L 9 SO 88/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 8 SO 8/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 SO 88/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 11.12.2013 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch in diesem Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um einen Anspruch des Klägers auf Übernahme der Kosten für Bifokalgläser.

Der am 00.00.2005 geborene Kläger leidet an einem angeborenen Grauen Star (Katarakt), der durch eine operative Entfernung der Linsen behandelt wurde. Seitdem ist der Kläger auf eine besondere Brille (sog. Starbrille) oder das Tragen von Kontaktlinsen angewiesen. Der Vater des Klägers (geb. 1972) ist von Beruf Arzt und hatte im März 2010 ein Nettogehalt von 4001,15 EUR monatlich; seine Mutter (geb.1978) ist nach Aktenlage nicht berufstätig. Die Familie bewohnt ein Eigenheim mit einer Wohnfläche von 145 m². Für Strom, Wasser und Fernwärme zahlte die Familie im Jahr 2010 einen monatlichen Abschlag von 178 EUR, die Grundbesitzabgaben betrugen im Jahr 2009 998,84 EUR und der Beitrag zur Wohngebäudeversicherung 173,33 EUR. Ferner bestand eine Hausratversicherung (111,42 EUR jährlich) und Kfz-Versicherungen für zwei Fahrzeuge (358,85 EUR bzw. 358,20 EUR jährlich). Der Kläger hat eine jüngere Schwester (K, geb. 2009), die ebenfalls an einem angeborenen Grauen Star leidet, darüber hinaus einen älteren Bruder (D, geb. 2003). Der Kläger ist über seinen Vater bei der B privat krankenversichert. Der maßgebliche Tarif sieht für Sehhilfen eine Erstattung von bis zu 307 EUR in 24 Monaten vor.

Am 22.04.2010 beantragten die Eltern des Klägers bei der Beklagten Sozialhilfe. Zur Begründung gaben sie an, sie begehrten die Übernahme der Kosten für die starken Sehhilfen des Klägers und seiner Schwester K. Auf Anforderung der Beklagten legte der Vater des Klägers Unterlagen über die Kosten für Unterkunft und Heizung sowie Kontoauszüge vor

Mit Bescheid vom 28.04.2010 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Bei dem die Leistungen der privaten Krankenversicherung übersteigenden Kostenanteil für die Sehhilfen handle es sich um Zuzahlungen, die dem Lebensunterhalt zuzuordnen seien und nicht im Rahmen der Eingliederungshilfe übernommen werden könnten. Der Kläger legte Widerspruch ein und trug zur Begründung vor, die Übernahme von Kosten für Sehhilfen sei im Tarif der privaten Krankenversicherung ausgeschlossen. Es würden Leistungen der Eingliederungshilfe geltend gemacht, die einkommens- und vermögensunabhängig zu gewähren seien. Der Kläger legte ein Attest der Universitäts-Augenklinik F vom 11.05.2010 vor, aus dem hervorgeht, dass die Linsen bei dem Kläger im Alter von wenigen Monaten entfernt worden sind. Mit der Handhabung der anschließend verordneten Kontaktlinsen gebe es Probleme, sodass meist die Starbrille genutzt werde. Es komme aufgrund des Wachstums des Klägers wiederkehrend zu Fraktionsänderungen, sodass neue Kontaktlinsen bestellt werden müssten. Eine Starbrille sei aufgrund ihres Gewichts bei einem Kleinkind jedoch nur in Ausnahmefällen sinnvoll und verursache eine starke Gesichtsfeldeinschränkung. Bei dem Kläger sei sie allerdings die zurzeit bevorzugte Versorgung. Der Kläger legte weiter ein Schreiben der B vor, demzufolge ein Wechsel in den Basistarif bei Hilfebedürftigkeit nach den Sozialgesetzbüchern möglich sei. Dies sei bei ihm nicht der Fall. Die Beklagte forderte weitere Unterlagen über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Familie an, unter anderem Kraftfahrzeugscheine und -briefe für die beiden Pkw, Unterlagen über Baudarlehen, den Grundstückskaufvertag, Versicherungspolicen, Angaben über auf das Girokonto geleistete Einzahlungen, Nachweise über ein weiteren Bankkonto sowie Einkommensnachweise der Eltern des Klägers. Die Vorlage von Unterlagen über die Vermögensverhältnisse seiner Eltern lehnte der Kläger ab.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.12.2010 wurde der Widerspruch nach Beteiligung sozial erfahrener Personen zurückgewiesen. Konkrete Angaben über die für den Kläger tatsächlich angefallenen Kosten lägen nicht vor. Sollten die Leistungen der privaten Krankenkasse tatsächlich unter dem Leistungsrahmen der gesetzlichen Krankenversicherung liegen, kämen dem Grunde nach Leistungen der Hilfe zur Gesundheit nach dem Fünften Kapitel Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) in Betracht. Diese seien allerdings einkommens- und vermögensabhängig, weshalb im Verwaltungsverfahren entsprechende Nachweise angefordert worden seien, die jedoch nicht vorgelegt worden seien. Eine Zuordnung von Hilfebedarfen, die innerhalb des Leistungsrahmens der gesetzlichen Krankenversicherung liegen, zu Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel SGB XII sei nicht möglich. Ein Wechsel in den Basistarif sei nach § 204 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) möglich, wenn Hilfebedürftigkeit eintrete, die von dem Kläger ja geltend gemacht werde. Der Kläger werde im Übrigen an den zuständigen Leistungsträger nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) verwiesen.

