Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 17 KN 418/12 KR
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.
Eine Kostenerstattung findet nicht statt.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Kostenerstattung für eine Evakuierung von einem Kreuzfahrtschiff streitig.
Die Kläger machen als Rechtsnachfolger ihres Vaters, dieser als Rechtsnachfolger der Frau R. M. (geboren am 18.02.1941, verstorben am 14.09.2014 – nachfolgend: Versicherte) Bergungskosten in Höhe von 12.514,88 EUR gegen die beklagte Krankenkasse aufgrund eines Hubschrauber-Krankentransports vom 12.05.2012 geltend.
Die Versicherte war im Jahr 2012 bei der beklagten Krankenkasse gesetzlich krankenversichertes Mitglied. Ab dem 03.05.2012 befand sich die Versicherte auf einer Kreuzfahrturlaubsreise auf der MS Albatros, einem Kreuzfahrtschiff unter der Flagge der Bahamas. Am 12.05.2012 befand sich die die MS Albatros wieder auf der Rückreise und, was zwischen den Beteiligten unstreitig geblieben ist, auf deutschen Hoheitsgewässern. Bei der Versicherten bestand an diesem Tag der Verdacht auf einen erlittenen Herzinfarkt, weswegen die Versicherte auf der MS Albatros durch die Bordärztin Dr. M. R. ärztlich versorgt und später mittels Hubschrauber evakuiert und in ein deutsches Krankenhaus nach Cuxhaven verbracht wurde. Im Krankenhaus wurde eine Viruserkrankung diagnostiziert. Die Kosten für den Transport mit Rettungswagen vom Hubschrauberlandeplatz in Cuxhaven zum Krankenhaus und für die vollstationäre Behandlung im Krankenhaus wurden von der Beklagten getragen.
Unter dem 12.05.2012 berechnete die Behandlerin an Bord der MS Albatros die ärztliche Behandlung mit insgesamt 395,71 EUR. Die Versicherte reichte diese Behandlungsrechnung am 18.05.2012 bei der Beklagten mit der Bitte um Kostenerstattung ein.
Mit Bescheid vom 21.05.2012 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für die Krankenbehandlung an Bord der MS Albatros ab. Unter Berücksichtigung der Bundessozialgericht (BSG)-Entscheidung vom 29.11.1973 (8/2 RU 158/72) sei davon auszugehen, dass ein Schiff auf hoher See als schwimmender Gebietsteil des Landes, unter dessen Flagge es fährt, gelte. Vor diesem Hintergrund könnten diese Behandlungskosten im Ausland nicht übernommen werden.
Hiergegen legte die Versicherte mit Schreiben vom 31.05.2012 Widerspruch ein. Die zitierte BSG-Entscheidung vom 29.11.1973 sei aus zwei Gründen nicht relevant. Zum einen sei die Versicherte – anders als in der BSG-Entscheidung - kein Besatzungsmitglied gewesen und zum anderen habe sich die Erkrankung der Versicherten auf deutschen Hoheitsgewässern zugetragen.
Am 10.07.2012 entschied die Beigeladene, als Trägerin einer privaten Zusatzversicherung u.a. für ausländische Krankenbehandlungen, dass sie die an Bord der MS Albatros entstandenen Behandlungskosten in Höhe von 395,71 EUR aus Kulanz übernehmen werde. Hierüber unterrichtete die Versicherte die Beklagten mit Schreiben vom 18.07.2012.
Unter dem 17.08.2012 stellte sodann die Wehrbereichsverwaltung Ost die Kosten für die Hubschrauberbergung der Versicherten vom 12.05.2012 in Höhe von 12.514,88 EUR in Rechnung. Die Beigeladene lehnte eine Kostenerstattung insoweit mit Schreiben vom 30.08.2012 ab, da sich der Krankentransport auf deutschem Hoheitsgewässern zugetragen habe.
Mit Bescheid vom 20.08.2012 wies die Beklagte den Widerspruch der Versicherten gegen den Ablehnungsbescheid vom 21.05.2012 hinsichtlich der Behandlungskosten in Höhe von 395,71 EUR als unbegründet zurück.
Am 24.09.2012 erhob die Versicherte Klage, mit der sie die Kostenerstattung auch der Transportkosten in Höhe von 12.514,88 EUR begehrte. Hierüber erfuhr die Beklagte erstmalig von dem diesbezüglichen Transportkostenübernahmeantrag der Versicherten, deren Kostenerstattung sie in der Folgezeit mit Bescheid vom 12.02.2013 ablehnte.
Auch hiergegen legte die Versicherte Widerspruch ein, diesmal mit Schreiben vom 26.02.2013, der mit Bescheid vom 29.07.2016 von der Beklagten als unbegründet zurückwiesen wurde.
Während des Klageverfahrens verstarb die Versicherte am 14.09.2013 und wurde zunächst von ihrem Ehemann und nach dessen Tod am 12.03.2016 durch die Kläger beerbt. Diese behaupten, dass die Rechnung der Wehrbereichsverwaltung Ost am 03.06.2013 ausgeglichen worden sei. Die Beklagte habe auch die Transportkosten zu erstatten, da sich die Erkrankung auf deutschen Hoheitsgewässern zugetragen habe, wie das Flottenkommando Glücksburg mit E-Mail vom 20.09.2012 bestätigt habe. Der Transport mit dem Rettungshubschrauber sei aus medizinischer Sicht auch notwendig gewesen, andernfalls er nicht von der Bordärzten der MS Albatros angeordnet worden wäre.
