L 1 R 471/15 B ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 1 R 414/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 R 471/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 30. September 2015 abgeändert.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 3. September 2015 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 18. August 2015 wird angeordnet, soweit die Antragsgegnerin einen monatlichen Betrag von mehr als 203,98 EUR verrechnet.

Im Übrigen wird der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 3. September 2015 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 18. August 2015 abgelehnt.

Die Antragsgegnerin hat 3/7 der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers im erstinstanzlichen Verfahren dem Grunde nach zu erstatten.

Im Beschwerdeverfahren haben sich die Beteiligten keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich im Wege des Eilrechtsschutzes gegen eine teilweise Verrechnung seiner Rentenauszahlungsansprüche mit Ansprüchen der AOK Sachsen-Anhalt gegen ihn, die aus einer Inanspruchnahme wegen rückständiger Sozialversicherungsbeiträge herrühren.

Der am ... 1959 geborene Antragsteller bezieht von der Antragsgegnerin eine Regelaltersrente in Höhe von monatlich 690,03 EUR seit Oktober 2015.

Nachdem die AOK Sachsen-Anhalt bereits im Jahr 2001 gegenüber der Antragsgegnerin eine entsprechende Forderung vorgemerkt hatte, machte sie mit Schreiben vom 5. März 2015 ein Verrechnungsersuchen über eine Forderung gegen den Antragsteller auf Zahlung rückständiger Gesamtsozialversicherungsbeiträge für den Zeitraum vom 1. November 1999 bis 31. Juli 2000 in Höhe von 13.310,63 EUR (Hauptforderung: 4.424,33 EUR; Säumniszuschläge und Nebenkosten: 8.886,30 EUR) geltend. Die Forderung erhöhe sich um weitere Säumniszuschläge. Im vorgenannten Zeitraum war der Antragsteller Inhaber der Fa. A. H.- und B. gewesen.

Die Antragsgegnerin hörte den Antragsteller im Hinblick auf die beabsichtigte Verrechnung an und wies auf die Möglichkeit hin, die Hilfebedürftigkeit nachzuweisen. Der Antragsteller antwortete, dass die Ansprüche auf Altersrente weit unter der Pfändungsfreigrenze lägen. Zudem habe er keine Kenntnis über Grund und Höhe des Forderungsbegehrens der AOK Sachsen-Anhalt.

Die Antragsgegnerin bat daraufhin die AOK Sachsen-Anhalt um Übersendung von Nachweisen zur Rechtmäßigkeit der Forderung. Jene übersandte daraufhin (auszugsweise) ein Gutachten vom 14. Juli 2000 in dem Insolvenzverfahren gegen den Antragsteller als Inhaber der Fa. A. H.- u. B. sowie Beitragsnachweise aus dem Zeitraum November 1999 bis Januar 2000 und April bis Juli 2000. Zudem wurde das Pfändungsprotokoll der letzten am ... 2014 erfolglos gebliebenen Zwangsvollstreckung übersandt.

Mit Bescheid vom 18. August 2015 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass der bestandskräftig festgestellte Anspruch der AOK Sachsen-Anhalt in Höhe von 13.310,63 EUR zzgl. weiterer Säumniszuschläge und Zinsen mit seiner Altersrente nach § 52 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil (SGB I) in Verbindung mit § 51 Abs. 2 SGB I verrechnet werde. Die Verrechnung erfolge ab dem 1. Oktober 2015 in Höhe der Hälfte der monatlichen Leistung bis zur Tilgung der Forderung. Ab dem 1. Oktober 2015 würden zunächst 345,01 EUR verrechnet, so dass eine Leistung von 345,02 EUR verbleibe.

Hiergegen erhob der Antragsteller am 3. September 2015 Widerspruch und führte aus, ein vollstreckbarer Titel sei ihm nicht bekannt. Gegenüber der AOK Sachsen-Anhalt sei Verjährungs- und Verwirkungseinrede erhoben worden. Er selbst verfüge über kein Vermögen und sei daher auf die volle Altersrente angewiesen.

