Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 6 R 111/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Bei der Kostenentscheidung nach Erledigung des Rechtsstreits durch die rückwirkende Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht ist im Rahmen des Veranlassungsprinzips zu berücksichtigen, ob die Beklagte den ursprünglich streitgegenständlichen Bescheid über die Ablehnung der Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung auf die von ihr entwickelte sog. „Vier-Kriterien-Theorie“ gestützt hat, die vom Bundessozialgericht in seiner Rechtsprechung vom 3. April 2014 zu den Aktenzeichen B 5 RE 13/14 R, B 5 RE 9/14 R und B 5 RE 3/14 R für nicht anwendbar erklärt wurde.
2. Ein nach Inkrafttreten des § 231 Abs. 4b SGB VI erteilter Bescheid über die rückwirkende Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht auf einen nach 1. Januar 2016 gestellten Antrag kann den streitgegenständlichen Bescheid, mit dessen Verfügungssatz ein vor Inkrafttreten des § 231 Abs. 4b SGB VI gestellter Antrag auf Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI für die Beschäftigung als Syndikusanwalt abgelehnt wurde, weder ändern noch ersetzen. Die Voraussetzungen des § 96 SGG sind nicht erfüllt.
3. Aus den Nichtannahmebeschlüssen des Bundesverfassungsgericht vom 19. und 22. Juli 2016, Az.: 1 BvR 2584/14 und 1 BvR 2534/14, kann keine grundsätzliche Kostentragungspflicht der Rentenversicherungsträger bei rückwirkender Befreiung der Syndikusanwälte nach der ab 1. Januar 2016 geltenden Rechtslage abgeleitet werden.
2. Ein nach Inkrafttreten des § 231 Abs. 4b SGB VI erteilter Bescheid über die rückwirkende Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht auf einen nach 1. Januar 2016 gestellten Antrag kann den streitgegenständlichen Bescheid, mit dessen Verfügungssatz ein vor Inkrafttreten des § 231 Abs. 4b SGB VI gestellter Antrag auf Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI für die Beschäftigung als Syndikusanwalt abgelehnt wurde, weder ändern noch ersetzen. Die Voraussetzungen des § 96 SGG sind nicht erfüllt.
3. Aus den Nichtannahmebeschlüssen des Bundesverfassungsgericht vom 19. und 22. Juli 2016, Az.: 1 BvR 2584/14 und 1 BvR 2534/14, kann keine grundsätzliche Kostentragungspflicht der Rentenversicherungsträger bei rückwirkender Befreiung der Syndikusanwälte nach der ab 1. Januar 2016 geltenden Rechtslage abgeleitet werden.
Die Beklagte hat dem Kläger ½ der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Im Übrigen findet keine Kostenerstattung statt.
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten ist nur noch die Erstattungspflicht der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers streitig.
Der 1962 geborene Kläger beantragte am 12. März 2012 die Weitergeltung der mit Bescheid vom 10. August 2010 und Wirkung ab 1. Juni 2000 ausgesprochenen Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) für seine Tätigkeit als Senior Asset Manager bei C. GmbH ab. 1. November 2010 und als Referent Work-Out bei der D. Bank AG ab 1. April 2012 bei der Beklagten. Er war Mitglied der Rechtsanwaltskammer und des Versorgungswerkes der Rechtsanwälte im Lande Hessen.
Mit Bescheid vom 7. August 2017 lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil es sich um keine berufsspezifische Tätigkeit handle. Für eine berufsspezifische Tätigkeit von Rechtsanwälten, die bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber beschäftigt seien (Syndikusanwälte), könne eine Befreiung nur ausgesprochen werden, wenn diese Tätigkeit die bekannten vier Kriterien anwaltlicher Tätigkeit bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber (Rechtsberatung, Rechtsentscheidung, Rechtsgestaltung und Rechtsvermittlung) kumulativ abdeckte und daher auch ausschließlich für Personen mit diesem beruflichen Hintergrund zugänglich sei (sog. "Vier-Kriterium-Theorie"). Diese Voraussetzungen seien bei der Tätigkeit des Klägers nicht erfüllt.