Die Kläger beantragen,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12.02.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2016 zu verurteilen, an sie 12.514,88 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt ihre Bescheide. Im vorliegenden Fall gelte das Flaggenprinzip, sodass der Behandlungsfall der Versicherten wie ein solcher im Ausland zu behandeln sei und zum Ruhen des Krankenversicherungsschutzes der Versicherten am 12.05.2012 geführt habe.
Die Beiladung erfolgte mit Beschluss vom 09.12.2015. Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Inhaltlich lehnte die Beigeladene eine Kostenerstattung ebenfalls ab, da jedenfalls eine Auslandskrankenbehandlung nicht vorgelegen habe. Eine Einstandspflicht aus dem Gesichtspunkt des privaten Versicherungsvertrages komme daher nicht in Betracht.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakte verwiesen. Der wesentliche Inhalt der vorgenannten Akten ist Gegenstand der Kammerberatung und Entscheidungsfindung geworden.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Gegenstand der gerichtlichen Klage ist zuletzt nur noch der Bescheid vom 12.02.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2016 gewesen. Die Behandlungskosten an Bord der MS Albatros sind von der Beigeladenen aus Kulanz übernommen worden. Insoweit ist Erfüllung eingetreten, sodass dieser Anspruch untergegangen ist, § 69 Abs. 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch, 5. Buch (SGB V) in Verbindung mit § 362 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Diese Wirkung tritt auch ein, wenn ein Dritter die Leistung erfüllt, solange Gläubiger und Schuldner nicht widersprechen, § 267 Abs. 1 und 2 BGB.
Zwischen den Beteiligten war daher zuletzt nur noch die Kostenerstattung für die Hubschrauber-Transportkosten vom 12.05.2012 in Höhe von 12.514,88 EUR streitig. Insoweit war die Klage abzuweisen, da die Kläger als Rechtsnachfolger ihres Vaters, dieser als Rechtsnachfolger der am 14.09.2014 verstorbenen Versicherten, keinen Kostenerstattungsanspruch gegen die beklagte Krankenkasse haben und auch eine Verurteilung der Beigeladenen aus prozessualen Gründen nicht in Betracht kam.
Als einzige Anspruchsgrundlage gegen die Beklagte kam insoweit § 13 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch, 5. Buch (SGB V) in Betracht. Danach gilt: "Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war."
Der hiernach in Betracht kommende Kostenerstattungsanspruch reicht dabei nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. statt aller: BSG, Urteil vom 24.09.1996 – 1 RK 33/95 = BSGE 79, 125).
§ 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V räumt als Ausnahme für das im SGB V verankerte Sachleistungsprinzip (§§ 2 Abs. 1 Satz 1, 13 Abs. 1 SGB V) einen Anspruch auf Kostenerstattung nur dann ein, wenn eine von der Krankenkasse geschuldete notwendige Behandlung in Folge eines Mangels im Leistungssystem nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt werden konnte. Dies setzt voraus, dass die Behandlung im Rahmen des allgemeinen Sachleistungsanspruchs erfolgen konnte, dem Versicherten durch die Selbstbeschaffung Kosten entstanden sind, die Leistung unaufschiebbar war und die Krankenkasse sie nicht rechtzeitig erbringen konnte (1. Alternative) oder dass die Krankenkasse sie zu Unrecht abgelehnt hatte (2. Alternative).
Unstreitig ist, dass die Beklagte die hier gegenständliche Leistung (Evakuierung von Bord der MS Albatros) nicht als Sachleistung erbringen konnte, obwohl diese aufgrund des Verdachts auf einen Herzinfarkt unaufschiebbar war. Dennoch besteht kein Leistungsanspruch gegen die Beklagte, denn die nach der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) versicherten Mitglieder einer Krankenkasse haben keinen Anspruch auf eine Krankenbehandlung oder damit verbundener Transportkosten auf einem Schiff unter fremder Flagge. Entgegen der Rechtsansicht der Kläger gilt insoweit nicht das Territorialitätsprinzip, sondern das Flaggenprinzip, wenn ein Schiff sich – wie vorliegend – auf offenen Seegewässern befindet. Das Landessozialgericht (LSG) Schleswig-Holstein hatte in einer Entscheidung vom 30.05.1995 (L 1 KR 4/95 = NZS 1998, 517) für den umgekehrten Fall bereits auf die Maßgeblichkeit des Flaggenprinzips abgestellt. Danach haben Passagiere auf Seeschiffen unter deutscher Flagge – unabhängig von der Schiffsposition – einen Behandlungsanspruch, weil insoweit inländisches Recht fingiert wird. Für den umgekehrten Fall gilt folglich ausländisches Recht, wenn – wie vorliegend – ein Seeschiff unter der Flagge eines ausländischen Staates auf offenen Gewässern segelt; dies ebenfalls unabhängig von der Schiffsposition. Denn insoweit unterstellt das Recht einen Auslandsaufenthalt, bei dem nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V der Anspruch auf Leistungen gegen die Krankenkasse ruht.