Mit Bescheid vom 3. September 2015 änderte die Antragsgegnerin den Auszahlungsbetrag der Regelaltersrente des Antragstellers ab dem 1. Oktober 2015 und zahlte von der Rente in Höhe von 690,03 EUR nur noch 345,02 EUR an den Antragsteller aus.

Am 17. September 2015 hat der Antragsteller die Gewährung einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) beantragt. Die Verrechnung sei rechtswidrig, da weder er noch seine Ehefrau weitere Einkünfte außer ihrer Altersrenten bezögen. Zudem zahle er monatlich ca 169,00 EUR für seine freiwillige Krankenversicherung. Des Weiteren seien 188,00 EUR für die Heizung seiner Wohnung zu zahlen. Er bestreite die Forderung der AOK Sachsen-Anhalt dem Grunde und der Höhe nach. Schließlich erhebe er die Einrede der Verjährung und Verwirkung. Durch die Verrechnung würde Hilfebedürftigkeit nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe (SGB XII) eintreten. Eine Bedarfsbescheinigung habe er beim Landkreis Anhalt-B. beantragt, jedoch noch keine Antwort erhalten.

Das SG hat den Beteiligten eine Bedarfsberechnung übersandt, wonach sich bei der aktuellen Verrechnung ein Bedarf der Bedarfsgemeinschaft von 141,03 EUR nach dem SGB XII ergab.

Mit Beschluss vom 30. September 2015 hat das SG die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 3. September 2015 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 18. August 2015 angeordnet. Zwar sei die Verrechnungserklärung der Antragsgegnerin dem Grunde nach nicht zu beanstanden. Vor Erlass des Bescheides habe sie den Antragsteller angehört. Eine Aufrechnungslage sei gegeben. Die Forderung der AOK Sachsen-Anhalt auf Zahlung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen nebst Säumniszuschlägen sei fällig und bestandskräftig gewesen und beruhe auf den Beitragsnachweisen, die gem. § 28f Abs. 3 Satz 3 Viertes Buch Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) als bestandskräftige Leistungsbescheide gelten würden. Die Forderung sei zwischenzeitlich durch weitere Säumniszuschläge angewachsen. Die aufgelaufenen Säumniszuschläge seien bei der Geltendmachung von Beitragsansprüchen i. S. des § 51 Abs. 2 SGB I zu berücksichtigen. Sie seien als Nebenforderung Teil der Beitragsforderung. Einwände gegen Grund und Höhe der Beitragsforderung seien ausschließlich gegenüber der AOK Sachsen-Anhalt geltend zu machen. Die Pfändungsfreigrenzen der Zivilprozessordnung seien nicht zu beachten. Der Gesetzgeber habe aus sozialpolitischen und verwaltungstechnischen Gründen die Leistungsträger gegenüber anderen Gläubigern privilegiert. Die Aufrechnung werde auch durch ein Insolvenzverfahren nicht berührt. Die Verrechnung sei jedoch nach summarischer Prüfung rechtswidrig, da sie zur Hilfebedürftigkeit der Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 141,03 EUR führe. Dies ergebe sich aus der Berücksichtigung von Regelsatz, Unterkunftskosten, Krankenversicherungsbeiträgen sowie den Altersrenten des Antragstellers und seiner Ehefrau, die das SG in eine ausführliche Berechnung des Hilfebedarfs eingestellt habe.

Die Antragsgegnerin hat gegen den ihr am 7. Oktober 2015 zugestellten Beschluss am 29. Oktober 2015 insoweit Beschwerde erhoben, als die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen ihre Verwaltungsentscheidung auch hinsichtlich eines 141,07 EUR (gemeint ist 141,03 EUR) übersteigenden Betrages angeordnet worden ist. Das Anspruchsbegehren des Antragstellers sei teilbar. Nur in Höhe von 141,07 EUR (gemeint ist 14,03 EUR) habe die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs angeordnet werden dürfen. Insoweit beziehe sie sich auf die Berechnung des SG. Seit Januar 2006 würden 486,09 EUR an den Antragsteller ausgezahlt.

Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 30. September 2015 aufzuheben, soweit die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 3. September 2015 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 18. August 2015 über einen die Höhe von 141,03 EUR übersteigenden Betrag angeordnet wird.

Der Antragsteller beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er führt aus, dass seine Ehefrau erkrankt sei und zu allen Arztbesuchen gefahren werden müsse, was Benzinkosten verursache. Zudem seien die Heizkosten in Höhe von 188,00 EUR, die Steuern für den PKW, die Kosten für Wasser und Abwasser, die jeweils fünfmal im Jahr anfielen, sowie für Strom und für die Hausrat- und Haftpflichtversicherung zu berücksichtigen. Der Antrag beim Sozialamt solle nicht weiterverfolgt werden. Eine Bedarfsbescheinigung werde daher nicht vorgelegt. Eine Aufrechnungserklärung liege ihm nicht vor. Es fehle an der Gegenseitigkeit der Forderungen. Er sei vor Erlass des Bescheides nicht angehört worden. Die Beitragsforderungen seien verjährt. Mahngebühren, Säumniszuschläge, Pfändungskosten und Kosten der Rechtsverfolgung seien jedenfalls nicht zu verrechnen.

Auf Veranlassung des Senats hat der Antragsteller die Bögen zur Bedarfsprüfung, die er vom Sozialamt erhalten hat, ausgefüllt übersandt. Zudem sind Kontoauszüge eingereicht worden, aus denen u.a. eine Zahlung von Grundabgaben am 23. Februar 2016 in Höhe von 68,69 EUR sowie eine Zahlung von Wasserabgaben von 39,17 EUR am 7. Januar 2016 sowie von 33,00 EUR am 4. Februar 2016 ersichtlich sind. Für die Gaslieferung ergibt sich ab Februar 2016 nur noch ein Betrag von 187,00 EUR.

In einem Erörterungstermin des Senats am 16. März 2016 haben die Beteiligten sich im Hinblick auf die Berechnung des SG mit den dort aufgenommenen Beträgen zu Regelsatz, Unterkunftskosten, Krankenversicherungsbeitrag sowie den jeweiligen Altersrenten der Eheleute einverstanden erklärt. Den Erhöhungsbetrag für die Krankenversicherung seit Januar 2016 werde die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers gesondert gegenüber der Antragsgegnerin geltend machen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.

II.

Die Beschwerde ist statthaft (§ 172 Sozialgerichtsgesetz – SGG), form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 173 SGG) und auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch begründet. Der zulässige Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Verrechnungsentscheidung der Antragsgegnerin ist nur insoweit begründet, als ein Hilfebedarf nach dem SGB XII nachgewiesen worden ist. Hier ist jedenfalls bis zum Monat März 2016 die Berechnung des SG zutreffend, wonach ein Hilfebedarf der Bedarfsgemeinschaft von 141,03 EUR angenommen werden kann. Mit den in die zutreffende Berechnung des SG eingestellten Beträgen, die zu diesem Hilfebedarf führen, haben sich die Beteiligten im Erörterungstermin des Senats am 16. März 2016 einverstanden erklärt. Die vom SG angeordnete aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs im vollen Umfang ist hingegen unzutreffend.

Das Gericht der Hauptsache kann gem. § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Widerspruch und Klage haben grundsätzlich aufschiebende Wirkung (§ 86a Abs. 1 SGG). Diese aufschiebende Wirkung entfällt allerdings bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten (§ 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG). Bei der hier vorgenommen Verrechnung handelt es sich um eine Entscheidung zur Anforderung von Beiträgen i. S. d. § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG (Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 14. Februar 2011 – L 5 R 17/11 B ER –, a.A. Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 2. September 2010 – L 3 R 347/09 B ER –, wonach § 86a Abs. 2 Nr. 3 SGG einschlägig ist; jeweils juris). In diesen Fällen kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage ganz oder teilweise anordnen (§86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG).

