Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
40
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 40 U 180/14 WA
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
1. Nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast geht es zulasten des Klä-gers, wenn die geforderten 13.000 Stunden nicht positiv (Vollbeweis) festzu-stellen sind.
2. Nur bei einem dezidierten, qualifizierten und nachvollziehbaren Vorbrin-gen gegen die umfangreichen Feststellungen des Präventionsdienstes besteht ein gesteigertes Interesse zur weiteren Aufklärung. Ein bloßes Bestreiten der Feststellungen reicht regelmäßig nicht aus, wenn offenkundig keine Fehler erkennbar sind.
2. Nur bei einem dezidierten, qualifizierten und nachvollziehbaren Vorbrin-gen gegen die umfangreichen Feststellungen des Präventionsdienstes besteht ein gesteigertes Interesse zur weiteren Aufklärung. Ein bloßes Bestreiten der Feststellungen reicht regelmäßig nicht aus, wenn offenkundig keine Fehler erkennbar sind.
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Feststellung der Gonarthrose-Erkrankungen der Kniegelenke des Klägers als Berufskrankheit (BK 2112).
Der 1959 geborene Kläger ist seit August 1979 mit Unterbrechungen bei der D., insbesondere in der Wartung diverser unterschiedlicher Züge, als Wagenelektriker beschäftigt. Hierbei musste er auch kniebelastende Tätigkeiten verrichten.
Im Januar 2010 beantragte der Kläger die Feststellung seiner Gonarthrose-Erkrankungen in den Kniegelenken als Berufskrankheit. Nach eigenen Angaben des Klägers sei bereits im Jahre 2000 ein Knorpelschaden im Kniegelenk links festgestellt und operiert worden. Auch 2008 und 2009 seien weitere Operationen durchgeführt worden. Die Beklagte leitete daraufhin insbesondere Ermittlungen zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen für das Vorliegen einer Berufskrankheit ein. Aus dem Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse ergibt sich unter anderem, dass der Kläger im Jahre 2000 wegen "Gonarthrose und Meniskusschaden links" arbeitsunfähig erkrankt war und es finden sich weitere Eintragungen zu Kniebeschwerden links und rechts mit Arbeitsunfähigkeitszeiten.
Unter dem 22.7.2010 führte der technische Aufsichtsdienst der Beklagten zusammengefasst aus, die vom Kläger ausgeführten Arbeiten erreichten die kumulative Einwirkungsdauer von mindestens 13.000 Stunden in kniender Position oder mit vergleichbaren kniebelastenden Haltungen nicht.
Unter dem 9.8.2010 teilte der eingeschaltete staatliche Gewerbearzt mit, die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit seien nicht erfüllt, so dass die Anerkennung nicht empfohlen werde.
Mit Bescheid vom 24.8.2010 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Ziffer 2112 der Berufskrankheitenverordnung (Gonarthrose) ab und führte zur Begründung aus, die Einwirkungen, denen der Kläger während seiner Berufstätigkeit ausgesetzt war, seien nicht geeignet, eine Berufskrankheit zu verursachen.
Mit Schreiben vom 18.9.2010 legte der Kläger dagegen am 21.9.2010 Widerspruch ein und führte aus, dass er erheblich höhere kniebelastende Tätigkeiten verrichtet hätte, als dies von der Beklagten zu Grunde gelegt worden sei. Nach einer weiteren Stellungnahme des Präventionsdienstes vom 16.11.2010 kam die Beklagte erneut zu dem Ergebnis, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht erfüllt wären.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21.3.2011 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück und führte zusammengefasst aus, die arbeitstechnischen Voraussetzungen, eine kumulative Einwirkungsdauer während des gesamten Arbeitslebens von 13.000 Stunden in kniender Position oder vergleichbaren belastenden Haltungen und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt 1 Stunde pro Arbeitsschicht, sei beim Kläger nicht erreicht worden.
Am 5.4.2011 hat der Kläger dagegen Klage erhoben und ist der Auffassung, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt seien und eine Berufskrankheit Gonarthrose anzuerkennen sei.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich (sinngemäß gefasst),
den Bescheid der Beklagten vom 24.8.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.3.2011 aufzuheben und festzustellen, dass die Erkrankungen der Kniegelenke beim Kläger eine BK 2112 (Gonarthrose) nach der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung sind.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich insbesondere auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.
Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhaltes die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen.
Im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens hat die Beklagte auf Anregung des Gerichtes mehrere Ortstermine im Beisein des Klägers und weiterer Zeugen zur Ermittlung und Einschätzung der tatsächlichen Einwirkungen durch kniebelastenden Tätigkeiten durchgeführt.
Am 4. und 5.12.2013 wurde zusätzlich eine Kniezeitenmessung (CUELA-Messung) durch das I. der D1 in einem Standort der D. in H. durchgeführt. Auf diese ausführlichen Ermittlungsergebnisse, die sich in der Gerichtakte befinden, wird verwiesen.
Nach Auswertung der gesamten vorliegenden weiteren Ermittlungsergebnisse und Zeugenbefragungen kam die Beklagte zusammengefasst zu dem Ergebnis, dass beim Kläger im Belastungszeitraum vom 1.8.1979 bis 16.6.2016 eine Gesamtbelastungsdosis von 12.340 Stunden festzustellen sei. Der Kläger ist hingegen der Auffassung, die Gesamtbelastungsdosis sei nach den weiteren Ermittlungen bei ihm höher einzuschätzen, sodass er mehr als 13.000 Stunden kniebelastend tätig geworden sei.
Mit Verfügung vom 15.1.2018 hat das Gericht den Beteiligten mitgeteilt, dass beabsichtigt ist, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Den Beteiligten wurde eine angemessene Frist zur Stellungnahme eingeräumt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt und der beigezogenen Akte Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung des Gerichts.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte gemäß § 105 SGG nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht aufweist und der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist. Die Entscheidung durch Gerichtsbescheid setzt nach § 105 Abs. 1 SGG kein Einverständnis der Beteiligten voraus.
Die zulässige Anfechtungs- und Feststellungsklage ist unbegründet.
Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung seiner Erkrankungen in den Kniegelenken (Gonarthrose) als eine Berufskrankheit nach der Ziffer 2112 der Berufskrankheiten-Verordnung. Das Gericht kann nicht feststellen, dass die tatbestandlich geforderten Einwirkungen von 13.000 Stunden zur Anerkennung einer BK 2112 im Vollbeweis vorliegen. Ob die weiteren (medizinischen) Voraussetzungen der BK 2112 erfüllt sind, d.h. eine durch die berufliche Belastung verursachte Gonarthrose vorliegt, war daher nicht zu prüfen.
Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Berufskrankheiten solche Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Voraussetzung für die Anerkennung einer Berufskrankheit ist neben dem Vorliegen eines berufskrankheiten-typischen Erkrankungsbildes, dass die schädigenden beruflichen Einwirkungen (so genannte arbeitstechnische Voraussetzungen) im Sinne des Berufskrankheitentatbestandes nachgewiesen sind und dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen (Einwirkungskausalität) sowie zwischen den schädigenden Einwirkungen und der Erkrankung (haftungsbegründende Kausalität) besteht. Dabei müssen die schädigenden Einwirkungen, die versicherte Tätigkeit und die als Berufskrankheit geltend gemachte Gesundheitsschädigung im Vollbeweis nachgewiesen sein. Für die Beurteilung der Kausalzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit. Das Entstehen von länger andauernden Krankheitsfolgen infolge der beruflich bedingten Erkrankungen (haftungsausfüllende Kausalität) ist regelmäßig keine Voraussetzung für die Anerkennung des Berufskrankheitentatbestandes.
Unter der Ziffer 2112 der Anlage zur BKV ist ausgeführt: "Gonarthrose durch eine Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastung mit einer kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde pro Schicht".
Der Kläger war während seiner versicherten Tätigkeit von August 1979 bis zumindest 16.6.2016 nicht den in der BK 2112 genannten gefährdenden Einwirkungen von mindestens 13.000 Stunden ausgesetzt. Das Gericht stellt fest, dass die Einwirkungen unter diesem geforderten Wert lagen, wie sich dies aus den Ermittlungen, Zeugenaussagen und Feststellungen des Präventionsdienstes der Beklagten ergibt. Ob der Wert hierbei genau bei den 12.340 Stunden zum Berechnungszeitpunkt (16.6.2016) gelegen hat, ist rechtlich nicht entscheidend. Er liegt jedoch deutlich unter den 13.000 Stunden, so dass auch eine "Bereinigung" durch Fehlzeiten etc. nicht vorgenommen werden musste. Hierauf hat die Beklagte zutreffend hingewiesen.
