L 13 AS 699/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 4 AS 2767/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 699/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 18. Dezember 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin für die Zeit vom 1. April 2009 bis 30. Juni 2009 Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) hat oder ob sie als kosovarische Staatsangehörige für diese ersten drei Monate ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland vom Bezug dieser Leistungen ausgeschlossen ist.

Die 1968 geborene Klägerin ist kosovarische Staatsangehörige und reiste am 1. April 2009 mit einem Visum zum Zwecke der Familienzusammenführung in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie zog in den Haushalt ihres am 14. Januar 1965 geborenen Ehemannes (ebenfalls kosovarischer Staatsangehöriger) und erhielt ab 18. Juni 2009 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 30 AufenthG (Ehegattennachzug). Seit 1. April 2009 war der Klägerin die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gestattet. Ihr Ehemann besaß seit 29. Juni 2001 eine unbefristete Aufenthaltsberechtigung der Ausländerbehörde und bezog zum Zeitpunkt der Einreise der Klägerin bereits seit längerer Zeit laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II von der Beklagten. In der Zeit vom 1. April 2009 bis 30. Juni 2009 war die Klägerin nicht erwerbstätig.

Nach Mitteilung des Zuzugs der Klägerin berücksichtigte die Beklagte mit Bescheid vom 7. Juli 2009 die Klägerin als mit ihrem Ehemann in Bedarfsgemeinschaft lebende Person, änderte die dem Ehemann zuvor bewilligten Leistungen entsprechend ab, bewilligte für die Klägerin ab 1. Juli 2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II und lehnte für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts (1. April 2009 bis 30. Juni 2009) die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für die Klägerin ab. Hiergegen wurde kein Widerspruch eingelegt.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 16. November 2010 beantragte die Klägerin die Überprüfung der Leistungsbescheide seit April 2009, da sie "durchgehend bis heute auf EUR 0,- gesetzt" werde.

Auf den Hinweis der Beklagten im Schriftsatz vom 10. Dezember 2010, dass seit 1. Juli 2009 durchgehend Leistungen nach dem SGB II für die Klägerin bewilligt worden seien, erfolgte keine weitere Äußerung bzw. keine Begründung des Überprüfungsantrages. Mit Bescheid vom 20. Juli 2011 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag ab.

Zur Begründung des hiergegen am 22. Juli 2011 eingelegten Widerspruchs wurde auf einen Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. Dezember 2009 (L 19 B 363/09 AS) und das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 8. März 2011 (C-34.09, Ruiz-Zambrano) verwiesen und vorgetragen, die Schlechterstellung von Deutschen gegenüber EU-Bürgern sei schlicht nicht haltbar. Im Hinblick auf die sozialversicherungsrechtliche Daseinsvorsorge könne sich auch der Familienangehörige eines Deutschen auf Unionsbürgerstatus berufen. Demgemäß sei auch für die ersten drei Monate Arbeitslosengeld II zu gewähren.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10. August 2011 als unbegründet zurück. Die Klägerin habe nichts vorgebracht, was für die Unrichtigkeit des bestandskräftigen Bescheides vom 7. Juli 2009 sprechen könne.

Hiergegen hat die Klägerin am 18. August 2011 Klage beim Sozialgericht Ulm (SG) erhoben (S 4 AS 2767/11). Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und noch vorgetragen, der Leistungsausschluss von Angehörigen von Deutschen bzw. Unionsbürgern sei europarechtlich nicht möglich.

Nachdem das SG auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 30. Januar 2013 (B 4 AS 37/12 R) hingewiesen hat, hat die Beklagte angemerkt, die Klägerin und ihr Ehemann seien beide Kosovaren und damit Drittstaatsangehörige, so dass keine vergleichbare Situation mit dem Zuzug zu einem Deutschen konstruiert werden könne.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 18. Dezember 2014 als unbegründet abgewiesen, da der Bescheid vom 7. Juli 2009 auch bei nochmaliger Überprüfung sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht rechtmäßig sei. Die Klägerin sei nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II für die ersten drei Monate ihres Aufenthaltes in Deutschland von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen. Sie habe über eine Aufenthaltsgenehmigung zum Familiennachzug nach § 30 AufenthG (Kapitel 2 Abschnitt 6), also nicht über eine Aufenthaltsberechtigung nach Kapitel 2 Abschnitt 5 AufenthG wegen völkerrechtlicher, humanitärer oder politischer Gründe verfügt, die eine Rückausnahme vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 3 SGB II begründen würde. Sie sei während der ersten drei Monate ihres Aufenthalts auch weder Arbeitnehmerin noch Selbstständige gewesen.