Einen ausdrücklichen Maßstab für die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung sieht § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG nicht vor. Das Gericht entscheidet aufgrund einer Interessenabwägung. Je größer die Erfolgsaussichten, umso geringere Anforderungen sind an das Aussetzungsinteresse zu stellen. Ist die in der Hauptsache zulässige Klage aussichtslos, wird die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet. Dem gegenüber ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen, wenn der Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig ist und der Betroffene dadurch in seinen subjektiven Rechten verletzt wird. Sind die Erfolgsaussichten der Klage nicht derart eindeutig zu beurteilen, sind neben den Erfolgsaussichten weitere Gesichtspunkte in die Abwägungsentscheidung einzustellen, insbesondere auch eine Folgenabwägung sowie die Berücksichtigung des Regel-Ausnahmeverhältnisses des § 86a Abs. 2 SGG (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 11. Aufl., § 86b Rn. 12 ff).

Der Senat kommt nach Abwägung aller maßgeblichen Punkte und vor dem Hintergrund der im Eilverfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung nach dem derzeitigen Kenntnisstand zu dem Ergebnis, dass bis März 2016 das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin nur im Hinblick auf den sozialhilferechtlichen Bedarf in Höhe von 141,03 EUR überwiegt. Im Hinblick auf den Differenzbetrag in Höhe 203,98 EUR (345,01 – 141,03 = 203,98 EUR) ist die Verwaltungsentscheidung der Antragsgegnerin zur Verrechnung rechtmäßig und verletzt nicht die Rechte des Antragstellers. Insoweit hätte das SG – wie die Antragsgegnerin zutreffend bemängelt – die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs nur im Hinblick auf den Teilbetrag von 141,03 EUR anordnen dürfen.

Die Verrechnungsentscheidung beruht in dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 18. August 2015 auf § 52 SGB I. Hiernach durfte die Antragsgegnerin die Forderung der AOK Sachsen-Anhalt in Höhe von 203,98 EUR mit der laufenden Altersrente des Antragstellers verrechnen.

Nach § 52 SGB I kann der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger – hier die Antragsgegnerin – mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers – hier der AOK Sachsen-Anhalt – dessen Ansprüche gegen den Berechtigten – hier den Antragsteller – mit der ihm obliegenden Geldleistung verrechnen, soweit nach § 51 SGB I die Aufrechnung zulässig ist. Nach § 51 Abs. 2 SGB I kann der zuständige Leistungsträger mit Beitragsansprüchen gegen Ansprüche auf laufendende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig i. S. der Vorschriften des SGB XII oder des Zweiten Buchs Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) wird. Dabei ist die Verrechnung nach § 52 SGB I eine Sonderform der Aufrechnung nach § 51 SGB I in dem Sinne, dass es bei der Verrechnung an der Gegenseitigkeit der Forderung fehlt, weil die noch offenen Beiträge vorliegend der AOK Sachsen-Anhalt und nicht der Antragsgegnerin zustehen. Gesamtsozialversicherungsbeiträge sind solche i. S. des § 51 Abs. 2 SGB I, mit denen nach § 52 SGB I eine Verrechnung durchgeführt werden kann. Die sich gegenüberstehenden Forderungen – die Gesamtsozialversicherungsbeiträge und der Anspruch auf Altersrente – sind weiterhin Geldleistungsansprüche nach § 51 SGB I und mithin gleichartig.

