S 9 R 1294/11

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 9 R 1294/11
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid der Beklagten vom 17.6.2011 und der Widerspruchsbescheid vom 15.11.2011 werden insoweit aufgehoben, als abhängige Beschäftigung der Beigeladenen und das Bestehen von Versicherungspflicht zu allen Zweigen der Sozialversicherung für die Zeit vom 16.4.2009 bis 30.6.2011 festgestellt wurden. 2. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin und der Beigeladenen dem Grunde nach.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten noch um den Status und die Versicherungspflicht der Beigeladenen, der früheren Gesellschafterin und Prokuristin der Klägerin für die Zeit ab 16.04.2009 bis 30.6.2011.

Die Klägerin ist Rechtsnachfolgerin der T. GmbH. Diese wurde durch notariellen Vertrag vom 27.08.2007 gegründet und am 11.09.2007 ins Handelsregister eingetragen.

Am 06.04.2011 stellte die Beigeladene nach einer Betriebsprüfung bei der Klägerin einen Antrag zur Feststellung ihres sozialversicherungsrechtlichen Status bei der Clearingstelle der Beklagten. Beigefügt waren ein Schreiben der Klägerin an die Techniker- Krankenkasse vom 5.5.2009, wonach sie (die Beigeladene) am 16.04.2009 ihre Beteiligung an der Gesellschaft auf 50 % aufgestockt habe und deswegen keine Arbeitnehmerin mehr sei und abgemeldet werde sowie eine Anlage (Formular der Beklagten) mit weiteren Angaben. Sie und die Klägerin machten geltend, dass selbständige Tätigkeit vorliege.

Als Gesellschafter waren Herr K. (Kaufmann) und die Beigeladene (Werbekauffrau) angegeben, jeweils mit einer Stammeinlage von 50 %. Es war angegeben, dass zuvor bis 15.04.2009 die Geschäftsanteile so verteilt gewesen seien, dass die Beigeladene nur 49 % der Geschäftsanteile gehalten habe und der andere Geschäftsführer 51 %. Hinsichtlich des Stimmrechts seien Besonderheiten vereinbart. Die Beigeladene gab an, sie habe der GmbH ein Darlehn für deren Verbindlichkeiten gegeben, nämlich in Form einer Bürgschaft gegenüber der H. bis November 2009. Die GmbH werde nach außen von dem Geschäftsführer Herrn K. auf Grund seiner Stellung als Geschäftsführer und von ihr auf Grund der Prokura vertreten, jeweils auch alleinvertretungsberechtigt und befreit vom Verbot nach § 181 BGB.

Die Beigeladene gab an, sie habe zuvor als Key Account Manager, als Pharma- Referentin und als Werbekauffrau gearbeitet, während Herr K. als angestellter Projektleiter in der Branche tätig gewesen sei. Sie selbst sei nicht nur im Rahmen des Gesellschaftsvertrags, sondern auch auf Grund eines Arbeits-/ Dienstvertrags zur Mitarbeit verpflichtet. Sie arbeite 60-70 Stunden wöchentlich, unterliege keinerlei Weisungsrechten, könne ihre Tätigkeit frei bestimmen, könne unbeschränkt Personal einstellen, müsse Urlaub nicht genehmigen lassen. Eine Abberufung/ Kündigung sei nur aus wichtigem Grund möglich und nur mit ihrer Zustimmung gem. § 5 Abs.4 des Gesellschaftsvertrags. Es werde eine monatlich gleich bleibende Vergütung gezahlt und ein 13. Monatsgehalt, die bei schlechter Ertragslage ebenso wie die Mehrstundenvergütung durch Gesellschafterbeschluss gekürzt werden könnten (so geschehen für 2010). Auch bei Arbeitsunfähigkeit werde im gesetzlichen Lohnfortzahlungszeitraum weiter gezahlt und auf das Gehalt Lohnsteuer entrichtet, die als Betriebsausgabe verbucht werde. Sie sei über Tantiemen und Gewinnausschüttung am Gewinn der Gesellschaft beteiligt.

