L 13 SB 138/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 139 SB 809/14
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 138/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozi-algerichts Berlin vom 4. Mai 2016 geändert. Der Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 28. November 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Februar 2014 verpflichtet, bei der Klägerin mit Wirkung ab dem 24. September 2014 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen. Der Beklagte hat der Klägerin deren notwendige außergerichtliche Kosten des gerichtlichen Verfahrens in vollem Umfang zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des bei der Klägerin festzustellenden Grades der Behinderung (GdB).

Auf den Feststellungsantrag der 1952 geborenen Klägerin vom 29. August 2011 stellte der Beklagte bei ihr mit Bescheid vom 28. November 2012 einen GdB von 30 fest. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch, worauf der Beklagte das Gutachten des Chirurgen R vom 28. September 2013 einholte, der den GdB auf 30 einschätzte. Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Februar 2014 stellte der Beklagte im Hinblick auf weitere eingereichte medizinische Unterlagen, insbesondere das im Befundbericht des HNO-Arztes M vom 31. Oktober 2013 mitgeteilte Tonschwellenaudiogramm, bei der Klägerin den GdB auf 40 fest, wies den Widerspruch aber im Übrigen zurück. Hierbei ging er von folgenden Behinderungen aus:

1. Kunstgelenkersatz des Knies links, Funktionsbehinderung des Kniegelenks rechts, Funktionsstörung durch Fußfehlform beidseitig (Einzel-GdB 30), 2. Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörung (Einzel-GdB 10), 3. chronische venöse Insuffizienz (Krampfaderleiden) des Beines beidseitig (Ein-zel-GdB 10), 4. Fettleber (Einzel-GdB 10), 5. Schwerhörigkeit (Einzel-GdB 20).

Mit der Klage beim Sozialgericht Berlin hat die Klägerin einen GdB von mindestens 50 begehrt. Das Sozialgericht hat neben Befundberichten das Gutachten des Facharztes für Rheumatologie und Orthopädie Prof. Dr. Sp vom 30. Oktober 2015 einge-holt, der den Grad der Behinderung auf 30 eingeschätzt hat. Hierzu hat der Gutach-ter folgende Behinderungen ermittelt:

1. Kniegelenksveränderungen und Fußfehlform (Einzel-GdB 20), 2. beginnende degenerative Umformung der Hals- und Lendenwirbelsäule (Ein-zel-GdB 20), 3. Schwerhörigkeit (Einzel-GdB 20), 4. Schlaf-Apnoe-Syndrom (Einzel-GdB 20), 5. Bluthochdruck (Einzel-GdB 10), 6. chronisch venöse Insuffizienz (Einzel-GdB 10) und 7. Fettleber (Einzel-GdB 10).

Dem Gutachten folgend hat das Sozialgericht Berlin die Klage mit Gerichtsbescheid vom 4. Mai 2016 abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie zunächst einen GdB von mindestens 50 ab Antragstellung begehrt hat. Im Erörterungstermin vor dem Berichterstatter hat sie ihr Begehren auf die Feststellung eines GdB von 50 reduziert.

Der Senat hat neben dem Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik L vom 3. März 2017 das Gutachten des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. S vom 29. November 2017 eingeholt, der nach Untersuchung der Klägerin den Gesamt-GdB auf 40 einge-schätzt hat. Hierzu hat der Sachverständige folgende GdB-relevante Funktionsbeeinträchtigungen ermittelt:

1. künstliches Kniegelenk links, Kniegelenkverschleiß rechts, Fußfehlform beid-seitig, Krampfaderleiden, Beinlängendifferenz um ca. 1 cm (Einzel-GdB 30), 2. Hörminderung (Einzel-GdB 20), 3. Bluthochdruck (Einzel-GdB 10), 4. Fettstoffwechselstörung, Verfettung des Lebergewebes, Übergewichtigkeit (Einzel-GdB 10), 5. Schlaf-Apnoe-Syndrom (Einzel-GdB 20), 6. Depression, ausgeprägte Somatisierung, chronisches Schmerzsyndrom bei psychischen und physischen Faktoren (Einzel-GdB 20).