Bei einem, auch nur vorübergehenden, Aufenthalt im Ausland oder auf einem Seeschiff auf dem offenen Meer unter nichtdeutscher Flagge ruht der Leistungsanspruch, weil Sachleistungen (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V) grundsätzlich nur im Inland erbracht werden können (vgl. BT-Drs. 11/3480, Seite 164; zur Verfassungsmäßigkeit: BVerfG, Beschluss vom 17.03.2008 – 1 BvR 96/06). Dieser gesetzlicher Sinn und Zweck greift auch bei Seeschiffen auf dem offenen Meer, die unter fremder Flagge segeln. Denn auch insoweit können medizinische Sachleistungen durch Vertragsbehandler nicht erbracht werden.
Ausgehend von diesem Sinn und Zweck ist hier bei der Abgrenzung zwischen in- und ausländischen Erkrankungsfällen auf das Flaggenprinzip abzustellen. Dies ist auch unter dem Gesichtspunkt der Rechtsklarheit zu befürworten, denn es erspart schwierige bis unmögliche Ermittlungen darüber an welcher Stelle im offenen Meer erstmalig eine Erkrankung aufgetreten ist bzw. wo sie erstmalig behandelt wurde.
Diese am Gesetzeszweck orientierte Auslegung lässt sich auch gut mit dem Wortlaut des § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V vereinbaren. Eine gesetzliche Legaldefinition des Begriffs Ausland findet sich nicht. Im Übrigen wird bei Seerechtsfällen oft zwischen dem Territorialitäts- und Flaggenprinzip unterschieden. Das Seerechtsübereinkommen (SRÜ) der Vereinten Nationen, welches seit dem 16.11.1994 in Deutschland in Kraft getreten ist, unterscheidet teilweise zwischen dem Territorialitätsprinzip und dem Flaggenprinzip (vgl. zu den unterschiedlichen Regelungen zur Straf- und Zivilgerichtsbarkeit auf fremden Schiffen Art. 27 und 28 SRÜ). Art. 91 Abs. 1 Satz 2 SRÜ bestimmt, dass Schiffe die Staatszugehörigkeit des Staates besitzen, dessen Flagge zu führen sie berechtigt sind. Nach Art. 92 Abs. 1 Satz 1 SRÜ fahren Schiffe unter der Flagge eines einzigen Staates und unterstehen auf Hoher See seiner ausschließlichen Hoheitsgewalt, mit Ausnahme der besonderen Fälle, die ausdrücklich in internationalen Verträgen oder im SRÜ vorgesehen sind, die hier aber nicht greifen. Angesichts dieser völkerrechtlichen Bestimmung ist auf Schiffen grundsätzlich vom Vorrang des Flaggenprinzips auszugehen. Bestenfalls ist aus Sicht der Kläger im Hinblick auf das Flaggen- und Territorialitätsprinzip der Wortlaut des § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ("Ausland") indifferent, sodass beide Auslegungsoptionen (Territorialitätsprinzip oder Flaggenprinzip) zulässig sind. Nach Auffassung der erkennenden Kammer ist aber dem Flaggenprinzip grundsätzlich – so auch hier – der Vorrang einzuräumen. Diese Rechtsauffassung deckt sich mit einer Vielzahl gerichtlicher Entscheidungen aus anderen Rechtsgebieten. So wurde etwa das bloße Überfahren der Grenze in deutsches Hoheitsgewässer mit einem Seeschiff eines anderen Flaggenstaates nicht als Einreise im Sinne von § 13 Abs. 2 AufenthG angesehen (vgl. Verwaltungsgericht – VG Schleswig- Holstein, Beschluss vom 14.11.2013 – 4 B 58/13).
Die hier favorisierte Rechtsauffassung wird auch durch systematische Auslegungen des Gesetzeswortlautes gestützt. Denn die in § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V geregelte Ruhenswirkung wird nach § 16 Abs. 3 SGB V insbesondere auch für Seemänner an Bord eines Schiffes oder auf Reisen ausgedehnt. Die §§ 42, 43 Seemannsgesetz (SeemG) sehen daher einen Anspruch auf Krankenfürsorge auf Kosten des Reeders vor. Dieser Anspruch entfällt wiederrum, sodass die GKV-Leistungen nicht ruhen, wenn das Schiff in einem Hafen im Geltungsbereich des Grundgesetzes (GG) liegt, der Seemann an Bord bleibt und sich für Leistungen der GKV entscheidet, § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB V. Dies zeigt, dass grundsätzlich nur für Schiffe, die an deutschen Häfen angedockt sind, deutsches Sozialversicherungsrecht Anwendung findet.
In diesem Sinne hat auch das BSG mit Urteil vom 29.11.1973 (8/2 RU 158/72) entschieden. Zwar weisen die Kläger zutreffend darauf hin, dass es in dieser Entscheidung um die Beitragspflicht von ausländischen Seeleuten (pakistanische Laskaren) ging, sodass diese Entscheidung von der Problemdarstellung betrachtet wenig mit dem vorliegenden Fallkonstellation zu vergleichen ist, jedoch hat das BSG in dieser Entscheidung allgemeine Ausführungen zu dem Begriff "Inland" im Sinne des Sozialversicherungsrechts (damals noch nach Maßgabe der RVO) gemacht. So führt das BSG (a.a.O., juris-Rn 30) zutreffend aus:
"Zum Inland gehören auch Seeschiffe, die die Flagge der Bundesrepublik Deutschland führen; ein Schiff auf hoher See gilt nach völkerrechtlicher Auffassung als schwimmender Gebietsteil seines Heimatslandes (Schaps-Abraham, Das deutsche Seerecht, 3. Aufl. Bd. I S. 319; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl. Bd. II, Stand: Juli 1972, § 835 Anm. 8); es wird als solches durch die Führung von dessen Handels- oder Nationalflagge legitimiert (Schaps-Abraham aaO). Da das Schiff die Flagge auch in fremden Häfen führt, muß naturgemäß die Legitimation auch in fremden Häfen gelten; auch dort gilt – entgegen der von der Klägerin vertretenen Ansicht – das Schiff als schwimmender Gebietsteil seines Heimatlandes."
