Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 3192/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 3197/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 7. Juni 2016 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.
Die 1961 in der Türkei geborene Klägerin lebt seit 1977 in der Bundesrepublik Deutschland. In der Türkei hat sie während ihrer Schulzeit eine außerschulische Ausbildung zur Näherin absolviert und in Deutschland ab 1979 in diesem Beruf gearbeitet. Sie war – unterbrochen von Zeiten der Arbeitslosigkeit – als Produktionshelferin, Stanzerin, Montiererin und Kontrolleurin bei verschiedenen Arbeitgebern tätig. Zuletzt arbeitete sie in der Herstellung von Metallautoteilen und erlitt am 24. August 2007 durch einen Arbeitsunfall an der rechten Hand am Zeigefinger eine Amputationsfraktur in der Mitte des Grundgelenks und am Mittelfinger eine Amputation im Mittelgelenk mit völliger Frakturierung des Endgliedes.
In der Zeit vom 17. März 2009 bis 21. April 2009 befand die Klägerin sich in einem stationären Heilverfahren in der M.-Klinik in K. (Diagnosen: Posttraumatische Belastungsstörung Typ I, Anpassungsstörung, längere depressive Reaktion, Verlust des zweiten und dritten Fingers rechts im Grundglied wegen Arbeitsunfall vom 24. August 2007, Chondromalazie Unterschenkel links und Adipositas Grad I). Die Klägerin wurde als nur noch unter drei Stunden täglich leistungsfähig für ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Metallarbeiterin und als sechs und mehr Stunden täglich leistungsfähig für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes bei Beachtung qualitativer Einschränkungen entlassen.
Im Versicherungsverlauf der Klägerin sind erstmals ab September 1979 und letztmals für Juli 2010 Pflichtbeitragszeiten vorgemerkt. Nach diesem Zeitpunkt sind keine rentenrechtlichen Zeiten mehr gespeichert.
Am 11. Februar 2013 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 19. März 2013 ab, da die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Ausgehend von einem Leistungsfall bei Antragstellung seien nur 30 statt 36 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt. Außerdem erfülle die Klägerin nicht die medizinischen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung, da sie nicht erwerbsgemindert sei.
Zur Begründung des hiergegen eingelegten Widerspruchs wurde vorgetragen, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien erfüllt, da durch den Arbeitsunfall Erwerbsminderung eingetreten sei. Die Klägerin könne aus gesundheitlichen Gründen nur noch weniger als drei Stunden erwerbstätig sein.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15. August 2013 zurück. Die Klägerin sei nicht erwerbsgemindert und erfülle darüber hinaus auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Rentengewährung nicht, da im maßgeblichen Zeitraum vom 1. Dezember 2007 bis 10. Februar 2013 lediglich 30 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen vorhanden seien. Auch sei der Zeitraum vom 1. Januar 1984 bis 31. Dezember 2011 nicht durchgehend mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt.
Hiergegen hat die Klägerin am 12. September 2013 Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben (S 8 R 3192/13) und zur Begründung vorgetragen, sie sei aufgrund des unverschuldeten Arbeitsunfalles in ihrer Erwerbsminderung in vollem Umfange eingeschränkt, da sie den Verlust ihrer Finger psychisch in keiner Weise verkraftet habe.
Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen angehört. Der Arzt für Chirurgie und Unfallchirurgie Bu. hat angegeben, aus unfallchirurgischer Sicht könne die Klägerin sechs Stunden täglich arbeiten wenn schwere körperliche Arbeiten und Arbeiten, die eine Feinmotorik erforderten, vermieden würden. Die Klägerin sei jedoch psychisch in erheblichem Maße verändert. Die Wegefähigkeit der Klägerin sei nicht eingeschränkt. Dr. Sche., Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, hat mitgeteilt, er habe eine depressive Anpassungsstörung, eine Tendenz zur dissoziativen Bewusstseinsstörung und eine ausgeprägte depressive Verarbeitungsstörung des Traumas mit Nichtakzeptanz der Behinderungen und inadäquater Verarbeitung diagnostiziert. Ob eine PTBS vorliege, sei "Gegenstand von Auseinandersetzungen". Zur Beurteilung des beruflichen Leistungsvermögens erscheine eine Begutachtung sinnvoll. Die Wegefähigkeit der Klägerin sei nicht eingeschränkt.
Das SG hat ein in einem beim SG Ulm anhängigen Rechtsstreit (S 9 U 3719/08) der Klägerin gegen den Unfallversicherungsträger erstelltes neurologisch-psychiatrisches Gutachten des Prof. Dr. Dr. Wi. vom 24. August 2010 beigezogen. Dieser Sachverständige hat auf neurologischem Fachgebiet Phantomschmerzen diagnostiziert, bei denen die amputierten Finger als existent und schmerzhaft empfunden würden, und am Zeigefingerstumpf der rechten Hand ein kleines druckschmerzhaftes Nervenknötchen (Neurom). Auf psychiatrischem Fachgebiet hat er eine depressive Fehlverarbeitung der körperlichen Unfallfolgen im Sinne einer Anpassungsstörung auf dem Boden einer narzisstisch-geltungsbedürftigen Persönlichkeit diagnostiziert. Laut Prof. Dr. Dr. Wi. sei über die unmittelbar postoperative Zeit hinaus auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet nicht zu erkennen, warum die Klägerin nicht in der Lage sein sollte, z.B. eine Tätigkeit in einer Versandabteilung auszuüben, sofern hierbei nicht das Erfordernis bestehe, beide Hände dauerhaft benutzen zu müssen. Aufgrund der psychischen Symptomatik mit verständlichen Ängsten könne die Klägerin Tätigkeiten an Pressen und Stanzen wie zuletzt ausgeübt nicht mehr verrichten.
Anschließend hat das SG auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein psychiatrisches Fachgutachten bei Dr. Kö., Facharzt für Allgemeinmedizin und für Psychiatrie und Psychotherapie, eingeholt. Der Sachverständige hat zum Untersuchungstermin am 28. November 2014 keinen Dolmetscher für die türkische Sprache hinzugezogen und ist im Gutachten vom 5. Januar 2015 zum Ergebnis gekommen, bei der Klägerin bestehe eine schwere Depression, eine PTBS, ein chronisches Schmerzsyndrom mit psychischen und somatischen Faktoren, eine nicht wahnhafte Dysmorphophobie, eine narzisstische Persönlichkeitsstörung, eine somatoforme autonome Funktionsstörung des Herz-Kreislauf-Systems, Phantomschmerzen, Verlust des zweiten und dritten Fingers der rechten Hand nach Arbeitsunfall 2007 und eine Hypertonie. Die Klägerin könne nur noch leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt weniger als drei Stunden täglich verrichten. Gründe hierfür seien die durch Depression und Angstsymptomatik massiv eingeschränkte Aufmerksamkeit, Konzentrationsfähigkeit und Durchhaltevermögen. Die depressive Symptomatik habe sich seit der Vorbegutachtung durch Prof. Dr. Dr. Wi. wesentlich verschlechtert. Aktuell sei kein konkretes Berufsbild vorstellbar, das unter Berücksichtigung der körperlichen und seelischen Behinderungen für die Klägerin geeignet wäre. In ihrer Gehfähigkeit sei die Klägerin nicht eingeschränkt, könne jedoch aufgrund der psychischen Beschwerden öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten nicht benutzen.
