L 12 SO 222/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
12
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 12 SO 305/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 SO 222/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 09.04.2014 geändert. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Kosten i.H.v. 74.266,31 EUR zu erstatten. Die Beklagte trägt 80 %, die Klägerin 20 % der Kosten des Rechtsstreits. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 93.033,63 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Erstattungsanspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten wegen Erbringung von Leistungen aufgrund eigener Unzuständigkeit.

Die am 00.00.1935 geborene S S war zunächst wohnhaft in C und bezog Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII) von der Beklagten. Im März 2008 zog sie in den Seniorenwohnpark E. Sie schloss im April 2008 einen Pflegevertrag mit der D Häusliche Alten- und Krankenpflege. Die Klägerin erbrachte als Trägerin der Sozialhilfe seit dem 28.04.2008 Hilfe zur Pflege sowie Grundsicherungsleistungen seit dem 01.05.2008 an Frau S S. Bei Frau S S wurde die Pflegestufe II zuerkannt. Sie verstarb am 00.00.2015.

Mit Schreiben vom 05.12.2008, eingegangen bei der Beklagten am 15.12.2008, machte die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Erstattungsanspruch geltend. Frau S befinde sich im ambulant betreuten Wohnen, so dass der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig sei, der vor Eintritt in diese Wohnform zuletzt zuständig war oder gewesen wäre. In dem Schreiben nahm die Klägerin auf ein am 04.12.2008 geführtes Telefonat mit der Beklagten Bezug.

Die Klägerin hat am 17.12.2012 bei dem Sozialgericht Gelsenkirchen Klage erhoben. Sie hat die Erstattung von Leistungen zur Pflege i. H. v. 34.965,15 EUR und Grundsicherungsleistungen i. H. v. 21.338,86 EUR begehrt. Die Beklagte sei gem. § 98 Abs. 5 SGB XII örtlich zuständige Trägerin. Die durch die Klägerin erbrachten Leistungen seien in einer ambulanten Wohnform erfolgt. Dabei müsse die Wohnung, in der die ambulanten Leistungen erbracht würden, nicht vom Anbieter der ambulanten Hilfeleistungen organisiert sein. Es reiche vielmehr aus, wenn der Hilfeempfänger die Wohnung selbst anmiete. Inhaltlich liege eine Leistung in Form des betreuten Wohnens vor. Der Begriff der betreuten Wohnmöglichkeiten werde im Gesetz nicht näher definiert. Die Eingrenzung der von dieser Leistungsform umfassten Hilfen habe deshalb in erster Linie anhand des Zwecks der Hilfen zu erfolgen. Sinn der Betreuungsleistungen beim betreuten Wohnen sei nicht die gegenständliche Zurverfügungstellung der Wohnung, sondern die Förderung der Selbstständigkeit und Selbstbestimmung bei Erledigung der alltäglichen Angelegenheiten im eigenen Wohn- und Lebensbereich in Form einer kontinuierlichen Betreuung. Der Art nach dürfe es sich bei der Betreuung nicht um eine vorwiegend medizinische oder pflegerische Betreuung handeln; Hauptzielrichtung der Leistungen müsse die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sein. Beispielsweise würden die möglichen Hilfeleistungen, die das erforderliche Merkmal der Betreuung erfüllen würden, insbesondere die Vermittlung von Fähigkeiten, sich selbstständig in der Wohnung zurechtzufinden, die Wohnung - soweit möglich - eigenverantwortlich sauber zu halten, den sozialen Umgang im Haus zu erlernen, Eigeninteressen zu artikulieren und adäquat zu vertreten sowie auch die Begleitung in die nähere Umgebung zu Einkäufen oder notwendigen Arztbesuchen umfassen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihr die für Frau S S in der Zeit ab dem 28.04.2008 entstandenen Sozialhilfeaufwendungen zu erstatten.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es werde bestritten, dass die Leistungen zur Pflege in Formen ambulant betreuter Wohnformen erbracht würden. Frau S erhalte keine Leistungen der Eingliederungshilfe. Es fehle insoweit an einem Gesamtkonzept. Es würden lediglich Zusatzleistungen erbracht, die im Rahmen des seniorengerechten Wohnens angeboten würden. Die Nutzung einer seniorengerechten Wohnung stelle jedoch auch dann kein betreutes Wohnen dar, wenn umfangreiche Serviceleistungen durch den Vermieter erbracht würden. Wesentliches Ziel der Leistungen müsse die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sein. Hierzu bedürfe es einer kontinuierlichen Betreuung durch fachlich geschulte Person, deren Kosten im Rahmen der Eingliederungshilfe erbracht würden.