Nach Maßgabe dieser zutreffenden Ausführungen ist im sozialrechtlichen Sinne für ein Seeschiff das Recht maßgeblich, unter dessen Flagge es ausläuft. Bewegt sich ein ausländisches Schiff mithin in deutschen Hoheitsgewässern, handelt es sich sozialrechtlich um ein "schwimmender Gebietsteil" des Flaggenlandes, mithin um eine – je nach Standpunkt - ausländische Enklave/ Exklave. Damit war die Behandlungsnotwendigkeit der Versicherten vorliegend auf einem Schiff mit fremder Flagge (Bahamas) entstanden. Die hierauf folgende Behandlung (ambulante ärztliche Behandlung auf dem Schiff, Transport mit einem Rettungshubschrauber) erfolgte mithin im Ausland im Sinne von § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, sodass zu diesem Zeitpunkt der Krankenversicherungsschutz der Versicherten ruhte und damit auch die Eintrittspflicht der Beklagten. Erst mit Landung auf einem deutschen Hubschrauber-Landeplatz endete das Ruhen. Die hiernach entstandenen Kosten (Rettungsfahrt mittels Krankentransportwagen, stationäre Behandlung in Cuxhaven) hat die Beklagte aber unstreitig und übernommen.
Die erkennende Kammer hat keine Notwendigkeit gesehen, für die Zeit ab der Versorgung im Hubschrauber eine weitere Differenzierung vorzunehmen. Unabhängig davon, wie die Hoheitsrechte im Flugraum über der 12-Seemeilenzone ausgestaltet sind und unter welchem Hoheitszeichen der Helikopter, der die Versicherte evakuierte, registriert war, war hier maßgeblich auf den Ort der Rettungsmaßnahme abzustellen. Denn auch der Rückflug vom Schiff ist kraft Sachzusammenhang der Rettungsmaßnahme auf dem Schiff zuzuordnen. Andernfalls würde das einheitliche Handlungsgeschehen (Hinflug, Abseilen, Evakuierung, Rückflug) künstlich aufgespalten. Vor diesem Hintergrund stellte erst die Landung auf dem Hubschrauberlandeplatz eine Zäsur dar, die eine neue territoriale Zuordnung erforderlich machte. Die Hubschrauber-Rettungsmaßnahme ist somit einheitlich als ein im Ausland erfolgter Rettungstransport anzusehen, sodass der Ruhenstatbestand nach § 16 SGB V vollumfänglich greift.
Abweichende Bestimmungen, die § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ausdrücklich ermöglicht, sind im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Insbesondere waren die §§ 13 Abs. 4 bis 6, 17, 18 SGB V nicht einschlägig. Auch besteht kein bilaterales Sozialversicherungsabkommen der Bundesrebubik Deutschland mit den Bahamas. Dies machen auch die Kläger nicht geltend.
Nach alledem schieden Ansprüche gegen die Beklagte aus.
Eine Verurteilung der Beigeladenen war aus mehreren Gründen nicht möglich. Zum einen wurde dies von den Klägern nicht beantragt, auch nicht als Hilfsantrag, woran das Gericht gebunden war (Grundsatz: ne ultra petita). Zum anderen kann gemäß § 75 Abs. 5 SGG nur ein Versicherungs-, Grundsicherungs- oder Sozialhilfeträger bzw. ein Land als Beigeladener verurteilt werden. Nicht hierzu gehören – wie vorliegend (Aktiengesellschaft, vgl. § 1 Abs. 1 AktG) – natürliche oder juristische Personen des Privatrechts (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 75 Rn 18a). Schließlich fehlt es hier an der für eine Verurteilung notwendigen Wechselwirkung der Ansprüche gegen die Beklagte bzw. Beigeladene. Ein beigeladener Träger kann danach nicht zu einer Leistung verurteilt werden, die sich nach Anspruchsgrund und Rechtsfolgen von der ursprünglich mit der Klage geforderten Leistung wesentlich unterscheidet (Leitherer, a.a.O., § 75 Rn 18). So verhält es sich hier. Die etwaigen Ansprüche der Versicherten gegen die Beigeladene richten sich nach den privatautonomen Vertragsvereinbarungen dieser Parteien in Verbindung mit den hierzu ergangenen Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) und dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG). Damit steht der Versicherungsschutz in keinerlei Wechselwirkungen zu den hier maßgeblichen Vorschriften des SGB V. Daher schied bereits aus prozessualen Gründen eine Verurteilung der Beigeladenen aus. Das Gericht konnte die materiell-rechtliche Einstandspflicht der Beigeladenen mangels Vorlage der Versicherungsbedingungen auch gar nicht beurteilen. Die Kläger sind daher gehalten, das gerichtliche Mahnverfahren gegen die Beigeladene fortzusetzen, auch wenn hierdurch die Gefahr widerstreitender Urteile nicht abgewendet werden kann.
Nach alledem war die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Rechtsstreits Rechnung.
