S 38 KA 1261/15

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
38
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 38 KA 1261/15
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ist über die Rechtmäßigkeit einer Auswahlentscheidung nach § 26 Abs. 4 Nr. 3 Bedarfsplanungs-Richtlinie zu entscheiden, ist als maßgeblicher Zeitpunkt grundsätzlich der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor der Tatsacheninstanz zugrunde zu legen (vgl. BSG, Urteil vom 22.10.2014, Az B 6 KA 44/13 R).
I. Der Beschluss des 1. Berufungsausschusses für Ärzte Bayern vom 29.10.2015, ausgefertigt am 18.11.2015 (Az. ) wird aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger eine hälftige Zulassung am Vertragsarztsitz C-Stadt zu erteilen.

II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Es wird festgestellt, dass die Hinzuziehung der Prozessbevollmächtigten des Klägers erforderlich ist.

Tatbestand:

Gegenstand der zum Sozialgericht München eingelegten Klage ist der Bescheid des beklagten Berufungsausschusses aus der Sitzung vom 29.10.2015. Mit dem Bescheid wurde der Beigeladene zu 8 mit hälftigem Versorgungsauftrag im Bereich der Chirurgie (Planungsbereich C-Stadt Stadt/Landkreis C-Stadt) zugelassen.

Vorausgegangen war der Beschluss des Landesausschusses vom 10.06.2013 mit Entsperrung eines halben Chirurgensitzes, die Ausschreibung des Sitzes, Bewerbung mehrerer Ärzte, darunter der Kläger und der Beigeladene zu 8. Mit Beschluss des Zulassungsausschusses vom 18.11.2013 wurde dem Kläger der Vertragsarztsitz zugesprochen. Der dagegen eingelegte Widerspruch des Beigeladenen zu 8 war erfolglos. Der Berufungsausschuss bestätigte in seiner Sitzung vom 08.05.2014 die Entscheidung des Zulassungsausschusses. Dagegen wurde Klage zum Sozialgericht München unter dem Aktenzeichen S 21 KA 1110/14 eingelegt. In der Entscheidung des Sozialgerichts München vom 26. Juli 2015 wurde der Bescheid des Beklagten aufgehoben und dieser verpflichtet, über den Widerspruch des hiesigen Beigeladenen zu 8 erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden. Zur Begründung wurde ausgeführt, es liege ein Begründungsdefizit nach § 35 SGB X vor. Außerdem sei ein Ermessensdefizit festzustellen. Aufgrund des Urteils entschied der Beklagte in der Sitzung vom 29.10.2015 neu und erteilte diesmal dem Beigeladenen zu 8 die Zulassung mit hälftigem Versorgungsauftrag. Dagegen erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht München, der bereits über eine hälftige Zulassung in E-Stadt verfügte und die Zusatzbezeichnung "Handchirurgie" führt. Der Beigeladene zu 8 verfügte seit 01.04.2012 über eine hälftige Zulassung in C-Stadt und führt die Zusatzbezeichnung "Gefäß- und Viszeralchirurgie". Mit Schreiben vom 19.03.2018 teilte der Beklagte mit, der Beigeladene zu 8 habe mit Beschluss des Zulassungsausschusses Ärzte-Oberpfalz vom 29.11.2017 eine weitere Teilzulassung erhalten, so dass seine bisherige Teilzulassung zum 01.01.2018 zur Vollzulassung erstarkt sei. Zur gütlichen Beilegung des Rechtsstreits unterbreitete der Beklagte einen Vergleichsvorschlag des Inhalts, dass der Kläger bei dem Beigeladenen zu 8 mit hälftigem Versorgungsauftrag angestellt wird und im Gegenzug dazu der Kläger die Klage für erledigt erklärt.

Auf Nachfrage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung am 12.04.2018 wurde deutlich, dass sowohl der Kläger als auch der Beigeladene zu 8 grundsätzlich mit einem Vergleich des vorgeschlagenen Inhalts einverstanden gewesen wären. Offensichtlich bestanden aber unterschiedliche Ansichten zur voraussichtlichen Stellung des Klägers in der Praxis des Beigeladenen zu 8. Während der Beigeladene zu 8 eine engere Einbindung des Klägers anstrebt (evtl. Gesellschafterstellung), wollte der Kläger das Angestelltenverhältnis nur solange aufrecht erhalten, bis er die Möglichkeit hat, selbst von dem hälftigen Vertragsarztsitz Gebrauch zu machen.

In der mündlichen Verhandlung am 12.04.2018 beantragte die Prozessbevollmächtigte des Klägers, den Beschluss des ersten Berufungsausschusses für Ärzte Bayern vom 29.10.2015, ausgefertigt am 18.11.2015 (Aktenzeichen 22/13) aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger die beantragte hälftige Zulassung für den Vertragsarztsitz in C-Stadt zu erteilen. Des Weiteren beantragt sie, dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen und die Hinzuziehung der Unterfertigten für notwendig zu erklären. Die Vertreterin des Beklagten beantragte, die Klage abzuweisen. Der Prozessbevollmächtigte des Beigeladenen zu 8 beantragte ebenfalls, die Klage abzuweisen.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung war die Beklagtenakte. Im Übrigen wird auf den sonstigen Akteninhalt, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie die Sitzungsniederschriften vom 22.10.2016, 07.11.2017 und 12.04.2018 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist zulässig und erweist sich auch als begründet.

