L 1 KR 551/15 ZVW

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 210 KR 746/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 551/15 ZVW
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 6. März 2013 und der Bescheid vom 15. Dezember 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 5. Mai 2010 werden abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von den ihr durch die Beauftragung der Krankenschwester K Fam 28. September 2009 und 29. September 2009 entstandenen Kosten freizustellen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit ist noch ein Kostenfreistellungsanspruch für die Kosten, die der Klägerin durch die Beauftragung einer Privatkrankenschwester am 28. und 29. September 2009 entstanden sind. Der Kostenfreistellungsanspruch bezieht sich primär auf ein rechtskräftiges Versäumnisurteil des Amtsgerichts Schöneberg von Berlin vom 1. April 2010 (Az.: 17 C 24/10), das die Krankenschwester F gegen die Klägerin erstritten hat. Dieses umfasst den Betrag von 671,01 EUR und besteht primär aus einer Vergütung gemäß Dienstvertrag (§ 611 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB) über 624,00 EUR nebst damals bereits entstandenen Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz Mahnkosten sowie Rechtsanwaltsgebühren.

Die 1954 geborene, an amyotropher Lateralsklerose (ALS) mit fortschreitendem Verlauf leidende Klägerin ist auf Pflege und Betreuung rund um die Uhr angewiesen. Sie bezieht Leistungen der sozialen Pflegeversicherung. Ihr behandelnder Arzt verordnet ihr seit Dezember 2003 kontinuierlich häusliche Krankenpflege zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung im Umfang von 24 Stunden täglich. Die Beklagte bewilligte zunächst nur vier Stunden tägliche Behandlungspflege. Sie erhöhte am 8. Januar 2008 die Leistung rückwirkend auf 22 Stunden und 16 Minuten pro Tag. Anschließend bewilligte sie der Klägerin durch E-Mail vom 27. Mai 2009 Leistungen der Behandlungspflege ab dem 25. Mai 2009 nur noch im Umfang von 21 Stunden 18 Minuten täglich. Durch einstweilige Anordnungen des Sozialgerichts Berlin (SG) vom 10. Juli 2009 (S 28 KR 911/09 ER) und 29. September 2009 (S 86 KR 1358/09 ER) wurde sie zur Gewährung von Behandlungspflege ab dem 15. Juli 2009 bis zum 30. April 2010 im Umfang von 24 Stunden täglich verpflichtet. Die Klägerin hatte sich jahrelang mit der Pflege durch Laienkräfte aus dem Angehörigen- und Bekanntenkreis beholfen, weil sie zunächst nur mit wenigen Stunden häuslicher Krankenpflege als Sachleistung auskommen sollte und nach Zuerkennung weitergehender Pflegezeiten bis hin zu der Rund-um die Uhr-Pflege vielfach Einwände gegen die von der Beklagten benannten professionellen Pflegekräfte hatte. Insbesondere lehnte sie männliche Pflegekräfte ab und akzeptierte nur Nichtraucherinnen. Über die Art und Weise der Leistungserbringung sowie über den Umfang des Leistungsanspruches gab es zahlreiche gerichtliche Auseinandersetzungen der Beteiligten. Im Verfahren S 208 KR 172/11 (später S 208 KR 860/11 WA) begehrte die Klägerin für die Zeit ab April 2004 einen Betrag im mehrstelligen Millionenbereich für Kompensation, Wiedergutmachung, Erstattung ersparter Aufwendungen sowie Ausgleich für den "fortdauernden Mordversuch". Das Sozialgericht wies die Klage – rechtskräftig – ab (Gerichtsbescheid vom 18. Juni 2012, bestätigt durch Urteil des hiesigen Gerichts vom 20. März 2013 – L 9 KR 293/12 sowie Bundessozialgericht – BSG, Beschluss vom 10. September 2013 B 3 KR 16/13 B).