Die Beklagte hat eine sozialmedizinische Stellungnahme ihres ärztlichen Dienstes vorgelegt. Hierin hat sich die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. Ed. am 28. Januar 2015 mit den Feststellungen im Gutachten des Dr. Kö. nicht einverstanden erklärt. Die Diagnose einer schweren Depression und eine Verschlechterung seit der Begutachtung durch Prof. Dr. Dr. Wi. sei im Gutachten des Dr. Kö. nicht anhand psychopathologischer Befunde objektivierbar und daher nicht nachvollziehbar. Seit der Begutachtung bei Prof. Dr. Dr. Wi. im Jahr 2010 bis zur Begutachtung durch Dr. Kö. habe die Klägerin ein Medikament gegen Depression und Angsterkrankung in gleichbleibender Dosierung eingenommen, was gegen eine Verschlechterung spreche. Auch die von Dr. Kö. angenommene Diagnose einer PTBS sei nicht nachvollziehbar, da die hierfür erforderlichen Kriterien nicht bewiesen seien. Die von Dr. Kö. gestellten Diagnosen einer nicht wahnhaften Dysmorphophobie und einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung hätten keine quantitative Leistungsrelevanz. Die vom Gutachter angegebene "massiv eingeschränkte Aufmerksamkeit, Konzentrationsfähigkeit und Durchhaltevermögen" sei im Rahmen der Begutachtung nicht objektiviert worden, da eine neuropsychologische Testung von Dr. Kö. nicht durchgeführt worden sei.
Das SG hat dann von Amts wegen ein fachpsychiatrisches Gutachten bei Prof. Dr. Schw., Chefarzt der Klinik für allgemeine Psychiatrie, Psychotherapie Psychosomatik I am psychiatrischen Zentrum N., eingeholt. Der Sachverständige hat auf Bitte der Klägerin zum Untersuchungstermin am 14. September 2015 einen vereidigten Dolmetscher für die türkische Sprache hinzugezogen, auf Wunsch der Klägerin auch eine Fremdanamnese des Ehemannes erhoben, das Schmerzerleben der Klägerin durch einen Schmerzevaluationsbogen psychometrisch erfasst und drei testpsychologische Beschwerdevalidierungsverfahren durchgeführt. Er hat dann bei der Klägerin folgende Erkrankungen diagnostiziert: Dysthyme Störung und anhaltend somatoforme Schmerzstörung. Als nicht krankheitswertige Besonderheit sei eine Persönlichkeitsakzentuierung mit histrionisch-narzisstischen Zügen zu konstatieren. Außerhalb des psychiatrischen Fachgebietes liege ein Phantomschmerz vor. Die Klägerin könne nur noch körperlich leichte Tätigkeiten mit Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten ohne Hilfsmittel unterhalb von 10 kg verrichten. Sie könne weiterhin die rechte Hand funktional einsetzen, Tätigkeiten mit relevanter Anforderung an beidhändige Feinmotorik seien jedoch auszuschließen. Zu vermeiden seien außerdem Tätigkeiten mit erhöhtem Zeitdruck (z.B. Akkordarbeit) oder mit unphysiologischen psychovegetativen Belastungen (z.B. Nachtarbeit) sowie Tätigkeiten mit Publikumsverkehr und hohen Anforderungen an das Aufmerksamkeits- und Konzentrationsvermögen. Aufgrund der Unfallvorgeschichte mit letztlich nicht adäquat verarbeiteten Unfallfolgen seien Tätigkeiten an gefährlichen laufenden Maschinen, natürlich auch solchen mit Stanzvorgängen, auszuschließen. Bei Beachtung dieser qualitativen Einschränkungen könne die Klägerin sechs und mehr Stunden pro Arbeitstag berufstätig sein. Dies entspreche definitiv nicht der leistungsbezogenen Selbsteinschätzung der Klägerin, die sich in dieser Hinsicht jedoch nicht realistisch selbst beschreibe. Die Klägerin könne viermal täglich eine Wegstrecke von 500 m zu Fuß zurücklegen. Sie habe bei der gutachterlichen Untersuchung mitgeteilt, dass sie die regional verfügbare Busverbindung selbstständig nutzen könne. Der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten stünden keine Krankheitsgründe entgegen. Prof. Dr. Schw. hat sich im Gutachten des Dr. Kö. in wesentlichen diagnostischen Aspekten nicht angeschlossen und ausgeführt, dass aus den unterschiedlichen Befunden und diagnostischen Beurteilungen auch die Differenz in der Leistungsbeurteilung resultiere. Die von Dr. Kö. gesehene durch Depression und Angstsymptomatik massiv eingeschränkte Aufmerksamkeit, Konzentrationsfähigkeit und eingeschränktes Durchhaltevermögen könnten definitiv nicht bestätigt werden.
Abschließend hat das SG erneut den Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie Bu. schriftlich als sachverständigen Zeugen befragt. Dieser hat am 13. November 2015 mitgeteilt, die Situation an den Fingerstümpfen hätte sich nicht wesentlich geändert. In zunehmendem Maß sei die Klägerin aber mit einer posttraumatischen Verarbeitungstörung belastet.
Durch Urteil vom 7. Juni 2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Insbesondere aufgrund des für überzeugend erachteten Gutachtens des Prof. Dr. Schw. seien die medizinischen Voraussetzungen für die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung als nicht nachgewiesen anzusehen. Das SG hat außerdem dargelegt und näher begründet, dass dem Gutachten des Dr. Kö. nicht gefolgt werden könne.
Gegen das ihr am 8. August 2016 zugestellte Urteil des SG richtet sich die am 24. August 2016 eingelegte Berufung der Klägerin, zu deren Begründung sie unter Hinweis auf ein beigefügtes Attest des Dr. Sche. vom 22. November 2016 (Diagnosen: Chronische Depression und PTBS; Behandlung: Cymbalta als Antidepressivum und Dominal forte als Schlafmittel) vorträgt, Prof. Dr. Schw. habe die seit 2008 ununterbrochen laufende psychiatrische Behandlung bei Dr. Sche. verkannt. Durch die Einschränkungen auf psychiatrischem Gebiet sei die Klägerin daran gehindert, mehr als 3 Stunden täglich zu arbeiten. Dr. Sche. könne sich den Feststellungen des Sachverständigen Dr. Kö. in vollem Umfang anschließen. Unter Hinweis auf einen Therapieplan der Schmerzambulanz des S.klinik Schw. vom 24. Januar 2017 trägt die Klägerin vor, bereits aus der verordneten Medikation sei der extreme Leidensdruck zu entnehmen. Die Klägerin sei durch den Arbeitsunfall völlig aus der Lebensbahn geworfen. Wegen der zwischen den bisher erstellten Gutachten bestehenden Widersprüche müsse ein Obergutachten eingeholt werden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 7. Juni 2016 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. August 2013 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und bestätigt unter Vorlage eines Versicherungsverlaufs vom 29.12.2016, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen letztmals am 31. August 2012 erfüllt waren.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten sowie auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die nach den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Sie hat keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.
Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die von Klägerin beanspruchte Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung - § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) - dargelegt und zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung hat. Dem schließt sich der Senat nach eigener Überprüfung und unter Berücksichtigung des gesamten Vorbringens der Klägerin im Klageverfahren uneingeschränkt an und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung gemäß § 153 Abs. 2 SGG zurück.