Die von der Verrechnungsermächtigung der AOK Sachsen-Anhalt erfassten und gegen den Antragsteller geltend gemachten Ansprüche auf Zahlung rückständiger Gesamtsozialversicherungsbeiträge waren entstanden und fällig. Die Forderung beruht auf den Beitragsnachweisen, die nach § 28f Abs. 3 Satz 3 SGB IV als bestandskräftige Leistungsbescheide gelten. Diese Leistungsnachweise sind von der AOK Sachsen-Anhalt an die Antragsgegnerin übersandt worden und Bestandteil der Verwaltungsentscheidung. Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, sind die Zahlungsansprüche der AOK aus Beitragsforderungen für den Zeitraum November 1999 bis Januar 2000 und von April bis Juli 2000 entstanden, die aus der Nichtabführung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen herrühren. Der Antragsteller war in diesem Zeitraum Inhaber der Fa. A. H.- u. B., Z ...

Entgegen der Auffassung des Antragstellers sind Beitragsforderungen i.S.d. § 51 SGB I nicht nur die Beiträge selbst. Als Gegenforderungen des Leistungsträgers kommen nicht nur die Beitragsansprüche, sondern vielmehr auch die darauf entfallenden Säumniszuschläge, Zinsen und weitere Nebenforderungen in Betracht (Pflüger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 2. Aufl. 2011, § 51 SGB I, Rn. 26).

Da die Beitragsnachweise für die Vollstreckung als Leistungsbescheid der Einzugsstelle gem. § 28f Abs. 3 Satz 3 SGB IV gelten, prüft der Senat nicht, ob die Forderung zu Recht besteht, sondern legt die bestandskräftigen Beitragsnachweise zugrunde.

Eine Verjährung der Beitragsforderungen ist nicht eingetreten, da wegen der Bestandskraft der Beitragsnachweise gem. § 52 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) die 30-jährige Verjährungsfrist gilt.

Die Voraussetzungen einer Verwirkung der Beitragsschuld sind ebenfalls nicht erfüllt. Verwirkung liegt vor, wenn der Berechtigte - die Antragsgegnerin - mit der Anforderung längere Zeit gewartet hat und besondere Umstände hinzugetreten sind, welche die nunmehrige Erhebung des Anspruchs dem anderen gegenüber als unzulässig erscheinen lassen (Engelmann in: von Wulffen, SGB X, 4. Auflage, § 52 Rn. 7). Verwirkung erfordert dabei mehr als ein bloßes Nichtstun des Anspruchsinhabers. Erforderlich ist vielmehr ein Verhalten, aus welchem der Anspruchsverpflichtete – der Antragsteller – schließen kann, der Anspruch werde nicht geltend gemacht werden. Eine solche Fallgestaltung ist vorliegend nicht gegeben. Dies gilt bereits unabhängig davon, dass die AOK Sachsen-Anhalt sogar zuletzt am 7. Juli 2014 – erfolglos – versucht hat, die Forderung zu vollstrecken.

Die Zahlungsansprüche des Antragstellers aus der ihm zuerkannten Regelaltersrente sind entstanden und erfüllbar (§ 118 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – SGB VI). Laufende Geldleistungen sind solche, auf die der Berechtigte einen dem Grunde nach widerkehrenden Anspruch hat.

Der Antragsgegnerin lag auch eine wirksame Ermächtigungserklärung vor. Es handelt sich dabei um eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die zu der Befugnis des ermächtigten Leistungserbringers führt, im eigenen Namen dessen Forderung zu verrechnen (Seewald in Kassler Kommentar, § 52 SGB I, Rn. 8 f). Als empfangsbedürftige Willenserklärung muss die Ermächtigungserklärung hinreichend substantiiert sein. Sie muss Art und Umfang der Forderung so genau bezeichnen, dass der Ermächtigte als Empfänger der Willenserklärung ohne weiteres eine substantiierte Verrechnungserklärung abgeben kann (BSG, Urteil vom 24. Juli 2003 - B 4 RA 60/02 R - juris).