Hiergegen legte der Kläger am 15. August 2012 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 4. März 2013 zurückgewiesen wurde.
Am 14. März 2013 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben, mit der er die Befreiung von der Versicherungspflicht für die Tätigkeit bei der C. GmbH vom 1. Januar 2010 bis 31. März 2012 und für die Tätigkeit bei der D. Bank AG ab 1. April 2012 begehrte. Mit Beschluss vom 7. April 2016 ordnete das Gericht das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung der Beigeladenen über den Zulassungsantrag des Klägers als Syndikusanwalt und der Beklagten über die Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung zum 1. Januar 2016 an.
Am 25. Mai 2016 wurde der Kläger auf Antrag vom 26. Februar 2016 als Syndikusrechtsanwalt für die Tätigkeit bei der E. Bank AG aufgrund des Arbeitsvertrages vom 30. November / 10. Dezember 2011 sowie der Ergänzungsvereinbarung vom 24. März 2016 zugelassen, wobei die Anteile der D. Bank AG von der E. Bank AG aufgekauft und 2013 übertragen wurden. Im Juni 2015 wurde der komplette Bankbetrieb der D. Bank AG im Wege einer gesellschaftsrechtlichen Umwandlung auf die E. Bank AG inklusive Arbeitsverhältnisse übertragen.
Mit Bescheiden vom 16. September 2016 befreite die Beklagte den Kläger auf seinen Antrag vom 16. März 2016 von der Versicherungspflicht für seine Tätigkeit bei E. Bank AG für die Zeit ab 27. Mai 2016. Mit einem weiteren Bescheid vom 3. Februar 2017 befreite die Beklagte den Kläger rückwirkend auf seinen Antrag vom 16. März 2016 von der Versicherungspflicht gemäß § 231 Abs. 4b SGB VI für seine Tätigkeit bei D. Bank AG für die Zeit vom 1. April 2012 bis 14. Juni 2015 und für die Tätigkeit bei der E. Bank AG vom 15. Juni 2015 bis 26. Mai 2016.
Daraufhin hat der Kläger den Rechtsstreit am 3. April 2017 wiederaufgerufen und für erledigt erklärt. Gleichzeitig hat er beantragt, die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens der Beklagten aufzuerlegen. Mit der rückwirkenden Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht für beide Tätigkeiten habe die Beklagte seinem Klagebegehren vollumfänglich entsprochen.
Die Beklagte geht davon aus, dass sie zur Kostenübernahme nicht verpflichtet ist. Nach dem vor 1. Januar 2016 bestandenem Recht habe kein Anspruch auf die Befreiung von der Versicherungspflicht bestanden.
II.
Gemäß § 193 Abs. 1 S. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet das Gericht auf Antrag durch Beschluss, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn das Verfahren anders als durch Urteil beendet wird. Vorliegend wurde das Verfahren durch Erledigungserklärung des klägerischen Prozessbevollmächtigten vom 3. April 2017 und der Beklagten vom 2. Mai 2017 beendet. Der Kläger stellte zugleich den entsprechenden Kostenantrag.