Im August 2009 erfolgte die Behandlungspflege durch den Pflegedienst E. Am 31. August 2009 teilte dieser dem Ehemann der Klägerin mit, abgestimmt mit der Beklagten und der Klägerin selbst die Versorgung ab 1. September 2009 einzustellen. Wie die Beklagte mitgeteilt habe, könne die Pflegestation Dr. R die Pflege übernehmen. Die Klägerin antwortete, die Mail überrasche sie. Von der Beklagten habe sie bislang weder Mitteilung erhalten, dass ab 1. September 2009 die Pflege eingestellt werde, noch dass eine Pflegestation Dr. R ihre Pflege übernehmen könne. Tatsächlich beendete der Pflegedienst E die Pflege zum 2. September 2009. Vom 2. September 2009 bis 30. September 2009 fand die Behandlungspflege nicht auf Veranlassung der Beklagten statt. Vielmehr beauftragte die Klägerin verschiedene Privatpersonen bzw. Krankenpflegedienste. Am 28. September 2009 und am 29. September 2009 wurde sie (tagsüber) von der Frau F gepflegt. Am 28. September 2009 schlossen die Klägerin und die Frau F als freiberufliche medizinische Fachkraft dazu einen Dienstleistungsvertrag. Diese verlangte mit Rechnung vom 30. September 2009 von der Klägerin insgesamt wie vereinbart 624,00 EUR. Die Agentur P berechnete der Klägerin unter dem 30. September 2009 85,68 EUR Vermittlungsprovision für den Einsatz Frau F. Die Klägerin reichte mit Schreiben vom 10. Oktober 2009, eingegangen am 12. Oktober 2009, bei der Beklagten in deren Geschäftsstelle Berlin-Mitte unter anderem die Rechnung der Frau F und der Agentur P ein und bat um zeitnahe Überweisung der Beträge auf ihr Konto. Im Dezember 2009 stellte die Beklagte Strafanzeige wegen Verdachts des Betruges gegen die Klägerin und eine der von ihr beauftragten Pflegekräfte, K. Die beiden hätten einen Vertrag und Quittungen über ein Stundenhonorar von 27,00 EUR in der Stunde vorgelegt. Tatsächlich seien aber nur 10,00 EUR in der Stunde vereinbart gewesen. Mit Urteil vom 8. Mai 2012 ([333 Ds] 52 Js 6722/09 [3/12]) verurteilte das Amtsgericht Tiergarten die Pflegekraft K wegen Beihilfe zum Betrug. Das Verfahren gegen die Klägerin wurde wegen Verhandlungsunfähigkeit eingestellt.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 15. Dezember 2009 einen Anspruch auf Kostenerstattung oder Freistellung von den Kosten für die Zeit ab 25. Mai 2009 ab. Es bestehe kein Anspruch auf häusliche Krankenpflege zur Sicherstellung des ärztlichen Behandlungsziels in einem Umfang von 24 Stunden täglich. 21 Stunden und 18 Minuten reichten. Die Beklagte habe ihrerseits alles Erforderliche getan, um der Klägerin häusliche Krankenpflege als Sachleistung durch Pflegedienste zur Verfügung zu stellen. Ab dem 28. Mai 2009 habe der Pflegedienst E die Behandlungspflege im bewilligten Umfang übernehmen können. Bis zum 31. Juli 2009 sei dies daran gescheitert, dass die Klägerin den Pflegedienst mit überzogenen Forderungen konfrontiert habe und die Klägerin sich auf die von ihr gegenüber den selbstbeschafften Kräften bestehenden Kündigungsfristen berufen habe. Unter anderem habe die Klägerin anlässlich des Aufnahmegespräches am 28. Mai 2009 vom Pflegedienst die Zahlung von Wassergeld und Stromkosten sowie die Übernahme der Grundpflege verlangt, obwohl diese nicht von der Krankenkasse zur Verfügung zu stellen seien. Abgesehen davon habe die Klägerin auf Behandlungspflege allein durch weibliche Fachkräfte bestanden. Diese Forderung sei vor dem Hintergrund nicht nachvollziehbar, dass die Behandlungspflege lediglich das Auf- und Absetzen der Beatmungsmaske sowie das Ein- und Ausschalten des Beatmungsgerätes zum Gegenstand habe. Die Intimsphäre werde durch diese Form der Behandlungspflege nicht tangiert. Am 1. August 2009 habe der Pflegedienst E die Versorgung wieder aufgenommen, diese aber zum 2. September 2009 wieder einstellen müssen, weil die Klägerin den Pflegekräften vorgeworfen habe, sie zu belügen, zu bestehlen und ihren Körper zu verletzen. Es habe davon ausgegangen werden müssen, dass das erforderliche Vertrauensverhältnis endgültig zerrüttet sei. Die Beklagte habe sich bemüht, trotz des Verhaltens der Klägerin weiterhin die häusliche Krankenpflege als Sachleistung durch einen Vertragspartner zu erbringen. Die Pflegedienste Dr. R und T & P Heimbeatmungsdienst GmbH hätten die erforderliche Behandlungspflege nur deshalb nicht erbringen können, weil die Klägerin deren Leistungsangebot nicht angenommen habe. Dr. R und T habe hierzu mündlich ausgeführt, dass die Klägerin nach "seinem Eindruck" letztlich keine Sachleistung wünsche. Zu dem habe sich auch dieser Pflegedienst überzogenen Forderungen ausgesetzt gesehen. Es bleibe festzuhalten, dass eine tatsächliche Leistungserbringung erfahrungsgemäß letztlich an nichterfüllbaren Forderungen der Klägerin an die Pflegedienste scheitere. Dazu gehörten beispielsweise finanzielle Ausgleiche für die Abnutzung der Wohnungseinrichtung sowie Stromkosten, umfangreiches Anforderungsprofil an die Pflegekräfte – z. B. Ausschluss von Tierhaltern und Parfümträgern – sowie die Verrichtung von grundpflegerischen und hauswirtschaftlichen Tätigkeiten durch die Pflegedienste. Auch scheitere eine Kostenerstattung daran, dass nachvollziehbare bestehende Forderungen nicht vorlägen. Die Klägerin habe zwar Verträge, Leistungsnachweise und Rechnungen vorgelegt. Die Unterlagen erschienen jedoch insgesamt unschlüssig. So habe die Klägerin für den Zeitraum ab September 2009 nicht mehr gültige Verträge mit selbstbeschafften Kräften vorgelegt. Den Rechnungen haben teilweise die Steuernummern gefehlt. In einem gerichtlichen Verfahren habe eine Pflegekraft mitgeteilt, dass den Rechnungen keine Kalkulation zugrunde liege. Zahlungsbelege über erhaltene Vergütungen seien nicht beigebracht worden. Eine andere Pflegekraft habe widersprüchliche Angaben zur Höhe der vereinbarten Vergütung gemacht.