Das Verrechnungsersuchen der AOK Sachsen-Anhalt vom 5. März 2015 in der Konkretisierung vom 11. August 2015 nebst den teilweise beigefügten Beitragsnachweisen enthält Angaben zur Zusammensetzung der Haupt- und Nebenforderungen. Der einbezogene Zeitraum wird in dem Verrechnungsersuchen konkret benannt. Insgesamt lag zum damaligen Zeitpunkt unter Berücksichtigung von Säumniszuschlägen und Nebenkosten eine bestandskräftige Forderung in Höhe von 13.310,63 EUR vor, basierend auf den offenen Gesamtsozialversicherungsbeiträgen für den Zeitraum vom 1. November 1999 bis zum 31. Juli 2000. Das Verrechnungsersuchen war daher hinreichend bestimmt.

Eine Verrechnung kann in Form eines Verwaltungsaktes durchgeführt werden; der Große Senat des BSG hat zwischenzeitlich die bis dahin offene Streitfrage geklärt (Beschluss vom 31. August 2011 - GS 2/10 -, juris). Somit ist auch insoweit das Vorgehen der Antragsgegnerin, die vorliegend durch Verwaltungsakt entschieden hat, nicht zu beanstanden.

Der Verrechnungsbescheid der Antragsgegnerin ist ebenfalls hinreichend bestimmt gemäß § 33 Abs. 1 SGB X. Dafür ist es ausreichend, dass die zur Verrechnung gestellten Forderungen des anderen Leistungsträgers bestimmbar sind. Denn eine Verrechnung kann - ebenso wie eine Aufrechnung - bei Bestehen mehrerer Forderungen (auch) erklärt werden, ohne (zunächst) im Einzelnen aufzeigen zu müssen, mit welcher (Einzel-)Forderung zuerst verrechnet werden soll (vgl. BSG, Urteil vom 7. Februar 2012 - B 13 R 85/09 R -, m.w.N.). Es genügt, dass die zur Verrechnung gestellte Gesamtforderung des anderen Leistungsträgers mit bestehenden, ihrer Art nach benannten Einzelforderungen aufgefüllt werden kann (vgl. BSG, a.a.O.).

Die mit dem Widerspruch vom 2. September 2015 angefochtene Verrechnungsentscheidung der Antragsgegnerin vom 18. August 2015 enthält die zur Verrechnung gestellte Gesamtforderung. Aus den vom Antragsteller der Antragsschrift beim SG beigefügten Unterlagen ist ersichtlich, dass diesem eine Kopie der Verrechnungsermächtigung der AOK Sachsen-Anhalt vom 5. März 2015 vorgelegen hat. Denn diese ist mit der Antragsschrift am 17. September 2015 dem SG übersandt worden. Hieraus sind die genaue Zusammensetzung der Forderung sowie der Entstehungszeitpunkt bzw. Entstehungszeitraum ersichtlich. Der Antragsteller war daher in die Lage, die Forderung zuzuordnen. Mehr ist von der Antragsgegnerin zur Bestimmbarkeit der Forderung und Bestimmtheit des Verwaltungsakts nicht zu verlangen.

Der Antragsteller hat nicht hinreichend nachgewiesen, dass sich durch die von der Antragsgegnerin ab Oktober 2015 und nunmehr bis März 2016 vorgenommenen Verrechnung bei ihm und seiner Ehefrau eine höhere Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB XII ergibt, als die angenommenen 141,03 EUR.