Der gesetzliche Tatbestand einer BK 2112 – Gonarthrose – ist nur erfüllt, wenn die arbeitstechnischen Voraussetzungen (Einwirkungen) mit einer kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden (und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde pro Schicht) nachgewiesen sind. Diesen Vollbeweis des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals konnte das Gericht nicht positiv feststellen. Nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast geht dies zulasten des Klägers. Die geforderten 13.000 Stunden sind im Vollbeweis positiv festzustellen.
Nach dem Ergebnis der sehr umfangreichen Ermittlungen, die die Beklagte insbesondere im gerichtlichen Verfahren nach mehreren Ortsterminen, Zeugenbefragungen und Auswertung der CUELA-Messungen vorgenommen hat, ist für das Gericht nicht feststellbar, dass der Kläger mindestens 13.000 Stunden kniebelastend im Sinne der BK 2112 während seiner versicherten Tätigkeit tätig war.
Das Gericht schließt sich nach Überprüfung der vorliegenden Unterlagen der Feststellungen und Beweiswürdigung durch die Beklagte an, die in den Schriftsätzen dezidiert dargelegt hat, wie sie die Zeugenaussagen, die Besichtigungen der verschiedenen Örtlichkeiten, den präventionstechnischen Erfahrungswerten bei knienden Tätigkeiten im Servicebereich "Bahn" und der CUELA-Messungen insgesamt bewertet hat. Hierbei hat sie einen praktikablen und geeigneten "Berechnungsmittelwert" (Durchschnittswert) und eine plausible Grundlage für die Einschätzung der diversen verschiedenen versicherten Tätigkeiten des Klägers von August 1979 bis Mitte 2016 gefunden.
Zutreffend hat die Beklagte auch darauf hingewiesen, dass diese zur Verfügung stehenden Beweismittel keine exakte Berechnungen der tatsächlichen belastenden Tätigkeiten des Klägers darstellen. Da es viele der Tätigkeiten bzw. der Arbeitsplätze bei der "Bahn" gibt und gab, worauf der Kläger zutreffend hinweist, können die wirklichen Belastungen nur annäherungsweise festgestellt werden. Dies ist im Berufskrankheitenrecht typisch und immanent, denn die Einwirkungen müssen häufig über Jahrzehnte rückwirkend festgestellt werden. Daher bedarf es einer realistischen Bewertung, die auch durch die Erfahrungswerte der Präventionsdienste der Unfallversicherungsträger zu ermitteln, bewerten und festzustellen ist. Die Präventionsdienste sind im Bereich der Berufskrankheiten die fachkundigen Stellen zur Ermittlung und Berechnung der schädigenden Einwirkungen. Nur bei einem dezidierten, qualifizierten und nachvollziehbaren Vorbringen gegen deren Feststellungen besteht ein gesteigertes Interesse zur weiteren Aufklärung. Ein bloßes bestreiten der Feststellungen reicht hierbei regelmäßig nicht aus, wenn offenkundig keine Fehler erkennbar sind.
Im vorliegenden Fall des Klägers sind die Ermittlungen des Präventionsdienstes zur Feststellung der beruflichen Kniebelastungen äußerst umfangreich und nach Einschätzung des Gerichts auch sehr gewissenhaft durchgeführt worden. Der Präventionsdienst der Beklagten hat hierbei eine realistische Einschätzung der vorzunehmenden Belastungen für die Tätigkeiten des Klägers durchgeführt und in einer für das Gericht nachvollziehbaren Gesamtwertung ein "rechnerisches" Ergebnis festgestellt. Dass insoweit keine exakten Feststellungen der tatsächlichen kniebelastenden Tätigkeiten getroffen werden kann, ist dem Recht der Berufskrankheiten geschuldet. Es gibt keine Kataster über jeden einzelnen Beschäftigten bzw. über dessen Belastungen bei seiner versicherten Tätigkeit. Schädigende Einwirkungen aus den beruflichen Tätigkeiten müssen im Berufskrankheitenrecht regelmäßig über Jahrzehnte zurück durch die Präventionsdienste der Unfallversicherungsträger beurteilt werden, die hierbei zum Teil auf Kataster zu Belastungen bei verschiedenen Berufsbildern zurückgreifen und gesammelte Erfahrungswerte verwenden. Nach der Erfahrung des Gerichts werden die arbeitstechnischen Beurteilungen regelmäßig sehr "wohlwollend" ("worst-case-Betrachtung"), aber immer auch realistisch, durchgeführt.
