Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
33
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 33 P 160/13
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen der Pflegestufe II aus der gesetzlichen Pflegeversicherung.
Die am xxxxx 2010 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich pflegeversichert und leidet an einer globalen Entwicklungsverzögerung mit autistischen Zügen sowie einer Sprachentwicklungsverzögerung.
Am 14. Mai 2013 wurde von den Eltern der Klägerin ein Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung gestellt. Der von der Beklagte beauftragte medizinische Dienst der Krankenversicherung N. (MDK) kam in seinem Gutachten vom 10. Juni 2013 zu dem Ergebnis, dass ein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 66 min besteht, wobei nur der Mehrbedarf gegenüber gleichaltrigen gesunden Kindern berücksichtigt wurde. Daraufhin gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 17. Juni 2013 Leistungen gemäß Pflegestufe I für die Zeit ab 1. Mai 2013. Darüber hinaus wurden zusätzliche Betreuungsleistungen i.H.v. 200 EUR monatlich bewilligt.
Die Klägerin, vertreten durch ihre Eltern, erhob am 24. Juni 2013 Widerspruch. Das vom MDK eingeholte Gutachten sei in einigen Punkten unzutreffend. Es bestünde kein Verständnis für einen geregelten Tagesablauf. Eine maximale Schlafphase dauere 6 h. Die Klägerin wache jede Nacht auf und bedürfe dann auch der Pflege und Aufsicht. Es sei von einem Hilfebedarf i.H.v. 182 min im Bereich der Grundpflege auszugehen.
In einem weiteren Gutachten nach Aktenlage nahm der MDK zu den Ausführungen der Eltern der Klägerin Stellung. Der dokumentierte Pflegeaufwand in der Grundpflege resultiere aus den beschriebenen Einschränkungen der Körperfunktionen nach Abzug des altersnormalen Aufwands für ein Kind im Alter zwischen drei und vier Jahren. Vor diesem Hintergrund sei der festgestellte Hilfebedarf plausibel. Der geschilderte Beaufsichtigungsbedarf der Versicherten sei zwar nachvollziehbar, könne aber nach den gesetzlichen Vorgaben nicht als Hilfebedarf in der Grundpflege angerechnet werden. Bei den ermittelten Zeiten müsse der Hilfebedarf für ein gesundes Kind in diesem Alter abgezogen werden, was die Eltern der Klägerin bei ihrer Zeitermittlung nicht getan hätten. Mit Widerspruchsbescheid vom 25. September 2013 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück.
Hiergegen richtet sich die am 23. Oktober 2013 erhobene Klage der Eltern der Klägerin. Der Hilfebedarf, der während der Nacht auftrete, sei von der Beklagten nicht ausreichend berücksichtigt worden. Aufgrund einer gestörten Melatoninbildung komme es zu Schlafstörungen und damit verbunden zu einem höheren Hilfebedarf. Es sei ungerecht, wenn im Rahmen der Mobilität grundsätzlich Zeit für einen weiter entfernten Kindergarten berücksichtigt würde, nicht jedoch, wenn tatsächlich ein sich in unmittelbarer Nähe befindlicher Kindergarten ausgewählt worden sei.
Die Klägerin beantragt nach dem schriftlichen Vorbringen ihrer Eltern sinngemäß,
den Bescheid vom 17.06.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. September 2013 abzuändern und der Klägerin ab 01.05.2013 Leistungen gemäß Pflegestufe II gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid
das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen und einen Befundbericht des behandelnden Kinderarztes (Befundbericht von Dr. D. vom 21. Juni 2014) eingeholt. Es hat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens. Der Facharzt für Allgemeinmedizin und Pflegesachverständige W. ist in seinem Gutachten vom 4. November 2014 (Bl. 35 bis 63 der Prozessakte) zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 174 bestehe, nach Abzug des Hilfebedarfs bei altersnormalen, vierjährigen Kindern von 88 min ergebe sich ein Hilfebedarf von 86 min, der der Pflegestufe I entspreche. Die Voraussetzungen für Pflegestufe II würden somit nicht erreicht. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten dargelegt, dass bei der Ermittlung des Hilfebedarfs die Richtlinien grundsätzlich zu beachten seien und erläutert, dass ein Abzug für den Hilfebedarf eines gesunden Kindes gleichen Alters vorzunehmen sei. Bei der Klägerin bestünde ein erhöhter Förder-und Betreuungsbedarf. Der Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege resultiere aus der Entwicklungsverzögerung mit autistischen Zügen und damit einhergehenden Verhaltensauffälligkeiten und Sprachentwicklungsverzögerungen. Vom körperlichen und orthopädischen Untersuchungsbefund her sei die Klägerin grundsätzlich wie jedes andere viereinhalb jährige Kind auch in der Lage, die grundpflegerischen Verrichtungen mit altersentsprechender Anleitung durchzuführen.