Die in § 51 Abs. 2 SGB I festgelegte (Nachweis-)Obliegenheit des Leistungsberechtigten beseitigt den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 Satz 1 SGG) nicht, weshalb das Gericht ermitteln muss, ob infolge der Aufrechnung oder der Verrechnung Hilfebedürftigkeit eintritt. Gem. § 103 Satz 1 Halbsatz 2 SGG sind bei der gerichtlichen Amtsermittlung – der Erforschung des Sachverhalts – die Beteiligten aber heranzuziehen. Sie haben eine prozessuale Mitwirkungspflicht oder Mitwirkungslast, die auf Art und Umfang der gerichtlichen Amtsermittlung zurückwirken kann. Die Anforderungen an die Amtsermittlung des Gerichts verringern sich, wenn ein Beteiligter seiner Mitwirkungspflicht nicht nachkommt (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014 § 103 Rn. 16 m.w.N. zur Rechtsprechung des BSG). Im Hinblick darauf kann auch im gerichtlichen Verfahren berücksichtigt werden, dass das Gesetz (hier) dem Antragsteller als Leistungsberechtigtem in den §§ 52, 51 Abs. 2 SGB I eine gesteigerte Mitwirkungspflicht im Sinne einer Obliegenheit zum Nachweis von Hilfebedürftigkeit auferlegt, auch wenn die genannten Vorschriften (im Zusammenhang mit § 21 SGB X) in erster Linie das Verwaltungsverfahren betreffen. Soweit der Leistungsberechtigte daher eine – bei Vorliegen von Hilfebedürftigkeit regelmäßig unschwer zu erlangende – Bedarfsbescheinigung des zuständigen Sozialhilfe- oder Grundsicherungsträgers nicht beibringt, muss er dem Gericht alle zur Ermittlung von Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II bzw. des SGB XII notwendigen Angaben über seine Lebensumstände machen, damit es die Hilfebedürftigkeit feststellen kann. Dabei geht es zu seinen Lasten, wenn die Angaben lückenhaft oder unvollständig sind und durch naheliegende ergänzende Ermittlungen des Gerichts nicht vervollständigt werden können (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Oktober 2015 - L 5 R 4256/13 -, Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. Januar 2015 - L 2 R 148/13 - jeweils juris). Die schlichte Erklärung des Leistungsberechtigten über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse ist dabei für die Beweisführung grundsätzlich nicht ausreichend (Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 27. Januar 2012 - L 5 R 40/11 -).

Der Senat geht daher für den Zeitraum von Oktober 2015 bis März 2016 von der zutreffenden Berechnung des SG aus. Danach besteht bei Berücksichtigung der Regelsätze von 360,00 EUR, der Unterkunftskosten von 188,00 EUR, des Krankenversicherungsbeitrags von 169,52 EUR und der Altersrenten in Höhe von 690,03 EUR sowie 591,43 EUR ein Bedarf der Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 141,03 EUR.

Mit den in die nachvollziehbare Berechnung des SG eingestellten Beträgen, die zu diesem Hilfebedarf führen, haben sich die Beteiligten im Erörterungstermin des Senats am 16. März 2016 einverstanden erklärt. Die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hat im Erörterungstermin eine vergleichsweise Regelung ausdrücklich abgelehnt und angekündigt, den erhöhten Bedarf für den Krankenversicherungsbeitrag ab Januar 2016 gegenüber der Antragsgegnerin glaubhaft machen zu wollen. Auch bezüglich höherer Kosten für die Unterkunft (Grundabgaben und Wasserabgaben) ist der Antragsteller im Rahmen der Erfüllung seiner Nachweisobliegenheit gehalten, entstehende Kosten bei der Antragsgegnerin glaubhaft zu machen, damit sie berücksichtigt werden können. Entsprechendes gilt für sozialhilferechtlich relevante Versicherungsbeiträge.

Es geht zu Lasten des Antragstellers, dass er den bereits beim Sozialhilfeträger gestellten Antrag auf Sozialleistungen nebst Bedarfsbescheinigung nicht weiter verfolgt hat. Der Senat hat mehrfach (mit Verfügung vom 7. Dezember 2015, telefonisch durch den Berichterstatter am 4. März 2016 und im Erörterungstermin) die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers darauf hingewiesen, dass eine Glaubhaftmachung Obliegenheit des Antragstellers ist und deren Unterlassung zu seinen Lasten geht. Trotzdem fehlt es an der Vorlage prüffähiger Dokumente bezüglich von Grundabgaben, Wasserabgaben und Krankenversicherungsbeiträgen. Nicht gesondert berücksichtigt werden können – schon unabhängig von der fehlenden Glaubhaftmachung – die Kosten für den PKW (u.a. Benzin für Arztbesuche der Ehefrau des Antragstellers) sowie die Stromkosten, da diese bereits Bestandteil des Regelsatzes sind.