Die Klägerin legte Widerspruch ein, mit dem sie unter anderem für die Zeit für die Zeit vom 2. September 2009 bis zur Wiederaufnahme der Behandlungspflege durch die Beklagte das Doppelte der 28,50 EUR pro Stunde forderte, welche die Beklagte eingespart habe.

Am 4. Mai 2010 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben und zunächst beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die Summe von 692,01 EUR dem Konto der Rechtsanwältin S D bis zum 7. Mai 2010 gutzubringen und ihr die gleiche Summe als immateriellen Schaden zu zahlen.

Die Beklagte hat den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 15. Dezember 2009 mit Widerspruchsbescheid vom 5. Mai 2010 zurückgewiesen. Es bestehe kein Anspruch auf Behandlungspflege im Umfang von 24 Stunden täglich. Weiter bestehe kein Anspruch auf Kostenerstattung unter anderem für Zeiten vom 2. September 2009 bis zum 31. Dezember 2009. Die Klägerin habe nur Anspruch auf Behandlungspflege im Umfang von täglich 21 Stunden und 18 Minuten. Ein Anspruch auf Kostenerstattung für eine selbstbeschaffte Kraft bestehe nicht, weil sie – die Beklagte – alles Erforderliche getan habe. Die Klägerin habe durch ihr eigenes Verhalten die Erbringung von Sachleistungen verhindert. Auch bestünden erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der zu den Honoraren gemachten Angaben.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 6. März 2013 abgewiesen. Soweit die Klägerin die Freistellung von der Forderung der KFi begehre, sei die Klage unzulässig. Hinsichtlich dieser Forderung sei bereits das weitere Klageverfahren zum Aktenzeichen S 76 KR 1333/09 anhängig, in dem ausweislich des Schriftsatzes der Klägerin vom 14. August 2012 unter anderem um die Erstattung von Aufwendungen für die selbstverpflichteten Krankenschwestern für den Zeitraum vom 24. Mai 2009 bis zum 31. Dezember 2009 gestritten werde (späteres Az.: S 28 KR 953/14, Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 1 KR 496/14). Das hiesige Klageverfahren sei deshalb wegen doppelter Rechtshängigkeit unzulässig.