Mit Schreiben vom 22. Dezember 2014 hat die Mutter der Klägerin Einwände gegen das Sachverständigengutachten erhoben und die Anwendung der Pflegerichtlinien kritisiert. Weiterhin sei vom Sachverständigen der Hilfebedarf für das Aufstehen und Zubettgehen zu niedrig bemessen worden. Hierfür sei ein zeitlicher Ansatz von entweder 20 oder 40 min anzusetzen. Auch beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung sei ein Hilfebedarf berücksichtigen, weil ihre Tochter ständig begleitet werden müsse. Auch der Zeitaufwand für die Nahrungsaufnahme sei deutlich höher als vom Sachverständigen ermittelt. Die Klägerin toleriere nur bestimmte Lebensmittel mit einem bestimmten Geschmack und Aussehen. Sie müsse oft gefüttert werden, da sie dazu neige, mit dem Essen zu spielen und zu kleckern. Hieraus ergebe sich auch ein höherer Bedarf für die Kleidungsreinigung und das Umziehen.
In der ergänzenden Stellungnahme vom 9. Februar 2015 ist der Sachverständige den Vorwürfen der Mutter der Klägerin entgegengetreten und hat darauf verwiesen, dass er als Gutachter gezwungen sei, sowohl die gesetzlichen Vorschriften als auch die Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekasse zur Beurteilung der Pflegebedürftigkeit anzuwenden. Ansonsten verweise er auf sein ausführliches Sachverständigengutachten, ein noch höherer Hilfebedarf könne nicht angenommen werden
Das Gericht hat die Beteiligten in Kenntnis gesetzt, dass eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid erfolgen soll.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte gemäß § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vor der Entscheidung gehört worden.
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Die Beklagte hat zu Recht mit den angefochtenen Bescheiden lediglich Pflegeleistungen gemäß Pflegestufe I für die Zeit ab 1. Mai 2013 gewährt. Ein Anspruch auf Pflegestufe II besteht hingegen nicht, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.
Gemäß § 14 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) sind Personen pflegebedürftig, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem Maße der Hilfe bedürfen. Pflegebedürftige der Pflegestufe II (Schwerpflegebedürftigkeit) sind Personen, die bei der Körperpflege, die Erziehung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt müssen im wöchentlichen Tagesdurchschnitt mindestens 180 Minuten (3 Stunden) betragen. Hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens 120 Minuten (2 Stunden) entfallen (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI).
Es ist gegenwärtig von einem Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 86 min auszugehen. Das Gericht folgt insoweit den nachvollziehbaren und plausiblen Ausführungen des Sachverständigen W in seinem Sachverständigengutachten vom 4. November 2014. Dieser hat einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 174 min ermittelt. Nach Abzug des Hilfebedarfs für ein altersgleiches gesundes Kind von 88 min ergibt sich der berücksichtigungsfähige Hilfebedarf von 86 min, der die erforderlichen 120 min nicht erreicht. Wegen des für die einzelnen Verrichtungen erforderlichen Hilfebedarfs wird auf die ausführlichen Erläuterungen des Sachverständigen in seinem Sachverständigengutachten vom 4. November 2014 inhaltlich Bezug genommen.
Die Einwände der Eltern der Klägerin führen zu keiner anderen Einschätzung.
1. Bereits der MDK hat darauf hingewiesen, dass bei der Ermittlung des Hilfebedarfs durch die Eltern der Abzug für ein altersgleiches gesundes Kind nicht vorgenommen bzw. ignoriert wurde. Der Sachverständige hat die Verfahrensweise noch einmal erläutert. Sie ergibt sich aus den Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Beurteilung der Pflegebedürftigkeit nach dem XI des Sozialgesetzbuchs in der Fassung vom 16. April 2013 (Pflegerichtlinien – D 4.0/III./9). Nach den gesetzlichen Regelungen des SGB XI kommt den Richtlinien zwar kein normativer Charakter zu, sie sind nach der Rechtsprechung des BSG jedoch grundsätzlich - schon aus Gleichbehandlungsgrundsätzen - anzuwenden. Nach der Konzeption des SGB XI ist bei Säuglingen oder Kleinkindern niemals der altersbedingte, also normale Pflegeaufwand, sondern nur der behinderungs-oder krankheitsbedingte Mehraufwand zu berücksichtigen. Aus diesem Grund ist für jede Verrichtung der Grundpflege ein Abzug für den Bedarf eines gleichalten Kindes ohne Einschränkungen vorzunehmen bzw. nur der Mehrbedarf zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall ist auf ein vier bis fünfjähriges Kind abzustellen. Es liegt auf der Hand, dass bei einem noch nicht schulpflichtigen Kleinkind bei allen Verrichtungen der Grundpflege ein nicht unerheblicher Hilfebedarf besteht, der nach der gesetzlichen Konzeption nicht bei der Ermittlung des Pflegebedarfs berücksichtigt werden darf. Es ist allein auf den behinderungsbedingten Mehrbedarf abzustellen. Dieser ergibt sich bei der Klägerin nicht aus körperlichen Einschränkungen, sondern aus der Entwicklungsverzögerung mit autistischen Zügen sowie der Sprachentwicklungsverzögerung und wurde vom Sachverständigen nach Begutachtung in häuslicher Umgebung nach den gesetzlichen Vorgaben und die Pflegerichtlinien zutreffend ermittelt.
