Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 10 KR 729/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Für einen Therapieversuch mit dem Wirkstoff Rituximab bei sekundär progredienter Multipler Sklerose fehlt es an einer datenbasiert begründeten Erfolgsaussicht der Behandlung.
1. Der Antrag wird abgelehnt. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten über den Anspruch der Antragstellerin auf Behandlung mit dem Arzneimittel Mab Thera (Wirkstoff Rituximab) bei sekundär chronisch progredienter Multiplen Sklerose im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.
Die 1980 geborene Antragstellerin ist bei der Antragsgegnerin gesetzlich krankenversichert. Sie bezieht eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Seit 2005 leidet sei an einer sekundär chronisch progredienten Multiplen Sklerose (SPMS). Sie befindet sich deshalb in Behandlung bei dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. E. Von 2005 – 2017 erfolgte eine Immuntherapie mit Glatirammeracetat, sowie mit Tysabri. Von Mai bis November 2015 wurde die Antragstellerin mit Tecfidera behandelt, die Therapie musste jedoch aufgrund von erheblichen Nebenwirkungen abgebrochen werden. Von Dezember 2014 bis August 2017 erfolgte die Therapie erneut mit Tysabri. Im Jahr 2013 wurde ein JC-Virus festgestellt, die Behandlung mit Tysabri musste daher abgebrochen werden. Zuletzt wurde die Antragstellerin mit Fampyra und Baclofen behandelt und erhielt bei Bedarf Cortisonstoßwellentherapie.
Am 16.08.2017 stellte sich die Antragstellerin im Neurozentrum des Universitätsklinikums F vor. Aus dem Arztbrief vom 31.08.2017 geht hervor, die Antragstellerin sei seit August 2016 auf den Rollator angewiesen. Die Gehstrecke sei auf 50-100 Meter beschränkt. In letzter Zeit sei eine progredient schleichende Verschlechterung eingetreten. Eine Cortison-Stoßtherapie habe nur eine leichte Besserung gebracht. Aufgrund von spastischen Paresen erhalte die Antragstellerin derzeit als Medikation Fampyra und Baclofen. Bezüglich der kausalen Therapie sei eine dreimonatige Cortison-Stoßwellentherapie die zugelassene Therapieoption. Dieser stehe die Antragstellerin jedoch skeptisch gegenüber. Als individueller Therapieversuch sei eine Behandlung mit Rituximab oder Ocrelizumab denkbar. Bereits bei primär chronisch progredienter MS (PPMS) habe sich in einer weltweit randomisierten Studie gezeigt, dass die Behandlung mit Ocrelizumab das Risiko des Fortschreitens der klinischen Behinderung deutlich reduziere. Gestützt auf diesen Arztbrief beantragte der behandelnde Neurologe Dr. E am 14.09.2017 bei der Antragsgegnerin die Kostenübernahme für das Medikament Rituximab. Die Antragsgegnerin beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg mit der Erstellung eines Gutachtens zu der Frage, ob und wenn ja in welchem Umfang die Kosten übernommen werden können, sowie welche Therapiealternativen vorliegen. In dem unter dem 27.09.2017 erstatteten Gutachten führte Dr. W aus, das rezeptpflichtige Arzneimittel MabThera sei in Deutschland zugelassen zur Behandlung von Patienten mit follikulären oder diffusen großzelligen Non-Hodgkin-Lymphomen, chronisch lymphatischer Leukämie, rheumatoider Arthritis und bestimmter Vaskulititden. Die Verordnung bei multipler Sklerose liege außerhalb der zugelassenen Indikation. Eine Empfehlung einer Expertengruppe für die Verordnung in einem nicht zugelassenen Anwendungsgebiet im Sinne der Arzneimittelrichtlinie liege nicht vor. Bei der sekundär progredienten Multiplen Sklerose handele es sich um eine schwere, die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung. Im vorliegenden Fall seien noch nicht alle zugelassenen Arzneimittel eingesetzt worden, wie bspw. Mitoxantron, Steroid-Stoßtherapie Interferone und Endoxan. Hinsichtlich der Wirksamkeit der beantragten Therapie ergäben sich aus der aktuellen medizinischen Literatur Hinweise darauf, dass Rituximab bei Patienten mit PPMS den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen könne. Vergleichbar gute Ergebnisse fänden sich jedoch nicht für die sekundäre Form der MS (SPMS), an welcher die Antragstellerin erkrankt sei.
Mit Schreiben vom 28.09.2017 lehnte die Antragsgegnerin die Kostenübernahme mit der Begründung ab, es gäbe verschiedene andere Therapiemöglichkeiten, die von der AOK bezahlt werden könnten.
Die Antragstellerin erhob mit Schreiben vom 9.10.2017 Widerspruch. Sie führte hierzu aus, die Therapie mit dem Medikament Tysapri habe ihre Lebenssituation erleichtert. Da der JC-Virus festgestellt worden sei, habe die Therapie jedoch abgebrochen werden müssen. Vor einer Therapie mit Mitixandron habe sie aufgrund der vermuteten Nebenwirkungen Angst. Zudem sei die Anwendung dieses Präparats aufgrund der möglichen Auswirkungen auf Herz- und Kreislauf auf zwei Jahre begrenzt. Sie leide unter einem chronischen Niedrigblutdruck, daher komme dieses Medikament für sie nicht in Frage. Sie gehe regelmäßig zur Cortison-Pulsbehandlung, diese sei jedoch ohne Erfolg. Sie habe sich für eine Behandlung mit Rituximab entschieden, da dies einen ähnlichen Wirkstoff wie Tysapri enthalte, welches ihr jahrelang sehr gut geholfen habe.