Ergänzend ist noch anzumerken, dass das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren im Ergebnis zu keiner anderen Beurteilung führt. Ausgehend vom Zeitpunkt der Antragstellung am 11. Februar 2013 sind die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Es ist weiterhin ist nicht nachgewiesen, dass bei der Klägerin infolge des am 24. August 2007 erlittenen Arbeitsunfalls Erwerbsminderung eingetreten ist.
Nach § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 bzw. Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB VI ist für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung auch Voraussetzung, dass der Versicherte in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit hat. Zu Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zählen nach § 55 Abs. 2 SGB VI auch freiwillige Beiträge, die als Pflichtbeiträge gelten (Nr. 1), oder (Nr. 2) Pflichtbeiträge, für die aus den in § 3 oder § 4 genannten Gründen Beiträge gezahlt worden sind oder als gezahlt gelten oder Beiträge für Anrechnungszeiten, die ein Leistungsträger mitgetragen hat (Nr. 3). Diese versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt die Klägerin bezogen auf den Zeitpunkt der Antragstellung im Februar 2013 nicht, denn sie waren letztmals für einen Leistungsfall am 31. August 2012 gegeben. Zu diesem Zeitpunkt erfüllte die Klägerin letztmalig die Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VI bzw. § 43 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB VI (so genannte Drei-Fünftel-Belegung), weil im Zeitraum von August 2007 bis Juli 2012 insgesamt 36 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt sind und nach Juli 2010 keine Pflichtbeiträge mehr entrichtet wurden. Dies ergibt sich aus dem von der Beklagten im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 29. Dezember 2017 vorgelegten Versicherungsverlauf vom 29. Dezember 2017, bezüglich dessen Richtigkeit und Vollständigkeit der Senat keine Bedenken hat und die Klägerin keine Einwände erhoben hat. Freiwillige Beiträge, die nach § 55 Abs. 2 SGB VI zu Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zählen könnten, hat die Klägerin nicht entrichtet. Anhaltspunkte dafür ergeben sich weder nach Aktenlage noch aus dem klägerischen Vorbringen.
Nach § 241 Abs. 2 SGB VI sind Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vor der Erwerbsminderung für Versicherte nicht erforderlich, die vor dem 1. Januar 1984 die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 Abs.1 SGB VI) erfüllt haben, wenn jeder Kalendermonat vom 1. Januar 1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung mit bestimmten, im einzelnen aufgeführten Zeiten belegt ist oder wenn die Erwerbsminderung vor dem 1. Januar 1984 eingetreten ist. Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht, da in ihrem Versicherungsverlauf vor dem 1. Januar 1984 nur 52 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen belegt sind und somit die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt ist. Erwerbsminderung ist vor dem 1. Januar 1984 bei der Klägerin nicht eingetreten.
Ist Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten, durch den die allgemeine Wartezeit nach § 53 SGB VI vorzeitig erfüllt ist (z.B. Arbeitsunfall, Wehr- oder Zivildienstbeschädigung), ist eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit nicht erforderlich (§ 43 Abs. 5 SGB VI). Dass durch den von der Klägerin am 24. August 2007 erlittenen Arbeitsunfall Erwerbsminderung eingetreten wäre, kann bei Würdigung der Beweisaufnahme im erstinstanzlichen Verfahren und auch unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahren nicht festgestellt werden. Insbesondere vermag der Senat hinsichtlich der unterschiedlichen Beurteilungen in den Gutachten des Prof. Dr. Schw. und des Dr. Kö. keine nicht aufzulösenden Widersprüche zu erkennen, die die Einholung eines Obergutachtens erfordern würden. Soweit die Klägerin in der Berufungsbegründung vom 5. Dezember 2016 sowie im Schriftsatz vom 1. Februar 2017 diesbezüglich darauf hinweist, im Gegensatz zu Dr. Kö. und abweichend von dessen Diagnosen habe Prof. Dr. Schw. das Ausmaß der Leiden der Klägerin bagatellisiert und die langjährige psychiatrische Behandlung der Klägerin bei Dr. Sche. verkannt, ist dies nicht zutreffend. Der Sachverständige Prof. Dr. Schw. hat sich im Gutachten vom 10. Oktober 2015 ausführlich mit dem Gutachten des Dr. Kö. auseinandergesetzt, die aktenkundigen Arztberichte des Dr. Sche. berücksichtigt und schlüssig und für den Senat nachvollziehbar dargelegt, dass die von Dr. Kö. gestellten Diagnosen einer schweren Depression, einer PTBS, einer nicht wahnhaften Dysmorphophobie sowie einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung bei der Klägerin nicht vorliegen. Im Gutachten vom 5. Januar 2015 hat Dr. Kö. die Diagnose einer schweren depressiven Symptomatik gestellt ohne dies jedoch anhand konkreter Befunde (z.B. Stimmungslage, Schwingungsfähigkeit, Antriebsstörung, kognitive Funktionsstörungen, formalgedankliche Störungen, Ich-Störungen) zu begründen. Offenbar hat Dr. Kö. die von der Klägerin in zwei psychometrischen Testverfahren (HAMD, MADRS) erzielten hohen Punktwerte zugrundengelegt und hieraus auf eine "zwischenzeitlich schwere depressive Symptomatik" geschlossen. Dies erscheint bereits insoweit nicht überzeugend, als die hohen Punktwerte nicht mit erhobenen Befunden abgeglichen worden sind und die Klägerin auch in den von Prof. Dr. Schw. durchgeführten drei testpsychologischen Beschwerdevalidierungsverfahren (SFSS, TOMM, WMT) auffallende Punktwerte erzielt hat, die jeweils außerhalb des noch als unauffällig einschätzbaren Wertes bzw. auf Rateniveau gelegen und deutliche Hinweise auf negative Antwortverzerrungen, instruktionswidrige Anstrengungsminderleistungen und teilweise auch auf bewusst falsche Antworten gegeben haben. Da auch der behandelnde Arzt Dr. Sche. – worauf Prof. Dr. Schw. hingewiesen hat – auch (nur) eine depressive Anpassungsstörung diagnostiziert hat, ist die Diagnosestellung des Dr. Kö. auch insoweit nicht überzeugend, da er in Kenntnis der Auskunft des Dr. Sche. seine abweichende Diagnose einer schweren Depression nicht begründet hat. Aus dem von der Klägerin im Berufungsverfahren noch vorgelegten Attest des Dr. Sche. vom 22. November 2016 und bereits aus seiner schriftlichen Auskunft an das SG vom 30. Januar 2014 ergibt sich insoweit nichts anderes, da der behandelnde Arzt eine "depressive Anpassungsstörung", "chronische Depression" bzw. "ängstlich depressive Symptome" angibt, nicht jedoch eine schwere Depression. Auch soweit Dr. Kö. eine PTBS diagnostiziert hat, ergeben sich keine nicht auflösbaren Widersprüche zum Gutachten des Prof. Dr. Schw., sondern letzterer hat das Bestehen einer PTBS schlüssig und für den Senat überzeugend verneint: Insoweit übereinstimmend mit Dr. Kö. hat Prof. Dr. Schw. das A-Kriterium (Traumakriterium) für die Diagnose einer PTBS im Sinne der ICD-10 Kategorie F 43.1 bezogen auf den von der Klägerin erlittenen Arbeitsunfall bejaht. Nachdem das während der Behandlung in der M.