Am 14.01.2011 hat der Kläger gemeinsam mit seiner Schwester K Klage zum Sozialgericht Münster erhoben und zunächst einen Anspruch auf Kostenerstattung in Höhe von 977 EUR für Brillengläser und -fassung geltend gemacht. Dazu hat er eine Rechnung des Optikers Kruse vom 24.09.2010 über 139 EUR für eine Brillenfassung und jeweils 419 EUR für zwei Gläser vorgelegt. Im weiteren Verlauf des Verfahrens hat er nur den Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Gläser weiterverfolgt. Ein Erstattungsanspruch ergebe sich aus § 15 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX).

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 10.03.2011 das Verfahren der Schwester des Klägers abgetrennt.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2010 zu verurteilen, ihm Sozialhilfe in Gestalt der Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten für eine Sehhilfe in Höhe von 838 EUR zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat Bezug auf die angegriffenen Bescheide genommen und vorgetragen, die Höhe des ungedeckten Bedarfs sei nicht geklärt.

Mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 11.12.2013 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Kammer gehe mit der Beklagten und entgegen der Rechtsauffassung des Klägers davon aus, dass der Kläger allein Leistungen der Sozialhilfe in Gestalt der Hilfe bei Krankheit im Sinne des § 48 SGB XII begehren könne. Zur Begründung werde auf die Ausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 15.12.2010 verwiesen.

Das Urteil ist dem Bevollmächtigten des Klägers am 04.02.2014 zugestellt worden.