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugin T (Pflegedienstleiterin der D Häusliche Alten- und Krankenpflege) zu den Leistungen an Frau S sowie zur allgemeinen Struktur, Organisation und Zielrichtung der erbrachten Leistungen. Hinsichtlich des Inhaltes der Aussage wird auf das Protokoll vom 09.04.2014 Bezug genommen.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 09.04.2014 die Klage abgewiesen. Ein Erstattungsanspruch der Klägerin scheitere für die Zeit vom 28.04.2008 bis zum 14.12.2008 bereits an der fehlenden Kenntnis der Beklagten. Erst am 15.12.2008 sei der Beklagten der Erstattungsanspruch bekannt gegeben worden. Für die Zeit ab dem 15.12.2008 bestehe ebenfalls kein Anspruch auf Erstattung gegenüber der Beklagten. Sie sei örtlich nicht zuständig. Die Leistungserbringung an die Hilfebedürftige erfolge nicht in der Form einer ambulanten betreuten Wohnmöglichkeit. Eine Legaldefinition des Begriffs der ambulanten betreuten Wohnmöglichkeit fehle. Nach der amtlichen Begründung orientiere sich der Begriff der "betreuten Wohnmöglichkeit" an dem des § 55 Abs. 2 Nr. 6 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen (SGB IX). Die Eingrenzung der von dieser Leistungsform umfassten Hilfen habe deshalb in erster Linie anhand des Zwecks der Hilfen zu erfolgen. Sinn der Betreuungsleistungen beim betreuten Wohnen sei die Förderung der Selbstständigkeit und Selbstbestimmung bei Erledigung der alltäglichen Angelegenheiten im eigenen Wohn- und Lebensbereich in Form einer kontinuierlichen Betreuung. Der Art nach dürfe es sich bei der Betreuung aber nicht um eine vorwiegend medizinische oder pflegerische Betreuung handeln, sondern Hauptzielrichtung der Leistungen müsse die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sein. Eine betreute Wohnmöglichkeit liege nur dann vor, wenn fachlich geschulte Personen Betreuungsleistungen erbrächten, die darauf gerichtet seien, dem Leistungsberechtigten Fähigkeiten und Kenntnisse zum selbstbestimmten Leben zu vermitteln. Dabei dürfe es sich nicht um sporadische, situationsbedingte Betreuungsleistungen handeln, sondern diese müssten in einer regelmäßigen Form erbracht werden und in eine Gesamtkonzeption eingebunden sein, die auf die Verwirklichung einer möglichst selbstständigen und selbstbestimmten Lebensführung ausgerichtet sein müssten. Die möglichen Hilfeleistungen, die das erforderliche Merkmal der Betreuung erfüllten, umfassten insbesondere die Vermittlung von Fähigkeiten, sich selbst in der Wohnung zurechtzufinden, die Wohnung eigenverantwortlich sauber zu halten, den sozialen Umgang mit den Mitbewohnern und anderen Mietern im Hause