. Juni 2016 auf Überprüfung der Bescheide vom 5. Februar 2016 und 31. Mai 2016 ab: Diese Bescheide seien nicht zu beanstanden. Es sei bei dessen Erlass das Recht richtig angewandt sowie von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen worden.
Dagegen hat die Klägerin am 26. Juli 2016 Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben und begehrt, den Beklagten zu verurteilen, Leistungen zum Lebensunterhalt und Kosten für Unterkunft und Heizung für den Zeitraum vom 24. Dezember 2015 bis 23. März 2016 zu gewähren.
Der Beklagte hat entgegen entsprechenden Hinweisen des Sozialgerichts die Klage für unzulässig gehalten, da kein Vorverfahren durchgeführt worden sei und die Klägerin gegen den Bescheid vom 5. Juli 2016 auch keinen Widerspruch eingelegt habe. Die Klage könne auch nicht als Widerspruch gedeutet werden.
Mit Beschluss vom 1. Dezember 2017 hat das Sozialgericht das Verfahren ausgesetzt: In der Klageerhebung liege gleichzeitig die Einlegung des Widerspruchs. Der Beklagte habe den Widerspruch zu bescheiden. Während des nachzuholenden Vorverfahrens sei das Verfahren analog § 114 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auszusetzen (Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, § 78 Rdnrn. 3a und 3b).
Gegen den ihm am 7. Dezember 2017 zugestellten Beschluss richtet sich die am 8. Dezember 2017 eingelegte Beschwerde des Beklagten.
Er meint, die Aussetzung des Verfahrens sei zu Unrecht erfolgt. Sie setze zur Nachholung des Widerspruchsverfahrens die Antragstellung eines Beteiligten sowie eine Ermessensentscheidung des Gerichtes voraus. Es fehle an beidem. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des sonstigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte, die bei der Entscheidung vorgelegen hat, verwiesen. Die Verwaltungsakten des Beklagten (Behelfsakten Band I und II, ) sind beigezogen.
II.
Die nach § 172 SGG zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat das Verfahren zu Recht ausgesetzt. Des Antrages eines Beteiligten hat es nicht bedurft. Die Entscheidung ist zutreffend nicht als Ermessensentscheidung ergangen.
Nach § 78 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 SGG sind vor Erhebung der Anfechtungsklage und der Verpflichtungsklage Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes in einem Vorverfahren nachzuprüfen.
Die Durchführung des Vorverfahrens mit abschließender Entscheidung ist eine von Amts wegen zu prüfende Sachurteilsvoraussetzung (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 12. Auflage, § 78 Rdnr. 2). Fehlt es an einer Sachurteilsvoraussetzung ist das Gericht gehindert, eine inhaltliche Entscheidung zum Begehren zu treffen, also ein Sachurteil zu erlassen. Vielmehr ist eine solche Klage grundsätzlich als unzulässig zu verwerfen (Meyer-Ladewig a.a.O., vor § 51 Rdnr. 13).
Die Abweisung einer Klage als unzulässig kommt allerdings beim Fehlen eines Vorverfahrens nicht in Betracht. Vielmehr muss das Gericht dem Kläger die Möglichkeit geben, das Vorverfahren nachzuholen (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 78 Rdnr. 3 und 3 a). Das Gericht darf daher in einem solchen Verfahrensstand nicht nur kein Sachurteil, sondern überhaupt kein Urteil erlassen. Dies bedeutet den faktischen Stillstand des gerichtlichen Verfahrens. Einen solchen faktischen Stillstand kennt allerdings das Sozialgerichtsgesetz ebenso wie die anderen gerichtlichen Verfahrensordnungen nicht. Kommt das gerichtliche Verfahren aufgrund eines tatsächlichen Umstandes zum Stillstand, so ordnet das Gesetz unmittelbar die Unterbrechung des Verfahrens (§ 202 