Die Antragsgegnerin beauftragte daher erneut den medizinischen Dienst mit der Erstellung eines Gutachtens. Dr. P führte in seinem unter dem 02.01.2018 erstatteten Gutachten aus, es seien noch nicht alle zugelassenen Arzneimittel eingesetzt worden. Es stünden derzeit noch zugelassene, medizinisch sinnvolle Therapie-Alternativen zur Verfügung. Der Wunsch der Versicherten nach einer nicht zugelassenen Therapieform begründe beim Vorliegen zugelassener Alternativen keine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung.
Die Klägerin legte den Arztbrief des Universitätsklinikums F vom 16.11.2017 vor. Diesem lässt sich entnehmen, bei der sekundär chronisch-progredienten Multiplen Sklerose ab einem EDSS von 6,5 (wie bei der Antragstellerin) bestünden keine zugelassenen Behandlungsoptionen. Das von dem Medizinischen Dienst angesprochene Mitoxantron sei als einziges zugelassenes Präparat zur Behandlung bei SPMS nur bis zu einem EDSS von 6 zugelassen. Weitere Präparate existierten nicht. Aufgrund des deutlichen Progresses und des jungen Alters der Antragstellerin sei dringend eine immunmodulatorische Therapie anzuraten. Mitoxantron sei aufgrund der insbesondere kardialen Langzeitnebenwirkungen, der Systembelastung und der nur eingeschränkten Anwendbarkeit in Anbetracht des noch zu erwartenden Lebensalters sehr ungünstig. Dem gegenüber stünden die im Verhältnis deutlich nebenwirkungsärmeren Therapien mit Rituximab. Bezüglich der Behandlung bei schubförmiger MS sei die Wirksamkeit für Rituximab nachgewiesen. Auch bezüglich des chronischen Erkrankungsprozesses sei unter Rituximab eine positive krankheitsmodifizierende Wirkung bestätigt worden.
Die Antragstellerin reichte außerdem den vorläufigen Entlassbrief des Klinikums M vom 12.02.2018 ein. Aus diesem ergibt sich, dass sich die Antragstellerin dort vom 07.02.2018 bis 12.02.2018 in stationärer Behandlung befand. Es erfolgte eine Cortisonpulsbehandlung, durch welche subjektiv auch eine Verbesserung des Gehens für die Antragstellerin wahrnehmbar war.
Den Widerspruch der Antragstellerin wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 23.02.2018 als unbegründet zurück. Es liege keine akut lebensbedrohliche Erkrankung vor. Der MDK habe in seinen Gutachten auf andere Behandlungsmöglichkeiten verwiesen, die kassenärztlich übernommen werden könnten. Die beantragte Kostenübernahme für das Arzneimittel könne daher nicht erfolgen.
Am 02.03.2018 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Karlsruhe einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, mit welchem sie ihr Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung führt sie aus, die Ansicht des MDK, dass andere zugelassene Therapiealternativen bestehen, sei durch den Arztbrief des Universitätsklinikums F vom 16.11.2017 widerlegt. Die Behandlung mit MabThera müsse stationär erfolgen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, die Kosten für das Medikament Mab Thera mit dem Wirkstoff Rituximab zu übernehmen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf die vorliegenden Gutachten des Medizinischen Dienstes. Ergänzend führt sie aus, dass in dem Arztbrief des Universitätsklinikums F vom 31.08.2017 eine medikamentöse Therapie auch mit dem Wirkstoff Ocrelizumab denkbar wäre. Das Medikament mit dem Wirkstoff Ocrevus habe eine Zulassung in der Europäischen Union für schubförmig multiple Sklerose und PPMS.
Das Gericht hat den behandelnden Neurologen Prof. Dr. D schriftlich als sachverständigen Zeugen befragt. Dieser hat in seiner Stellungnahme ausgeführt, Mitoxantron sei eine nach den Leitlinien angegebene Therapieoption. Die Behandlung sei jedoch mit einem substanziellen Risiko für eine Herzschädigung vergesellschaftet. Ocrelizumab sei seit Januar 2018 auch für PPMS zugelassen. Die Wirkmechanismen von Ocrelizumab seien weitgehend vergleichbar mit denjenigen von Rituximab. Insofern stelle Ocrelizumab nach formalen Kriterien eine Behandlungsalternative zu Rituximab dar. Für Rituximab seien keine formalen Studien zur Zulassung bei SPMS durchgeführt worden. Zu Ocrelizumab fänden sich zwei klinische Phasen-3-Studien (OPERA I und II) und eine Phase-3-Studie mit PPMS-Patienten (ORATORIO).
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten und auf die Verwaltungsakten der Antragsgegnerin Bezug genommen, die vorlagen und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.
II. Der Antrag ist zulässig aber unbegründet.
Der Antrag ist zunächst als Regelungsanordnung gem. § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft. Nach dieser Vorschrift können einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen werden, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann erlassen werden, wenn glaubhaft gemacht wird (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung), dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber der Antragsgegnerin besteht (Anordnungsanspruch) und die Antragstellerin ohne den Erlass der begehrten Anordnung, insbesondere bei Abwarten einer Entscheidung in der Hauptsache, wesentliche Nachteile i.S.v. § 86b Abs. 2 S. 2 SGG erleiden würde (Anordnungsgrund). Drohen im Einzelfall ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dürfen sich die Gerichte nur an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen, da sich die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte zu stellen haben (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - und vom 29.11.2007 - 1 BvR 2496/07 -, jeweils m.w.N.).