Die Kostengrundentscheidung richtet sich unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen des Gerichts (Rechtsgedanke des § 91a Zivilprozessordnung (ZPO) und des § 161 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)). Grundsätzlich sind die Verfahrenskosten demjenigen aufzuerlegen, der im Verfahren unterliegt. Allerdings sind die Erfolgsaussichten sowie der tatsächliche Ausgang des Verfahrens keine alleinigen Kriterien für die Kostenentscheidung. Vielmehr hat das Gericht neben dem Ergebnis des Rechtsstreits billigerweise alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Ein möglicher Aspekt ist dabei das sog. Veranlassungsprinzip. Grundlage für die Heranziehung des sogenannten "Veranlassungsprinzips" als Ermessensgesichtspunkt ist die Vorstellung, dass die Kosten des Gerichtsverfahrens demjenigen aufzuerlegen sind, der Anlass für den Rechtsstreit gegeben hat (vgl. HLSG, Beschl. v. 30.01.1996, Az. L 4 B 24/95, juris-Rn. 8; Beschl. v. 13.05.1996, Az. L 5 B 64/94, juris-Rn. 23; Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 193, Rn. 12b). Es gilt also zu prüfen, ob es sich etwa um einen von vornherein vermeidbaren oder überflüssigen Prozess gehandelt hat und wem dieses ggf. zur Last zu legen ist. Insoweit kommt es insbesondere darauf an, ob im Verlaufe des Verwaltungsverfahrens der Leistungsträger seiner Amtsermittlungspflicht und der Leistungsberechtigte seiner Mitwirkungspflicht in hinreichendem Maße nachgekommen sind. Auch im Falle einer Änderung der Sach- oder Rechtslage zugunsten des Klägers ist das Veranlassungsprinzip heranzuziehen. Wenn der Verwaltungsträger einer Veränderung unverzüglich nach Kenntnis Rechnung trägt, kann es der Billigkeit entsprechen, eine Kostenerstattungspflicht zu verneinen (Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 193 Rn. 12c). Wenn sich die Verhältnisse erst während des Rechtstreits geändert haben, kommt eine teilweise Kostenerstattung in Betracht.
Das Gericht hält unter Beachtung dieser Grundsätze in Ausübung seines Ermessens eine Kostenübernahme von ½ der Kosten durch die Beklagte für sachgerecht.
Zum einen hält die Kammer den § 96 SGG auf den Bescheid vom 3. Februar 2017 über die rückwirkende Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht für seine Tätigkeiten bei der D. Bank AG und E. Bank AG (nach Umfirmierung) – entgegen der Auffassung der Klägerseite – vorliegend nicht für anwendbar. Gemäß § 96 Abs. 1 SGG wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Eine Änderung liegt vor, wenn der Verwaltungsakt teilweise aufgehoben und durch Neuregelung ersetzt wird; eine Ersetzung, wenn der neue Verwaltungsakt ganz an die Stelle des alten tritt (vgl. Schmidt in: a.a.O. § 96 Rn. 4 m.w.N. aus der Rspr.). Abändern oder Ersetzen setzt allgemein voraus, dass der Regelungsgegenstand des neu einzubeziehenden Verwaltungsaktes mit dem des früheren identisch ist. Ob dies der Fall ist, muss durch Vergleich der in beiden Verwaltungsakten getroffenen Verfügungssätze festgestellt werden (vgl. Schmidt in: a.a.O. § 96 Rn. 5 m.w.N.). Keine Abänderung oder Ersetzung liegt deshalb grundsätzlich bei anderem Streitstoff oder veränderten Tatsachen und unter Umständen auch nicht bei veränderten Rechtsgrundlagen vor (Schmidt in: a.a.O., § 96 Rn. 5).
Mit dem Verfügungssatz des Bescheides vom 7. August 2012 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Weitergeltung der mit Bescheid vom 10. August 2010 und Wirkung ab 1. Juni 2000 ausgesprochenen Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI für die Beschäftigung als Syndikusanwalt bei der C. GmbH ab 1. November 2010 und bei der D. Bank AG ab 1. April 2012 ab. Mit Bescheid vom 3. Februar 2017 entsprach die Beklagte demgegenüber dem Antrag vom 16. März 2016 und befreite den Kläger rückwirkend von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Zeit ab 1. April 2012. Zum einen erfolgten die Entscheidungen auf zwei unterschiedliche Anträge, zum anderen stimmen sie in zeitlicher Hinsicht nur teilweise überein, weil der Bescheid vom 3. Februar 2017 die Tätigkeit bei der C. GmbH nicht regelt. Allein der Vergleich der Verfügungssätze verbietet nach alledem die Annahme desselben Streitgegenstandes im Sinne des § 96 Abs. 1 SGG. Abgesehen davon liegen der Entscheidung vom 3. Februar 2017 veränderte Rechtsgrundlagen zugrunde. Die Rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht im Sinne des § 231 Abs. 4b SGB VI setzt die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt oder Syndikuspatentanwalt voraus, die zuvor gesetzlich nicht vorgeschrieben war.