Beigefügt war der Anstellungsvertrag vom 19.12.2008 ab 01.02.2008 über die Anstellung der Beigeladenen als Projektleiterin mit einem Bruttogehalt von 3.500,- EUR sowie einer 10%-igen Tantieme des Jahresgewinns, jedoch begrenzt auf 25 % der Gesamtbezüge aus dem Anstellungsverhältnis. Ebenfalls waren Nachträge zum Anstellungsvertrag beigefügt, nämlich vom 30.12.2009 wonach sich ihr Monatsgehalt ab 1.1.2010 von 4.300,- EUR auf 4.500,- EUR brutto erhöhe und vom 16.04.2009, wonach sich wegen Befreiung von der Sozialversicherungspflicht ihr Brutto- Gehalt ab 01.04.2009 von 3.500,- EUR auf 4.300,- EUR brutto erhöhe. Nebentätigkeiten mussten " für die Dauer der Angestelltentätigkeit genehmigt werden und durften nur unentgeltlich sein. Unter § 15 finden sich Regelungen für den Fall der "Kündigung des Arbeitsverhältnisses". Unter § 19 des Vertrags heißt es u.a.: mündliche Nebenabreden gebe es nicht.

Beigefügt waren Kopien der Anmeldung zum Handelsregister, der Erteilung von Einzelprokura an die Beigeladene vom 16.04.2009 durch Herrn K., deren Veröffentlichung im Handelsregister, eine Abschrift über die im November 2009 abgelöste selbstschuldnerische Bürgschaft der Beigeladenen gegenüber der T. in Höhe von 20.000,- EUR, der notariellen Urkunde vom 16.4.2009 über den Verkauf von Gesellschaftsanteilen von 250,- EUR aus dem Eigentum des Herrn K. an die Beigeladene vom 16.04.2009 sowie der notarielle Gesellschaftsgründungsvertrag vom 27.08.2007, in dem Herr K. zum alleinigen Geschäftsführer bestellt ist und das Stammkapital zunächst im Verhältnis 51 % zu 49 % zwischen dem Geschäftsführer und der Beigeladenen verteilt war. In § 5 Ziffer 4 dieses Vertrags ist festgelegt, dass die Geschäftsführer für alle über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgehenden Geschäfte eines Gesellschafterbeschlusses bedürften. Beschlüsse kämen mit einfacher Mehrheit der Stimmen zu Stande, wobei ein Betrag von 50,00 EUR je eine Stimme gewähre.

Die Clearingstelle hörte die Klägerin und die Beigeladene jeweils mit Schreiben vom 03.05.2011 zu der von ihr nach Auswertung der Unterlagen angenommenen Feststellung einer versicherungspflichtigen Tätigkeit an.

Eine Stellungnahme der Klägerin und der Beigeladenen erreichte die Beklagte nicht mehr zeitgerecht.

Mit Bescheiden vom 17.06.2011 stellte die Beklagte gegenüber beiden Beteiligten abhängige Beschäftigung der Beigeladenen auch für die Zeit seit 16.04.2009, seit der Beteiligung der Beigeladenen an der Gesellschaft zu 50 % und Versicherungspflicht zu allen Zweigen der Sozialversicherung fest. Als Argumente für abhängige Beschäftigung seien insbesondere die Regelungen im Arbeitsvertrag zu nennen, der ihre Mitarbeit in der Gesellschaft regele und mit der monatlichen Vergütung ein übliches Arbeitsentgelt regele. Merkmale für Selbständigkeit lägen darin, dass die Beigeladene 50 % des Stammkapitals der Gesellschaft halte und keinen Weisungen unterliege. Bei Gesamtwürdigung würden die Argumente für abhängige Beschäftigung überwiegen. Ein Unternehmerrisiko sei kaum gegeben. Auf Grund des Anteils am Geschäftskapital sei es ihr nicht möglich, die Geschicke der Gesellschaft maßgeblich zu beeinflussen. Weder habe sie ein Vetorecht noch eine Sperrminorität. Allein aus der Weisungsfreiheit folge nicht, dass die Arbeit nicht fremdbestimmt sei.