Satz 1 SGG i. V. m. § 239 Abs. 1, § 240 bis § 245 ZPO), also insbesondere in denjenigen Fällen an, in denen das Gericht entweder objektiv gehindert ist, zu einem Urteil zu gelangen, oder ein erheblicher Grund, der dem Fortgang des gerichtlichen Verfahrens entgegensteht, vorliegt. Wenn eine weitere Fortführung des Verfahrens nicht als zweckmäßig erscheint, sieht das Gesetz die Aussetzung des Verfahrens (§ 202 Satz 1 SGG i. V. m. § 246, § 247 ZPO, § 114 SGG) oder, wenn die Beteiligten selbst ein Urteil (noch) nicht für zweckdienlich erachten, das Ruhen des Verfahrens (§ 202 Satz 1 SGG i. V. m. § 251 ZPO) vor. Soll das Verfahren aus Zweckmäßigkeitsgründen, also in den Fällen der Aussetzung und des Ruhens, nicht fortgeführt werden, bedarf es grundsätzlich einer (ausdrücklichen) Entscheidung des Gerichtes dazu, die eine Ermessensentscheidung darstellt, wie das Wort "kann" (§ 247 ZPO, § 114 SGG; anders § 246 ZPO) ausdrückt, und teilweise darüber hinaus des Antrages eines Beteiligten (§ 246, § 247 ZPO, § 114 Abs. 2 Satz 2 SGG) oder gar übereinstimmender Anträge aller Beteiligten (§ 251 ZPO). Dies zeigt, dass ein faktischer Stillstand des gerichtlichen Verfahrens dergestalt, dass das Gericht keine Verfahrenshandlungen vornimmt (bzw. vornehmen kann) und keine Entscheidung, also auch keine Zwischenentscheidung wie in den genannten Fällen einer Aussetzung oder eines Ruhens, erlässt (bzw. erlassen kann), vom Gesetz nicht vorgesehen ist.
Der Sachverhalt, dass wegen eines noch durchzuführenden Vorverfahrens das Gericht gehindert ist, ein Urteil zu erlassen, ist den Sachverhalten vergleichbar, in denen bereits das Gesetz unmittelbar die Unterbrechung des Verfahrens anordnet. In beiden Fällen kann bzw. darf ein Urteil nicht ergehen. Fehlt es am Vorverfahren, tritt allerdings, denn es mangelt an einer entsprechenden Vorschrift, eine Unterbrechung kraft Gesetzes nicht ein. Da jedoch das Gesetz einen faktischen Stillstand des gerichtlichen Verfahrens nicht kennt, bedarf es zur Schließung dieser Gesetzeslücke eines Rückgriffes auf solche Regelungen, nach denen das Verfahren durch eine Entscheidung des Gerichtes unterbrochen wird. Lediglich im Hinblick darauf und nicht etwa im Hinblick auf Zweckmäßigkeitserwägungen bietet sich die entsprechende Anwendung des § 114 SGG, also die Aussetzung des Verfahrens, an. Keiner der in § 114 SGG geregelten Sachverhalte ist inhaltlich-sachlich mit dem Fehlen eines Vorverfahrens vergleichbar, denn in allen Fällen des § 114 SGG ist das Gericht nicht gehindert, ein Urteil zu erlassen; lediglich der Erlass eines solchen Urteils im gegenwärtigen Verfahrensstand erscheint nicht zweckmäßig. Demgegenüber gebieten bei Fehlen eines Vorverfahrens nicht Gründe der Zweckmäßigkeit, sondern das Verbot, ein Urteil zu erlassen, eine Aussetzung. Die analoge Anwendung des § 114 SGG erfolgt somit nicht wegen eines dort geregelten (vergleichbaren) Sachverhalts, sondern wegen der dort vorgesehenen Befugnis des Gerichts zur Aussetzung und bezieht sich daher auf die Vorschrift insgesamt. Soweit das Bundessozialgericht (BSG) im Beschluss vom 1. Juli 2014 – B 1 KR 99/13 B (Rdnr. 12, zitiert nach juris, m. w. N.) ausdrücklich auf "§ 114 Abs. 2 SGG" (und nicht etwa auf § 114 Abs. 2 Satz 2 SGG) Bezug nimmt, folgt daraus nichts anderes, denn auch nach diesem Beschluss "hat das LSG das gerichtliche Verfahren auszusetzen" (vgl. auch Meyer-Ladewig, a.a.O., § 114, Rdnr. 5). Dies verdeutlicht, dass nicht Zweckmäßigkeitserwägungen, sondern die (auch) dort geregelte Befugnis des Gerichts zur Aussetzung die analoge Anwendung des § 114 SGG begründet.