In den Fällen, in denen eine Änderung der Rechtslage zur Erledigung führt, ist wesentlich darauf abzustellen, wie ohne diese Änderung voraussichtlich entschieden worden wäre. Es entspricht der Billigkeit, auf die Erfolgsaussichten der Klage vor dem erledigenden Ereignis abzustellen. Demgegenüber wäre es unbillig, allgemein anzunehmen, dass der von einer Rechtsänderung betroffene Beteiligte stets dieses Risiko tragen müsste (Schmidt in: a.a.O, § 193, Rn. 13a m.w.N.). Der dem Rechtsstreit zugrunde liegende Bescheid der Beklagten vom 7. August 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. März 2013 erging unter Anwendung der von der Beklagten entwickelten sog. "Vier-Kriterien-Theorie", die vom Bundessozialgericht in seiner Rechtsprechung vom 3. April 2014 zu den Aktenzeichen B 5 RE 13/14 R, B 5 RE 9/14 R und B 5 RE 3/14 R für nicht anwendbar erklärt wurde. Gleichwohl wäre der Kläger unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung nach der bis zum 1. Januar 2016 geltenden Rechtslage überwiegend wahrscheinlich wegen seiner Tätigkeiten bei nichtanwaltlichen Arbeitgebern in festen Arbeitsverhältnissen versicherungspflichtig gewesen. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides waren die Entscheidung des Bundessozialgerichts noch nicht ergangen und die Gesetzesänderung noch nicht beschlossen. Darüber hinaus war zu berücksichtigen, dass die Beklagte die zum 1. Januar 2016 in Kraft getretene Rechtslage entsprechend umgesetzt hat.
Zugunsten des Klägers war zu berücksichtigen, dass er mit ihrem Begehren zum Teil, ab dem 1. April 2012, obsiegt hat. Durch die rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht durch Bescheid vom 3. Februar 2017 ist sein Rechtsschutzbedürfnis für die Fortführung des Klageverfahrens insoweit entfallen.
Nicht zu berücksichtigen war nach Auffassung der Kammer der Umstand, dass das Bundesverfassungsgericht in zwei Nichtannahmebeschlüssen vom 19. und 22. Juli 2016, Az.: 1 BvR 2584/14 und 1 BvR 2534/14, die Kostentragung durch die zuständige Gebietskörperschaft aus Billigkeitsgründen für sachgerecht hielt. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber aus rechtspolitischen Gründen die Befreiung der als Syndizi beschäftigten Rechtsanwälte im Nachgang an die Rechtsprechung des BSG ermöglichte, ändert im sozialgerichtlichen Verfahren, in dem die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen eines Leistungsträgers, der gemäß Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) an das geltende Gesetz und Recht gebunden ist, nichts daran, dass – sofern die streitgegenständliche Entscheidung zum Zeitpunkt ihres Erlasses den geltenden Rechtsnormen entspricht – dieser Leistungsträger aufgrund der Gesetzesänderung nicht grundlos der Kostentragungspflicht ausgesetzt werden kann. Das Risiko einer solchen Gesetzesänderung ist dann unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls entsprechend zu verteilen.
Die Beschwerde gegen diesen Beschluss ist ausgeschlossen (§ 172 Abs. 3 SGG).
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten ist nur noch die Erstattungspflicht der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers streitig.
Der 1962 geborene Kläger beantragte am 12. März 2012 die Weitergeltung der mit Bescheid vom 10. August 2010 und Wirkung ab 1. Juni 2000 ausgesprochenen Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) für seine Tätigkeit als Senior Asset Manager bei C. GmbH ab. 1. November 2010 und als Referent Work-Out bei der D. Bank AG ab 1. April 2012 bei der Beklagten. Er war Mitglied der Rechtsanwaltskammer und des Versorgungswerkes der Rechtsanwälte im Lande Hessen.
