S 14 U 25/07

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 14 U 25/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 17 U 43/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 16.06.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2006 verurteilt, den Unfall des Klägers vom 08.05.2006 als Arbeitsunfall anzuerkennen und dem Kläger deshalb Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.

Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob ein vom Kläger erlittener Verkehrsunfall als Arbeitsunfall anzuerkennen ist und der Kläger deshalb Anspruch auf Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung hat; maßgebend ist dabei, ob der Kläger zum Unfallzeitpunkt bereits im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses unter Unfallversicherungsschutz stand oder einen Probearbeitstag ableisten sollte.

Der am 00.00.1985 geborene Kläger verunfallte am 08.05.2006 als Beifahrer eines Kleintransporters, welcher infolge eines Defektes an der Lenkung frontal gegen einen Baum prallte. Der Kläger erlitt hierbei ein Politrauma mit Schädel- und verschiedenen Knochenfrakturen sowie multiple Hirnkontusionen, der Fahrer des Kleintransporters, L C (C.), verstarb noch an der Unfallstelle. Er war seit ca. einem Jahr vor dem Unfallzeitpunkt als Subunternehmer für die Firma I-Transporte mit Sitz in W tätig, welche Betreiberin eines ihrerseits für den Hermes-Versand tätigen Satellitendepots war. Der Hermes-Versand betreibt insoweit eine Hauptniederlassung in C1, um welche gelegen mehrere, von Unternehmern betriebene Satellitendepots sind; von der Hauptniederlassung werden die Warenversandpakete auf die einzelnen Satellitendepots verteilt, von dort aus von den Betreibern der Satellitendepots unter Einsatz zumeist von Subunternehmern weiter verteilt. Das Satellitendepot der Firma I-Transporte arbeitete insoweit im Unfalljahr mit drei Subunternehmern, von denen C. den Bezirk M und T bediente; seinerseits beschäftigte er zum Unfallzeitpunkt, zum Teil im Rahmen geringfügiger Beschäftigung, zehn Personen.

Nach zuvor telefonischer Kontaktaufnahme mit C. am Samstag, 06.05.2006, fand der Kläger sich am Folgetag verabredungsgemäß zusammen mit seiner Lebensgefährtin, der Zeugin Z W1, in der Wohnung des C. ein; dieser suchte einen neuen Auslieferungsfahrer und hatte dies in der Vorwoche durch eine Zeitungsannonce kundgetan. Von einer Bekannten des Stiefvaters der Zeugin W1 hierauf aufmerksam gemacht, welche sich beruflich verändern wollte und deren Arbeitsstelle insoweit frei würde, kam es zur telefonischen Kontaktaufnahme. Dabei gab die Zeugin W1 im Rahmen ihrer Befragung im Feststellungsverfahren an, der Kläger, gelernter Maler, habe sich beruflich umorientieren wollen und als Kurierfahrer habe tätig werden wollen; im Rahmen des sonntäglichen Gesprächs sei mündlich ein Arbeitsvertrag geschlossen worden und es sei vereinbart worden, daß der Kläger am Folgetag, dem Unfalltag, eine Auslieferungstour mit C. fahre, hiernach am 09.05.2006 seine Tätigkeit als Kurierfahrer im Unfallbetrieb aufnehme; demgegenüber gab der Betreiber des Satellitendepots, der Zeuge R I, an, ein Arbeitsverhältnis habe zum Unfallzeitpunkt wohl nicht bestanden, es habe sich um einen Probearbeitstag gehandelt; üblicherweise werde zunächst Interessenten für eine Stelle als Auslieferungsfahrer die Auslieferungsroute vorgestellt, so daß sie sich im Abschluß für oder gegen eine Anstellung entscheiden könnten; seinen Erfahrungswerten nach würden Anstellungen zu 70 % hiernach abgelehnt.

Mit Bescheid vom 16.06.2006 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlaß des Unfalles vom 08.05.2006 ab mit der Begründung, ein Arbeitsunfall habe nicht vorgelegen; zum Unfallzeitpunkt sei der Kläger nicht als Arbeitnehmer tätig gewesen, vielmehr habe über die Begründung eines Arbeitsverhältnisses erst noch entschieden werden sollen; als insoweit Arbeitsuchender sei er eigenwirtschaftlich tätig gewesen und habe nicht unter Unfallversicherungsschutz gestanden. Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, er habe am Unfalltage nicht lediglich als Beifahrer an einer Probefahrt teilgenommen, in dessen Verlauf sich C. von seinen Fähigkeiten habe überzeugen wollen, vielmehr sei bereits am Vortag ein Arbeitsvertrag geschlossen worden, in dessen Erfüllung er als Fahrer für C. tätig werden sollte. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.12.2006 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, die Verrichtung einer versicherten Tätigkeit zum Unfallzeitpunkt sei nicht nachgewiesen, insbesondere läge ein schriftlicher Arbeitsvertrag nicht vor; eine Einstellung sei im übrigen entsprechend den Bekundungen des Zeugen I vor Durchführung einer Hospitation nicht üblich.

