L 4 AS 17/16

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 16 AS 826/14
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 AS 17/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 12. Februar 2015 und der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 8. August 2013 sowie der Leistungsbescheid vom 20. Februar 2013 in der Fassung des Änderungsleistungsbescheides vom 8. August 2013, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 2014, aufgehoben und der Beklagte verurteilt, der Klägerin Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch für den Zeitraum vom 1. Mai 2013 bis 31. August 2013 gemäß dem Leistungsbescheid vom 25. April 2013 unter Anrechnung bereits erbrachter Leistungen zu gewähren. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen den Umfang der Berücksichtigung einer während des Leistungsbezugs erhaltenen Lohnnachzahlung.

Die 1967 geborene Klägerin steht seit mehreren Jahren im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Sie bewohnt eine Mietwohnung gemeinsam mit einem Untermieter. Mit Bescheid vom 20. Februar 2013 bewilligte der Beklagte monatliche Leistungen für die Zeit vom 1. März bis 31. August 2013 i.H.v. 667,43 Euro (Regelbedarf i.H.v. 382,- Euro, Kosten für Unterkunft und Heizung – KdU – i.H.v. 285,43 Euro).

Die Klägerin legte am 11. März 2013 Widerspruch ein, mit dem sie die Nichtberücksichtigung von Wasserkosten i.H.v. 30,- Euro und eine fehlerhafte Anrechnung von Untermietzahlungen bemängelte.

Mit Bescheid vom 25. April 2013 bewilligte der Beklagte nunmehr für den Monat März 667,43 Euro, für April 697,43 Euro, für Mai 699,43 Euro, für Juni 678,69 Euro und für Juli und August 2013 jeweils 699,43 Euro und hob insoweit den Bescheid vom 20. Februar 2013 auf. Zur Begründung führte der Beklagte an, es habe zum einen eine Änderung der Miete "ab Mai 2013" stattgefunden, zum anderen sei ein "Guthaben aus der Betriebs- und Heizkostenabrechnung 2012 in Höhe von 20,74 Euro mit der Miete im Juni 2013 verrechnet" worden. Tatsächlich berücksichtigte der Beklagte bei den KdU ab 1. April 2013 Wasserkosten von 30,00 Euro und ab 1. Mai 2013 eine Erhöhung der Nebenkosten um 2,00 Euro. Im Juni 2013 rechnete er einen Betrag von 20,74 Euro bei den KdU an. Hintergrund war eine Betriebs- und Heizkostenabrechnung der Vermieter der Klägerin für das Jahr 2012, welche die Klägerin am 15. April 2013 beim Beklagten eingereicht hatte. Die Vermieter hatten im Schreiben vom 8. April 2013 angekündigt, das saldierte Guthaben i.H.v. 20,74 Euro mit der nächsten Miete der Klägerin zu verrechnen.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 28. Mai 2013 – ohne Begründung – Widerspruch ein.

Am 25. April 2013 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass ihr von ihrem ehemaligen Arbeitgeber 750,00 Euro "Restgehalt" nachgezahlt worden seien und wies dies durch Vorlage der Kopie eines Kontoauszugs nach, dem eine entsprechende Gutschrift zum 10. April 2013 zu entnehmen war. Das Geld war durch ihre Prozessbevollmächtigten vom ehemaligen Arbeitgeber im Wege der Zwangsvollstreckung beigetrieben worden. Die Prozessbevollmächtigten hatten die Klägerin in einem Schreiben vom 3. April 2013 darauf hingewiesen, dass es sich bei der Summe um den Bruttobetrag handele, auf den von der Klägerin "die darin enthaltenen gesetzlichen Abzüge (Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge) an das Finanzamt und die Krankenkasse abzuführen" seien.

Der Beklagte forderte die Klägerin mit Schreiben vom 25. April 2013 auf, einen Nachweis über die Höhe der abgeführten Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge zu erbringen. Die Klägerin wandte dagegen ein, dass "unterjährige Steuererklärungen vom Gesetzgeber nicht vorgesehen" seien. Mit Schreiben vom 6. Juni 2013 hörte der Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Geltendmachung einer Erstattung von Leistungen i.H.v. 697,43 Euro für den Monat April 2013 an, da die Klägerin wegen des Zuflusses des Restgehaltes nicht hilfebedürftig gewesen sei. Die Klägerin wies mit Schreiben vom 18. Juni 2013 darauf hin, dass der Betrag von 750,00 Euro ihrer Ansicht nach über einen Zeitraum von sechs Monaten gleichmäßig zu verteilen sei. Demnach sei von einem monatlich anrechenbaren Betrag von 125,00 Euro auszugehen, von dem ein Grundfreibetrag i.H.v. 100,00 Euro abzusetzen sei. Von den verbleibenden 25,00 Euro sei ein weiterer Freibetrag von 20 %, also 5,00 Euro, abzusetzen. Es verbleibe demnach ein monatlich anzurechnendes Einkommen von 20,00 Euro. Die von ihr außerdem noch abzuführenden "Steuern etc." müssten ebenfalls im Vorfeld berücksichtigt werden.