Mit Bescheid vom 7. August 2017 lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil es sich um keine berufsspezifische Tätigkeit handle. Für eine berufsspezifische Tätigkeit von Rechtsanwälten, die bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber beschäftigt seien (Syndikusanwälte), könne eine Befreiung nur ausgesprochen werden, wenn diese Tätigkeit die bekannten vier Kriterien anwaltlicher Tätigkeit bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber (Rechtsberatung, Rechtsentscheidung, Rechtsgestaltung und Rechtsvermittlung) kumulativ abdeckte und daher auch ausschließlich für Personen mit diesem beruflichen Hintergrund zugänglich sei (sog. "Vier-Kriterium-Theorie"). Diese Voraussetzungen seien bei der Tätigkeit des Klägers nicht erfüllt.
Hiergegen legte der Kläger am 15. August 2012 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 4. März 2013 zurückgewiesen wurde.
Am 14. März 2013 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben, mit der er die Befreiung von der Versicherungspflicht für die Tätigkeit bei der C. GmbH vom 1. Januar 2010 bis 31. März 2012 und für die Tätigkeit bei der D. Bank AG ab 1. April 2012 begehrte. Mit Beschluss vom 7. April 2016 ordnete das Gericht das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung der Beigeladenen über den Zulassungsantrag des Klägers als Syndikusanwalt und der Beklagten über die Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung zum 1. Januar 2016 an.
Am 25. Mai 2016 wurde der Kläger auf Antrag vom 26. Februar 2016 als Syndikusrechtsanwalt für die Tätigkeit bei der E. Bank AG aufgrund des Arbeitsvertrages vom 30. November / 10. Dezember 2011 sowie der Ergänzungsvereinbarung vom 24. März 2016 zugelassen, wobei die Anteile der D. Bank AG von der E. Bank AG aufgekauft und 2013 übertragen wurden. Im Juni 2015 wurde der komplette Bankbetrieb der D. Bank AG im Wege einer gesellschaftsrechtlichen Umwandlung auf die E. Bank AG inklusive Arbeitsverhältnisse übertragen.
Mit Bescheiden vom 16. September 2016 befreite die Beklagte den Kläger auf seinen Antrag vom 16. März 2016 von der Versicherungspflicht für seine Tätigkeit bei E. Bank AG für die Zeit ab 27. Mai 2016. Mit einem weiteren Bescheid vom 3. Februar 2017 befreite die Beklagte den Kläger rückwirkend auf seinen Antrag vom 16. März 2016 von der Versicherungspflicht gemäß § 231 Abs. 4b SGB VI für seine Tätigkeit bei D. Bank AG für die Zeit vom 1. April 2012 bis 14. Juni 2015 und für die Tätigkeit bei der E. Bank AG vom 15. Juni 2015 bis 26. Mai 2016.
Daraufhin hat der Kläger den Rechtsstreit am 3. April 2017 wiederaufgerufen und für erledigt erklärt. Gleichzeitig hat er beantragt, die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens der Beklagten aufzuerlegen. Mit der rückwirkenden Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht für beide Tätigkeiten habe die Beklagte seinem Klagebegehren vollumfänglich entsprochen.
Die Beklagte geht davon aus, dass sie zur Kostenübernahme nicht verpflichtet ist. Nach dem vor 1. Januar 2016 bestandenem Recht habe kein Anspruch auf die Befreiung von der Versicherungspflicht bestanden.
II.
Gemäß § 193 Abs. 1 S. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet das Gericht auf Antrag durch Beschluss, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn das Verfahren anders als durch Urteil beendet wird. Vorliegend wurde das Verfahren durch Erledigungserklärung des klägerischen Prozessbevollmächtigten vom 3. April 2017 und der Beklagten vom 2. Mai 2017 beendet. Der Kläger stellte zugleich den entsprechenden Kostenantrag.