Im Falle des Klägers hat der Präventionsdienst beispielsweise ab dem Jahre 2005 nicht berücksichtigt, dass der Kläger möglicherweise die weitere Voraussetzung – mindestens 1 Stunde belastende Tätigkeit pro Arbeitsschicht – zum Teil nicht mehr erfüllt hat. Auch wurden die Fehlzeiten bis Mitte 2016 nicht berücksichtigt. Im Ergebnis konnte das Erreichen der 13.000-Stunden-Grenze nicht festgestellt werden.
Nur ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass beim Kläger möglicherweise das medizinische Bild einer Gonarthrose im Sinne des Berufskrankheitenrechts (links) bereits im Jahre 2000 vorgelegen hat. Dies würde bedeuten, dass die von der Beklagten im Zeitraum ab 2000 bis 2016 zu Grunde gelegten Belastungsstunden unberücksichtigt bleiben würden, so dass die 13.000 Stunden in keinster Weise erreichbar wären und eine berufliche Verursachung der Gonarthrose im linken Kniegelenk im Jahre 2000 bereits hieran offenkundig scheitern würde.
Das Gericht weist abschließend darauf hin, dass nicht mehr festgestellt werden musste, ob bzw. wann die Gonarthrose-Erkrankungen beim Kläger vorlagen und ob die unfallversicherungsrechtliche Kausalität (Verursachung durch die versicherten Einwirkungen) überhaupt erfüllt wäre. Der Kläger wurde 2008 erneut am linken Knie und 2009 am rechten Knie operiert, so dass als (möglicher) Berechnungszeitraum für zur Feststellung der arbeitstechnischen Einwirkungen entsprechend auch die Operationsdaten maßgeblich sein könnten. Die genaue (medizinische) Feststellung der Gonarthrose war jedoch nicht erforderlich, weil der Kläger bereits bei der Gesamtbewertung und Feststellung der Einwirkungen nicht die erforderlichen 13.000 Stunden bis zum Berechnungszeitraum am 16.6.2016 erreicht hatte.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Feststellung der Gonarthrose-Erkrankungen der Kniegelenke des Klägers als Berufskrankheit (BK 2112).
Der 1959 geborene Kläger ist seit August 1979 mit Unterbrechungen bei der D., insbesondere in der Wartung diverser unterschiedlicher Züge, als Wagenelektriker beschäftigt. Hierbei musste er auch kniebelastende Tätigkeiten verrichten.
Im Januar 2010 beantragte der Kläger die Feststellung seiner Gonarthrose-Erkrankungen in den Kniegelenken als Berufskrankheit. Nach eigenen Angaben des Klägers sei bereits im Jahre 2000 ein Knorpelschaden im Kniegelenk links festgestellt und operiert worden. Auch 2008 und 2009 seien weitere Operationen durchgeführt worden. Die Beklagte leitete daraufhin insbesondere Ermittlungen zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen für das Vorliegen einer Berufskrankheit ein. Aus dem Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse ergibt sich unter anderem, dass der Kläger im Jahre 2000 wegen "Gonarthrose und Meniskusschaden links" arbeitsunfähig erkrankt war und es finden sich weitere Eintragungen zu Kniebeschwerden links und rechts mit Arbeitsunfähigkeitszeiten.
Unter dem 22.7.2010 führte der technische Aufsichtsdienst der Beklagten zusammengefasst aus, die vom Kläger ausgeführten Arbeiten erreichten die kumulative Einwirkungsdauer von mindestens 13.000 Stunden in kniender Position oder mit vergleichbaren kniebelastenden Haltungen nicht.