Der Beklagte erließ am 26. Juni 2013 einen ersten Aufhebungs- und Erstattungsbescheid. Er hob die Bescheide vom 20. Februar 2013 und vom 25. April 2013 für die Zeit vom 1. April bis 30. April 2013 i.H.v. 697,43 Euro (382,00 Regelleistung + 315,43 Euro KdU) und damit ganz auf und verlangte von der Klägerin Erstattung in der genannten Höhe.

Die Klägerin legte durch ihre Prozessbevollmächtigten am 10. Juli 2013 Widerspruch ein und verwies erneut auf eine ihrer Ansicht nach vorzunehmende Verteilung der Summe.

Mit Abhilfebescheid vom 15. Juli 2013 hob der Beklagte seinen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 26. Juni 2013 auf. Zugleich hörte er mit Schreiben vom selben Tag die Klägerin zu einer nunmehr beabsichtigten Aufhebung von Leistungen für die Zeit vom "1. Mai 2013 bis 31. Juli 2013 in Höhe von 285,00 Euro" wegen der Gehaltsnachzahlung an. Ausweislich eines auf Blatt 103 der Verwaltungsakte eingehefteten Gesetzesabdrucks ging der Beklagte davon aus, dass es sich bei der Gehaltsnachzahlung um eine einmalige Einnahme handele, die auf einen Zeitraum von sechs Monaten gleichmäßig aufzuteilen sei.

Am 8. August 2013 erließ der Beklagte einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid zum Geschäftszeichen "X212H-Kundenummer: 123A304225" und einen Änderungsleistungsbescheid, der als Geschäftszeichen "X212" und die BG-Nr. 12302BG0024263 führte.

Mit erstgenanntem Bescheid wurden die Leistungsbescheide vom 20. Februar 2013 und 25. April 2013 teilweise (für die Zeit vom 1.5.2013 bis 31.7.2013) aufgehoben – ohne dass der monatliche Umfang der teilweisen Aufhebung erkennbar ist – und Erstattung von 285,00 Euro gefordert. Zur Begründung führte der Beklagte aus, die Klägerin habe durch die Gehaltsnachzahlung "Einkommen oder Vermögen" erzielt, das zum "Wegfall oder zur Minderung" ihres Anspruchs geführt habe (Hinweis auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – SGB X). Zudem habe die Klägerin gewusst bzw. wissen müssen, dass der Leistungsanspruch teilweise weggefallen sei (Hinweis auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X). Der Erstattungsanspruch folge aus § 50 SGB X.

Mit zweitgenanntem Bescheid änderte der Beklagte die Leistungsbescheide vom 20. Februar und 25. April 2013 ab. Zur Begründung führte der Beklagte einleitend aus, der Klägerin stünden "für folgende Zeiträume insgesamt geringere Leistungen zu: - vom 01.05.2013 bis 31.07.2013 in Höhe von 95,00 Euro weniger als bisher bewilligt."

Ausweislich des Berechnungsbogens wurden nunmehr Leistungen in folgender monatlicher Höhe bewilligt: Für Mai 2013 i.H.v. 604,43 Euro, für Juni 2013 i.H.v. 583,69 Euro sowie für Juli und August i.H.v. jeweils 604,43 Euro. Für die Monate Mai bis August 2013 wurde dabei ein monatliches Einkommen von 125,00 Euro zugrunde gelegt (750,00 Euro geteilt durch sechs Monate). Da der Bewilligungsabschnitt aber nur bis 31. August 2013 lief, erfolgte eine Anrechnung nur von Mai bis August. Nach Abzug einer Versicherungspauschale von 30,00 Euro wurden monatlich 95,00 Euro angerechnet.