-Klinik im März/April 2009 noch erfüllte B-Kriterium (Wiedererkennungskriterium) bereits anlässlich der Begutachtung durch Prof. Dr. Dr. Wi. im August 2010 (bestätigt durch ergänzende gutachterliche Stellungnahme vom 11. April 2014) nicht mehr nachweisbar war, hat die Klägerin auch bei Prof. Dr. Schw. unwillkürliche Wiedererinnerungen tagsüber bzw. nachts (in Form von Albträumen) nicht angegeben. Bei nicht gegebener Konfrontation mit dem Unfallort hat Prof. Dr. Schw. außerdem traumaspezifische Vermeidungsverhaltensweisen (Vermeidungskriterium), die Voraussetzungen für das Hypersensibilitätskriterium (mindestens zwei der folgenden fünf Merkmale: Ein- und Durchschlafstörungen; Reizbarkeit oder Wutausbrüche; Konzentrationsschwierigkeiten; Hypervigilanz; erhöhte Schreckhaftigkeit) nicht objektivieren können, während er das Zeitkriterium (Erfüllung des Wiedererinnerung, Vermeidung und Hypersensibilitätskriterium innerhalb von sechs Monaten nach dem Belastungsereignis) bejaht hat – dies allerdings gestützt auf den Bericht der M.-Klinik nur für die Zeit unmittelbar nach dem Arbeitsunfall. Die Diagnosestellung des Dr. Kö. ist demgegenüber nicht überzeugend, zumal im Gutachten vom 5. Januar 2015 die Kriterien nicht anhand des Verlaufs und der erhobenen Befunde belegt worden sind und auch nicht darlegt worden ist, warum Dr. Kö. abweichend von Prof. Dr. Dr. Wi. die Kriterien als erfüllt angesehen hat. Auch der langjährig behandelnde Arzt Dr. Sche. hat eine PTBS nicht diagnostiziert sondern in seiner Auskunft an das SG lediglich formuliert, "ob eine posttraumatische Belastungsstörung vorliegt, ist Gegenstand von Auseinandersetzungen". Auch die Annahme des Dr. Kö., bei der Klägerin liege eine nicht wahnhafte Dysmorphophobie vor, ist im Gutachten des Prof. Dr. Schw. schlüssig widerlegt worden, da es bereits am hierfür erforderlichen Kriterium einer Diskrepanz zwischen der objektiven Geringfügigkeit der Entstellung und der für den Betroffenen bestehenden subjektiven Bedeutsamkeit fehlt. Prof. Dr. Schw. hat nachvollziehbar dargelegt, dass der von der Klägerin erlittene Verlust zweier Finger der rechten Hand bei Rechtshändigkeit durchaus eine gravierende Veränderung der Körperkonfiguration darstellt und gerade nicht objektiv geringfügig ist. Auch der langjährig behandelnde Arzt Dr. Sche. hat eine nicht wahnhafte Dysmorphophobie nicht diagnostiziert. Auch die von Dr. Kö. diagnostizierte narzisstische Persönlichkeitsstörung hat Prof. Dr. Schw. bezogen auf die Klägerin nicht bestätigt, da die hierfür notwendigen fünf von sieben Kriterien nach ICD-10 Kategorie F 60.80 (Größengefühle in Bezug auf die eigene Bedeutung; Beschäftigung mit Fantasien über unbegrenzten Erfolg, Macht, Brillanz, Schönheit oder ideale Liebe; Überzeugung, "besonders" und einmalig zu sein; Bedürfnis nach übermäßiger Bewunderung; ungerechtfertigte Anspruchshaltung gegenüber Dritten; Ausnutzung zwischenmenschlicher Bedürfnisse; Mangel an Empathie) nicht nachweisbar gewesen sind. Auch der langjährig behandelnde Arzt Dr. Sche. hat eine narzisstische Persönlichkeitsstörung bei der Klägerin nicht diagnostiziert. Der Senat hält das Gutachten des Prof. Dr. Schw. hinsichtlich Befunderhebung, Diagnostik und Einschätzung des beruflichen Leistungsvermögens der Klägerin für überzeugend und legt es der Entscheidung zugrunde. Weitere medizinische Ermittlungen waren von Amts wegen nicht zu veranlassen.
Die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen führen zu qualitativen Leistungseinschränkungen insoweit, als sie nur noch körperlich leichte Tätigkeiten (Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten ohne Hilfsmittel unterhalb von 10 kg) ohne relevante Anforderungen an beidhändige Feinmotorik, ohne Akkordarbeit, ohne Nachtarbeit ohne Publikumsverkehr, ohne hohe Anforderungen an das Aufmerksamkeits- und Konzentrationsvermögen und ohne Tätigkeiten an gefährlichen laufenden Maschinen verrichten kann. Dies gilt insbesondere auch unter Berücksichtigung der Amputationsverletzung, denn die Klägerin hat bereits bei Prof. Dr. Dr. Wi. angegeben und demonstriert, dass sie versuche, die rechte Hand bei allem einzusetzen und auch mit rechts schreibe. Bei Prof. Dr. Dr. Wi. hat sie mit der rechten Hand geschickt Unterlagen aus ihrer Tasche geholt und bei Prof. Dr. Schw. hat sie beim Ent- und Ankleiden im Rahmen der körperlichen Untersuchung die rechte Hand voll funktionell auch bei feinmotorischen Aktionen eingesetzt. Nach den schlüssigen und insoweit übereinstimmenden Feststellungen der Sachverständigen Prof. Dr. Dr. Wi. und Prof. Dr. Schw. sind keine Gründe dafür erkennbar, warum die Klägerin nicht dazu in der Lage sein sollte, leichte Tätigkeiten wie z.B. in einer Versandabteilung bzw. im Bereich des Verpackens leichter Industrie- oder Handelserzeugnisse oder vergleichbarer Hilfsarbeiten vollschichtig zu verrichten. Nach ihren eigenen Angaben gegenüber Prof. Dr. Schw. verfügt die Klägerin über einen PKW-Führerschein, fährt Auto und nutzt selbständig regionale Busverbindungen. Sie wäre damit auch dazu in der Lage, die notwendigen Wege zum und vom Arbeitsplatz zu bewältigen.
Damit ist eine durch den Arbeitsunfall vom 24. August 2007 eingetretene oder eine aufgrund anderer Erkrankungen bis spätestens August 2012 (Zeitpunkt, zu dem die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen letztmals erfüllt waren) eingetretene und seither bestehende volle oder teilweise Erwerbsminderung im Sinne des Gesetzes nicht nachgewiesen.
Soweit die Klägerin mit der Berufung noch geltend macht, das Ausmaß ihrer Schmerzen habe sich verschlimmert, was durch die Verordnung eines Opiats seitens der Ärzte in der S.klinik im Januar 2017 belegt werde, kann dies keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung begründen, da auch bezogen auf den Zeitpunkt im November 2017 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt wären.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Im Rahmen des dem Senat nach § 193 SGG eingeräumten Ermessens war für den Senat maßgeblich, dass die Klägerin mit der Rechtsverfolgung ohne Erfolg geblieben ist und die Beklagte keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat. Der Senat hält es auch im Falle einer Zurückweisung des Rechtsmittels für erforderlich, nicht nur über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu entscheiden, sondern auch über die Kosten der vorausgehenden Instanz (so Lüdtke, Kommentar zum SGG, 4. Aufl., § 193 SGG Rdnr. 8; erkennender Senat, Urteil vom 19. November 2013, L 13 R 1662/12, veröffentlicht in Juris; a.A. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 12. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 2a; Hintz/Lowe, Kommentar zum SGG, § 193 SGG Rdnr. 11; Jansen, Kommentar zum SGG, 4. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 4).