Hiergegen hat die Klägerin Berufung erhoben. Es sei nicht über den Klageantrag entschieden worden. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, die Krankenschwester bzw. den Pflegedienst zu beauftragen. Da sie ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen sei, habe die Klägerin die Krankenschwester F beauftragt. Über Jahre habe ein Widerspruchsbescheid gefehlt. Der nunmehr vorgelegte sei nicht entsprechend den Gesetzen und der Satzung der Beklagten zustande gekommen. Sie hat neben der Aufhebung des Gerichtsbescheides sowie dem erstinstanzlichen Antrag zusätzlich beantragt, hilfsweise das Verfahren an das Sozialgericht Berlin zurückzuverweisen sowie die Beklagte zu verurteilen, das verbindliche Formular "Verordnung häuslicher Krankenpflege" der Rechtslage anzupassen und ihren Widerspruchsausschuss rechtmäßig zu besetzen. Die Beklagte hat der Klageerweiterung im Berufungsverfahren widersprochen.

Der Senat hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 2. Juni 2014 nach § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Berichterstatter zu Entscheidung zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.

Er hat mit Urteil vom 14. November 2014 die Berufung zurück- und die weitergehende Klage abgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Möglichkeit einer Zurückverweisung an das Sozialgericht sei nicht eröffnet. Die Klage sei unzulässig, weil ihr die Rechtskraft des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Berlin vom 28. Juni 2012 (Az.: S 208 KR 860/11 WA) und des korrespondierenden Berufungsurteils des hiesigen Gerichts vom 10. März 2013 (L 9 KR 293/12) entgegenstehe. Auch sei das Klageverfahren des Sozialgerichts Berlin S 28 KR 953/14 noch nicht rechtskräftig abgeschlossen. Die Klageerweiterung in der Berufungsinstanz sei nicht sachdienlich im Sinne des § 99 SGG, da sie ein völlig losgelöstes Begehren beinhaltete.

Auf die Beschwerde der Klägerin hiergegen hat das Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom 29. November 2015 das vorgenannte Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das hiesige Gericht zurückverwiesen, soweit die Klage den Anspruch auf Freistellung von den Kosten der häuslichen Pflege der Klägerin am 28. und 29. September 2009 in Höhe von 672,01 EUR betrifft (Az. B 3 KR 29/14 B). Die weitergehende Beschwerde ist als unzulässig verworfen worden. Der hiesige Senat habe die Klage auf Freistellung von den der Krankenschwester F zustehenden Kosten zu Unrecht als unzulässig angesehen und eine Entscheidung in der Sache verfahrensfehlerhaft unterlassen. Der Kostenfreistellungsanspruch für die häusliche Krankenpflege dieser Krankenschwester sei nicht Bestandteil eines anderen zwischen den Beteiligten geführten oder noch anhängigen Rechtsstreites. Im Verfahren S 28 KR 953/14 des SG sei es ursprünglich um Kostenerstattung für die Zeit vom 25. Mai 2009 bis zum 1. August 2009 gegangen. Der weitere Zeitraum 2. September 2009 bis 31. Dezember 2009, der die beiden Tage der vorliegenden Klage formal miterfasse, sei erst mit Schreiben vom 14. August 2012 in den Rechtsstreit eingeführt worden, also erst nach Klageerhebung im hiesigen Rechtsstreit. Das SG habe diese Klageerweiterung als unzulässig angesehen, weil der Bescheid vom 25. Dezember 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Mai 2010 mit der Klageerweiterung verspätet angefochten worden sei und deshalb für die Zeit vom 2. September 2009 bis 31. Dezember 2009 Bestandskraft erlangt habe. Dies treffe hinsichtlich der hier interessierenden zwei Tage Ende September 2009 nicht zu. Hier sei bereits zuvor Klage erhoben gewesen. Außerdem gehe es in dem anderen Verfahren um die Kostenerstattung für selbstbeschaffte Pflegeleistung der Pflegekräfte D, S, K und M, nicht aber um Kostenerstattung von Leistungen der Krankenschwester F. Der Anspruch auf Kostenerstattung bzw. Kostenfreistellung nach § 13 Abs. 3 oder § 37 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) sei auch nicht gleich zu setzen mit dem Anspruch auf Erstattung ersparter Aufwendungen der in anderen Verfahren rechtshängig sei. Dieser ziele auf die Abschöpfung jener finanziellen Vorteile, welche der Beklagten in Folge der – weitgehend kostenfreien – Erbringung der von ihr geschuldeten Pflegeleistungen durch Laienkräfte erwachsen seien.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 6. März 2013 und den Bescheid vom 15. Dezember 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 5. Mai 2010 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, sie von den Kosten der am 28. September 2009 und 29. September 2009 durch Beauftragung der Krankenschwester K F selbstbeschafften häuslichen Krankenpflege frei zu stellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie beruft sich auf das Urteil des hiesigen Senats vom 24. Februar 2017 (L 1 KR 496/14), dessen Gründe auch auf den hier betroffenen Streitgegenstand zuträfen. Darüber hinaus habe die Klägerin die Erbringung der Sachleistung durch ihr eigenes Verhalten verhindert. Ausweislich der Gesprächsnotiz der Sachbearbeiterin J über ihr Telefonat am 27. August 2009 mit Herrn K des Pflegedienstteams Dr. R habe Familie L sinngemäß geäußert, keinen Pflegedienst über die Krankenkasse zu wollen. Zudem habe Herr L Strom- und Wassergeld verlangt und das Mitbringen von Toilettenpapier usw. gefordert. Zuletzt sei es der Beklagten nicht zuzurechnen, wenn die Klägerin ihren privatrechtlichen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkomme.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte in der Besetzung durch den Berichterstatter zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern gemäß § 153 Abs. 5 SGG entscheiden. Der Rechtsstreit weist keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf (§ 105 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Berufung im noch rechtshängigen Umfang hat Erfolg.