Dies wird sowohl vom Beklagten als auch in dem von ihm genannten Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28. September 2017 – L 20 KR 536/17 B, die § 114 Abs. 2 Satz 2 SGG, wonach auf Antrag das Gericht die Verhandlung zur Heilung von Verfahrens- und Formfehlern aussetzen kann, soweit dies im Sinne der Verfahrenskonzentration sachdienlich ist, analog anwenden wollen, nicht hinreichend berücksichtigt. Entgegen der Ansicht des Bayerischen Landessozialgerichts (Rdnr. 15) beruht die Formulierung "hat" im Beschluss des BSG vom 1. Juli 2014 – B 1 KR 99/13 B ersichtlich nicht auf einer Formulierungsungenauigkeit. Es ist (daher) keine Ermessensentscheidung zu treffen und (auch) nicht darüber zu befinden, ob eine Aussetzung zweckmäßig ist oder ob ein einfaches Abwarten angezeigt ist (so aber dieses LSG, Rdnr. 17) und es bedarf entgegen der Ansicht dieses LSG auch nicht des Antrages eines Beteiligten (Rdnr. 18). Dies folgt, wie bereits dargelegt, daraus, dass das Gericht im Falle des fehlenden Vorverfahrens überhaupt keine andere rechtlich zulässige Möglichkeit hat, als in einem solchen Fall des faktischen Stillstandes des gerichtlichen Verfahrens mit Beschluss die Aussetzung anzuordnen.
Es mag dahinstehen, ob ausnahmsweise, wie dies in der gerichtlichen Praxis vielfältig geschieht, von einem Aussetzungsbeschluss abgesehen werden kann. Da eine solche Verfahrensweise, wie dargelegt, vom Gesetz nicht vorgesehen ist, kann "ein einfaches Abwarten" jedenfalls kein zulässiger Gesichtspunkt bei einer Ermessenserwägung sein, so dass einem Gericht, das dem Gesetz gemäß handelt und durch Beschluss die Aussetzung des Verfahrens anordnet, nicht entgegengehalten werden kann, eines solchen Beschlusses bedürfe es nicht. Dies gilt insbesondere in solchen Fällen, in denen die Behörde meint, ein Widerspruch läge gar nicht vor und deswegen sei ein Widerspruchsbescheid nicht zu erlassen.
Ist die Durchführung des Vorverfahrens unverzichtbare Sachurteilsvoraussetzung, so liegt in der Klageerhebung zugleich die Einlegung des Widerspruchs (BSG, Urteil vom 13. Dezember 2000 – B 6 KA 1/00 R, Rdnr. 19, zitiert nach juris, abgedruckt in SozR 3-1500 § 78 Nr. 5, m.w.N.). Gegen eine solche Rechtsansicht mögen dogmatische Gründe sprechen. So mag eingewandt werden können, dass in einer prozessualen Erklärung nicht zugleich zwei Willenserklärungen enthalten sein können, einerseits Klage und andererseits Widerspruch (so aber schon BSG, Urteil vom 18. Februar 1964 – 11/1 RA 90/61, Rdnr. 21, zitiert nach juris, abgedruckt in BSGE 20, 199), oder dass in der Klage nicht zugleich hilfsweise wirksam (zur hilfsweisen, also bedingten Vornahme von Prozesshandlungen wie die Einlegung von Rechtsmitteln bzw. von Prozesshandlungen gleichstehenden Erklärungen: vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O., vor § 60, Rdnr 11, § 83, Rdnr. 5) die Erhebung des Widerspruches erblickt werden könne (so aber schon BSG, Urteil vom 22. Juni 1966 – 3 RK 64/62, Rdnr. 21, zitiert nach juris, abgedruckt in BSGE 25, 66). Ungeachtet dieser Bedenken stellt die Rechtsauffassung, wonach in der Erhebung der Klage zugleich die Erhebung des Widerspruches zu sehen ist, wenn es am erforderlichen Vorverfahren fehlt, eine jahrzehntelange ständige höchstrichterliche Rechtsprechung dar, von der abzuweichen der erkennende Senat keine Veranlassung sieht, zumal das BSG, soweit ersichtlich, diese Rechtsprechung trotz bekannter Einwände fortführt und nicht in Zweifel zieht.
Aus alledem folgt, dass das Verfahren ohne Vorliegen des Antrages eines Beteiligten und ohne eine Ermessensentscheidung des Gerichts auszusetzen ist.
Die Beschwerde muss mithin erfolglos bleiben.
Eine Kostenentscheidung ergeht nicht, weil die Entscheidung über die Aussetzung kein eigenständiger Verfahrensabschnitt, sondern Bestandteil des Hauptsacheverfahrens ist (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 114 Rdnr. 9, m.w.N.).
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
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