Vorliegend fehlt es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs. Nach summarischer Prüfung ergibt sich, dass die Antragstellerin keinen Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf Kostenübernahme für das Medikament MabThera mit dem Wirkstoff Rituximab hat.
Ein solcher Anspruch ergibt sich nach summarischer Prüfung zunächst nicht aus § 31 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Nach dieser Vorschrift können Versicherte die Versorgung mit vertragsärztlich verordneten Fertigarzneimitteln zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) grundsätzlich ungeachtet weiterer Einschränkungen (vgl. §§ 31, 34 SGB V) nur beanspruchen, wenn eine arzneimittelrechtliche Zulassung für das Indikationsgebiet besteht, in dem sie angewendet werden sollen. Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§§ 2 Abs. 1 S. 3, 12 Abs. 1 SGB V) dagegen nicht von der Leistungspflicht der GKV nach §§ 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 3, 31 Abs. 1 S. 1 SGB V) umfasst, wenn ihnen die erforderliche (§ 21 Arzneimittelgesetz) arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt (vgl. zur ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) z.B. BSGE 96,153, BSGE 97,112, BSGE 111,168). Bei Mab Thera handelt es sich um ein Fertigarzneimittel, welches für die SPMS nicht zugelassen ist. Dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig.
Die Antragstellerin hat jedoch auch keinen Anspruch aus den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zum Off-Label-Use. Ein solcher Off-Label-Use kommt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nur in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Abzustellen ist dabei auf die im jeweiligen Zeitpunkt der Behandlung vorliegenden Erkenntnisse (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 03.07.2012 - B 1 KR 25/11 R = BSGE 111, 168-177, SozR 4-2500 § 31 Nr. 22, SozR 4-2500 § 19 Nr. 7, Rn. 16).
Auf den vorliegenden Fall übertragen liegt hier zumindest die erste Voraussetzung vor. Zwar mag die Multiple Sklerose keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung im engeren Sinne sein. Das Bundessozialgericht hat jedoch den Anwendungsbereich dieser Rechtsprechung nicht nur auf solche Erkrankungen begrenzt, sondern auf sonstige ganz gravierende gesundheitliche Beeinträchtigungen im Wege einer Gleichstellung erweitert (BSG, Urteil vom 4. April 2006 - B 1 KR 12/04 R -). Um eine solche die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung handelt es sich bei der Multiplen Sklerose (hierzu auch: Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 31. Januar 2007 – L 5 KR 28/06 –, juris; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 08. Februar 2008 – L 4 KR 2153/06 –, juris). Dies bestätigen auch die vorliegenden medizinischen Unterlagen, sowie die sachverständige Zeugenaussage des Prof. Dr. D.
Offenbleiben kann, ob vorliegend die zweite Voraussetzung für den Off-Label-Use vorliegt. Dass keine andere Therapieoption für die Antragstellerin in Betracht kommt, erscheint vorliegend zumindest zweifelhaft. Bereits Prof. Dr. R ging in seinem Entlassungsbericht vom 31.08.2017 davon aus, dass eine Behandlung mit Rituximab oder mit Ocrelizumab bei der Antragstellerin erfolgsversprechend sein könnte. Auch dem vorläufigen Entlassbrief des Klinikums Mittelbaden lässt sich entnehmen, dass eine Therapie mit dem Arzneimittel Ocrelizumab empfohlen wird. Darüber hinaus sieht auch Prof. Dr. D Ocrelizumab als erfolgsversprechende Behandlungsalternative an. Das Medikament ist seit Januar 2018 für PPMS zugelassen. Es kann vorliegend offenbleiben, ob die an SPMS leidende Antragstellerin auf eine Therapie mit Ocrelizumab verwiesen werden kann. Denn es fehlt jedenfalls an der dritten Voraussetzung für den Off-Label-Use, nämlich die aufgrund der Datenlage begründete hinreichende Erfolgsaussicht.
Von solchen hinreichenden Erfolgsaussichten kann nur dann ausgegangen werden, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Dies kann angenommen werden, wenn entweder (1.) die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt worden ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht worden sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder (2.) außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht worden sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in den neuen Anwendungsgebieten zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne bestehen (BSG 26.09.2006, B 1 KR 14/06 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 6). Daran fehlt es. Die erste Alternative ist vorliegend nicht gegeben, weil die Erweiterung der Zulassung für Rituximab auf SPMS bisher nicht beantragt wurde. Auch die zweite Alternative liegt hier nicht vor. Die Antragstellerin beruft sich auf zwei Studien, zum einen die Veröffentlichung von Hauser in NEJM 2008, 358, zum anderen die Studie von Hawker in Annals of Neurology 2009, 76. Die Qualität der wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Behandlungserfolg, die für eine zulassungsüberschreitende Pharmakotherapie auf Kosten der GKV nachgewiesen sein muss, entspricht derjenigen für die Zulassungsreife des Arzneimittels im betroffenen Indikationsbereich. Sie ist während und außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens regelmäßig gleich. Der Schutzbedarf der Patienten, der dem gesamten Arzneimittelrecht zugrunde liegt und in das Leistungsrecht der GKV einstrahlt, unterscheidet sich in beiden Situationen nicht (vgl BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, jeweils RdNr 24). Bei der Studie von Hauser handelt es sich um eine nunmehr zehn Jahre zurückliegende Studie, bei denen 69, an einer schubförmigen Multiplen Sklerose erkrankten Patienten, in einem Zeitraum von 48 Wochen mit Rituximab behandelt wurden. Weitere 35, an einer schubförmigen Multiplen Sklerose erkrankten Patienten, wurden mit einem Placebo-Präparat behandelt. Zum einen handelte es sich bei den Studienteilnehmern nicht um Patienten, welche an SPMS erkrankt waren, sondern an einer schubförmigen Multiplen Sklerose. Zum anderen sind die Daten zur generellen Beurteilung des Nutzens von Rituximab für die Behandlung der konkreten Krankheitsbilder nicht in vergleichbarer Weise geeignet wie im Zulassungsverfahren einzureichende Studien. Dies ergibt sich bereits aus der geringen Anzahl von Probanden. Die Studie von Hawker in Annals of Neurology 2009, 76 behandelt die Wirksamkeit von Rituximab für Patienten, welche an PPMS erkrankt sind. Die Studie ist daher für den vorliegenden Sachverhalt irrelevant, weil die Antragstellerin, wie bereits mehrfach ausgeführt, an SPMS erkrankt ist. Die ebenfalls von der Antragstellerin aufgeführte Studie von Montalban in NEJM 2017, 376 betrifft das Medikament Ocrelizumab, und nicht Rituximab. Insgesamt fehlt es daher an der aufgrund einer Datenlage begründeten Aussicht, dass mit dem Wirkstoff Rituximab ein Behandlungserfolg erzielt werden kann.
Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsanspruch aus § 2 Abs. 1a SGB V nicht glaubhaft gemacht. Die Grundsätze des § 2 Abs. 1a SGB V gelten sinngemäß auch für die Versorgung mit Arzneimitteln (vgl BSG 04.04.2006, B 1 KR 7/05 R, juris). Speziell zur Multiplen Sklerose hat das BSG für einen Fall sekundär-progredienter Verlaufsform selbst in schweren Krankheitsfällen eine Lebensgefahr verneint. Begründet wird dies damit, dass eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen nur gerechtfertigt ist, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird (BSG 17.03.2007, B 1 KR 17/06 R, juris Rn 23).
Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsanspruch aus § 137c Abs. 3 Satz 1 SGB V nicht glaubhaft gemacht. Nach dieser Vorschrift dürfen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, zu denen der Gemeinsame Bundesausschuss bisher keine Entscheidung getroffen hat, im Rahmen einer Krankenhausbehandlung angewandt werden, wenn sie das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten und ihre Anwendung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt, sie also insbesondere medizinisch indiziert und notwendig ist. Vorliegend muss die Therapie mit Rituximab zwar stationär erfolgen. Sie stellt jedoch keine Behandlungsmethode im Sinne der Vorschrift dar. Ärztliche Behandlungsmethode im Sinne der genannten Vorschriften ist eine medizinische Vorgehensweise, der ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, das sie von anderen Therapieverfahren unterscheidet und das ihre systematische Anwendung in der Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll (vgl. BSG, Urteil vom 13.12.2016, - B 1 KR 1/16 R -, in juris Rdnr. 23 m.w.N.). Demgegenüber stellt die (bloße) Gabe eines Arzneimittels, etwa zur Einnahme durch den Patienten, aber auch durch Injektion oder Infusion in den Körper (bei Infusion auch mit vorausgegangener Blutentnahme, ärztlicher Beratung und Überwachung), eine (reine) Pharmakotherapie dar; die (bloße) bestimmungsgemäße Anwendung eines für die betreffende Indikation zugelassenen Arzneimittels ist kraft arzneimittelrechtlicher Zulassung Leistungsbestandteil der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. BSG, Urteil vom 13.12.2016, a.a.O.). Nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen ist davon auszugehen, dass sich die stationäre Therapie mit Rituximab auf die Infusion in den Körper beschränkt und damit eine Pharmakotherapie darstellt. Für die stationär erbrachte (reine) Pharmakotherapie hat das BSG entschieden, dass der Schutz gesetzlich Versicherter durch das materielle Arzneimittelrecht vor dem Krankenhaus nicht Halt macht (BSG, Urteil vom 13.12.2016, a.a.O.). Nach der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg, welcher sich die erkennende Kammer anschließt, ist dieser Grundsatz ist auch dann anzuwenden, wenn die Arzneimittelversorgung im Rahmen einer stationär erbrachten Behandlungsmethode (i.S.d. § 137c SGB V) stattfindet. Arzneimittel dürfen daher auch in der Krankenhausbehandlung nur zulassungskonform und zulassungsüberschreitend nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des Off-Label-Use angewendet werden, wobei es unerheblich ist, ob die Arzneimittelversorgung als (reine) Pharmakotherapie oder als (Teil einer) Behandlungsmethode i.S.d. §§ 135, 137 c SGB V stattfindet (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 31. Januar 2018 – L 5 KR 2399/16 –, juris; LSG Thüringen, Urteil vom 25.04.2017, - L 6 KR 1870/13 -, in juris Rdnr. 22). Selbst wenn also die Therapie mit Rituximab eine Behandlungsmethode i. S. v. § 137c SGB V darstellt, wäre ein Anordnungsanspruch vorliegend dennoch nicht gegeben, da wie oben dargelegt, die Voraussetzungen des Off-Label-Use nicht vorliegen.
Da also hinsichtlich aller in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht ist, muss auf die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes nicht mehr eingegangen werden. Der Antrag war damit abzulehnen.