zu erlernen, Eigeninteressen zu artikulieren und adäquat zu vertreten. Auch die Begleitung zu Einkäufen, notwendigen Arztbesuchen in ihrer Umgebung oder Besuchen von in der Nähe wohnenden Familienangehörigen könne beispielsweise der Hilfe nach § 55 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX zugeordnet werden, wenn sie das Ziel verfolge, die leistungsberechtigte Person so an ihre Umgebung zu gewöhnen, dass sie sich nach einer Orientierungs- und Trainingsphase möglichst selbstständig inner- und außerhalb der Wohnung bewegen könne. Diese Voraussetzungen seien nicht gegeben. Bei der konkreten Wohnform der Hilfeempfängerin handele es sich vorliegend lediglich um seniorengerechtes Wohnen und nicht um betreutes Wohnen im Sinne der Norm. Sinn der konkret erbrachten Betreuungsleistungen sei nicht die Förderung der Selbstbestimmung und Selbstständigkeit bei der Erledigung der alltäglichen Aufgaben im eigenen Wohn- und Lebensbereich und die darauf gerichtete Vermittlung von Fähigkeiten und Kenntnissen. Sinn sei vielmehr deren sukzessive Ersetzung je nach eigenen (verbleibenden) Fähigkeiten des Bewohners. Es handele sich um die sukzessive Hilfestellung bei und Übernahme von Tätigkeiten, zu denen der Bewohner selbst (zunehmend) nicht mehr in der Lage sei. Die Zeugin habe ausgeführt, dass die erbrachten Leistungen primär darauf ausgerichtet seien, den Bewohnern das abzunehmen, was sie (selbst) nicht mehr könnten. Dies sei auch daran erkennbar, dass es sich vorliegend im Kern um sporadische, situationsbedingte Betreuungsleistungen handele. Auch die regelmäßigen Betreuungsleistungen, welche auf die Gestaltung der Freizeit und das Knüpfen von Kontakten unter den Bewohnern gerichtet sei, genügten nicht zur Klassifizierung als betreutes Wohnen. Denn diese Betreuungsleistungen seien nicht auf die Vermittlung von Fähigkeiten und die Förderung von Selbstständigkeit gerichtet. Ziel sei es nicht, dass die Bewohner den sozialen Umgang mit den Mitbewohnern als solchen erlernen. Vielmehr verfügten die Bewohner - zumindest zunächst - über die notwendigen Fähigkeiten für einen entsprechenden sozialen Umgang. Die erbrachten Betreuungsleistungen würden den Bewohnern lediglich die tatsächlichen Gelegenheiten bieten, die vorhandenen Fähigkeiten einzusetzen. Der Klägerin sei jedoch rechtlich insoweit zuzustimmen, dass § 98 Abs. 5 SGB XII seinem Wortlaut nach auch auf das Siebte Kapitel abstelle. Dies führe jedoch nicht dazu, dass sämtliche Leistungen der Hilfe zur Pflege in Betracht kämen. Typischerweise kämen nur solche Leistungen in Betracht, bei denen die Hilfebedürftigkeit nur für einen kurzen Zeitraum bestehe.