Eine Kostenerstattung findet nicht statt.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Kostenerstattung für eine Evakuierung von einem Kreuzfahrtschiff streitig.
Die Kläger machen als Rechtsnachfolger ihres Vaters, dieser als Rechtsnachfolger der Frau R. M. (geboren am 18.02.1941, verstorben am 14.09.2014 – nachfolgend: Versicherte) Bergungskosten in Höhe von 12.514,88 EUR gegen die beklagte Krankenkasse aufgrund eines Hubschrauber-Krankentransports vom 12.05.2012 geltend.
Die Versicherte war im Jahr 2012 bei der beklagten Krankenkasse gesetzlich krankenversichertes Mitglied. Ab dem 03.05.2012 befand sich die Versicherte auf einer Kreuzfahrturlaubsreise auf der MS Albatros, einem Kreuzfahrtschiff unter der Flagge der Bahamas. Am 12.05.2012 befand sich die die MS Albatros wieder auf der Rückreise und, was zwischen den Beteiligten unstreitig geblieben ist, auf deutschen Hoheitsgewässern. Bei der Versicherten bestand an diesem Tag der Verdacht auf einen erlittenen Herzinfarkt, weswegen die Versicherte auf der MS Albatros durch die Bordärztin Dr. M. R. ärztlich versorgt und später mittels Hubschrauber evakuiert und in ein deutsches Krankenhaus nach Cuxhaven verbracht wurde. Im Krankenhaus wurde eine Viruserkrankung diagnostiziert. Die Kosten für den Transport mit Rettungswagen vom Hubschrauberlandeplatz in Cuxhaven zum Krankenhaus und für die vollstationäre Behandlung im Krankenhaus wurden von der Beklagten getragen.
Unter dem 12.05.2012 berechnete die Behandlerin an Bord der MS Albatros die ärztliche Behandlung mit insgesamt 395,71 EUR. Die Versicherte reichte diese Behandlungsrechnung am 18.05.2012 bei der Beklagten mit der Bitte um Kostenerstattung ein.
Mit Bescheid vom 21.05.2012 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für die Krankenbehandlung an Bord der MS Albatros ab. Unter Berücksichtigung der Bundessozialgericht (BSG)-Entscheidung vom 29.11.1973 (8/2 RU 158/72) sei davon auszugehen, dass ein Schiff auf hoher See als schwimmender Gebietsteil des Landes, unter dessen Flagge es fährt, gelte. Vor diesem Hintergrund könnten diese Behandlungskosten im Ausland nicht übernommen werden.
Hiergegen legte die Versicherte mit Schreiben vom 31.05.2012 Widerspruch ein. Die zitierte BSG-Entscheidung vom 29.11.1973 sei aus zwei Gründen nicht relevant. Zum einen sei die Versicherte – anders als in der BSG-Entscheidung - kein Besatzungsmitglied gewesen und zum anderen habe sich die Erkrankung der Versicherten auf deutschen Hoheitsgewässern zugetragen.
Am 10.07.2012 entschied die Beigeladene, als Trägerin einer privaten Zusatzversicherung u.a. für ausländische Krankenbehandlungen, dass sie die an Bord der MS Albatros entstandenen Behandlungskosten in Höhe von 395,71 EUR aus Kulanz übernehmen werde. Hierüber unterrichtete die Versicherte die Beklagten mit Schreiben vom 18.07.2012.
Unter dem 17.08.2012 stellte sodann die Wehrbereichsverwaltung Ost die Kosten für die Hubschrauberbergung der Versicherten vom 12.05.2012 in Höhe von 12.514,88 EUR in Rechnung. Die Beigeladene lehnte eine Kostenerstattung insoweit mit Schreiben vom 30.08.2012 ab, da sich der Krankentransport auf deutschem Hoheitsgewässern zugetragen habe.
Mit Bescheid vom 20.08.2012 wies die Beklagte den Widerspruch der Versicherten gegen den Ablehnungsbescheid vom 21.05.2012 hinsichtlich der Behandlungskosten in Höhe von 395,71 EUR als unbegründet zurück.
Am 24.09.2012 erhob die Versicherte Klage, mit der sie die Kostenerstattung auch der Transportkosten in Höhe von 12.514,88 EUR begehrte. Hierüber erfuhr die Beklagte erstmalig von dem diesbezüglichen Transportkostenübernahmeantrag der Versicherten, deren Kostenerstattung sie in der Folgezeit mit Bescheid vom 12.02.2013 ablehnte.
Auch hiergegen legte die Versicherte Widerspruch ein, diesmal mit Schreiben vom 26.02.2013, der mit Bescheid vom 29.07.2016 von der Beklagten als unbegründet zurückwiesen wurde.
Während des Klageverfahrens verstarb die Versicherte am 14.09.2013 und wurde zunächst von ihrem Ehemann und nach dessen Tod am 12.03.2016 durch die Kläger beerbt. Diese behaupten, dass die Rechnung der Wehrbereichsverwaltung Ost am 03.06.2013 ausgeglichen worden sei. Die Beklagte habe auch die Transportkosten zu erstatten, da sich die Erkrankung auf deutschen Hoheitsgewässern zugetragen habe, wie das Flottenkommando Glücksburg mit E-Mail vom 20.09.2012 bestätigt habe. Der Transport mit dem Rettungshubschrauber sei aus medizinischer Sicht auch notwendig gewesen, andernfalls er nicht von der Bordärzten der MS Albatros angeordnet worden wäre.