Hiergegen richtet sich die am 29.01.2007 erhobene Klage, mit welcher der Kläger sein Begehren weiter verfolgt und zu deren Begründung er sich maßgeblich auf das Zeugnis seiner Lebensgefährtin als unmittelbarer Zeugin des zwischen ihm und Herrn C. geführten Gesprächs bezieht; hiernach sei ein mündlicher Vertrag am Vorunfalltag im Sinne einer verbindlichen Vereinbarung geschlossen worden.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16.06.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2006 zu verurteilen, den Unfall vom 08.05.2006 als Arbeitsunfall anzuerkennen und ihm deshalb Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie macht die Ausführungen ihrer Verwaltungsentscheidungen zum Gegenstand ihrer Klageerwiderung.

Das Gericht hat von der Staatsanwaltschaft Detmold die dortigen Ermittlungsvorgänge (Az. 41 Js 882/06) beigezogen. Es hat im Termin am 13.11.2007 die Lebensgefährtin des Klägers, Z W1, sowie den Satellitendepotbetreiber, Herrn R I, uneidlich als Zeugen vernommen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Wegen der sonstigen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Dieser war Gegenstand der Beratung.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG- ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Kläger hat wegen seines Unfalles vom 08.05.2006 Anspruch auf Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung, denn dieser war ein Arbeitsunfall. Der entgegenstehende Bescheid der Beklagten vom 16.06.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2006 war insoweit aufzuheben, weil er den Kläger in seinen Rechten verletzt.

Arbeitsunfälle sind gemäß § 8 Abs. 1 des 7. Buches Sozialgesetzbuch -SGB VII- Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit).

Der Kläger war am Unfalltag im Rahmen eines durch persönliche Abhängigkeit gekennzeichneten Beschäftigungsverhältnisses für C. tätig und war von daher nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versichert. Die Kammer hat hieran nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme keinen Zweifel.

Zutreffend führt die Beklagte in Übereinstimmung mit ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung zwar aus, daß bei Verrichtungen und auf Wegen, die mit einer privaten Arbeitssuche und den Verhandlungen über den Abschluß eines Arbeitsvertrages zusammenhängen, regelhaft kein Versicherungsschutz gegeben ist, es sich vielmehr grundsätzlich um eigenwirtschaftliche unversicherte Tätigkeiten des Arbeitsuchenden handelt, so daß sog. Hospitationstage oder Probearbeitstage als Bestandteil noch eines Bewerbungsverfahrens mangels noch fehlender Eingliederung in den Betrieb bzw. persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit unversichert sind (vgl. BSG SozR 2200 § 550 Nr. 1; BSG SozR 3 - 2200 § 539 Nr. 36). Zum Unfallzeitpunkt befand sich der Kläger jedoch nicht lediglich in einer Hospitation, vielmehr war bereits am Vortage zur Überzeugung der Kammer ein -mündlicher- Arbeitsvertrag abgeschlossen, nach welchem der Kläger für C. als Auslieferungsfahrer tätig werden sollte.