Die Klägerin legte durch ihre Prozessbevollmächtigten am 28. August 2013 unter Bezugnahme auf das Geschäftszeichen des Beklagten "X212H-Kd.-Nr. 123A304225" und die "BG-Nr. 12302BG0024263" Widerspruch gegen den "Bescheid vom 08.08.2013" ein. Sie erklärte, die Gründe aus dem Widerspruchsschreiben vom 9. Juli 2013 hätten trotz der ergangenen Änderungsbescheide weiterhin Gültigkeit. Nach wie vor sei nicht ersichtlich, wie die von der Klägerin selber zu zahlenden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge berücksichtigt würden.

Am 10. September 2013 erließ der Beklagte seinen eigenen Angaben zufolge einen Widerspruchsbescheid, mit dem über den am 28. Mai 2013 eingelegten Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 25. April 2013 befunden worden sei. Dieser Bescheid findet sich weder in der Verwaltungsakte noch hat die Klägerin ihn in ihren Unterlagen finden können.

Mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 2014 (Gz. X171-1F-W-1475/14), den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 3. Februar 2014 zugegangen, wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung hieß es, die Klägerin wende sich gegen einen "Änderungsbescheid vom 08.08.2013, mit dem im Leistungszeitraum 01.05.2013 bis 31.07.2013 Einkommen angerechnet worden war." Die Klägerin sei mit Mitwirkungsschreiben vom 25. April 2013 aufgefordert worden, Nachweise über die Höhe der abgeführten Lohnsteuer und der Sozialversicherungsbeiträge zu übersenden. Sie sei darauf hingewiesen worden, dass die Leistungen ganz oder teilweise versagt werden könnten, wenn sie dieser Mitwirkung nicht nachkomme. Da die Klägerin die geforderten Unterlagen nicht vorgelegt habe, sei nach § 66 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) zu verfahren gewesen. Der Beklagte habe deshalb "mit dem vorliegend angefochtenen Bescheid die Leistungen insoweit versagen [können], als die Gehaltsnachzahlung in voller Höhe, d.h. ohne Abzug von Lohnsteuerzahlungen und Sozialversicherungsbeiträgen anzurechnen" sei.

Die Klägerin hat am 3. April 2014 Klage erhoben, mit der sie unter Bezugnahme auf die Begründung ihres Widerspruchs beantragt hat, "den Bescheid der Beklagten vom 8. August 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 2014 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung eines Absetzbetrages gemäß § 11b Abs. 2 von insgesamt 100,00 Euro monatlich zu gewähren."

Mit aufgrund mündlicher Verhandlung am 12. Februar 2015 ergangenem Urteil hat das Sozialgericht Hamburg die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Berücksichtigung eines Absetzbetrages von monatlich 100,00 Euro und könne sich daher auch nicht erfolgreich gegen den Erstattungsanspruch des Beklagten i.H.v. 285,00 Euro für den Zeitraum von "Mai bis August 2013" wenden. Zu Recht habe der Beklagte lediglich die Versicherungspauschale von 30,00 Euro abgesetzt. § 11b Abs. 2 SGB II, nach dem bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die erwerbstätig seien, anstelle der Beträge nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 5 SGB II ein Betrag von insgesamt 100,00 Euro monatlich abzusetzen sei, sei nicht einschlägig. Denn die Klägerin sei in dem maßgeblichen Anrechnungszeitraum des "Abfindungsbetrages" nicht mehr erwerbstätig gewesen, sodass auch keine Kosten hätten entstehen können, die im Zusammenhang mit einer unmittelbar ausgeübten Erwerbstätigkeit stünden. Die Berufung wurde nicht zugelassen.

Das Urteil wurde den Prozessbevollmächtigten am 25. Februar 2015 zugestellt. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde vom 25. März 2015 hat der Senat mit Beschluss vom 5. Januar 2016 die Berufung zugelassen.

Die Klägerin führt aus, § 11b Abs. 2 SGB II solle auch einen Anreiz schaffen, die Hilfebedürftigkeit zu mindern und durch eine schrittweise Integration in den Arbeitsmarkt ggfs. auch zu beseitigen. Diesem Zweck würde es zuwider laufen, wenn verspätete Zahlungen des Arbeitgebers bei beendetem Arbeitsverhältnis oder auch restliche Zahlungen aufgrund arbeitsgerichtlicher Rechtsstreite nicht § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II unterfielen. Die Klägerin weist zudem auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 13. Mai 2009 (B 4 AS 29/08 R) hin, in welchem für nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahltes Insolvenzgeld Erwerbstätigenfreibeträge zugesprochen worden seien.