Unter dem 9.8.2010 teilte der eingeschaltete staatliche Gewerbearzt mit, die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit seien nicht erfüllt, so dass die Anerkennung nicht empfohlen werde.
Mit Bescheid vom 24.8.2010 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Ziffer 2112 der Berufskrankheitenverordnung (Gonarthrose) ab und führte zur Begründung aus, die Einwirkungen, denen der Kläger während seiner Berufstätigkeit ausgesetzt war, seien nicht geeignet, eine Berufskrankheit zu verursachen.
Mit Schreiben vom 18.9.2010 legte der Kläger dagegen am 21.9.2010 Widerspruch ein und führte aus, dass er erheblich höhere kniebelastende Tätigkeiten verrichtet hätte, als dies von der Beklagten zu Grunde gelegt worden sei. Nach einer weiteren Stellungnahme des Präventionsdienstes vom 16.11.2010 kam die Beklagte erneut zu dem Ergebnis, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht erfüllt wären.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21.3.2011 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück und führte zusammengefasst aus, die arbeitstechnischen Voraussetzungen, eine kumulative Einwirkungsdauer während des gesamten Arbeitslebens von 13.000 Stunden in kniender Position oder vergleichbaren belastenden Haltungen und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt 1 Stunde pro Arbeitsschicht, sei beim Kläger nicht erreicht worden.
Am 5.4.2011 hat der Kläger dagegen Klage erhoben und ist der Auffassung, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt seien und eine Berufskrankheit Gonarthrose anzuerkennen sei.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich (sinngemäß gefasst),
den Bescheid der Beklagten vom 24.8.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.3.2011 aufzuheben und festzustellen, dass die Erkrankungen der Kniegelenke beim Kläger eine BK 2112 (Gonarthrose) nach der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung sind.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich insbesondere auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.
Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhaltes die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen.
Im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens hat die Beklagte auf Anregung des Gerichtes mehrere Ortstermine im Beisein des Klägers und weiterer Zeugen zur Ermittlung und Einschätzung der tatsächlichen Einwirkungen durch kniebelastenden Tätigkeiten durchgeführt.
Am 4. und 5.12.2013 wurde zusätzlich eine Kniezeitenmessung (CUELA-Messung) durch das I. der D1 in einem Standort der D. in H. durchgeführt. Auf diese ausführlichen Ermittlungsergebnisse, die sich in der Gerichtakte befinden, wird verwiesen.
Nach Auswertung der gesamten vorliegenden weiteren Ermittlungsergebnisse und Zeugenbefragungen kam die Beklagte zusammengefasst zu dem Ergebnis, dass beim Kläger im Belastungszeitraum vom 1.8.1979 bis 16.6.2016 eine Gesamtbelastungsdosis von 12.340 Stunden festzustellen sei. Der Kläger ist hingegen der Auffassung, die Gesamtbelastungsdosis sei nach den weiteren Ermittlungen bei ihm höher einzuschätzen, sodass er mehr als 13.000 Stunden kniebelastend tätig geworden sei.
Mit Verfügung vom 15.1.2018 hat das Gericht den Beteiligten mitgeteilt, dass beabsichtigt ist, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Den Beteiligten wurde eine angemessene Frist zur Stellungnahme eingeräumt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt und der beigezogenen Akte Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung des Gerichts.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte gemäß § 105 SGG nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht aufweist und der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist. Die Entscheidung durch Gerichtsbescheid setzt nach § 105 Abs. 1 SGG kein Einverständnis der Beteiligten voraus.
Die zulässige Anfechtungs- und Feststellungsklage ist unbegründet.
Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung seiner Erkrankungen in den Kniegelenken (Gonarthrose) als eine Berufskrankheit nach der Ziffer 2112 der Berufskrankheiten-Verordnung. Das Gericht kann nicht feststellen, dass die tatbestandlich geforderten Einwirkungen von 13.000 Stunden zur Anerkennung einer BK 2112 im Vollbeweis vorliegen. Ob die weiteren (medizinischen) Voraussetzungen der BK 2112 erfüllt sind, d.h. eine durch die berufliche Belastung verursachte Gonarthrose vorliegt, war daher nicht zu prüfen.
Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Berufskrankheiten solche Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Voraussetzung für die Anerkennung einer Berufskrankheit ist neben dem Vorliegen eines berufskrankheiten-typischen Erkrankungsbildes, dass die schädigenden beruflichen Einwirkungen (so genannte arbeitstechnische Voraussetzungen) im Sinne des Berufskrankheitentatbestandes nachgewiesen sind und dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen (Einwirkungskausalität) sowie zwischen den schädigenden Einwirkungen und der Erkrankung (haftungsbegründende Kausalität) besteht. Dabei müssen die schädigenden Einwirkungen, die versicherte Tätigkeit und die als Berufskrankheit geltend gemachte Gesundheitsschädigung im Vollbeweis nachgewiesen sein. Für die Beurteilung der Kausalzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit. Das Entstehen von länger andauernden Krankheitsfolgen infolge der beruflich bedingten Erkrankungen (haftungsausfüllende Kausalität) ist regelmäßig keine Voraussetzung für die Anerkennung des Berufskrankheitentatbestandes.
Unter der Ziffer 2112 der Anlage zur BKV ist ausgeführt: "Gonarthrose durch eine Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastung mit einer kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde pro Schicht".
Der Kläger war während seiner versicherten Tätigkeit von August 1979 bis zumindest 16.6.2016 nicht den in der BK 2112 genannten gefährdenden Einwirkungen von mindestens 13.000 Stunden ausgesetzt. Das Gericht stellt fest, dass die Einwirkungen unter diesem geforderten Wert lagen, wie sich dies aus den Ermittlungen, Zeugenaussagen und Feststellungen des Präventionsdienstes der Beklagten ergibt. Ob der Wert hierbei genau bei den 12.340 Stunden zum Berechnungszeitpunkt (16.6.2016) gelegen hat, ist rechtlich nicht entscheidend. Er liegt jedoch deutlich unter den 13.000 Stunden, so dass auch eine "Bereinigung" durch Fehlzeiten etc. nicht vorgenommen werden musste. Hierauf hat die Beklagte zutreffend hingewiesen.
Der gesetzliche Tatbestand einer BK 2112 – Gonarthrose – ist nur erfüllt, wenn die arbeitstechnischen Voraussetzungen (Einwirkungen) mit einer kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden (und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde pro Schicht) nachgewiesen sind. Diesen Vollbeweis des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals konnte das Gericht nicht positiv feststellen. Nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast geht dies zulasten des Klägers. Die geforderten 13.000 Stunden sind im Vollbeweis positiv festzustellen.
Nach dem Ergebnis der sehr umfangreichen Ermittlungen, die die Beklagte insbesondere im gerichtlichen Verfahren nach mehreren Ortsterminen, Zeugenbefragungen und Auswertung der CUELA-Messungen vorgenommen hat, ist für das Gericht nicht feststellbar, dass der Kläger mindestens 13.000 Stunden kniebelastend im Sinne der BK 2112 während seiner versicherten Tätigkeit tätig war.
Das Gericht schließt sich nach Überprüfung der vorliegenden Unterlagen der Feststellungen und Beweiswürdigung durch die Beklagte an, die in den Schriftsätzen dezidiert dargelegt hat, wie sie die Zeugenaussagen, die Besichtigungen der verschiedenen Örtlichkeiten, den präventionstechnischen Erfahrungswerten bei knienden Tätigkeiten im Servicebereich "Bahn" und der CUELA-Messungen insgesamt bewertet hat. Hierbei hat sie einen praktikablen und geeigneten "Berechnungsmittelwert" (Durchschnittswert) und eine plausible Grundlage für die Einschätzung der diversen verschiedenen versicherten Tätigkeiten des Klägers von August 1979 bis Mitte 2016 gefunden.