Im Widerspruch vom 01.07.2011 machte die Beigeladene unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des BSG geltend, dass mit dem Geschäftsanteil von 50 % durchaus wesentlicher Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft genommen werden konnte, zumal, da Beschlüsse mit einfacher Mehrheit getroffen werden müssten. Entgegen den von der Beklagten herangezogenen Regelungen im Arbeitsvertrag komme es auf die tatsächlichen Verhältnisse an. In einer Stellungnahme des Geschäftsführers Herrn K. führte dieser aus, dass real die Aufgaben der Geschäftsführung geteilt seien. Dies sei nur deswegen nicht anders geregelt, um die Verantwortungsbereiche nicht zu splitten.

Die Beklagte fragte nach, inwiefern eine von ihr im Antrag angegebene familienhafte Rücksichtnahme der Gesellschafter untereinander gegeben sei und erhielt die Antwort, dass eine solche nicht gegeben sei.

Mit Widerspruchsbescheiden vom 15. 11. 2011 wies die Beklagte den Widerspruch der Beigeladenen ihr gegenüber und gegenüber der Klägerin zurück, im Wesentlichen mit denselben Argumenten, die bereits zuvor ausgetauscht worden waren. Nur Mehrheitsgesellschafter hätten bei einfacher Stimmenmehrheit als Mitarbeitende einen solchen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft (BSG B 12 KR 30/04 R), dass von Selbständigkeit ausgegangen werden könne. Beim bloßen Vorliegen einer Sperrminorität sei abhängige Beschäftigung nicht ausgeschlossen. Der weitere Gesellschafter könne sie in ihrer Tätigkeit abberufen. Im Übrigen wird auf den Inhalt des Widerspruchsbescheids verwiesen.

Mit der Klage vom 08.12.2011 verfolgt die Klägerin das Begehren weiter. Sie hat mitgeteilt, dass sie Rechtsnachfolgerin der T. GmbH sei. Gesellschafter seien Herr K., der Anteile von 49 % halte und die C., die 51 % halte. Auf Anforderung des Gerichts hat sie Unterlagen zur Entstehung der T. GmbH und Rechtsnachfolge durch die jetzige Klägerin vorgelegt, nämlich den notariellen Vertrag über die Gründung der T. GmbH durch die Beigeladene und Herrn K. vom 27.08.2007 (lag bereits vor in den Akten der Beklagten), den notariellen Vertrag vom 16.04.2009, mit dem die Beigeladene von Herrn K. Gesellschaftsanteile in Höhe von weiteren 250,- EUR erwarb, so dass beide je 50 % der Anteile fortan hielten, ferner den notariellen Kauf- und Abtretungsvertrag vom 28.09.2011, mit dem Herr K. 51 % seiner Gesellschaftsanteile an die C. verkauft hat, eine Kapitalerhöhung auf 50.000,- EUR erfolgte, wobei Herr K. 49 und die C. 51 % der Anteile hielten, der Bestellung von Herrn Martin E. zum Geschäftsführer, der Änderung des Namens der T. GmbH in C. GmbH, der Anmeldung dieser Vorgänge zum Handelsregister am 28.9.2011 sowie den Gesellschaftsvertrag der neuen Firma (der Klägerin). Bereits zuvor hatte sie eine Eintragung des Handelsregisters übersandt, wonach mit Eintragung am 28.1.2013 der Geschäftsführer Herr K. ausgeschieden sei.

Die Klägerin macht geltend, jedenfalls die tatsächlichen Verhältnisse legten Selbständigkeit der Beigeladenen in dem noch streitigen Zeitraum nahe. Im Termin zur mündlichen Verhandlung und Entscheidung am 30.07.2014 hat die Klägerin durch ihren Geschäftsführer Herrn E. erklärt, dass inzwischen die Anteile an der Klägerin zu 100% von der C. GmbH gehalten würden. Er selbst habe keine Anteile mehr, sei aber zu 1/3 Gesellschafter der C., deren Mitgeschäftsführer er sei. Herr K. sei im Januar 2013 nicht nur als Geschäftsführer, sondern auch als Gesellschafter der Klägerin ausgeschieden.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 17.06.2011 und den Widerspruchsbescheid vom 15.11.2011 aufzuheben, soweit darin abhängige Beschäftigung der Beigeladen und Versicherungspflicht zu allen Zweigen der Sozialversicherung auch für den Zeitraum vom 16.04.2009 bis 30.06.2011 festgestellt ist.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung und Entscheidung am 30.07.2014 hat sich auch der Vertreter der Beklagten dem Vortrag der übrigen Beteiligten angeschlossen, wonach der streitige Zeitraum mit dem 30.06.2011, dem Ausscheiden der Beigeladenen als Gesellschafterin und Prokuristin der Klägerin, ende.