Gegen das der Klägerin am 09.05.2014 zugestellte Urteil hat diese am 06.06.2014 Berufung eingelegt. Ob das Verständnis der ambulant betreuten Wohnmöglichkeit des Sozialgerichts Gelsenkirchen tragfähig sei, bedürfe der rechtlichen Überprüfung. Die in den Urteilsgründen vorgenommene Beschränkung des Anwendungsbereichs der maßgeblichen Vorschrift auf Leistungen des Siebten Kapitels für Hilfeempfänger, bei denen die Hilfe- und Pflegebedürftigkeit nur für einen kurzen Zeitraum bestehe, erscheine nicht zwingend. Entsprechendes gelte für die Qualität der Betreuungsleistungen, die für nicht genügend erachtet würden. Durch den Seniorenwohnpark werde nicht nur die Wohnung zur Verfügung gestellt, sondern die Förderung der Selbstständigkeit und Selbstbestimmung bei Erledigung der alltäglichen Angelegenheiten im eigenen Wohn- und Lebensbereich in Form einer kontinuierlichen Betreuung gewährleistet. Der Grundservice stehe den Bewohnern kontinuierlich zur Verfügung und beschränke sich auch nicht auf medizinische oder pflegerische Leistungen. Die Selbstständigkeit und Selbstbestimmung werde insoweit gefördert, als dass die Bewohner weiterhin allein in ihrer Wohnung lebten sowie allein entscheiden könnten, ob und welche Leistungen des Seniorenparks sie in Anspruch nehmen möchten. Dies gelte auch nicht nur für Tätigkeiten, in denen die Bewohner selbst nicht mehr in der Lage seien, diese ohne Unterstützung vorzunehmen. Es sei unrichtig, dass es sich im Kern um sporadische, situationsbedingte Betreuungsleistungen handele, da alle Bewohner den Grundservice kontinuierlich in Anspruch nehmen würden. Es werde im Urteil nicht berücksichtigt, dass die D Häusliche Alten- und Krankenpflege nicht nur Wohnungen an Senioren, sondern auch an behinderte und kranke Menschen vermiete. Die vom Sozialgericht vorgenommene Erläuterung der betreuten Wohnmöglichkeit orientiere sich zu eng an den Vorschriften der Eingliederungshilfe. Dies würde dazu führen, dass Leistungen der Hilfe zur Pflege fast nie unter § 98 Abs. 5 SGB XII zu subsumieren wären, obwohl diese nach dem Wortlaut der Norm sowie nach Ansicht des Bundessozialgerichts (BSG) ausdrücklich im Rahmen der Norm Anwendung finden würden. Der Gesetzgeber habe in der Gesetzesbegründung lediglich festgestellt, dass eine Orientierung an § 55 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX erfolgen solle. Dies bedeute aber nicht, dass ausschließlich auf Leistungen, die typisch für die Eingliederungshilfe seien, abgestellt werden könne. Der Wortlaut der Norm verweise auf das Siebte Kapitel insgesamt, so dass der Anwendungsbereich der Hilfe zur Pflege nicht auf Fälle beschränkt sei, bei denen die Hilfe- bzw. Pflegebedürftigkeit nur für einen kurzen Zeitraum bestehe. Soweit mit der Berufung zunächst die Erstattung der Leistungen i. H. v. 93.033,63 EUR für die Zeit ab dem 28.04.2008 begehrt worden sei, werde dies nicht weiterverfolgt. Vielmehr werde letztlich die Erstattung der Leistungen nunmehr erst ab dem 15.12.2008 i. H. v. 74.266,31 EUR geltend gemacht.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 09.04.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Kosten i. H. v. 74.266,31 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte bezieht sich auf die Ausführungen im angegriffenen Urteil. Soweit das BSG in seiner Entscheidung vom 30.06.2016, B 8 SO 6/15 R, Voraussetzungen für das ambulant betreute Wohnen aufgestellt habe, so überzeugten diese nicht. Der Gesetzgeber habe an die Formen bestimmte Anforderungen gestellt. Diese müssten über die rein pflegerische Betreuung hinausgehen. Würde der Rechtsprechung des BSG gefolgt, würde auch ein Fall des ambulant betreuten Wohnens bei der Gewährung von Pflegegeld und Betreuung durch Angehörige vorliegen. Dies sei jedoch vom Gesetzgeber nicht gewollt gewesen bzw. nicht schützenswert. Die Höhe der Erstattungsforderung sei unstreitig.