Die Kläger beantragen,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12.02.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2016 zu verurteilen, an sie 12.514,88 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt ihre Bescheide. Im vorliegenden Fall gelte das Flaggenprinzip, sodass der Behandlungsfall der Versicherten wie ein solcher im Ausland zu behandeln sei und zum Ruhen des Krankenversicherungsschutzes der Versicherten am 12.05.2012 geführt habe.
Die Beiladung erfolgte mit Beschluss vom 09.12.2015. Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Inhaltlich lehnte die Beigeladene eine Kostenerstattung ebenfalls ab, da jedenfalls eine Auslandskrankenbehandlung nicht vorgelegen habe. Eine Einstandspflicht aus dem Gesichtspunkt des privaten Versicherungsvertrages komme daher nicht in Betracht.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakte verwiesen. Der wesentliche Inhalt der vorgenannten Akten ist Gegenstand der Kammerberatung und Entscheidungsfindung geworden.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Gegenstand der gerichtlichen Klage ist zuletzt nur noch der Bescheid vom 12.02.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2016 gewesen. Die Behandlungskosten an Bord der MS Albatros sind von der Beigeladenen aus Kulanz übernommen worden. Insoweit ist Erfüllung eingetreten, sodass dieser Anspruch untergegangen ist, § 69 Abs. 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch, 5. Buch (SGB V) in Verbindung mit § 362 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Diese Wirkung tritt auch ein, wenn ein Dritter die Leistung erfüllt, solange Gläubiger und Schuldner nicht widersprechen, § 267 Abs. 1 und 2 BGB.
Zwischen den Beteiligten war daher zuletzt nur noch die Kostenerstattung für die Hubschrauber-Transportkosten vom 12.05.2012 in Höhe von 12.514,88 EUR streitig. Insoweit war die Klage abzuweisen, da die Kläger als Rechtsnachfolger ihres Vaters, dieser als Rechtsnachfolger der am 14.09.2014 verstorbenen Versicherten, keinen Kostenerstattungsanspruch gegen die beklagte Krankenkasse haben und auch eine Verurteilung der Beigeladenen aus prozessualen Gründen nicht in Betracht kam.
Als einzige Anspruchsgrundlage gegen die Beklagte kam insoweit § 13 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch, 5. Buch (SGB V) in Betracht. Danach gilt: "Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war."
Der hiernach in Betracht kommende Kostenerstattungsanspruch reicht dabei nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. statt aller: BSG, Urteil vom 24.09.1996 – 1 RK 33/95 = BSGE 79, 125).
§ 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V räumt als Ausnahme für das im SGB V verankerte Sachleistungsprinzip (§§ 2 Abs. 1 Satz 1, 13 Abs. 1 SGB V) einen Anspruch auf Kostenerstattung nur dann ein, wenn eine von der Krankenkasse geschuldete notwendige Behandlung in Folge eines Mangels im Leistungssystem nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt werden konnte. Dies setzt voraus, dass die Behandlung im Rahmen des allgemeinen Sachleistungsanspruchs erfolgen konnte, dem Versicherten durch die Selbstbeschaffung Kosten entstanden sind, die Leistung unaufschiebbar war und die Krankenkasse sie nicht rechtzeitig erbringen konnte (1. Alternative) oder dass die Krankenkasse sie zu Unrecht abgelehnt hatte (2. Alternative).
Unstreitig ist, dass die Beklagte die hier gegenständliche Leistung (Evakuierung von Bord der MS Albatros) nicht als Sachleistung erbringen konnte, obwohl diese aufgrund des Verdachts auf einen Herzinfarkt unaufschiebbar war. Dennoch besteht kein Leistungsanspruch gegen die Beklagte, denn die nach der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) versicherten Mitglieder einer Krankenkasse haben keinen Anspruch auf eine Krankenbehandlung oder damit verbundener Transportkosten auf einem Schiff unter fremder Flagge. Entgegen der Rechtsansicht der Kläger gilt insoweit nicht das Territorialitätsprinzip, sondern das Flaggenprinzip, wenn ein Schiff sich – wie vorliegend – auf offenen Seegewässern befindet. Das Landessozialgericht (LSG) Schleswig-Holstein hatte in einer Entscheidung vom 30.05.1995 (L 1 KR 4/95 = NZS 1998, 517) für den umgekehrten Fall bereits auf die Maßgeblichkeit des Flaggenprinzips abgestellt. Danach haben Passagiere auf Seeschiffen unter deutscher Flagge – unabhängig von der Schiffsposition – einen Behandlungsanspruch, weil insoweit inländisches Recht fingiert wird. Für den umgekehrten Fall gilt folglich ausländisches Recht, wenn – wie vorliegend – ein Seeschiff unter der Flagge eines ausländischen Staates auf offenen Gewässern segelt; dies ebenfalls unabhängig von der Schiffsposition. Denn insoweit unterstellt das Recht einen Auslandsaufenthalt, bei dem nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V der Anspruch auf Leistungen gegen die Krankenkasse ruht.