Der Vertreter der Beklagten beantragt noch,

die Klage abzuweisen.

Sie hat sich auf das Vorbringen im Verwaltungsverfahren, insbesondere die angefochtenen Bescheide bezogen. Bei mitarbeitenden Gesellschaftern, die nicht Geschäftsführer seien, reiche eine Sperrminorität nicht aus. Die Beklagte hat sich zur Stellungnahme der Beigeladenen im Verfahren dahingehend geäußert, dass sich daraus nichts Neues ergebe. Der Gesellschafter- Geschäftsführer könne jederzeit sein Stimmrecht ausüben, ohne dass sie das verhindern könne. Entscheidend sei die Rechtsmacht zur Herbeiführung von Änderungen.

Das Gericht hat mit Beschluss vom 22. März 2011 die frühere Geschäftsführerin der Rechtsvorgängerin der Klägerin, Frau G. gemäß § 75 Abs. 2 SGG zum Verfahren beigeladen.

Die Beigeladene trägt vor, sie habe wie der Geschäftsführer Tantiemen erhalten (Anl. 4 und 5). Sie habe in ihrer Funktion als Gesellschafterin mehrmals dem Geschäftsführer Herrn K. Darlehen der Gesellschaft zur Verfügung gestellt (Anl. 2: 6.000,- EUR am 11.1.2010 und 2 a: 30.500,- EUR vom 28.6.2011 zum Kauf ihrer Anteile, Anl. 3: 3.500,- EUR am 8.5.2009) Mit Urkunde vom 27.06.2011 habe sie ihre Geschäftsanteile an den Geschäftsführer der Klägerin verkauft und sei aus dem Unternehmen ausgeschieden. Der Steuerberater der Klägerin könne all dies bestätigen (Anl. 8). Auf Anforderung des Gerichts hat sie diesen notariellen Vertrag vom 27.06.2011 vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass sie am 27.06.2011 alle ihre Anteile an den damaligen Geschäftsführer Herrn K. verkauft hat und aus der Gesellschaft ausgeschieden ist. Zu der Stellungnahme der Beklagten hat sie sich dahingehend geäußert, dass die Argumentation nicht nachvollziehbar sei, insbesondere nicht, dass deren Argumente solche gegen selbständige Tätigkeit seien.

Die Vertreterin der Beigeladenen beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 17.06.2011 und den Widerspruchsbescheid vom 15.11.2011 aufzuheben, soweit darin abhängige Beschäftigung der Beigeladen und Versicherungspflicht zu allen Zweigen der Sozialversicherung auch für den Zeitraum vom 16.04.2009 bis 30.06.2011 festgestellt ist.

Das Gericht hat einen Handelsregistereintrag vom 29.07.2014 über die Klägerin abgerufen. Danach ist zusätzlich eingetragen, dass für die Beigeladene weiter Einzelprokura besteht.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung und Entscheidung am 30.07.2014 hat die Beigeladene ausführliche Angaben zur Entstehung der Rechtsvorgängerin der Klägerin, zur Organisation der Aufgaben zwischen ihr und dem Geschäftsführer Herrn K., insbesondere nach der Aufstockung ihrer Gesellschaftsanteile zum 16.04.2009 gemacht. Hinsichtlich der Gründe dafür, dass sie nicht ebenfalls zur Geschäftsführerin bestellt worden sei, hat sie angegeben, sie und Herr K. seien damals von Rechtsanwälten und dem Steuerberater so informiert worden, dass bei einer Geschäftsführung durch zwei Personen ein Splitting der Aufgaben erforderlich sei (Innen- und Außenverhältnis). Ihnen sei es jedoch nur darauf angekommen, dass sie im gleichen Ausmaß handlungsfähig sein sollte wie Herr K ... Dies ließ sich auch durch Prokura erreichen. Ihre damalige Tätigkeit hat die Beigeladene wie folgt beschrieben: Sie habe die gesamte Unternehmensführung allein und den Personalbereich mit betrieben. Sie sei für die Finanzen und das Controlling allein zuständig gewesen und habe die Kontakte zum Steuerberater und zu den Kunden gehalten. Herr K. habe über das Geschäftskonto nicht ohne Hilfe verfügen können, soweit es die Abrechnung angeht. Bei Urlaubsabwesenheit habe lediglich einer von beiden möglichst da sein sollen. Herr K. als Geschäftsführer habe aus seinem Anstellungsvertrag dieselbe Summe als "Gehalt" wie sie selbst erhalten und sei hauptsächlich für die Projektleitung Fahrzeuglogistik zuständig gewesen.