Über den Anspruch der Antragstellerin auf Kostenübernahme für die Behandlung mit dem Medikament Ocrelizumab war vorliegend nicht zu entscheiden, da dies nicht beantragt war.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten über den Anspruch der Antragstellerin auf Behandlung mit dem Arzneimittel Mab Thera (Wirkstoff Rituximab) bei sekundär chronisch progredienter Multiplen Sklerose im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.
Die 1980 geborene Antragstellerin ist bei der Antragsgegnerin gesetzlich krankenversichert. Sie bezieht eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Seit 2005 leidet sei an einer sekundär chronisch progredienten Multiplen Sklerose (SPMS). Sie befindet sich deshalb in Behandlung bei dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. E. Von 2005 – 2017 erfolgte eine Immuntherapie mit Glatirammeracetat, sowie mit Tysabri. Von Mai bis November 2015 wurde die Antragstellerin mit Tecfidera behandelt, die Therapie musste jedoch aufgrund von erheblichen Nebenwirkungen abgebrochen werden. Von Dezember 2014 bis August 2017 erfolgte die Therapie erneut mit Tysabri. Im Jahr 2013 wurde ein JC-Virus festgestellt, die Behandlung mit Tysabri musste daher abgebrochen werden. Zuletzt wurde die Antragstellerin mit Fampyra und Baclofen behandelt und erhielt bei Bedarf Cortisonstoßwellentherapie.
Am 16.08.2017 stellte sich die Antragstellerin im Neurozentrum des Universitätsklinikums F vor. Aus dem Arztbrief vom 31.08.2017 geht hervor, die Antragstellerin sei seit August 2016 auf den Rollator angewiesen. Die Gehstrecke sei auf 50-100 Meter beschränkt. In letzter Zeit sei eine progredient schleichende Verschlechterung eingetreten. Eine Cortison-Stoßtherapie habe nur eine leichte Besserung gebracht. Aufgrund von spastischen Paresen erhalte die Antragstellerin derzeit als Medikation Fampyra und Baclofen. Bezüglich der kausalen Therapie sei eine dreimonatige Cortison-Stoßwellentherapie die zugelassene Therapieoption. Dieser stehe die Antragstellerin jedoch skeptisch gegenüber. Als individueller Therapieversuch sei eine Behandlung mit Rituximab oder Ocrelizumab denkbar. Bereits bei primär chronisch progredienter MS (PPMS) habe sich in einer weltweit randomisierten Studie gezeigt, dass die Behandlung mit Ocrelizumab das Risiko des Fortschreitens der klinischen Behinderung deutlich reduziere. Gestützt auf diesen Arztbrief beantragte der behandelnde Neurologe Dr. E am 14.09.2017 bei der Antragsgegnerin die Kostenübernahme für das Medikament Rituximab. Die Antragsgegnerin beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg mit der Erstellung eines Gutachtens zu der Frage, ob und wenn ja in welchem Umfang die Kosten übernommen werden können, sowie welche Therapiealternativen vorliegen. In dem unter dem 27.09.2017 erstatteten Gutachten führte Dr. W aus, das rezeptpflichtige Arzneimittel MabThera sei in Deutschland zugelassen zur Behandlung von Patienten mit follikulären oder diffusen großzelligen Non-Hodgkin-Lymphomen, chronisch lymphatischer Leukämie, rheumatoider Arthritis und bestimmter Vaskulititden. Die Verordnung bei multipler Sklerose liege außerhalb der zugelassenen Indikation. Eine Empfehlung einer Expertengruppe für die Verordnung in einem nicht zugelassenen Anwendungsgebiet im Sinne der Arzneimittelrichtlinie liege nicht vor. Bei der sekundär progredienten Multiplen Sklerose handele es sich um eine schwere, die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung. Im vorliegenden Fall seien noch nicht alle zugelassenen Arzneimittel eingesetzt worden, wie bspw. Mitoxantron, Steroid-Stoßtherapie Interferone und Endoxan. Hinsichtlich der Wirksamkeit der beantragten Therapie ergäben sich aus der aktuellen medizinischen Literatur Hinweise darauf, dass Rituximab bei Patienten mit PPMS den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen könne. Vergleichbar gute Ergebnisse fänden sich jedoch nicht für die sekundäre Form der MS (SPMS), an welcher die Antragstellerin erkrankt sei.
Mit Schreiben vom 28.09.2017 lehnte die Antragsgegnerin die Kostenübernahme mit der Begründung ab, es gäbe verschiedene andere Therapiemöglichkeiten, die von der AOK bezahlt werden könnten.
Die Antragstellerin erhob mit Schreiben vom 9.10.2017 Widerspruch. Sie führte hierzu aus, die Therapie mit dem Medikament Tysapri habe ihre Lebenssituation erleichtert. Da der JC-Virus festgestellt worden sei, habe die Therapie jedoch abgebrochen werden müssen. Vor einer Therapie mit Mitixandron habe sie aufgrund der vermuteten Nebenwirkungen Angst. Zudem sei die Anwendung dieses Präparats aufgrund der möglichen Auswirkungen auf Herz- und Kreislauf auf zwei Jahre begrenzt. Sie leide unter einem chronischen Niedrigblutdruck, daher komme dieses Medikament für sie nicht in Frage. Sie gehe regelmäßig zur Cortison-Pulsbehandlung, diese sei jedoch ohne Erfolg. Sie habe sich für eine Behandlung mit Rituximab entschieden, da dies einen ähnlichen Wirkstoff wie Tysapri enthalte, welches ihr jahrelang sehr gut geholfen habe.