Bei einem, auch nur vorübergehenden, Aufenthalt im Ausland oder auf einem Seeschiff auf dem offenen Meer unter nichtdeutscher Flagge ruht der Leistungsanspruch, weil Sachleistungen (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V) grundsätzlich nur im Inland erbracht werden können (vgl. BT-Drs. 11/3480, Seite 164; zur Verfassungsmäßigkeit: BVerfG, Beschluss vom 17.03.2008 – 1 BvR 96/06). Dieser gesetzlicher Sinn und Zweck greift auch bei Seeschiffen auf dem offenen Meer, die unter fremder Flagge segeln. Denn auch insoweit können medizinische Sachleistungen durch Vertragsbehandler nicht erbracht werden.
Ausgehend von diesem Sinn und Zweck ist hier bei der Abgrenzung zwischen in- und ausländischen Erkrankungsfällen auf das Flaggenprinzip abzustellen. Dies ist auch unter dem Gesichtspunkt der Rechtsklarheit zu befürworten, denn es erspart schwierige bis unmögliche Ermittlungen darüber an welcher Stelle im offenen Meer erstmalig eine Erkrankung aufgetreten ist bzw. wo sie erstmalig behandelt wurde.
Diese am Gesetzeszweck orientierte Auslegung lässt sich auch gut mit dem Wortlaut des § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V vereinbaren. Eine gesetzliche Legaldefinition des Begriffs Ausland findet sich nicht. Im Übrigen wird bei Seerechtsfällen oft zwischen dem Territorialitäts- und Flaggenprinzip unterschieden. Das Seerechtsübereinkommen (SRÜ) der Vereinten Nationen, welches seit dem 16.11.1994 in Deutschland in Kraft getreten ist, unterscheidet teilweise zwischen dem Territorialitätsprinzip und dem Flaggenprinzip (vgl. zu den unterschiedlichen Regelungen zur Straf- und Zivilgerichtsbarkeit auf fremden Schiffen Art. 27 und 28 SRÜ). Art. 91 Abs. 1 Satz 2 SRÜ bestimmt, dass Schiffe die Staatszugehörigkeit des Staates besitzen, dessen Flagge zu führen sie berechtigt sind. Nach Art. 92 Abs. 1 Satz 1 SRÜ fahren Schiffe unter der Flagge eines einzigen Staates und unterstehen auf Hoher See seiner ausschließlichen Hoheitsgewalt, mit Ausnahme der besonderen Fälle, die ausdrücklich in internationalen Verträgen oder im SRÜ vorgesehen sind, die hier aber nicht greifen. Angesichts dieser völkerrechtlichen Bestimmung ist auf Schiffen grundsätzlich vom Vorrang des Flaggenprinzips auszugehen. Bestenfalls ist aus Sicht der Kläger im Hinblick auf das Flaggen- und Territorialitätsprinzip der Wortlaut des § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ("Ausland") indifferent, sodass beide Auslegungsoptionen (Territorialitätsprinzip oder Flaggenprinzip) zulässig sind. Nach Auffassung der erkennenden Kammer ist aber dem Flaggenprinzip grundsätzlich – so auch hier – der Vorrang einzuräumen. Diese Rechtsauffassung deckt sich mit einer Vielzahl gerichtlicher Entscheidungen aus anderen Rechtsgebieten. So wurde etwa das bloße Überfahren der Grenze in deutsches Hoheitsgewässer mit einem Seeschiff eines anderen Flaggenstaates nicht als Einreise im Sinne von § 13 Abs. 2 AufenthG angesehen (vgl. Verwaltungsgericht – VG Schleswig- Holstein, Beschluss vom 14.11.2013 – 4 B 58/13).
Die hier favorisierte Rechtsauffassung wird auch durch systematische Auslegungen des Gesetzeswortlautes gestützt. Denn die in § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V geregelte Ruhenswirkung wird nach § 16 Abs. 3 SGB V insbesondere auch für Seemänner an Bord eines Schiffes oder auf Reisen ausgedehnt. Die §§ 42, 43 Seemannsgesetz (SeemG) sehen daher einen Anspruch auf Krankenfürsorge auf Kosten des Reeders vor. Dieser Anspruch entfällt wiederrum, sodass die GKV-Leistungen nicht ruhen, wenn das Schiff in einem Hafen im Geltungsbereich des Grundgesetzes (GG) liegt, der Seemann an Bord bleibt und sich für Leistungen der GKV entscheidet, § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB V. Dies zeigt, dass grundsätzlich nur für Schiffe, die an deutschen Häfen angedockt sind, deutsches Sozialversicherungsrecht Anwendung findet.
In diesem Sinne hat auch das BSG mit Urteil vom 29.11.1973 (8/2 RU 158/72) entschieden. Zwar weisen die Kläger zutreffend darauf hin, dass es in dieser Entscheidung um die Beitragspflicht von ausländischen Seeleuten (pakistanische Laskaren) ging, sodass diese Entscheidung von der Problemdarstellung betrachtet wenig mit dem vorliegenden Fallkonstellation zu vergleichen ist, jedoch hat das BSG in dieser Entscheidung allgemeine Ausführungen zu dem Begriff "Inland" im Sinne des Sozialversicherungsrechts (damals noch nach Maßgabe der RVO) gemacht. So führt das BSG (a.a.O., juris-Rn 30) zutreffend aus:
"Zum Inland gehören auch Seeschiffe, die die Flagge der Bundesrepublik Deutschland führen; ein Schiff auf hoher See gilt nach völkerrechtlicher Auffassung als schwimmender Gebietsteil seines Heimatslandes (Schaps-Abraham, Das deutsche Seerecht, 3. Aufl. Bd. I S. 319; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl. Bd. II, Stand: Juli 1972, § 835 Anm. 8); es wird als solches durch die Führung von dessen Handels- oder Nationalflagge legitimiert (Schaps-Abraham aaO). Da das Schiff die Flagge auch in fremden Häfen führt, muß naturgemäß die Legitimation auch in fremden Häfen gelten; auch dort gilt – entgegen der von der Klägerin vertretenen Ansicht – das Schiff als schwimmender Gebietsteil seines Heimatlandes."