Die Klage ist insoweit als Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig. Aufgrund der bindenden Entscheidung des BSG steht fest, dass der Streitgegenstand nicht identisch ist mit dem des Verfahren des SG Berlin S 208 KR 860/11 WA / LSG Berlin-Brandenburg L 9 KR 293/12. Gleiches gilt auch hinsichtlich des Verfahrens S 28 KR 953/14 / L 1 KR 496/14.

Die Klage ist in diesem Umfang auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 15. Dezember 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 5. Mai 2010 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit es die Beklagte darin auch abgelehnt hat, der Klägerin speziell die ihr durch die Beauftragung der Krankenschwester entstandenen Kosten zu übernehmen. Dahingestellt kann dabei bleiben, ob Rechtsgrundlage des Freistellungsanspruchs § 13 Abs. 3 SGB V oder § 37 Abs. 4 SGB V oder beide Normen kombiniert ist. Nach § 37 Abs. 4 SGB V sind den Versicherten die Kosten für eine selbstbeschaffte Kraft für Krankenpflegeleistungen in angemessener Höhe zu erstatten, wenn die Krankenkasse keine Kraft für die häusliche Krankenpflege stellen kann oder Grund besteht, davon abzusehen. Allgemein sind nach § 13 Abs. 3 SGB V Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (§ 13 Abs. 3 Satz 1 Alternative 1 SGB V) oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hatte (§ 13 Abs. 3 Satz 1 Alternative 2 SGB V). Unaufschiebbarkeit verlangt, dass die beantragte Leistung im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Erbringung so dringlich ist, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten Aufschubes mehr besteht, um vor der Beschaffung die Entscheidung der Krankenkasse abzuwarten (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27. Juni 2017 – L 11 KR 2703/16 –, juris -Rdnr. 29 mit Bezugnahme auf BSGE 96, 170, Rdnr. 13, BSGE 98, 26 Rdnr. 23; Helbig in: Schlegel/Voelzke, juris BK-SGB V, 3. Auflage 2016, § 13 SGB V Rdnr. 41 mit Nachweisen der BSG-Rechtsprechung). Ein Zuwarten darf dem Versicherten aus medizinischen Gründen nicht mehr zumutbar sein, weil der angestrebte Behandlungserfolg zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr eintreten kann oder z. B. wegen der Intensität der Schmerzen ein auch nur vorübergehendes weiteres Zuwarten nicht mehr zuzumuten ist (BSG SozR 4-2500 § 18 Nr. 7 Rdnr. 18). Dies gilt nicht nur dann, wenn es dem Versicherten - aus medizinischen oder anderen Gründen - nicht möglich oder nicht zuzumuten war, vor der Beschaffung die Krankenkasse einzuschalten (vgl. BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 22 S 105), sondern auch in Fällen, bei denen der Versicherte die Entscheidung seiner Krankenkasse nicht mehr abwarten kann. Unaufschiebbar kann danach auch eine zunächst nicht eilbedürftige Behandlung werden, wenn der Versicherte mit der Ausführung so lange wartet, bis die Leistung zwingend erbracht werden muss, um den mit ihr angestrebten Erfolg noch zu erreichen oder um sicherzustellen, dass er noch innerhalb eines therapeutischen Zeitfensters die benötigte Behandlung erhalten wird (so -weitgehend wörtlich- LSG Baden-Württemberg, a. a. O. Rdnr. 29 mit Bezugnahme auf BSG, Urt. v. 8. September 2015 -1 KR 14/14 R).