Am 04.03.2014 hat der Kläger Berufung eingelegt und einen Anspruch auf Kostenerstattung für Bifokalbrillengläser in Höhe von 838 EUR als Leistung der Eingliederungshilfe, nicht aber als Leistung der Krankenhilfe geltend gemacht. Der Kläger hat zunächst die Ansicht vertreten, die benötigten Brillengläser seien als Hilfsmittel im Sinne von § 33 SGB Fünftes Buch (SGB V) anzusehen. Gemäß §§ 53, 54 Abs. 1 S. 1 SGB XII i.V.m. §§ 26 Abs. 2 Nr. 6, 31 Abs. 1 SGB IX seien diese wegen Vorliegens einer wesentlichen Behinderung auch im Rahmen der Eingliederungshilfe als Leistung zur medizinischen Rehabilitation zu gewähren. Die Zuständigkeit der Beklagten ergebe sich aus § 2 Abs. 1 SGB XII, da wegen der privaten Krankenversicherung kein vorrangiger sozialer Leistungsträger zur Verfügung stehe. Eine Versorgung zum Festbetrag sei bei der Eigenart der benötigten Gläser nicht möglich. Ein Grad der Behinderung sei bei dem Kläger nicht festgestellt worden. Der Kläger hat ein weiteres Attest der Universitäts-Augenklinik F vom 07.04.2015 vorgelegt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 11.12.2013 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2010 zu verurteilen, dem Kläger als Leistung der Eingliederungshilfe 838 EUR für die im September 2010 erworbene Sehhilfe zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie nimmt Bezug auf die angegriffenen Bescheide und das Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren. Mit dem Wechsel in den Basistarif stehe dem Kläger eine Selbsthilfemöglichkeit zur Verfügung. Die Beklagte hatte zunächst eine ärztliche Stellungnahme ihres Gesundheitsamts (Kinderärztin Dr. E) vom 01.09.2014 vorgelegt, nach der bei dem Kläger eine Teilhabeeinschränkung im Sinne von § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII vorliegen sollte. In einer weiteren Stellungnahme der Amtsärztin Dr. E vom 20.10.2014 kommt diese nun zu dem Ergebnis, dass der Kläger nicht im Sinne des § 53 Abs. 1 S. 1 1. Alt. SGB XII wesentlich in seiner Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt sei.

Das Gericht hat Befundberichte bei der Universitäts-Augenklinik F (Dr. T) vom 03.07.2014, der Universitäts-Augenklinik N (Dr. H) vom 23.07.2014 und der Augenabteilung am St. G-Hospital N (Dr. S) vom 12.08.2014 eingeholt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Streitakte Bezug genommen.

Auf die Befundberichte hat sich der Kläger nochmals zum Vorliegen einer wesentlichen Behinderung geäußert und nicht mehr bestritten, dass er über eine korrigierte Sehschärfe von mehr als 0,3 verfüge, sodass tatsächlich nur ein Anspruch auf eine in das Ermessen der Beklagten gestellte Leistung nach § 53 Abs. 1 S. 2 SGB XII in Betracht komme. Es sei allerdings von einer Ermessensreduzierung auf Null auszugehen.

Der Senat hat weiter eine Auskunft bei der B eingeholt, die unter dem 18.02.2014 mitgeteilt hat, die Rechnung vom 24.09.2010 über 977 EUR für eine Bifokalbrille sei eingereicht worden. Es sei jedoch keine Erstattung erfolgt, da der tariflich vereinbarte Höchstsatz von 307 EUR ausgeschöpft gewesen sei.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten - insbesondere des Inhalts der medizinischen Unterlagen - wird auf die Streitakte und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Die Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige, insbesondere statthafte und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 11.12.2013 ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 28.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2010 ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Gegenstand des Klage- und Berufungsverfahrens ist der von dem Kläger angefochtene Bescheid vom 28.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2010 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte die Übernahme der Kosten für eine Bifokalbrille als Leistung der Sozialhilfe abgelehnt hat. Im gerichtlichen Verfahren macht der Kläger nach zwischenzeitlicher Selbstbeschaffung noch einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Brillengläser in Höhe von 838 EUR geltend. Statthafte Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage, § 54 Abs. 1 S. 1, 4, § 56 SGG.

Der angefochtene Bescheid ist formell rechtmäßig. Die sachliche Zuständigkeit des örtlichen Trägers der Sozialhilfe richtet sich nach §§ 97 Abs. 1, 99 Abs. 1 SGB XII. Eine vorrangige Zuständigkeit des überörtlichen Trägers nach § 97 Abs. 2 SGB XII i.V.m. § 2a der Ausführungsverordnung zum SGB XII des Landes Nordrhein-Westfalen (AG-SGB XII NRW) ist nicht gegeben. Zuständiger örtlicher Träger der Sozialhilfe ist hier die kreisfreie Stadt N gemäß § 1 Abs. 1 AG-SGB XII NRW (a. F.).

Der Bescheid erweist sich auch in materiell-rechtlicher Hinsicht als rechtmäßig. Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Eingliederungshilfe ist § 19 Abs. 3 SGB XII in Verbindung mit § 53 Abs. 1 S. 2 SGB XII.