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.
Die 1961 in der Türkei geborene Klägerin lebt seit 1977 in der Bundesrepublik Deutschland. In der Türkei hat sie während ihrer Schulzeit eine außerschulische Ausbildung zur Näherin absolviert und in Deutschland ab 1979 in diesem Beruf gearbeitet. Sie war – unterbrochen von Zeiten der Arbeitslosigkeit – als Produktionshelferin, Stanzerin, Montiererin und Kontrolleurin bei verschiedenen Arbeitgebern tätig. Zuletzt arbeitete sie in der Herstellung von Metallautoteilen und erlitt am 24. August 2007 durch einen Arbeitsunfall an der rechten Hand am Zeigefinger eine Amputationsfraktur in der Mitte des Grundgelenks und am Mittelfinger eine Amputation im Mittelgelenk mit völliger Frakturierung des Endgliedes.
In der Zeit vom 17. März 2009 bis 21. April 2009 befand die Klägerin sich in einem stationären Heilverfahren in der M.-Klinik in K. (Diagnosen: Posttraumatische Belastungsstörung Typ I, Anpassungsstörung, längere depressive Reaktion, Verlust des zweiten und dritten Fingers rechts im Grundglied wegen Arbeitsunfall vom 24. August 2007, Chondromalazie Unterschenkel links und Adipositas Grad I). Die Klägerin wurde als nur noch unter drei Stunden täglich leistungsfähig für ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Metallarbeiterin und als sechs und mehr Stunden täglich leistungsfähig für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes bei Beachtung qualitativer Einschränkungen entlassen.
Im Versicherungsverlauf der Klägerin sind erstmals ab September 1979 und letztmals für Juli 2010 Pflichtbeitragszeiten vorgemerkt. Nach diesem Zeitpunkt sind keine rentenrechtlichen Zeiten mehr gespeichert.
Am 11. Februar 2013 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 19. März 2013 ab, da die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Ausgehend von einem Leistungsfall bei Antragstellung seien nur 30 statt 36 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt. Außerdem erfülle die Klägerin nicht die medizinischen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung, da sie nicht erwerbsgemindert sei.
Zur Begründung des hiergegen eingelegten Widerspruchs wurde vorgetragen, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien erfüllt, da durch den Arbeitsunfall Erwerbsminderung eingetreten sei. Die Klägerin könne aus gesundheitlichen Gründen nur noch weniger als drei Stunden erwerbstätig sein.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15. August 2013 zurück. Die Klägerin sei nicht erwerbsgemindert und erfülle darüber hinaus auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Rentengewährung nicht, da im maßgeblichen Zeitraum vom 1. Dezember 2007 bis 10. Februar 2013 lediglich 30 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen vorhanden seien. Auch sei der Zeitraum vom 1. Januar 1984 bis 31. Dezember 2011 nicht durchgehend mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt.
Hiergegen hat die Klägerin am 12. September 2013 Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben (S 8 R 3192/13) und zur Begründung vorgetragen, sie sei aufgrund des unverschuldeten Arbeitsunfalles in ihrer Erwerbsminderung in vollem Umfange eingeschränkt, da sie den Verlust ihrer Finger psychisch in keiner Weise verkraftet habe.
Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen angehört. Der Arzt für Chirurgie und Unfallchirurgie Bu. hat angegeben, aus unfallchirurgischer Sicht könne die Klägerin sechs Stunden täglich arbeiten wenn schwere körperliche Arbeiten und Arbeiten, die eine Feinmotorik erforderten, vermieden würden. Die Klägerin sei jedoch psychisch in erheblichem Maße verändert. Die Wegefähigkeit der Klägerin sei nicht eingeschränkt. Dr. Sche., Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, hat mitgeteilt, er habe eine depressive Anpassungsstörung, eine Tendenz zur dissoziativen Bewusstseinsstörung und eine ausgeprägte depressive Verarbeitungsstörung des Traumas mit Nichtakzeptanz der Behinderungen und inadäquater Verarbeitung diagnostiziert. Ob eine PTBS vorliege, sei "Gegenstand von Auseinandersetzungen". Zur Beurteilung des beruflichen Leistungsvermögens erscheine eine Begutachtung sinnvoll. Die Wegefähigkeit der Klägerin sei nicht eingeschränkt.
Das SG hat ein in einem beim SG Ulm anhängigen Rechtsstreit (S 9 U 3719/08) der Klägerin gegen den Unfallversicherungsträger erstelltes neurologisch-psychiatrisches Gutachten des Prof. Dr. Dr. Wi. vom 24. August 2010 beigezogen. Dieser Sachverständige hat auf neurologischem Fachgebiet Phantomschmerzen diagnostiziert, bei denen die amputierten Finger als existent und schmerzhaft empfunden würden, und am Zeigefingerstumpf der rechten Hand ein kleines druckschmerzhaftes Nervenknötchen (Neurom). Auf psychiatrischem Fachgebiet hat er eine depressive Fehlverarbeitung der körperlichen Unfallfolgen im Sinne einer Anpassungsstörung auf dem Boden einer narzisstisch-geltungsbedürftigen Persönlichkeit diagnostiziert. Laut Prof. Dr. Dr. Wi. sei über die unmittelbar postoperative Zeit hinaus auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet nicht zu erkennen, warum die Klägerin nicht in der Lage sein sollte, z.B. eine Tätigkeit in einer Versandabteilung auszuüben, sofern hierbei nicht das Erfordernis bestehe, beide Hände dauerhaft benutzen zu müssen. Aufgrund der psychischen Symptomatik mit verständlichen Ängsten könne die Klägerin Tätigkeiten an Pressen und Stanzen wie zuletzt ausgeübt nicht mehr verrichten.
Anschließend hat das SG auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein psychiatrisches Fachgutachten bei Dr. Kö., Facharzt für Allgemeinmedizin und für Psychiatrie und Psychotherapie, eingeholt. Der Sachverständige hat zum Untersuchungstermin am 28. November 2014 keinen Dolmetscher für die türkische Sprache hinzugezogen und ist im Gutachten vom 5. Januar 2015 zum Ergebnis gekommen, bei der Klägerin bestehe eine schwere Depression, eine PTBS, ein chronisches Schmerzsyndrom mit psychischen und somatischen Faktoren, eine nicht wahnhafte Dysmorphophobie, eine narzisstische Persönlichkeitsstörung, eine somatoforme autonome Funktionsstörung des Herz-Kreislauf-Systems, Phantomschmerzen, Verlust des zweiten und dritten Fingers der rechten Hand nach Arbeitsunfall 2007 und eine Hypertonie. Die Klägerin könne nur noch leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt weniger als drei Stunden täglich verrichten. Gründe hierfür seien die durch Depression und Angstsymptomatik massiv eingeschränkte Aufmerksamkeit, Konzentrationsfähigkeit und Durchhaltevermögen. Die depressive Symptomatik habe sich seit der Vorbegutachtung durch Prof. Dr. Dr. Wi. wesentlich verschlechtert. Aktuell sei kein konkretes Berufsbild vorstellbar, das unter Berücksichtigung der körperlichen und seelischen Behinderungen für die Klägerin geeignet wäre. In ihrer Gehfähigkeit sei die Klägerin nicht eingeschränkt, könne jedoch aufgrund der psychischen Beschwerden öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten nicht benutzen.