Für die Zeit ab 27. Mai 2009 hat der Senat im Urteil vom 24. Februar 2017 ausgeführt, sich nicht die Überzeugung bilden zu können, dass die Beklagte über dieses Datum hinaus nicht in der Lage gewesen wäre, der Klägerin Leistungen der häuslichen Krankenpflege im verordneten Umfang zur Verfügung stellen. Dies setze nämlich voraus, dass die fehlende Möglichkeit zur Inanspruchnahme von Behandlungspfleger als Sachleistung eine Ursache habe, die dem Verantwortungsbereich der Beklagten anzulasten sei. Eine Situation nach § 13 Abs. 3 SGB V läge bei einer ohne sachlichen Grund ausgesprochenen Weigerung des Versicherten, Sachleistungen der häuslichen Krankenpflege entgegen zunehmen, nicht vor. Speziell für die hier indirekt streitgegenständlichen Tage des 28. September 2009 und des 29. September 2009 gilt diese Wertung jedoch nicht:

Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass die Beklagte die bei der Klägerin aus medizinischen Gründen lebensnotwendige unaufschiebbare häusliche Krankenpflege in Form der Überwachung mangels Vereinbarung mit einem Pflegedienst nicht erbringen konnte. Es kann ferner nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin für die hier relevanten Tage unzweideutig Pflegeleistungen auf Veranlassung der Beklagten abgelehnt hat:

Es ist bereits unklar, ob sich die Beklagte darauf berufen kann, davon ausgehen zu können, dass sich die Klägerin die Beendigung der Pflege durch den Pflegedient E zum 1. September 2009 selbst zuschreiben lassen müsse. Sie hat sich nämlich nicht direkt mit dieser selbst auseinandergesetzt.

Weiter ist nicht sicher davon auszugehen, dass die Klägerin eine Pflege durch die weiter von der Beklagten eingeschalteten Pflegedienste schuldhaft verweigert hat. Es ist unklar, was zwischen der Klägerin und dem angedachten Pflegedienst Dr. R vorgefallen sein soll. Ein Versicherter muss nicht schlechthin jede Pflegekraft akzeptieren. Je nach den Umständen hat die Rechtsprechung besonderen Wert auf die passive Pflegebereitschaft gelegt. Gibt es sachlich nachvollziehbare Gründe dafür, dass der Pflegebedürftige eine Versorgung durch die in Betracht kommenden Haushaltsangehörigen bei einzelnen Maßnahmen der Behandlungspflege verweigert, kann sich die Krankenkasse nicht auf die Subsidiarität ihrer Leistungspflicht nach § 37 Abs. 3 SGB V berufen (Luthe in: Hauck/Noftz, SGB, 08/16, § 37 SGB V Rdnr. 156 mit Bezugnahme auf BSG SozR 4 – 2590 § 37 Nr. 3; Satz 3 – 2500 § 37 Nr. 2).

Soweit die Beklagte vorträgt, es wäre hier nicht um Pflege im Intimbereich gegangen blendet sie bereits aus, dass (jedenfalls) nach ihrer eigenen damaligen Argumentation der rund um die Uhr beauftragte Pflegedienst nicht nur die Behandlungspflege nach dem SGB V sondern auch die "normale" (Grund-)Pflege nach dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) übernehmen sollte. Denn der von ihr zur damaligen Zeit reklamierte Abzug setzt entsprechend der Rechtsprechung des BSG zur Kostenverteilung bei einer rund um die Uhr erforderlichen häuslichen Krankenpflege nach § 37 Abs. 2 SGB V in Form des hälftigen (zeitlichen) Abzuges der reinen Grundpflege zwischen Krankenkasse und Pflegekasse voraus, dass die Pflegekraft zugleich die Grundpflege (§ 36 SGB XI) durchführt und sämtliche Leistungen nach einem einheitlichen Stundensatz abgerechnet werden (BSG, Urteil vom 17. Juni 2010 – B 3 KR 7/09 R –, BSGE 106, 173-185, Rdnr. 28). Die Argumentation im streitgegenständlichen Bescheid, die Klägerin fordere auch Leistungen der Grundpflege bzw. nicht um spezifische Rücksichtnahmen bei der Durchführung von Grundpflege ist widersprüchlich.