Es handelt sich um eine kombinierte Anfechtungs- und Verbescheidungs-/Verpflich-tungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG. Für die rechtliche Beurteilung kommt es auf den maßgeblichen Zeitpunkt an. Hierbei ist zu differenzieren zwischen den jeweiligen Klagearten. Während bei einer (reinen) Anfechtungsklage die Sach- und Rechtslage bei Erlass des Verwaltungsaktes bzw. des Widerspruchsbescheides maßgeblich ist, ist bei Verpflichtungs- und Leistungsklagen auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor der Tatsacheninstanz abzustellen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum Sozialgerichtsgesetz, Rn 32, 33, 34 zu § 54). Letzteres gilt auch für Verpflichtungsklagen bei Ermessensentscheidungen, Entscheidungen mit Beurteilungsspielraum und Prognoseentscheidungen. Diese grundsätzlichen Überlegungen finden auch Anwendung im Vertragsarztrecht, so bei Entscheidungen der Zulassungsgremien über die Erteilung einer Zulassung (BSG, Urteil vom 22.10.2014, Az. B 6 KA 44/13 R).

Nachdem es sich hier um eine Auswahlentscheidung des Beklagten handelt, ist auch hier der maßgebliche Zeitpunkt der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht München. Das Vorliegen einer Ausnahmekonstellation ist nicht ersichtlich. Dies bedeutet, dass Änderungen, die zwischenzeitlich eingetreten sind, zu berücksichtigen sind. Eine Änderung hat sich insofern ergeben, als sich der Beigeladene zu 8 auf einen anderen freien hälftigen Chirurgensitz im Planungsbereich beworben und die Zulassung erhalten hat. Seine bisherige hälftige Zulassung ist somit zur "Vollzulassung" erstarkt.

Wie sich aus § 95 Abs. 3 S. 1 SGB V, § 19a Zulassungsverordnung-Ärzte (Ärzte-ZV) und §§ 1 ff. Bedarfsplanungs-Richtlinie ableiten lässt, gibt es nur einen vollen Versorgungsauftrag (vollzeitige Ausübung mit einem Anrechnungsfaktor für die Bedarfsplanung von 1,0) bzw. einen hälftigen Versorgungsauftrag (Anrechnungsfaktor für die Bedarfsplanung von 0,5). Durch den Erhalt eines weiteren hälftigen Versorgungsauftrags verfügt der Beigeladene zu 8 nunmehr über einen vollen Versorgungsauftrag. Würde die angefochtene Entscheidung des Berufungsausschusses (Sitzung vom 29.10.2015) bestandskräftig, hätte dies zur Folge, dass der Beigeladene zu 8 nunmehr über einen Versorgungsauftrag mit dem Anrechnungsfaktor 1,5 verfügen würde. Dies wäre aber mit § 95 Abs. 3 SGB V, § 19a Ärzte-ZV und §§ 1 ff. Bedarfsplanungs-Richtlinie nicht zu vereinbaren und somit contra legem.

Das Sozialgericht war gehindert, die Klage abzuweisen, weil dies zu den oben beschriebenen Folgen geführt hätte. Das Sozialgericht war aber auch gehindert, die Klage zu Gunsten des Klägers zu entscheiden verbunden mit der Verpflichtung des Beklagten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts nochmals zu befinden. Denn eine Auswahlentscheidung, wie sie zunächst zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen zu 8 nach den in § 26 Abs. 4 Nr. 3 Bedarfsplanungs-Richtlinie genannten Kriterien stattfand, war im Hinblick auf die Änderung der Sachlage (Zulassung des Beigeladenen zu 8 mit insgesamt vollem Versorgungsauftrag) nicht mehr zu treffen. Auch hierbei handelt es sich um eine rechtliche Unmöglichkeit. Das Gericht kann dem Beklagten nicht zu einem Handeln (hier: Auswahlentscheidung) verpflichten, auf das kein Anspruch besteht.

Was die Überlegungen des Beklagten betrifft, den Kläger beim Beigeladenen zu 8 anzustellen, wären diese grundsätzlich als geeignet anzusehen gewesen, den Rechtsstreit einvernehmlich zu beenden. Dabei muss aber kritisch hinterfragt werden, ob dies den Interessen des Klägers entsprochen hätte und damit nicht eine ungerechtfertigte Erhöhung des Status des Beigeladenen zu 8 verbunden wäre, indem letzterem eben doch de facto ein 1,5-facher Versorgungsauftrag zugestanden würde. Angesichts der Sach- und Rechtslage hätte es nahe gelegen, dass der Beigeladene zu 8 seinen Antrag auf Zulassung zurückzieht. Damit wäre die Grundlage für die Entscheidung des Berufungsausschusses (Sitzung vom 29.10.2015) entfallen, aber auch die für die Entscheidung des Sozialgerichts München (Urteil vom 26. Juli 2015, Az. S 21 KA 1110/14). Letztendlich wären dann die Entscheidungen des Zulassungsausschusses und des Berufungsausschusses, die der letzten Entscheidung des Berufungsausschusses vorausgegangen sind, wieder wirksam geworden. Offenbar vor dem Hintergrund, dass sich der Beigeladene zu 8 mehrere Optionen offen lassen wollte, wurden jedoch keine diesbezüglichen Überlegungen angestellt. Dies ist nicht nachvollziehbar, da für solche taktischen Überlegungen im Vertragsarztrecht - im Vordergrund sollte die Versorgung der Patienten stehen (§ 72 Abs. 1 SGB V) - kein Raum bleibt. Abgesehen davon ist nicht erklärbar, weshalb bei Erteilung der jüngst erfolgten hälftigen Zulassung (Beschluss des Zulassungsausschusses Ärzte-Oberpfalz vom 29.11.2017) zu Gunsten des Beigeladenen zu 8 durch den Zulassungsausschuss nicht mittels entsprechender Nebenbestimmungen sichergestellt wurde, dass das Entstehen einer solchen Konstellation vermieden werden konnte.

Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 54 VwGO. Für die im Tenor unter III. getroffene Entscheidung gilt § 63 Abs. 2 SGB X.
Rechtskraft
Aus
Saved