Mit dem Erwerb der hälftigen Anteile an der Gesellschaft im April 2009 sei ihr nicht nur vom Steuerberater gesagt worden, dass sie nun nicht mehr abhängig beschäftigt sei. Sie habe auch mit der Beklagten hierüber ein Telefonat geführt, in dem ihr das bestätigt worden sei. Deswegen habe sie genau zu dieser Zeit eine private Krankenversicherung abgeschlossen und privat für ihre Altersvorsorge zu sorgen begonnen.

Hinsichtlich des Inhalts ihrer Angaben im Übrigen sowie des Inhalts der mündlichen Verhandlung im Übrigen wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf die Prozessakte der Kammer und die Verwaltungsakte der Beklagten, die vorgelegen haben und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und in dem noch streitigen Umfang, wie er in der mündlichen Verhandlung am 30.07.2014 auf den Zeitraum vom 16.04.2009 bis 30.06.2011 allseits eingegrenzt wurde, auch begründet.

Die angefochtenen Bescheide, mit denen die Beklagte abhängige Beschäftigung der Klägerin in ihrer Tätigkeit als Prokuristin für die Beigeladene seit 16.04.2009 bis 30.06.2011 und Versicherungspflicht zu allen Zweigen der Sozialversicherung festgestellt hat, sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin (und die Beigeladene) in ihren Rechten. Die Beigeladene war im streitigen Zeitraum selbständig für die Klägerin tätig und nicht in abhängiger Beschäftigung.

Nach §§ 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III, 5 Abs. 1 Nr 1 SGB V, 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI und 20 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr 1 SGB XI sind in den verschiedenen Zweigen der Sozialversicherung Personen versicherungspflichtig, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind. Nach § 14 Abs. 1 SGB IV sind Arbeitsentgelt alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf sie besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Beschäftigung ist nach § 7 Abs. 1 SGB IV die nichtselbständige Tätigkeit in einem Arbeitsverhältnis. Es ist also eine Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung i.S. des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV erforderlich.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 20. Mai 1996 - 1 BvR 21/96, SozR 3-2400 § 7 Nr 11). Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. ( BSG vom 25.1.2006, B 12 KR 30/04 R, juris, Rdn.21)

Die Beigeladene hielt 50 % der Gesellschaftsanteile. Im Gesellschaftsvertrag war festgelegt, dass Beschlüsse im Rahmen der Gesellschaft mit einfacher Mehrheit der Stimmen zu Stande kamen, wobei ein Betrag von 50,00 EUR je eine Stimme gewährte. Mit ihrem Anteil von 50 % der Stimmrechte konnte die Beigeladene dem entsprechend jedwede ihr unangenehme Entscheidung des anderen Gesellschafters Herrn K. verhindern, blockieren und zudem selbst maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft nehmen. Sie konnte diese im selben Maße (mit) bestimmen wie Herr K ... Angesichts dessen war sie nicht persönlich abhängig "vom Arbeitgeber". Sie war es auch nicht mehr als Herr K. von ihr.