Pfändungsfreigrenzen sind nicht zu beachten. Die Vorschriften zur Auf- und Verrechnung der §§ 51 Abs. 2, 52 SGB I stellen besondere Regelungen dar, die einen Zugriff auf das grundsätzlich unpfändbare Vermögen des Betroffenen für die Fälle erlaubt, wenn Beiträge nicht entrichtet oder zu Unrecht Sozialleistungen gewährt wurden und der Betroffene dadurch nicht hilfebedürftig wird. Diese Privilegierung der Sozialleistungsträger gegenüber anderen Gläubigern, die die Vorschrift des § 394 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu beachten haben, ist vom Gesetzgeber aus sozialpolitischen und verwaltungstechnischen Gründen so gewollt. Das Interesse an der vollständigen und rechtzeitigen Realisierung der Einnahmen zur Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des Systems der sozialen Sicherung nach Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz überwiegt als Interesse der Versichertengemeinschaft das Interesse des Antragstellers an einer ungekürzten Auszahlung des Rentenanspruchs (vgl. BSG, Urteil vom 7. Februar 2012 - B 13 R 85/09 R -; Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 18. Juli 2011 - L 6 R 95/11 B ER; Sächsisches LSG, Urteil vom 6. Juni 2012 - L 3 R 314/11 -; Bayerisches LSG, Urteil vom 23. April 2013 - L 20 R 819/09 -; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. Januar 2015 - L 2 R 148/13 -, jeweils juris).

Die Antragsgegnerin hat nicht ermessensfehlerhaft gehandelt. Für eine fehlerfreie Ermessensentscheidung ist es gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB I erforderlich, dass der Verwaltungsträger sein Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung (überhaupt) ausübt, und dass er dabei im Übrigen auch die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einhält. Der gemäß § 39 Abs. 1 SGB I von der Ermessensentscheidung Betroffene hat einen korrespondierenden Anspruch auf die pflichtgemäße Ausübung fehlerfreien Ermessens (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB I). Nur in diesem - eingeschränkten - Umfang unterliegt die Ermessensentscheidung einer gerichtlichen Kontrolle. Die Frage, ob überhaupt eine Ermessensentscheidung ergangen ist und ob diese gegebenenfalls rechtmäßig war, beurteilt sich dabei nach dem Inhalt des Verrechnungsbescheides, insbesondere nach seiner Begründung. Dieser muss erkennen lassen, dass eine Ermessensentscheidung getroffen wurde. Er muss darüber hinaus grundsätzlich auch diejenigen Gesichtspunkte aufzeigen, von denen der Verwaltungsträger bei der Ausübung des Ermessens ausgegangen ist (vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 17. Mai 2013 - L 5 R 336/12, juris). Die Antragsgegnerin hat in ihrem Verrechnungsbescheid Ermessen ausgeübt. Diese Ermessensausübung ist sachgerecht, da sie nach dem Sinn und Zweck der Ermächtigungsnorm des § 51 Abs. 2 SGB I von der Mitwirkung des Antragstellers abhängt. Ohne Mitwirkung konnte die Antragsgegnerin keine weiteren Umstände berücksichtigen, die gegen eine Verrechnung sprachen. Da sich aus dem Vortrag des Antragstellers diese weiteren Umstände nicht ergaben, konnte sie die Interessen der Versichertengemeinschaft an der sachgerechten Verwendung der Mittel für vorrangig halten. Ermessensfehler sind damit nicht festzustellen.

Die nach § 24 Abs. 1 SGB X erforderliche Anhörung vor Erlass des belastenden Verwaltungsaktes erfolgte mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 18. Juni 2015. Der Antragsteller hat sich daraufhin geäußert. Es ist deshalb nicht nachvollziehbar, warum er im Beschwerdeverfahren vorträgt, nicht angehört worden zu sein.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden, § 177 SGG.

gez. Müller-Rivinius gez. Schäfer gez. Peters
Rechtskraft
Aus
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