Abgesehen davon hat die Beklagte die Klägerin nicht in eine einem Annahmeverzug entsprechenden Situation gesetzt. Nach allgemeinen Grundsätzen gerät ein Gläubiger nur nach Maßgabe der §§ 293-296 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Annahmeverzug. Es ist dazu grundsätzlich ein Leistungsangebot des Schuldners erforderlich. Die Art und Weise des Angebots richtet sich nach dem Verhalten des Gläubigers, §§ 295, 296 BGB (Belling/Riesenhuber in: Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 615 BGB, Rdnr. 11). Entsprechend kann sich die Beklagte jedenfalls in der konkreten Situation nicht pauschal darauf berufen, alles Erforderliche getan zu haben. Ein ausdrückliche oder konkludente Mitteilung, einen bestimmten Pflegedienst beauftragen zu wollen, liegt für die beiden hier relevanten Tage nicht vor. Dass die Klägerin unter anderem für diesen Zeitraum generell und eindeutig auf Pflegeleistungen als Sachleistungen verzichtet hat, kann ebenfalls nicht angenommen werden. Entsprechende Willenserklärungen trägt die Beklagte selbst nicht vor. Sie beruft sich im Wesentlichen auf Aussagen lediglich der Pflegedienste selbst.

Da im Streit der Kostenfreistellungsanspruch hinsichtlich der Pflege durch die Frau F steht, welche die Klägerin an den beiden Tagen nur je zwölf Stunden tagsüber betreut hat, kann dahingestellt bleiben, ob ihr nicht die Übernahme der Kosten für 24 Stunden tägliche Behandlungspflege zugestanden hätte oder ob genannten entsprechend der Rechtsprechung des BSG ein Abzug vorgenommen hätte werden müssen. Denn ihr stand unstreitig mindestens 21 Stunden 18 Minuten zu, und damit mehr als 12 Stunden pro Tag. Nach dem Vortrag der Beklagte kann allerdings -wie ausgeführt- per se kein Abzug vorgenommen werden, da danach die Grundpflege gerade nicht zugleich durchgeführt sein sollte. Sie stellte wiederholt darauf ab, dass es nicht um Intimpflege sondern "nur" um die Beatmungsüberwachung gegangen sei (ebenso bereits SG Berlin, Urt. vom 12. November 2014 -S 28 KR 953/14).

Der Anspruch scheitert ferner nicht daran, dass von einer Verbindlichkeit der Klägerin gegenüber der Krankenschwester F nicht ausgegangen werden kann. Es gibt hier keine Anhaltspunkte, dass mit dem Vertrag vom 28. September 2009 gegen ein gesetzliches Verbot nach § 134 BGB verstoßen werden sollte. Ein Freistellungsanspruch aus § 13 Abs.3 SGB V setzt nach ständiger Rechtsprechung des BSG voraus, dass der Versicherte einer rechtsgültigen Zahlungsverpflichtung ausgesetzt ist (BSG, Urteil vom 18. Juli 2006 –B 1 KR 24/05 R –, BSGE 97, 6-16 juris-Rdnr. 24 mit weiteren Nachweisen). Dies ist vorliegend der Fall.

Dass es sich des Weiteren bei der Vermittlungsleistung durch das Unternehmen P um eine Scheinleistung gehandelt haben könnte, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Soweit sich die Klägerin noch der entsprechenden Forderung ausgesetzt sieht, umfasst der Freistellungsanspruch auch diese Forderung nebst eventuell entstandenen Folgekosten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Da die Klägerin mit dem Kern ihres Begehrens durchgedrungen ist, ist es sachgerecht, sie von den ihr entstandenen außergerichtlichen Kosten insgesamt für das gesamte Verfahren einschließlich des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundessozialgericht freizustellen.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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