Dabei hat der Sachverständige zu Recht darauf hingewiesen, dass die Einschätzung der Mutter der Klägerin, dass sich ihre Tochter auf dem Niveau eines zweieinhalbjährigen Kindes befindet, mit seinen eigenen Feststellungen übereinstimmt. Denn ein zweieinhalbjähriges Kind hat einen altersbedingten Pflegebedarf für die einzelnen Verrichtungen der Grundpflege von 159 min, was in etwa dem Hilfebedarf entspricht, den der Sachverständige mit 174 min ermittelt hat. Nach Abzug der Differenz für ein viereinhalbjähriges Kind ergibt sich der ermittelte Hilfebedarf, der mit 86 min (noch) nicht die Voraussetzungen der Pflegestufe II erreicht. Bei einem sich nur geringfügig verringernden Hilfebedarf erklärt sich der Anstieg gegenüber dem MDK-Gutachten alleine mit dem geringeren Abzug für ein gleichartiges gesundes Kind. Vor diesem Hintergrund ist es nicht ausgeschlossen, dass in einigen Jahren die Voraussetzungen für die Pflegestufe II gegeben sind, weil ein geringerer – oder gar kein – Abzug für ein gleichartiges Kind mehr vorzunehmen ist.
2. Weiterhin hat der Sachverständige zu Recht darauf hingewiesen, dass der Hilfebedarf nach der Konzeption des SGB XI im Bereich der Grundpflege nur verrichtungsbezogen zu beurteilen ist. Nur der in § 14 Abs. 4 SGB XI genannte Bedarf ist für die Beurteilung der Pflegestufe von Bedeutung. Ein allgemeiner - von den Verrichtungen losgelöster - Aufsichts- und Betreuungsbedarf wurde bislang von der Pflegeversicherung nicht erfasst. Denn die Pflegeversicherung ist nicht als Vollversicherung ausgestaltet und deckt das Risiko, pflegebedürftig zu werden aus Kostengründen nur zum Teil ab. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, denn der Gesetzgeber ist bei der Ausgestaltung der Sozialversicherung weitgehend frei und kann bestimmte Tatbestände vom Versicherungsschutz ausschließen. Im Bereich der Pflegeversicherung ist dies der Hilfebedarf, der außerhalb der vom Gesetzgeber beschriebenen Verrichtungen des täglichen Lebens entsteht. Im Zuge von mehreren Gesetzesreformen der gesetzlichen Pflegeversicherung soll hier - jedenfalls teilweise – Abhilfe geschaffen werden. Für den Bereich der eingeschränkten Alltagskompetenz ist bereits ein Hilfebedarf nach den (neueren) gesetzlichen Bestimmungen von der Beklagten anerkannt worden.
3. Die von der Mutter der Klägerin angeführte vierundzwanzigstündige Beaufsichtigung ihrer Tochter, deren Notwendigkeit nicht Abrede gestellt wird, kann deshalb nur für die einzelnen Verrichtungen der Grundpflege berücksichtigt werden und ist ansonsten für die Ermittlung der Pflegestufe nicht von Belang.
4. Soweit der Sachverständige die Klägerin als wach und bewusstseinsklar beschrieben hat steht dies nach Auffassung des Gerichts nicht im Widerspruch zu den Ausführungen der Mutter der Klägerin in ihrer Stellungnahme zum Sachverständigengutachten. Denn es handelt sich nur um einen punktuellen Untersuchungsbefund und vom Sachverständigen ist nicht in Abrede gestellt worden, dass ein Kontakt zur Umwelt vielfach nur eingeschränkt und mit vertieften Bemühungen der Bezugspersonen möglich ist. Soweit der Zeitansatz des Sachverständigen für das Aufstehen und Zubettgehen kritisiert wird ist festzustellen, dass der von der Mutter geschildert Zeitaufwand von 20 bzw. 40 min pro Tag nicht berücksichtigt werden konnte. Denn hier dürften die Vorgaben der Richtlinien von 1 bis 2 min nicht völlig außer Betracht bleiben. Der vom Sachverständigen gewählte Zeitansatz von 20 min überschreitet diese Vorgaben bereits in erheblichem Ausmaß. Selbst wenn jedoch durchschnittlich 30 min täglich zu berücksichtigen wären, ergibt sich unter Abzug des Hilfebedarfs für ein gesundes Kind von 10 min ein Gesamthilfebedarf von 96 min, der die Voraussetzungen der Pflegestufe II immer noch nicht erreicht.
5. Die Notwendigkeit der Begleitung beim Treppensteigen und Laufen außerhalb der Wohnung wird nicht bezweifelt, ist jedoch nur dann relevant für die Ermittlung der Pflegestufe, wenn regelmäßig, das heißt einmal wöchentlich, Arzt- und Therapiebesuche stattfinden. Da sämtliche Therapiemaßnahmen in der Kindertagesstätte vorgenommen werden, fallen keine zusätzlichen Wegezeiten an. Der Weg zur Schule bzw. zum Kindergarten wird jedoch nach den Richtlinien nicht berücksichtigt und fällt im Übrigen auch bei gesunden Kindern an. Denn auch ein vierjähriges oder fünfjähriges Kind kann in der Regel nicht alleine in den Kindergarten gehen, sondern muss dort hingebracht und abgeholt werden. Soweit ein Hilfebedarf und Beaufsichtigungsbedarf unabhängig von Arzt- und Therapiebesuchen erforderlich ist, wird er von der Pflegeversicherung nicht erfasst.
6. Der Sachverständige hat weiterhin einen Hilfebedarf bei der mundgerechten Zubereitung der Nahrung für das Kleinschneiden von festem Fleisch-, Gemüse- und Kartoffelstücken, das Zerteilen von Brotscheiben in Häppchen und Bereitstellen von Getränken mit einem Zeitbedarf von 15 min pro Tag berücksichtigt. Da auch gleichaltrige Kinder bei der Nahrungszubereitung- und Aufnahme einen Hilfebedarf haben, waren 6 min abzuziehen, was einen Mehrbedarf von 9 min ergibt. Der Sachverständige hat in diesem Zusammenhang zu Recht auf den Entwicklungsbericht der Kindertagesstätte. Hier heißt es auf Seite vier:
"Sie füllt sich Ihr Essen beim Mittagessen mit wenig Hilfe auf. Anschließend pickst sie die Speisen mit einer Gabel auf und probiert durch Lecken mit der Zunge. Die Gabel hält sie weiterhin im Faustgriff."
Aus dieser Beschreibung ergibt sich in einer fremden Umgebung außerhalb der Häuslichkeit eine weitaus höhere Selbstständigkeit, als sie von der Mutter der Klägerin beschrieben wird. Soweit in diesem Zusammenhang darauf abgestellt wird, dass im Kindergarten immer eine Person beim Essen zugegen sei, widerspricht das den Angaben im Bericht nicht. Der vom Sachverständigen in Ansatz gebrachte Hilfebedarf ist daher auch für die Nahrungsaufnahme plausibel und dürfte – jedenfalls vor dem Hintergrund der Schilderungen der Kindertagesstätte – eher großzügig bemessen sein.
7. Die Pflegereform 2015 betrifft die Ermittlung der Zeiten für die einzelnen Pflegestufen nicht, sondern erweitert vielmehr das Leistungsspektrum für Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz. Diese Leistungen werden von der Beklagten gewährt und sind nicht Streitgegenstand.
Abschließend ist festzustellen, dass Pflegebedürftigkeit gegeben ist und dementsprechend auch ein Anspruch auf die Gewährung von Pflegeleistungen gemäß Pflegestufe I sowie ein darüber hinausgehender Anspruch auf zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen besteht. Die Voraussetzungen der Pflegestufe II werden jedoch nicht erreicht. Alle mit der Ermittlung des Pflegebedarfs befassten Gutachter haben einen Hilfebedarf von 120 min im Bereich der Grundpflege (nach Abzug des Bedarfs für ein gleichartiges gesundes Kind) nicht feststellen können. Auch wenn die Eltern der Klägerin in erheblichem Umfang Pflegeleistungen erbringen, werden diese nur teilweise von der Pflegeversicherung erfasst, was der Konzeption des Gesetzes entspricht und nicht verfassungswidrig ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen der Pflegestufe II aus der gesetzlichen Pflegeversicherung.
Die am xxxxx 2010 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich pflegeversichert und leidet an einer globalen Entwicklungsverzögerung mit autistischen Zügen sowie einer Sprachentwicklungsverzögerung.
Am 14. Mai 2013 wurde von den Eltern der Klägerin ein Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung gestellt. Der von der Beklagte beauftragte medizinische Dienst der Krankenversicherung N. (MDK) kam in seinem Gutachten vom 10. Juni 2013 zu dem Ergebnis, dass ein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 66 min besteht, wobei nur der Mehrbedarf gegenüber gleichaltrigen gesunden Kindern berücksichtigt wurde. Daraufhin gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 17. Juni 2013 Leistungen gemäß Pflegestufe I für die Zeit ab 1. Mai 2013. Darüber hinaus wurden zusätzliche Betreuungsleistungen i.H.v. 200 EUR monatlich bewilligt.
Die Klägerin, vertreten durch ihre Eltern, erhob am 24. Juni 2013 Widerspruch. Das vom MDK eingeholte Gutachten sei in einigen Punkten unzutreffend. Es bestünde kein Verständnis für einen geregelten Tagesablauf. Eine maximale Schlafphase dauere 6 h. Die Klägerin wache jede Nacht auf und bedürfe dann auch der Pflege und Aufsicht. Es sei von einem Hilfebedarf i.H.v. 182 min im Bereich der Grundpflege auszugehen.
In einem weiteren Gutachten nach Aktenlage nahm der MDK zu den Ausführungen der Eltern der Klägerin Stellung. Der dokumentierte Pflegeaufwand in der Grundpflege resultiere aus den beschriebenen Einschränkungen der Körperfunktionen nach Abzug des altersnormalen Aufwands für ein Kind im Alter zwischen drei und vier Jahren. Vor diesem Hintergrund sei der festgestellte Hilfebedarf plausibel. Der geschilderte Beaufsichtigungsbedarf der Versicherten sei zwar nachvollziehbar, könne aber nach den gesetzlichen Vorgaben nicht als Hilfebedarf in der Grundpflege angerechnet werden. Bei den ermittelten Zeiten müsse der Hilfebedarf für ein gesundes Kind in diesem Alter abgezogen werden, was die Eltern der Klägerin bei ihrer Zeitermittlung nicht getan hätten. Mit Widerspruchsbescheid vom 25. September 2013 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück.
Hiergegen richtet sich die am 23. Oktober 2013 erhobene Klage der Eltern der Klägerin. Der Hilfebedarf, der während der Nacht auftrete, sei von der Beklagten nicht ausreichend berücksichtigt worden. Aufgrund einer gestörten Melatoninbildung komme es zu Schlafstörungen und damit verbunden zu einem höheren Hilfebedarf. Es sei ungerecht, wenn im Rahmen der Mobilität grundsätzlich Zeit für einen weiter entfernten Kindergarten berücksichtigt würde, nicht jedoch, wenn tatsächlich ein sich in unmittelbarer Nähe befindlicher Kindergarten ausgewählt worden sei.
Die Klägerin beantragt nach dem schriftlichen Vorbringen ihrer Eltern sinngemäß,
den Bescheid vom 17.06.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. September 2013 abzuändern und der Klägerin ab 01.05.2013 Leistungen gemäß Pflegestufe II gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid
das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen und einen Befundbericht des behandelnden Kinderarztes (Befundbericht von Dr. D. vom 21. Juni 2014) eingeholt. Es hat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens. Der Facharzt für Allgemeinmedizin und Pflegesachverständige W. ist in seinem Gutachten vom 4. November 2014 (Bl. 35 bis 63 der Prozessakte) zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 174 bestehe, nach Abzug des Hilfebedarfs bei altersnormalen, vierjährigen Kindern von 88 min ergebe sich ein Hilfebedarf von 86 min, der der Pflegestufe I entspreche. Die Voraussetzungen für Pflegestufe II würden somit nicht erreicht. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten dargelegt, dass bei der Ermittlung des Hilfebedarfs die Richtlinien grundsätzlich zu beachten seien und erläutert, dass ein Abzug für den Hilfebedarf eines gesunden Kindes gleichen Alters vorzunehmen sei. Bei der Klägerin bestünde ein erhöhter Förder-und Betreuungsbedarf. Der Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege resultiere aus der Entwicklungsverzögerung mit autistischen Zügen und damit einhergehenden Verhaltensauffälligkeiten und Sprachentwicklungsverzögerungen. Vom körperlichen und orthopädischen Untersuchungsbefund her sei die Klägerin grundsätzlich wie jedes andere viereinhalb jährige Kind auch in der Lage, die grundpflegerischen Verrichtungen mit altersentsprechender Anleitung durchzuführen.
Mit Schreiben vom 22. Dezember 2014 hat die Mutter der Klägerin Einwände gegen das Sachverständigengutachten erhoben und die Anwendung der Pflegerichtlinien kritisiert. Weiterhin sei vom Sachverständigen der Hilfebedarf für das Aufstehen und Zubettgehen zu niedrig bemessen worden. Hierfür sei ein zeitlicher Ansatz von entweder 20 oder 40 min anzusetzen. Auch beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung sei ein Hilfebedarf berücksichtigen, weil ihre Tochter ständig begleitet werden müsse. Auch der Zeitaufwand für die Nahrungsaufnahme sei deutlich höher als vom Sachverständigen ermittelt. Die Klägerin toleriere nur bestimmte Lebensmittel mit einem bestimmten Geschmack und Aussehen. Sie müsse oft gefüttert werden, da sie dazu neige, mit dem Essen zu spielen und zu kleckern. Hieraus ergebe sich auch ein höherer Bedarf für die Kleidungsreinigung und das Umziehen.
In der ergänzenden Stellungnahme vom 9. Februar 2015 ist der Sachverständige den Vorwürfen der Mutter der Klägerin entgegengetreten und hat darauf verwiesen, dass er als Gutachter gezwungen sei, sowohl die gesetzlichen Vorschriften als auch die Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekasse zur Beurteilung der Pflegebedürftigkeit anzuwenden. Ansonsten verweise er auf sein ausführliches Sachverständigengutachten, ein noch höherer Hilfebedarf könne nicht angenommen werden
Das Gericht hat die Beteiligten in Kenntnis gesetzt, dass eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid erfolgen soll.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte gemäß § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vor der Entscheidung gehört worden.
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Die Beklagte hat zu Recht mit den angefochtenen Bescheiden lediglich Pflegeleistungen gemäß Pflegestufe I für die Zeit ab 1. Mai 2013 gewährt. Ein Anspruch auf Pflegestufe II besteht hingegen nicht, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.
Gemäß § 14 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) sind Personen pflegebedürftig, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem Maße der Hilfe bedürfen. Pflegebedürftige der Pflegestufe II (Schwerpflegebedürftigkeit) sind Personen, die bei der Körperpflege, die Erziehung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt müssen im wöchentlichen Tagesdurchschnitt mindestens 180 Minuten (3 Stunden) betragen. Hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens 120 Minuten (2 Stunden) entfallen (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI).
Es ist gegenwärtig von einem Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 86 min auszugehen. Das Gericht folgt insoweit den nachvollziehbaren und plausiblen Ausführungen des Sachverständigen W in seinem Sachverständigengutachten vom 4. November 2014. Dieser hat einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 174 min ermittelt. Nach Abzug des Hilfebedarfs für ein altersgleiches gesundes Kind von 88 min ergibt sich der berücksichtigungsfähige Hilfebedarf von 86 min, der die erforderlichen 120 min nicht erreicht. Wegen des für die einzelnen Verrichtungen erforderlichen Hilfebedarfs wird auf die ausführlichen Erläuterungen des Sachverständigen in seinem Sachverständigengutachten vom 4. November 2014 inhaltlich Bezug genommen.
Die Einwände der Eltern der Klägerin führen zu keiner anderen Einschätzung.
1. Bereits der MDK hat darauf hingewiesen, dass bei der Ermittlung des Hilfebedarfs durch die Eltern der Abzug für ein altersgleiches gesundes Kind nicht vorgenommen bzw. ignoriert wurde. Der Sachverständige hat die Verfahrensweise noch einmal erläutert. Sie ergibt sich aus den Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Beurteilung der Pflegebedürftigkeit nach dem XI des Sozialgesetzbuchs in der Fassung vom 16. April 2013 (Pflegerichtlinien – D 4.0/III./9). Nach den gesetzlichen Regelungen des SGB XI kommt den Richtlinien zwar kein normativer Charakter zu, sie sind nach der Rechtsprechung des BSG jedoch grundsätzlich - schon aus Gleichbehandlungsgrundsätzen - anzuwenden. Nach der Konzeption des SGB XI ist bei Säuglingen oder Kleinkindern niemals der altersbedingte, also normale Pflegeaufwand, sondern nur der behinderungs-oder krankheitsbedingte Mehraufwand zu berücksichtigen. Aus diesem Grund ist für jede Verrichtung der Grundpflege ein Abzug für den Bedarf eines gleichalten Kindes ohne Einschränkungen vorzunehmen bzw. nur der Mehrbedarf zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall ist auf ein vier bis fünfjähriges Kind abzustellen. Es liegt auf der Hand, dass bei einem noch nicht schulpflichtigen Kleinkind bei allen Verrichtungen der Grundpflege ein nicht unerheblicher Hilfebedarf besteht, der nach der gesetzlichen Konzeption nicht bei der Ermittlung des Pflegebedarfs berücksichtigt werden darf. Es ist allein auf den behinderungsbedingten Mehrbedarf abzustellen. Dieser ergibt sich bei der Klägerin nicht aus körperlichen Einschränkungen, sondern aus der Entwicklungsverzögerung mit autistischen Zügen sowie der Sprachentwicklungsverzögerung und wurde vom Sachverständigen nach Begutachtung in häuslicher Umgebung nach den gesetzlichen Vorgaben und die Pflegerichtlinien zutreffend ermittelt.
Dabei hat der Sachverständige zu Recht darauf hingewiesen, dass die Einschätzung der Mutter der Klägerin, dass sich ihre Tochter auf dem Niveau eines zweieinhalbjährigen Kindes befindet, mit seinen eigenen Feststellungen übereinstimmt. Denn ein zweieinhalbjähriges Kind hat einen altersbedingten Pflegebedarf für die einzelnen Verrichtungen der Grundpflege von 159 min, was in etwa dem Hilfebedarf entspricht, den der Sachverständige mit 174 min ermittelt hat. Nach Abzug der Differenz für ein viereinhalbjähriges Kind ergibt sich der ermittelte Hilfebedarf, der mit 86 min (noch) nicht die Voraussetzungen der Pflegestufe II erreicht. Bei einem sich nur geringfügig verringernden Hilfebedarf erklärt sich der Anstieg gegenüber dem MDK-Gutachten alleine mit dem geringeren Abzug für ein gleichartiges gesundes Kind. Vor diesem Hintergrund ist es nicht ausgeschlossen, dass in einigen Jahren die Voraussetzungen für die Pflegestufe II gegeben sind, weil ein geringerer – oder gar kein – Abzug für ein gleichartiges Kind mehr vorzunehmen ist.
2. Weiterhin hat der Sachverständige zu Recht darauf hingewiesen, dass der Hilfebedarf nach der Konzeption des SGB XI im Bereich der Grundpflege nur verrichtungsbezogen zu beurteilen ist. Nur der in § 14 Abs. 4 SGB XI genannte Bedarf ist für die Beurteilung der Pflegestufe von Bedeutung. Ein allgemeiner - von den Verrichtungen losgelöster - Aufsichts- und Betreuungsbedarf wurde bislang von der Pflegeversicherung nicht erfasst. Denn die Pflegeversicherung ist nicht als Vollversicherung ausgestaltet und deckt das Risiko, pflegebedürftig zu werden aus Kostengründen nur zum Teil ab. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, denn der Gesetzgeber ist bei der Ausgestaltung der Sozialversicherung weitgehend frei und kann bestimmte Tatbestände vom Versicherungsschutz ausschließen. Im Bereich der Pflegeversicherung ist dies der Hilfebedarf, der außerhalb der vom Gesetzgeber beschriebenen Verrichtungen des täglichen Lebens entsteht. Im Zuge von mehreren Gesetzesreformen der gesetzlichen Pflegeversicherung soll hier - jedenfalls teilweise – Abhilfe geschaffen werden. Für den Bereich der eingeschränkten Alltagskompetenz ist bereits ein Hilfebedarf nach den (neueren) gesetzlichen Bestimmungen von der Beklagten anerkannt worden.
3. Die von der Mutter der Klägerin angeführte vierundzwanzigstündige Beaufsichtigung ihrer Tochter, deren Notwendigkeit nicht Abrede gestellt wird, kann deshalb nur für die einzelnen Verrichtungen der Grundpflege berücksichtigt werden und ist ansonsten für die Ermittlung der Pflegestufe nicht von Belang.
4. Soweit der Sachverständige die Klägerin als wach und bewusstseinsklar beschrieben hat steht dies nach Auffassung des Gerichts nicht im Widerspruch zu den Ausführungen der Mutter der Klägerin in ihrer Stellungnahme zum Sachverständigengutachten. Denn es handelt sich nur um einen punktuellen Untersuchungsbefund und vom Sachverständigen ist nicht in Abrede gestellt worden, dass ein Kontakt zur Umwelt vielfach nur eingeschränkt und mit vertieften Bemühungen der Bezugspersonen möglich ist. Soweit der Zeitansatz des Sachverständigen für das Aufstehen und Zubettgehen kritisiert wird ist festzustellen, dass der von der Mutter geschildert Zeitaufwand von 20 bzw. 40 min pro Tag nicht berücksichtigt werden konnte. Denn hier dürften die Vorgaben der Richtlinien von 1 bis 2 min nicht völlig außer Betracht bleiben. Der vom Sachverständigen gewählte Zeitansatz von 20 min überschreitet diese Vorgaben bereits in erheblichem Ausmaß. Selbst wenn jedoch durchschnittlich 30 min täglich zu berücksichtigen wären, ergibt sich unter Abzug des Hilfebedarfs für ein gesundes Kind von 10 min ein Gesamthilfebedarf von 96 min, der die Voraussetzungen der Pflegestufe II immer noch nicht erreicht.
5. Die Notwendigkeit der Begleitung beim Treppensteigen und Laufen außerhalb der Wohnung wird nicht bezweifelt, ist jedoch nur dann relevant für die Ermittlung der Pflegestufe, wenn regelmäßig, das heißt einmal wöchentlich, Arzt- und Therapiebesuche stattfinden. Da sämtliche Therapiemaßnahmen in der Kindertagesstätte vorgenommen werden, fallen keine zusätzlichen Wegezeiten an. Der Weg zur Schule bzw. zum Kindergarten wird jedoch nach den Richtlinien nicht berücksichtigt und fällt im Übrigen auch bei gesunden Kindern an. Denn auch ein vierjähriges oder fünfjähriges Kind kann in der Regel nicht alleine in den Kindergarten gehen, sondern muss dort hingebracht und abgeholt werden. Soweit ein Hilfebedarf und Beaufsichtigungsbedarf unabhängig von Arzt- und Therapiebesuchen erforderlich ist, wird er von der Pflegeversicherung nicht erfasst.
6. Der Sachverständige hat weiterhin einen Hilfebedarf bei der mundgerechten Zubereitung der Nahrung für das Kleinschneiden von festem Fleisch-, Gemüse- und Kartoffelstücken, das Zerteilen von Brotscheiben in Häppchen und Bereitstellen von Getränken mit einem Zeitbedarf von 15 min pro Tag berücksichtigt. Da auch gleichaltrige Kinder bei der Nahrungszubereitung- und Aufnahme einen Hilfebedarf haben, waren 6 min abzuziehen, was einen Mehrbedarf von 9 min ergibt. Der Sachverständige hat in diesem Zusammenhang zu Recht auf den Entwicklungsbericht der Kindertagesstätte. Hier heißt es auf Seite vier:
"Sie füllt sich Ihr Essen beim Mittagessen mit wenig Hilfe auf. Anschließend pickst sie die Speisen mit einer Gabel auf und probiert durch Lecken mit der Zunge. Die Gabel hält sie weiterhin im Faustgriff."
Aus dieser Beschreibung ergibt sich in einer fremden Umgebung außerhalb der Häuslichkeit eine weitaus höhere Selbstständigkeit, als sie von der Mutter der Klägerin beschrieben wird. Soweit in diesem Zusammenhang darauf abgestellt wird, dass im Kindergarten immer eine Person beim Essen zugegen sei, widerspricht das den Angaben im Bericht nicht. Der vom Sachverständigen in Ansatz gebrachte Hilfebedarf ist daher auch für die Nahrungsaufnahme plausibel und dürfte – jedenfalls vor dem Hintergrund der Schilderungen der Kindertagesstätte – eher großzügig bemessen sein.
7. Die Pflegereform 2015 betrifft die Ermittlung der Zeiten für die einzelnen Pflegestufen nicht, sondern erweitert vielmehr das Leistungsspektrum für Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz. Diese Leistungen werden von der Beklagten gewährt und sind nicht Streitgegenstand.
Abschließend ist festzustellen, dass Pflegebedürftigkeit gegeben ist und dementsprechend auch ein Anspruch auf die Gewährung von Pflegeleistungen gemäß Pflegestufe I sowie ein darüber hinausgehender Anspruch auf zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen besteht. Die Voraussetzungen der Pflegestufe II werden jedoch nicht erreicht. Alle mit der Ermittlung des Pflegebedarfs befassten Gutachter haben einen Hilfebedarf von 120 min im Bereich der Grundpflege (nach Abzug des Bedarfs für ein gleichartiges gesundes Kind) nicht feststellen können. Auch wenn die Eltern der Klägerin in erheblichem Umfang Pflegeleistungen erbringen, werden diese nur teilweise von der Pflegeversicherung erfasst, was der Konzeption des Gesetzes entspricht und nicht verfassungswidrig ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Rechtskraft
Aus
Login
HAM
Saved