Zutreffend hat die Beklagte auch darauf hingewiesen, dass diese zur Verfügung stehenden Beweismittel keine exakte Berechnungen der tatsächlichen belastenden Tätigkeiten des Klägers darstellen. Da es viele der Tätigkeiten bzw. der Arbeitsplätze bei der "Bahn" gibt und gab, worauf der Kläger zutreffend hinweist, können die wirklichen Belastungen nur annäherungsweise festgestellt werden. Dies ist im Berufskrankheitenrecht typisch und immanent, denn die Einwirkungen müssen häufig über Jahrzehnte rückwirkend festgestellt werden. Daher bedarf es einer realistischen Bewertung, die auch durch die Erfahrungswerte der Präventionsdienste der Unfallversicherungsträger zu ermitteln, bewerten und festzustellen ist. Die Präventionsdienste sind im Bereich der Berufskrankheiten die fachkundigen Stellen zur Ermittlung und Berechnung der schädigenden Einwirkungen. Nur bei einem dezidierten, qualifizierten und nachvollziehbaren Vorbringen gegen deren Feststellungen besteht ein gesteigertes Interesse zur weiteren Aufklärung. Ein bloßes bestreiten der Feststellungen reicht hierbei regelmäßig nicht aus, wenn offenkundig keine Fehler erkennbar sind.
Im vorliegenden Fall des Klägers sind die Ermittlungen des Präventionsdienstes zur Feststellung der beruflichen Kniebelastungen äußerst umfangreich und nach Einschätzung des Gerichts auch sehr gewissenhaft durchgeführt worden. Der Präventionsdienst der Beklagten hat hierbei eine realistische Einschätzung der vorzunehmenden Belastungen für die Tätigkeiten des Klägers durchgeführt und in einer für das Gericht nachvollziehbaren Gesamtwertung ein "rechnerisches" Ergebnis festgestellt. Dass insoweit keine exakten Feststellungen der tatsächlichen kniebelastenden Tätigkeiten getroffen werden kann, ist dem Recht der Berufskrankheiten geschuldet. Es gibt keine Kataster über jeden einzelnen Beschäftigten bzw. über dessen Belastungen bei seiner versicherten Tätigkeit. Schädigende Einwirkungen aus den beruflichen Tätigkeiten müssen im Berufskrankheitenrecht regelmäßig über Jahrzehnte zurück durch die Präventionsdienste der Unfallversicherungsträger beurteilt werden, die hierbei zum Teil auf Kataster zu Belastungen bei verschiedenen Berufsbildern zurückgreifen und gesammelte Erfahrungswerte verwenden. Nach der Erfahrung des Gerichts werden die arbeitstechnischen Beurteilungen regelmäßig sehr "wohlwollend" ("worst-case-Betrachtung"), aber immer auch realistisch, durchgeführt.
Im Falle des Klägers hat der Präventionsdienst beispielsweise ab dem Jahre 2005 nicht berücksichtigt, dass der Kläger möglicherweise die weitere Voraussetzung – mindestens 1 Stunde belastende Tätigkeit pro Arbeitsschicht – zum Teil nicht mehr erfüllt hat. Auch wurden die Fehlzeiten bis Mitte 2016 nicht berücksichtigt. Im Ergebnis konnte das Erreichen der 13.000-Stunden-Grenze nicht festgestellt werden.
Nur ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass beim Kläger möglicherweise das medizinische Bild einer Gonarthrose im Sinne des Berufskrankheitenrechts (links) bereits im Jahre 2000 vorgelegen hat. Dies würde bedeuten, dass die von der Beklagten im Zeitraum ab 2000 bis 2016 zu Grunde gelegten Belastungsstunden unberücksichtigt bleiben würden, so dass die 13.000 Stunden in keinster Weise erreichbar wären und eine berufliche Verursachung der Gonarthrose im linken Kniegelenk im Jahre 2000 bereits hieran offenkundig scheitern würde.
Das Gericht weist abschließend darauf hin, dass nicht mehr festgestellt werden musste, ob bzw. wann die Gonarthrose-Erkrankungen beim Kläger vorlagen und ob die unfallversicherungsrechtliche Kausalität (Verursachung durch die versicherten Einwirkungen) überhaupt erfüllt wäre. Der Kläger wurde 2008 erneut am linken Knie und 2009 am rechten Knie operiert, so dass als (möglicher) Berechnungszeitraum für zur Feststellung der arbeitstechnischen Einwirkungen entsprechend auch die Operationsdaten maßgeblich sein könnten. Die genaue (medizinische) Feststellung der Gonarthrose war jedoch nicht erforderlich, weil der Kläger bereits bei der Gesamtbewertung und Feststellung der Einwirkungen nicht die erforderlichen 13.000 Stunden bis zum Berechnungszeitraum am 16.6.2016 erreicht hatte.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.
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