Die Antragsgegnerin beauftragte daher erneut den medizinischen Dienst mit der Erstellung eines Gutachtens. Dr. P führte in seinem unter dem 02.01.2018 erstatteten Gutachten aus, es seien noch nicht alle zugelassenen Arzneimittel eingesetzt worden. Es stünden derzeit noch zugelassene, medizinisch sinnvolle Therapie-Alternativen zur Verfügung. Der Wunsch der Versicherten nach einer nicht zugelassenen Therapieform begründe beim Vorliegen zugelassener Alternativen keine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung.
Die Klägerin legte den Arztbrief des Universitätsklinikums F vom 16.11.2017 vor. Diesem lässt sich entnehmen, bei der sekundär chronisch-progredienten Multiplen Sklerose ab einem EDSS von 6,5 (wie bei der Antragstellerin) bestünden keine zugelassenen Behandlungsoptionen. Das von dem Medizinischen Dienst angesprochene Mitoxantron sei als einziges zugelassenes Präparat zur Behandlung bei SPMS nur bis zu einem EDSS von 6 zugelassen. Weitere Präparate existierten nicht. Aufgrund des deutlichen Progresses und des jungen Alters der Antragstellerin sei dringend eine immunmodulatorische Therapie anzuraten. Mitoxantron sei aufgrund der insbesondere kardialen Langzeitnebenwirkungen, der Systembelastung und der nur eingeschränkten Anwendbarkeit in Anbetracht des noch zu erwartenden Lebensalters sehr ungünstig. Dem gegenüber stünden die im Verhältnis deutlich nebenwirkungsärmeren Therapien mit Rituximab. Bezüglich der Behandlung bei schubförmiger MS sei die Wirksamkeit für Rituximab nachgewiesen. Auch bezüglich des chronischen Erkrankungsprozesses sei unter Rituximab eine positive krankheitsmodifizierende Wirkung bestätigt worden.
Die Antragstellerin reichte außerdem den vorläufigen Entlassbrief des Klinikums M vom 12.02.2018 ein. Aus diesem ergibt sich, dass sich die Antragstellerin dort vom 07.02.2018 bis 12.02.2018 in stationärer Behandlung befand. Es erfolgte eine Cortisonpulsbehandlung, durch welche subjektiv auch eine Verbesserung des Gehens für die Antragstellerin wahrnehmbar war.
Den Widerspruch der Antragstellerin wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 23.02.2018 als unbegründet zurück. Es liege keine akut lebensbedrohliche Erkrankung vor. Der MDK habe in seinen Gutachten auf andere Behandlungsmöglichkeiten verwiesen, die kassenärztlich übernommen werden könnten. Die beantragte Kostenübernahme für das Arzneimittel könne daher nicht erfolgen.
Am 02.03.2018 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Karlsruhe einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, mit welchem sie ihr Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung führt sie aus, die Ansicht des MDK, dass andere zugelassene Therapiealternativen bestehen, sei durch den Arztbrief des Universitätsklinikums F vom 16.11.2017 widerlegt. Die Behandlung mit MabThera müsse stationär erfolgen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, die Kosten für das Medikament Mab Thera mit dem Wirkstoff Rituximab zu übernehmen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf die vorliegenden Gutachten des Medizinischen Dienstes. Ergänzend führt sie aus, dass in dem Arztbrief des Universitätsklinikums F vom 31.08.2017 eine medikamentöse Therapie auch mit dem Wirkstoff Ocrelizumab denkbar wäre. Das Medikament mit dem Wirkstoff Ocrevus habe eine Zulassung in der Europäischen Union für schubförmig multiple Sklerose und PPMS.
Das Gericht hat den behandelnden Neurologen Prof. Dr. D schriftlich als sachverständigen Zeugen befragt. Dieser hat in seiner Stellungnahme ausgeführt, Mitoxantron sei eine nach den Leitlinien angegebene Therapieoption. Die Behandlung sei jedoch mit einem substanziellen Risiko für eine Herzschädigung vergesellschaftet. Ocrelizumab sei seit Januar 2018 auch für PPMS zugelassen. Die Wirkmechanismen von Ocrelizumab seien weitgehend vergleichbar mit denjenigen von Rituximab. Insofern stelle Ocrelizumab nach formalen Kriterien eine Behandlungsalternative zu Rituximab dar. Für Rituximab seien keine formalen Studien zur Zulassung bei SPMS durchgeführt worden. Zu Ocrelizumab fänden sich zwei klinische Phasen-3-Studien (OPERA I und II) und eine Phase-3-Studie mit PPMS-Patienten (ORATORIO).
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten und auf die Verwaltungsakten der Antragsgegnerin Bezug genommen, die vorlagen und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.
II. Der Antrag ist zulässig aber unbegründet.
Der Antrag ist zunächst als Regelungsanordnung gem. § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft. Nach dieser Vorschrift können einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen werden, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann erlassen werden, wenn glaubhaft gemacht wird (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung), dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber der Antragsgegnerin besteht (Anordnungsanspruch) und die Antragstellerin ohne den Erlass der begehrten Anordnung, insbesondere bei Abwarten einer Entscheidung in der Hauptsache, wesentliche Nachteile i.S.v. § 86b Abs. 2 S. 2 SGG erleiden würde (Anordnungsgrund). Drohen im Einzelfall ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dürfen sich die Gerichte nur an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen, da sich die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte zu stellen haben (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - und vom 29.11.2007 - 1 BvR 2496/07 -, jeweils m.w.N.).