Die Möglichkeiten zur Gestaltung der Gesellschaft und Verhinderung unliebsamer Entscheidungen standen ihr nicht nur in dem von der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung geschilderten (über die Dauer der Zusammenarbeit mindestens) gleichrangigen Innenverhältnis zu dem Geschäftsführer zur Verfügung, sondern sie hatte hierzu die tatsächliche Rechtsmacht. Diese ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG entscheidendes Merkmal im Rahmen der Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse in einer Gesellschaft zur Abgrenzung abhängiger Beschäftigung von selbständiger Tätigkeit. Das BSG führt dazu aus: "Das Gesamtbild bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinne sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine "Beschäftigung" vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose - Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht (BSG Urteile vom 8. August 1990, 11 RAr 77/89, SozR 3-2400 § 7 Nr 4 S 14 und vom 8. Dezember 1994, 11 RAr 49/94, SozR 3-4100 § 168 Nr 18 S 45). In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen (BSG Urteile vom 1. Dezember 1977, 12/3/12 RK 39/74, BSGE 45, 199, 200 ff = SozR 2200 § 1227 Nr 8; vom 4. Juni 1998, B 12 KR 5/97 R, SozR 3-2400 § 7 Nr 13 S 31 f; vom 10. August 2000, B 12 KR 21/98 R, BSGE 87, 53, 56 = SozR 3-2400 § 7 Nr 15 S 46, jeweils mwN). Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so wie sie rechtlich zulässig ist.", (BSG, Urteil vom 25. Januar 2006 – B 12 KR 30/04 R –, juris, Rdn.22)

Hieran ändert sich für den vorliegenden Fall auch nichts dadurch, dass die Beigeladene nicht selbst Geschäftsführerin war, sondern ihre Tätigkeit nach Beratung durch Rechtsanwälte und den Steuerberater der Gesellschaft als die einer Prokuristin belassen wurde.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG gilt, dass Geschäftsführer einer GmbH, die zugleich Gesellschafter sind, dann in keinem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zur GmbH stehen, wenn sie aufgrund des Umfangs ihrer Kapitalbeteiligung ihnen nicht genehme Weisungen des Dienstberechtigten verhindern können (vergleiche BSG 12 KR 43/81 vom 24.06.1982 mit Hinweis auf BSG vom 31.07.1974, 12 RK 26/72 = BSGE 38, 53, 57). Dabei hat das BSG dargelegt, dass der Gesellschafter einer GmbH dann nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zur Gesellschaft steht, wenn er auf Grund seiner Gesellschaftsrechte die Rechtsmacht hat, unliebsame Entscheidungen gegen sich zu verhindern. (BSG, B 11 AL 71/97 R vom 5.2.1998, juris, Rdn. 17). Dies, so das BSG (a.a.O.) sei regelmäßig dann der Fall, wenn er über mindestens die Hälfte des Stammkapitals der Gesellschaft verfüge. In der genannten Entscheidung legt das BSG damit ein Regel- Ausnahme- Verhältnis für solche Fälle fest, stellt jedoch im entschiedenen konkreten Fall darauf ab, dass die zu beurteilende Person weder die Hälfte der Anteile hielt (jedoch eine Sperrminorität hatte), noch persönliche Unabhängigkeit von der Gesellschaft und seinem Vater, dem alleinigen Geschäftsführer bestand. Ähnlich äußert sich das LSG Berlin- Brandenburg (L 1 KR 17/13 vom 09.05.2014, juris).

Dies ist im hier zu entscheidenden Fall bei Anwendung der vom BSG aufgestellten Kriterien entgegengesetzt. Die Beigeladene hielt die Hälfte der Anteile und konnte zudem im Rahmen ihrer Tätigkeit für die Gesellschaft deren Geschicke lenken, was sie auch tat. Das ergibt sich für die Kammer zweifelsfrei aus ihren zusätzlichen Angaben in der mündlichen Verhandlung am 30.07.2014. Sie hat die Gesellschaft gemeinsam mit dem Geschäftsführer Herrn K. gegründet und war seit dem Zeitpunkt der Aufstockung ihrer Anteile auf 50 % zum 16.09.2014 so in die Leitung der Firma hineingewachsen, dass sich mindestens eine Gleichverteilung ihrer Aufgaben und derer des Herrn K. ergab.