Ein Erstattungsanspruch nach § 15 Abs. 1 S. 3 u. 4 SGB IX kommt entgegen der Ansicht des Klägers nicht in Betracht, da die Vorschrift nur für Sachleistungsansprüche anwendbar ist. Im Rahmen der Sozialhilfe besteht jedoch gemäß § 10 Abs. 3 SGB XII ein Vorrang der Geldleistung, der der Anwendbarkeit des Erstattungsanspruchs entgegensteht (vgl. BSG, Urteil vom 19.05.2009 - B 8 SO 32/07 R - juris Rn. 12).

Gemäß § 19 Abs. 3 SGB XII i.V.m. § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Personen mit einer anderen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung können Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten (§ 53 Abs. 1 S. 2 SGB XII). Die Leistungen werden erbracht, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels nicht zumutbar sind (§ 19 Abs. 3 SGB XII).

Bei dem Kläger liegt keine wesentliche Behinderung im Sinne des § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII vor, da er die diesbezüglich zu beachtenden Vorgaben der aufgrund der Ermächtigung in § 60 SGB XII erlassenen Eingliederungshilfe-Verordnung nicht erfüllt. Es kann daher lediglich ein in das pflichtgemäße Ermessen der Beklagten gestellter Anspruch auf Eingliederungshilfe bestehen (§ 53 Abs. 1 S. 2 SGB XII). Gemäß § 1 Nr. 4a) der Eingliederungshilfe-Verordnung sind in diesem Sinne durch körperliche Gebrechen wesentlich in ihrer Teilhabefähigkeit eingeschränkt Blinde oder Sehbehinderte, bei denen mit Gläserkorrektion ohne besondere optische Hilfsmittel auf dem besseren Auge oder beidäugig im Nahbereich bei einem Abstand von mindestens 30 cm oder im Fernbereich eine Sehschärfe von nicht mehr als 0,3 besteht. Gleiches gilt im Falle von durch a) nicht erfassten Störungen der Sehfunktion von entsprechendem Schweregrad (§ 1 Nr. 4b) Eingliederungshilfe-Verordnung).

Aus den im Verfahren eingeholten augenärztlichen Befundberichten sowie der daraufhin durch die Beklagte vorgelegten amtsärztlichen Stellungnahme ergibt sich zur Überzeugung des Senats, dass die vorgenannten Voraussetzungen nicht vorliegen. Die Universitäts-Augenklinik F verneint die dahingehend an sie gerichteten Fragen für das Jahr 2010. Aus dem Befundbericht der Universitäts-Augenklinik N ergeben sich keine weiteren Erkenntnisse; der Kläger ist dort lediglich in den Jahren 2005 und 2008 vorgestellt worden, dabei lag im Jahr 2008 der Visus jeweils über 0,3. Von der Augenklinik des St. G-Hospital N, in der der Kläger seit November 2010 behandelt wird, wird ein Visus von mehr als 0,3 mitgeteilt. Die weitere Angabe einer fehlenden Naheinstellungsfähigkeit aufgrund einer Aphakie (Linsenlosigkeit) sowie des reduzierten räumlichen Sehens auf 400 Bogensekunden ist wiederum nach den Feststellungen der Amtsärztin Dr. E nicht als wesentliche Behinderung im Sinne des § 1 Nr. 4b) Eingliederungshilfe-Verordnung zu werten.