Die Kostengrundentscheidung richtet sich unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen des Gerichts (Rechtsgedanke des § 91a Zivilprozessordnung (ZPO) und des § 161 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)). Grundsätzlich sind die Verfahrenskosten demjenigen aufzuerlegen, der im Verfahren unterliegt. Allerdings sind die Erfolgsaussichten sowie der tatsächliche Ausgang des Verfahrens keine alleinigen Kriterien für die Kostenentscheidung. Vielmehr hat das Gericht neben dem Ergebnis des Rechtsstreits billigerweise alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Ein möglicher Aspekt ist dabei das sog. Veranlassungsprinzip. Grundlage für die Heranziehung des sogenannten "Veranlassungsprinzips" als Ermessensgesichtspunkt ist die Vorstellung, dass die Kosten des Gerichtsverfahrens demjenigen aufzuerlegen sind, der Anlass für den Rechtsstreit gegeben hat (vgl. HLSG, Beschl. v. 30.01.1996, Az. L 4 B 24/95, juris-Rn. 8; Beschl. v. 13.05.1996, Az. L 5 B 64/94, juris-Rn. 23; Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 193, Rn. 12b). Es gilt also zu prüfen, ob es sich etwa um einen von vornherein vermeidbaren oder überflüssigen Prozess gehandelt hat und wem dieses ggf. zur Last zu legen ist. Insoweit kommt es insbesondere darauf an, ob im Verlaufe des Verwaltungsverfahrens der Leistungsträger seiner Amtsermittlungspflicht und der Leistungsberechtigte seiner Mitwirkungspflicht in hinreichendem Maße nachgekommen sind. Auch im Falle einer Änderung der Sach- oder Rechtslage zugunsten des Klägers ist das Veranlassungsprinzip heranzuziehen. Wenn der Verwaltungsträger einer Veränderung unverzüglich nach Kenntnis Rechnung trägt, kann es der Billigkeit entsprechen, eine Kostenerstattungspflicht zu verneinen (Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 193 Rn. 12c). Wenn sich die Verhältnisse erst während des Rechtstreits geändert haben, kommt eine teilweise Kostenerstattung in Betracht.
Das Gericht hält unter Beachtung dieser Grundsätze in Ausübung seines Ermessens eine Kostenübernahme von ½ der Kosten durch die Beklagte für sachgerecht.
Zum einen hält die Kammer den § 96 SGG auf den Bescheid vom 3. Februar 2017 über die rückwirkende Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht für seine Tätigkeiten bei der D. Bank AG und E. Bank AG (nach Umfirmierung) – entgegen der Auffassung der Klägerseite – vorliegend nicht für anwendbar. Gemäß § 96 Abs. 1 SGG wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Eine Änderung liegt vor, wenn der Verwaltungsakt teilweise aufgehoben und durch Neuregelung ersetzt wird; eine Ersetzung, wenn der neue Verwaltungsakt ganz an die Stelle des alten tritt (vgl. Schmidt in: a.a.O. § 96 Rn. 4 m.w.N. aus der Rspr.). Abändern oder Ersetzen setzt allgemein voraus, dass der Regelungsgegenstand des neu einzubeziehenden Verwaltungsaktes mit dem des früheren identisch ist. Ob dies der Fall ist, muss durch Vergleich der in beiden Verwaltungsakten getroffenen Verfügungssätze festgestellt werden (vgl. Schmidt in: a.a.O. § 96 Rn. 5 m.w.N.). Keine Abänderung oder Ersetzung liegt deshalb grundsätzlich bei anderem Streitstoff oder veränderten Tatsachen und unter Umständen auch nicht bei veränderten Rechtsgrundlagen vor (Schmidt in: a.a.O., § 96 Rn. 5).