Die Beteiligten haben mit Schreiben vom 15.12.2017 bzw. 04.01.2018 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Sie haben übereinstimmend erklärt, dass die Klägerin Leistungen i. H. v. 74.266,31 EUR ab dem 15.12.2008 an die Hilfebedürftige erbracht hat.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnis wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakten der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis mit dieser Verfahrensweise erklärt haben, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Berufung ist zulässig und begründet.

Sie ist gem. §§ 143, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG zulässig, da die Erstattungsstreitigkeit einen Wert von 10.000 EUR übersteigt.

Die Berufung ist auch für den zuletzt geltend gemachten Zeitraum ab dem 15.12.2008 begründet. Das Sozialgericht hat diesbezüglich zu Unrecht die Klage abgewiesen.

Die Klage ist zunächst als (reine) Leistungsklage gem. § 54 Abs. 5 SGG zulässig, da es sich bei dem Verhältnis der Träger der Sozialhilfe untereinander nicht um ein Subordinationsverhältnis handelt.

Sie ist auch begründet. Die Klägerin hat einen Erstattungsanspruch gem. § 105 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X), denn sie ist für die Gewährung der Leistungen unzuständig gewesen. Hat ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 102 Abs. 1 SGB X vorliegen, ist der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Ein Fall des § 102 Abs. 1 SGB X liegt nicht vor, da sie nicht vorläufig geleistet hat. Sie ist für die Erbringung der Leistungen unzuständig gewesen. Die Erbringung der Leistungen fällt in den Zuständigkeitsbereich der Beklagten. Gem. § 98 Abs. 5 SGB XII i. d. F. v. 02.12.2006 ist für die Leistungen nach diesem Buch an Personen, die Leistungen nach dem Sechsten bis Achten Kapitel in Formen ambulant betreuter Wohnmöglichkeiten erhalten, der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, der vor Eintritt in diese Wohnform zuletzt zuständig war oder gewesen wäre. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass vor Eintritt der Frau S S in das Seniorenwohnheim E die Beklagte die örtlich zuständige Trägerin war. Frau S S erhielt sodann von der Klägerin Leistungen nach dem Siebten Kapitel in Form ambulant betreutem Wohnens. Nach der Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 30.06.2016, B 8 SO 6/15 R, der der Senat folgt, sind die Voraussetzungen für das Vorliegen einer ambulant betreuten Wohnform geklärt. Wie das BSG ausgeführt hat, wird durch die mit der zum 07.12.2006 vorgenommenen Änderung im Wortlaut der Vorschrift (zuvor nur: "Leistungen an Personen, die Leistungen in Form ambulant betreuter Wohnmöglichkeit erhalten haben"), im Gesetz deutlich, dass sämtliche Leistungen der ambulanten Betreuung nach dem Sechsten bis Achten Kapitel - aber auch nur solche, also nicht etwa Leistungen der Altenhilfe - mit der Zielrichtung der Förderung der Selbstständigkeit und Selbstbestimmung bei Erledigung der alltäglichen Angelegenheiten im eigenen Wohn- und Lebensbereich gleichgestellt sind. Neben den Leistungen zur Teilhabe kann nach dem ausdrücklichen und unzweideutigen Willen des Gesetzgebers auch die Gewährung von ambulanten Leistungen der Hilfe zur Pflege einen Leistungsfall des "Betreuten Wohnens" im Sinne des § 98 Abs. 5 SGB XII darstellen, weil die Sicherung der Selbstbestimmung im eigenen Wohn- und Lebensbereich damit einhergeht. Unter Berücksichtigung dieses Wortlauts ist es systematisch ausgeschlossen, die Norm nur für Eingliederungshilfeleistungen des betreuten Wohnens anzuwenden. Der Gesetzgeber versteht vielmehr im Rahmen einer funktionsdifferenten Auslegung auch Leistungen der Hilfe zur Pflege normativ als ambulante Betreuung i. S. des § 98 Abs. 5 SGB XII, hat dabei also ein weites Begriffsverständnis zugrunde gelegt; auf die für die Leistungsansprüche erforderliche Unterscheidung zwischen Eingliederungshilfe und Pflegehilfe kann es deshalb nicht ankommen (so noch: BSG Urteil vom 25.08.2011, B 8 SO 7/10 R), weil ansonsten § 98 Abs. 5 SGB XII für Leistungen der Hilfe zur Pflege (Siebtes Kapitel des SGB XII) bedeutungslos wäre: Ihr Ziel ist immer die pflegerische Unterstützung, nicht die Eingliederung bzw. Teilhabe.

Nach den dargestellten Grundsätzen liegt ein Fall des betreuten Wohnens i. S. d. § 98 Abs. 5 SGB XII vor. Die Klägerin erbrachte ab dem 28.04.2008 Leistungen nach dem Siebten Kapitel des SGB XII in Form von aufstockenden Sachleistungen bei Pflegestufe II (Bescheid vom 05.11.2008). Die von der Hilfebedürftigen angemietete Wohnung geht über die bloße Wohnmöglichkeit hinaus. Nach der Zeugenaussage der Pflegedienstleitung ist ein 24h Notruf gegeben, um diese bei alltäglichen Dingen zu unterstützen. Weiterhin werden gemeinsame Mittagessen, Kaffeetrinken sowie beispielsweise die Möglichkeit eines Friseurbesuches angeboten.