Gleichwohl besteht entgegen der Auffassung des Klägers kein Anspruch auf Eingliederungshilfe in Form von Leistungen der medizinischen Rehabilitation gemäß § 54 Abs. 1 S. 1 SGB XII i.V.m. §§ 26 ff. SGB IX. Denn bei der Versorgung des Klägers mit einer Bifokalbrille handelt es sich schon von vornherein gerade nicht um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation, sondern um die Versorgung mit einem klassischen Hilfsmittel der gesetzlichen (und auch privaten) Krankenversicherung. In der Krankenversicherung dient die Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln wie einer Brille dazu, den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen. Hier beruht die im Einzelfall des Klägers erforderliche Versorgung mit der Sehhilfe zum einen auf der Akutbehandlung seiner Katarakterkrankung. Gleichzeitig sichert diese Versorgung den Erfolg der Krankenbehandlung und soll die durch die Sehschwäche eintretende Behinderung zumindest teilweise ausgleichen. Sie hat damit primär eine ganz andere Zielrichtung als die der Leistungen der medizinischen Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen nach dem SGB XI, die in erster Linie der Förderung der Selbstbestimmung und gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie der Vermeidung und dem Entgegenwirken von Benachteiligungen dienen soll (§ 1 S. 1 SGB IX). Zwar ist mitunter eine trennscharfe Abgrenzung zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung mangels hinreichend konkreter normativer Vorgaben und Überschneidung der Ziele - z.B. dem Behinderungsausgleich - schwierig (vgl. BSG, Urteil vom 11.05.2017, B 3 KR 30/15 R, Rz. 36). Hier war jedoch nach Auffassung des Senats eindeutig die Versorgung mit den Sehhilfen das Hauptziel der ärztlichen Behandlung und damit eine Leistung der Krankenbehandlung und allenfalls sekundär auch eine der Rehabilitation dienende Versorgung. Stellt sich diese Leistung allerdings als eine Versorgungsform der Krankenversicherung dar, fällt es in den Verantwortungsbereich des Klägers bzw. angesichts seiner Minderjährigkeit den seiner Eltern, für eine entsprechende Versorgung selbst aufzukommen. Die Wahl eines eingeschränkten Leistungstarifs der privaten Krankenversicherung durch seine Eltern hat nicht zur Folge, dass der Sozialhilfeträger als Ausfallbürge für die im Tarif des Klägers bestehenden Deckungslücken einstehen muss. Dies gilt jedenfalls solange der Kläger einen entsprechenden unterhaltsrechtlichen Anspruch auf die Übernahme derartiger Kosten gegen seine insoweit auch leistungsfähigen (dazu unten) Eltern hat.

Selbst wenn man dies anders sehen sollte und eine Leistung der medizinischen Rehabilitation im Ansatz bejahen könnte, rechtfertigt sich kein anderes Ergebnis. Eine gemäß § 54 Abs. 1 S. 1 SGB XII i.V.m. §§ 26ff. SGB IX zu erbringende Leistung der medizinischen Rehabilitation entspricht gemäß § 54 Abs. 1 S. 2 SGB XII den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Diese sind in § 40 Abs. 1 und 2 SGB V als ambulant oder stationär zu erbringende Komplexleistungen in Einrichtungen definiert, mit denen ein Versorgungsvertrag bestehen muss. Gegenstand solcher Leistungen kann auch unter anderem die Versorgung mit Hilfsmitteln sein, für sich allein handelt es sich bei der Versorgung mit Hilfsmitteln jedoch nicht um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung.

Dies wird auch durch den Regelungsinhalt der gemäß § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 8 durch den Gemeinsamen Bundesausschuss erlassenen Rehabilitationsrichtlinien untermauert, nach deren § 4 Abs. 1 die medizinische Rehabilitation einen ganzheitlichen Ansatz im Sinne des bio-psycho-sozialen Modells der Weltgesundheitsorganisation umfassen soll. Einzelne Leistungen der kurativen Versorgung, so z.B. die Versorgung mit Hilfsmitteln, stellen indes für sich allein noch keine Leistungen zur medizinischen Rehabilitation dar (§ 4 Abs. 3 Hilfsmittel-Richtlinien). Die Hilfsmittelversorgung in der Zuständigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung ist daher in der Regel keine Leistung der medizinischen Rehabilitation, wenn es sich nicht spezifisch um Leistungen nach § 11 Abs. 2 SGB V handelt, mithin um solche, die notwendig sind, um eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern (vgl. BSG, Urteil vom 19.05.2009 - B 8 SO 32/07 R - juris Rn. 21; Urteil vom 11.05.2017 - B 3 KR 30/15 R - juris Rn. 37 m. w. N.).