Mit dem Verfügungssatz des Bescheides vom 7. August 2012 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Weitergeltung der mit Bescheid vom 10. August 2010 und Wirkung ab 1. Juni 2000 ausgesprochenen Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI für die Beschäftigung als Syndikusanwalt bei der C. GmbH ab 1. November 2010 und bei der D. Bank AG ab 1. April 2012 ab. Mit Bescheid vom 3. Februar 2017 entsprach die Beklagte demgegenüber dem Antrag vom 16. März 2016 und befreite den Kläger rückwirkend von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Zeit ab 1. April 2012. Zum einen erfolgten die Entscheidungen auf zwei unterschiedliche Anträge, zum anderen stimmen sie in zeitlicher Hinsicht nur teilweise überein, weil der Bescheid vom 3. Februar 2017 die Tätigkeit bei der C. GmbH nicht regelt. Allein der Vergleich der Verfügungssätze verbietet nach alledem die Annahme desselben Streitgegenstandes im Sinne des § 96 Abs. 1 SGG. Abgesehen davon liegen der Entscheidung vom 3. Februar 2017 veränderte Rechtsgrundlagen zugrunde. Die Rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht im Sinne des § 231 Abs. 4b SGB VI setzt die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt oder Syndikuspatentanwalt voraus, die zuvor gesetzlich nicht vorgeschrieben war.
In den Fällen, in denen eine Änderung der Rechtslage zur Erledigung führt, ist wesentlich darauf abzustellen, wie ohne diese Änderung voraussichtlich entschieden worden wäre. Es entspricht der Billigkeit, auf die Erfolgsaussichten der Klage vor dem erledigenden Ereignis abzustellen. Demgegenüber wäre es unbillig, allgemein anzunehmen, dass der von einer Rechtsänderung betroffene Beteiligte stets dieses Risiko tragen müsste (Schmidt in: a.a.O, § 193, Rn. 13a m.w.N.). Der dem Rechtsstreit zugrunde liegende Bescheid der Beklagten vom 7. August 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. März 2013 erging unter Anwendung der von der Beklagten entwickelten sog. "Vier-Kriterien-Theorie", die vom Bundessozialgericht in seiner Rechtsprechung vom 3. April 2014 zu den Aktenzeichen B 5 RE 13/14 R, B 5 RE 9/14 R und B 5 RE 3/14 R für nicht anwendbar erklärt wurde. Gleichwohl wäre der Kläger unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung nach der bis zum 1. Januar 2016 geltenden Rechtslage überwiegend wahrscheinlich wegen seiner Tätigkeiten bei nichtanwaltlichen Arbeitgebern in festen Arbeitsverhältnissen versicherungspflichtig gewesen. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides waren die Entscheidung des Bundessozialgerichts noch nicht ergangen und die Gesetzesänderung noch nicht beschlossen. Darüber hinaus war zu berücksichtigen, dass die Beklagte die zum 1. Januar 2016 in Kraft getretene Rechtslage entsprechend umgesetzt hat.
Zugunsten des Klägers war zu berücksichtigen, dass er mit ihrem Begehren zum Teil, ab dem 1. April 2012, obsiegt hat. Durch die rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht durch Bescheid vom 3. Februar 2017 ist sein Rechtsschutzbedürfnis für die Fortführung des Klageverfahrens insoweit entfallen.
Nicht zu berücksichtigen war nach Auffassung der Kammer der Umstand, dass das Bundesverfassungsgericht in zwei Nichtannahmebeschlüssen vom 19. und 22. Juli 2016, Az.: 1 BvR 2584/14 und 1 BvR 2534/14, die Kostentragung durch die zuständige Gebietskörperschaft aus Billigkeitsgründen für sachgerecht hielt. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber aus rechtspolitischen Gründen die Befreiung der als Syndizi beschäftigten Rechtsanwälte im Nachgang an die Rechtsprechung des BSG ermöglichte, ändert im sozialgerichtlichen Verfahren, in dem die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen eines Leistungsträgers, der gemäß Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) an das geltende Gesetz und Recht gebunden ist, nichts daran, dass – sofern die streitgegenständliche Entscheidung zum Zeitpunkt ihres Erlasses den geltenden Rechtsnormen entspricht – dieser Leistungsträger aufgrund der Gesetzesänderung nicht grundlos der Kostentragungspflicht ausgesetzt werden kann. Das Risiko einer solchen Gesetzesänderung ist dann unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls entsprechend zu verteilen.
Die Beschwerde gegen diesen Beschluss ist ausgeschlossen (§ 172 Abs. 3 SGG).
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