S 38 KA 305/17

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
38
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 38 KA 305/17
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
I. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, auch im Sozialrecht, dass Willenserklärungen generell nach dem „Empfängerhorizont“ eines verständigen (objektiven) Beteiligten auszulegen sind (vgl. BSGE 37,155, 160 = SozR 4600 § 143 f Nr. 1; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31.1.2018, Az L 16 R 945/16).

II. Unklarheiten gehen zu Lasten der Behörde. Gerade in Statussachen ist seitens der Behörde eine besondere Sorgfalt erforderlich. Die Behörde hat alles zu tun bzw. zu unterlassen, damit durch Handlungen/Schreiben keine Missverständnisse und Zweifel entstehen. Dies gilt auch, wenn mit einem Verwaltungsverfahren mehrere Abteilungen innerhalb einer Behörde befasst sind.

III. Im Hinblick auf die „Einheitlichkeit“ der Behörde und die „Einheitlichkeit“ der Behördenentscheidung sind unklare Äußerungen einer Abteilung der Behörde insgesamt zuzurechnen.
I. Die sachlich-rechnerische Berichtigung der Beklagten vom 15.02.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 28.06.2017 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, die vor dem 13.09.2016 gestrichenen MRT-Leistungen nachzuvergüten.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Gegenstand der zum Sozialgericht München eingelegten Klage ist der Ausgangsbescheid der Beklagten in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 28.06.2017. Die Beklagte kürzte das Honorar der Klägerin, einer Gemeinschaftspraxis nach sachlich-und rechnerischer Richtigstellung im Quartal 3/16 in Höhe von 13.763,20 EUR. Zur Begründung führte sie aus, die Leistungen für die Magnet-Resonanz-Tomographie aus Abschnitt 34.4 des EBM unter der LANR der Herren Privatdozent Dr. Sch. und Dr. H. In der Filiale G.-Straße in N. würden wegen fehlender Genehmigung zum Zeitpunkt der Leistungserbringung abgesetzt.

Die Klägerin richtete an die Beklagte zwei Schreiben mit Datum jeweils vom 28.07.2016 und zwar konkret einmal an die "Qualitätssicherung" und zum anderen an die "Sicherstellung".

Das Schreiben an die "Qualitätssicherung" hatte folgenden Wortlaut: " Sehr geehrte Frau ..., wie uns Frau H. von der Sicherstellungsabteilung telefonisch bestätigt hat, dürfen sowohl ich als Praxisinhaber, als auch unsere angestellten Ärzte, in unser neu eingerichteten Filiale (als Neben-Betriebsstätte) die von der KVB am Stammsitz genehmigten Leistungen auch dort durchführen und abrechnen. Dies betrifft: Facharzt N., PD Dr. med. univ. S. Sch. und Dr. med. F. H. Bitte teilen Sie uns mit, ob Sie noch weitere Informationen benötigen, einen Gerätenachweis werden wir Ihnen nach Aufstellung des 3-Tesla- MRT-Gerätes in der Filiale zusenden." In einem Schreiben der Klägerin an die "Sicherstellung" wird folgendes ausgeführt: " Sehr geehrte Frau H., wie telefonisch mit meiner Mitarbeiterin ... besprochen senden wir Ihnen als ergänzende Info zur Filiale in N. die Namen der in unserer Praxis außer mir ebenfalls tätigen Fachärzte Facharzt N., PD Dr. med. univ. S. Sch. und Dr. med. Fabian H. Wie uns telefonisch bestätigt haben dürfen diese in unserer Filiale die von der KVB am Stammsitz genehmigten Leistungen auch dort durchführen und abrechnen."

In einem Schreiben der Beklagten ("Sicherstellung") vom 12.08.2016 teilte die Beklagte folgendes mit: "Sehr geehrter Herr Fr. M., Hiermit teilen wir Ihnen mit, dass die angestellten Ärzte Herr ... in der G.-Straße in N. tätig werden können. Nachdem es sich um eine bereits genehmigte Filiale für die G.-Straße handelt, können Sie die bei Ihnen angestellten o.g. Ärzte auch in dieser Filiale beschäftigen. Soweit Leistungen durch Herrn PD Dr. S. Sch. und Dr. F.H. erbracht werden, müssen die Leistungen durch die LANR des angestellten Arztes und der NBSNR der Filiale gekennzeichnet werden. Sollten Sie noch Fragen haben, rufen Sie uns gerne an!"

Mit Schreiben vom 08.09.2016 richtete die Klägerin ein Schreiben an die Beklagte, wonach sie davon ausgehe, dass PD Dr. S. Sch. und Dr. F.H. in der Filiale erbrachte Leistungen abrechnen könnten.