Am 12. Oktober hat ein Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat stattgefunden. Die Klägerin hat darin erklärt, dass die Kosten für Unterkunft und Heizung im streitigen Zeitraum nicht Gegenstand des Verfahrens sein sollen. Von einem im Termin zwischen den Beteiligten unter Vorbehalt geschlossenen Vergleich ist die Klägerin anschließend fristgerecht zurückgetreten.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 12. Februar 2015 und den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 8. August 2013 sowie den Leistungsbescheid vom 20. Februar 2013 in der Fassung des Änderungsleistungsbescheides vom 8. August 2013, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 2014, aufzuheben und den Beklagten verurteilen, ihr Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch für den Zeitraum vom 1. Mai 2013 bis 31. August 2013 gemäß dem Leistungsbescheid vom 25. April 2013 unter Anrechnung bereits erbrachter Leistungen zu gewähren.

Dem Vorbringen des Beklagten ist der Antrag zu entnehmen,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung. Der Freibetrag nach § 11b Ab. 2 Satz 1 SGB II sei nur bei erwerbstätigen Leistungsberechtigten abzusetzen, was bereits dem Wortlaut der Norm entnommen werden könne. Zudem habe die Klägerin aber auch gar nicht nachgewiesen, dass vorliegend von der "Abfindungszahlung" Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden seien. Auch seien notwendige Ausgaben weder geltend gemacht worden noch seien sie sonst ersichtlich. Es sei deshalb nach § 66 SGB I vorgegangen worden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter ohne weitere mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die Sachakte des Beklagten hat vorgelegen. Auf ihren sowie auf den Inhalt der Prozessakte wird wegen weiterer Einzelheiten des Tatbestandes ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Senat zugelassene Berufung (§ 145 Abs. 4 und 5 Sozialgerichtsgesetz – SGG), über die er nach § 155 Abs. 3 und 4 sowie § 124 Abs. 2 SGG durch den Berichterstatter ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden konnte, hat Erfolg. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen.

I. Nachdem die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärt hat, keine höheren Bedarfe für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II – bei denen es sich um einen abtrennbaren Streitgegenstand handelt (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2014 – B 4 AS 4/14 R) – zu begehren, wendet sie sich zum einen gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 8. August 2013 und zum anderen gegen die mit Leistungsbescheid vom 8. August 2013 erfolgte Anrechnung von 95,00 Euro monatlich im Zeitraum vom 1. Mai 2013 bis 31. August 2013 und die daraus folgende Änderung der Bewilligung aus dem Leistungsbescheid vom 25. April 2013. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob der Beklagte mit dem Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 2014 auch über den Widerspruch vom 11. März 2013 gegen den ursprünglichen Leistungsbescheid vom 20. Februar 2013 hat entscheiden wollen. Ebenso kann offen bleiben, ob der weitere Widerspruch vom 28. Mai 2013 gegen den Änderungsbescheid vom 25. April 2013 möglicherweise unstatthaft war und ein etwa ergangener Widerspruchsbescheid vom 10. September 2013 deshalb ins Leere gegangen wäre.

II. Die so verstandene Klage ist zulässig (1.) und begründet (2.).

1. Statthafte Klageart ist hinsichtlich des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 8. August 2013 die Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG, soweit es die begehrten Leistungen nach Maßgabe des Bescheides vom 25. April 2013 betrifft hingegen die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG. Die Klage ist auch fristgerecht erhoben worden (§ 87 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGG).

2. Sowohl der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten (a.) als auch der Änderungsleistungsbescheid vom 8. August 2013 (b.), jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 2014, erweisen sich als rechtswidrig und verletzen die Klägerin daher in ihren Rechten. Die Klägerin hat im Zeitraum vom 1. Mai bis 31. August 2013 Anspruch auf Leistungen in der durch Leistungsbescheid vom 25. April 2013 bewilligten Höhe.

a. Rechtsgrundlage für den Aufhebungsbescheid ist § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II (in der bis 31.12.2015 geltenden Fassung) i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) und § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X.