Da sich aus § 7 SGB IX wiederum ein Vorbehalt abweichender Regelungen in den jeweiligen Leistungsgesetzen ergibt, und die Zuständigkeit sowie die Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe sich nach den für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen richten, begründet die Erwähnung der Hilfsmittelversorgung in § 26 Abs. 1 Nr. 6 SGB IX keine abweichende Leistungszuständigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung. Da die durch den Sozialhilfeträger zu erbringenden Leistungen der medizinischen Rehabilitation gemäß § 54 Abs. 1 S. 2 SGB XII nicht über die durch die gesetzliche Krankenversicherung zu erbringenden Leistungen hinausgehen, kann es sich bei der Versorgung mit Brillengläsern auch nicht um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation im Rahmen der Eingliederungshilfe handeln (vgl. BSG, Urteil vom 19.05.2009 - B 8 SO 32/07 R - juris Rn. 21).

Ein Anspruch des Klägers auf Übernahme der Kosten für die Brillengläser ergibt sich überdies auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft oder von Hilfen zur angemessenen Schulbildung. Gemäß § 54 Abs. 1 S. 1 SGB XII i.V.m. § 55 SGB IX umfasst die Eingliederungshilfe Leistungen zur Teilhabe an der Gemeinschaft, zu denen u. a. gemäß § 50 Abs. 2 Nr. 1 die Versorgung mit anderen als den in § 31 genannten Hilfsmitteln gehört. Gemäß § 55 Abs. 1 a. E. SGB IX werden die Leistungen erbracht, soweit sie nicht nach den Kapiteln 4 bis 6 des SGB IX erbracht werden.

Eine Brille, so wie sie der Kläger benötigt, kann neben einem dem Behinderungsausgleich dienenden auch ein Hilfsmittel der sozialen Rehabilitation sein. Entscheidend dafür ist nicht der Begriff des Hilfsmittels oder die jeweilige Kategorie in den Hilfsmittelrichtlinien, sondern das Bedürfnis, das mit dem Hilfsmittel befriedigt werden soll, mithin der Zweck und das Ziel des Hilfsmittels. Dabei kann ein Hilfsmittel auch mehreren Zwecken dienen. Es kann etwa ein solches zur medizinischen Rehabilitation und ein solches zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sein und als "anderes" Hilfsmittel über die Aufgabenbestimmung nach § 31 SGB IX hinaus der gesamten Alltagsbewältigung dienen. Solche Hilfsmittel haben die Aufgabe, dem Behinderten den Kontakt mit seiner Umwelt, nicht nur Familie und Nachbarschaft, sowie die Teilnahme am öffentlichen und kulturellen Leben zu ermöglichen und hierdurch insgesamt die Begegnung und den Umgang mit nichtbehinderten Menschen zu fördern (vgl. BSG, Urteil vom 19.05.2009 - B 8 SO 32/07 R - juris Rn. 17f. m. w. Literaturnachweisen). So dient auch die Brille dem Kläger nicht ausschließlich zum Behinderungsausgleich, indem die operationsbedingt bestehende Linsenlosigkeit ausgeglichen wird, sondern auch zur Orientierung, die für die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft förderlich ist. Dass Brillen in der Aufzählung in § 9 Abs. 2 Verordnung, der die "anderen Hilfsmittel" i.S. von § 55 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX beispielhaft aufführt, nicht enthalten sind, ist unschädlich, denn es handelt sich angesichts des Wortlauts "gehören auch" nicht um einen abschließenden Hilfsmittelkatalog (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.10.2010 - L 23 SO 257/07 - juris Rn. 40f. m. w. Literaturnachweisen).

Dabei ist die Übernahme der Kosten für die Versorgung mit Brillengläsern nicht bereits durch § 55 Abs. 1 a. E. SGB IX ausgeschlossen. Einen Nachrang der Leistungen nach § 55 SGB IX sieht diese Regelung nur vor, wenn entsprechende Leistungen nach den Kapiteln 4 bis 6 des SGB XII tatsächlich erbracht werden (so BSG, Urteil vom 19.05.2009 - B 8 SO 32/07 R - juris Rn. 20; LSG Berlin-Brandenburg, a. a. O., Rn. 43). Dies ist hier nicht der Fall, da der Kläger eine entsprechende Leistung von keinem Rehabilitationsträger erhält, er insbesondere nicht gesetzlich krankenversichert ist.