Die Beklagte hat eine sozialmedizinische Stellungnahme ihres ärztlichen Dienstes vorgelegt. Hierin hat sich die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. Ed. am 28. Januar 2015 mit den Feststellungen im Gutachten des Dr. Kö. nicht einverstanden erklärt. Die Diagnose einer schweren Depression und eine Verschlechterung seit der Begutachtung durch Prof. Dr. Dr. Wi. sei im Gutachten des Dr. Kö. nicht anhand psychopathologischer Befunde objektivierbar und daher nicht nachvollziehbar. Seit der Begutachtung bei Prof. Dr. Dr. Wi. im Jahr 2010 bis zur Begutachtung durch Dr. Kö. habe die Klägerin ein Medikament gegen Depression und Angsterkrankung in gleichbleibender Dosierung eingenommen, was gegen eine Verschlechterung spreche. Auch die von Dr. Kö. angenommene Diagnose einer PTBS sei nicht nachvollziehbar, da die hierfür erforderlichen Kriterien nicht bewiesen seien. Die von Dr. Kö. gestellten Diagnosen einer nicht wahnhaften Dysmorphophobie und einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung hätten keine quantitative Leistungsrelevanz. Die vom Gutachter angegebene "massiv eingeschränkte Aufmerksamkeit, Konzentrationsfähigkeit und Durchhaltevermögen" sei im Rahmen der Begutachtung nicht objektiviert worden, da eine neuropsychologische Testung von Dr. Kö. nicht durchgeführt worden sei.
Das SG hat dann von Amts wegen ein fachpsychiatrisches Gutachten bei Prof. Dr. Schw., Chefarzt der Klinik für allgemeine Psychiatrie, Psychotherapie Psychosomatik I am psychiatrischen Zentrum N., eingeholt. Der Sachverständige hat auf Bitte der Klägerin zum Untersuchungstermin am 14. September 2015 einen vereidigten Dolmetscher für die türkische Sprache hinzugezogen, auf Wunsch der Klägerin auch eine Fremdanamnese des Ehemannes erhoben, das Schmerzerleben der Klägerin durch einen Schmerzevaluationsbogen psychometrisch erfasst und drei testpsychologische Beschwerdevalidierungsverfahren durchgeführt. Er hat dann bei der Klägerin folgende Erkrankungen diagnostiziert: Dysthyme Störung und anhaltend somatoforme Schmerzstörung. Als nicht krankheitswertige Besonderheit sei eine Persönlichkeitsakzentuierung mit histrionisch-narzisstischen Zügen zu konstatieren. Außerhalb des psychiatrischen Fachgebietes liege ein Phantomschmerz vor. Die Klägerin könne nur noch körperlich leichte Tätigkeiten mit Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten ohne Hilfsmittel unterhalb von 10 kg verrichten. Sie könne weiterhin die rechte Hand funktional einsetzen, Tätigkeiten mit relevanter Anforderung an beidhändige Feinmotorik seien jedoch auszuschließen. Zu vermeiden seien außerdem Tätigkeiten mit erhöhtem Zeitdruck (z.B. Akkordarbeit) oder mit unphysiologischen psychovegetativen Belastungen (z.B. Nachtarbeit) sowie Tätigkeiten mit Publikumsverkehr und hohen Anforderungen an das Aufmerksamkeits- und Konzentrationsvermögen. Aufgrund der Unfallvorgeschichte mit letztlich nicht adäquat verarbeiteten Unfallfolgen seien Tätigkeiten an gefährlichen laufenden Maschinen, natürlich auch solchen mit Stanzvorgängen, auszuschließen. Bei Beachtung dieser qualitativen Einschränkungen könne die Klägerin sechs und mehr Stunden pro Arbeitstag berufstätig sein. Dies entspreche definitiv nicht der leistungsbezogenen Selbsteinschätzung der Klägerin, die sich in dieser Hinsicht jedoch nicht realistisch selbst beschreibe. Die Klägerin könne viermal täglich eine Wegstrecke von 500 m zu Fuß zurücklegen. Sie habe bei der gutachterlichen Untersuchung mitgeteilt, dass sie die regional verfügbare Busverbindung selbstständig nutzen könne. Der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten stünden keine Krankheitsgründe entgegen. Prof. Dr. Schw. hat sich im Gutachten des Dr. Kö. in wesentlichen diagnostischen Aspekten nicht angeschlossen und ausgeführt, dass aus den unterschiedlichen Befunden und diagnostischen Beurteilungen auch die Differenz in der Leistungsbeurteilung resultiere. Die von Dr. Kö. gesehene durch Depression und Angstsymptomatik massiv eingeschränkte Aufmerksamkeit, Konzentrationsfähigkeit und eingeschränktes Durchhaltevermögen könnten definitiv nicht bestätigt werden.
Abschließend hat das SG erneut den Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie Bu. schriftlich als sachverständigen Zeugen befragt. Dieser hat am 13. November 2015 mitgeteilt, die Situation an den Fingerstümpfen hätte sich nicht wesentlich geändert. In zunehmendem Maß sei die Klägerin aber mit einer posttraumatischen Verarbeitungstörung belastet.
Durch Urteil vom 7. Juni 2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Insbesondere aufgrund des für überzeugend erachteten Gutachtens des Prof. Dr. Schw. seien die medizinischen Voraussetzungen für die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung als nicht nachgewiesen anzusehen. Das SG hat außerdem dargelegt und näher begründet, dass dem Gutachten des Dr. Kö. nicht gefolgt werden könne.
Gegen das ihr am 8. August 2016 zugestellte Urteil des SG richtet sich die am 24. August 2016 eingelegte Berufung der Klägerin, zu deren Begründung sie unter Hinweis auf ein beigefügtes Attest des Dr. Sche. vom 22. November 2016 (Diagnosen: Chronische Depression und PTBS; Behandlung: Cymbalta als Antidepressivum und Dominal forte als Schlafmittel) vorträgt, Prof. Dr. Schw. habe die seit 2008 ununterbrochen laufende psychiatrische Behandlung bei Dr. Sche. verkannt. Durch die Einschränkungen auf psychiatrischem Gebiet sei die Klägerin daran gehindert, mehr als 3 Stunden täglich zu arbeiten. Dr. Sche. könne sich den Feststellungen des Sachverständigen Dr. Kö. in vollem Umfang anschließen. Unter Hinweis auf einen Therapieplan der Schmerzambulanz des S.klinik Schw. vom 24. Januar 2017 trägt die Klägerin vor, bereits aus der verordneten Medikation sei der extreme Leidensdruck zu entnehmen. Die Klägerin sei durch den Arbeitsunfall völlig aus der Lebensbahn geworfen. Wegen der zwischen den bisher erstellten Gutachten bestehenden Widersprüche müsse ein Obergutachten eingeholt werden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 7. Juni 2016 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. August 2013 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und bestätigt unter Vorlage eines Versicherungsverlaufs vom 29.12.2016, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen letztmals am 31. August 2012 erfüllt waren.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten sowie auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die nach den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Sie hat keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.
Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die von Klägerin beanspruchte Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung - § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) - dargelegt und zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung hat. Dem schließt sich der Senat nach eigener Überprüfung und unter Berücksichtigung des gesamten Vorbringens der Klägerin im Klageverfahren uneingeschränkt an und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung gemäß § 153 Abs. 2 SGG zurück.