Im Schreiben der Beklagten ("Qualitätssicherung") vom 24.08.2016, in dem auf das Schreiben des Klägers vom 28.07.2016 Bezug genommen wurde, wurde der Klägerin mitgeteilt, es würden noch weitere Unterlagen benötigt (Gewährleistungserklärung mit technischen Daten des MRT-Geräts). Schließlich erließ die Beklagte den Bescheid vom 13.09.2016 über die Genehmigung zur Ausführung und Abrechnung von Leistungen der Kernspintomographie.

Gegen die sachlich-rechnerische Richtigstellung ließ die Klägerin Klage zum Sozialgericht München einlegen. Zunächst wurde darauf hingewiesen, es seien im Zeitraum vom 29.08.2016 bis 12.09.2016, also vor dem Genehmigungsbescheid insgesamt 85 MRT-Untersuchungen erbracht und abgerechnet worden. Die Klägerin habe das Schreiben der Beklagten vom 12.08.2016 als Genehmigungsbescheid verstehen dürfen. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin machte ferner geltend, die Filialgenehmigung sei von vornherein auf MRT-Leistungen beschränkt worden. Das offizielle Schreiben der Abteilung "Sicherstellung" müsse sich die Beklagte zurechnen lassen. Das Schreiben der Beklagten vom 20.08.2016 nehme jedenfalls die später erteilte Genehmigung nicht wieder zurück.

In Erwiderung trug die Beklagte vor, ihr Schreiben vom 12.08.2016 bestätige nur, dass Dr. H. und Dr. Sch. in der Filiale tätig werden dürften. Das Schreiben der Beklagten vom 24.08.2016 sei der Leistungserbringung vorausgegangen. Im Hinblick auf die dortigen Ausführungen hätte der Klägerin bewusst sein müssen, dass das Schreiben vom 12.08.2016 noch kein Genehmigungsbescheid gewesen sei. Im Übrigen sei das Schreiben der Klägerin vom 28.07.2016 als Antrag auf Genehmigung zu Gunsten der Klägerin ausgelegt worden. Hinzu komme, dass die Klägerin mit Schreiben vom 08.09.2016 die Gewährleistungserklärung nachgereicht habe. Auch dies zeige, dass seitens der Klägerin doch noch Unsicherheit bestanden habe, ob die MRT-Genehmigung bereits erteilt worden war. In der mündlichen Verhandlung am 21.03.2018 stellte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Antrag aus dem Schriftsatz vom 08.07.2017.

Die Vertreterin der Beklagten beantragte, die Klage abzuweisen. Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung war die Beklagtenakte. Im Übrigen wird auf den sonstigen Akteninhalt, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie die Sitzungsniederschrift vom 21.03.2018 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist zulässig und erweist sich auch als begründet.

Rechtsgrundlage für die von der Beklagten vorgenommene sachlich-rechnerische Richtigstellung ist § 106a Abs. 2 S. 1 HS 1 SGB V i.V.m. § 45 Abs. 3 BMV-Ä und § 34 Abs. 4 EKV-Ä. Danach ist die Beklagte berechtigt und verpflichtet, die sachlich und rechnerische Richtigstellung der Abrechnungen der Vertragsärzte festzustellen und die Abrechnungen nötigenfalls richtig zu stellen.

Streitgegenständlich sind hier die Leistungen für die Magnet-Resonanz-Tomographie aus Abschnitt 34.4 des EBM, die unter der LANR der Herren Privatdozent Dr. Sch. und Dr. H. in der Filiale G.-Straße in N. angesetzt, jedoch wegen fehlender Genehmigung zum Zeitpunkt der Leistungserbringung abgesetzt wurden.

Die Leistungen können nur dann abgerechnet werden, wenn ihr Leistungsinhalt erfüllt ist. Dabei ist in erster Linie der Wortlaut der Leistungslegenden maßgeblich. Handelt es sich um genehmigungspflichtige Leistungen, wie dies bei den Leistungen für die Magnet-Resonanz-Tomographie aus Abschnitt 34.4 des EBM der Fall ist (Präambel vor Abschnitt 34.4 des EBM Ziff. 3 i.V.m. § 135 Abs. 2 SGB V), sind diese erst dann abrechnungsfähig, wenn eine Genehmigung erfolgt ist. Hierbei handelt es sich um einen statusbegründenden Akt, so dass Leistungen erst nach der Genehmigung erbracht und abgerechnet werden können. Eine Rückwirkung ist damit ausgeschlossen.

Fakt ist, dass die Klägerin am 13.09.2016 einen formalen Genehmigungsbescheid, betreffend die Genehmigung zur Ausführung und Abrechnung von Leistungen der Kernspintomographie - ausgenommen der Mamma sowie der Angiographie - im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung für ihre angestellten Ärzte erhielt. Vorausgegangen war der Filialgenehmigungsbescheid vom 15.09.2015.