Der Bescheid ist formell rechtmäßig. Insbesondere ist die Klägerin vor seinem Erlass gem. § 24 SGB X angehört worden. Der Aufhebungsbescheid genügt auch den Anforderungen an die Bestimmtheit von Verwaltungsakten. Als materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung verlangt das Bestimmtheitserfordernis nach § 33 Abs. 1 SGB X, dass der Verfügungssatz nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei ist. Dieses Erfordernis bezieht sich sowohl auf den Verfügungssatz der Entscheidung als auch auf den Adressaten des Verwaltungsaktes. Der Betroffene muss bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers und unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls in die Lage versetzt werden, die im Verwaltungsakt getroffene Rechtsfolge vollständig, klar und unzweideutig zu erkennen und sein Verhalten daran auszurichten. Ausreichende Klarheit kann auch dann bestehen, wenn zur Auslegung des Verfügungssatzes auf die Begründung des Verwaltungsaktes, auf früher zwischen den Beteiligten ergangene Verwaltungsakte oder auf allgemein zugängliche Unterlagen zurückgegriffen werden muss (BSG, Urteil vom 10.9.2013 – B 4 AS 89/12 R). Jedenfalls im Zusammenhang mit dem Änderungsleistungsbescheid vom 8. August 2013 war für die Klägerin deutlich zu erkennen, für welchen Zeitraum und in welcher monatlichen Höhe Leistungen aufgehoben werden. Es sind auch die teilweise aufzuhebenden Bescheide vom 20. Februar 2013 und 25. April 2013 genannt worden.

Der Bescheid ist aber materiell rechtswidrig. Denn die Voraussetzungen der Rechtsgrundlage liegen nicht vor.

Nach § 40 SGB II i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsakts Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt nach Satz 3 der Regelung in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum aufgrund der besonderen Teile dieses Gesetzbuchs anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraums. Wegen § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III ist diese Rechtsfolge zwingend.

Durch die der Klägerin am 10. April 2013 gutgeschriebene Gehaltsnachzahlung in Höhe von 750,00 Euro ist eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen gegenüber jenen eingetreten, die der ursprünglichen Bescheiderteilung vom 20. Februar 2013 zugrunde gelegen hatten. Bei der Gehaltsnachzahlung handelt es sich nach der maßgeblichen Zuflusstheorie (s. nur BSG, Urteil vom 30.7.2008 – B 14 AS 26/07 R) nicht um Vermögen i.S.v. § 12 SGB II, sondern um eine Einnahme in Geld, welche der Klägerin nach Antragstellung zugeflossen ist, und damit um Einkommen i.S.v. § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Dieses Einkommen ist grundsätzlich geeignet, die Hilfebedürftigkeit der Klägerin zu mindern oder zu beseitigen (vgl. § 9 Abs. 1 SGB II).

Die Anrechnung dieses Einkommens auf die Folgemonate nach dem Zufluss im April 2013 war aber rechtswidrig. Das Einkommen hätte allein im Monat April 2013 angerechnet werden müssen. Dies folgt aus § 11 Abs. 2 Satz 1 SGB II. Danach sind laufende Einnahmen für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen.

Ob eine laufende Einnahme nach § 11 Abs. 2 SGB II oder aber eine einmalige Einnahme im Sinne des § 11 Abs. 3 SGB II vorliegt, hängt davon ab, ob diese Einnahme ihrer Art nach üblicherweise wiederkehrend gezahlt wird. Laufende Einnahmen sind solche, die auf demselben Rechtsgrund beruhen und regelmäßig erbracht werden, während sich das Geschehen bei einmaligen Einnahmen in einer einzigen Leistung erschöpft (BSG, Urteil vom 30.7.2008 – B 14 AS 26/07 R). Dabei ändert sich die Qualifizierung als laufende Einnahme nicht dadurch, dass es sich bei der Zahlung um die letzte einer typischerweise regelmäßig gewährten Leistung handelt. Eine laufende Einnahme stellt deshalb z. B. die letztmalige Arbeitsentgeltzahlung dar (BSG, a.a.O.; so auch die Fachlichen Hinweise des Beklagten zu § 11 SGB II, Stand: 08/2016, Ziff. 11.8), aber auch die Nachzahlung von Arbeitsentgelt für zurückliegende Zeiträume mit regelmäßigem Nettoarbeitsentgelt (BSG, Urteil vom 16.5.2012 – B 4 AS 154/11 R; zu allem Söhngen, in: jurisPK-SGB II, Stand: 3.7.2017, § 11 Rn. 65). Ohne Bedeutung für die Qualifizierung als laufende Einnahme ist es nach der Rechtsprechung des BSG, welcher der Senat insoweit folgt, ob das Rechtsverhältnis, auf dem die Zahlung beruht, zum Zeitpunkt der Zahlung noch bestanden hat oder schon beendet war. Da der Rechtsgrund der Zahlung maßgebliches Anknüpfungskriterium ist, ändert auch dies den Charakter der Zahlung als eine auf einem einheitlichen Rechtsgrund beruhende und an sich regelmäßig zu erbringende Einnahme nicht (BSG, Urteil vom 24.4.2015 – B 4 AS 32/14 R).