Der einzige Umstand, der dem entgegenstehen könnte, ist die Nichtanpassung ihres Anstellungsvertrags, der ursprünglich allein die Projektleitung zum Gegenstand hatte und "ein typischer Arbeitnehmervertrag" war mit vielen arbeitnehmertypischen Rechten und Pflichten. Der Kammer ist es jedoch plausibel geworden bei Anhörung der Beigeladenen, dass es sich hierbei lediglich um eine Nichtanpassung dieses Anstellungsvertrags gehandelt hat, der die handelnden Personen nur untergeordnete Bedeutung beigemessen haben. Das tatsächlich gelebte Geschehen wich davon ab. Die Beigeladene war für weite Teile der Führung der Gesellschaft allein oder gemeinsam mit dem Geschäftsführer zuständig, nämlich für die gesamte Unternehmensführung allein und für den Personalbereich gemeinsam. Sie hatte Einzelprokura. Sie war für die Finanzen und das Controlling allein zuständig hielt die Kontakte zum Steuerberater und zu den Kunden. Für ihre Tätigkeit in der GmbH erhielt sie dieselbe Bezahlung wie der Geschäftsführer. Hinsichtlich der Gründe dafür, dass sie nicht ebenfalls zur Geschäftsführerin bestellt worden sei, hat sie angegeben, sie und Herr K. seien damals von Rechtsanwälten und dem Steuerberater so informiert worden, dass bei einer Geschäftsführung durch zwei Personen ein Splitting der Aufgaben erforderlich sei (Innen- und Außenverhältnis), das man nicht gewollt habe. Ihnen sei es im Übrigen nur darauf angekommen, dass sie im gleichen Ausmaß handlungsfähig sein sollte wie Herr K ... Dies habe sich durch Prokura erreichen lassen.

In dieser tatsächlichen Führung der Gesellschaft unterscheidet sich die Beigeladene ganz erheblich von den Umständen, wie sie vom BSG im Verfahren B 11 AL 71/97 R vom 5.2.1998 zu beurteilen waren und letztlich dort zur Feststellung abhängiger Beschäftigung trotz Vorliegens einer Sperrminorität führten. Anders als bei nicht vollzogenen Unterschieden der tatsächlichen Verhältnisse im Vergleich zu den geregelten gesellschaftlichen (Stimm-) Rechten mit durchgreifendem Einfluss auf die Rechtsmacht bei Minderheitengesellschaftern führt die Nichtanpassung des Anstellungsvertrags der Beigeladenen nicht zu einer fehlenden Rechtsmacht zur Einwirkung auf die Geschicke der Gesellschaft und Verhinderung unliebsamer Entscheidungen.

Hinzu kommt, dass die Beigeladene auch ein gewisses Unternehmerrisiko trug, nicht allein durch die selbstschuldnerischen Bürgschaften, die sie der Gesellschaft gegeben hatte und die Tantiemen, an denen sie beteiligt war. Diese führen zwar für sich allein nicht zum Ausschluss der Annahme einer abhängigen Beschäftigung (LSG Hamburg vom 29.05.2013, L 1 KR 89/10, juris. Rdn.24), tragen jedoch hier - bei auch sonst unternehmerischem Handeln der Beigeladenen und Anteilsgleichheit der Gesellschaftsanteile - im Rahmen der Gesamtbetrachtung dazu bei, die Tätigkeit als selbständige wahrzunehmen.

Da die angefochtenen Bescheide rechtswidrig sind, sind sie gegenüber der Klägerin und der Beigeladenen aufzuheben. Zu erwähnen ist dabei noch, dass zumindest ab 2011 die Beigeladene mit ihrem Einkommen oberhalb der Jahresentgeltgrenze lag, so dass Versicherungspflicht jedenfalls zur Kranken- und Pflegeversicherung ab dem 1.1.2011 nicht mehr bestand (Änderung § 6 SGB V zum 1.1.2011).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a I Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 I der VwGO und trägt dem Unterliegen der Beklagten Rechnung. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten nicht nur der Klägerin, sondern auch der Beigeladenen zu tragen, die hier selbst einen Antrag gestellt hat, mit dem sie obsiegt hat.
Rechtskraft
Aus
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