Maßgeblich ist, wie das Schreiben der Beklagten vom 12.08.2016 auszulegen ist. Während die Beklagte der Auffassung ist, dieses Schreiben sollte nur bestätigen, dass Dr. H und Dr. Sch. in der Filiale tätig werden dürfen, vertritt der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Auffassung, dieses Schreiben sei als Genehmigung anzusehen. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, auch im Sozialrecht, dass Willenserklärungen generell nach dem "Empfängerhorizont" eines verständigen (objektiven) Beteiligten auszulegen sind, der die Zusammenhänge berücksichtigt, die die Behörde nach ihrem wirklichen (oder mutmaßlichen) Willen erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat. Zur Erforschung dieses Willens sind die Begründung der Entscheidung (sofern vorhanden), aber auch sonstige Umstände heranzuziehen, die erkennbar im Zusammenhang mit der getroffenen Regelung stehen. Unklarheiten gehen zu ihren Lasten (vgl. BSGE 37,155, 160 = SozR 4600 § 143 f Nr. 1; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31.01.2018, Az. L 16 R 945/16).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist das Gericht aufgrund der Gesamtumstände, insbesondere aber aufgrund des Schreibens der Beklagten vom 12.08.2016 der Auffassung, die Klägerin habe davon ausgehen können, sie sei zur Erbringung und Abrechnung der in der Filiale erbrachten MRT-Leistungen berechtigt. Zwar handelt es sich bei dem Schreiben vom 12.08.2016 um keinen formalen Genehmigungsbescheid. Dieser ist erst mit Datum vom 13.09.2016 ergangen. Es ist aber nicht völlig ausgeschlossen, dass Verwaltungsakte nicht in Bescheidform nach §§ 33 ff. SGB X erlassen werden, insbesondere, dass eine Rechtsbehelfsbelehrung nach § 36 SGB X fehlt. Ebenfalls kann das Schreiben vom 12.08.2016 auch inhaltlich von einem verständigen objektiven Beteiligten so verstanden werden, dass die Beklagte hiermit eine Genehmigung zur Ausführung und Abrechnung von Leistungen der Kernspintomographie erteilt hat. Denn dort wird ausdrücklich festgestellt, dass die angestellten Ärzte auch in dieser Filiale beschäftigt werden können. Ferner wird ausgeführt, sofern Leistungen durch Herrn PD Dr. S. Sch. und Dr. F.H. erbracht werden, müssten diese Leistungen durch die LANR des angestellten Arztes und der NBSNR der Filiale gekennzeichnet werden.

Das Schreiben vom 12.08.2016 stammt zwar von der Abteilung "Sicherstellung", wie sich aus dem Adressfeld ergibt. Auf das Schreiben der Klägerin vom 28.07.2016 wird, anders als im Schreiben der Beklagten von der Abteilung "Qualitätssicherung" vom 24.08.2016, nicht Bezug genommen. Dies ändert aber nach Auffassung des Gerichts an dem Auslegungsergebnis nichts, zumal zwar Vertragsärzten die verschiedenen Zuständigkeitsbereiche innerhalb der Beklagten grundsätzlich bekannt sind bzw. bekannt sein müssten. So differenziert auch die Klägerin mit ihren Schreiben, jeweils vom 28.07.2016 zwischen "Sicherstellung" und "Qualitätssicherung". Trotzdem ist nicht auszuschließen und durchaus üblich, dass eine Abteilung die Bearbeitung federführend und koordinierend übernimmt. Der Klägerin kann auch nicht entgegengehalten werden, ihr habe aufgrund des Schreibens der Beklagten vom 24.08.2016, also noch vor der Leistungserbringung bewusst sein müssen, dass noch keine Genehmigung für die Erbringung und Abrechnung von MRT-Leistungen vorlag. Denn es ist nicht außergewöhnlich, dass auch bei einer vorliegenden Genehmigung nachträglich zusätzliche Unterlagen angefordert werden. Hinzu kommt, dass es die Beklagte in der Hand gehabt hätte, in dem Schreiben vom 24.8.2016 klarzustellen, dass erst mit einer vorliegenden Genehmigung die Abrechnung von MRT- Leistungen möglich ist. Dies wurde jedoch unterlassen.

Zweifel gehen letztendlich zulasten der Behörde, hier der Beklagten (vgl. BSGE 37,155, 160 = SozR 4600 § 143 f Nr. 1; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31.01.2018, Az. L 16 R 945/16). Erschwerend kommt hinzu, dass es sich im streitgegenständlichen Verfahren um Statusangelegenheiten handelt. Hier ist seitens der Behörde eine besondere Sorgfalt erforderlich. Die Behörde hat alles zu tun bzw. zu unterlassen, damit durch Handlungen/Schreiben keine Missverständnisse und Zweifel entstehen. Dies gilt auch, wenn mit einem Verwaltungsverfahren mehrere Abteilungen innerhalb einer Behörde befasst sind. Das Schreiben der Abteilung "Sicherstellung" muss sich die Beklagte daher im Hinblick auf die "Einheitlichkeit" der Behörde und die "Einheitlichkeit" der Behördenentscheidung zurechnen lassen.

Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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