Dies folgt maßgeblich aus den glaubhaften Bekundungen der Zeugin W1, welche am Vorunfalltage dem Bewerbungsgespräch des Klägers mit C. beigewohnt hat; die Zeugin erschien dabei uneingeschränkt glaubwürdig, ihre Angaben im Rahmen der zeugenschaftlichen Befragung unbefangen und nicht ansatzweise im Sinne des Bemühens der Stützung der klägerischen Ansprüche parteilich, was insbesondere in ihren, als Rechtsunkundige, getätigten Bekundungen seine Widerspiegelung findet, C. habe gesagt, er könne "zum Probearbeiten" kommen, einen schriftlichen Vertrag wolle man "nach dem Probearbeiten" machen, bzw. er könne "nach dem Probearbeitstag anfangen". Für einem Rechtskundigen suggerierte dies vordergründig zwar, daß der Kläger am Unfalltag lediglich eine Hospitation, später einmündend eventuell in einen Arbeitsvertrag, ableisten wollte und sollte. Aus dem Gesamtkontext ihrer Aussage erschloß sich für die Kammer jedoch die Überzeugung, daß ein verbindlicher Vertragsabschluß bereits am Vorunfalltag im Rahmen des persönlichen Gesprächs erfolgte. Hierfür sprechen gewichtige Gründe. Sowohl nach Bekundung der Zeugin W1 als auch des Zeugen I benötigte C., nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer erheblichen Fluktuation seiner Auslieferungsfahrer, welche es annähernd monatlich erforderten, Stellenanzeigen in der Zeitung aufzugeben, dringlich einen Fahrer, wobei es andere Bewerber nicht gab. Insoweit hatte sowohl der Kläger, welcher eine Anstellung suchte, als auch C., Interesse an einem verbindlichen Vertragsabschluß; für beide Beteiligten war dies auch mit keinerlei Risiko im Hinblick etwa auf eine lange Vertragsbindung verbunden, da bekanntermaßen die Arbeitsverhältnisse gerade im Bereich der Auslieferungsfahrer, wie dies lebensnah vom Zeugen I dargelegt wurde, beiderseits schnell beendbar waren, sich die Branche insoweit durch eine erhebliche Fluktuation auszeichnet. Die Angaben der Zeugin, C. habe auf ausdrückliche Nachfrage bejaht, ein verbindlicher mündlicher Vertrag sei geschlossen, findet somit in der Interessenlage beider Beteiligten ihre Widerspiegelung. Zu vergegenwärtigen ist im übrigen, daß der Kläger eine Arbeitsprobe in eigentlichem Sinne am Unfalltage weder ablegen konnte noch abgelegt hat; zum Unfallzeitpunkt war er, was nicht anders zu erwarten war, als Beifahrer tätig, um sich mit den Einzelheiten der für ihn vorgesehenen Auslieferungsroute vertraut zu machen; soweit der Zeuge I angegeben hat, in beiderseitigem Interesse des Bewerbers und des Unternehmers sei es, sich zunächst eine Tour anzusehen, weil sich zum einen der Interessent gegen eine Stelle entscheiden könne, zum anderen der Unternehmer eine etwaige Nichteignung des Interessenten feststellen könne, greift letzterer Gesichtspunkt bei dem hier in Frage stehenden Beschäftigungsverhältnis nicht, da naturgemäß Arbeitsproben von Bewerbern für die Tätigkeit eines Auslieferungsfahrers nicht abgegeben werden können; insoweit gewann die Kammer die Überzeugung, daß es sich bei der Tätigkeit am Unfalltage um eine typische Einweisung und Unterweisung eines Beschäftigten in seine Aufgabenstellung handelte. Daß ein Arbeitsvertrag schriftlich noch nicht zum Unfallzeitpunkt fixiert war, erklärt sich letztlich zum einen aus den Bekundungen der Zeugin, C. habe die entsprechenden Unterlagen zu Hause in seiner Wohnung nicht vorgehalten, zum anderen üblicherweise in der vom Zeugen I angesprochenen "Schludrigkeit" des C. in seinem Schriftverkehr. Die ansonsten weiteren Bekundungen des Zeugen I hinderten nicht die Überzeugungsbildung der Kammer; zum einen vermochte er nur aus üblichen Erfahrungen mit Subunternehmern bzw. C., welchen er im übrigen lediglich seit einem Jahr kannte, dessen Anstellungspraxis ihm allerdings nicht bekannt war, zu berichten, wobei er überdies seine noch im Feststellungsverfahren getätigten Bekundungen, ca. 70 % der Bewerber lehnten Anstellungen ab, dahingehend relativierte, daß dieser Personenkreis sich nicht nur aus Personen, welche unmittelbar nach Unterweisung in die Tätigkeit eines Auslieferungsfahrers absprängen, rekrutiere, sondern auch ebenso Personen beinhalte, welche nach kurzer Beschäftigungszeit von wenigen Wochen die Tätigkeit aufgäben; soweit im übrigen eine Stammdatenerfassung des Klägers am Unfalltage bei ihn noch nicht erfolgt war, erklärt sich dies vor dem Hintergrund, daß eine Erfassung erst bei erstmaliger, eigenverantwortlicher Tätigkeit eines Auslieferungsfahrers erfolgt.

Das Gericht hatte nach alledem keine Zweifel daran, daß der Kläger am Unfalltag bereits in einem Beschäftigungsverhältnis stand.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved