Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
13
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 13 U 408/96
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 716/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 8/07 R
Datum
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid vom 6. November 1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. April 1996 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, eine Panikstörung und Somatisierungsstörung des Klägers als Unfallfolge anzuerkennen und in gesetzlichem Umfang zu entschädigen.
2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten steht die Anerkennung und Entschädigung von Unfallfolgen im Streit.
Der 1960 geborene Kläger war als selbständiger Maurermeister tätig. Er stürzte am 9. Dezember 1994 von einem 1,5 Meter hohen Gerüst und zog sich eine Commotio cerebri zu. Einen Tag nach dem Unfall stellte Dr. C. unter anderem in psychischer Hinsicht keine krankhaften Störungen fest. In seinem Befundbericht vom 10. Januar 1995 berichtete Dr. C. von einem posttraumatischen Kopfschmerzsyndrom mit Kopfschmerzen im Sinne einer Migraine accompagn6e. Dr. D. stellte demgegenüber in seinem neurologischen Befundbericht vom 22. Januar 1995 neben einer Commotio cerebri eine traumatische Angstneurose fest. Unter dem 17. März 1995 berichtete Dr. C. von einem psychogen überlagerten posttraumatischen HWS-Syndrom mit migräniformen Kopfschmerzen. Er verwies zudem auf eine erkennbare psycholabile Persönlichkeitsstruktur mit Neigung zu hypochondrischer Tendenz. In einem weiteren Bericht vom 30. März 1995 gab er ein posttraumatisches Schwindelsyndrom an.
Die Beklagte veranlaßte eine neurochirurgische Begutachtung durch Prof. Dr. E./Dr. F. Diese stellten unter dem 10. Mai 1995 ein massives posttraumatisches Kopfschmerzsyndrom fest, das deutliche Züge einer sogenannten Begleitmigräne trage. Eine unfallbedingte Verletzung der Halswirbelsäule schlossen die Gutachter definitiv aus. HNO-Arzt Dr. G. schloß in seinem von der Beklagten ebenfalls eingeholten Gutachten vom 1. September 1995 eine Ursache der geklagten Kopfschmerzen auf HNO-ärztlichem Gebiet aus.
Dr. H. stellte in seinem von der Beklagten eingeholten neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 21. September 1995 fest, daß sich mit neurologischen Untersuchungsmethoden weder ein Lagenschwindel noch ein cervikogener Schwindel verifizieren lasse. Auffällig sei indes das Verhalten des Klägers, was den psychischen Befund angehe. Hier liege offensichtlich eine erhebliche depressive Reaktion mit Anklammerungsfunktion und regressiv kindlichem Verhalten vor, die völlig im Gegensatz stehe zu der ursprünglich bestehenden Leistungsbetontheit und Leistungsfähigkeit des Klägers. Bei rein leistungsmotivierten Menschen sehe man häufig erhebliche Fehlreaktionen, wenn Unfallereignisse mit körperlicher subjektiver Leistungsbeeinträchtigung einträten. Jedoch sei aus seiner Sicht festzuhalten, daß wohl eher persönlichkeitsimmanente Faktoren die Hauptrolle spielten. Was den organischen Anteil angehe, sei das Unfallereignis nicht geeignet gewesen, das bestehende Beschwerdebild einschließlich der angeblich bestehenden Migraine accompagn6e hervorzurufen.
Mit Bescheid vom 6. November 1995 lehnte die Beklagte den Rentenspruch des Klägers ab. Eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit liege nicht mehr vor.
Dem widersprach der Kläger am 23. November 1995. Er legte ein nervenärztliches Gutachten des Dr. J. vom 27. Februar 1996 vor, der keine aggravations- oder rentenneurotische Fixierung beim Kläger feststellte und diesen für berufsunfähig hielt. Vorgelegt wurde außerdem eine gutachterliche Stellungnahme der Neurologin K. vom 1. März 1996, die von Antriebsarmut, resignativ-depressiver Stimmungslage sowie von Auswirkungen der psychosomatischen Begleiterkrankung und phobischen Syndromen berichtete. Der Unfall sei conditio sine qua non filr die jetzige Erkrankung.
Die Beklagte holte ein psychosomatisches Fachgutachten bei Prof. Dr. L./Dr. M. ein. Die Gutachter führten unter dem 25. März 1996 aus, daß die psychische Entwicklung des Klägers seit dem Unfall äußerst auffällig sei. Nach dem Unfall habe sich der Kläger durch die Kopfschmerzen und den Schwindel nicht mehr in der Lage gesehen, sein Bauunternehmen zu führen. Er habe viele Aufträge mit festen Terminierungen gehabt und habe fürchten müssen, daß bei Nichterledigung Regreßansprüche gestellt worden wären. Eine auffällige psychische Veränderung des Verhaltens des Klägers sei allerdings erst 3 Monate nach dem Unfall zu erkennen (Arztbrief des Dr. C.). Es bestehe eine massive regressive Bewegung mit pseudodebilen Zügen, Anklammerungsverhalten und herz- bzw. angstneurotischen Kennzeichen, die sich offensichtlich erst etwa im Mai des folgenden Jahres, also 6 Monate nach dem Unfall, ereignet habe. Im Grunde handele es sich um einen leichten Arbeitsunfall, der glimpflich verlaufen sei und ganz offensichtlich kaum organische Verletzungen und Beeinträchtigungen nach sich gezogen habe. So könne festgestellt werden, daß der Unfall für das komplexe und sich im Verlauf wandelnde Beschwerdebild nicht ursächlich verantwortlich sein könne. Die psychosomatischen Beschwerden und vor allem die sich nach 3 bzw. 6 Monaten einstellenden massiven neurotischen Verhaltensauffälligkeiten ließen sich nicht mit dem Unfall in einen plausiblen Zusammenhang bringen. Es seien Anzeichen für andere unbewußte Triebfedern der Krankheitsentwicklung erkennbar. Die finanziell schlechte Lage des Unternehmens könne am Krankheitsgeschehen Anteil haben, in dem sie ängstlich-phobische Seiten nach dem Unfall mobilisiere. Es sei ein erheblicher sekundärer Krankheitsgewinn erkennbar, der z. B. in der intensiven Zuwendung durch die Ehefrau bestehe.
Mit Bescheid vom 4. April 1996 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die depressive Verstimmung mit erhöhtem Leidensdruck und subjektiv empfundener deutlicher Leistungsminderung sei Folge persönlichkeitsbestimmter Faktoren. Es sei dem Gutachten von Prof. Dr. L. zu folgen, wonach lediglich ein rein zufälliger zeitlicher Zusammenhang zu dem Arbeitsunfall bestehe. Die wesentliche Ursache für das Beschwerdebild liege im privaten unversicherten Bereich. Mögliche Ursache sei eine prämorbide Persönlichkeit mit vorbestehender ängstlich-phobischer Veranlagung, die schlechte finanzielle Situation des eigenen Unternehmens mit fehlenden Aufträgen zum Unfallzeitpunkt und die sehr enge Beziehung zur Ehefrau mit der Folge eines regressiven Soges bei Belastungssituationen. Der vom Kläger vorgelegten Stellungnahme von Frau K. sei nicht zu folgen, da diese ihre Beurteilung nicht an den für die gesetzliche Unfallversicherung geltenden Grundsätzen zur Beurteilung der Zusammenhangsfrage orientiert habe.
Hiergegen richtet sich die am 24. April 1996 bei dem Sozialgericht Wiesbaden eingegangene Klage.
Der Kläger hat vorgetragen, daß bereits einen Monat nach dem Unfall (durch Dr. D.) die traumatische Angstneurose diagnostiziert worden sei. Darüber hinaus hätten keine finanziellen Probleme bestanden. Denn für Januar 1995 hätten wieder zahlreiche Aufträge vorgelegen. Im übrigen habe ihn die Mitteilung seiner Ehefrau über die Schwangerschaft nicht wie vom Gerichtssachverständigen festgestellt in einen Konflikt gebracht, da es sich um ein Wunschkind gehandelt habe.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 6. November 1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. April 1996 zu verurteilen, eine Panikstörung und Somatisierungsstörung des Klägers als Unfallfolge anzuerkennen und in gesetzlichem Umfang zu entschädigen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verweist auf die von ihr eingeholten Gutachten und ist der Auffassung, daß dem Gerichtsgutachten nicht zu folgen sei.
Das Gericht hat Beweis erhoben und einen Befundbericht bei Dr. N. sowie ein psychosomatisch-psychotherapeutisches Fachgutachten bei Prof. Dr. O. eingeholt. Dieser stellt in seinem Gutachten vom 27. Januar 1997 bei dem Kläger eine Agoraphobie mit Panikstörung sowie eine Somatisierungsstörung, überwiegend im Sinne einer somatoformen autonomen Funktionsstörung des kardiovaskulären Bereiches, fest. Diese Erkrankungen stünden in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem fraglichen Unfallereignis. Das Unfallereignis sei als Auslöser der Beschwerdsymptomatik anzusehen. Die Persönlichkeitsstruktur des Klägers könne im Sinne eines prädisponierenden Faktors gewertet werden. Das auslösende Unfallereignis sei nicht so gravierend, daß anzunehmen wäre, daß nicht auch andere, ähnliche Ereignisse eine solche Auslösefunktion hätten übernehmen können. Die Chronifizierung der Beschwerdesymptomatik habe ebenfalls überwiegend psychogene Ursachen und sei eng mit der vorbestehenden Persönlichkeitsstruktur verbunden. Es finde sich weder eine Aggravationstendenz noch eine bewußte Simulation. Der Kläger sei weiterhin arbeitsunfähig.
Die Beklagte hat eine Stellungnahme des Dr. H. (vom 17. Februar 1997) vorgelegt, der darauf hinweist, daß allein ein zeitlicher Zusammenhang nicht ausreiche, um die psychischen Störungen als Unfallfolge anzuerkennen.
In seiner vom Gericht angeforderten ergänzenden Stellungnahme führt Prof. Dr. O. unter dem 27. März 1998 aus, daß beim Kläger eine ängstlich-abhängige Persönlichkeitsstruktur bestehe. Für die Entwicklung der Angsterkrankung sei das Unfallereignis mit auslösend gewesen. Es spielten 3 Faktoren eine Rolle:
1. der Unfall
2. die Mitteilung der Ehefrau über die Schwangerschaft und
3. die Situation der unsicheren und unklaren Wartezeit auf das Ende der gewohnten Winterpause.
Eines der genannten Ereignisse alleine, zusätzlich zur Persönlichkeitsstruktur, hätte wahrscheinlich nicht ausgereicht, um das Krankheitsbild hervorzurufen.
Dr. P. hat in seiner Stellungnahme vom 26. Juli 1998 für die Beklagte ausgeführt, daß kein gravierendes Unfallereignis vorgelegen habe. Selbst bei Annahme einer Schreckreaktion anläßlich des Sturzes aus 1,5 Meter Höhe habe dem Kläger klar werden müssen, daß der Unfall keinen größeren Schaden bewirkt habe. Der Unfall könne daher keine wesentliche Ursache für die anlagebedingt vorbestehende Persönlichkeitsstruktur sein.
Wegen der weiteren Einzelheiten, auch im Vorbringen der Beteiligten, wird auf die Gerichtsakte und die Beklagtenakte Bezug genommen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und begründet. Die beim Kläger festgestellte Panik- und Somatisierungsstörung stellt eine Unfallfolge dar.
Dabei bleibt zunächst festzustellen, daß als unmittelbare Folge des Sturzes des Klägers aus 1,5 Meter Höhe lediglich eine Schädelprellung mit Commotio cerebri verblieben ist und sich bleibende organische Erkrankungen nicht ergeben haben.
Beim Kläger liegt indes eine Agoraphobie mit Panikstörung sowie eine Somatisierungsstörung, überwiegend im Sinne einer somatoformen autonomen Funktionsstörung des kardio vasculären Bereiches, vor. Dies ergibt sich aus dem Gutachten von Prof. Dr. O. sowie dem im Klageverfahren eingeholten Befundbericht des Dr. P. vom 3. März 1998. Dies ist letztlich zwischen den Beteiligten auch unstreitig.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist das Gericht indes der Überzeugung, daß diese Erkrankung in ursächlichem Zusammenhang mit dem Unfallereignis vom 9. Dezember 1994 steht.
Grundsätzlich erfaßt der Unfallbegriff auch psychische Gesundheitsstörungen als Folge eines äußeren Ereignisses (BSGE 18, 163; 61, 113). Zwischen dem Arbeitsunfall und der Gesundheitsstörung des Klägers muß ein ursächlicher Zusammenhang wahrscheinlich sein.
Dabei bleibt zunächst festzustellen, daß nach Überzeugung des Gerichtes beim Kläger bereits eine Krankheitsanlage auf psychischem Gebiet vogelegen hat. Dies ergibt sich zum einen aus dem seinerzeit durch Dr. C. erstellten Befundbericht vom 17. März 1995, der eine erkennbare psycholabile Persönlichkeitsstruktur mit Neigung zu hypochondrischer Tendenz beschreibt. Zum anderen bestätigt Prof. Dr. L. in seinem von der Beklagten eingeholten Gutachten ebenfalls eine prämorbide Persönlichkeit. Auch Prof. Dr. O. beschreibt in seinem gerichtlicherseits eingeholten Gutachten eine ängstlich-abhängige Persönlichkeitsstruktur des Klägers. Dies wird letztlich auch durch den behandelnden Arzt Dr. P. bestätigt, der eine ängstlich-abhängige Persönlichkeitsstruktur angibt.
Nach der im Unfallversicherungsrecht geltenden Lehre von der rechtlich wesentlichen Ursache haben von allen gleichwertigen Ursachen eines Ereignisses nur diejenigen rechtliche Bedeutung, denen nach der Anschauung des praktischen Lebens die wesentliche Bedeutung Mr den Eintritt dieses Ereignisses zukommt (BSG 1, 150, 156).
Unstreitig ist zwischen den Beteiligten, daß zwischen Unfall und Gesundheitsstörung eine Kausalität im naturwissenschaftlichen Sinne besteht. Dies bedeutet, daß im Sinne der conditio sine qua non der Unfall nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg entfiele.
Darüber hinausgehend ist im Bereich der Unfallversicherung indes erforderlich, daß der eingetretene Erfolg dem Schutzbereich der unfallversicherungsrechtlichen Norm zugerechnet werden kann. Danach sind diejenigen Bedingungen rechtlich wesentlich, die unter Abwägen ihres verschiedenen Wertes zu dem Schaden in eine besonders enge Beziehung treten und so zu seinem Entstehen wesentlich beigetragen haben (BSGE 13, 40; BSG in SozR 2200 § 539 Nummer 72). Haben mehrere Bedingungen zu einem Erfolg beigetragen, so sind nur solche Bedingungen wesentlich, die gegenüber anderen von wesentlicher Bedeutung sind.
Vor diesem Hintergrund bleibt zunächst festzustellen, daß die beim Kläger bestehende psycholabile Persönlichkeitsstruktur eine Krankheitsanlage darstellt, die es für sich alleine nicht ausschließt, den Schaden als durch das Unfallereignis mit verursacht anzusehen. Insoweit darf nicht von vornherein darauf abgestellt werden, wie ein normaler Verletzter reagiert hätte. Vielmehr ist jeder Versicherte in dem Zustand geschützt, in dem er sich bei Antritt der Arbeit befindet. Gleichwohl darf die Anlage nicht so leicht "ansprechbar" sein, daß sie gegenüber den psychischen Folgen des Unfallereignisses die rechtlich allein wesentliche Ursache ist (BSGE 18, 163; 61, 113). Das ist der Fall, wenn das Unfallereignis und seine organischen Auswirkungen - der Eigenart und Stärke nach - austauschbar sind mit einem anderen alltäglich vorkommenden Ereignis (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valtentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Auflage, Seite 223). Derart andere alltäglich vorkommende Ereignisse sind von dem Sachverständigen Prof. Dr. O. indes nicht beschrieben worden. Dieser weist zwar auf die Schwierigkeit dieser Zusammenhangsbeurteilung hin, führt indes aus, daß etwa andere Ereignisse wie ein Autounfall oder ein Sportunfall dieselbe aktivierende Funktion hätten übernehmen können. Nach Überzeugung des Gerichtes handelt es sich bei diesen geschilderten Ereignissen nicht um alltägliche Ereignisse. Aufgrund dieser Ausführungen ist das Gericht vielmehr davon überzeugt, daß die Persönlichkeit des Versicherten nicht allein wesentliche Ursache für die Panik- und Somatisierungsstörung ist.
Dem hält nach Überzeugung des Gerichtes der Beratungsarzt für die Beklagte, Dr. P., zu Unrecht entgegen, daß es sich lediglich um ein glimpflich verlaufenes Unfallgeschehen gehandelt habe. Denn in der Sache geht es hier um eine besondere Art von mittelbaren Folgeschäden, d. h. eine möglicherweise keineswegs gravierende Körperverletzung hat anschließend psychische Erkrankungen zur Folge, wobei letztere leistungsrechtlich ebenso zu behandeln sind wie die "unmittelbaren" Gesundheitsschäden. So wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß man bei der Annahme einer Unfallneurose, die rechtlich wesentlich anlage- und nicht unfallbedingt sei, sehr zurückhaltend sein müsse (vgl. Schulin, HS-UV § 31 Randziffer 28).
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht im Hinblick auf die ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. O. vom 27. März 1998. Dieser führt aus, daß neben dem Unfallereignis zwei weitere Faktoren zu berücksichtigen seien. Dies sei zum einen die unmittelbar nach dem Unfallereignis erfolgte Mitteilung der Partnerin, sie sei schwanger. Zum anderen spiele die Situation der unsicheren und unklaren Wartezeit auf das Ende der gewohnten Winterpause eine Rolle. Durch den Unfall würden Versorgungswünsche, regressive Bedürfnisse, etwa nach Schonung und Rückzug, Wünsche nach Zuwendung und Aufmerksamkeit aktiviert. Der gleiche Grundkonflikt in konkurrierendem Sinne werde durch die Mitteilung der Schwangerschaft der Ehefrau des Klägers aktiviert (Wegfall von Unterstützung und Zuwendung sowie zusätzlich weitere Verantwortungsübernahme). Eines der genannten Ereignisse (der Unfall oder die Mitteilung über die Schwangerschaft oder auch die Tatsache der Winterpause mit der bekannten Behandlungssituation) alleine, zusätzlich zur Persönlichkeitsstruktur habe wahrscheinlich nicht ausgereicht, um das Krankheitsbild hervorzurufen. Die prämorbide Persönlichkeit ohne die beiden den Grundkonflikt aktivierenden Ereignisse und/oder die Wartesituation der Winterpause wiederum wäre wahrscheinlich folgenlos geblieben. Hätte der Unfall also nicht stattgefunden und hätte es auch keine vergleichbare andere Belastung gegeben, dann wäre das jetzige Störungsbild wahrscheinlich nicht aufgetreten. Dieser fiktiven Annahme stehe jedoch die hohe Wahrscheinlichkeit gegenüber, daß früher oder später bei einer vergleichbaren Belastung oder Konstellation mehrerer Faktoren das Krankheitsbild ausgelöst worden wäre.
Soweit der Sachverständige weitere Mitursachen für wesentlich hält, ist es für das Gericht zunächst nachvollziehbar, daß der Kläger dem insoweit entgegengetreten ist. Zum einen hat er ausdrücklich erklärt, daß es sich um ein Wunschkind gehandelt habe. Zum anderen hätten für sein Unternehmen ab Januar 1995 Folgeaufträge bestanden. Dies hat der Kläger durch Vorlage einer entsprechenden Erklärung des Erwerbers des zwischenzeitlich veräußerten Betriebes auch nachgewiesen. Ob diesen Feststellungen von Prof. Dr. O. in dem Umfang zu folgen ist, kann indes dahinstehen. Denn die wesentliche Ursache erfordert nicht, daß das schädigende Ereignis die alleinige oder überwiegende Bedingung ist.
Haben mehrere Ursachen gemeinsam zum Gesundheitsschaden beigetragen, sind sie nebeneinanderstehende Teilursachen im Rechtssinne, wenn beide in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges wesentlich mitgewirkt haben. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch, also verhältnismäßig niedriger zu wertende Bedingung, kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein (BSG SozR Nummer 6 zu § 589 RVO; BSGE 12, 242; BSG in NJW 1964, 2222). Ein mitwirkender Faktor ist nur dann rechtlich unwesentlich, wenn er von der einen oder anderen Ursache ganz in den Hintergrund gedrängt wird. Daher ist es zulässig, eine - rein naturwissenschaftlich betrachtet - nicht gleichwertige (prozentual also verhältnismäßig niedrig zu bewertende) Ursache rechtlich als wesentlich anzusehen, weil gerade und nur durch ihr Hinzutreten zu der anderen wesentlichen Ursache der Erfolg eintreten konnte. Letztere Ursache hat dann im Verhältnis zur ersteren keine überragende Bedeutung (Schönberger/Mehrtens/Valentin a. a. 0., Seite 82). Mit Blick auf diese Grundsätze ist das Gericht davon überzeugt, daß das Unfallgeschehen zu der Persönlichkeitsstruktur und den - nicht unumstrittenen - weiteren Faktoren hinzutreten mußte, um die beim Kläger vorliegende Panik- und Somatisierungsstörung auszulösen.
Die Kammer folgt in dem Zusammenhang nicht den Versuchen, die rechtliche Wesentlichkeit an einer prozentualen Wertigkeit festzumachen. Danach soll rechtlich nicht wesentlich die Bedingung sein, die neben anderen Bedingungen an dem Gesundheitsschaden nur mit 10 v. H. beteilt ist, demgegenüber rechtlich wesentlich diejenige, die mindestens den Wert von 1/3 aller sonst zu berücksichtigenden Umstände erreicht hat (Schönberger/Mehrtens/ Valentin a. a. 0. unter Hinweis auf Brackmann, Krasney, § 8 Randnummer 314). Denn für die Frage, ob eine Ursache als wesentlich anzusehen ist, kommt es - wie bereits ausgeführt - ausschließlich darauf an, ob diese mit Blick auf andere (Mit-) Ursachen vernachlässigt werden kann. Dies ist nach den Ausführungen von Prof. Dr. O. indes nicht der Fall. Denn seiner Einschätzung nach hätten an die Stelle des Unfallereignisses eine "vergleichbare Belastung" oder eine "Konstellation mehrerer Faktoren" treten müssen, um das Krankheitsbild auszulösen.
Schließlich steht der Annahme einer wesentlichen Ursache nicht die Auffassung der Beklagten entgegen, daß ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Unfallereignis und 3 Monate später diagnostizierter Angstneurose nicht gegeben sei. Denn der Kläger hat hier zutreffend auf den aktenkundigen Bericht des Dr. D. vom 22. Januar 1995 verwiesen. Dieser gibt bereits zum damaligen Zeitpunkt eine traumatische Angstneurose an und hält eine Psychotherapie far erforderlich.
Da somit sowohl unter Berücksichtigung weiterer Mitursachen als auch der bestehenden Krankheitsanlage alltägliche Ereignisse nicht ausgereicht hätten, diese Gesundheitsstörung hervorzurufen, bestehen nach Überzeugung des Gerichtes keine Zweifel, hier die geforderte Kausalität anzunehmen.
Schließlich ist das Gericht auch davon überzeugt, daß die psychischen Reaktionen des Klägers frei von Wunsch- und Zwecktendenzen sind. Zwar ist in der gesetzlichen Unfallversicherung der Zurechnungszusammenhang zu verneinen, wenn - wie im entschiedenen Fall - die psychische Erkrankung Folge bewußter wunschbedingter Vorstellungen ist (BSGE 19, 275). Dies ist nach Überzeugung des Gerichtes indes nicht gegeben. Zwar hat Prof. Dr. L. in seinem für die Beklagte erstellten Gutachten ausgeführt, es seien Anzeichen für unbewußte Triebfedern der Krankheitsentwicklung erkennbar, wobei die finanziell schlechte Lage des Unternehmens am Krankheitsgeschehen Anteil haben könne, indem sie ängstlich-phobische Seiten nach dem Unfall mobilisiert habe. Diesen Ausführungen vermag das Gericht indes nicht zu folgen, da diese Feststellungen in krassem Gegensatz zu den Schilderungen des Klägers gegenüber dem Sachverständigen selbst stehen. So hat der Kläger gegenüber dem Gutachter geäußert, daß er viele Aufträge mit festen Terminierungen gehabt habe und fürchten mußte, daß bei Nichterledigung Regreßansprüche gestellt würden. Soweit der Gutachter im weiteren ausführt, im Laufe der Jahre habe die Zahl der Mitarbeiter reduziert werden müssen und sich der Unfall am Ende des letzten Auftrags in dem Jahr ereignet habe, also keineswegs ein volles Auftragsbuch vorgelegen habe, handelt es sich um Spekulationen des Gutachters, die im übrigen nicht zutreffend sind. Denn der Kläger hat nachgewiesen, daß sein Unternehmen Folgeaufträge für das Jahr 1995 hatte. Vor diesem Hintergrund ist das Gericht davon überzeugt, daß hier keinerlei Anhaltspunkte für wunschbedingte Vorstellungen gegeben sind.
Soweit schließlich von Prof. Dr. O. wie bereits von den Vorgutachtern massive ärztliche Versäumnisse dargelegt werden und insoweit dieser Umstand zur Chronifizierung beigetragen und regressive Prozesse verstärkt haben könnte, somit die nach dem Unfall eingetretene Wartezeit und die damit verbundende inadäquate Behandlung und Behandlungsführung ein wesentlicher Punkt far die Beschwerdeentstehung sein könnte, steht dies der Anerkennung als Unfallfolge gleichwohl nicht entgegen. Denn auch eine durch einen Arbeitsunfall rechtlich wesentlich verursachte ärztliche Fehlbehandlung (im weitesten Sinne) kann zu Entschädigungsansprüchen führen. Insoweit handelt es sich um einen mittelbaren Folgeschaden (Schulin, HB-SV § 31 Randziffer 17 und 18).
Nach alledem war zu entscheiden wie erfolgt. Zur Höhe der Leistungen sind Ausführungen im Rahmen des hier ergangenen Grundurteils nach § 130 SGG entbehrlich. Vielmehr wird die Beklagte zum Umfang der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) zu ermitteln haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten steht die Anerkennung und Entschädigung von Unfallfolgen im Streit.
Der 1960 geborene Kläger war als selbständiger Maurermeister tätig. Er stürzte am 9. Dezember 1994 von einem 1,5 Meter hohen Gerüst und zog sich eine Commotio cerebri zu. Einen Tag nach dem Unfall stellte Dr. C. unter anderem in psychischer Hinsicht keine krankhaften Störungen fest. In seinem Befundbericht vom 10. Januar 1995 berichtete Dr. C. von einem posttraumatischen Kopfschmerzsyndrom mit Kopfschmerzen im Sinne einer Migraine accompagn6e. Dr. D. stellte demgegenüber in seinem neurologischen Befundbericht vom 22. Januar 1995 neben einer Commotio cerebri eine traumatische Angstneurose fest. Unter dem 17. März 1995 berichtete Dr. C. von einem psychogen überlagerten posttraumatischen HWS-Syndrom mit migräniformen Kopfschmerzen. Er verwies zudem auf eine erkennbare psycholabile Persönlichkeitsstruktur mit Neigung zu hypochondrischer Tendenz. In einem weiteren Bericht vom 30. März 1995 gab er ein posttraumatisches Schwindelsyndrom an.
Die Beklagte veranlaßte eine neurochirurgische Begutachtung durch Prof. Dr. E./Dr. F. Diese stellten unter dem 10. Mai 1995 ein massives posttraumatisches Kopfschmerzsyndrom fest, das deutliche Züge einer sogenannten Begleitmigräne trage. Eine unfallbedingte Verletzung der Halswirbelsäule schlossen die Gutachter definitiv aus. HNO-Arzt Dr. G. schloß in seinem von der Beklagten ebenfalls eingeholten Gutachten vom 1. September 1995 eine Ursache der geklagten Kopfschmerzen auf HNO-ärztlichem Gebiet aus.
Dr. H. stellte in seinem von der Beklagten eingeholten neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 21. September 1995 fest, daß sich mit neurologischen Untersuchungsmethoden weder ein Lagenschwindel noch ein cervikogener Schwindel verifizieren lasse. Auffällig sei indes das Verhalten des Klägers, was den psychischen Befund angehe. Hier liege offensichtlich eine erhebliche depressive Reaktion mit Anklammerungsfunktion und regressiv kindlichem Verhalten vor, die völlig im Gegensatz stehe zu der ursprünglich bestehenden Leistungsbetontheit und Leistungsfähigkeit des Klägers. Bei rein leistungsmotivierten Menschen sehe man häufig erhebliche Fehlreaktionen, wenn Unfallereignisse mit körperlicher subjektiver Leistungsbeeinträchtigung einträten. Jedoch sei aus seiner Sicht festzuhalten, daß wohl eher persönlichkeitsimmanente Faktoren die Hauptrolle spielten. Was den organischen Anteil angehe, sei das Unfallereignis nicht geeignet gewesen, das bestehende Beschwerdebild einschließlich der angeblich bestehenden Migraine accompagn6e hervorzurufen.
Mit Bescheid vom 6. November 1995 lehnte die Beklagte den Rentenspruch des Klägers ab. Eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit liege nicht mehr vor.
Dem widersprach der Kläger am 23. November 1995. Er legte ein nervenärztliches Gutachten des Dr. J. vom 27. Februar 1996 vor, der keine aggravations- oder rentenneurotische Fixierung beim Kläger feststellte und diesen für berufsunfähig hielt. Vorgelegt wurde außerdem eine gutachterliche Stellungnahme der Neurologin K. vom 1. März 1996, die von Antriebsarmut, resignativ-depressiver Stimmungslage sowie von Auswirkungen der psychosomatischen Begleiterkrankung und phobischen Syndromen berichtete. Der Unfall sei conditio sine qua non filr die jetzige Erkrankung.
Die Beklagte holte ein psychosomatisches Fachgutachten bei Prof. Dr. L./Dr. M. ein. Die Gutachter führten unter dem 25. März 1996 aus, daß die psychische Entwicklung des Klägers seit dem Unfall äußerst auffällig sei. Nach dem Unfall habe sich der Kläger durch die Kopfschmerzen und den Schwindel nicht mehr in der Lage gesehen, sein Bauunternehmen zu führen. Er habe viele Aufträge mit festen Terminierungen gehabt und habe fürchten müssen, daß bei Nichterledigung Regreßansprüche gestellt worden wären. Eine auffällige psychische Veränderung des Verhaltens des Klägers sei allerdings erst 3 Monate nach dem Unfall zu erkennen (Arztbrief des Dr. C.). Es bestehe eine massive regressive Bewegung mit pseudodebilen Zügen, Anklammerungsverhalten und herz- bzw. angstneurotischen Kennzeichen, die sich offensichtlich erst etwa im Mai des folgenden Jahres, also 6 Monate nach dem Unfall, ereignet habe. Im Grunde handele es sich um einen leichten Arbeitsunfall, der glimpflich verlaufen sei und ganz offensichtlich kaum organische Verletzungen und Beeinträchtigungen nach sich gezogen habe. So könne festgestellt werden, daß der Unfall für das komplexe und sich im Verlauf wandelnde Beschwerdebild nicht ursächlich verantwortlich sein könne. Die psychosomatischen Beschwerden und vor allem die sich nach 3 bzw. 6 Monaten einstellenden massiven neurotischen Verhaltensauffälligkeiten ließen sich nicht mit dem Unfall in einen plausiblen Zusammenhang bringen. Es seien Anzeichen für andere unbewußte Triebfedern der Krankheitsentwicklung erkennbar. Die finanziell schlechte Lage des Unternehmens könne am Krankheitsgeschehen Anteil haben, in dem sie ängstlich-phobische Seiten nach dem Unfall mobilisiere. Es sei ein erheblicher sekundärer Krankheitsgewinn erkennbar, der z. B. in der intensiven Zuwendung durch die Ehefrau bestehe.
Mit Bescheid vom 4. April 1996 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die depressive Verstimmung mit erhöhtem Leidensdruck und subjektiv empfundener deutlicher Leistungsminderung sei Folge persönlichkeitsbestimmter Faktoren. Es sei dem Gutachten von Prof. Dr. L. zu folgen, wonach lediglich ein rein zufälliger zeitlicher Zusammenhang zu dem Arbeitsunfall bestehe. Die wesentliche Ursache für das Beschwerdebild liege im privaten unversicherten Bereich. Mögliche Ursache sei eine prämorbide Persönlichkeit mit vorbestehender ängstlich-phobischer Veranlagung, die schlechte finanzielle Situation des eigenen Unternehmens mit fehlenden Aufträgen zum Unfallzeitpunkt und die sehr enge Beziehung zur Ehefrau mit der Folge eines regressiven Soges bei Belastungssituationen. Der vom Kläger vorgelegten Stellungnahme von Frau K. sei nicht zu folgen, da diese ihre Beurteilung nicht an den für die gesetzliche Unfallversicherung geltenden Grundsätzen zur Beurteilung der Zusammenhangsfrage orientiert habe.
Hiergegen richtet sich die am 24. April 1996 bei dem Sozialgericht Wiesbaden eingegangene Klage.
Der Kläger hat vorgetragen, daß bereits einen Monat nach dem Unfall (durch Dr. D.) die traumatische Angstneurose diagnostiziert worden sei. Darüber hinaus hätten keine finanziellen Probleme bestanden. Denn für Januar 1995 hätten wieder zahlreiche Aufträge vorgelegen. Im übrigen habe ihn die Mitteilung seiner Ehefrau über die Schwangerschaft nicht wie vom Gerichtssachverständigen festgestellt in einen Konflikt gebracht, da es sich um ein Wunschkind gehandelt habe.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 6. November 1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. April 1996 zu verurteilen, eine Panikstörung und Somatisierungsstörung des Klägers als Unfallfolge anzuerkennen und in gesetzlichem Umfang zu entschädigen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verweist auf die von ihr eingeholten Gutachten und ist der Auffassung, daß dem Gerichtsgutachten nicht zu folgen sei.
Das Gericht hat Beweis erhoben und einen Befundbericht bei Dr. N. sowie ein psychosomatisch-psychotherapeutisches Fachgutachten bei Prof. Dr. O. eingeholt. Dieser stellt in seinem Gutachten vom 27. Januar 1997 bei dem Kläger eine Agoraphobie mit Panikstörung sowie eine Somatisierungsstörung, überwiegend im Sinne einer somatoformen autonomen Funktionsstörung des kardiovaskulären Bereiches, fest. Diese Erkrankungen stünden in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem fraglichen Unfallereignis. Das Unfallereignis sei als Auslöser der Beschwerdsymptomatik anzusehen. Die Persönlichkeitsstruktur des Klägers könne im Sinne eines prädisponierenden Faktors gewertet werden. Das auslösende Unfallereignis sei nicht so gravierend, daß anzunehmen wäre, daß nicht auch andere, ähnliche Ereignisse eine solche Auslösefunktion hätten übernehmen können. Die Chronifizierung der Beschwerdesymptomatik habe ebenfalls überwiegend psychogene Ursachen und sei eng mit der vorbestehenden Persönlichkeitsstruktur verbunden. Es finde sich weder eine Aggravationstendenz noch eine bewußte Simulation. Der Kläger sei weiterhin arbeitsunfähig.
Die Beklagte hat eine Stellungnahme des Dr. H. (vom 17. Februar 1997) vorgelegt, der darauf hinweist, daß allein ein zeitlicher Zusammenhang nicht ausreiche, um die psychischen Störungen als Unfallfolge anzuerkennen.
In seiner vom Gericht angeforderten ergänzenden Stellungnahme führt Prof. Dr. O. unter dem 27. März 1998 aus, daß beim Kläger eine ängstlich-abhängige Persönlichkeitsstruktur bestehe. Für die Entwicklung der Angsterkrankung sei das Unfallereignis mit auslösend gewesen. Es spielten 3 Faktoren eine Rolle:
1. der Unfall
2. die Mitteilung der Ehefrau über die Schwangerschaft und
3. die Situation der unsicheren und unklaren Wartezeit auf das Ende der gewohnten Winterpause.
Eines der genannten Ereignisse alleine, zusätzlich zur Persönlichkeitsstruktur, hätte wahrscheinlich nicht ausgereicht, um das Krankheitsbild hervorzurufen.
Dr. P. hat in seiner Stellungnahme vom 26. Juli 1998 für die Beklagte ausgeführt, daß kein gravierendes Unfallereignis vorgelegen habe. Selbst bei Annahme einer Schreckreaktion anläßlich des Sturzes aus 1,5 Meter Höhe habe dem Kläger klar werden müssen, daß der Unfall keinen größeren Schaden bewirkt habe. Der Unfall könne daher keine wesentliche Ursache für die anlagebedingt vorbestehende Persönlichkeitsstruktur sein.
Wegen der weiteren Einzelheiten, auch im Vorbringen der Beteiligten, wird auf die Gerichtsakte und die Beklagtenakte Bezug genommen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und begründet. Die beim Kläger festgestellte Panik- und Somatisierungsstörung stellt eine Unfallfolge dar.
Dabei bleibt zunächst festzustellen, daß als unmittelbare Folge des Sturzes des Klägers aus 1,5 Meter Höhe lediglich eine Schädelprellung mit Commotio cerebri verblieben ist und sich bleibende organische Erkrankungen nicht ergeben haben.
Beim Kläger liegt indes eine Agoraphobie mit Panikstörung sowie eine Somatisierungsstörung, überwiegend im Sinne einer somatoformen autonomen Funktionsstörung des kardio vasculären Bereiches, vor. Dies ergibt sich aus dem Gutachten von Prof. Dr. O. sowie dem im Klageverfahren eingeholten Befundbericht des Dr. P. vom 3. März 1998. Dies ist letztlich zwischen den Beteiligten auch unstreitig.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist das Gericht indes der Überzeugung, daß diese Erkrankung in ursächlichem Zusammenhang mit dem Unfallereignis vom 9. Dezember 1994 steht.
Grundsätzlich erfaßt der Unfallbegriff auch psychische Gesundheitsstörungen als Folge eines äußeren Ereignisses (BSGE 18, 163; 61, 113). Zwischen dem Arbeitsunfall und der Gesundheitsstörung des Klägers muß ein ursächlicher Zusammenhang wahrscheinlich sein.
Dabei bleibt zunächst festzustellen, daß nach Überzeugung des Gerichtes beim Kläger bereits eine Krankheitsanlage auf psychischem Gebiet vogelegen hat. Dies ergibt sich zum einen aus dem seinerzeit durch Dr. C. erstellten Befundbericht vom 17. März 1995, der eine erkennbare psycholabile Persönlichkeitsstruktur mit Neigung zu hypochondrischer Tendenz beschreibt. Zum anderen bestätigt Prof. Dr. L. in seinem von der Beklagten eingeholten Gutachten ebenfalls eine prämorbide Persönlichkeit. Auch Prof. Dr. O. beschreibt in seinem gerichtlicherseits eingeholten Gutachten eine ängstlich-abhängige Persönlichkeitsstruktur des Klägers. Dies wird letztlich auch durch den behandelnden Arzt Dr. P. bestätigt, der eine ängstlich-abhängige Persönlichkeitsstruktur angibt.
Nach der im Unfallversicherungsrecht geltenden Lehre von der rechtlich wesentlichen Ursache haben von allen gleichwertigen Ursachen eines Ereignisses nur diejenigen rechtliche Bedeutung, denen nach der Anschauung des praktischen Lebens die wesentliche Bedeutung Mr den Eintritt dieses Ereignisses zukommt (BSG 1, 150, 156).
Unstreitig ist zwischen den Beteiligten, daß zwischen Unfall und Gesundheitsstörung eine Kausalität im naturwissenschaftlichen Sinne besteht. Dies bedeutet, daß im Sinne der conditio sine qua non der Unfall nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg entfiele.
Darüber hinausgehend ist im Bereich der Unfallversicherung indes erforderlich, daß der eingetretene Erfolg dem Schutzbereich der unfallversicherungsrechtlichen Norm zugerechnet werden kann. Danach sind diejenigen Bedingungen rechtlich wesentlich, die unter Abwägen ihres verschiedenen Wertes zu dem Schaden in eine besonders enge Beziehung treten und so zu seinem Entstehen wesentlich beigetragen haben (BSGE 13, 40; BSG in SozR 2200 § 539 Nummer 72). Haben mehrere Bedingungen zu einem Erfolg beigetragen, so sind nur solche Bedingungen wesentlich, die gegenüber anderen von wesentlicher Bedeutung sind.
Vor diesem Hintergrund bleibt zunächst festzustellen, daß die beim Kläger bestehende psycholabile Persönlichkeitsstruktur eine Krankheitsanlage darstellt, die es für sich alleine nicht ausschließt, den Schaden als durch das Unfallereignis mit verursacht anzusehen. Insoweit darf nicht von vornherein darauf abgestellt werden, wie ein normaler Verletzter reagiert hätte. Vielmehr ist jeder Versicherte in dem Zustand geschützt, in dem er sich bei Antritt der Arbeit befindet. Gleichwohl darf die Anlage nicht so leicht "ansprechbar" sein, daß sie gegenüber den psychischen Folgen des Unfallereignisses die rechtlich allein wesentliche Ursache ist (BSGE 18, 163; 61, 113). Das ist der Fall, wenn das Unfallereignis und seine organischen Auswirkungen - der Eigenart und Stärke nach - austauschbar sind mit einem anderen alltäglich vorkommenden Ereignis (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valtentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Auflage, Seite 223). Derart andere alltäglich vorkommende Ereignisse sind von dem Sachverständigen Prof. Dr. O. indes nicht beschrieben worden. Dieser weist zwar auf die Schwierigkeit dieser Zusammenhangsbeurteilung hin, führt indes aus, daß etwa andere Ereignisse wie ein Autounfall oder ein Sportunfall dieselbe aktivierende Funktion hätten übernehmen können. Nach Überzeugung des Gerichtes handelt es sich bei diesen geschilderten Ereignissen nicht um alltägliche Ereignisse. Aufgrund dieser Ausführungen ist das Gericht vielmehr davon überzeugt, daß die Persönlichkeit des Versicherten nicht allein wesentliche Ursache für die Panik- und Somatisierungsstörung ist.
Dem hält nach Überzeugung des Gerichtes der Beratungsarzt für die Beklagte, Dr. P., zu Unrecht entgegen, daß es sich lediglich um ein glimpflich verlaufenes Unfallgeschehen gehandelt habe. Denn in der Sache geht es hier um eine besondere Art von mittelbaren Folgeschäden, d. h. eine möglicherweise keineswegs gravierende Körperverletzung hat anschließend psychische Erkrankungen zur Folge, wobei letztere leistungsrechtlich ebenso zu behandeln sind wie die "unmittelbaren" Gesundheitsschäden. So wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß man bei der Annahme einer Unfallneurose, die rechtlich wesentlich anlage- und nicht unfallbedingt sei, sehr zurückhaltend sein müsse (vgl. Schulin, HS-UV § 31 Randziffer 28).
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht im Hinblick auf die ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. O. vom 27. März 1998. Dieser führt aus, daß neben dem Unfallereignis zwei weitere Faktoren zu berücksichtigen seien. Dies sei zum einen die unmittelbar nach dem Unfallereignis erfolgte Mitteilung der Partnerin, sie sei schwanger. Zum anderen spiele die Situation der unsicheren und unklaren Wartezeit auf das Ende der gewohnten Winterpause eine Rolle. Durch den Unfall würden Versorgungswünsche, regressive Bedürfnisse, etwa nach Schonung und Rückzug, Wünsche nach Zuwendung und Aufmerksamkeit aktiviert. Der gleiche Grundkonflikt in konkurrierendem Sinne werde durch die Mitteilung der Schwangerschaft der Ehefrau des Klägers aktiviert (Wegfall von Unterstützung und Zuwendung sowie zusätzlich weitere Verantwortungsübernahme). Eines der genannten Ereignisse (der Unfall oder die Mitteilung über die Schwangerschaft oder auch die Tatsache der Winterpause mit der bekannten Behandlungssituation) alleine, zusätzlich zur Persönlichkeitsstruktur habe wahrscheinlich nicht ausgereicht, um das Krankheitsbild hervorzurufen. Die prämorbide Persönlichkeit ohne die beiden den Grundkonflikt aktivierenden Ereignisse und/oder die Wartesituation der Winterpause wiederum wäre wahrscheinlich folgenlos geblieben. Hätte der Unfall also nicht stattgefunden und hätte es auch keine vergleichbare andere Belastung gegeben, dann wäre das jetzige Störungsbild wahrscheinlich nicht aufgetreten. Dieser fiktiven Annahme stehe jedoch die hohe Wahrscheinlichkeit gegenüber, daß früher oder später bei einer vergleichbaren Belastung oder Konstellation mehrerer Faktoren das Krankheitsbild ausgelöst worden wäre.
Soweit der Sachverständige weitere Mitursachen für wesentlich hält, ist es für das Gericht zunächst nachvollziehbar, daß der Kläger dem insoweit entgegengetreten ist. Zum einen hat er ausdrücklich erklärt, daß es sich um ein Wunschkind gehandelt habe. Zum anderen hätten für sein Unternehmen ab Januar 1995 Folgeaufträge bestanden. Dies hat der Kläger durch Vorlage einer entsprechenden Erklärung des Erwerbers des zwischenzeitlich veräußerten Betriebes auch nachgewiesen. Ob diesen Feststellungen von Prof. Dr. O. in dem Umfang zu folgen ist, kann indes dahinstehen. Denn die wesentliche Ursache erfordert nicht, daß das schädigende Ereignis die alleinige oder überwiegende Bedingung ist.