Vorliegend fehlt es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs. Nach summarischer Prüfung ergibt sich, dass die Antragstellerin keinen Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf Kostenübernahme für das Medikament MabThera mit dem Wirkstoff Rituximab hat.
Ein solcher Anspruch ergibt sich nach summarischer Prüfung zunächst nicht aus § 31 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Nach dieser Vorschrift können Versicherte die Versorgung mit vertragsärztlich verordneten Fertigarzneimitteln zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) grundsätzlich ungeachtet weiterer Einschränkungen (vgl. §§ 31, 34 SGB V) nur beanspruchen, wenn eine arzneimittelrechtliche Zulassung für das Indikationsgebiet besteht, in dem sie angewendet werden sollen. Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§§ 2 Abs. 1 S. 3, 12 Abs. 1 SGB V) dagegen nicht von der Leistungspflicht der GKV nach §§ 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 3, 31 Abs. 1 S. 1 SGB V) umfasst, wenn ihnen die erforderliche (§ 21 Arzneimittelgesetz) arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt (vgl. zur ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) z.B. BSGE 96,153, BSGE 97,112, BSGE 111,168). Bei Mab Thera handelt es sich um ein Fertigarzneimittel, welches für die SPMS nicht zugelassen ist. Dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig.
Die Antragstellerin hat jedoch auch keinen Anspruch aus den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zum Off-Label-Use. Ein solcher Off-Label-Use kommt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nur in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Abzustellen ist dabei auf die im jeweiligen Zeitpunkt der Behandlung vorliegenden Erkenntnisse (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 03.07.2012 - B 1 KR 25/11 R = BSGE 111, 168-177, SozR 4-2500 § 31 Nr. 22, SozR 4-2500 § 19 Nr. 7, Rn. 16).
Auf den vorliegenden Fall übertragen liegt hier zumindest die erste Voraussetzung vor. Zwar mag die Multiple Sklerose keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung im engeren Sinne sein. Das Bundessozialgericht hat jedoch den Anwendungsbereich dieser Rechtsprechung nicht nur auf solche Erkrankungen begrenzt, sondern auf sonstige ganz gravierende gesundheitliche Beeinträchtigungen im Wege einer Gleichstellung erweitert (BSG, Urteil vom 4. April 2006 - B 1 KR 12/04 R -). Um eine solche die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung handelt es sich bei der Multiplen Sklerose (hierzu auch: Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 31. Januar 2007 – L 5 KR 28/06 –, juris; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 08. Februar 2008 – L 4 KR 2153/06 –, juris). Dies bestätigen auch die vorliegenden medizinischen Unterlagen, sowie die sachverständige Zeugenaussage des Prof. Dr. D.
Offenbleiben kann, ob vorliegend die zweite Voraussetzung für den Off-Label-Use vorliegt. Dass keine andere Therapieoption für die Antragstellerin in Betracht kommt, erscheint vorliegend zumindest zweifelhaft. Bereits Prof. Dr. R ging in seinem Entlassungsbericht vom 31.08.2017 davon aus, dass eine Behandlung mit Rituximab oder mit Ocrelizumab bei der Antragstellerin erfolgsversprechend sein könnte. Auch dem vorläufigen Entlassbrief des Klinikums Mittelbaden lässt sich entnehmen, dass eine Therapie mit dem Arzneimittel Ocrelizumab empfohlen wird. Darüber hinaus sieht auch Prof. Dr. D Ocrelizumab als erfolgsversprechende Behandlungsalternative an. Das Medikament ist seit Januar 2018 für PPMS zugelassen. Es kann vorliegend offenbleiben, ob die an SPMS leidende Antragstellerin auf eine Therapie mit Ocrelizumab verwiesen werden kann. Denn es fehlt jedenfalls an der dritten Voraussetzung für den Off-Label-Use, nämlich die aufgrund der Datenlage begründete hinreichende Erfolgsaussicht.
Von solchen hinreichenden Erfolgsaussichten kann nur dann ausgegangen werden, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Dies kann angenommen werden, wenn entweder (1.) die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt worden ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht worden sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder (2.) außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht worden sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in den neuen Anwendungsgebieten zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne bestehen (BSG 26.09.2006, B 1 KR 14/06 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 6). Daran fehlt es. Die erste Alternative ist vorliegend nicht gegeben, weil die Erweiterung der Zulassung für Rituximab auf SPMS bisher nicht beantragt wurde. Auch die zweite Alternative liegt hier nicht vor. Die Antragstellerin beruft sich auf zwei Studien, zum einen die Veröffentlichung von Hauser in NEJM 2008, 358, zum anderen die Studie von Hawker in Annals of Neurology 2009, 76. Die Qualität der wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Behandlungserfolg, die für eine zulassungsüberschreitende Pharmakotherapie auf Kosten der GKV nachgewiesen sein muss, entspricht derjenigen für die Zulassungsreife des Arzneimittels im betroffenen Indikationsbereich. Sie ist während und außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens regelmäßig gleich. Der Schutzbedarf der Patienten, der dem gesamten Arzneimittelrecht zugrunde liegt und in das Leistungsrecht der GKV einstrahlt, unterscheidet sich in beiden Situationen nicht (vgl BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, jeweils RdNr 24). Bei der Studie von Hauser handelt es sich um eine nunmehr zehn Jahre zurückliegende Studie, bei denen 69, an einer schubförmigen Multiplen Sklerose erkrankten Patienten, in einem Zeitraum von 48 Wochen mit Rituximab behandelt wurden. Weitere 35, an einer schubförmigen Multiplen Sklerose erkrankten Patienten, wurden mit einem Placebo-Präparat behandelt. Zum einen handelte es sich bei den Studienteilnehmern nicht um Patienten, welche an SPMS erkrankt waren, sondern an einer schubförmigen Multiplen Sklerose. Zum anderen sind die Daten zur generellen Beurteilung des Nutzens von Rituximab für die Behandlung der konkreten Krankheitsbilder nicht in vergleichbarer Weise geeignet wie im Zulassungsverfahren einzureichende Studien. Dies ergibt sich bereits aus der geringen Anzahl von Probanden. Die Studie von Hawker in Annals of Neurology 2009, 76 behandelt die Wirksamkeit von Rituximab für Patienten, welche an PPMS erkrankt sind. Die Studie ist daher für den vorliegenden Sachverhalt irrelevant, weil die Antragstellerin, wie bereits mehrfach ausgeführt, an SPMS erkrankt ist. Die ebenfalls von der Antragstellerin aufgeführte Studie von Montalban in NEJM 2017, 376 betrifft das Medikament Ocrelizumab, und nicht Rituximab. Insgesamt fehlt es daher an der aufgrund einer Datenlage begründeten Aussicht, dass mit dem Wirkstoff Rituximab ein Behandlungserfolg erzielt werden kann.
Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsanspruch aus § 2 Abs. 1a SGB V nicht glaubhaft gemacht. Die Grundsätze des § 2 Abs. 1a SGB V gelten sinngemäß auch für die Versorgung mit Arzneimitteln (vgl BSG 04.04.2006, B 1 KR 7/05 R, juris). Speziell zur Multiplen Sklerose hat das BSG für einen Fall sekundär-progredienter Verlaufsform selbst in schweren Krankheitsfällen eine Lebensgefahr verneint. Begründet wird dies damit, dass eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen nur gerechtfertigt ist, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird (BSG 17.03.2007, B 1 KR 17/06 R, juris Rn 23).
Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsanspruch aus § 137c Abs. 3 Satz 1 SGB V nicht glaubhaft gemacht. Nach dieser Vorschrift dürfen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, zu denen der Gemeinsame Bundesausschuss bisher keine Entscheidung getroffen hat, im Rahmen einer Krankenhausbehandlung angewandt werden, wenn sie das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten und ihre Anwendung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt, sie also insbesondere medizinisch indiziert und notwendig ist. Vorliegend muss die Therapie mit Rituximab zwar stationär erfolgen. Sie stellt jedoch keine Behandlungsmethode im Sinne der Vorschrift dar. Ärztliche Behandlungsmethode im Sinne der genannten Vorschriften ist eine medizinische Vorgehensweise, der ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, das sie von anderen Therapieverfahren unterscheidet und das ihre systematische Anwendung in der Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll (vgl. BSG, Urteil vom 13.12.2016, - B 1 KR 1/16 R -, in juris Rdnr. 23 m.w.N.). Demgegenüber stellt die (bloße) Gabe eines Arzneimittels, etwa zur Einnahme durch den Patienten, aber auch durch Injektion oder Infusion in den Körper (bei Infusion auch mit vorausgegangener Blutentnahme, ärztlicher Beratung und Überwachung), eine (reine) Pharmakotherapie dar; die (bloße) bestimmungsgemäße Anwendung eines für die betreffende Indikation zugelassenen Arzneimittels ist kraft arzneimittelrechtlicher Zulassung Leistungsbestandteil der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. BSG, Urteil vom 13.12.2016, a.a.O.). Nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen ist davon auszugehen, dass sich die stationäre Therapie mit Rituximab auf die Infusion in den Körper beschränkt und damit eine Pharmakotherapie darstellt. Für die stationär erbrachte (reine) Pharmakotherapie hat das BSG entschieden, dass der Schutz gesetzlich Versicherter durch das materielle Arzneimittelrecht vor dem Krankenhaus nicht Halt macht (BSG, Urteil vom 13.12.2016, a.a.O.). Nach der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg, welcher sich die erkennende Kammer anschließt, ist dieser Grundsatz ist auch dann anzuwenden, wenn die Arzneimittelversorgung im Rahmen einer stationär erbrachten Behandlungsmethode (i.S.d. § 137c SGB V) stattfindet. Arzneimittel dürfen daher auch in der Krankenhausbehandlung nur zulassungskonform und zulassungsüberschreitend nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des Off-Label-Use angewendet werden, wobei es unerheblich ist, ob die Arzneimittelversorgung als (reine) Pharmakotherapie oder als (Teil einer) Behandlungsmethode i.S.d. §§ 135, 137 c SGB V stattfindet (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 31. Januar 2018 – L 5 KR 2399/16 –, juris; LSG Thüringen, Urteil vom 25.04.2017, - L 6 KR 1870/13 -, in juris Rdnr. 22). Selbst wenn also die Therapie mit Rituximab eine Behandlungsmethode i. S. v. § 137c SGB V darstellt, wäre ein Anordnungsanspruch vorliegend dennoch nicht gegeben, da wie oben dargelegt, die Voraussetzungen des Off-Label-Use nicht vorliegen.
Da also hinsichtlich aller in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht ist, muss auf die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes nicht mehr eingegangen werden. Der Antrag war damit abzulehnen.
Über den Anspruch der Antragstellerin auf Kostenübernahme für die Behandlung mit dem Medikament Ocrelizumab war vorliegend nicht zu entscheiden, da dies nicht beantragt war.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
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