Gegen dieses ihr am 30. Januar 2015 zugestellte Urteil richtet sich die am 26. Februar 2015 eingelegte Berufung der Klägerin. Sie verweist auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 30. Januar 2013 (B 4 AS 37/12), nach dem zu berücksichtigen sei, dass eine Einreise zum Zwecke des Familiennachzugs grundsätzlich nicht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche resultiere. Von daher bestehe von vornherein kein Leistungsausschluss. Außerdem halte sich der Ehemann der Klägerin bereits seit 1992 in Deutschland auf und habe 16 Jahre in rechtsgültiger Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen gelebt. Er sei zwar bislang nicht eingebürgert worden, sei jedoch seit langem im Besitz einer Niederlassungserlaubnis im Sinne von § 9 AufenthG, die wiederum der Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU nach § 9 a AufenthG gleichstehe.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 18. Dezember 2014 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20. Juli 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August 2011 sowie unter Abänderung des Bescheides vom 7. Juli 2009 zu verurteilen, ihr auch für die Zeit vom 1. April 2009 bis 30. Juni 2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und verweist erneut darauf, dass die Klägerin und ihr Ehemann sich als Drittstaatsangehörige nicht auf europarechtliche Bestimmungen berufen könnten und Unionsbürgern nicht gleichzustellen seien. Die Frage ob die Klägerin zum Zweck der Familienzusammenführung oder zur Arbeitssuche nach Deutschland eingereist sei, spiele keine Rolle, da nicht der Ausschlussgrund des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II sondern der des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II streitig sei. Der Ehemann der Klägerin habe eine Niederlassungserlaubnis nach § 9 AufenthG innegehabt, nicht jedoch eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU nach § 9 a AufenthG.

Der Senat hat mit Beschluss vom 17. Februar 2016 den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren abgelehnt, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung in der Sache keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Die Klägerin unterfalle dem Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts in Deutschland und ihr Fall sei mit dem vom BSG im Urteil vom 30. Januar 2013 entschiedenen Fall eines Familiennachzugs zu einem deutschen Ehegatten nicht vergleichbar. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss vom 7. Februar 2016 verwiesen.

Gegen den Senatsbeschluss vom 7. Februar 2016 hat die Klägerin Verfassungsbeschwerde erhoben. Das Bundesverfassungsgericht hat das Verfassungsbeschwerdeverfahren durch Nichtannahmebeschluss vom 8. August 2017 (1 BvR 1080/16) abgeschlossen.

Mit Senatsverfügung vom 12. März 2018 sind die Beteiligten darauf hingewiesen worden, dass die Absicht bestehe, über die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu entscheiden. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Entscheidung gemäß § 153 Abs. 4 SGG sind dargelegt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten sowie die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung der Klägerin gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, nachdem die Beteiligten Gelegenheit hatten, sich hierzu zu äußern.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes (§ 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – SGB X) und für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II dargelegt und zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 SGB II im streitigen Zeitraum grundsätzlich erfüllt hat. Ebenso zutreffend hat das SG dann dargelegt, dass die Klägerin nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts in Deutschland von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen war und dass die Beklagte es daher zu Recht abgelehnt hat, den Bescheid vom 7. Juni 2009 teilweise zurückzunehmen und der Klägerin für die streitige Zeit vom 1. April 2009 bis 30. Juni 2009 Leistungen zu gewähren. Der Senat schließt sich dem nach eigener Überprüfung und unter Berücksichtigung des gesamten Vorbringens der Klägerin, auch im Berufungsverfahren, uneingeschränkt an und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung gemäß § 153 Abs. 3 SGG zurück.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auch das klägerische Vorbringen im Berufungsverfahren keine andere Entscheidung rechtfertigt. Auch unter Berücksichtigung des langjährigen Aufenthalts des Ehemannes der Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland, seiner früheren Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen und seiner Niederlassungserlaubnis nach § 9 AufenthG bleibt es dabei, dass die Klägerin und ihr Ehemann im streitigen Zeitraum weder deutsche Staatsangehörige noch Unionsbürger waren. Sie können sich daher weder auf europarechtliche Freizügigkeit noch auf die für den Fall eines Familiennachzugs zu einem deutschen Ehegatten ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts berufen. Diese Rechtsauffassung hat der Senat bereits in seinem Beschluss vom 17. Februar 2016 vertreten und mangels Erfolgsaussicht des Berufungsbegehrens die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren abgelehnt. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 8. August 2017 die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde der Klägerin nicht zur Entscheidung angenommen. Nachdem die Klägerin sich in Kenntnis dieser Beschlüsse im vorliegenden Verfahren nicht mehr geäußert und ihr bisheriges Vorbringen nicht ergänzt hat, erübrigen sich weitere rechtliche Ausführungen.

Aus den vorstehenden Gründen weist der Senat die Berufung zurück.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Im Rahmen des dem Senat nach § 193 SGG eingeräumten Ermessens war für den Senat maßgeblich, dass die Klägerin mit der Rechtsverfolgung ohne Erfolg geblieben ist und der Beklagte keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat. Der Senat hält es auch im Falle einer Zurückweisung des Rechtsmittels für erforderlich, nicht nur über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu entscheiden, sondern auch über die Kosten der vorausgehenden Instanz (so Lüdtke, Kommentar zum SGG, 4. Aufl., § 193 SGG Rdnr. 8; erkennender Senat, Urteil vom 19. November 2013, L 13 R 1662/12, veröffentlicht in Juris; a.A. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 12. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 2a; Hintz/Lowe, Kommentar zum SGG, § 193 SGG Rdnr. 11; Jansen, Kommentar zum SGG, 4. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 4).

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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