Soweit die Beklagte die Rechtsprechung des BSG nicht als überzeugend erachtet, da andernfalls bei der Gewährung von Pflegegeld und Betreuung durch Angehörige ein Fall des ambulant betreuten Wohnens vorliege würde, ändert das an der obigen Bewertung nichts. Zunächst ist festzuhalten, dass eine solche Fallkonstellation hier nicht gegeben ist. Im Übrigen hat das BSG in seiner Entscheidung vom 30.06.2016, B 8 SO 6/15 R, ausgeführt, dass möglicherweise nicht jede Leistung nach dem Siebten Kapitel dazu führt, dass von einer Leistung in Form des ambulant betreuten Wohnens auszugehen ist. Es hat dabei ausdrücklich offen gelassen, ob § 98 Abs. 5 SGB XII nicht einschlägig ist, wenn die Hilfe zur Pflege eine gewisse Intensitätsstufe qualitativ unterschreitet. Der Senat lässt ebenfalls offen, ob der Rechtsstreit in der von der Beklagten beschriebenen Situation anders zu beurteilen wäre (vgl. Wahrendorf in Grube / Wahrendorf, SGB XII, 5. Auflage 2014, § 98 Rn. 36). Denn die beschriebenen Konstellationen liegen nicht vor. Die Leistungen der Hilfe zur Pflege in Form aufstockender Sachleistungen bei Pflegestufe II unterschreiten das Niveau nicht. Überdies kommt es nicht auf das Vorliegen eines Gesamtkonzeptes an (BSG a.a.O.).

Es handelt sich auch um eine ambulante Form des betreuten Wohnens. Die Abgrenzung zwischen ambulanten betreutem Wohnen und (teil-)stationärer Unterbringung kann durch Rückgriff auf das Heimgesetz erfolgen (Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, Erg.-Lfg III/15, § 98 Rn. 97d). Gem. § 18 des Wohn- und Teilhabegesetzes NRW (WTG NRW), als landesrechtliche Umsetzung des Heimgesetzes, ist eine Einrichtung eine organisatorisch selbstständige Einheit mit einer einheitlichen Leitungsstruktur und einer einheitlichen Personaleinsatzplanung. Es ist unerheblich, ob die Leistungen Gegenstand verschiedener Verträge sind oder von mehreren Leistungsanbieterinnen oder Leistungsanbietern erbracht werden. Hingegen sind Angebote des Servicewohnens, Angebote, in denen die Überlassung einer Wohnung rechtlich verpflichtend mit der Zahlung eines Entgelts für allgemeine Unterstützungsleistungen wie Leistungen der hauswirtschaftlichen Versorgung, die Vermittlung von Betreuungsleistungen oder Notrufdienste (Grundleistungen) verbunden ist, die über die Grundleistungen hinausgehenden Leistungen von den Nutzerinnen und Nutzern hinsichtlich des Umfangs und der Person der Leistungsanbieterin oder des Leistungsanbieters aber frei wählbar sind (§ 31 WTG NRW).

Das Wohnen umfasste die Nutzung von Gemeinschaftseinrichtungen, Hausmeisterdienste, Notrufsystem, Freizeitangebote sowie einen Fahr- und Bringdienst. Darüber hinaus sind Mahlzeiten und persönliche Hilfestellung und häusliche Pflege im Rahmen des Service-Wohnens Wahlleistungen. Eine einheitliche Leitungsstruktur sowie eine einheitliche Personaleinsatzplanung kann nicht festgestellt werden.

Es kann dahinstehen, ob einem Erstattungsanspruch für die Zeit vor dem 15.12.2008 die Regelung in § 105 Abs. 3 SGB X entgegenstand. Denn die Klägerin fordert zuletzt nur noch die Erstattung der erbrachten Leistungen ab dem 15.12.2008. Spätestens ab diesem Zeitpunkt ist die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs bei der Beklagten bekannt gewesen.

Die Erstattungsforderung haben die Beteiligten übereinstimmend in der tenorierten Höhe angegeben (vgl. zur Beschränkung der Amtsermittlung: Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 103 Rn. 7a).

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 197a Abs. 1 SGG i. V. m. § 155 Abs. 1, Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Hierbei ist zu Lasten der Klägerin zu berücksichtigen, dass sie die Berufung bezüglich der Erstattung von Leistungen für den Zeitraum vor dem 15.12.2008 nicht mehr verfolgt hat.

Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 160 SGG bestehen nicht. Nach der Entscheidung des BSG vom 30.06.2016, B 8 SO 6/15 R, ist die Rechtslage geklärt.

Die Streitwertentscheidung folgt aus den §§ 52 Abs. 1, Abs. 3, 63 Abs. 2 S. 1, 47 Abs. 2 Gerichtskostengesetz.
Rechtskraft
Aus
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