Ergänzend ist noch anzumerken, dass das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren im Ergebnis zu keiner anderen Beurteilung führt. Ausgehend vom Zeitpunkt der Antragstellung am 11. Februar 2013 sind die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Es ist weiterhin ist nicht nachgewiesen, dass bei der Klägerin infolge des am 24. August 2007 erlittenen Arbeitsunfalls Erwerbsminderung eingetreten ist.
Nach § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 bzw. Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB VI ist für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung auch Voraussetzung, dass der Versicherte in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit hat. Zu Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zählen nach § 55 Abs. 2 SGB VI auch freiwillige Beiträge, die als Pflichtbeiträge gelten (Nr. 1), oder (Nr. 2) Pflichtbeiträge, für die aus den in § 3 oder § 4 genannten Gründen Beiträge gezahlt worden sind oder als gezahlt gelten oder Beiträge für Anrechnungszeiten, die ein Leistungsträger mitgetragen hat (Nr. 3). Diese versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt die Klägerin bezogen auf den Zeitpunkt der Antragstellung im Februar 2013 nicht, denn sie waren letztmals für einen Leistungsfall am 31. August 2012 gegeben. Zu diesem Zeitpunkt erfüllte die Klägerin letztmalig die Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VI bzw. § 43 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB VI (so genannte Drei-Fünftel-Belegung), weil im Zeitraum von August 2007 bis Juli 2012 insgesamt 36 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt sind und nach Juli 2010 keine Pflichtbeiträge mehr entrichtet wurden. Dies ergibt sich aus dem von der Beklagten im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 29. Dezember 2017 vorgelegten Versicherungsverlauf vom 29. Dezember 2017, bezüglich dessen Richtigkeit und Vollständigkeit der Senat keine Bedenken hat und die Klägerin keine Einwände erhoben hat. Freiwillige Beiträge, die nach § 55 Abs. 2 SGB VI zu Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zählen könnten, hat die Klägerin nicht entrichtet. Anhaltspunkte dafür ergeben sich weder nach Aktenlage noch aus dem klägerischen Vorbringen.
Nach § 241 Abs. 2 SGB VI sind Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vor der Erwerbsminderung für Versicherte nicht erforderlich, die vor dem 1. Januar 1984 die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 Abs.1 SGB VI) erfüllt haben, wenn jeder Kalendermonat vom 1. Januar 1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung mit bestimmten, im einzelnen aufgeführten Zeiten belegt ist oder wenn die Erwerbsminderung vor dem 1. Januar 1984 eingetreten ist. Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht, da in ihrem Versicherungsverlauf vor dem 1. Januar 1984 nur 52 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen belegt sind und somit die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt ist. Erwerbsminderung ist vor dem 1. Januar 1984 bei der Klägerin nicht eingetreten.
Ist Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten, durch den die allgemeine Wartezeit nach § 53 SGB VI vorzeitig erfüllt ist (z.B. Arbeitsunfall, Wehr- oder Zivildienstbeschädigung), ist eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit nicht erforderlich (§ 43 Abs. 5 SGB VI). Dass durch den von der Klägerin am 24. August 2007 erlittenen Arbeitsunfall Erwerbsminderung eingetreten wäre, kann bei Würdigung der Beweisaufnahme im erstinstanzlichen Verfahren und auch unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahren nicht festgestellt werden. Insbesondere vermag der Senat hinsichtlich der unterschiedlichen Beurteilungen in den Gutachten des Prof. Dr. Schw. und des Dr. Kö. keine nicht aufzulösenden Widersprüche zu erkennen, die die Einholung eines Obergutachtens erfordern würden. Soweit die Klägerin in der Berufungsbegründung vom 5. Dezember 2016 sowie im Schriftsatz vom 1. Februar 2017 diesbezüglich darauf hinweist, im Gegensatz zu Dr. Kö. und abweichend von dessen Diagnosen habe Prof. Dr. Schw. das Ausmaß der Leiden der Klägerin bagatellisiert und die langjährige psychiatrische Behandlung der Klägerin bei Dr. Sche. verkannt, ist dies nicht zutreffend. Der Sachverständige Prof. Dr. Schw. hat sich im Gutachten vom 10. Oktober 2015 ausführlich mit dem Gutachten des Dr. Kö. auseinandergesetzt, die aktenkundigen Arztberichte des Dr. Sche. berücksichtigt und schlüssig und für den Senat nachvollziehbar dargelegt, dass die von Dr. Kö. gestellten Diagnosen einer schweren Depression, einer PTBS, einer nicht wahnhaften Dysmorphophobie sowie einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung bei der Klägerin nicht vorliegen. Im Gutachten vom 5. Januar 2015 hat Dr. Kö. die Diagnose einer schweren depressiven Symptomatik gestellt ohne dies jedoch anhand konkreter Befunde (z.B. Stimmungslage, Schwingungsfähigkeit, Antriebsstörung, kognitive Funktionsstörungen, formalgedankliche Störungen, Ich-Störungen) zu begründen. Offenbar hat Dr. Kö. die von der Klägerin in zwei psychometrischen Testverfahren (HAMD, MADRS) erzielten hohen Punktwerte zugrundengelegt und hieraus auf eine "zwischenzeitlich schwere depressive Symptomatik" geschlossen. Dies erscheint bereits insoweit nicht überzeugend, als die hohen Punktwerte nicht mit erhobenen Befunden abgeglichen worden sind und die Klägerin auch in den von Prof. Dr. Schw. durchgeführten drei testpsychologischen Beschwerdevalidierungsverfahren (SFSS, TOMM, WMT) auffallende Punktwerte erzielt hat, die jeweils außerhalb des noch als unauffällig einschätzbaren Wertes bzw. auf Rateniveau gelegen und deutliche Hinweise auf negative Antwortverzerrungen, instruktionswidrige Anstrengungsminderleistungen und teilweise auch auf bewusst falsche Antworten gegeben haben. Da auch der behandelnde Arzt Dr. Sche. – worauf Prof. Dr. Schw. hingewiesen hat – auch (nur) eine depressive Anpassungsstörung diagnostiziert hat, ist die Diagnosestellung des Dr. Kö. auch insoweit nicht überzeugend, da er in Kenntnis der Auskunft des Dr. Sche. seine abweichende Diagnose einer schweren Depression nicht begründet hat. Aus dem von der Klägerin im Berufungsverfahren noch vorgelegten Attest des Dr. Sche. vom 22. November 2016 und bereits aus seiner schriftlichen Auskunft an das SG vom 30. Januar 2014 ergibt sich insoweit nichts anderes, da der behandelnde Arzt eine "depressive Anpassungsstörung", "chronische Depression" bzw. "ängstlich depressive Symptome" angibt, nicht jedoch eine schwere Depression. Auch soweit Dr. Kö. eine PTBS diagnostiziert hat, ergeben sich keine nicht auflösbaren Widersprüche zum Gutachten des Prof. Dr. Schw., sondern letzterer hat das Bestehen einer PTBS schlüssig und für den Senat überzeugend verneint: Insoweit übereinstimmend mit Dr. Kö. hat Prof. Dr. Schw. das A-Kriterium (Traumakriterium) für die Diagnose einer PTBS im Sinne der ICD-10 Kategorie F 43.1 bezogen auf den von der Klägerin erlittenen Arbeitsunfall bejaht. Nachdem das während der Behandlung in der M.