Nach Maßgabe dieser zutreffenden Ausführungen ist im sozialrechtlichen Sinne für ein Seeschiff das Recht maßgeblich, unter dessen Flagge es ausläuft. Bewegt sich ein ausländisches Schiff mithin in deutschen Hoheitsgewässern, handelt es sich sozialrechtlich um ein "schwimmender Gebietsteil" des Flaggenlandes, mithin um eine – je nach Standpunkt - ausländische Enklave/ Exklave. Damit war die Behandlungsnotwendigkeit der Versicherten vorliegend auf einem Schiff mit fremder Flagge (Bahamas) entstanden. Die hierauf folgende Behandlung (ambulante ärztliche Behandlung auf dem Schiff, Transport mit einem Rettungshubschrauber) erfolgte mithin im Ausland im Sinne von § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, sodass zu diesem Zeitpunkt der Krankenversicherungsschutz der Versicherten ruhte und damit auch die Eintrittspflicht der Beklagten. Erst mit Landung auf einem deutschen Hubschrauber-Landeplatz endete das Ruhen. Die hiernach entstandenen Kosten (Rettungsfahrt mittels Krankentransportwagen, stationäre Behandlung in Cuxhaven) hat die Beklagte aber unstreitig und übernommen.
Die erkennende Kammer hat keine Notwendigkeit gesehen, für die Zeit ab der Versorgung im Hubschrauber eine weitere Differenzierung vorzunehmen. Unabhängig davon, wie die Hoheitsrechte im Flugraum über der 12-Seemeilenzone ausgestaltet sind und unter welchem Hoheitszeichen der Helikopter, der die Versicherte evakuierte, registriert war, war hier maßgeblich auf den Ort der Rettungsmaßnahme abzustellen. Denn auch der Rückflug vom Schiff ist kraft Sachzusammenhang der Rettungsmaßnahme auf dem Schiff zuzuordnen. Andernfalls würde das einheitliche Handlungsgeschehen (Hinflug, Abseilen, Evakuierung, Rückflug) künstlich aufgespalten. Vor diesem Hintergrund stellte erst die Landung auf dem Hubschrauberlandeplatz eine Zäsur dar, die eine neue territoriale Zuordnung erforderlich machte. Die Hubschrauber-Rettungsmaßnahme ist somit einheitlich als ein im Ausland erfolgter Rettungstransport anzusehen, sodass der Ruhenstatbestand nach § 16 SGB V vollumfänglich greift.
Abweichende Bestimmungen, die § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ausdrücklich ermöglicht, sind im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Insbesondere waren die §§ 13 Abs. 4 bis 6, 17, 18 SGB V nicht einschlägig. Auch besteht kein bilaterales Sozialversicherungsabkommen der Bundesrebubik Deutschland mit den Bahamas. Dies machen auch die Kläger nicht geltend.
Nach alledem schieden Ansprüche gegen die Beklagte aus.
Eine Verurteilung der Beigeladenen war aus mehreren Gründen nicht möglich. Zum einen wurde dies von den Klägern nicht beantragt, auch nicht als Hilfsantrag, woran das Gericht gebunden war (Grundsatz: ne ultra petita). Zum anderen kann gemäß § 75 Abs. 5 SGG nur ein Versicherungs-, Grundsicherungs- oder Sozialhilfeträger bzw. ein Land als Beigeladener verurteilt werden. Nicht hierzu gehören – wie vorliegend (Aktiengesellschaft, vgl. § 1 Abs. 1 AktG) – natürliche oder juristische Personen des Privatrechts (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 75 Rn 18a). Schließlich fehlt es hier an der für eine Verurteilung notwendigen Wechselwirkung der Ansprüche gegen die Beklagte bzw. Beigeladene. Ein beigeladener Träger kann danach nicht zu einer Leistung verurteilt werden, die sich nach Anspruchsgrund und Rechtsfolgen von der ursprünglich mit der Klage geforderten Leistung wesentlich unterscheidet (Leitherer, a.a.O., § 75 Rn 18). So verhält es sich hier. Die etwaigen Ansprüche der Versicherten gegen die Beigeladene richten sich nach den privatautonomen Vertragsvereinbarungen dieser Parteien in Verbindung mit den hierzu ergangenen Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) und dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG). Damit steht der Versicherungsschutz in keinerlei Wechselwirkungen zu den hier maßgeblichen Vorschriften des SGB V. Daher schied bereits aus prozessualen Gründen eine Verurteilung der Beigeladenen aus. Das Gericht konnte die materiell-rechtliche Einstandspflicht der Beigeladenen mangels Vorlage der Versicherungsbedingungen auch gar nicht beurteilen. Die Kläger sind daher gehalten, das gerichtliche Mahnverfahren gegen die Beigeladene fortzusetzen, auch wenn hierdurch die Gefahr widerstreitender Urteile nicht abgewendet werden kann.
Nach alledem war die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Rechtsstreits Rechnung.
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
Saved