Haben mehrere Ursachen gemeinsam zum Gesundheitsschaden beigetragen, sind sie nebeneinanderstehende Teilursachen im Rechtssinne, wenn beide in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges wesentlich mitgewirkt haben. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch, also verhältnismäßig niedriger zu wertende Bedingung, kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein (BSG SozR Nummer 6 zu § 589 RVO; BSGE 12, 242; BSG in NJW 1964, 2222). Ein mitwirkender Faktor ist nur dann rechtlich unwesentlich, wenn er von der einen oder anderen Ursache ganz in den Hintergrund gedrängt wird. Daher ist es zulässig, eine - rein naturwissenschaftlich betrachtet - nicht gleichwertige (prozentual also verhältnismäßig niedrig zu bewertende) Ursache rechtlich als wesentlich anzusehen, weil gerade und nur durch ihr Hinzutreten zu der anderen wesentlichen Ursache der Erfolg eintreten konnte. Letztere Ursache hat dann im Verhältnis zur ersteren keine überragende Bedeutung (Schönberger/Mehrtens/Valentin a. a. 0., Seite 82). Mit Blick auf diese Grundsätze ist das Gericht davon überzeugt, daß das Unfallgeschehen zu der Persönlichkeitsstruktur und den - nicht unumstrittenen - weiteren Faktoren hinzutreten mußte, um die beim Kläger vorliegende Panik- und Somatisierungsstörung auszulösen.
Die Kammer folgt in dem Zusammenhang nicht den Versuchen, die rechtliche Wesentlichkeit an einer prozentualen Wertigkeit festzumachen. Danach soll rechtlich nicht wesentlich die Bedingung sein, die neben anderen Bedingungen an dem Gesundheitsschaden nur mit 10 v. H. beteilt ist, demgegenüber rechtlich wesentlich diejenige, die mindestens den Wert von 1/3 aller sonst zu berücksichtigenden Umstände erreicht hat (Schönberger/Mehrtens/ Valentin a. a. 0. unter Hinweis auf Brackmann, Krasney, § 8 Randnummer 314). Denn für die Frage, ob eine Ursache als wesentlich anzusehen ist, kommt es - wie bereits ausgeführt - ausschließlich darauf an, ob diese mit Blick auf andere (Mit-) Ursachen vernachlässigt werden kann. Dies ist nach den Ausführungen von Prof. Dr. O. indes nicht der Fall. Denn seiner Einschätzung nach hätten an die Stelle des Unfallereignisses eine "vergleichbare Belastung" oder eine "Konstellation mehrerer Faktoren" treten müssen, um das Krankheitsbild auszulösen.
Schließlich steht der Annahme einer wesentlichen Ursache nicht die Auffassung der Beklagten entgegen, daß ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Unfallereignis und 3 Monate später diagnostizierter Angstneurose nicht gegeben sei. Denn der Kläger hat hier zutreffend auf den aktenkundigen Bericht des Dr. D. vom 22. Januar 1995 verwiesen. Dieser gibt bereits zum damaligen Zeitpunkt eine traumatische Angstneurose an und hält eine Psychotherapie far erforderlich.
Da somit sowohl unter Berücksichtigung weiterer Mitursachen als auch der bestehenden Krankheitsanlage alltägliche Ereignisse nicht ausgereicht hätten, diese Gesundheitsstörung hervorzurufen, bestehen nach Überzeugung des Gerichtes keine Zweifel, hier die geforderte Kausalität anzunehmen.
Schließlich ist das Gericht auch davon überzeugt, daß die psychischen Reaktionen des Klägers frei von Wunsch- und Zwecktendenzen sind. Zwar ist in der gesetzlichen Unfallversicherung der Zurechnungszusammenhang zu verneinen, wenn - wie im entschiedenen Fall - die psychische Erkrankung Folge bewußter wunschbedingter Vorstellungen ist (BSGE 19, 275). Dies ist nach Überzeugung des Gerichtes indes nicht gegeben. Zwar hat Prof. Dr. L. in seinem für die Beklagte erstellten Gutachten ausgeführt, es seien Anzeichen für unbewußte Triebfedern der Krankheitsentwicklung erkennbar, wobei die finanziell schlechte Lage des Unternehmens am Krankheitsgeschehen Anteil haben könne, indem sie ängstlich-phobische Seiten nach dem Unfall mobilisiert habe. Diesen Ausführungen vermag das Gericht indes nicht zu folgen, da diese Feststellungen in krassem Gegensatz zu den Schilderungen des Klägers gegenüber dem Sachverständigen selbst stehen. So hat der Kläger gegenüber dem Gutachter geäußert, daß er viele Aufträge mit festen Terminierungen gehabt habe und fürchten mußte, daß bei Nichterledigung Regreßansprüche gestellt würden. Soweit der Gutachter im weiteren ausführt, im Laufe der Jahre habe die Zahl der Mitarbeiter reduziert werden müssen und sich der Unfall am Ende des letzten Auftrags in dem Jahr ereignet habe, also keineswegs ein volles Auftragsbuch vorgelegen habe, handelt es sich um Spekulationen des Gutachters, die im übrigen nicht zutreffend sind. Denn der Kläger hat nachgewiesen, daß sein Unternehmen Folgeaufträge für das Jahr 1995 hatte. Vor diesem Hintergrund ist das Gericht davon überzeugt, daß hier keinerlei Anhaltspunkte für wunschbedingte Vorstellungen gegeben sind.
Soweit schließlich von Prof. Dr. O. wie bereits von den Vorgutachtern massive ärztliche Versäumnisse dargelegt werden und insoweit dieser Umstand zur Chronifizierung beigetragen und regressive Prozesse verstärkt haben könnte, somit die nach dem Unfall eingetretene Wartezeit und die damit verbundende inadäquate Behandlung und Behandlungsführung ein wesentlicher Punkt far die Beschwerdeentstehung sein könnte, steht dies der Anerkennung als Unfallfolge gleichwohl nicht entgegen. Denn auch eine durch einen Arbeitsunfall rechtlich wesentlich verursachte ärztliche Fehlbehandlung (im weitesten Sinne) kann zu Entschädigungsansprüchen führen. Insoweit handelt es sich um einen mittelbaren Folgeschaden (Schulin, HB-SV § 31 Randziffer 17 und 18).
Nach alledem war zu entscheiden wie erfolgt. Zur Höhe der Leistungen sind Ausführungen im Rahmen des hier ergangenen Grundurteils nach § 130 SGG entbehrlich. Vielmehr wird die Beklagte zum Umfang der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) zu ermitteln haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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