-Klinik im März/April 2009 noch erfüllte B-Kriterium (Wiedererkennungskriterium) bereits anlässlich der Begutachtung durch Prof. Dr. Dr. Wi. im August 2010 (bestätigt durch ergänzende gutachterliche Stellungnahme vom 11. April 2014) nicht mehr nachweisbar war, hat die Klägerin auch bei Prof. Dr. Schw. unwillkürliche Wiedererinnerungen tagsüber bzw. nachts (in Form von Albträumen) nicht angegeben. Bei nicht gegebener Konfrontation mit dem Unfallort hat Prof. Dr. Schw. außerdem traumaspezifische Vermeidungsverhaltensweisen (Vermeidungskriterium), die Voraussetzungen für das Hypersensibilitätskriterium (mindestens zwei der folgenden fünf Merkmale: Ein- und Durchschlafstörungen; Reizbarkeit oder Wutausbrüche; Konzentrationsschwierigkeiten; Hypervigilanz; erhöhte Schreckhaftigkeit) nicht objektivieren können, während er das Zeitkriterium (Erfüllung des Wiedererinnerung, Vermeidung und Hypersensibilitätskriterium innerhalb von sechs Monaten nach dem Belastungsereignis) bejaht hat – dies allerdings gestützt auf den Bericht der M.-Klinik nur für die Zeit unmittelbar nach dem Arbeitsunfall. Die Diagnosestellung des Dr. Kö. ist demgegenüber nicht überzeugend, zumal im Gutachten vom 5. Januar 2015 die Kriterien nicht anhand des Verlaufs und der erhobenen Befunde belegt worden sind und auch nicht darlegt worden ist, warum Dr. Kö. abweichend von Prof. Dr. Dr. Wi. die Kriterien als erfüllt angesehen hat. Auch der langjährig behandelnde Arzt Dr. Sche. hat eine PTBS nicht diagnostiziert sondern in seiner Auskunft an das SG lediglich formuliert, "ob eine posttraumatische Belastungsstörung vorliegt, ist Gegenstand von Auseinandersetzungen". Auch die Annahme des Dr. Kö., bei der Klägerin liege eine nicht wahnhafte Dysmorphophobie vor, ist im Gutachten des Prof. Dr. Schw. schlüssig widerlegt worden, da es bereits am hierfür erforderlichen Kriterium einer Diskrepanz zwischen der objektiven Geringfügigkeit der Entstellung und der für den Betroffenen bestehenden subjektiven Bedeutsamkeit fehlt. Prof. Dr. Schw. hat nachvollziehbar dargelegt, dass der von der Klägerin erlittene Verlust zweier Finger der rechten Hand bei Rechtshändigkeit durchaus eine gravierende Veränderung der Körperkonfiguration darstellt und gerade nicht objektiv geringfügig ist. Auch der langjährig behandelnde Arzt Dr. Sche. hat eine nicht wahnhafte Dysmorphophobie nicht diagnostiziert. Auch die von Dr. Kö. diagnostizierte narzisstische Persönlichkeitsstörung hat Prof. Dr. Schw. bezogen auf die Klägerin nicht bestätigt, da die hierfür notwendigen fünf von sieben Kriterien nach ICD-10 Kategorie F 60.80 (Größengefühle in Bezug auf die eigene Bedeutung; Beschäftigung mit Fantasien über unbegrenzten Erfolg, Macht, Brillanz, Schönheit oder ideale Liebe; Überzeugung, "besonders" und einmalig zu sein; Bedürfnis nach übermäßiger Bewunderung; ungerechtfertigte Anspruchshaltung gegenüber Dritten; Ausnutzung zwischenmenschlicher Bedürfnisse; Mangel an Empathie) nicht nachweisbar gewesen sind. Auch der langjährig behandelnde Arzt Dr. Sche. hat eine narzisstische Persönlichkeitsstörung bei der Klägerin nicht diagnostiziert. Der Senat hält das Gutachten des Prof. Dr. Schw. hinsichtlich Befunderhebung, Diagnostik und Einschätzung des beruflichen Leistungsvermögens der Klägerin für überzeugend und legt es der Entscheidung zugrunde. Weitere medizinische Ermittlungen waren von Amts wegen nicht zu veranlassen.
Die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen führen zu qualitativen Leistungseinschränkungen insoweit, als sie nur noch körperlich leichte Tätigkeiten (Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten ohne Hilfsmittel unterhalb von 10 kg) ohne relevante Anforderungen an beidhändige Feinmotorik, ohne Akkordarbeit, ohne Nachtarbeit ohne Publikumsverkehr, ohne hohe Anforderungen an das Aufmerksamkeits- und Konzentrationsvermögen und ohne Tätigkeiten an gefährlichen laufenden Maschinen verrichten kann. Dies gilt insbesondere auch unter Berücksichtigung der Amputationsverletzung, denn die Klägerin hat bereits bei Prof. Dr. Dr. Wi. angegeben und demonstriert, dass sie versuche, die rechte Hand bei allem einzusetzen und auch mit rechts schreibe. Bei Prof. Dr. Dr. Wi. hat sie mit der rechten Hand geschickt Unterlagen aus ihrer Tasche geholt und bei Prof. Dr. Schw. hat sie beim Ent- und Ankleiden im Rahmen der körperlichen Untersuchung die rechte Hand voll funktionell auch bei feinmotorischen Aktionen eingesetzt. Nach den schlüssigen und insoweit übereinstimmenden Feststellungen der Sachverständigen Prof. Dr. Dr. Wi. und Prof. Dr. Schw. sind keine Gründe dafür erkennbar, warum die Klägerin nicht dazu in der Lage sein sollte, leichte Tätigkeiten wie z.B. in einer Versandabteilung bzw. im Bereich des Verpackens leichter Industrie- oder Handelserzeugnisse oder vergleichbarer Hilfsarbeiten vollschichtig zu verrichten. Nach ihren eigenen Angaben gegenüber Prof. Dr. Schw. verfügt die Klägerin über einen PKW-Führerschein, fährt Auto und nutzt selbständig regionale Busverbindungen. Sie wäre damit auch dazu in der Lage, die notwendigen Wege zum und vom Arbeitsplatz zu bewältigen.
Damit ist eine durch den Arbeitsunfall vom 24. August 2007 eingetretene oder eine aufgrund anderer Erkrankungen bis spätestens August 2012 (Zeitpunkt, zu dem die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen letztmals erfüllt waren) eingetretene und seither bestehende volle oder teilweise Erwerbsminderung im Sinne des Gesetzes nicht nachgewiesen.
Soweit die Klägerin mit der Berufung noch geltend macht, das Ausmaß ihrer Schmerzen habe sich verschlimmert, was durch die Verordnung eines Opiats seitens der Ärzte in der S.klinik im Januar 2017 belegt werde, kann dies keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung begründen, da auch bezogen auf den Zeitpunkt im November 2017 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt wären.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Im Rahmen des dem Senat nach § 193 SGG eingeräumten Ermessens war für den Senat maßgeblich, dass die Klägerin mit der Rechtsverfolgung ohne Erfolg geblieben ist und die Beklagte keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat. Der Senat hält es auch im Falle einer Zurückweisung des Rechtsmittels für erforderlich, nicht nur über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu entscheiden, sondern auch über die Kosten der vorausgehenden Instanz (so Lüdtke, Kommentar zum SGG, 4. Aufl., § 193 SGG Rdnr. 8; erkennender Senat, Urteil vom 19. November 2013, L 13 R 1662/12, veröffentlicht in Juris; a.A. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 12. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 2a; Hintz/Lowe, Kommentar zum SGG, § 193 SGG Rdnr. 11; Jansen, Kommentar zum SGG, 4. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 4).
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
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