Bei der vorliegenden Gehaltsnachzahlung handelt es sich demnach entgegen der Ansicht des Beklagten um eine laufende Einnahme. Ihre Berücksichtigung erst im Folgemonat auf der Grundlage von § 11 Abs. 3 Satz 2 SGB II (in der bis 31.7.2016 geltenden Fassung – a. F.), der dies für den Fall vorsieht, dass für den Monat des Zuflusses bereits Leistungen ohne Berücksichtigung der einmaligen Einnahme erbracht worden sind, kommt schon deshalb nicht in Betracht.

Erst mit Wirkung ab 1. August 2016 sieht nunmehr § 11 Abs. 3 Satz 2 SGB II in der durch das Neunte Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26. Juli 2016 (BGBl I. 2016, S. 1824; vgl. Rn. 9.1) erlangten Fassung vor, dass zu den einmaligen Einnahmen "auch als Nachzahlung zufließende Einnahmen, die nicht für den Monat des Zuflusses erbracht werden", gehören. Auf den hier vor ihrem Inkrafttreten abgeschlossenen Sachverhalt ist die Regelung indes nicht anwendbar.

Wie ursprünglich auch vom Beklagten vorgesehen (Bescheid vom 26. Juni 2013, aber aufgehoben durch Abhilfebescheid vom 15. Juli 2013), wäre daher die Gehaltsnachzahlung im Monat des Zuflusses, dem April 2013, anzurechnen und die Leistungsbewilligung vom 20. Februar 2013 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 25. April 2013 entsprechend (teilweise) aufzuheben gewesen. Eine gleichmäßige Verteilung auf einen Zeitraum von sechs Monaten, wie hier vom Beklagten vorgenommen, sieht § 11 Abs. 3 Satz 3 SGB II a. F. lediglich für einmalige Einnahmen und unter der Voraussetzung vor, dass andernfalls der Leistungsanspruch durch die Berücksichtigung in einem Monat entfiele.

Die für die Monate Mai, Juni und Juli 2013 verfügte teilweise Aufhebung der Leistungsbewilligung i.H.v. jeweils 95,00 Euro war daher rechtswidrig. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 8. August 2013 ist deshalb schon aus diesem Grunde aufzuheben.

Auf die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob der Klägerin die Grundpauschale bei Erwerbstätigen nach § 11b Abs. 2 SGB II und außerdem ein Freibetrag bei Einkommen aus Erwerbstätigkeit nach § 11b Abs. 3 SGB II zugestanden hätte, kommt es daher nicht an. Nur ergänzend sei angemerkt, dass für die Ansicht der Klägerin das Urteil des BSG vom 24. April 2015 (a.a.O.) streiten dürfte. Das BSG hat es für die Frage, ob § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II ("Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die erwerbstätig sind ") Anwendung findet – ohne dies überhaupt zu problematisieren – für unmaßgeblich gehalten, dass der dortige Kläger im Zeitpunkt des Zuflusses der Gehaltsnachzahlung nicht mehr erwerbstätig war.

b. Auch der Änderungsbescheid vom 8. August 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 2014 erweist sich aus den genannten Gründen als rechtswidrig. Mit diesem Bescheid wurden der Klägerin um 95,00 Euro geringere Leistungen bewilligt, als zuvor mit Änderungsleistungsbescheid vom 25. April 2013 zuerkannt. Die Voraussetzungen für eine auf § 48 SGB X gestützte Aufhebung lagen jedoch nicht vor, da die Gehaltsnachzahlung im April 2013 als Einkommen hätte berücksichtigt werden müssen (s.o.). Nach der Aufhebung des Änderungsbescheides vom 8. August 2013 gilt wieder der Bescheid vom 25. April 2013. Die Klägerin erreicht dadurch die Bewilligung von Leistungen i.H.v. 697,43 Euro für April 2013, 699,43 Euro für Mai 2013, 678,69 Euro für Juni 2013 und jeweils 699,43 Euro für Juli und August 2013.

III. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

IV. Ein Grund, nach § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, ist nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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