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Klägerin ihren Anspruch auf den Zeitraum ab dem 24. September 2014 beschränkt.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 4. Mai 2016 zu ändern sowie den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 28. November 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Februar 2014 zu verpflichten, bei der Klägerin mit Wirkung ab dem 24. September 2014 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält bei der Klägerin einen Gesamt-GdB von 40 für ausreichend.

Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist, soweit sie diese aufrecht gehalten hat, begründet.

Die Klägerin hat Anspruch auf Festsetzung eines Gesamt-GdB von 50 mit Wirkung ab dem 24. September 2014.

Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (SGB IX a.F.) bzw. nach § 152 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch in der am 1. Januar 2018 in Kraft getretenen Fassung (SGB IX n.F.) sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft zu bewerten. Hierbei sind die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (VMG) heranzuziehen.

Die Funktionsbehinderungen der Klägerin im Funktionssystem der Beine sind nach B 18.14 VMG mit einem Einzel-GdB von 30 in Ansatz zu bringen. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten – zu Recht – kein Streit.

Die Hörminderung bedingt nach B 5.2 VMG einen Einzel-GdB von 20.

Das Schlaf-Apnoe-Syndrom der Klägerin ist nach B 8.7 VMG mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten, allerdings nicht bereits ab Antragstellung, sondern erst mit Wir-kung ab 24. September 2014. Denn zu diesem Zeitpunkt hatten die Untersuchungen der Klägerin im Schlaflabor begonnen, die Grundlage für die Einschätzung der be-handelnden Ärzte im Arztbrief des Krankenhauses St vom 7. Oktober 2014 bildete, dass bei ihr die Notwendigkeit einer kontinuierlichen nasalen Überdruckbehandlung bestand.

Mit Wirkung ab dem 21. November 2017, dem Zeitpunkt der Untersuchung der Klä-gerin durch den Sachverständigen Dr. S, ist für die von diesem festgestellte Depression, die ausgeprägte Somatisierung und das chronisches Schmerzsyndrom bei psy-chischen und physischen Faktoren nach B 3.7 VMG ein Einzel-GdB von 20 zu vergeben.

Der bei der Klägerin vorliegende Bluthochdruck ist nach B 9.3 VMG mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten.

Im Funktionssystem der Verdauung bedingen die Fettstoffwechselstörung und Ver-fettung des Lebergewebes unter Berücksichtigung der Übergewichtigkeit der Klägerin einen Einzel-GdB von 10.

Aus den vorliegenden medizinischen Unterlagen einschließlich der in beiden Instan-zen eingeholten Sachverständigengutachten hat der Senat nicht die Überzeugung gewinnen können, dass bei der Klägerin für den Bereich der Wirbelsäule nach B 18.9 VMG ein Einzel-GdB von 10 zu vergeben sei. Maßgebliche Bewegungseinschränkungen der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule hat der Sachverständige Dr. S bei der Untersuchung der Klägerin nicht feststellen können.

Liegen – wie hier – mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX a.F. bzw. § 152 Abs. 3 SGB IX n.F. nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach A 3c VMG ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird. Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben beträgt bei der Klägerin seit dem 24. September 2014 der Gesamt-GdB 50.

Der Einzel-GdB von 30 für die Behinderungen im Funktionssystem der Beine ist im Hinblick auf die mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewertende Hörminderung um einen Zehnergrad anzuheben. Mit Wirkung ab dem 24. September 2014 ist im Hinblick auf das Schlaf-Apnoe-Syndrom eine Anhebung um einen weiteren Zehnergrad vor-zunehmen, da die Auswirkungen der genannten Funktionsbeeinträchtigungen voneinander unabhängig und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Die psychische Erkrankung der Klägerin, die mit Wirkung ab dem 21. November 2017 einen Einzel-GdB von 20 bedingt, rechtfertigt keine Heraussetzung. Denn nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dr. S werden die somatischen Beschwerden der Klägerin erheblich durch deren psychi-sche Erkrankung überlagert. Die weiteren Behinderungen der Klägerin führen zu keiner Erhöhung des GdB, da – von hier nicht vorliegenden Ausnahmefällen (z. B. hochgradige Schwerhörigkeit eines Ohres bei schwerer beidseitiger Einschränkung der Sehfähigkeit) abgesehen – zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt den Ausgang des Rechtsstreits.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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