Einem Anspruch des Klägers steht jedoch § 19 Abs. 3 SGB XII entgegen, da seine Bedürftigkeit nicht nachgewiesen ist. Denn für die hier allein in Betracht kommenden Leistungen bei der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung besteht gemäß § 92 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB XII nur dann eine Einkommens- und Vermögensprivilegierung, wenn es sich um eine spezifische Fördermaßnahme handelt, die über das Ermöglichen der Teilhabe an der Gemeinschaft hinaus geht. Der Schwerpunkt der zu erbringenden Leistung darf nicht allein oder vorrangig bei der allgemeinen Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, sondern zumindest gleichwertig bei den verfolgten beruflichen, schulischen, ausbildungsbezogenen und medizinischen Zielen liegen (vgl. BSG, Urteil vom 20.09.2012 - B 8 SO 15/11 R - juris Rn. 18). Dies ist bei der Versorgung mit Brillengläsern nicht der Fall; es ist weder vorgetragen noch sonst erkennbar, dass derartige Zwecke den ansonsten mit der Hilfsmittelversorgung verfolgten Zielen mindestens gleichwertig gegenüberstehen. Denn der Erwerb von Kenntnissen zur Vorbereitung der Schulbildung ist nicht zwingend mit dem Bestehen einer möglichst ungestörten Sehfähigkeit verbunden, sondern vollzieht sich in mindestens gleichwertigem Umfang auch über andere Sinne, vorrangig über das Gehör. Aus ebendiesen Gründen fällt die Versorgung des Klägers mit Brillengläser auch nicht unter § 92 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB XII, da es sich dabei nicht um eine Auffangnorm für alle denkbaren gesellschaftsbezogenen Bedarfe noch nicht eingeschulter behinderter Menschen handelt, sondern die Vorschrift nach der Rechtsprechung des BSG, der der Senat folgt, vielmehr einschränkend dahingehend auszulegen ist, dass auch hier spezifische Maßnahmen für Personen gemeint sind, die (noch) nicht zum Personenkreis des § 92 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB XII gehören, aber ihrem Bildungsstand entsprechend gefördert werden sollen (vgl. BSG, Urteil vom 20.09.2012 - B 8 SO 15/11 R - juris Rn. 20).

Der Kläger hat bereits in Verwaltungsverfahren die genaue Angabe der Einkommens- und Vermögensverhältnisse, insbesondere seiner Eltern, abgelehnt. Aus den mit dem Antrag bei der Beklagten vorgelegten Unterlagen lassen sich jedoch in ausreichendem Umfang Rückschlüsse auf die Einkommens- und Bedarfssituation ziehen, die Vermögensverhältnisse sind demgegenüber ungeklärt geblieben. Nach den allgemeinen Regeln zur Beweislastverteilung geht bereits dies zu Lasten des Klägers. Bei dem aus den in der Verwaltungsakte befindlichen Kontoauszügen erkennbaren Nettogehalt des Vaters von über 4.000 EUR monatlich im Jahr 2010 und den bekannten monatlichen Belastungen ist der Senat davon überzeugt, dass der hier maßgebliche Bedarf von 838 EUR gedeckt und ein Anspruch auf Sozialhilfe ausgeschlossen ist. Dabei stützt sich der Senat auch auf den eigenen Vortrag des Klägers, der einen Wechsel in den Basistarif der privaten Krankenversicherung für ausgeschlossen gehalten hat, da er nicht hilfebedürftig sei.

Einen Anspruch auf Krankenhilfe aus § 48 SGB XII hat der Kläger ausdrücklich nicht geltend machen wollen. Einem solchen Anspruch steht im Übrigen ebenfalls die nicht nachgewiesene Bedürftigkeit entgegen.

Außergerichtliche Kosten sind auch in diesem Rechtszug nicht zu erstatten, §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG) bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
Saved